Viertes Kapitel.
Das Gasthaus »Zum blauen Fuchs«.

[44] Cork hieß in früherer Zeit Coves, ein Name, der einen sumpfigen Boden bezeichnet und sich in gaëlischer Mundart als Corroch wiederfindet. Anfänglich ein ärmliches Dorf, entwickelte sich Cork allmählich zum Landflecken und ist jetzt als die Hauptstadt von Munster die dritte unter allen Städten Irlands.

Trotz seiner ziemlich bedeutenden Industrie überragt doch noch sein reicher Seeverkehr – dank dem Hafen von Queenstown – das alte, stromaufwärts am Lee gelegene Coves. In Queenstown sind Werfte, Lagerhäuser und Werkstätten errichtet. Ein Verproviantierungs- und Schutzhafen nimmt die Fahrzeuge auf, vorzüglich die Segelschiffe, denen der Lee keine hinreichende Wassertiefe bietet.

Da die Ankunft in Cork erst spät erfolgte, hatten die Stipendiaten und ihr Führer keine Zeit, es zu besichtigen, oder die hübsche Insel zu besuchen, die[44] durch zwei Brücken mit den beiden Ufern des Lee verbunden ist; ebensowenig konnten sie die reizenden Anlagen auf einigen Nachbarinseln durchstreifen oder kleinere Holme neben diesen betreten. Die gesamte Stadtgemeinde umfaßt jetzt nicht weniger als neunundachtzigtausend Seelen, wovon neunundsiebzigtausend auf Cork und zehntausend auf Queenstown kommen.

Um derlei Spaziergänge, die einige Stunden höchst angenehm ausfüllen, kümmerten sich freilich kaum drei Personen, die am Abend des 29. Juni im Hintergrunde eines der Gastzimmer im »Blauen Fuchs« an einem Tische saßen. Die in ihrer dunkeln Ecke kaum sichtbaren Männer sprachen gedämpften Tones miteinander vor ihren Bechern, die oft geleert und oft wieder gefüllt wurden. Schon an ihrem wilden Gesichtsausdruck und ihrer unruhigen Haltung hätte man sie als Burschen von schlimmer Art erkannt, als Spitzbuben, denen die Polizei wahrscheinlich an den Fersen war. Sie warfen auch forschende und verdächtige Blicke auf jeden, der die schlecht besuchte Spelunke »Zum blauen Fuchs« betrat.

Übrigens fehlte es hier im Hafenviertel nicht an Schenken, und Leute, die einen Schlupfwinkel suchten, hatten höchstens die Qual der Wahl.

Ist Cork eine recht elegante Stadt, so trifft das für das verkehrsreiche Queenstown, einem der bedeutendsten Häfen Irlands, gar nicht zu. Bei einer jährlichen Schiffsbewegung von viertausendfünfhundert Fahrzeugen mit einer Million zweimalhunderttausend Tonnen kann man sich leicht vorstellen, welche flottierende Bevölkerung hier jeden Tag zusammenströmt. Deshalb gibt es hier auch so viele Gasthäuser und Schankstätten mit einer Kundschaft, die auf Ruhe, Sauberkeit und Bequemlichkeit weniger Anspruch macht. Fremde Matrosen und einheimische wimmeln vielfach durcheinander, und dabei kommt es häufig zu wüsten Schlägereien, so daß die Polizei sich einmischen muß.

Wäre diese heute in die niedrige Gaststube im »Blauen Fuchs« gekommen, so hätte sie eine ganze Bande von Verbrechern festnehmen können, denen sie schon seit einigen Stunden nachspürte und die aus dem Hafengefängnis von Queenstown entwichen waren.

Die Sache war folgende:

Vor acht Tagen hatte ein englisches Kriegsschiff nach Queenstown die Besatzung des englischen Dreimasters »Halifax« eingeliefert, den man einige Zeit verfolgt und schließlich im Großen Ozean abgefangen hatte. Sechs volle Monate hatte dieses Schiff die Gewässer im Westen der Salomonsinseln, der[45] Neuen Hebriden und des Archipels von Neubritannien durchkreuzt. Seine Aufbringung setzte einer Reihe von Seeräubereien und anderer Verbrechen, wovon vorzüglich die englische Nationalität zu leiden hatte, ein langersehntes Ziel.

Im Hinblick auf die Verbrechen, deren sie von den Behörden beschuldigt wurden – Verbrechen, die durch Zeugenaussagen ebenso wie durch Tatsachen erwiesen waren – mußte gegen die Gefangenen die härteste Strafe ausgeworfen werden, und das konnte nur die Strafe des Todes am Galgen sein, wenigstens für die am meisten belasteten Anführer, den Kapitän und den Obersteuermann des »Halifax«.

Die Bande bestand aus zehn Mitgliedern, die man an Bord des Schiffes dingfest gemacht hatte. Sieben andere, die auch noch zur Mannschaft gehörten, waren, nachdem sie sich in ein Boot gerettet hatten, nach irgend einer Insel entflohen, wo es gewiß schwierig sein mußte, sie aufzufinden. Die schlimmsten Kumpane befanden sich bei ihrem Eintreffen aber in den Händen der englischen Polizei, und in Erwartung ihrer baldigen Verurteilung hatte man sie in das Hafengefängnis von Queenstown eingesperrt.

Sich die Kühnheit, schon mehr die Tollkühnheit des Kapitäns Harry Markel, und seiner rechten Hand, des Obersteuermannes John Carpenter vorzustellen, das dürfte fast unmöglich sein. Mit Ausnützung gewisser Umstände war es ihnen an demselben Tage gelungen zu entweichen, wo sie sich in der Schenke »Zum blauen Fuchs«, einer der berüchtigtesten des Hafens, verborgen hatten. Sofort wurden Abteilungen von Polizisten ausgesendet. Die jedes Verbrechens fähigen Übeltäter konnten Cork oder Queenstown nicht verlassen haben, und so wurden denn in den verschiedenen Teilen der beiden Städte Nachsuchungen vorgenommen.

Aus Vorsicht bewachte auch eine gewisse Zahl von Polizisten die Nachbarschaft des Ufers der Bai von Cork mehrere (engl.) Meilen weit hin. Gleichzeitig begannen sorgfältige Nachforschungen, die sich auf alle Schenken des Hafenviertels erstrecken sollten.

Das sind aber gerade die Schlupfwinkel, wo es den Verbrechern noch gar zu häufig gelingt zu entwischen. Die Schenkwirte sind eine höchst verdächtige Gesellschaft. Wer ihnen etwas Geld zeigt, den nehmen sie auf und bieten ihm Zuflucht, ohne zu fragen, woher er kommt oder wes Geistes Kind er ist.

Hier kommt noch hinzu, daß die Matrosen der »Halifax« alle aus verschiedenen Häfen Englands und Schottlands herstammten. Keiner hatte bisher in[46] Irland gewohnt, und weder in Cork noch in Queenstown kannte sie ein einziger Mensch, was ihre Wiedergefangennahme sehr unwahrscheinlich machte. Da die Polizei jedoch das Signalement jedes Einzelnen besaß, fühlten sie sich immerhin arg bedroht, und natürlich kam es ihnen gar nicht in den Sinn, den so gefährlichen Aufenthalt in der Stadt zu verlängern. Sie wollten vielmehr die erste Gelegenheit, die sich ihnen zum Entfliehen böte, benützen und entweder ins Land hinein entweichen oder wieder aufs Meer gehen.

Vielleicht sollte sich ihnen diese Gelegenheit, und zwar unter besonders günstigen Umständen bieten, wenigstens nach dem Gespräch der drei Bösewichte zu urteilen, die in der dunkelsten Ecke des »Blauen Fuchses« an einem Tische saßen, wo sie reden konnten, ohne von einem indiskreten Ohr gehört zu werden.

Harry Markel war der würdige Anführer dieser Bande, die nicht gezögert hatte, ihm beizuspringen, als er aus dem Dreimaster »Halifax«, den er für Rechnung eines Liverpooler Handelshauses führte, in der Einöde des Großen Ozeans ein Seeräuberschiff machte.

Fünfundvierzig Jahre alt, mittelgroß, von kräftigem Körper, unerschütterlicher Gesundheit und von wildem Gesichtsausdruck, schreckte der Mann vor keiner Grausamkeit zurück. Obwohl nur aus der Reihe der gewöhnlichen Matrosen hervorgegangen, hatte er sich doch umfassendere Kenntnisse angeeignet und war infolgedessen nach und nach zum Kapitän in der Handelsmarine emporgestiegen. Als gründlicher Kenner seines Berufes hätte er sich recht leicht eine ehrenvolle Laufbahn sichern können, wenn seine schrecklichen Leidenschaften, seine unersättliche Geldgier und das Verlangen, sein eigener Herr zu sein, ihn nicht auf die Bahn des Verbrechens gedrängt hätten. Bei einer großen Gewandtheit, seine Laster unter der Rauheit des Seemanns zu verbergen, und immer von merkwürdigem Glücke begünstigt, hatte er bei den Reedern, für die er fuhr, niemals Mißtrauen erweckt.

Der vierzigjährige Obersteuermann John Carpenter, der von Gestalt etwas kleiner, aber von nie erschlaffter Energie war, unterschied sich von Harry Markel durch sein tückisches Aussehen, sein scheinheiliges Auftreten, seine Gewohnheit, den Leuten zu schmeicheln, ebenso wie durch seine instinktive Schurkerei und die Fähigkeit, sich zu verstellen, was ihn eher noch gefährlicher machte als den Kapitän. Nicht weniger geldgierig und nicht weniger grausam als sein Vorgesetzter, übte er auf diesen einen höchst verderblichen Einfluß aus, gegen den sich Harry Markel nicht im mindesten auflehnte.[47]

Der dritte, der mit an demselben Tische saß, war der Koch der »Halifax«, Ranyah Cogh, von indobritischem Ursprung. Seinem Kapitän – übrigens ebenso wie alle die anderen – auf Leben und Tod ergeben, hätte er wie diese schon hundertmal den Strick verdient für die Schandtaten, die alle in den letzten drei, auf dem Großen Ozean zugebrachten Monaten verübt hatten.

Diese drei Männer sprachen, immer weiter trinkend, leise miteinander.

»Hier können wir unmöglich bleiben, sagte John Carpenter, noch heute Nacht müssen wir aus dieser Schenke verschwunden sein. Die Polizei ist uns auf der Spur und morgen säßen wir einfach wieder hinter Schloß und Riegel.«

Harry Markel antwortete zwar nicht, seine Ansicht ging aber ebenfalls dahin, daß seine Genossen und er Queenstown vor Sonnenaufgang verlassen haben müßten.

»Will Corty bleibt recht lange aus, bemerkte Ranyah Cogh.

– Er wird schon noch zeitig genug kommen, antwortete der Obersteuermann. Er weiß, daß wir im »Blauen Fuchs« auf ihn warten, und er wird uns hier finden...

– Wenn wir noch hier sind, fiel der Koch ein, der einen unruhig spähenden Blick nach der Tür warf, und wenn die Konstabler uns nicht genötigt haben, Fersengeld zu geben.

– Gleichviel, erklärte Harry Markel, für jetzt müssen wir hier aushalten! Will die Polizei auch diese Schenke, wie alle andern des Viertels, durchsuchen, so werden wir uns schon nicht überrumpeln und nicht festnehmen lassen. Es gibt hier noch einen hinteren Ausgang und wir entwischen beim ersten Alarm!«

Für wenige Augenblicke begnügten sich der Kapitän und seine beiden Genossen, ihre mit Grog oder Whisky gefüllten Gläser zu leeren. In ihrer Ecke des nur von drei Gasflammen erleuchteten Raumes waren sie kaum zu sehen. Überall schwirrten Stimmen durcheinander und wurde mit den Bänken gepoltert, dann und wann unterbrochen von einem groben Zuruf an den Gastwirt oder seinen Gehilfen, die sich dann beeilten, ihre rohe Kundschaft zu bedienen. Hier und da kam es auch zu einem hitzigeren Streite, der in eine Schlägerei auslief. Das aber fürchtete Harry Markel am meisten, denn ein solcher Lärm drohte die in der Nähe befindlichen Polizisten herbeizulocken, und die verbrecherischen Teerjacken liefen damit ernste Gefahr, erkannt zu werden.

Das Gespräch zwischen den Dreien ging inzwischen weiter.[48]

»Wenn Corty nur ein Boot gefunden hat, das er benützen konnte! sagte John Carpenter.

– Das muß ihm jetzt schon gelungen sein, meinte der Kapitän. In einem Hafen liegt allemal da und dort ein Boot, das unbeaufsichtigt an seiner Leine schaukelt. Da ist es doch kein Kunststück, unbemerkt hineinzuspringen, und Corty wird es dann schon an einen sichern Platz gebracht haben.

– Doch die sieben andern? fragte Ranyah Cogh. Werden sie ihn aufgesucht haben?[49]

– Natürlich, versicherte Harry Markel, das war ja ausgemacht worden. Sie bewachen jedenfalls das Boot, bis wir darin einsteigen.

– Mich beunruhigt es, fuhr der Koch fort, daß wir nun schon seit einer Stunde hier sitzen, und daß Corty immer noch nicht gekommen ist. Sollte er etwa verhaftet worden sein?

– Was mich weit mehr beunruhigt, erwiderte darauf John Carpenter, das ist die Frage, ob das Schiff noch an seinem Ankerplatze liegt.


In dem Gespräche der drei Männer war kein Wort gefallen... (S. 50.)
In dem Gespräche der drei Männer war kein Wort gefallen... (S. 50.)

– Daran ist nicht zu zweifeln, antwortete Harry Markel, denn es war ja erst dabei, einen der Anker aufzuwinden.«

Der Plan des Kapitäns und seiner Genossen ging also offenbar dahin, das Vereinigte Königreich, wo ihnen der Boden zu heiß war, und womöglich überhaupt Europa zu verlassen, um jenseit des Ozeans Zuflucht zu suchen. Doch wie gedachten sie diese Absicht auszuführen, und wie würde es ihnen gelingen, auf ein segelfertiges Schiff zu kommen? Aus den Worten Harry Markels schien ja hervorzugehen, daß sie dafür schon ein bestimmtes Schiff ins Auge gefaßt hatten und darauf rechneten, sich nach diesem in dem von ihrem Kameraden Corty bereitgestellten Boote zu begeben. Doch wollten sie sich darauf etwa verstecken? Hier lag eine ernste Schwierigkeit vor. Was vielleicht ein oder zwei Männern möglich ist, das gelingt doch kaum zehnen. Auch wenn sie in den Frachtraum geschlüpft wären, vorausgesetzt, daß das unbemerkt geschehen konnte, so mußten sie hier doch sehr bald entdeckt werden, und dann wäre über den Vorfall sofort nach Queenstown berichtet worden.

Harry Markel mußte also an einen praktischeren und sichereren Weg denken. Doch an welchen? Hatte er sich die Unnterstützung mehrerer Matrosen des Schiffes sichern können, das am nächsten Tage auslaufen sollte?... Wußten seine Kameraden und er bestimmt im voraus, daß sie darauf einen Schlupfwinkel finden würden?

In dem Gespräche der drei Männer war kein Wort gefallen, aus dem sich ihre Absichten hätten erkennen lassen. Da sie übrigens verstummten, sobald einer der Gäste des »Blauen Fuchses« sich ihrem Tische näherte, konnte sie niemand überraschen.

Nach der letzten, an den Obersteuermann gerichteten Antwort schwieg Harry Markel völlig still. Er grübelte über ihre so gefährdete Lage, die bald irgend welche Lösung finden mußte. Nach Mitteilungen, die ihm zugekommen waren, äußerte er dann:[50]

»Nein, nein, das Schiff kann noch nicht abgefahren sein... Es wird erst morgen in See gehen. Hier der Beweis...«

Dabei zog Harry Markel ein abgerissenes Zeitungsblatt aus der Tasche und las aus den Hafen- und Schiffsnachrichten folgendes vor:

»Der ›Alert‹ liegt in der Bai von Cork, nahe der Farmarbucht, noch vor Anker, ist aber klar zum Auslaufen. Der Kapitän Paxton erwartet nur noch seine Passagiere, die sich nach den Antillen begeben wollen. Die Fahrt erleidet übrigens keine Verzögerung, da die Abreise vor dem 30. dieses Monats nicht stattfinden sollte. Die Preisträger der Antilian School werden an diesem Tage an Bord kommen, und der ›Alert‹ geht dann ohne weiteren Aufenthalt in See, wenn die Witterung das irgend zuläßt.«

Hier handelte es sich also um das auf Wunsch und auf Kosten der Mrs. Kathlen Seymour gecharterte Fahrzeug. Harry Markel und seine Genossen wollten an Bord des »Alert« zu entfliehen suchen. Mit diesem wollten sie sich gleich nach der nächsten Nacht aufs Meer hinaus begeben, um den Nachforschungen der Konstabler zu entgehen. Ungewiß war es freilich, ob sich die Umstände der Ausführung ihrer Absicht günstig gestalten würden. Auf Helfershelfer unter der Mannschaft des Kapitän Paxton konnten sie nicht rechnen. So mußten sie sich des Schiffes vielleicht durch einen plötzlichen Überfall zu bemächtigen und sich seiner Besatzung mit Gewalt zu entledigen suchen.

Von so entschlossenen Verbrechern, bei denen es sich jetzt um Tod und Leben handelte, konnte man sich wohl jedes Schurkenstreichs versehen. Sie waren ihrer zehn, und auf dem »Alert« befanden sich jedenfalls kaum mehr Matrosen. In diesem Falle war der Vorteil auf ihrer – der Angreifer – Seite.

Nachdem er seine Vorlesung beendigt hatte, steckte Harry Markel das Zeitungsblatt, das ihm im Gefängnisse von Queenstown in die Hände gefallen war, wieder in die Tasche.

»Wir haben heute den neunundzwanzigsten Juni, fuhr er fort; erst morgen also soll der ›Alert‹ die Anker lichten und diese Nacht wird er noch an der alten Stelle in der Farmarbucht still liegen, selbst wenn seine Passagiere schon angekommen wären, was übrigens nicht anzunehmen ist. Wir würden es demnach nur mit der Mannschaft zu tun haben.«

Hierzu möge bemerkt werden, daß die Räuber auch im Falle, daß die Pensionäre der Antilian School schon an Bord waren, nicht darauf verzichtet hätten, sich des Fahrzeugs zu bemächtigen. Da gab es nur ein stärkeres Blutbad,[51] das war alles, und auf ein paar Tropfen Blut mehr oder weniger kam es den Verbrechern am Morgen ihrer erneuten Seeraubzüge gewiß nicht an.

Inzwischen verging die Zeit, ohne daß der sehnlichst erwartete Corty erschien. Vergebens musterten die Drei alle Eintretenden, sobald sich die Tür des »Blauen Fuchses« öffnete.

»Wenn er nur nicht den Polizisten in die Hände gelaufen ist! sagte Ranyah Cogh.

– Wenn er verhaftet wäre, würde das bei uns nicht lange auf sich warten lassen, antwortete John Carpenter.

– Das könnte wohl zutreffen, meinte Harry Markel, doch gewiß nicht deswegen, weil Corty uns verraten hätte. Nein, das täte er nicht, selbst wenn ihm die Schlinge schon fast die Kehle zuschnürte.

– Das habe ich auch gar nicht sagen wollen, erwiderte John Carpenter. Die Konstabler könnten ihn aber erkannt haben und ihm gefolgt sein, während er hierher nach der Schenke ging. In diesem Falle würden alle Ausgänge besetzt sein, und an ein Entfliehen wäre nicht mehr zu denken!«

Harry Markel antwortete nicht. Einige Minuten herrschte tiefes Schweigen.

»Sollte ihm nicht einer von uns entgegen gehen? schlug da der Koch vor.

– Ich unternehme es, wenn's euch recht ist, erbot sich der Obersteuermann.

– So geh', sagte Harry Markel, doch entferne dich nicht zu weit. Corty kann jeden Augenblick kommen. Erblickst du draußen Polizisten, so komme sofort zurück; wir schlüpfen dann durch die Hintertür hinaus, ehe sie haben in die Gaststube eindringen können.

– Ja, wendete Ranyah Cogh ein, dann wird uns Corty aber hier nicht mehr finden.

– Gleichviel, es bleibt uns ja nichts anderes zu tun übrig,« erklärte der Kapitän.

Die Sachlage wurde entschieden bedrohlicher. Vor allem kam es aber darauf an, sich nicht abfangen zu lassen. Schlug der Streich mit dem »Alert« fehl, gelang es ihnen in der Nacht nicht, sich mit ihren Genossen zu vereinigen, dann wollte man überlegen, was weiter zu tun wäre. Vielleicht bot sich ja noch eine andere, gleich gute Gelegenheit. Jedenfalls hielten sie sich nicht eher für gesichert, als bis sie Queenstown verlassen hatten.

Der Obersteuermann leerte sein Becherglas zum letzten Male, warf einen flüchtigen Blick über die Gaststube, und sich durch die Gruppen darin drängend,[52] erreichte er die Tür, die sich hinter ihm sofort wieder schloß. Um halb neun Uhr war es hier noch nicht dunkel. Die Sonne war zu Mittag noch nahe ihrem höchsten Stande, und zu dieser Jahreszeit sind bekanntlich die Tage am längsten.

Der Himmel zeigte sich nahezu ganz bedeckt. Große, schwere Wolken lagen aufgetürmt am Horizonte, jene Art von Wolken, die bei großer Hitze ein heftiges Gewitter anzukündigen pflegen. Die Nacht würde ganz dunkel sein; die Sichel des Mondes war im Westen schon versunken.

John Carpenter war kaum seit fünf Minuten weg, als sich die Tür des »Blauen Fuchses« öffnete und er wieder erschien.

Ihn begleitete ein Mann, der, den man erwartete, ein untersetzter, kräftiger Matrose von kleiner Gestalt, der die Seemannsmütze fast bis über die Augen hinuntergedrückt trug. Der Obersteuermann war ihm kaum fünfzig Schritt von der Tür aus begegnet, als dieser auf dem Weg zu der Schenke war, und beide hatten sich sofort zurückbegeben, um Harry Markel und den Koch zu treffen.

Corty schien eine weite Strecke schnellen Schrittes zurückgelegt zu haben, der Schweiß rann ihm über die Wangen hinab. War er von Polizeiagenten verfolgt worden und hatte er vor ihnen flüchten müssen?

Mit einem Zeichen wies ihn John Carpenter nach der Ecke, wo Harry Markel und Ranyah Cogh saßen. Er trat sogleich an den Tisch heran und stürzte zunächst ein Glas Whisky hinunter.

Jedenfalls hätte Corty jetzt Mühe gehabt, etwaige Fragen des Kapitäns zu beantworten; man mußte ihn erst etwas zu Atem kommen lassen. Übrigens erschien er noch recht unruhig, denn immer hingen seine Augen an der nach der Straße führenden Tür, als fürchtete er, jede Minute eine Rotte Polizisten eintreten zu sehen.

»Ist dir niemand gefolgt? fragte Harry Markel ihn, als er sich etwas erholt hatte, mit gedämpfter Stimme.

– Ich glaube es nicht, antwortete er.

– Befinden sich denn Konstabler auf der Straße?

– Jawohl, wenigstens ein Dutzend! Sie suchen die Gasthäuser ab und werden auch bald im ›Blauen Fuchs‹ erscheinen.

– Dann also vorwärts!« drängte der Koch.

Harry Markel nötigte ihn, sich wieder zu setzen.

»Ist alles in Ordnung? fragte er Corty.[53]

– Alles.

– Das Schiff liegt noch vor Anker wie vorher?

– Noch immer, Harry. Auf dem Wege über den Kai hörte ich aber, daß die Passagiere des › Alert‹ in Queenstown schon eingetroffen wären...

– Nun, erwiderte Harry Markel, dann ist es nur unsere Aufgabe, noch vor ihnen an Bord zu sein...

– Wie? stieß Ranyah Cogh hervor.

– Die andern und ich, erklärte Corty, wir haben ein Boot weggenommen...

– Wo liegt es? fiel ihm Harry Markel ins Wort.

– Fünfhundert Schritt von der Schenke hier, draußen am Kai und unten an einer Landungsbrücke.

– Und unsere übrigen Leute?

– Die erwarten uns. Es ist keine Zeit zu verlieren.

– So brechen wir auf,« antwortete Harry Markel.

Die Zeche war schon bezahlt, der Gastwirt brauchte also nicht erst herbeigerufen zu werden. Die vier Schurken hätten den Raum verlassen können, ohne bei dem hier herrschenden Höllenlärme besonders bemerkt zu werden.

Gerade jetzt entstand draußen ein Aufruhr, das Toben und Gröhlen von Leuten, die schreiend aufeinander losschlugen.

Als kluger Mann, der seine Kunden nicht gern unliebsamen Überraschungen ausgesetzt sehen will, öffnete der Schenkwirt ein wenig die Tür und rief:

»Achtung!... Die Konstabler!«

Gewiß lag verschiedenen Stammgästen des »Blauen Fuchses« sehr daran, nicht mit der Polizei in Berührung zu kommen, wenigstens kam es sofort zu einem geräuschvollen Abzuge. Drei oder vier wendeten sich der Hintertür zu.

Den Augenblick danach drangen ein Dutzend Polizisten in die Schenke ein und schlossen die Tür hinter sich ab.

Harry Markel und seine drei Spießgesellen hatten die Gaststube, ohne bemerkt zu werden, schon verlassen können.

– Alles.

– Das Schiff liegt noch vor Anker wie vorher?

– Noch immer, Harry. Auf dem Wege über den Kai hörte ich aber, daß die Passagiere des, Alert' in Queenstown schon eingetroffen wären...

– Nun, erwiderte Harry Markel, dann ist es nur unsere Aufgabe, noch vor ihnen an Bord zu sein...

– Wie? stieß Ranyah Cogh hervor.

– Die andern und ich, erklärte Corty, wir haben ein Boot weggenommen...

– Wo liegt es? fiel ihm Harry Markel ins Wort.

– Fünfhundert Schritt von der Schenke hier, draußen am Kai und unten an einer Landungsbrücke.

– Und unsere übrigen Leute?

– Die erwarten uns. Es ist keine Zeit zu verlieren.

– So brechen wir auf,« antwortete Harry Markel.

Die Zeche war schon bezahlt, der Gastwirt brauchte also nicht erst herbeigerufen zu werden. Die vier Schurken hätten den Raum verlassen können, ohne bei dem hier herrschenden Höllenlärme besonders bemerkt zu werden.

Gerade jetzt entstand draußen ein Aufruhr, das Toben und Gröhlen von Leuten, die schreiend aufeinander losschlugen.

Als kluger Mann, der seine Kunden nicht gern unliebsamen Überraschungen ausgesetzt sehen will, öffnete der Schenkwirt ein wenig die Tür und rief:

»Achtung!... Die Konstabler!«

Gewiß lag verschiedenen Stammgästen des »Blauen Fuchses« sehr daran, nicht mit der Polizei in Berührung zu kommen, wenigstens kam es sofort zu einem geräuschvollen Abzuge. Drei oder vier wendeten sich der Hintertür zu.

Den Augenblick danach drangen ein Dutzend Polizisten in die Schenke ein und schlossen die Tür hinter sich ab.

Harry Markel und seine drei Spießgesellen hatten die Gaststube, ohne bemerkt zu werden, schon verlassen können.[54]

Quelle:
Jules Verne: Reisestipendien. Bekannte und unbekannte Welten. Abenteuerliche Reisen von Julius Verne, Band LXXXIII–LXXXIV, Wien, Pest, Leipzig 1904, S. 44-55.
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