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[250] Den Verurtheilten winkte jetzt nur noch eine Rettung, eine einzige, die Hoffnung, daß die Föderirten vor Verlauf von zwölf Stunden sich zu Herren der Stadt machten, denn schon am folgenden Tage mit Sonnenaufgang sollten James und Gilbert Burbank ihren letzten Gang zum Richtplatz antreten, und aus ihrem Gefängnisse, selbst im Einverständnisse mit dem Schließer, zu entweichen, daran war gar nicht zu denken, schon weil dasselbe ebenso scharf überwacht wurde, wie das Haus des Mr. Harvey.
Was eine Einnahme von Jacksonville anging, so durfte man bestimmt nicht auf die gelandeten nordstaatlichen Truppen rechnen, die einige Tage vorher Fernandina besetzt hatten und welche diesen wichtigen Punkt im Norden von Florida nicht preisgeben konnten. Diese Aufgabe fiel allein den Kanonenbooten des Commandanten Stevens zu. Um dieselbe aber zu lösen, handelte es sich vor Allem darum, die Barre des Saint-John zu überschreiten. War die Linie der die Flußsperre bildenden Boote einmal durchbrochen, so brauchte die Flottille sich[250] nur vor dem Hafen der Stadt in Schlachtordnung aufzustellen. Sobald sie diese in ihrem Feuerbereich hatte, war gar nicht daran zu zweifeln, daß die Milizen sich ohne Kampf nach den unzugänglicheren Sumpfgebieten der Grafschaft zurückziehen würden. Texar und sein Gelichter beeilten sich dann gewiß, ihnen zu folgen, um der allzu gerechten Strafe zu entgehen. Dann konnte der bessere Theil der Einwohnerschaft wieder die Stelle einnehmen, von der er auf so unwürdige Weise verdrängt worden war, und mit den Vertretern der Bundesregierung wegen der Uebergabe der Stadt verhandeln.
Ob freilich der Uebergang über die Barre ausführbar und auch in so kurzer Zeit ausführbar war, ob es irgend ein Mittel gab, dieses materielle Hinderniß, welches der Wassermangel der Weiterfahrt der Kanonenboote bisher entgegenstellte, zu überwinden, das schien leider, wie wir gleich sehen werden, sehr zweifelhaft.
Nach der Verkündigung des Todesurtheiles hatten sich nämlich Texar und der Befehlshaber der Milizen von Jacksonville nach dem Quai begeben, um den Unterlauf des Flusses zu besichtigen.
Natürlich ist es nicht zu verwundern, daß ihre Augen hartnäckig nach der Sperrlinie weiter stromabwärts gerichtet waren und ihre Ohren gespannt auf jede Detonation lauschten, die von dieser Seite des Saint-John kommen konnte.
»Es ist nichts Neues gemeldet worden? fragte Texar, als er am Ende der Verpfählung stehen blieb.
– Nichts, antwortete der Commandant. Eine Recognoscirung, welche ich eben nach Norden hin unternommen habe, gestattet mir auch zu behaupten, daß die Föderirten Fernandina nicht verlassen haben, um etwa auf Jacksonville zu marschiren. Höchst wahrscheinlich bleiben sie nur zur Beobachtung an der Grenze von Georgia liegen und warten ruhig, bis die Schiffe die Wasserstraße freigemacht haben.
– Können aber nicht andere Truppen von Süden her kommen, die vielleicht von Saint-Augustine ausgehen und den Saint-John bei Picolata überschreiten? fragte der Spanier.
– Das denk' ich nicht, antwortete der Officier. An Landungstruppen hat Dupont selbst nicht mehr mit sich, als er zur Besetzung der Stadt braucht, und sein Zweck ist offenbar nur der, längs der ganzen Küste von der Mündung des Saint-John an bis zu dem letzten Eilande Floridas hin die Blockade aufrecht zu erhalten. Von dieser Seite her haben wir also nichts zu fürchten, Texar.[251]
– So bleibt nur die eine Gefahr übrig, von der Flottille Stevens' angegriffen zu werden, wenn es dieser gelingt, die Barre zu überschreiten, vor der sie nun schon seit drei Tagen still liegt.
– Gewiß; doch diese Frage wird binnen wenigen Stunden entschieden sein. Vielleicht haben die Föderirten doch allein die Absicht, den Unterlauf des Flusses abzuschließen, um jede Verbindung zwischen Saint-Augustine und Fernandina abzuschneiden.
– Ich wiederhole Ihnen, Texar, die Hauptaufgabe der Nordstaatler liegt keineswegs darin, sich Floridas in diesem Augenblicke zu bemächtigen, sondern nur der Contrebande zu steuern, die an allen Einfahrten des Südens eingeschmuggelt wird. Man darf wohl glauben, daß ihre Expedition keinen anderen Zweck verfolgt, denn sonst hätten die Truppen, welche Herren der Insel Amelia schon seit zehn Tagen sind, gewiß nach Jacksonville vordringen können.
– Sie können Recht haben, erwiderte Texar. Doch immerhin, mir liegt sehr viel daran, die Frage wegen der Barre baldmöglichst aus der Welt geschafft zu sehen.
– Nun, das wird noch heute geschehen.
– Doch wenn die Kanonenboote Stevens' noch heute vor unserem Hafen Stellung nehmen sollten, was würden Sie dann thun?
– Ich würde dem mir zugegangenen Befehle nachkommen und die Milizen tiefer ins Innere führen, um jeden Zusammenstoß mit den Föderirten zu vermeiden. Mögen sie sich immer der Städte in der Grafschaft bemächtigen! Lange werden sie diese nicht halten können, da ihnen alle Verbindungen mit Georgia und den beiden Carolinen fehlen, und wir werden sie ihnen schon bald genug wieder abzunehmen wissen.
– Vielleicht; aber wenn sie, warf Texar zögernd ein, wenn sie auch nur einen einzigen Tag in Jacksonville die Macht in den Händen hätten, müßten wir uns nicht schwerer Repressalien ihrerseits versehen... Alle jene sogenannten ehrsamen Leute, die reichen Ansiedler, die Gegner der Sclaverei kämen dann zur Gewalt und dann... Doch dahin wird es nicht kommen!... Nein!... Und ehe ich die Stadt verließe...«
Der Spanier vollendete seinen Gedanken nicht – er war ja leicht genug zu verstehen.
Er würde die Stadt den Föderirten gewiß nicht überliefern, weil das gleichbedeutend gewesen wäre mit deren Uebergabe an die Behörden, welche der[252] Pöbel unter seiner Leitung vertrieben hatte. Eher zündete er dieselbe an allen Enden an und vielleicht waren seine Maßnahmen zur Ausführung eines solchen Zerstörungswerkes schon getroffen, dann zog er sich mit den Seinigen im Gefolge der Milizen zurück, und er durfte darauf rechnen, in den Sumpfgegenden des Südens unnahbare Zufluchtsorte zu finden, wo er den Lauf der Dinge abwarten konnte.
Immerhin, wie hier wiederholt betont sei, war der Eintritt dieser Ereignisse nur in dem Falle zu fürchten, daß die Barre den feindlichen Kanonenbooten den Uebergang gestattete, und jetzt war der Augenblick gekommen, wo diese Frage endgiltig gelöst werden sollte. – Nach dem Hafen strömten dichte Massen niedrigen Volkes, und es genügten wenige Minuten, um die Quais zum Erdrücken zu füllen. Ringsum ertönte ein wahrhaft betäubendes Geschrei.
»Die Kanonenboote kommen!
– Nein, sie rücken nicht von der Stelle!
– Das Meer steht gerade ganz hoch...
– Sie versuchen mit voller Dampfkraft den Uebergang.
– Da seh't! Seh't doch...
– Wahrhaftig! sagte der Commandant der Milizen Es ist etwas im Werke! – Sehen Sie da, Texar!«
Der Spanier antwortete nicht. Seine Augen blieben starr auf die Boote flußabwärts geheftet, welche quer über den Strom lagen. Eine halbe Meile jenseits derselben erhoben sich die Masten und die Schornsteine der Kanonenboote des Commandanten Stevens. Ein dichter Rauch stieg über die Flottille empor, und vom Winde getrieben, der etwas heftiger aufgefrischt hatte, drang derselbe bis nach Jacksonville herein.
Offenbar versuchte Stevens unter Benützung des Hochwassers der Fluth jetzt unter Anspannung der Dampfkessel »bis zum Zerplatzen«, wie man sagt, durchzukommen. Doch würde er auch über der Untiefe hinreichendes Wasser finden, selbst wenn es ihm nicht darauf ankäme, den Grund mit dem Kiele seiner Schiffe zu streifen? Diese Frage hatte Interesse genug, um die am Ufer des Saint-John versammelten Volksmassen in die lebhafteste Bewegung zu versetzen. Das Hin- und Herschreien wurde nur noch toller, weil immer der Eine etwas gesehen und der Andere nichts bemerkt haben wollte.
»Sie sind um eine halbe Kabellänge näher herangekommen!
– Nein, sie haben sich nicht mehr von der Stelle gerührt, als wenn ihre Anker noch im Grunde festlägen.[253]
– Da seht, das eine macht eine Wendung!
– Ja, es zeigt sich von der Breitseite und dreht, weil es ihm an Wasser gebricht!
– O, diese Rauchwolken!
– Und wenn sie alle Steinkohlen der Vereinigten Staaten verfeuerten, sie können doch nicht darüber!
– Ach, und jetzt fängt die Fluth schon an, zu sinken!
– Hurrah für den Süden!
– Hurrah!«
Dieser von der Flottille unternommene Versuch währte etwa zehn Minuten – zehn Minuten, welche Texar, seinen Genossen und allen Denen, deren Leben und Freiheit durch die gefürchtete Einnahme von Jacksonville gefährdet erschien, unendlich lange dauerten. Sie wußten auch jetzt nicht recht, woran sie waren, da man bei der noch so großen Entfernung der Kanonenboote deren Bewegung nicht hinlänglich genau erkennen konnte. Hatten sie die schlimmsten Stellen schon passirt, oder würde das, trotz der zu frühzeitigen Hurrahs, die aus der Mitte der Volksmenge ertönten, doch noch geschehen? Noch immer und jedenfalls so lange der höchste Stand des Wassers anhielt, blieb ja zu fürchten, daß der Commandant Stevens, wenn die Kanonenboote allen unnützen Ballast löschten und sich erleichterten, um ihre Schwimmlinie höher zu verlegen, die kurze Strecke zurücklegen konnten, hinter der sie dann wieder tieferes Wasser und eine freie Fahrstraße bis zur Höhe des Hafens der Stadt finden mußten.
Wie Einzelne bemerkten, fing die Fluth jedoch schon an zurückzuweichen, und wenn einmal Ebbe eintrat, senkte sich der Wasserstand des Saint-John sehr schnell.
Plötzlich streckten sich alle Arme stromaufwärts des Flusses aus und alle anderen Rufe übertönte der eine:
»Ein Boot!... Ein Boot!«
In der That zeigte sich jetzt ein leichtes Fahrzeug dicht am linken Ufer, wo der Fluthstrom noch ein wenig bemerkbar war, während der zurückweichende Ebbestrom in der Mitte der Wasserstraße schon an Kraft gewann. Das von mehreren Rudern getriebene Fahrzeug schoß rasch vorwärts. Im Hintergrunde desselben stand ein Officier in der floridischen Uniform. Er hatte bald den Fuß der Landungsbrücke erreicht und erklomm hurtig die Stufen der steilen, neben der Pfahlwand angebrachten Treppe. Als er den oben stehenden Texar gewahrte,[254] begab er sich mitten durch die Gruppen, die sich herandrängten, um ihn zu sehen und zu hören, zu diesem.
»Was ist geschehen? fragte der Spanier.
– Eigentlich nichts, und es wird auch nichts geschehen, antwortete der Officier.
– Wer sendet Sie?
– Der Führer unserer Boote, welche sich in kürzester Zeit nach dem Hafen zurückziehen werden.
– Warum?
– Weil die Kanonenboote bis jetzt ganz vergeblich versucht haben, die Barre, sowohl dadurch, daß sie sich leichter machten, als daß sie mit vollem Dampf dagegen anfuhren, zu überwinden; weil überhaupt nichts mehr zu fürchten ist...
– Bei der jetzt herrschenden Fluth?... fragte Texar.
– So wenig, wie bei einer anderen... wenigstens nicht innerhalb mehrerer Monate.
– Hurrah! Hurrah!«
Laut donnerte der Jubelruf durch die Stadt. Und wenn die hitzigsten Köpfe noch einmal dem Spanier als demjenigen Mann Beifall riefen, in dem sich alle ihre verabscheuungswürdigen Gelüste gleichsam verkörperten, so fühlten sich die gemäßigteren Leute niedergeschmettert bei dem Gedanken, daß sie nun noch eine lange Reihe von Tagen der verbrecherischen Herrschaft des Bürgerausschusses und seines Leiters unterworfen sein sollten.
Der Officier hatte wahr gesprochen. Vom heutigen Tage ab sollte das Meer immer weiter zurücksinken und die Fluth stets nur eine geringere Wassermenge in den Saint-John drängen. Diese Fluth des 12. März war eine der höchsten des ganzen Jahres gewesen, und es mußte ein Zeitraum von mehreren Monaten verfließen, ehe der Fluß sich wieder auf das gleiche Niveau erhob. Da die Wasserstraße damit unbenützbar wurde, entging Jacksonville aller Voraussicht nach dem Feuer des Commandanten Stevens. Das bedeutete die Verlängerung der Machtvollkommenheiten Texar's und für diesen Elenden die Gewißheit, sein Rachewerk bis zum letzten Ende auszuführen...
Selbst angenommen, daß der General Sherman durch die Truppen des bei Fernandina gelandeten General Voight Jacksonville besetzen lassen wollte, so nahm dieser Marsch nach dem Süden doch immer einige Zeit in Anspruch.[255]
Was aber James und Gilbert Burbank anging, deren Hinrichtung ja auf die ersten Stunden des folgenden Tages angesetzt war, so konnte diese jetzt nichts mehr retten.
Die von dem Officier überbrachte Nachricht verbreitete sich unverzüglich in die Umgebung nach allen Seiten, und man kann sich leicht vorstellen, welche Wirkung sie auf den rohen hocherregten Pöbel ausübte.
Die Orgien und Ausschweifungen aller Art wiederholten sich nur mit verdoppelter Kraft. Die eingeschüchterte bessere Bevölkerung mußte sich der scheußlichsten Excesse versehen.
Die Meisten trafen denn auch Anstalt, eine Stadt zu verlassen, die ihnen keinerlei Sicherheit des Lebens und Eigenthums mehr bot.
Als die Hurrahrufe und das Freudengeschrei bis zu den unglücklichen Gefangenen drangen, erkannten diese, daß für sie jede Aussicht auf Rettung ver[256] schwunden sei. Auch bis zum Hause des Mr. Harvey tönte das Gebrüll der Menge, und man begreift leicht die Verzweiflung, welche sich des Mr. Stannard und der Miß Alice bemächtigte, die nun nicht mehr wußten, was sie unternehmen sollten, um James Burbank und dessen Sohn zu befreien. Konnten sie[257] versuchen, deren Kerkermeister zu bestechen und um einen noch so hohen Preis die Flucht der Verurtheilten zu ermöglichen? Sie waren ja nicht einmal im Stande, das Haus zu verlassen, in dem sie schützend Zuflucht gefunden hatten, denn der Leser weiß, daß eine ganze Bande dasselbe in Gesichtsweite überwachte, und unaufhörlich ertönten deren Drohungen und Verwünschungen vor dessen Thür.
So kam die Nacht. Die Witterung, deren bevorstehender Umschlag sich seit einigen Tagen fühlbar machte, hatte sich merklich geändert.
Nachdem der Wind längere Zeit vom Lande her geweht, war er plötzlich nach Nordosten umgesprungen. Schon jagten sich gewaltige Massen grauer zerrissener Wolken, die nicht einmal Zeit fanden, sich in Regen aufzulösen, mit großer Schnelligkeit von der Seeseite her und streiften fast die Oberfläche des Meeres. Eine Fregatte erster Classe hätte sicherlich die Spitzen ihres Mastwerkes schon in dieser Anhäufung von Dünsten verschwinden sehen, so niedrig zogen dieselben am Himmel hin. Der Barometer war schnell bis auf die Marke »Sturm« gefallen und deutlich erschienen alle Vorzeichen eines in unermeßlicher Ferne im Atlantischen Ocean entstandenen Orkans. Mit Anbruch der Nacht, welche Alles in tiefes Dunkel hüllte, entfesselte sich derselbe auch in voller Wuth.
In Folge seiner Richtung peitschte dieser Orkan mit aller Kraft gerade das Wasser vor den Mündungen des Saint-John. Er thürmte die Wellen davor auf, wie man sie bei der sogenannten Hohlen See wahrnimmt, und trieb sie vor sich her wie jene »Mascarets« der großen Ströme, deren Wogen alles, was den Ufern nahe liegt, vernichten.
Während dieser Sturmnacht wurde auch Jacksonville mit außerordentlicher Gewalt betroffen. Ein Stück der Uferverpfählung versank, da deren Grundpfeiler unter dem Stoße der anschlagenden Wellen nachgaben. Das Wasser überfluthete auch einen Theil des Quais, wo verschiedene Dogres zerstört wurden, deren Sorrtaue wie Zwirnsfäden zerrissen. Auf den Straßen und Plätzen, über welche es Bruchstücke aller Art hagelte, konnte kein Mensch sich erhalten. Der Pöbel mußte sich in die Schänken flüchten; hier litten die Kehlen natürlich keine Noth und das Gebrüll der Leute wetteiferte nicht ganz ohne Erfolg mit dem Heulen des Sturmes.
Aber nicht nur auf dem festen Erdboden richtete der Windstoß arge Verwüstungen an. Längs des Bettes des Saint-John entstand ein desto größerer Wellengang, da das Wasser desselben sich gegen den Grund des Flusses stieß. Die vor der Barre verankerten Schaluppen wurden von dieser Sturmfluth überrascht,[258] ehe es ihnen möglich war, den Hafen zu erreichen. Ihre Anker brachen und ihre Ketten rissen entzwei. Die nächtliche, von dem Drängen des Windes gesteigerte Fluth warf sie unwiderstehlich flußaufwärts zurück. Einige gingen an den Pfählen der Quais in Trümmern, während andere, die über Jacksonville hinaus verschlagen wurden, sich einige Meilen weiter oben an den kleinen Inseln und den in den Fluß vorspringenden Landzungen verloren. Eine gewisse Anzahl der Mannschaft auf denselben verlor bei diesem Unfall das Leben, da dessen urplötzlicher Eintritt die Ergreifung irgendwelcher, unter solchen Umständen gebotener Maßregeln verhindert hatte.
Hatten nun die Kanonenboote des Commandanten Stevens die Anker gelichtet und mit der Kraft des Dampfes vielleicht Zuflucht in den Buchten des Unterlaufes im Strom gesucht? Waren sie, Dank einem derartigen Manöver, der Vernichtung entgangen? Doch ob sie nun das erste gethan und sich weiter nach den Mündungen des Saint-John zurückgezogen hatten, oder ob sie vor Anker liegen geblieben waren, jedenfalls hatte Jacksonville sie jetzt nicht zu fürchten, da die Barre ihnen ein unwiderstehliches Hinderniß entgegensetzte.
Es wurde eine rabenschwarze Nacht, die das Thal des Saint-John einhüllte, während Luft und Wasser sich vermischten, als ob irgend ein chemischer Proceß sie zu einem einzigen Element zu vereinen strebte. Mit einem Worte, jetzt vollzog sich eines jener in den Tropenzonen zur Zeit der Tag- und Nachtgleiche nicht seltenen entsetzlichen Naturereignisse, aber mit einer Heftigkeit und über das ganze Gebiet von Florida verbreitet, wie man das kaum vorher erlebt hatte.
Ganz entsprechend seiner außerordentlichen Kraft dauerte dieses Meteor auch nur wenige Stunden an. Mit Aufgang der Sonne fegten zwar noch durch den Luftraum die schärfsten Windstöße, dann aber verlor sich der Orkan über dem Golf von Mexiko, nachdem er mit seiner letzten Wuth die floridische Halbinsel heimgesucht hatte.
Gegen vier Uhr Morgens, als das erste Tagesgrauen den vom Sturm in der Nacht wieder rein gefegten Horizont mit bleichem Schimmer beleuchtete, folgte jener Empörung der Elemente eine vergleichsweise Ruhe. Da strömte der Pöbel wieder auf die Gassen, aus denen er nach den Schänken hatte entfliehen müssen. Die Miliz bezog wieder die verlassenen Posten und Alle gingen daran, die durch den Sturm verursachten Schäden nach Kräften auszubessern. Vor Allem zeigten sich solche längs des Quais der Stadt, wo da und dort das Pfahlwerk zertrümmert, eine Anzahl Dogres vernichtet und eine noch größere Anzahl Boote[259] weggeführt waren, welche die Ebbe von den höheren Theilen des Flusses wieder herabtragen mußte.
Diese Stromtriften sah man jedoch nur in der Entfernung einiger Schritte vom Ufer vorübergleiten. Ein dichter Nebel lagerte über dem ganzen Bette des Saint-John und erhob sich auch nach den höheren, durch den Sturm abgekühlten Luftschichten. Noch um fünf Uhr war die Wasserstraße bis zur Mitte hin nicht erkennbar, und konnte das erst werden, wenn der Nebel durch die erwärmenden Strahlen der Sonne wieder verschwand.
Plötzlich, ein wenig nach fünf Uhr, drang ein furchtbares Krachen durch die dichte Dunsthülle. Niemand konnte sich über die Natur desselben täuschen, denn dasselbe rührte gewiß nicht von dem rollenden Donner nach einem Blitze her, sondern kennzeichnete sich als der Donner schwerer Geschütze. Ein Schreckensschrei erhob sich aus der Volksmenge, die sich, Milizen und Pöbel untermischt, nach dem Hafen begeben hatte.
Unter den wiederholten Detonationen lichtete sich der Nebel. Seine letzten Wolken trieben, durchleuchtet von dem Aufblitzen der Kanonen, auf der oberen Fläche des Flusses hin.
Die Kanonenboote Stevens' waren da, hatten vor Jacksonville Stellung genommen und wandten der Stadt die Breitseiten zu.
»Die Kanonenboote!... Die Kanonenboote!«...
Diese von Mund zu Mund gehenden Ausrufe waren bald bis zum Ende der Vorstadt gedrungen. Binnen wenigen Minuten erfuhr die ehrbare Bewohnerschaft zur größten Befriedigung und der Pöbel zum tödtlichen Schreck, daß die Flottille jetzt den Saint-John beherrschte. Wenn sich die Stadt nicht ergab, war es um sie geschehen.
Doch wie war das gekommen? Hatten die Nordstaatler in dem Sturme einen unerwarteten Bundesgenossen gefunden? – Ja! – Die Kanonenboote hatten auch keinen Schutz in den Buchten nahe den Mündungen gesucht. Trotz der Gewalt des Seeganges und des Windes waren sie an ihrem Ankerplatz verblieben. Während sich ihre Gegner mit den Schaluppen entfernten, hatten der Commandant Stevens und seine Mannschaften dem Sturme ruhig Trotz geboten – selbst auf die Gefahr hin, dabei zu Grunde zu gehen – um womöglich die Einfahrt zu versuchen, welche die augenblicklichen Umstände wahrscheinlich erleichtern mußten.
In der That schwellte dieser Orkan, der das Wasser vom Meere her in die Flußmündungen jagte, das Niveau im Strombett zu außergewöhnlicher Höhe an,[260] welche die Kanonenboote zur Ueberfahrt über die schlimmste Stelle sofort benutzten, und dabei gelang es ihnen, unter vollem Dampfdruck, wenn die Kiele sich auch zuweilen in den Sand des Grundes einwühlten, die Barre zu überschreiten.
Gegen vier Uhr Morgens manövrirte der Commandant Stevens zwar im dichten Nebel, seiner Schätzung nach mußte er sich aber ungefähr auf der Höhe von Jacksonville befinden. Da ließ er die Anker herabrollen und ordnete seine Stellung. Nachdem das geschehen, hatte er den Nebel durch die Detonation seiner gröbsten Geschütze zerrissen und die ersten Sprenggeschosse nach dem linken Ufer des Saint-John geworfen.
Die Wirkung davon zeigte sich augenblicklich. Binnen wenigen Minuten hatten die Milizen, ganz ebenso wie die südstaatlichen Truppen in Fernandina und Saint-Augustine, die Stadt geräumt. Stevens, der die Quais menschenleer sah, mäßigte sofort das Feuer, da es nicht in seiner Absicht lag, Jacksonville zu zerstören, sondern dasselbe zu besetzen und in seiner Gewalt zu behalten.
Fast gleichzeitig stieg auch schon die weiße Flagge an der Fahnenstange des Court-Justice in die Höhe.
Man begreift wohl leicht, mit welcher Angst jene ersten Kanonenschüsse im Hause des Mr. Harvey vernommen wurden; der Stadt drohte damit ein unmittelbarer Angriff. Doch dieser Angriff konnte ja nur von den Föderirten ausgehen, welche entweder den Saint-John hinausgekommen oder aus dem Norden Floridas herbeigezogen waren. Eröffnete sich hiermit vielleicht eine unerwartete Aussicht zur Rettung – die einzige, welche James und Gilbert Burbank noch beschieden sein konnte?
Mr. Harvey und Miß Alice eilten nach der Schwelle des Hauses. Die Leute Texar's, welche dieselbe vorher bewachten, hatten sich den nach dem Inneren der Grafschaft abziehenden Milizen angeschlossen.
Mr. Harvey und das junge Mädchen näherten sich dem Hafen. Da der Nebel sich zerstreut hatte, konnte man jetzt den Fluß bis zum rechten Ufer hinüber frei überblicken. Die Kanonenboote schwiegen, denn offenbar verzichtete Jacksonville schon auf jeden Widerstand.
In diesem Augenblicke landeten mehrere Boote an der Verpfählung und brachten eine mit Gewehren, Revolvern und Aexten bewaffnete Abtheilung, welche sogleich im Hafen Fuß faßte.
Plötzlich erscholl ein freudiger Aufschrei aus der Mitte der von einem Officier befehligten Seeleute.[261]
Der Mann, der denselben ausgestoßen hatte, stürzte auf Miß Alice zu.
»Mars!... Mars!... rief das junge Mädchen, erstaunt sich dem Gatten Zermah's gegenüber zu sehen, den sie längst in den Fluthen des Saint-John ertrunken glaubte.
– Herr Gilbert!... Herr Gilbert! antwortete Mars, wo ist er?
– Gefangen mit Herrn Burbank!... Mars, rettet ihn... rettet ihn und rettet seinen Vater! »
– Nach dem Gefängniß!« rief Mars, der, sich an seine Gefährten wendend, diese mit sich fortriß.
Da eilten Alle, was sie die Füße tragen konnten, um womöglich ein letztes, auf Befehl Texar's zu begehendes Verbrechen zu verhindern.
Mr. Harvey und Miß Alice folgten ihnen.
Mars hatte sich also, nachdem er in den Fluß gestürzt, aus den Wirbeln der Barre noch freimachen können? Ja! Aber aus Vorsicht hütete sich der muthige Mestize, dem Castle-House wissen zu lassen, daß er heil und gesund war. Hätte er dort Zuflucht gesucht, so wäre damit seine eigene Sicherheit in Frage gestellt gewesen, und er mußte ja frei sein, um sein Werk zu vollenden. Nachdem er schwimmend das rechte Ufer erreicht, hatte er, durch das Röhricht schlüpfend, bis zur Höhe der Flotille vordringen können, und hier nahm ihn, als man sein Signal erkannte, ein Boot auf, das ihn an Bord des Kanonenbootes des Commandanten Stevens führte. Dieser wurde sofort über die Sachlage unterrichtet, und gegenüber der Gefahr, welche Gilbert Burbank bedrohte, richteten sich alle seine Anstrengungen nur darauf, den Eingang in den Fluß zu erzwingen. Der erste Versuch war, wie wir wissen, fruchtlos verlaufen und das Manöver sollte schon aufgegeben werden, als jener ungestüme Windstoß während der Nacht das Niveau des Flusses noch einmal außerordentlich erhöhte. Immerhin wäre die Flottille, da sie mit den gewundenen Wegen der Wasserstraße unbekannt war, noch Gefahr gelaufen, auf Untiefen des Flusses zu stranden. Zum Glück war Mars jetzt wieder da. Er hatte sein Kanonenboot mit großem Geschick durchgelootst, und die anderen folgten, trotz dem Wüthen des Sturmes, dessen Richtung, und noch bevor der Nebel den ganzen Theil des Saint-John umhüllte, hatten sie vor der Stadt Stellung genommen, die nun in ihrem nächsten Feuerbereich lag.
Es war die höchste Zeit, denn die beiden Verurtheilten sollten in der ersten Stunde des Tages hingerichtet werden. Doch schon hatten sie nichts mehr zu fürchten. Die früheren Behörden von Jacksonville hatten die von Texar ursurpirte[262] Macht wieder in den Händen, und in dem Augenblicke, wo Mars und seine Gefährten vor dem Gefängnisse anlangten, verließen James und Gilbert Burbank – endlich frei – die düsteren Mauern.
In derselben Minute auch hatte der junge Lieutenant Miß Alice an sein Herz gedrückt, während Mr. Stannard und James Burbank einander in die Arme fielen.
»Meine Mutter?... war Gilberts erste Frage.
– Sie lebt!... Sie lebt! antwortete Miß Alice.
– Dann schnell nach Haus! rief Gilbert. Schnell nach Castle-House!
– Nicht eher, bis der Gerechtigkeit Genüge geschehen!« erklärte James Burbank.
Mars hatte seinen Herrn verstanden. Er eilte, in der Hoffnung, Texar zu finden, nach der Seite des großen Platzes hinweg.
Doch sollte der Spanier nicht schon die Flucht ergriffen haben, um der strafenden Vergeltung zu entgehen? Hätte ihm nicht Alles daran gelegen, nebst allen Denjenigen, die während dieser Zeit der schamlosesten Ausschreitungen so viel Schuld auf sich luden, der öffentlichen Verurtheilung aus dem Wege zu gehen? Folgte er nicht jetzt schon den Abtheilungen der Miliz, welche sich nach den niederen Theilen der Grafschaft zurückzogen?
Das konnte, das mußte man wohl glauben. Doch ohne das Eingreifen der Föderirten erst abzuwarten, waren schon viele Bewohner der Stadt nach dem Court-Justice zusammengeströmt. Im Augenblick, wo er entweichen wollte, verhaftet, wurde Texar unter Aufsicht gehalten. Uebrigens schien er sich ziemlich leichten Muthes in sein Schicksal ergeben zu haben.
Nur als er sich plötzlich Mars gegenüber sah, begriff er, daß es ihm jetzt an den Kopf zu gehen drohte.
Der Mestize stürzte sich nämlich rasend vor Wuth auf den elenden Schurken. Trotz der Anstrengung Derjenigen, die ihn bewachten, hatte er ihn schon an der Gurgel gepackt, und würgte ihn, als James und Gilbert Burbank hinter ihm erschienen.
»Nein.... nein.... lebend! rief James Burbank. Er muß leben!... Er muß erst reden!
– Ja, ja... Das muß er!« antwortete Mars.
Wenige Minuten später saß Texar in derselben Zelle eingesperrt, in der seine Opfer noch kurz vorher ihrer bangen Todesstunde entgegenharrten.[263]
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