[164] In der heutigen schlaflosen Nacht bin ich in Gedanken der kleinen Tonne gefolgt. Wie oft glaubte ich, sie an Felsen stoßen, in der Bucht nach dem Ufer treiben und in einem Einschnitte fest gehalten zu sehen. Vom Kopf bis zu den Füßen überrieselt mich ein kalter Schweiß... Endlich ist der Tunnel passiert, die Tonne schwimmt auf dem schmalen Wasserarme... die Ebbe trägt sie nach dem Meere hinaus. Gerechter Gott! Wenn die Fluth sie wieder nach dem Eingange verschlüge, sie ins Innre von Back-Cup trüge... wenn ich sie nach Tagesanbruch wieder sähe...[164]
Mit dem ersten Scheine des Morgenroths springe ich vom Lager und gehe nach dem Ufer...
Von da aus seh' ich mich um. Kein Gegenstand schwimmt auf der ruhigen Fläche der Lagune.
Im Laufe der nächsten Tage ist die Arbeit bezüglich des Durchbruchs eines Ganges unter den bekannten Verhältnissen fortgesetzt worden. Der Ingenieur Serkö sprengt die letzte Felsenwand am 23. September um vier nachmittags. Die Verbindung ist damit hergestellt; es ist nur ein enger, schlauchartiger Gang, worin man sich bücken muß, doch das genügt ja. An der Außenseite verliert sich seine Mündung inmitten des Felsengewirrs am Ufer und es würde leicht sein, ihn zu verschließen, wenn sich das nöthig machte.
Selbstverständlich wurde der Gang vom ersten Tage ab streng überwacht. Niemand durfte ihn ohne besondre Ermächtigung betreten, weder um in die Höhle hinein, noch um aus ihr hinaus zu gehen. Es ist also unmöglich, auf diesem Wege zu entfliehen.
Am 25. September. – Heute Morgen ist der Tug aus der Tiefe der Lagune wieder heraufgestiegen. Der Graf d'Artigas, der Kapitän Spade und die Mannschaft der Goelette erscheinen auf dem Hafendamme. Sofort beginnt das Ausladen der von der »Ebba« mitgebrachten Frachtstücke. Ich bemerke darunter verschiedne Ballen mit Proviant für Back-Cup, Kisten mit Fleisch und Conserven, Fässer mit Wein und Branntwein und außerdem mehrere für Thomas Roch bestimmte Colli. Gleichzeitig schaffen die Leute verschiedne Maschinentheile heraus, die etwa eine Discusform haben.
Thomas Roch sieht der Arbeit zu. Sein Auge leuchtet mit außergewöhnlichem Glanze. Er ergreift eines der Stücke, sieht es genau an und nickt als Zeichen der Befriedigung leicht mit dem Kopfe. Ich beobachte, daß sich seine Freude nicht durch unzusammenhängende Ausrufe äußert, daß er von dem frühern Pflegling des Healthful-House nichts mehr an sich hat. Ich muß mich wirklich fragen, ob der partielle Irrsinn, den man für unheilbar hielt, nicht einer vollkommenen Wiedergenesung gewichen ist.
Endlich besteigt Thomas Roch das zum Dienst auf der Lagune bestimmte Boot und der Ingenieur Serkö begleitet ihn nach seinem Laboratorium. Binnen einer Stunde ist die ganze Ladung des Tug nach dem jenseitigen Ufer geschafft.
Ker Karraje hat mit dem Ingenieur Serkö nur wenige Worte gewechselt. Im Laufe des Nachmittags haben sich dann beide getroffen und haben vor[165] Bee-Hive auf- und abgehend lange mit einander gesprochen. Nach dieser Unterhaltung begeben sie sich nach dem neueröffneten Gange und treten, begleitet von dem Kapitän Spade, hinein. O, warum kann ich mich ihnen nicht nachschleichen! Warum kann ich nicht, und wär es nur für einen Augenblick, die erquickende Seeluft genießen, von der Back-Cup nur sozusagen die erschöpften letzten Hauche erhält!
Vom 26. September bis zum 10. October. – Wieder sind vierzehn Tage vergangen. Unter Leitung des Ingenieur Serkö und Thomas Roch's ist an der Zusammenstellung der Maschinentheile gearbeitet worden. Dann folgt die Montage der Träger für den Fulgurator. Es sind das einfache Böcke mit Rinnen, die beliebig zu neigen und an Bord der »Ebba«, selbst auf der Plattform des an der Oberfläche gehaltnen Tug, leicht aufzustellen sein müssen.
Ker Karraje wird also blos mit seiner Goelette der Herr der Meere sein!... Kein Kriegsschiff wird die Gefahrenzone durchmessen können, während sich die Goelette völlig außer Schußweite hält!... Ach, wenn nur meine Mittheilung aufgefunden worden ist... wenn dieser Schlupfwinkel auf Back-Cup bekannt geworden wäre! Dann vermöchte man ihn schon, wenn nicht zu zerstören, so doch durch Verhinderung jeder Proviantzufuhr auszuhungern!
Am 20. October. – Zu meiner großen Verwunderung hab' ich den Tug heute früh nicht an seinem Platze gefunden. Ich erinnre mich. daß gestern Abend die Elemente seiner Batterien frisch gefüllt wurden, glaubte aber, daß das nur geschehe, um sie immer gebrauchsfertig zu halten.
Ist der Tug jetzt, wo der neue Weg gangbar ist, weggefahren, so muß es sich um eine Expedition in den Nachbargewässern handeln, denn auf Back-Cup fehlt nichts mehr an Maschinentheilen oder Rohstoffen, die Thomas Roch benöthigte.
Wir befinden uns jedoch jetzt in der Zeit nach der Tagundnachtgleiche. Das Meer um die Bermudas wird von häufigen Stürmen heimgesucht. Ost brausen Windstöße von erschreckender Wuth darüber hin. Das fühlt man an den starken Luftwirbeln, die sich im Krater von Back-Cup fangen, an den mit Regen gemischten Dunstmassen, die die große Höhle erfüllen, und auch an der Bewegung des Wassers der Lagune, von dem aus Nebelfetzen über die Felsen der Ufer flattern.
Ist es aber auch sicher, daß die Goelette die Bucht von Back-Cup verlassen hat?... Ist sie nicht von zu leichter Bauart, um – selbst mit Hilfe ihres Schleppers – so schwerem Seegange trotzen zu können?...[166]
Wie wäre aber andrerseits anzunehmen, daß der Tug, obwohl dieser nichts vom Wellenschlag zu fürchten hat, da er schon einige Meter unter der Meeresfläche ruhiges Wasser findet, eine Fahrt unternommen hätte, ohne die Goelette zu begleiten?
Ich weiß nicht, wie ich diese Abreise des unterseeischen Fahrzeugs deuten soll... einer Abreise, die sich länger auszudehnen scheint, denn es ist im Laufe des Tags nicht wieder erschienen.
Diesmal ist der Ingenieur Serkö auf Back-Cup zurückgeblieben. Nur Ker Karraje, der Kapitän Spade und die gewöhnlichen Mannschaften des Tug und der »Ebba« haben das Eiland verlassen.
Das Leben hier verläuft in der gewohnten, widerlichen Eintönigkeit inmitten dieser eingemauerten Colonie. Ich sitze oft stundenlang in meiner Zelle, grüble, hoffe, verzweifle, hefte mich durch ein, jeden Tag schwächer werdendes Band an die kleine, der Laune der Strömungen überlieferte Tonne und... befasse mich mit diesen Anmerkungen, die mich vielleicht nicht überleben werden
Thomas Roch ist in seinem Laboratorium, jedenfalls mit der Herstellung des Zünders, unablässig beschäftigt Ich klammre mich noch immer an den Gedanken, daß er das Geheimniß der hierzu gehörigen Flüssigkeit um keinen Preis verkaufen wolle... Ich weiß aber auch, daß er nicht zögern würde, Ker Karraje seine Erfindung zur Verfügung zu stellen.
Oefters wenn mich meine Spaziergänge in die Umgebung von Bee-Hive führen, begegne ich dem Ingenieur Serkö. Er zeigt sich stets zu einer, freilich im Tone impertinenten Sichgehenlassens geführten Unterhaltung mit mir bereit.
Wir sprechen von dem und jenem... selten von meiner Lage, über die zu klagen nutzlos ist, da mir das nur neue Spötteleien von ihm einbrächte.
Am 22. October. – Heute glaubte ich den Ingenieur Serkö fragen zu sollen, ob denn die Goelette mit dem Tug wieder in See gestochen sei.
»Ja wohl, Herr Simon Hart, bestätigt er mir, und wenn es draußen auch abscheulich, ein wahres Hundewetter ist, brauchen Sie doch für unsre liebe »Ebba« nichts zu fürchten.
– Wird ihre Abwesenheit länger dauern?
– Wir erwarten sie binnen achtundvierzig Stunden. Es ist die letzte Reise, die der Graf d'Artigas zu unternehmen sich entschloß, ehe die Winterstürme das Meer hier ganz unbefahrbar machen.[167]
– Eine Vergnügungs- oder eine Geschäftsreise?...« frage ich scheinbar nebenbei.
Der Ingenieur Serkö antwortet mir lächelnd:
»Eine Geschäftsreise, Herr Hart, eine Geschäftsreise! Zur Zeit sind unsre Maschinen und Apparate fertig und mit Wiedereintritt guter Wittrung brauchen wir nur die Offensive wieder zu ergreifen...
– Gegen unglückliche Schiffe...
– Gegen ebenso unglückliche... wie reich beladene Schiffe!
– Die reine Seeräuberei, rufe ich empört, für die Sie hoffentlich nicht immer straflos ausgehen werden!
– Beruhigen Sie sich, lieber College, beruhigen Sie sich! Sie wissen ja, daß niemand unsern Schlupfwinkel auf Back-Cup entdecken, daß kein Mensch dieses Geheimniß enthüllen wird. Mit so handlichen und mit furchtbarer Wirkung ausgestatteten Kriegsmaschinen würde es uns übrigens eine Kleinigkeit sein, jedes in einem gewissen Umkreise des Eilands auftauchende Schiff zu vernichten...
– Im Falle, daß Thomas Roch, wende ich dagegen ein, Ihnen die Zusammensetzung seines Zünders ebenso verkauft hat, wie seinen Fulgurator.
– Das ist geschehen, Herr Hart, ich kann Sie in dieser Hinsicht von jeder Besorgniß befreien...«
Aus dieser kategorischen Antwort hätte ich schließen müssen, daß das Unheil fertig sei, wenn ich nicht aus dem zögernden Tonfall der Stimme wiederum hätte herausfühlen können, daß man den Worten des Ingenieur Serkö nicht so unbedingt zu trauen brauchte.
Am 25. October. – O, das entsetzliche Abenteuer, in das ich gerissen wurde, und daß ich dabei mit dem Leben davongekommen bin!... Es ist ein reines Wunder, daß ich heute meine seit achtundvierzig Stunden unterbrochnen Aufzeichnungen fortsetzen kann!... Nur ein wenig mehr Glück und ich wäre befreit gewesen und befände mich jetzt in einem der Häfen der Bermudas, in Saint-Georges oder Hamilton. Die Geheimnisse Back-Cups wären an den Tag gekommen. Die allen Stationen gemeldete Goelette hätte sich in keinem Hafen mehr zeigen dürfen, die Verproviantierung von Back-Cup wäre unmöglich und die Banditenbande Ker Karraje's zum Hungertode verurtheilt gewesen!
In der Zwischenzeit hat sich nämlich folgendes ereignet:
Am 23. October gegen acht Uhr abends hatte ich meine Zelle in einem unerklärbar nervösen Zustande verlassen. Mir war's, als ahnte ich ein wichtiges[168] und nahe bevorstehendes Ereigniß. Vergeblich hatte ich im Schlafe Ruhe zu finden gesucht, doch da mir das nicht gelingen wollte, ging ich aus.
Außerhalb Back-Cups mußte entsetzliches Wetter sein. Durch den Krater brauste der Sturm herein und erregte selbst auf der Lagune hohe Wellen.
Ich wandte mich nach der Seite von Bee-Hive.
Hier befand sich zur Zeit niemand. Die Temperatur war sehr niedrig, die Atmosphäre feucht. Alle Drohnen des Bienenkorbs hatten sich tief in ihre Zellen zurückgezogen.[169]
Ein Mann bewachte nur die Oeffnung des Ganges, der aus übertriebner Vorsicht auch an seiner Mündung am Ufer verrammelt war. Von seinem Platze konnte der Wächter die niedern Theile des Lagunenufers nicht übersehen. Obendrein brannten nur zwei Lampen, an der rechten und der linken Seite des Ufers, so daß in dem Pfeilerwalde fast völlige Finsterniß herrschte.
So schritt ich durch das Dunkel hin, als jemand an mir vorüber kam.
Ich erkannte Thomas Roch.
Jetzt schien sich eine günstige Gelegenheit zu bieten, ihn anzusprechen, ihn über vieles aufzuklären, was ihm wahrscheinlich nicht bekannt war. Er weiß nicht... er kann es nicht wissen, in welche Hände er gefallen ist... kann keine Ahnung davon haben, daß sich unter dem Grafen d'Artigas der Seeräuber Ker Karraje verbirgt.... Er hat keinen Verdacht, welchem Banditen er einen Theil seiner Erfindung ausgeliefert hat.... Ich muß ihm sagen, daß er nie in den Genuß der ihm bezahlten Millionen gelangen, daß er ebensowenig wie ich aus diesem Gefängnisse auf Back-Cup der Freiheit wiedergegeben werden wird.... Ja, ich werde seine menschlichen Gefühle wachrufen, ihm das Unheil ausmalen, für das ihm die Verantwortlichkeit zufällt, wenn er seine Geheimnisse nicht für sich behält....
Bis dahin war ich mit meinen Gedanken gekommen, als ich mich plötzlich von hinten gepackt fühlte.
Zwei Männer hielten mich an den Armen, ein dritter trat vor mich hin.
Ich wollte um Hilfe rufen.
»Keinen Laut! raunte mir der Mann englisch zu. Sind Sie nicht Simon Hart?
– Woher wissen Sie das?
– Ich sah Sie aus Ihrer Zelle herauskommen.
– Wer sind Sie denn?
– Der Lieutenant Davon, von der britischen Flotte, an Bord des »Standard« von der Station an den Bermudas-Inseln.«
Es war mir unmöglich zu antworten, so beklemmte mich eine plötzliche Aufregung.
»Wir kommen, um Sie den Händen Ker Karraje's zu entreißen und mit Ihnen den französischen Erfinder Thomas Roch wegzuführen, setzte der Lieutenant Davon hinzu.
– Thomas Roch...? stammelte ich.[170]
– Ja; das mit Ihrem Namen unterzeichnete Schriftstück ist am Strande von Saint-Georges aufgefunden worden.
– In einem Tönnchen, Lieutenant Davon, einem Tönnchen, das ich ins Wasser dieser Lagune geworfen hatte...
– Und das die Mittheilung enthielt, durch die wir erfuhren, daß das Eiland von Back-Cup dem Ker Karraje und seiner Bande als Schlupfwinkel diente... dem Ker Karraje, jenem falschen Grafen d'Artigas, dem Urheber der zweifachen Entführung aus dem Healthful-House...
– Ah, Herr Lieutenant...
– Jetzt ist kein Augenblick zu verlieren. Wir müssen uns die Dunkelheit zunutze machen...
– Nur ein Wort, Lieutenant Davon! Wie haben Sie ins Innre von Back-Cup gelangen können?
– Mittels des unterseechen Bootes »Sword«, das schon seit sechs Monaten bei Saint-Georges Uebungsfahrten macht.
– Ein unterseeisches Boot?
– Ja, es erwartet uns hier am Felsenrande.
– Da...? ... Da? wiederholte ich.
– Wo ist der Tug Ker Karraje's, Herr Hart?
– Seit drei Wochen weggefahren.
– Ker Karraje weilt nicht auf Back-Cup?...
– Nein, doch wir sehen täglich, ja stündlich, seiner Rückkehr entgegen.
– Einerlei! antwortete der Lieutenant Davon. Es handelt sich jetzt nicht um Ker Karraje; wir haben nur Befehl, Thomas Roch zu entführen, und zwar mit Ihnen, Herr Hart. Der »Sword« wird diese Lagune nicht eher verlassen, als bis wir Sie Beide an Bord haben! Kehrte er überhaupt nicht wieder nach Saint-Georges zurück, so bedeutet das ein Scheitern meiner Mission, und man wird einen weiteren Versuch machen...
– Wo liegt der »Sword«, Herr Lieutenant?
– Hier an dieser Seite... im Schatten des Ufers, wo ihn niemand wahrnehmen kann. Dank Ihren Angaben haben wir, meine Leute und ich, den Eingang zu dem Unterwassertunnel gefunden. Der »Sword« ist glücklich hindurch gekommen und erst seit zehn Minuten zur Oberfläche der Lagune aufgestiegen Zwei meiner Leute haben mich ans Ufer begleitet. Ich sah Sie aus der, auf Ihrem Plane angegebenen Zelle treten. Wissen Sie, wo Thomas Roch jetzt ist?[171]
– Nur wenige Schritte von hier. Er kam eben erst vorüber und begab sich nach seinem Laboratorium zu.
– Gott sei gelobt, Herr Hart!
– Ja und Amen, Lieutenant Davon!«
Der Lieutenant, seine beiden Begleiter und ich schlugen nun den um die Lagune führenden Fußweg ein. Kaum zehn Meter weit hingekommen, gewahrte ich Thomas Roch. Sich auf ihn stürzen, ihm den Mund verschließen, so daß er nicht schreien konnte, ihn fesseln, so daß er sich nicht zu rühren vermochte, und ihn nach der Stelle zu bringen, wo der »Sword« leicht vertäut lag – das vollzog sich alles in weniger als einer Minute.
Dieser »Sword« war ein versenkbares Boot von etwa zwölf Tonnen, er war also an Größenmaß und Mächtigkeit dem Tug entschieden unterlegen. Zwei von Accumulatoren gespeiste Dynamos – die Accumulatoren hatte man in Saint-Georges erst zwölf Stunden vorher frisch geladen – übertrugen ihre Bewegung auf seine Schraube. Doch, wie er auch war, der »Sword« mußte hinreichen, uns aus unserm Kerker zu entführen, der Freiheit wiederzugeben... jener Freiheit, an die ich zu glauben fast schon verlernt hatte! Endlich sollte Thomas Roch den Händen Ker Karraje's und des Ingenieur Serkö entrissen werden...
Die Schurken sollten seine Erfindung nicht ausnützen können. Kein Hinderniß würde es Schiffen verwehren, sich dem Eiland zu nähern, Mannschaften ans Land zu setzen, den Gang durch die Felswand zu stürmen und sich der Seeräuber zu bemächtigen....
Wir waren niemand begegnet, als die beiden Männer Thomas Roch forttrugen. Bald stiegen wir alle ins Innre des »Sword«... die Luke oben wurde geschlossen... die Behälter füllten sich mit Wasser... der »Sword« tauchte unter... wir waren gerettet...
Der in drei Abtheilungen mit wasserdichten Zwischenwänden getrennte »Sword« hat folgende Einrichtung: Die erste Abtheilung mit den Accumulatoren und der Maschinerie reichte vom Hauptquerbaume bis zum Hintertheile. Die zweite, die des Steuermanns, nahm die Mitte des Fahrzeugs ein und war von einem Periskop mit Linsengläsern überragt, von dem die Strahlen eines elektrischen Lichts ausströmten, das die Führung unter der Oberfläche ermöglichte. Die dritte Abtheilung befand sich im Vordertheile, und hier waren Thomas Roch und ich untergebracht worden.[172]
Es versteht sich von selbst, daß mein Gefährte, wenn man auch seinen, ihm fast den Athem raubenden Mundknebel entfernt hatte, doch gefesselt blieb, und es ist mir unklar, ob er wußte, was jetzt mit ihm vorging.
Wir hatten es indeß eilig, abzufahren, in der Hoffnung, Saint-Georges noch heute Nacht zu erreichen, wenn uns kein Hinderniß aufhielt.
Ich öffnete wieder die Thür unsrer Abtheilung und sachte in der nächsten den Lieutenant Davon auf, der sich in der Nähe des Mannes am Steuer hielt.
In der letzten Abtheilung harrten noch drei andre Männer, darunter der Maschinist, der Befehle des Lieutenants, um den Antriebsmechanismus auszulösen.
»Herr Lieutenant, begann ich, ich denke, wir können Thomas Roch unbesorgt sich allein überlassen. Vielleicht kann ich Ihnen hier in der Aufsuchung des Tunnels nützlicher sein.
– Ja, bleiben Sie bei mir, Herr Hart.«
Es war jetzt genau um acht Uhr siebenunddreißig Minuten. Die durch das Periskop dringenden elektrischen Strahlen beleuchteten die Wasserschichten, worin der »Sword« sich hielt, mit fahlem Scheine. Von der Uferstelle aus, wo er gelegen hatte, mußte die Lagune in ihrer ganzen Länge durchmessen werden. Die Mündung des Tunnels zu finden, das bot zwar eine gewisse, doch keine unüberwindliche Schwierigkeit. Wenn wir längs des Ufers hinfuhren, mußte dieselbe in verhältnißmäßig kurzer Zeit entdeckt werden Hatte der »Sword« dann den Tunnel mit mäßiger Geschwindigkeit – um nicht gegen dessen Wände zu stoßen – passiert, so sollte er zur Meeresoberfläche aufsteigen, und nach Saint-Georges steuern.
»Wie tief im Wasser befinden wir uns? fragte ich den Lieutenant.
– Vierundeinhalb Meter.
– Es ist unnöthig, weiter hinab zu gehen, antwortete ich. Nach meiner Beobachtung bei der letzten Ebbe der Tagundnachtgleiche müssen wir uns in der Achse des Tunnels befinden.
– All right!« erwiderte der Lieutenant.
Ja, All right! Mir schien es, als ob die Vorsehung durch den Mund des Officiers diese Worte spräche. Jedenfalls hätte sie keinen Bessern zur Ausführung ihres Willens erwählen können.
Ich betrachtete mir den Lieutenant bei dem Scheine des Schiffslichts. Er ist ein Mann von dreißig Jahren, kühl, phlegmatisch, von entschlossenem Ausdruck –[173] der englische Officier mit all seinem angebornen Gleichmuth – nicht erregter, als wenn er sich an Bord des »Standard« befunden hätte, so kaltblütig, ich möchte sagen, mit der Präcision einer Maschine, leitete er hier die nöthigen Manöver.
»Bei der Fahrt durch den Tunnel, sagte er zu mir, hab' ich dessen Länge auf vierzig Meter geschätzt.
– Ganz richtig, von einem Ende zum andern, Lieutenant Davon... vierzig Meter.«
Diese Zahl mußte wohl zutreffen, da der enge Gang im Niveau des Ufers nur etwa dreißig Meter maß.
Der Maschinist erhielt nun Befehl, die Schraube arbeiten zu lassen. Der »Sword« glitt, um einen Zusammenstoß mit dem felsigen Ufer zu vermeiden, nur sehr langsam vorwärts.
Zuweilen kam er diesem doch so nahe, daß die Strahlen des elektrischen Lichts den Schatten von vorspringenden dunkeln Massen erkennen ließen. Dann änderte eine Drehung des Steuerrads die Richtung des Fahrzeugs. Wenn die Führung eines unterseeischen Schiffes aber schon auf offnem Meere ihre Schwierigkeiten hat, um wieviel mehr unter der Oberfläche dieser Lagune!
Nach einer Fahrt von fünf Minuten hat der »Sword«, der immer in der Tiefe von vier bis fünf Metern gehalten wird, die Tunnelmündung noch nicht erreicht.
In diesem Augenblicke sag' ich:
»Lieutenant Davon, vielleicht wäre es rathsam, erst noch einmal aufzutauchen, um die Wand, worunter der Tunnel liegt, besser erkennen zu können.
– Das ist auch meine Ansicht, Herr Hart, und wenn Sie diese genau zu bestimmen wissen...
– Das kann ich.
– Gut.«
Aus Vorsicht wurde der Strom für die Lampe abgestellt und das Wasser lag wieder in tiefem Dunkel. Auf erhaltnen Befehl setzte der Maschinist die Pumpen in Thätigkeit, und mehr und mehr entlastet stieg der »Sword« wieder langsam zur Oberfläche der Lagune auf.
Ich blieb an meinem Platze, um durch die Linsen des Periskops die Umgebung genau übersehen zu können.
Schließlich hielt der »Sword« in seinem Aufstieg an, als er höchsten einen Fuß herausragte.[174]
Jetzt erkannte ich mit Hilfe der Lampe auf dem Ufer die Wand von Bee-Hive.
»Nun, was sagen Sie? fragte der Lieutenant Davon.
– Wir treiben zu weit im Norden... die Mündung liegt an der Westseite der Höhle.
– Auf den Ufern ist niemand?
– Kein Mensch.
– Das trifft sich gut, Herr Hart, so können wir an der Oberfläche hinfahren. Erst wenn der »Sword« sich, Ihrer Angabe nach, vor der richtigen Wandstelle befindet, lassen wir ihn wieder tauchen.«
Das war gewiß das beste. Der Steuermann brachte sofort den »Sword« in gleiche Lage mit der Tunnelachse, nachdem er ihn etwas vom Ufer entfernt hatte, dem er zu nahe gekommen war. Das Steuer wurde richtig umgelegt, und von seiner Schraube ruhig getrieben, drehte sich der »Sword« bis zur erwünschten Richtung.
Als wir bis auf zehn Meter an die Wand herangekommen waren, ließ ich stoppen. Mit der Unterbrechung des Stroms lag der »Sword« auch schon still, öffnete seine Einlaßhähne, füllte seine Behälter mit Wasser und sank langsam hinab.
Jetzt wurde die Leuchte des Periskops wieder in Thätigkeit gesetzt, und während ich an dem dunkeln Theile der Wand nach einem ganz schwarzen Kreise wies, der die Lichtstrahlen gar nicht zurückwarf, rief ich:
»Dort... dort... der Tunnel!«
War das nicht das Thor, durch das ich aus diesem Kerker entfliehen sollte?... War es nicht die Freiheit, die mir draußen winkte?
Der »Sword« bewegte sich langsam nach der Mündung hin...
Ach... entsetzliches Mißgeschick! Wie hab' ich diesen Schlag überleben können?... Wie kam es, daß mein Herz dabei nicht brach?
Ein fahler Lichtschein verbreitete sich, kaum zwanzig Meter vor uns, in der Tiefe des Tunnels. Das auf uns zukommende Licht konnte kein andres sein, als das vom Scheinwerfer des Look-out des unterseeischen Schiffes Ker Karraje's.
»Der Tug! rief ich erschreckt. Lieutenant, da ist der Tug, der nach Back-Cup zurückkehrt!
Die Maschine rückwärts!« befahl der Lieutenant Davon.[175]
Und der »Sword« wich in dem Augenblick zurück, wo er in den Tunnel einfahren wollte.
Vielleicht blieb uns noch eine Aussicht zu entkommen, denn mit schneller Hand hatte der Lieutenant unsre Leuchte gelöscht und es war immerhin möglich, daß weder der Kapitän Spade, noch einer von seinen Leuten, den »Sword« bemerkt hatte. Wenn letzterer auswich, konnte der Tug vielleicht ungehindert vorüberfahren. Vielleicht blieb seine dunkle Masse in den tiefern Wasserschichten der Lagune unsichtbar und der Tug glitt vorbei, ohne Unheil zu merken. Wenn[176] dieser dann wieder auf seinem Ankerplatze lag, konnte der »Sword« abfahren und durch die Mündung gleiten...
Bei der Gegendrehung seiner Schraube entfernte sich der »Sword« nach der Südseite zu. Nur noch wenige Augenblicke und er konnte stoppen...
Doch nein!... Der Kapitän Spade hatte die Anwesenheit eines unterseeischen Bootes erspäht, das durch den Tunnel steuern wollte, und er traf Anstalt, es in die Lagune zu verfolgen. Was vermochte unser schwaches Boot, wenn es von dem mächtigen Fahrzeuge Ker Karraje's angegriffen wurde?
[177] Da sagte der Lieutenant Davon zu mir:
»Begeben Sie sich wieder in die Abtheilung, wo Thomas Roch liegt, Herr Hart. Schließen Sie die Thür, während ich die der hintern Abtheilung zumache. Werden wir angerannt, so ist es möglich, daß sich der »Sword«, Dank seinen wasserdichten Schotten, schwimmend erhält.«
Nachdem ich dem Lieutenant, der sein kaltes Blut auch angesichts dieser schweren Gefahr nicht verleugnete, die Hand gedrückt hatte, ging ich nach der vordern Abtheilung zu Thomas Roch. Sorgsam schloß ich die Thür und wartete nun in tiefster Finsterniß der Dinge, die da kommen sollten.
Da fühlte ich bald die Manöver, die der »Sword« ausführte, um dem Tug zu entgehen, wie er seitwärts auswich, sich drehte und untertauchte. Bald schoß er rasch bei Seite, um einem Stoße zu entgehen, bald stieg er zur Oberfläche hinauf oder sank bis zum Grunde der Lagune hinab. Wer könnte sich den Kampf der beiden Fahrzeuge unter dem wogenden Wasser ausmalen, die wie zwei Seeungeheuer von ungleicher Kraft hin und her stürmten?
Einige Minuten verflossen... Ich fragte mich, ob die Verfolgung nicht eingestellt sei und der »Sword« endlich habe den Tunnel erreichen können.
Da erfolgte eine Collision... Der Stoß schien mir sehr heftig gewesen zu sein. Ich konnte mich aber keiner Täuschung hingeben, der »Sword« war es, den der Stoß an seiner Steuerbordseite getroffen hatte. Vielleicht hatte sein stählerner Rumpf noch widerstanden, oder im andern Falle war Wasser nur in eine seiner Abtheilungen eingedrungen...
Fast sofort warf ein zweiter, diesmal sehr heftiger Stoß den »Sword« rückwärts. Es schien, als würde er vom Rammsporn des Tug emporgehoben, so daß er umschlug. Dann fühlte ich, wie er sich, das Vordertheil oben, aufrichtete und durch die zu große Last des Wassers, das die hintere Abtheilung erfüllen mochte, senkrecht versank...
Ungestüm wurden wir, Thomas Roch und ich, ohne an den Wänden einen Halt gewinnen zu können, übereinander geschleudert. Endlich, nach einem letzten Stoße, der vom Geräusche zerreißender Eisenplatten begleitet war, streifte der »Sword« den Grund und blieb unbeweglich liegen.
Was von dieser Minute an geschehen ist, weiß ich nicht, da ich das Bewußtsein verloren hatte. Später hab' ich erfahren, daß meine Lage lange Stunden hindurch unverändert geblieben war. Ich entsinne mich nur, daß mein letzter Gedanke der gewesen war:[178]
»Wenn ich sterbe, so sterben Thomas Roch und sein Geheimniß mit mir... und die Piraten von Back-Cup werden ihrer längst verdienten Strafe nicht entgehen!«
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