Achtes Capitel.
Worin man sehen wird, daß Robur sich entschließt, auf die ihm vorgelegte wichtige Frage zu antworten.

[78] In einer der Cabinen des Ruffs auf dem Hinterdeck hatten Onkel Prudent und Phil Evans zwei vorzügliche Lagerstätten, Wäsche, eine hinreichende Menge Kleidungsstücke zum Wechseln, nebst Mänteln und Reisedecken vorgefunden. Kein transatlantischer Dampfer hätte ihnen mehr Bequemlichkeiten bieten können. Wenn sie nicht in einemfort schliefen, so lag das nur in ihrer Absicht, oder es hielten sie mindestens sehr beunruhigende Gedanken davon zurück. In welch' unberechenbares Abenteuer waren sie hier gerathen? Was zu erleben und zwar wider ihren Willen zu erleben stand ihnen Alles noch bevor? Wie würde die ganze Geschichte ablaufen und was beabsichtigte eigentlich der Ingenieur Robur? – Das war gewiß genug Material, unausgesetzt ihre Gedanken zu erfüllen.

Der Diener Frycollin war auf dem Verdeck in einer mit der des Kochs vom »Albatros« zusammenstoßenden Cabine untergebracht worden. Diese Nachbarschaft mißfiel ihm keineswegs – er liebte es, sich mit den Großen dieser Erde auf guten Fuß zu stellen. Doch, wenn er endlich einschlief, so träumte der arme Teufel nur vom Herabstürzen durch die Luft, was seinen Schlummer zum fortwährenden Alpdrücken verunstaltete.

Und doch konnte es keine ruhigere Fahrt geben, als dieses Dahinschweben durch die Atmosphäre, deren Strömung sich am Spätabend ganz gelegt hatte. Außer dem Schwirren der Schraubenflügel drang kein Geräusch nach dieser[78] Höhe, höchstens zuweilen der schrille Pfiff einer irdischen Locomotive, die auf ihrer Eisenstraße dahinrollte, oder kaum vernehmbare Laute von Hausthieren. – Ein eigenthümlicher Instinct schien diesen Erdengeschöpfen zu verrathen, daß die Flugmaschine über ihnen hinglitt, und das veranlaßte sie, einen Angstschrei von sich zu geben.

Am folgenden Tage, am 14. Juni, lustwandelten Onkel Prudent und Phil Evans schon früh fünf Uhr auf dem Verdeck des »Albatros«. Eine Veränderung gegen den Vortag zeigte sich nicht, der Ausguck stand am vorderen, der Steuermann am hinteren Theile desselben. Wozu diente aber hier ein Wachposten? Fürchtete man auch mit der ersten Maschine dieser Art einen etwaigen Zusammenstoß? Nein, das gewiß nicht. Robur hatte ja noch keine Nachahmer gefunden. Die Möglichkeit, einem in den Lüften schwebenden Aerostaten zu begegnen, war eine so geringe, daß sie füglich außer Rechnung gelassen werden konnte. Jedenfalls wäre der Aerostat am schlimmsten daran gewesen – wie bei einem Zusammenstoß des eisernen Topfes mit dem irdenen. Der »Albatros« hatte von einer solchen Collision ja so gut wie nichts zu fürchten.

Doch konnte eine solche überhaupt vorkommen? Ja. Es war ja nicht ausgeschlossen, daß der Aeronef unversehens auf eine Küste zusteuerte, wie ein Schiff, wenn ein Berg, den es eben nicht umsegeln kann, ihm den Weg versperrte. Ein solcher Berg wäre also eine Klippe in der Luft, und diese galt es zu vermeiden, wie das Schiff die Klippe des Meeres zu meiden hat.

Wohl hatte der Ingenieur, ganz wie ein Capitän, die Fahrtrichtung angegeben unter Berücksichtigung der nothwendigen Höhe, in der sich der Apparat halten mußte, um auch die höchsten Berggipfel der betreffenden Gegenden zu übersegeln. Da der Aeronef sich aber eben in stark gebirgigem Lande befand, war es gewiß nur ein Gebot der Klugheit, sorgsam Ausguck zu halten, wenn er einmal aus irgend einem Grunde vom richtigen Laufe abwich.

Bei Betrachtung der unter ihnen liegenden Gegend bemerkten Onkel Prudent und Phil Evans einen großen Binnensee, dessen nach Süden gelegene Spitze der »Albatros« bald erreichen mußte. Sie schlossen daraus, daß sie während der Nacht über den Erie-See in seiner ganzen Länge weggekommen wären. Da der Aeronef nun direct nach Westen steuerte, so mußten sie später den äußersten Theil des Michigan-Sees erreichen.

»Hier ist kein Zweifel möglich, sagte Phil Evans, jenes Meer von Dächern am Horizonte ist Chicago!«[79]

Er täuschte sich nicht, das war die genannte Stadt, in der siebzehn Eisenbahnlinien zusammenlaufen, die Königin des Westens, das ungeheure Magazin, in dem die Erzeugnisse von Indiana, Ohio, Wisconsin, Missouri und überhaupt die aus allen Provinzen zusammenströmen, welche den westlichen Theil der Union bilden.

Bewaffnet mit einem vortrefflichen Marinefernrohr, das er in seinem Ruff gefunden, erkannte Onkel Prudent leicht die Hauptgebäude jener Stadt. Sein College konnte ihm die Kirchen, die öffentlichen Bauten, die zahlreichen Elevatoren, ebenso das gewaltige Hotel Sheeman zeigen, das einem großen Würfel, wie man solche zum Spielen gebraucht, glich, an dem freilich die Fenster als hundertfache Augen auf jeder Seite erschienen.

»Da das Chicago ist, bemerkte Onkel Prudent, so ist damit bewiesen, daß wir etwas gar zu weit nach Westen entführt worden sind, als es wünschenswerth wäre, um nach unserem Abfahrtspunkt zurückzukehren.«

Der »Albatros« entfernte sich in der That in gerader Linie von der Hauptstadt Pennsylvaniens.

Hätte Onkel Prudent aber Robur auch darum angehen wollen, sie nun nach Osten zurückzuführen, so wäre das jetzt wenigstens unmöglich gewesen. Gerade an diesem Morgen schien der Ingenieur gar keine Eile zu haben, seine Cabine zu verlassen, mochte er darin nun mit irgend welchen Arbeiten beschäftigt sein oder vielleicht nur noch schlafen. Die beiden Collegen mußten also frühstücken, ohne ihn gesehen zu haben.

Die Fahrgeschwindigkeit war seit dem vorigen Tage nicht verändert. Bei der Richtung des eben wehenden Windes wurde dieselbe nicht lästig, und da das Thermometer sich nur um einen Grad bei der Erhebung um hundertsiebenzig Meter senkte, so war auch die Temperatur eine erträgliche. In Erwartung des Ingenieurs gingen Onkel Prudent und Phil Evans nachdenklich hin und her unter der Takelage der Schrauben – wenn der Ausdruck erlaubt ist – welche immerhin eine so schnelle Drehbewegung einhielten, daß die Strahlen ihrer Flügel zu einer halbdurchscheinenden Scheibe verschmolzen.

In weniger als zwei Stunden kamen sie auf diese Weise längs seiner Nordgrenze über den Staat Illinois hinweg, und dabei über den Vater der Gewässer, den Mississippi, dessen zweietagige Dampfer nicht größer als gewöhnliche Kähne erschienen. Dann wendete sich der »Albatros« nach Jova, nachdem Jova-City gegen elf Uhr Vormittags in Sicht gekommen war.


Man glaubt einen Strom von Krystall zu sehen. (S. 77.)
Man glaubt einen Strom von Krystall zu sehen. (S. 77.)

Einzelne Hügelketten, die »Bluffs«, schlängelten sich von Süden nach dem Nordwesten durch dieses Gebiet. Ihre mäßige Höhe machte keine besondere Aufsteigung des Aeronefs nöthig. Diese Bluffs mußten auch bald noch niedriger werden, um nachher den[80] weiten Ebenen von Jova Platz zu machen, welche sich über dessen ganzen nördlichen Theil, wie über Nebraska ausdehnen – ungeheure Prairien, welche bis zum Fuß der Felsengebirge heranreichen.

Da und dort glänzten zahlreiche Rios, Zuflüsse und Nebenflüsse des Missouri. An ihren Ufern lagen Städte und Dörfer, welche jedoch immer[81] seltener wurden, je nachdem der »Albatros« schneller nach dem Far-West über sie hinwegglitt.

Im Laufe des Tages ereignete sich nichts Besonderes. Onkel Prudent und Phil Evans blieben sich gänzlich selbst überlassen. Kaum bemerkten sie einmal Frycollin, der auf dem Verdeck ausgestreckt lag und die Augen geschlossen hielt, um lieber gar nichts zu sehen. Uebrigens litt er nicht etwa an Schwindelzufällen, wie man hätte glauben können. Wegen Mangels an Vergleichsobjecten hätte sich dieser Schwindel überhaupt nicht in derselben Weise äußern können, wie etwa auf dem Dache eines hohen Gebäudes; der Abgrund verliert seine Anziehungskraft, wenn man in der Gondel eines Ballons oder auf dem Deck eines Aeronefs über ihm schwebt, oder vielmehr unter dem Aeronauten gähnt gar kein Abgrund, sondern der Horizont allein erhebt sich an allen Seiten und umringt denselben.

Um zwei Uhr glitt der »Albatros« über Omaha an der Grenze von Nebraska hin, über Omaha-City, den wirklichen Kopf der Pacific-Bahn, jenes fünfzehnhundert Lieues langen Schienenstranges, der New-York und San Francisco verbindet. Einen Augenblick lang sah man die gelblichen Fluthen des Missouri, nachher die Stadt mit ihren Holz- und Steinhäusern, inmitten dieses reichen Beckens gelegen gleich dem Schloß eines Gürtels, der Nordamerika in der Taille umspannt.

Zweifellos mußten, während die Passagiere des Aeronefs alle diese Einzelheiten betrachteten, auch die Bewohner von Omaha den seltsamen Apparat wahrgenommen haben.

Ihr Erstaunen aber, denselben in den Lüften hinschweben zu sehen, konnte gewiß nicht größer sein, als das des Vorsitzenden und des Schriftführers des Weldon-Instituts, sich an Bord desselben zu befinden.

Jedenfalls lag hier eine Thatsache vor, welche durch die Journale der Union besprochen wurde; eben diese lieferte eine Erklärung des Phänomens, mit dem sich seit einiger Zeit die ganze Welt beschäftigte.

Eine Stunde später war der »Albatros« schon über Omaha hinweg. Der Aeronef steuerte jetzt constant nach Westen, indem er sich vom Plate-River entfernte, dessen Thal die Pacific-Railway durch die Prairie folgt. Den Onkel Prudent und Phil Evans konnte diese Wahrnehmung gerade nicht befriedigen.

»Die Sache wird ernsthaft mit diesem sinnlosen Project, uns zu den Antipoden zu bringen, sagte der Eine.[82]

– Und noch dazu wider unseren Willen! bemerkte der Andere. O, dieser Robur soll sich nur in Acht nehmen, ich bin nicht der Mann dazu, mit mir spielen zu lassen!

– Ich auch nicht! versicherte Phil Evans. Doch, folgen Sie meinem Rathe, Onkel Prudent, versuchen Sie sich zu mäßigen...

– Mich mäßigen!...

– Und bemeistern Sie Ihre Wuth bis zu dem Augenblick, wo es an der Zeit ist, sie ausbrechen zu lassen.«

Gegen fünf Uhr und nach Ueberschreitung der mit Tannen und Cedern bedeckten schwarzen Berge flog der »Albatros« über jenen Gebieten hin, die man mit Recht das »schlimme Land« genannt hat – ein Chaos von ockerfarbigen Hügeln, gleichsam von Bergstücken, welche der Schöpfer hatte auf die Erde fallen lassen und die dabei in Trümmer gegangen waren. Von ferne gesehen, nahmen diese Blöcke die phantastischsten Formen an.

Da und dort inmitten dieser ungeheuren Ansammlung von Bruchstücken erblickte man Ruinen von mittelalterlichen Städten mit Forts, Wartthürmen, Laufgräben und Schanzen. Heutzutage bildet dieses »schlimme« oder »böse Land« aber nichts als ein gewaltiges Beinhaus, in dem die Reste von Pachydermen, Chelonien und der Sage nach sogar von fossilen Menschen bleichen, welche durch eine unbekannte Erdrevolution in grauer Vorzeit hierher geworfen wurden.

Mit einbrechendem Abend war schon das große Becken des Plate-River übersegelt. Jetzt dehnte sich vor dem »Albatros« eine weite Ebene bis zu dem durch dessen hohen Standpunkt sehr erweiterten Horizonte aus.

Während der Nacht waren es nicht mehr die scharfen Pfiffe der Locomotive oder die heulenden Töne von Dampfbooten, welche die Ruhe des gestirnten Firmaments störten. Lang anhaltendes Grunzen und Blöken drang manchmal bis zu dem, übrigens jetzt der Erde näheren Aeronef hinaus. Dasselbe rührte von den Bisonheerden her, welche bei Aufsuchung von Wasserläufen und Weideland durch die Prairie trotteten. Und wenn jene schwiegen, dann erzeugte das Rascheln des Grases unter ihren Hufen ein dumpfes Geräusch, ähnlich dem Rauschen einer Ueberschwemmung und sehr verschieden von dem Schwirren und Sausen der Schrauben.

Von Zeit zu Zeit ließ sich wohl auch das Heulen von Wölfen, das Gebell und Geschrei von Füchsen und Wildkatzen hören oder das scharfe Bellen[83] von Coyots, jenes canis latrans, dessen Name sich schon durch die gellenden Töne des Thieres rechtfertigt.

Daneben verbreitete sich ein durchdringender Duft von Minze, Salbei und Absinth, vermischt mit dem kräftigen Harzgeruch von Coniferen, in der reinen Nachtluft.

Endlich hörte man, um alle vom Erdboden kommenden Geräusche zu erwähnen, auch eine Art recht unheimlichen Bellens, das aber nicht von den Coyois herrührte; das war der Schrei einer Rothhaut, welchen kein Pionnier des fernen Westens mit dem Geschrei eines Raubthieres verwechseln könnte.

Am 15. Juni verließ Phil Evans gegen fünf Uhr Morgens seine Cabine. Vielleicht sollte er an diesem Tage den Ingenieur Robur endlich wiedersehen.

Begierig, zu erfahren, warum Jener sich am vergangenen Tage nicht gezeigt haben möge, wandte er sich an den Obersteuermann Tom Turner.

Tom Turner, von englischer Herkunft und etwa fünfundvierzig Jahre alt, breit in der Brust, untersetzt von Gestalt und mit Knochen von Eisen, hatte einen jener charakteristischen Köpfe à la Hogarth, wie sie dieser Maler der angelsächsischen Häßlichkeiten aus seinem Pinsel hervorgezaubert hat. Wer die Tafel IV von Harlot's Progreß genauer betrachtet, der wird auf derselben den Kopf Tom Turner's auf den Schultern des Gefängnißwärters wiederfinden und wird erkennen, daß dessen Physiognomie nicht eben viel Ermuthigendes hat.

»Werden wir heute den Ingenieur Robur sehen? fragte Phil Evans.

– Weiß nicht, antwortete Tom Turner.

– Ich frage Sie nicht, ob er etwa weggegangen ist.

– Vielleicht.

– Auch nicht, wann er zurückkehren könnte.

– Vermuthlich, wenn er mit seiner Coursbestimmung fertig ist.«

Hiermit verschwand Tom Turner schon wieder in seinem Russ.

Phil Evans mußte sich wohl oder übel mit dieser Antwort begnügen welche um so weniger beruhigend erschien, als eine fortgesetzte Beobachtung des Compasses ihm lehrte, daß der »Albatros« noch immer nach Südwesten weiter steuerte. Welcher Unterschied aber zwischen dem seit der Nacht verlassenen Gebiete des schlimmen Landes und der Landschaft, die sich jetzt unten auf der Erde entrollte!

Nachdem der Aeronef tausend Kilometer von Omaha aus zurückgelegt, befand er sich über einer Gegend, welche Phil Evans aus dem Grunde nicht[84] zu erkennen vermochte, weil er sie vorher noch niemals besucht hatte. Einige Forts, mit dem Zwecke, die Indianer im Schach zu halten, bekrönten die Bluffs mit ihren geometrischen Linien, welche mehr aus Palissaden, als aus Mauerwerk bestanden; Dörfer gab es nur wenige und ebenso wenig Bewohner in diesem von dem goldführenden, einige Grade südlicher liegenden Gebiete Colorados so auffallend verschiedenen Landstriche.

In der Ferne erhob sich, vorläufig nur in verschwindenden Umrissen, eine Reihe von Bergkämmen, welche die aufsteigende Sonne mit feurig leuchtendem Kranze schmückte.

Das waren die Felsengebirge.

Zum ersten Male an diesem Morgen beobachteten Onkel Prudent und Phil Evans eine empfindliche Kälte. Die Erniederung der Temperatur war aber nicht etwa einem Witterungsumschlage zuzuschreiben, denn die Sonne leuchtete fortwährend in hellem Glanze.

»Das wird von der Erhebung des »Albatros« in der Atmosphäre herkommen,« meinte Phil Evans.

In der That war das an der äußeren Seite der Thür des mittleren Ruffs angebrachte Barometer bis auf fünfhundertvierzig Millimeter gesunken – was einer Erhebung von etwa dreitausend Metern entspricht. Der Aeronef hielt sich also in einer bedeutenden, übrigens durch die gebirgige Bodenbeschaffenheit bedingten Höhe.

Eine Stunde vorher hatte er sogar eine Höhe von viertausend Metern übersteigen müssen, denn hinter ihm erhoben sich viele, mit ewigem Schnee bedeckte Berghäupter.

Weder Onkel Prudent noch sein Gefährte konnten sich erinnern, welches Land das wohl wäre. Im Laufe der Nacht hatte der »Albatros« ja einen anderen Weg nach Norden oder Süden einhalten können, und bei seiner übermäßigen Schnelligkeit genügte das, sie schon sehr weit zu verschlagen.

Nachdem sie verschiedene mehr oder weniger annehmbare Hypothesen besprochen, einigten sie sich darüber, daß das vorliegende, von einem kreisförmigen Bergwall umrahmte Gebiet dasselbe sein werde, welches durch Congreßacte vom März 1872 zum Nationalpark der Vereinigten Staaten erklärt worden war.

Sie hatten hiermit Recht, und jenes Gebiet verdient vollständig den Namen eines Parks, aber eines solchen mit Bergen statt der Hügel, mit Seen[85] statt der Teiche, mit Strömen statt der Bäche, mit tiefen Wäldern statt künstlich angelegter Labyrinthe, und als Springbrunnen schmückten denselben wirkliche Geyser von erstaunlicher Mächtigkeit.

Nach wenig Minuten glitt der »Albatros«, den Stevensonberg rechts liegend lassend, über den Yellowstone-Fluß hin und gelangte nach dem großen See, der den Namen jenes Flusses trägt. Welch' reiche Abwechslung im Zuge der Ufer dieses Wasserbeckens, deren flachere, mit Obsidianen und kleinen Krystallen besäete Ränder die Sonnenstrahlen in unzähligen Facetten widerspiegelten! Wie launenhaft liegen die Inseln über seine Fläche zerstreut! Wie wunderbar blau wirst dieser Riesenspiegel die Farbe des Himmels zurück! Und rings um diesen See – übrigens einer der höchstgelegenen der ganzen Erde – schwammen und flatterten ganze Wolken verschiedener Vögel, wie Pelikane, Schwäne, Möven, Gänse, Rothgänse und Tauchervögel. Einige der Strecken des steiler abfallenden Uferlandes trugen ein immergrünes Gewand von Fichten- und Lärchenbäumen, während am Fuße seiner Böschungen unzählige weiße Dampfquellen emporwirbelten. Dieser Dampf entsteigt dem Erdboden wie aus einem ungeheuren Kessel, in dem das Wasser durch das Feuer des Erdinneren in fortwährendem Sieden erhalten wird.

Für den Koch wäre jetzt oder niemals eine günstige Gelegenheit gewesen, sich mit reichlichem Vorrathe von Forellen zu versorgen, welche Fischart die einzige ist, die der Yellow-See, aber auch zu Myriaden, ernährt. Der »Albatros hielt sich jedoch stets in einer solcher Höhe, daß ein Fischzug, der unzweifelhaft von einträglichstem Erfolge gewesen wäre, sich nicht hätte ausführen lassen.

Uebrigens wurde der See schon binnen dreiviertel Stunden, und wenig später das Gebiet der Geyser, die mit den schönsten in Island wetteifern, überschritten. Ueber das Verdeck hinaus gebeugt, beobachteten Onkel Prudent und Phil Evans die flüssigen Säulen, die hoch aufstiegen, als sollten sie dem Aeronef noch ein neues Kraftelement zuführen. Es waren das der »Fächer«, dessen Dämpfe sich kreisförmig ausbreiten; »das befestigte Schloß«, das sich gleichsam durch Trombenschüsse zu vertheidigen scheint; »der alte Treue« mit seiner von Regenbogen begrenzten Flüssigkeitssäule, und »der Riese«, durch den der innere Druck einen lothrechten Strom von fünfundzwanzig Fuß Umfang auf mehr als zweihundert Fuß Höhe emporschleudert. Robur schien die Wunder dieses unvergleichlichen Schauspiels, das gewiß in der Welt einzig dasteht, schon zur Genüge zu kennen, denn er erschien nicht auf dem Verdeck.[86]

Sollte er den Aeronef nur zum Vergnügen seiner Gäste über dieses National-Eigenthum hingeführt haben? Wenn diese Voraussetzung auch vielleicht zutraf, so entzog er sich doch ihren Dankesbezeugungen. Er ließ sich nicht einmal durch die kühne Fahrt quer durch die Felsengebirge, welche der »Albatros« gegen sieben Uhr Morgens erreichte, aus seiner Ruhe stören

Es ist bekannt, daß dieses orographische System sich gleich einem gewaltigen Rückgrat von den Lenden Nordamerikas bis zu dessen Halse hin ausdehnt, indem es eine Fortsetzung der mexicanischen Anden bildet. Das Ganze erreicht eine Länge von dreitausendfünfhundert Kilometern und hat seinen höchsten Punkt im Pic-James, der bis fast zwölftausend Fuß hoch aufragt.

Gewiß hätte der »Albatros« durch Vermehrung seiner Flügelschläge, gleich einem im Aether dahineilenden Vogel, auch die höchsten Gipfel dieser Ketten überfliegen können, um dann wie mit Riesenschwingen nach Oregon und Utah hinabzusteigen. Dieses Manöver war aber nicht einmal nothwendig, da es hier Pässe giebt, um durch die Bergkette zu gelangen, ohne deren Kamm zu übersteigen. Man findet verschiedene solcher »Cańons«, eine Art mehr oder weniger enger Schluchten, durch welche man nur schwer gelangen kann – die einen, wie der Bridger-Paß, dem auch die Pacific-Bahn folgt, um in das Mormonengebiet einzudringen, die anderen etwas weiter im Norden oder im Süden.

In einen dieser Cańons lenkte der »Albatros« ein, nachdem er seine Geschwindigkeit vermindert hatte, um jedenfalls ein Anstoßen an die Wände der Schlucht zu vermeiden. Der Steuermann, dessen ungemein sichere Hand die vorzügliche Wirksamkeit des Steuerruders in besonders helles Licht setzte, lenkte denselben, wie er es mit einem Boote ersten Ranges beim Wettfahren des Royal Thames Club gethan hätte. Es war in der That bewunderungswürdig anzusehen. Und trotz des Widerwillens, den die beiden Feinde des »Schwerer, als die Luft« noch immer empfanden, mußten sie doch entzückt sein über die Vollkommenheit dieser sich durch den Luftraum bewegenden Maschine.


Die Durchquerung des Felsengebirges. (S. 87.)
Die Durchquerung des Felsengebirges. (S. 87.)

Binnen weniger als zweiundeinerhalben Stunde wurde die gewaltige Bergkette durchfahren und der »Albatros« nahm seine gewöhnliche Geschwindigkeit von hundert Kilometer (in der Stunde) wieder an. Er steuerte jetzt auf's Neue dem Südwesten zu, um nicht gar zu hoch über dem Erdboden das Gebiet von Utah schräg zu durchschneiden. Dabei war er bis auf wenige hundert Meter gesunken, als die Töne einer Pfeife die Aufmerksamkeit des Onkel Prudent und Phil Evans erregten.[87]

Diese kamen von einem Zuge der Pacific-Bahn her, welcher der Stadt am großen Salzsee zudampfte.

In diesem Augenblick senkte sich auf geheimen Befehl der »Albatros« noch weiter, um dem mit voller Dampfkraft dahinsausenden Zuge zu folgen. Er wurde sofort bemerkt. Einige Köpfe erschienen an den Thüren der Waggons. Dann drängten sich bald zahlreiche Passagiere auf den kleinen Laufbrücken, welche die amerikanischen »Cars« mit einander verbinden. Einzelne wagten es sogar, die Doppelwagen des Trains zu erklettern, um die Flugmaschine besser[88] sehen zu können. Laute Hips und Hurrahs dröhnten durch die Luft, hatten aber nicht den Erfolg, Robur erscheinen zu lassen.

Das Spiel seiner Schrauben weiter verlangsamend, stieg der »Albatros« noch immer tiefer hinunter und verminderte auch seine horizontale Schnelligkeit, um den Bahnzug, den er bequem hätte überholen können, nicht hinter sich zu lassen. So flog er über diesem hin, wie ein ungeheurer Käfer, während er doch hätte einem riesenhaften Raubvogel gleichen können.


Einer ließ nach dem Zuge ein Stück Tau hinab. (S. 90.)
Einer ließ nach dem Zuge ein Stück Tau hinab. (S. 90.)

Jetzt schwenkte er wie spielend nach rechts und nach links ab, schoß einmal vorwärts und kehrte auf demselben[89] Wege wieder zurück, auch hatte er stolz die schwarze Flagge mit der goldenen Sonne gehißt, worauf der Zugführer als Antwort das Banner mit den siebenunddreißig Sternen der amerikanischen Union schwenkte.

Vergeblich versuchten die beiden Gefangenen, die sich jetzt darbietende Gelegenheit zu benützen, um Kunde davon zu geben, was aus ihnen geworden wäre. Vergebens rief der Vorsitzende des Weldon-Instituts mit Stentorstimme:

»Ich bin Onkel Prudent aus Philadelphia!«

Und der Schriftführer:

»Ich bin Phil Evans, sein College!«

Ihre Rufe verhallten in den tausend Hurrahs, mit denen die Passagiere des Zugs die merkwürdige Erscheinung des Luftschiffes begrüßten.

Inzwischen waren drei bis vier Mann vom Aeronef auf dem Verdeck desselben erschienen und Einer von ihnen ließ – wie es Seeleute zu thun pflegen, wenn sie ein langsamer fahrendes Schiff überholen – nach dem Zuge ein Stück Tau hinab – ein ironisches Angebot, ihn ins Schlepptau zu nehmen.

Dann nahm der »Albatros« sofort seinen gewöhnlichen Gang wieder an und nach einer halben Stunde hatte er jenen Expreßzug, dessen letzte Dampfwölkchen bald aus dem Gesichtskreise verschwanden, schon weit hinter sich gelassen.

Gegen ein Uhr Mittags wurde eine sehr große Scheibe sichtbar, welche die Sonnenstrahlen gleich einem ungeheuren Reflector zurückwarf.

»Das muß die Hauptstadt der Mormonen, Salt-Lake-City, sein!« sagte Onkel Prudent.

In der That war es die große Salzsee-Stadt und jene convexe Scheibe war das Dach des Tabernakels, das bequem zehntausend Heilige aufnehmen kann. Wie ein erhabener Spiegel zerstreute dieselbe die Strahlen der Sonne nach allen Richtungen hin.

Hier dehnte sich die große Stadt aus am Fuße der Wasatsh-Berge, welche bis zur halben Höhe mit Cedern und Fichten bedeckt sind, und am Ufer jenes Jordan, der die Gewässer von Utah in den großen Salzsee ergießt. Unter dem Aeronef breitete sich das Damenbrett aus, welches die meisten amerikanischen Städte bilden – hier ein Damenbrett mit »mehr Damen als Feldern«, da die Polygamie bei den Mormonen in so hoher Blüthe steht. Die Landschaft im Umkreise zeigte sich jedoch gut bestellt und cultivirt, auch reich an Spinnfaserpflanzen, während sich Schafheerden von mehr als tausend Köpfen vielfach umhertummelten.[90]

Aber das Ganze verblaßte wie ein Schatten, und der »Albatros« flog jetzt nach Südwest mit gesteigerter Geschwindigkeit, welche ziemlich fühlbar wurde, weil sie die des Windes übertraf.

Bald darauf schwebte der Aeronef über dem Staate Nevada und seinen silberführenden Gebieten, die nur die Sierra von den goldführenden Ländereien Californiens trennt.

»Wir können auf jeden Fall erwarten, San Francisco noch vor dem Abend zu sehen, sagte Phil Evans.

– Und dann?...« antwortete Onkel Prudent.

Es war jetzt um sechs Uhr Nachmittags, als die Sierra Nevada durch denselben Einschnitt von Truckie überschritten wurde, der auch der Bahn als Bergpaß dient. Von hier aus hatte man nur noch dreihundert Kilometer zurückzulegen, um, wenn nicht San Francisco, so doch mindestens Sacramento, die Hauptstadt von Californien, zu erreichen.

Die dem »Albatros« jetzt verliehene Geschwindigkeit war eine so große, daß noch vor acht Uhr die Kuppel des Capitols am westlichen Horizonte auftauchte, nur um bald wieder am entgegengesetzten zu verschwinden.

Eben jetzt zeigte sich Robur auf dem Verdeck. Die beiden Collegen gingen auf ihn zu.

»Ingenieur Robur, begann Onkel Prudent, wir befinden uns nun an den Grenzen Amerikas. Wir meinen, dieser Scherz könnte nun sein Ende finden.

– Ich scherze nie,« antwortete Robur.

Er gab ein Zeichen; der »Albatros« senkte sich schnell abwärts, doch gleichzeitig nahm er eine solche Schnelligkeit an, daß sich Alle in die Ruffs flüchten mußten.

Kaum hatte sich die Thür der Cabine hinter den beiden Collegen geschlossen, als Onkel Prudent rief:

»Nur noch etwas mehr und ich erwürge ihn!

– Wir müssen versuchen, zu entfliehen, rieth Phil Evans.

– Ja... es koste, was es wolle!«

Da klang ein langes Gemurmel bis zu ihnen herein.

Das war das Grollen des Meeres, das gegen die Küstenfelsen brandete. Es war der Pacifische Ocean.[91]

Quelle:
Jules Verne: Robur der Sieger. Bekannte und unbekannte Welten. Abenteuerliche Reisen von Julius Verne, Band L, Wien, Pest, Leipzig 1887, S. 78-92.
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