[463] »Ah, Herr Kapitän, das ist Algerien!
– Und dort Mostagenem, Ben-Zouf.«
So lauteten die ersten Worte, welche gleichzeitig über die Lippen des Kapitän Servadac und seiner Ordonnanz kamen, als Beide ihr Bewußtsein wieder erlangten.
Durch ein Wunder, welches ebenso wie alle Wunder jeder Erklärung spottete, befanden sie sich heil und gesund.
»Mostagenem! Algerien!« hatten Kapitän Servadac und seine Ordonnanz ausgerufen. Sie konnten sich wohl nicht täuschen, da sie in diesem Theile der Provinz mehrere Jahre in Garnison gestanden hatten.
Nach einer zweijährigen Reise durch die Sonnenwelt kamen sie also fast genau nach dem Orte zurück, von dem sie einst weggerissen wurden.
Ein erstaunlicher Zufall – ist es wohl ein Zufall zu nennen, da Gallia und Erde sich in der nämlichen Secunde an der nämlichen Stelle der Ekliptik wieder begegneten? – versetzte sie wieder ziemlich an den Punkt ihrer Abreise. Sie befanden sich kaum zwei Kilometer von Mostagenem!
Eine halbe Stunde später betraten Kapitän Servadac und alle seine Gefährten diese Stadt.
Sehr auffällig erschien es ihnen, daß auf der Oberfläche der Erde die größte Stille herrschte. Die Bevölkerung Algeriens betrieb in aller Ruhe ihre täglichen Geschäfte. Die Thiere weideten friedlich in dem thaufrischen Grase des Januars. Es mochte etwa acht Uhr Morgens sein. Die Sonne stieg über dem gewohnten Horizonte empor. Es schien nicht nur, als sei auf der Erdkugel etwas Außergewöhnliches nicht vorgefallen, sondern als hätten die Bewohner derselben auch nicht einmal etwas Außergewöhnliches erwartet.
»Alle Wetter, sagte Kapitän Servadac, sie wußten also gar nichts von dem bevorstehenden Eintreffen des Kometen.[463]
– Das möchte man fast glauben, Herr Kapitän, antwortete Ben-Zouf, und ich hatte auf einen recht pomphaften Einzug gerechnet.«
Offenbar war der Anprall eines Kometen nicht erwartet worden. Andernfalls hätten in allen Theilen der Erde gewiß Furcht und Schrecken geherrscht und ihre Bewohner das Ende der Welt sicher näher geglaubt, als im Jahre 1000 n. Chr.!
Am Thore von Mascara begegnete Kapitän Servadac seinen beiden Kameraden, dem Kommandanten des 2. Tirailleur- und dem Kapitän des 8. Artillerie- Regimentes. Er sank ihnen buchstäblich in die Arme.
»Sie, Servadac! rief der Kommandant.
– Ich selbst!
– Und woher kommen Sie jetzt, armer Freund, nach diesem unerklärlichen Verschwinden?
– Das könnte ich Ihnen wohl sagen, lieber Oberst, doch wenn ich es sagte, würden Sie mir's nicht glauben!
– Aber, ich bitte Sie ...
– Was da, liebe Freunde! Drückt einem alten Kameraden, der Euch niemals vergessen hat, wieder einmal die Hand, und im Uebrigen nehmen wir an, ich hätte einen schweren Traum gehabt.«
Trotz allen Bemühens wollte Hector Servadac nichts weiter sagen.
Nur eine Frage stellte er noch an die beiden Officiere.
»Und Frau von ...?«
Der Oberst der Tirailleure verstand ihn und ließ ihn nicht ausreden.
»Ist vermählt, wieder vermählt, mein Bester! sagte er. Kann Sie das verwundern? Wer nicht zur Stelle ist, hat allemal verspielt ...
– Ja wohl! erwiderte ihm Kapitän Servadac, es war eine Dummheit, davonzugehen und zwei Jahre lang in unbekannten Welten umherzuschweifen!«
Dann wendete er sich an Graf Timascheff:
»Mordio, Herr Graf, sagte er, da haben Sie es selbst gehört. Wahrlich, es freut mich, daß ich mich nicht mehr mit Ihnen zu schlagen brauche.
– Und ich, Kapitän, bin glücklich, Ihnen ohne Hintergedanken die Hand herzlich drücken zu können!
– Was mir auch sehr gelegen kommt, murmelte heiter Servadac, ist, daß ich mein schreckliches Rondeau nun nicht zu beendigen brauche!«[464]
Die beiden Rivalen von ehedem schlossen jetzt, da jede Ursache einer Eifersüchtelei wegfiel, durch einen Handschlag die innigste Freundschaft welche nichts zu zerreißen vermochte. Vollkommen unerklärlich erschien ihnen vorzüglich, daß sich längs der Küste des Mittelmeeres Alles an seinem ordentlichen Platze vorfand.
Auf jeden Fall war es rathsam, für jetzt zu schweigen.
Am folgenden Tage trennte sich die kleine Kolonie. Die Russen kehrten mit Graf Timascheff und Lieutenant Prokop nach Rußland zurück, die Spanier nach ihrem Vaterlande, in welchem die Freigebigkeit des Grafen sie auch für die Zukunft gegen jeden Mangel sicher stellte. Alle die wackeren Leute gingen nicht von einander, ohne gegenseitig die Versicherungen der herzlichsten Freundschaft ausgetauscht zu haben.
Was Isaak Hakhabut betrifft, der durch den Verlust der Hansa sowohl, als auch durch den seines Goldes und Silbers völlig zu Grunde gerichtet war, so verschwand dieser unbemerkt, und wir müssen der Wahrheit gemäß hinzufügen, daß ihn Niemand zurückwünschte.
»Der alte Spitzbube, bemerkte Ben-Zouf, wird sich in Amerika als Gespenst aus der Sonnenwelt zur Schau ausstellen!«
Noch einige Worte über Palmyrin Rosette.
Diesen hatte keine Ueberredung vermocht, zu schweigen. Er sprach sich also aus! ... Da leugnete man ihm seinen ganzen Kometen ab, den kein Astronom am Horizont der Erde beobachtet habe. Er fand sich im Kataloge der astronomischen Jahrbücher nicht verzeichnet. Bis zu welchem Grade sich der Zorn des leicht erregbaren Gelehrten dabei steigerte, vermöchte sich kaum Jemand vorzustellen. Zwei Jahre nach seiner Rückkehr ließ er ein umfangreiches Werk erscheinen, welches außer den Elementen der Gallia einen Bericht über die eigenen Erlebnisse Palmyrin Rosette's enthielt.
Die Ansichten des gelehrten Europas blieben immer getheilt. Der größere Theil leugnete die Wahrheit dieser Erzählungen, der kleinere Theil erkannte sie an.
Eine Gegenschrift – vielleicht die beste Arbeit, welche auf jene erste erscheinen konnte – führte Palmyrin Rosette's Werk auf sein richtiges Maß zurück, indem sie dasselbe »Die Geschichte einer Hypothese« betitelte.
Diese Unverschämtheit reizte auf's Höchste den Zorn des Professors, welcher behauptete, nicht nur die Gallia wiedergesehen zu haben, wie sie durch[465] den Weltraum kreiste, sondern auch jenes Bruchstück des Kometen, das die dreizehn Engländer trug, und niemals konnte er sich darüber trösten, Letztere auf ihrer Reise nicht länger begleiten zu können.
Hector Servadac und Ben-Zouf blieben in Zukunft, mochten sie nun diese unwahrscheinliche Fahrt durch die Sonnenwelt ausgeführt haben oder nicht, mehr als je der Eine der Kapitän, der Andere die Ordonnanz, welche nichts zu trennen vermochte.
Eines Tages gingen sie auf dem Montmartre spazieren und plauderten, in der Ueberzeugung, von Niemandem gehört zu werden, von ihren Abenteuern.
»Die ganze Geschichte kann gar nicht wahr sein, sagte Ben-Zouf.
– Alle Wetter, ich fange bald selbst an, das zu glauben!« antwortete Kapitän Servadac.
Was endlich Pablo und Nina betrifft, welche, der Eine von Graf Timascheff, die Andere von Kapitän Servadac adoptirt worden waren, so wurden diese unter ihrer Leitung erzogen und unterrichtet.
Später vermählte der Oberst Servadac, dessen Haar schon ergraute, den jungen Spanier, der zum hübschen Manne aufgewachsen war, mit der kleinen Italienerin, jetzt einem reizenden, jungen Mädchen. Graf Timascheff hatte es sich nicht nehmen lassen, die Aussteuer Nina's zu besorgen.
Die jungen Gatten aber lebten nicht weniger glücklich, wenn sie auch nicht – der Adam und die Eva einer neuen Welt geworden waren.
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