[101] Während acht Monate lang die Grubenarbeit vorgenommen wurde, waren zu gleicher Zeit die Vorarbeiten für den Guß äußerst rasch vorgeschritten; ein Fremder, der nach Stone's-Hill kam, wäre durch den Anblick, der sich seinen Blicken darbot, sehr überrascht worden.
Sechshundert Yards von dem Schacht entfernt, im Kreise um diesen Mittelpunkt, erhoben sich zwölfhundert Streichösen, jeder sechs Fuß breit und drei von einander entfernt. Es war eine Linie von zwei Meilen Länge, woran diese zwölfhundert Oefen gereiht waren. Alle nach dem nämlichen Muster mit viereckigen Rauchfängen erbaut, machten einen ganz besonderen Eindruck. J. T. Maston fand diese Anordnung prachtvoll. Sie erinnerte ihn an die Monumente Washington's. Für ihn gab's nichts Schöneres auf der Welt; selbst in Griechenland oder sonst irgendwo gab's nie etwas der Art, meinte er.
Wir erinnern uns, daß das Comité in der dritten Sitzung für die Columbiade Gußeisen, insbesondere graues, zu verwenden beschloß. Dieses Metall ist in der That zäher, dehnbarer, weicher, leichter zu feilen, für alle Verrichtungen des Formens geeigneter, und mit Steinkohlen behandelt von vorzüglicher Beschaffenheit für die Stücke großer Widerstandskraft, wie Kanonen, Dampfmaschinencylinder, hydraulische Pressen etc.
Aber das Gußeisen ist, wenn es nur einmal geschmolzen wird, selten[101] gleichartig genug, und man reinigt und läutert es durch ein zweites Schmelzen, indem man es seiner letzten erdigen Bestandtheile dadurch entledigt.
Daher wurde auch das Eisenerz, bevor man es nach Tampa-Town schaffte, in den Hochöfen zu Goldspring behandelt, und mit Steinkohlen und Kieselstoff in Berührung einem hohen Hitzgrade ausgesetzt, war es mit Kohlenstoff verbunden zu Gußeisen geworden. Nach dieser ersten Zubereitung wurde das Metall nach Stone's-Hill geschafft. Aber die Masse von hundertsechsunddreißig Millionen Pfund war für Beförderung durch Eisenbahn zu kostspielig; die Kosten wären durch den Transport auf's Doppelte gestiegen. Man zog daher vor, zu New-York Schiffe zu miethen, um sie mit dem Gußeisen in Barren zu befrachten. Es waren nicht weniger als achtundsechzig Fahrzeuge von tausend Tonnen erforderlich, eine wahre Flotte, die am dritten Mai aus den Gewässern von New-York auslief, den Ocean längs der amerikanischen Küste durchfuhr, durch den Kanal von Bahama um die Spitze von Florida wieder aufwärts am zehnten desselben Monats in der Bai Espiritu Santo ankam und ohne Schaden und Gefahr im Hafen von Tampa-Town ankerte. Hier wurde die Ladung der Schiffe in die Waggons der Bahn nach Stone's-Hill gebracht, und um die Mitte des Januar befand sich die enorme Masse Metall an ihrem Bestimmungsort.
Es ist leicht begreiflich, daß, um diese sechzigtausend Tonnen Eisen zu gleicher Zeit zu schmelzen, zwölfhundert Oefen nicht zuviel waren. Jeder dieser Schmelzöfen konnte etwa hundertundvierzehntausend Pfund dieses Metalls fassen; sie wurden nach dem Muster derjenigen erbaut, welche man beim Guß der Rodmans-Kanone gebraucht hatte; sie waren trapezförmig und sehr niedrig. Der Heizungsapparat und der Rauchfang befanden sich an den beiden Enden des Ofens, so daß dieser seiner ganzen Länge nach gleichmäßig geheizt war. Diese aus feuerfesten Ziegelsteinen erbauten Oefen bestanden lediglich aus einem Rost, um die Steinkohlen darauf zu brennen, und einem Heerd, »Sole«, worauf die Gußbarren gelegt wurden; diese unter einem Winkel von fünfundzwanzig Grad geneigte »Sole« ließ das Metall in die Auffangebecken abfließen; von da leiteten es zwölfhundert Rinnen dem Centralbecken zu.
Sobald die Grab- und Mauerarbeit beendigt war, schritt Barbicane zur Fertigung der inneren Gießform. Es handelte sich darum, im Mittelpunkt des Schachts seiner Achse entlang einen neunhundert Fuß langen und neun Fuß breiten Cylinder herzustellen, der genau den für die Seele der Columbiade[102] bestimmten Raum enthalten sollte. Der Cylinder wurde aus einer thonartigen Erde und Sand gefertigt, mit einer Beimischung von Heu oder Stroh. Der Zwischenraum, welcher zwischen dem Cylinder und dem aufgemauerten Mantel leer blieb, sollte mit dem geschmolzenen Metall ausgefüllt werden, welches demgemäß die sechs Fuß dicken Wände bilden sollte.
Dieser Cylinder mußte, um das Gleichgewicht zu halten, durch eiserne Beschläge zusammengehalten und in gewissen Entfernungen vermittelst Querstäben, die in der steinernen Umkleidung eingelassen wurden, befestigt werden; nach dem Guß mußten diese Querstäbe sich in der Masse des Metalls befinden, was keinen Nachtheil brachte.
Diese Arbeit wurde am 8. Juli fertig, und nun wurde der Guß auf den folgenden Tag festgesetzt.
– Der Guß wird ein hübsches Fest werden, sagte Maston zu seinem Freund Barbicane.
»Allerdings!« erwiderte dieser, »aber ein öffentliches Fest darf's nicht sein.«
– Wie so! Wollen Sie nicht die Pforten Jedem öffnen?
»Davor werd' ich mich hüten, Maston; der Guß der Columbiade ist eine bedenkliche, wo nicht gefährliche Sache, und es wird besser sein, daß man dabei die Thüren schließt. Beim Abschießen des Projectils, wenn man ein Fest will, meinetwegen, aber eher nicht!«
Der Präsident hatte Recht; es konnten sich bei der Vornahme des Gusses unvorhergesehene Gefahren ergeben, bei welchen eine große Menge von Zuschauern hinderlich gewesen wäre. Man mußte Freiheit der Bewegung haben.
Es wurde daher in den umschlossenen Raum Niemand zugelassen, außer Abgeordnete des Gun-Clubs, die nach Tampa-Town kamen. Da sah man den muntern Bilsby, Tom Hunter, den Obrist Blomsberry, den Major Elphiston, den General Morgan, und Alle, denen der Guß der Columbiade eine persönliche Angelegenheit wurde. Maston wurde ihr Cicerone; er verschonte sie mit keinem Detail, führte sie überall umher, in die Magazine, Werkstätten, mitten unter die Maschinen, ja sie mußten die zwölfhundert Schmelzöfen der Reihe nach alle besuchen. Bei dem zwölfhundertsten waren sie allerdings ein wenig erschöpft.
Der Guß sollte gerade um Mittag vorgenommen werden; Tags zuvor wurden in jeden Ofen hundertundvierzehntausend Pfund Metall in Barren geschafft und diese kreuzweise über einander gelegt, damit die heiße Luft frei[103] zwischen ihnen spielen konnte. Seit dem frühen Morgen spieen die zwölfhundert Essen ihre Feuerströme in die Lüfte, und der Boden war in dumpf zitternder Bewegung.
Es schmolz ja eine so ungeheure Menge Metall, glühte eine so ungeheure Masse Kohlen. Die achtundsechzigtausend Tonnen Kohlen mußten wohl einen dichten Vorhang schwarzen Rauchs vor die Sonnenscheibe ziehen.
In der Umgebung der Oefen, die mit dumpfem Getöse, das dem Rollen des Donners glich, weithin vernehmlich waren, wurde die Hitze bald unerträglich;[104] gewaltige Kühlmaschinen wehten beständig frische Luft zu, und sättigten alle glühenden Essen mit Sauerstoff.
Sollte der Guß gelingen, so mußte er rasch ausgeführt werden. Auf ein Signal mit einem Kanonenschuß mußte jeder Ofen die flüssige Masse frei lassen und sich gänzlich entleeren. Gemäß dieser Anordnungen warteten die Werkmeister und Arbeiter auf den bestimmten Moment mit unruhig gespannter Ungeduld. Es befand sich Niemand mehr im inneren Raum, und jeder Gießmeister auf seinem Posten bei den Abflußlöchern.[105]
Barbicane mit seinen Collegen wohnte auf einer nahen Erhöhung der Ausführung bei. Vor ihnen stand ein Geschützstück bereit, auf einen Wink des Ingenieurs das Zeichen zu geben.
Einige Minuten vor zwölf Uhr begannen die ersten Tröpfchen Metall zu fließen; die Becken füllten sich allmälig, und als der Guß völlig flüssig war, ließ man ihn einige Minuten ruhig stehen, um leichter fremdartige Theile daraus zu entfernen.
Schlag zwölf donnerte der Kanonenschuß und blitzte durch die Lüfte. Die zwölfhundert Abflußlöcher öffneten sich zu gleicher Zeit und zwölfhundert feurige Schlangen rieselten dem Schacht in der Mitte zu mit glühenden Ringen. Da stürzten sie, mit erschrecklichem Getöse, neunhundert Fuß tief hinab. Es war ein erhebender, prachtvoller Anblick. Der Boden erbebte, während diese Fluthen von Guß Rauchsäulen zum Himmel empor wirbelten, zugleich die Feuchtigkeit der Form verflüchtigend, welche als undurchdringlicher Dampf durch die Zuglöcher der Umkleidung hervorqualmte. Diese künstlichen Wolken wälzten ihre dichten Spiralsäulen bis dreitausend Fuß hoch zu dem Zenith empor. Mancher außerhalb des Gesichtskreises streifende Wilde mochte glauben, es bilde sich im Schooße Florida's ein neuer Krater, und doch war kein Vulkanausbruch, kein Wetterwirbel, kein Gewitter, noch sonst ein Ringen der Elemente, noch ein fürchterliches Naturereigniß, wie sie sich mitunter begeben! Nein! Lediglich Menschenwerk waren diese gerötheten Dampfwolken, diese eines Vulkans würdigen Riesenflammen, diese erdbebengleichen donnernden Erschütterungen, dieses stumme und gewittergleiche Dröhnen; seine Hand stürzte einen ganzen Niagara strömenden Metalls in einen selbstgegrabenen Abgrund.
Ausgewählte Ausgaben von
Von der Erde zum Mond
|
Buchempfehlung
Nach zwanzig Jahren Krieg mit Sparta treten die Athenerinnen unter Frührung Lysistrates in den sexuellen Generalstreik, um ihre kriegswütigen Männer endlich zur Räson bringen. Als Lampito die Damen von Sparta zu ebensolcher Verweigerung bringen kann, geht der Plan schließlich auf.
58 Seiten, 4.80 Euro
Buchempfehlung
Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Nach den erfolgreichen beiden ersten Bänden hat Michael Holzinger sieben weitere Meistererzählungen der Romantik zu einen dritten Band zusammengefasst.
456 Seiten, 16.80 Euro