[96] Die erschreckten Seeraben hatten bei der Flucht aus dem Marabout ihren Flug nach Süden zu gerichtet; woraus sich wohl annehmen ließ, es[96] möchte in dieser Himmelsgegend ein nicht zu entferntes Land zu finden sein. An diese Hoffnung klammerten sich die Insassen der Dobryna.
Einige Stunden nach dem Verlassen des Eilandes schwamm die Goëlette auf diesem neuen Meere, das die ganze Halbinsel Dakhul, welche früher die Bai von Tunis und den Golf von H'Amamat trennte, in geringer Tiefe überdeckte.[97]
Zwei Tage später erreichte sie, nach vergeblicher Aufsuchung der tunesischen Küste von Sahel, den vierunddreißigsten Breitengrad, der hier den Golf von Gabes durchschneiden mußte.
Keine Spur war indessen übrig von der Stelle, an der sechs Wochen vorher der Kanal des Meeres der Sahara mündete, und unabsehbar breitete sich die Wasserfläche nach Westen hin aus.
Inzwischen erscholl am 11. Februar auf's Neue der Ruf »Land!« aus dem Takelwerk der Goëlette, und es zeigte sich eine Küste da, wo man eine solche nach geographischer Voraussetzung nicht erwartet hätte.
In der That, das konnte die Küste von Tripolis nicht sein, welche im Allgemeinen niedrig und aus größerer Entfernung schwer zu erkennen ist. Uebrigens lag diese Küstenstrecke auch zwei Grade südlicher.
Das neue, sehr zerrissene Land erstreckte sich weit von Osten nach Westen und schloß den Horizont im Süden gänzlich ab. Zur Linken theilte es den Golf von Gabes in zwei Theile und verbarg dem Blicke die Insel Derba, welche dessen äußerste Spitze bildet.
Das Land wurde auf den Schiffskarten sorgfältig eingetragen und es legte die Vermuthung nahe, daß das Sahara-Meer durch den neuen Continent ziemlich eingeengt worden sein möge.
»Nachdem wir also, begann Kapitän Servadac, bis hierher das Mittelmeer befahren haben, wo wir ein Festland voraussetzen mußten, begegnen wir hier einem Lande, wo wir nur das Meer erwarten durften.
– Und dabei sieht man auf dieser Wasserfläche, fügte Lieutenant Prokop hinzu, weder maltesische Tartanen, noch levantische Chebecs, welche sich sonst hier in großer Anzahl finden.
– Wir werden zunächst, nahm Graf Timascheff das Wort, eine Entscheidung darüber treffen müssen, ob wir dieser Küste nach Osten oder Westen hin folgen.
– Mit Ihrer Erlaubniß nach Westen, Herr Graf, fiel schnell der französische Officier ein, damit ich wenigstens weiß, ob jenseits des Cheliff wirklich nichts von der Kolonie Algier übrig geblieben ist. Im Vorbeifahren könnten wir dann meinen auf der Insel Gourbi zurückgelassenen Gefährten mit aufnehmen und bis Gibraltar segeln, um dort von Europa Neuigkeiten zu erfahren.[98]
– Kapitän Servadac, erwiderte Graf Timascheff mit gewohntem ruhigen Antlitz, die Goëlette steht zu Ihrer Verfügung. Prokop, ertheile darnach Deine Befehle.
– Dagegen möchte ich mir doch, sagte der Lieutenant nach einigem Nachdenken, eine Bemerkung erlauben.
– Rede.
– Der Wind weht von Westen und scheint aufzufrischen, antwortete Prokop, wir werden zwar mit dem Dampf allein, aber doch nur schwierig gegen denselben aufkommen. Gehen wir dagegen mit Segel und Dampfkraft nach Osten, so müssen wir binnen wenig Tagen die Küste Egyptens erreichen und werden dort, in Alexandria oder an jeder anderen Stelle, dieselbe Aufklärung finden können, die uns etwa Gibraltar verspricht.
– Sie hören selbst, Kapitän?« sagte Graf Timascheff zu Hector Servadac gewendet.
Trotz seines Wunsches, nach der Provinz Oran zu gelangen und Ben-Zouf wieder zu sehen, erkannte er doch die Richtigkeit der Bemerkung des Lieutenant Prokop an. Die westliche Brise frischte auf und die Dobryna konnte im Kampfe gegen dieselbe nur wenig Fahrt machen, wogegen sie mit dem Winde im Rücken die egyptische Küste schnell erreichen mußte.
Das Schiff ward nach Osten gewendet. Der Wind drohte steif zu werden. Glücklicher Weise wälzten sich die Wogen in derselben Richtung, wie die Goëlette selbst steuerte, und überstürzten sich nicht heftig.
Seit ungefähr vierzehn Tagen beobachtete man mit Sicherheit, daß die Temperatur, welche auffallend zurückgegangen war, nur ein Mittel von fünfzehn bis zwanzig Grad über dem Nullpunkt des Thermometers ergab. Diese wachsende Abnahme rührte von einer sehr natürlichen Ursache her, nämlich von der zunehmenden Entfernung der Erdkugel in ihrer neuen Bahn. In dieser Hinsicht konnte es keinen Zweifel geben. Nachdem sich die Erde dem Centrum ihrer Attraction so weit genähert hatte, daß sie bis über die Bahn der Venus hinaus kam, entfernte sie sich jetzt allmälig und nahm augenblicklich eine viel weiter entlegene Stelle ein, als je früher in ihrem Verhältniß zur Sonne. Etwa am 1. Februar schien sie wieder 23 Millionen Meilen von derselben abzustehen, also ebensoweit wie am 1. Januar, und seit dieser Zeit mochte sie noch um ein Viertel entfernter stehen. Es erhellte das nicht allein aus der Abnahme der Temperatur, sondern auch aus dem Anblick der jetzt[99] offenbar verkleinerten Sonnenscheibe, welche vom Mars aus dem Auge des Beobachters ungefähr in ähnlicher Größe erschienen wäre. Daraus ließ sich demnach schließen, daß die Erde die Bahn dieses Planeten erreicht habe, der ihr übrigens auch in physischer Hinsicht sehr ähnlich ist. Schließlich führte das Alles zu der Annahme, daß die neue von der Erde innerhalb des Sonnensystems durchlaufene Bahn eine sehr verlängerte Ellipse bilden mußte.
Um diese kosmische Erscheinung kümmerten sich die Insassen der Dobryna zur Zeit freilich blutwenig. Sie beunruhigten sich nicht wegen der veränderten Bewegung des Erdballs in seiner Bahn, sondern hatten nur ein Auge für die auf der Oberfläche desselben vorgegangenen Umwälzungen, deren Bedeutung sie noch gar nicht begriffen.
In einer Entfernung von zwei Meilen folgte die Goëlette also dem neuen Ufersaume, an dem jedes Schiff unrettbar verloren gewesen wäre, das im Sturm nicht von demselben abkommen konnte.
Die Küste des neuen Continentes bot in der That nirgends einen Hafen. Von ihrem Grunde an, den die von der offenen See hereintreibenden Wogen peitschten, erhob sie sich steil bis auf zwei- bis dreihundert Fuß Höhe. Dieser untere, wie eine Courtinenmauer glatte Theil bot auf keiner Stelle einen Vorsprung, auf dem der Fuß hätte haften können. Am oberen Kamme erschien sie wie bedeckt mit einem Walde von Spitzen, Obelisken und kleinen Pyramiden. Man hätte eine enorme Concretion vor sich zu haben geglaubt, deren Krystallisationen eine Höhe von tausend Fuß erreichten.
Das Alles aber war noch nicht das Sonderbarste an diesen gigantischen Felsenmassen. Am meisten erstaunten die Fahrgäste der Dobryna darüber, daß dieselben überhaupt »ganz neu« waren. Die atmosphärischen Einflüsse schienen noch nirgends weder die Reinheit der scharfen Kämme, noch die glatten Linien oder die Farben der Substanz alterirt zu haben. Das Ganze hob sich gegen den Himmel mit einer überraschenden Sauberkeit der Zeichnung ab. Alle Felsblöcke, welche die Gebirgsmasse bildeten, glänzten so frisch, als seien sie eben aus den Händen des Gießers hervorgegangen. Ihr metallischer, goldig-irisirender Schein erinnerte etwa an den der Pyriten. Es entstand nun die Frage ob ein einziges, vielleicht dem von den Sonden herausgebrachten Staube ähnliches Metall diesen Gebirgswall zusammensetzte, den plutonische Kräfte aus dem Wasser emporgedrängt hatten.[100]
Zur Unterstützung der ersteren bot sich auch noch eine zweite Beobachtung. Gewöhnlich zeigen die Felsen, wo es auch immer sei, selbst bei entschiedenster Dürre, doch einzelne schmale Furchen, in denen das durch Condensation der Dünste entstehende Wasser je nach der Formation der Gesteine herabrinnt. Außerdem giebt es keine einzige noch so isolirte Klippe, welche nicht wenigstens einige Moose und vereinzelte magere Gebüsche trüge. Hier aber zeigte sich nicht der geringste krystallene Faden, nicht das dürftigste Grün. Kein Vogel belebte diese traurige Einöde. Nichts lebte hier, nichts bewegte sich, weder ein Wesen aus dem Pflanzen- noch aus dem Thierreiche.
Die Besatzung der Dobryna brauchte sich also gar nicht zu wundern, daß die Albatrosse, Seemöven und Felsentauben eine Zuflucht auf der Goëlette suchten. Das Geflügel war nicht einmal durch einen Flintenschuß zu vertreiben und blieb Tag und Nacht auf den Raaen sitzen. Wurden einige Krümchen Nahrung auf das Verdeck verstreut, so stürzten die Vögel heißhungrig darüber her und verschlangen Alles mit großer Gier. Wenn man sie so verhungert sah, mußte man wohl zu der Ansicht kommen, daß hier kein Punkt der Nachbarschaft ihnen irgend welche Nahrungsmittel liefern könne, jedenfalls nicht die vorliegende Küste, da sie der Pflanzen und des Wassers ganz entbehrte.
Solcher Art war das sonderbare Ufer, dem die Dobryna mehrere Tage lang folgte. Manchmal änderte sich sein Profil und erschien auf die Länge einiger Kilometer als ein einziger scharfer Kamm, so glatt, als sei er sein abgehobelt. Dann traten wiederum jene großen prismatischen Lamellen auf, die in unlösbarem Gewirr aufstrebten. Nirgends breitete sich aber am Fuße dieses steilen Ufers ein sandiger Strand oder ein kieselbedeckter Landstreifen aus, noch sah man eine Kette von Rissen, welche sonst so häufig in dem tiefsten Wasser verstreut sind. Kaum öffnete sich hier und da eine enge Spalte. Kein Wasserlauf war zu entdecken, an dem ein Schiff sich hätte mit neuem Vorrath versehen können – überall nur offene Rheden, die nach drei Seiten hin jedem Winde frei lagen.
Nach einer Fahrt von etwa vierhundert Kilometer längs dieser Küste ward die Dobryna plötzlich durch eine scharfe Biegung derselben aufgehalten. Lieutenant Prokop, der Stunde für Stunde die Lage des neuen Continentes ruf der Karte nachgetragen hatte, erklärte, daß sie jetzt in der Richtung von Norden nach Süden verlaufe. Hier erschien das Mittelmeer, etwa entsprechend[101] dem 22. Meridian, also abgeschlossen. Erstreckte sich diese Sperrung nun bis nach Italien oder Sicilien? Das mußte ja bald entschieden sein, und wenn es der Fall war, so erschien das große Bassin, dessen Wellen Europa, Asien und Afrika bespülten, um fast die Hälfte seiner Ausdehnung verkleinert.
Die Goëlette drehte, in der Absicht, jeden Punkt dieser neuen Küste zu untersuchen, nach Norden bei und dampfte in der Richtung auf Europa zu. Nach einigen weiteren hundert Kilometern mußte sie in die Gegend von Malta kommen, wenn diese alte Insel, welche nacheinander die Phönicier, die Karthager, die Sicilier, Römer, Vandalen, Griechen, Araber und die Malteserritter besaßen, von der Katastrophe verschont geblieben war. Man fand aber nichts, und als die Sonde am 14. Februar an der von Malta eingenommenen Stelle herabgesenkt wurde, brachte sie wiederum nur jenen metallischen Staub herauf, der jetzt den Boden des Mittelmeeres bildete und dessen Natur noch immer unbekannt blieb.
»Die Zerstörungen reichen also bis weit über das Festland Afrikas hinaus, bemerkte Graf Timascheff.
– Ja, antwortete Lieutenant Prokop, und wir können die Grenze derselben jetzt unmöglich bestimmen!
– Was ist nun aber Ihre Absicht, Vater? Nach welchem Theile Europas soll die Dobryna gehen?
– Nach Sicilien nach Italien, nach Frankreich, ganz gleich, dahin, wo wir endlich hören können ...
– Wenn die Dobryna nicht die einzigen Ueberlebenden der Erdkugel trägt!« fiel ihm mit ernstem Tone Graf Timascheff in's Wort.
Kapitän Servadac schwieg still, denn seine traurigen Ahnungen waren mit denen des Grafen Timascheff ganz identisch. Das Schiff ward gewendet und passirte bald die Stelle, wo sich der Breitengrad und der Meridian der verschwundenen Insel kreuzten.
Die Küste erstreckte sich immer gleichmäßig von Süden nach Norden und unterbrach jede Verbindung mit dem Golf von Sydra, der früheren großen Syrte, die sich ehedem bis nach Egypten ausdehnte. Ebenso wenig konnte man weiter im Norden, jetzt voraussichtlich mehr nach Griechenland und den Häfen des türkischen Reiches gelangen. Damit mußten dann auch der griechische Archipel, die Dardanellen, das Marmara-Meer, der Bosporus,[102] das Schwarze Meer und die diesen benachbarten Landstrecken Rußlands verschlossen sein.
Der Goëlette stand für später also nur ein einziger Weg offen, d.h. der nach Westen, um auf diese Weise die nördlichen Küstenländer des Mittelmeeres zu erreichen.
Im Laufe des 16. Februar versuchten die Reisenden jene Richtung einzuschlagen. Aber als ob die Elemente sich gegen sie verschworen hätten, vereinigten sich Wind und Wellen, um sie von diesem Wege zurückzuhalten. Bald entfesselte sich ein furchtbarer Sturm, der es einem Fahrzeuge von nur zweihundert Tonnen überhaupt schwer machte, die See zu halten. Die Gefahr wuchs aber noch mehr, da es der Wind gegen die Küste trieb.
Lieutenant Prokop war höchst unruhig. Er hatte alle Segel einnehmen und die Marsstengen niederholen lassen, vermochte aber durch die Kraft der Maschine allein nicht gegen das schwere Wetter aufzukommen.
Die enormen Wellen warfen die Goëlette wohl hundert Fuß hoch empor und schleuderten sie ebenso tief in die Abgründe, welche sich zwischen den Wogen öffneten. Ost arbeitete die Schraube nur noch in der Luft und verlor also ihre Wirkung gänzlich. Obwohl die Dampfspannung bis auf das irgend zulässige Maximum gesteigert wurde, so verlor die Goëlette doch an Weg gegen den wüthenden Orkan.
In welchem Hafen konnte sie nun Schutz suchen? Die unzugängliche Küste bot ja keinen einzigen. Lieutenant Prokop konnte also in die unangenehme Verlegenheit gerathen, auf gut Glück gegen das Land anzufahren. Er überlegte diesen Ausweg. Was sollte indeß aus den Schiffbrüchigen werden, wenn es ihnen auch gelang, an diesem steilen Ufer Fuß zu fassen? Welche Hilfsquellen hatten sie in jenem offenbar ganz wüsten Lande zu erwarten? Wie konnten sie nach Erschöpfung ihrer Provision dieselbe erneuern? Durste man darauf hoffen, jenseit dieser unwirthlichen Mauer einen noch verschonten Theil des früheren Festlandes aufzufinden?
Die Dobryna kämpfte noch immer gegen den Sturm und ihre muthige und ergebene Mannschaft arbeitete mit wunderbar kaltem Blute. Kein einziger der Matrosen, welche unwandelbar den Kenntnissen und dem Geschick ihres Kapitäns vertrauten, verlor den Muth auch nur einen Augenblick. Die Maschine arbeitete dabei, daß man immer fürchten mußte, sie in Stücke gehen zu sehen. Dabei fühlte die Goëlette ihre Schraube gar nicht mehr, und da[103] sie ganz ohne Segel war, denn der Sturm zerriß auch den kleinsten Fetzen Leinwand, so ward sie unaufhaltsam gegen die Küste gedrängt.
Die Mannschaft befand sich vollzählig auf dem Deck; jeder Mann sah klar, in welch' verzweifelte Lage der Sturm sie versetzt hatte. Das Land erhob sich nur etwa noch vier Meilen unter dem Winde und die Dobryna wich dahin mit einer Schnelligkeit ab, welche alle Hoffnung raubte.
»Vater, sagte Lieutenant Prokop zu Graf Tima[104] scheff, die Kraft des Menschen hat ihre Grenzen; ich vermag der Abweichung, welche uns hinwegführt, nicht mehr zu widerstehen!
– Hast Du gethan, was Dir als Seemann zu thun möglich war? fragte Graf Timascheff, dessen Gesicht keinerlei Erregung zeigte.
– Alles, antwortete Lieutenant Prokop, doch vor Ablauf einer Stunde wird unsere Goëlette auf den Strand geworfen sein.[105]
– Vor Ablauf einer Stunde, sagte Graf Timascheff, und so laut, daß ihn Alle verstehen mußten, kann Gott uns auch gerettet haben!
– Nur wenn sich das Land dort öffnet, um der Dobryna die Durchfahrt zu ermöglichen!
– Wir sind in der Hand Dessen, der Alles vermag!« schloß Graf Timascheff, das Haupt entblößend.
Hector Servadac, der Lieutenant und die Matrosen ahmten ihm stillschweigend nach.
Als Prokop sich immer mehr überzeugte, daß ein Abkommen vom Lande unmöglich sei, traf er seine Maßregeln, um wenigstens unter den mindest ungünstigen Verhältnissen an's Ufer zu treiben. Er dachte auch schon daran, daß die Schiffbrüchigen, wenn einige Personen sich aus dem wüthenden Meere retten sollten, während der ersten Tage ihres Aufenthaltes auf dem neuen Festlande nicht ganz ohne Hilfsmittel wären, und ließ deshalb Kisten mit Lebensmitteln und Tonnen mit süßem Wasser auf das Verdeck schaffen, welche mit leeren Fässern zusammengebunden wurden, um auch nach der Zerstörung des Schiffes schwimmen zu können. Mit einem Worte, er ordnete Alles an, wie es dem Seemanne unter solchen Umständen geziemt.
In der That, er hatte keine Hoffnung, die Goëlette zu retten, denn die endlose Ufermauer zeigte nirgends eine Bucht, einen geschützten Einschnitt, in welche ein gefährdetes Schiff sich hätte flüchten können. Nur ein plötzlicher Umschlag des Windes, der die Dobryna vielleicht wieder nach der offenen See triebe, konnte ihr zum Heile dienen, wenn Gott nicht, wie Lieutenant Prokop gesagt hatte, durch ein Wunder diese Küste öffnete, um sie hindurch zu lassen.
Doch der Wind sprang nicht um, er sollte nicht umspringen.
Bald schwankte die Goëlette nur noch eine Meile von der Küste. Man sah das furchtbare Ufer von Minute zu Minute anwachsen, ja, es schien, als stürzte es sich selbst auf die Goëlette, um sie zu zertrümmern. Jetzt trieb das Schiff nur noch drei Kabellängen vor jener. Jedermann an Bord glaubte die letzte Stunde gekommen.
»Gott befohlen, Herr Graf Timascheff, sagte Kapitän Servadac und reichte seinem Gefährten die Hand.
– Ja, Gott befohlen!« erwiderte der Graf gen Himmel zeigend.[106]
Jetzt hob eine furchtbare Woge die Dobryna in die Höh' und drohte sie an den Felsen zu zerschellen.
Plötzlich erscholl eine laute Stimme.
»Hurtig, hurtig, Jungens! Hiß das große Focksegel! Hiß das Sturmsegel! Schnell!«
Prokop war es, der, auf dem Bordercastell der Dobryna stehend, diese Befehle ertheilte. So unerwartet sie kamen, so schnell wurden sie doch vollzogen, während der Lieutenant selbst nach dem Hintertheile lief und das Steuer ergriff.
Was beabsichtigte denn der Lieutenant? Offenbar wendete er das Schiff gerade auf die steile Küste zu.
»Achtung! rief er noch einmal, luv' an, hiß das Fockmarssegel!«
In diesem Augenblick erscholl ein Schrei ... aber kein Ausruf des Entsetzens war es, der sich den beklommenen Herzen der Armen entrang.
Zwischen zwei steilen Mauern zeigte sich ein etwa vierzig Fuß breiter Einschnitt der Felsenkette. Hier bot sich ein Hafen, wenn nicht eine Durchfahrt. Die Dobryna gehorchte der kräftigen Hand des Lieutenants Prokop und schoß, getrieben von Wind und Wellen, in den rettenden Hafen hinein! ... Vielleicht sollte sie nie wieder daraus entkommen!
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