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[174] Das Programm. – Feier des Sonntags. – Schneeballwerfen. – Doniphan und Briant. – Strenge Kälte. – Das Brennmaterial. – Ausflug nach den Traps-woods. – Nach der Sloughi-Bai. – Robben und Fettgänse. – Eine öffentliche Züchtigung.
Vom Mai ab war der Winter endgiltig in der Umgebung der Insel Chairman eingezogen. Welche Dauer würde derselbe haben? Mindestens fünf Monate, wenn die Insel in ebenso hoher Breite wie Neuseeland lag Gordon traf also[174] alle Vorsichtsmaßregeln, um gegen die schlimmen Zufälligkeiten eines langen Winters geschützt zu sein.
Der junge Amerikaner hatte unter seinen meteorologischen Beobachtungen folgendes verzeichnet: Der Winter hatte erst mit dem Monat Mai angefangen, d. h. zwei Monate vor dem Juli der südlichen Erdhälfte, der dem Januar der nördlichen entspricht. Daraus war zu schließen, daß er zwei Monate nach diesem, also im September zu Ende gehen würde. Doch auch nach dieser Periode hatte man noch mit den Stürmen zu rechnen, welche zur Zeit der Tagundnachtgleiche so häufig sind Es war ja auch möglich, daß die jungen Colonisten bis zum October auf French-den beschränkt blieben, ohne einen weiteren Ausflug über oder um die Insel Chairman unternehmen zu können.
Um auch für das Leben im Innern der Wohnung eine gewisse Ordnung zu sichern, unterzog sich Gordon der Entwerfung eines Programms für die täglichen Beschäftigungen.
Es versteht sich von selbst, daß die Ausschreitungen des Fuchswesens, von denen wir schon bei der Schilderung der Pension Chairman sprachen, auf der Insel dieses Namens nicht zur Einführung gelangten. Alle Bemühungen Gordon's zielten nur dahin, die jüngeren Knaben an den Gedanken zu gewöhnen, daß sie fast Männer wären, um als solche handeln zu lernen. »Füchse« gab es also in French-den nicht, das heißt, die Kleinen sollten nicht verpflichtet sein, die Größeren zu bedienen. Sonst aber beobachtete man alle Ueberlieferungen, welche nach der Bemerkung des Verfassers vom »Collegienleben in England«, die »vis major (höhere Gewalt) der englischen Schulen« vertreten.
In diesem Programm erschienen der Antheil der Kleinen und der der Großen sehr ungleich. Da die Bibliothek von French-den außer Reisebeschreibungen nur eine geringe Anzahl Bücher enthielt, so konnten die letzteren ihre Studien nur in beschränktem Maße fortsetzen. Die Schwierigkeit ihrer Existenz, der Kampf für Beschaffung der nothwendigsten Bedürfnisse, der Zwang, Urtheil und Erfindungsgabe gegen über Zufälligkeiten aller Art zu üben, mußte sie freilich lehren, den Ernst des Lebens kennen zu lernen. Da sie nun von Natur zu Erziehern der Kleinen bestimmt schienen, mußten sie das wohl als eine Pflicht betrachten, der sie sich zu fügen hatten.
Weit davon entfernt aber, die Kleinen durch geistige Anstrengung zu überlasten, sollte vorzüglich auch darauf Rücksicht genommen werden, mit ihnen körperliche Uebungen ebenso zu treiben, wie für ihre geistige Ausbildung zu sorgen.[175]
Wenn die Witterung es erlaubte, sollten diese, vorausgesetzt, daß sie warme Kleider trugen, angehalten werden, sich in der freien Luft zu bewegen und nach Maßgabe ihrer Kräfte selbst mitzuarbeiten.
Alles in Allem wurde dieses Programm nach den in der angelsächsischen Erziehungsmethode geltenden Grundsätzen entworfen, nämlich:
1. Allemal, wenn eine Sache dich erschreckt, thue sie.
2. Versäume niemals die Gelegenheit zu einer für dich irgend zu überwindenden Anstrengung.[176]
3. Verachte keine Mühe, denn das wird nie unnütz sein
Durch Uebertragung dieser Vorschriften in das praktische Leben erstarken Leib und Seele gleichmäßig.
Man kam also unter Zustimmung der kleinen Colonie über Folgendes überein:
Zwei Stunden des Vormittags und zwei des Nachmittags sollten allgemeinen Arbeiten in der Halle gewidmet sein Abwechselnd sollten Briant, Doniphan, Croß und Baxter aus der fünften und Wilcox und Webb aus der vierten[177] Abtheilung des Pensionats ihren Genossen aus der dritten, zweiten und ersten Abtheilung Unterricht ertheilen, und sie mit Mathematik, Erdbeschreibung und Geschichte beschäftigen, wobei einzelne Bücher der Bibliothek, so wie ihre früheren Kenntnisse sie unterstützen sollten.
Das bildete für sie mit eine Gelegenheit, nicht zu vergessen, was sie schon wußten. Zweimal in der Woche, nämlich Sonntags und Mittwochs, sollte eine Art allgemeine Versammlung abgehalten, das heißt, ein wissenschaftliches Thema entweder aus der Geschichte oder aus der Jetztzeit frei besprochen werden. Die Großen hatten sich dann dafür oder dagegen um's Wort zu melden und sollten ebenso zur eigenen Ausbildung wie zur allgemeinen Unterhaltung über den gewählten Gegenstand discutiren.
Gordon, in seiner Eigenschaft als Oberhaupt der Colonie, hatte darüber zu wachen, daß dieses Programm streng eingehalten wurde und nur unter ganz besonderen Umständen eine Abänderung erlitt.
Zuerst wurde eine Maßregel getroffen, welche die Bestimmung der Zeit betraf. Man besaß wohl den Kalender vom »Sloughi«, in diesem aber mußte jeder verflossene Tag allemal gestrichen werden; man hatte auch Uhren vom Schiff her, diese mußten aber regelmäßig aufgezogen werden, um die genaue Zeit zu zeigen.
Zwei der größeren Knaben wurden mit dieser Aufgabe betraut, Wilcox für die Uhren und Baxter für den Kalender; auf die Zuverlässigkeit Beider konnte man gewiß rechnen. Was das Barometer und das Thermometer anging, so fiel Webb die Verpflichtung zu, die täglichen Angaben derselben abzulesen und aufzuzeichnen.
Ein weiterer Beschluß ging dahin, ein Tagebuch über Alles zu führen, was sich bisher auf der Insel Chairman zugetragen oder was noch geschehen sollte Baxter erbot sich zu dieser Arbeit, und Dank seiner pünktlichen Gewissenhaftigkeit wurde das »Journal von French-den« mit großer Genauigkeit geführt.
Eine nicht minder wichtige Angelegenheit, welche auch keinen ferneren Aufschub zuließ, betraf die Reinigung der Leib- und Bettwäsche, wozu es an Seife glücklicher Weise nicht fehlte, und Gott weiß, daß die Kleinen sich trotz aller Ermahnungen Gordon's doch stets beschmutzten, wenn sie auf der Sport-terrace spielten oder am Ufer des Rio angelten. Wieviel hatten sie hierfür schon Vorwürfe und selbst Strafe bekommen! Das Waschen war nun eine Thätigkeit, auf welche Moko sich aus dem Grunde verstand. Er allein wäre damit freilich nicht fertig geworden, und trotz ihres Widerwillens gegen diese Arbeit mußten die Großen[178] sich entschließen, ihm zu Hilfe zu kommen, um den Wäschebestand von French-den in gutem Zustande zu erhalten.
Der nächste Tag war gerade Sonntag, und man weiß ja, mit welch' außerordentlicher Strenge dieser Tag in England und Amerika gefeiert wird. In den Städten, Flecken und Dörfern ist das Leben wie ausgestorben. »An diesem Tage – hat man mit Recht gesagt – ist jede Zerstreuung, jede Belustigung durch die Gewohnheit verboten. Man muß sich nicht allein langweilen, sondern muß auch ein gelangweiltes Aussehen zeigen, und diese Regel gilt für Kinder ebenso streng, wie für Erwachsene!« Die Ueberlieferungen! Immer die berühmten Ueberlieferungen!
Auf der Insel Chairman kam man jedoch dahin überein, nach dieser Seite die Zügel etwas lockerer zu lassen, und an jenem Sonntage gestatteten sich die jungen Colonisten einen Ausflug nach den Gestaden des Family-lake. Da es indessen außergewöhnlich kalt war, freuten sich Alle nach zweistündigem Spaziergange, der mit einem Schnelllaufe, an welchem die Kleinen wenigstens auf der Sport-terrace theilnahmen, geschlossen wurde, nicht wenig, in der Halle eine behagliche Temperatur und im Stoore-room ein warmes Essen vorräthig zu finden, das von dem geschickten Oberkoch von French-den mit besonderer Sorgfalt zubereitet war.
Der Abend endigte mit einem Concert, bei dem die Ziehharmonika Garnett's die Stelle des Orchesters vertrat, während die Anderen mit echt angelsächsischer Ueberzeugungstreue mehr oder weniger falsch dazu sangen. Der einzige unter diesen Kindern, der eine recht hübsche Stimme besaß, war Jacques; bei seiner unerklärlichen Art des Benehmens aber nahm er an den Zerstreuungen seiner Kameraden keinen Antheil und schlug es trotz wiederholter Bitte ab, bei dieser Gelegenheit eines der reizenden Kinderlieder zum Besten zu geben, mit welchen er in der Pension Chairman stets so freigebig gewesen war.
Dieser Sonntag, der mit einer kurzen Ansprache »Seiner Hochwürden des Herrn Gordon«, wie Service sagte, angefangen wurde, wurde durch ein gemeinschaftliches Gebet beschlossen. Gegen zehn Uhr lag dann Alles in tiefem Schlafe, und nur Phann, auf den man sich ja bezüglich jeder irgend verdächtigen Annäherung verlassen konnte, bewachte die ganze Gesellschaft.
Im Laufe des Juni nahm die Kälte immer mehr zu. Webb bestätigte, daß das Barometer im Mittel über siebenundzwanzig Zoll hoch stand, während das hunderttheilige Thermometer zehn bis zwölf Grad unter dem Gefrierpunkte zeigte.[179]
Wenn der meist aus Süden wehende Wind mehr nach Westen umging, erhob sich die Temperatur ein wenig, und die Umgebung von French-den bedeckte sich dann mit tiefem Schnee. Die jugendlichen Ansiedler lieferten sich auch einige Kämpfe mit mehr oder weniger festen Schneeballen, wie das in England Sitte ist, und eines Tages kam dabei gerade Jacques am schlechtesten weg, obwohl er dem übermüthigen Spiele nur als Zuschauer beiwohnte. Ein von Croß recht kräftig geschleuderter Schneeball traf ihn, nach dem er gar nicht gezielt war, ganz empfindlich und entlockte dem Knaben einen lauten Schmerzensschrei.
»Ich habe es nicht mit Absicht gethan, sagte Croß – die gewöhnliche Entschuldigung für alle Ungeschicklichkeiten.
– Gewiß nicht, antwortete Briant, den der Schrei seines Bruders nach dem Schlachtfelde gelockt hatte. Immerhin thust du Unrecht daran, so stark zu werfen.
– Warum stand Jacques auch so nahe, da er ja doch nicht mitspielen wollte? erwiderte Croß.
– Ist das ein Umstand, mischte sich Doniphan ein, und wegen eines ungezogenen Jungen!
– Zugegeben, die Sache hat nicht eben viel zu bedeuten, entgegnete Briant, es wohl empfindend, daß Doniphan nur eine Handhabe suche, sich wieder einmal an ihm zu reiben, ich wollte Croß nur ersuchen, es nicht wieder zu thun.
– Und was ist's denn so Schlimmes?... fuhr Doniphan höhnisch fort; er hat's ja nicht einmal mit Absicht gethan...
– Ich weiß nicht, Doniphan, warum Du Dich in eine Sache mengst, welche doch nur Croß und mich angeht...
– Mich geht es ebenso gut an, Briant, da Du einen solchen Ton anschlägst, antwortete Doniphan.
– Wie Du willst... und wann du willst! versetzte Briant, der schon die Arme gekreuzt hatte.
– Auf der Stelle!« rief Doniphan.
Da trat, und recht zur gelegenen Zeit, Gordon noch dazu, um zu verhindern, daß dieser Streit in eine regelrechte Boxerei auslaufe. Er gab übrigens Doniphan Unrecht.
Dieser mußte nachgeben und zog sich grollend nach French-den zurück; es blieb aber immer noch zu fürchten, daß die beiden Rivalen bei der ersten besten Gelegenheit doch aneinander geriethen.[180]
Achtundvierzig Stunden lang hielt der Schneefall unausgesetzt an. Zur Unterhaltung der Kleinen bauten Service und Garnett einen großen Schneemann auf; eine Gestalt mit großem Kopfe, ungeheurer Nase und weit gähnendem Munde – so etwas wie einen richtigen Knecht Rupprecht. Wenn es Dole und Costar nun auch wagten, bei Tageslicht diesen mit Schneeballen zu bombardiren, so betrachteten sie ihn doch mit einer gewissen Scheu, wenn die Dunkelheit seine Verhältnisse ins Ungeheuerliche vergrößerte
»O, diese Prahlhänse!« riefen dann Iverson und Jenkins, welche die muthigen Ritter spielten, obwohl es ihnen nicht viel besser zu Muthe war, als ihren kleinen Kameraden.
Gegen Ende des Juni mußte man auf derlei Belustigungen verzichten. Drei bis vier Fuß dick liegender Schnee machte das Gehen darüber gar zu beschwerlich, und wer sich nur wenige hundert Schritte von French-den hinausgewagt hätte, der wäre Gefahr gelaufen, nicht wieder zurückkehren zu können.
Die jungen Colonisten blieben also volle vierzehn Tage – bis zum neunten Juli – auf das Haus beschränkt, was ihren Studien eher förderlich als hinderlich war. Das tägliche Programm wurde streng eingehalten, und auch die »allgemeine Versammlung« an den dazu bestimmten Tagen jedesmal einberufen. Das gewährte Allen ein großes Vergnügen, und es darf nicht Wunder nehmen, daß Doniphan mit seiner Redegewandtheit und schon weiter vorgeschrittenen Ausbildung gewöhnlich die erste Rolle dabei spielte. Warum trug er nur immer solchen Stolz zur Schau? Dieser Hochmuth verdunkelte wieder selbst die besten Seiten des Knaben.
Obwohl die Erholungsstunden jetzt nur in der Halle verbracht werden konnten, so litt doch, Dank dem reichlichen, durch den Verbindungsgang von einem Zimmer zum anderen stattfindenden Luftwechsel, die allgemeine Gesundheit keineswegs. Die hochwichtige Frage der Gesunderhaltung der Mitglieder ihrer kleinen Colonie schwebte ihnen immer vor Augen. Wie hätte man einem etwa erkrankenden Kinde hier auch die nöthige Pflege und Sorgfalt zutheil werden lassen können? Zum Glück kam in dieser Hinsicht nichts weiter vor, als einmal ein Schnupfen oder eine leichte Heiserkeit, welche durch Ruhe und Wärme immer unschwer zu beseitigen waren.
Jetzt beschäftigte sie auch die Lösung einer anderen Frage. Gewöhnlich wurde das Wasser für die Bedürfnisse von French-den bei niedrigem Meere aus dem Rio geschöpft, da es dann keinen Salzgehalt zeigte. Wenn der Rio aber[181] vollständig zufror, mußte sich dasselbe ganz von allein verbieten. Gordon besprach deshalb mit Baxter, seinem »Leibingenieur«, die dagegen zu ergreifenden Maßregeln. Nach einiger Ueberlegung schlug Baxter vor, einige Fuß unter der Erde eine Leitung anzulegen, welche, da sie nicht zufrieren konnte, Store-room mit Wasser versehen würde. Das war gewiß eine schwierige Arbeit, welche Baxter kaum hätte zu Ende führen können, wenn er nicht die Bleirohre zur Verfügung gehabt hätte, die auf dem »Sloughi« als Wasserleitung nach den Waschtischen gedient hatten. Nach verschiedenen mißlungenen Versuchen wurde endlich der Wasserzufluß nach Store-room gesichert. Was die Beleuchtung betraf, so waren jetzt noch hinreichende Oelvorräthe für die Lampen und Laternen vorhanden, nach Ablauf des Winters mußte es aber nothwendig werden, diese irgendwie zu ersetzen oder Kerzen aus dem Fette herzustellen, das Moko nicht gebraucht und aufgehoben hatte.
Einige Sorge erregte während dieser Zeit auch die Ernährung der kleinen Colonie, denn Jagd und Fischfang lieferten jetzt nicht die gewohnte Ausbeute. Wohl schweiften, vom Hunger getrieben, einzelne Thiere gelegentlich auf der Sport-terrace umher, doch das waren nur Schakals, welche Doniphan und Croß durch Gewehrschüsse zu vertreiben sich begnügten. Eines Tages erschien sogar eine ganze Bande derselben – wohl an zwanzig Stück – so daß man die Thüre der Halle und des Store-room fest verbarricadiren mußte. Ein Einbruch dieser durch den Hunger noch mehr gereizten Raubthiere hätte schreckliche Folgen haben können. Da sie Phann jedoch bei Zeiten meldete, kamen sie gar nicht dazu, die Thüre von French-den zu stürmen.
Unter so mißlichen Umständen sah Moko sich gezwungen, dann und wann auf den Proviant von der Yacht zurückzugreifen, der doch so viel als möglich geschont werden sollte. Nur sehr ungern ertheilte Gordon die Erlaubniß, denselben zu verwenden, und mit Betrübniß sah er in seinem Notizbuche die Rubrik der Ausgaben sich immer mehr verlängern, während die der Einnahmen stets gleich lang blieb. Da es jedoch auch einen reichen Vorrath an Enten und jungen Trappen gab, welche in halbgekochtem Zustande luftdicht in Fässer verpackt worden waren, so konnte Moko diese in Anspruch nehmen, ebenso wie er von den in Salzlake aufbewahrten Lachsen immer etwas auf die Tafel brachte. Man darf hierbei nicht vergessen, daß French-den fünfzehn Magen zu ernähren und den Appetit von acht- bis vierzehnjährigen Knaben zu befriedigen hatte.
Immerhin fehlte es den Winter über keineswegs ganz an frischem Fleisch. Wilcox, der in der Herstellung aller Art Hilfsgeräthe für Jagdzwecke sehr[182] erfahren war, hatte auf dem Ufergelände mehrere Fallen errichtet, welche, einfach aus elastischen Zweigen in Form einer 4 bestehend, doch manches Stück Kleinwild lieferten.
Mit Hilfe seiner Kameraden spannte Wilcox auch am Ufer des Rio eine Art Luftnetze aus, wozu er die Schleppnetze vom »Sloughi« verwendete, welche an Stangen in geeigneter Weise befestigt wurden. In den Maschen dieser ausgedehnten leinenen Spinnengewebe blieben viele Vögel aus den South-moores hängen, wenn sie von einem Ufer zum andern flogen. Konnten sich auch viele derselben aus den für diesen Zweck zu engen Maschen wieder befreien, so gab es doch Tage, wo noch genug gefangen wurden, um die beiden Hauptmahlzeiten für die ganze Gesellschaft abzugeben.
Nur die Ernährung des Nandu machte nicht wenig Schwierigkeiten, und wir müssen gestehen, daß die Zähmung dieses wilden Stelzvogels, was auch der damit besonders betraute Service sagen mochte, noch recht viel zu wünschen übrig ließ.
»Das muß einmal ein Renner werden!« wiederholte er öfters, obwohl noch gar nicht zu ersehen war, wie er denselben je besteigen könnte.
Da der Nandu aber nicht zu den Fleischfressern zählte, mußte Service dessen täglichen Bedarf von Gräsern und Wurzeln unter der zwei bis drei Fuß hohen Schneedecke zu gewinnen suchen. Was hätte er indeß nicht Alles gethan, um seinem Lieblingsthiere ein zusagendes Futter zu beschaffen! Wenn der Nandu während dieses scheinbar endlosen Winters etwas abmagerte, so lag das gewiß nicht an seinem treuen Hüter, und man durfte getrost hoffen, daß jener mit der Rückkehr des Frühlings seine gehörige Körperfülle wieder gewinnen werde.
Als Briant frühmorgens am 9. Juli einmal in's Freie hinausgetreten war, konnte er beobachten, daß der Wind plötzlich nach Süden umgesprungen sei.
Der ungemein strenge Frost nöthigte ihn, schleunigst nach der Halle umzukehren, wo er Gordon von dieser Veränderung der Temperatur Mittheilung machte.
»Das war ja zu befürchten, antwortete Gordon, und es sollte mich nicht verwundern, wenn wir noch einige Monate strengen Winters auszuhalten hätten.
– Das beweist aber, meinte Briant, daß der »Sloughi« weit tiefer als wir annahmen nach Süden zu verschlagen wurde.
– Gewiß, bestätigte Gordon, und doch zeigt unser Atlas keine Insel in der Nähe des antarktischen Meeres.[183]
– Das ist wirklich unerklärlich, Gordon, und wahrlich, ich wüßte nicht, welche Richtung wir einschlagen sollten, wenn uns einst die Möglichkeit geboten wäre, die Insel Chairman zu verlassen....
– Die Insel verlassen?... rief Gordon. Aber, Briant, denkst Du denn daran noch immer?
– Alle Tage, Gordon. Wenn es uns gelänge, ein einigermaßen seetüchtiges Fahrzeug zu erbauen, würd' ich keinen Augenblick Bedenken tragen, damit auf Entdeckung auszuziehen.
– Schon gut, schon gut, erwiderte Gordon, damit hat's noch keine Eile... Warten wir wenigstens, bis unsere kleine Colonie vollständig organisirt ist...
– Ei, mein wackerer Gordon, unterbrach ihn Briant, Du denkst wohl nicht daran, daß wir da draußen noch Angehörige haben....
– Gewiß... gewiß, Briant. Alles in Allem sind wir aber hier doch gar nicht so schlimm daran. Die Sache macht sich, und ich frage mich manchmal, was uns eigentlich noch fehlen sollte.
– Ich dächte, so mancherlei, antwortete Briant, der es nicht für angezeigt hielt, das Gespräch über dieses Thema noch weiter auszuspinnen. Da fällt mir eben ein, daß unser Brennmaterial zu Ende geht....
– Nun, ich dächte, der ganze Wald der Insel wäre noch nicht verbrannt.
– Nein, Gordon, aber es wird doch hohe Zeit, unsere Holzvorräthe wieder zu erneuern.
– Meinetwegen noch heute, erwiderte Gordon. Komm', wir wollen nach dem Thermometer sehen!«
Das im Store-room hängende Thermometer zeigte nur fünf Grad über Null, obwohl im Kochofen ein tüchtiges Feuer prasselte. Als es dagegen an der Außenwand angebracht wurde, zeigte es sehr bald siebzehn Grad unter dem Gefrierpunkte.
Es war eine strenge Kälte, welche voraussichtlich noch zunahm, wenn die Witterung während einiger Wochen klar und trocken blieb. Trotz beständigen Feuers im Kochherde und in den beiden Oefen der Halle erniedrigte sich die Temperatur merklich im Innern von French-den.
Gegen neun Uhr und nach dem ersten Frühstück wurde beschlossen, nach den Traps-woods zu ziehen und eine Ladung Holz zu holen.
Wenn die Luft ruhig ist, kann man sich selbst den niedrigsten Temperaturen ungestraft aussetzen. Vorzüglich schmerzhaft ist nur der schneidende Wind, der den Händen und dem Gesicht so zusetzt, daß man sich kaum dagegen, zu schützen vermag. Zum Glück war an diesem Tage der Wind ganz schwach und der Himmel so vollkommen klar, als ob die Luft gefroren wäre.
An Stelle des lockeren Schnees, in den man noch am Vortage bis zur Hüfte versank, schritt der Fuß jetzt auf einer metallharten Fläche dahin.
Wenn es sich nur um die Gefahrlosigkeit des Weges gehandelt hätte, wäre es möglich gewesen, ebenso über den ganz übereisten Family-lake wie über den Rio wegzuziehen. Mit einigen Schneeschuhen, wie sie die Bewohner der Polargebiete häufig benützen, oder selbst in einem, mit Hunden und Rennthieren bespannten Schlitten hätte der See in seiner ganzen Ausdehnung von Norden nach Süden binnen wenigen Stunden besucht werden können.
Für den Augenblick handelte es sich aber nicht um einen so weit ausgedehnten Ausflug, sondern um einen Gang in die benachbarten Wälder, um daraus neue Brennholzvorräthe zu holen.
Die Ueberführung einer hinreichenden Holzmenge nach French-den mußte immerhin eine schwierige Arbeit werden, weil dieser Transport nur auf dem Arme oder dem Rücken zu bewerkstelligen war. Da kam Moko ein guter Gedanke, der schleunigst zur Ausführung gebracht wurde, dahin gehend, daß man sich doch ein für den Augenblick genügendes Gefährt beschaffen könnte. Der festgebaute, zwölf Fuß lange und vier Fuß breite Tisch des Store-room brauchte ja nur, die Beine nach oben, umgewendet und dann über die glatte Fläche des vereisten Schnees gezogen zu werden; daß das anging, sahen Alle sofort ein. Nachdem sich vier größere Knaben mit Stricken vor dieses etwas primitive Gefährt gespannt, brach man gegen neun Uhr in der Richtung nach den Traps-woods auf.
Mit rother Nase und brennenden Wangen sprangen die Kleinen gleich jungen Hunden voran, wozu Phann ihnen ein vorzügliches Beispiel gab. Manchmal kletterten sie auch unter Streit und einigen sanften Püffen auf den Tisch, selbst auf die Gefahr hin, einmal umzupurzeln, was hier niemals schlimm ablaufen konnte. Ihr Gejubel widerhallte mit außerordentlicher Deutlichkeit in der kalten, trockenen Atmosphäre. Es war wirklich herzerquickend, die ganze kleine Colonie bei so übermüthiger Laune und tadelloser Gesundheit zu beobachten.
Zwischen dem Auckland-hill und dem Family-lake war Alles gleichmäßig weiß. Die Bäume mit ihren überreiften Zweigen und mit schimmernden Krystallen beladenen Aesten dehnten sich gleich einer feenhaften Decoration in unabsehbare Fernen aus. Ueber dem See flatterten ganze Schaaren von Vögeln bis zum[187] Abhange des Steilufers hin. Doniphan und Croß hatten nicht vergessen, ihre Flinten mitzunehmen. Eine weise Vorsicht, denn da und dort zeigten sich neben Spuren von Schakals auch solche von Jaguars und Cuguars.
»Diese gehören vielleicht zu den wilden Katzen, welche man »Paperos« nennt, und die nicht minder furchtbar sind, sagte Gordon.
– O, wenn es nur Katzen sind! rief Costar mit den Achseln zuckend.
– Die Tiger sind aber auch nur Katzen, ließ Jenkins sich vernehmen.
– Ist es wahr, Service, fragte Costar, daß die Katzen bösartig sind?
– Gewiß, versicherte Service, und kleine Kinder verzehren sie wie Mäuse!«
Diese Antwort machte Costar doch recht bedenklich.
Die halbe Meile zwischen French-den und den Traps-woods wurde in kurzer Zeit zurückgelegt, und die jungen Holzfäller gingen an die Arbeit. Ihre Axt legten sie nur an Bäume von einiger Dicke, deren schwächere Zweige abgehauen wurden, nicht um sich mit einen Augenblick flackernden Reisigbündeln zu versorgen, sondern tüchtige Scheite zu gewinnen, welche den Koch- und die Heizöfen dauernder zu erhitzen geeignet waren. Der »Tafelschlitten« erhielt zwar eine recht schwere Last, er glitt aber so leicht dahin und Alle zogen ihn mit so frohem Muthe über die harte Kruste, daß im Laufe des Vormittags zwei Fuhren gemacht werden konnten.
Nach dem Essen ging man wieder an die Arbeit, welche erst um vier Uhr, als der Tag zur Rüste ging, unterbrochen wurde. Die Anstrengung war eine ziemlich große gewesen, und da man sich ja nicht zu übernehmen brauchte, verschob Gordon die Fortsetzung bis zum folgenden Tage. Gordon's Befehl mußte aber allgemein beachtet werden.
Nach der Heimkehr nach French-den beschäftigte man sich nur noch damit, die Scheite zu zersägen, zu spalten und aufzuschichten, was bis zur Schlafenszeit andauerte.
Sechs Tage lang wurden diese Fahrten unausgesetzt wiederholt, wodurch sich Brennmaterial für eine Reihe von Wochen anhäufte. Es versteht sich von selbst, daß diese großen Vorräthe im Store-room nicht untergebracht werden konnten, es schadete ja aber auch nichts, sie in freier Luft am Fuße des Steilufers aufzustapeln.
Am 15 Juli war nach Angabe des Kalenders der Saint-Swithin-Tag; in England entspricht dieser Tag im Volksglauben ganz unserem Siebenschläfer.[188]
»Nun, begann Briant, wenn heute Regen fällt, werden wir sehen, daß es vierzig Tage lang fort regnet.
– Meiner Treu, versetzte Service, was hat das auch Großes zu bedeuten, da wir jetzt in der schlechten Jahreszeit sind. Ja, wenn es Sommer wäre...«
In der That brauchen sich die Bewohner der südlichen Erdhälfte nicht wegen des Einflusses zu beunruhigen, den derartige Merktage des Volkes haben könnten, denn die Siebenschläfer sind wie Sanct Medardus für sie nur Winterheilige.
Der Regen hielt jedoch, da der Wind nach Südosten umsprang, nicht an, dagegen trat solcher Frost ein, daß Gordon den Kleinen jeden Ausgang untersagte.
In der Mitte der ersten Augustwoche sank die Thermometersäule nämlich bis auf siebenundzwanzig Grad unter Null herab. Sobald man sich da der freien Luft aussetzte, schlug sich der Athem in Form von Schnee nieder. Mit der Hand konnte man kein metallenes Geräth anfassen, ohne heftigen Schmerz, wie von einer Verbrennung, zu empfinden. Da mußten denn auch die umfassendsten Maßregeln getroffen werden, um die Luftwärme des Innern nur erträglich zu erhalten.
Jetzt folgten sich vierzehn recht unangenehme Tage. Alle litten mehr oder weniger von dem Mangel an Bewegung. Briant sah nicht ohne Sorge die blassen Wangen der Kleinen, von denen jede Farbe gewichen war. Dank den warmen Getränken, woran es nie fehlte, überstanden die jungen Colonisten jedoch diesen gefährlichen Zeitraum, abgesehen von einigen Schnupfen- und Hustenanfällen, ohne ernstlichen Nachtheil.
Gegen den 16. August neigte sich, mit nach und nach umgehenden Winden, der Zustand der Atmosphäre einer Veränderung entgegen. Das Thermometer erhob sich auf zwölf Grad unter dem Gefrierpunkte, zeigte also bei gleichzeitig ruhiger Luft eine erträgliche Temperatur an.
Doniphan, Briant, Service, Wilcox und Baxter kamen da auf den Gedanken, sich einmal nach der Sloughi-Bai zu begeben, von wo sie bei frühzeitigem Aufbruche an demselben Abend zurück sein konnten.
Es handelte sich dabei darum, zu sehen, ob die Küste nicht stark besetzt sei von jenen Amphibien, den gewöhnlichen Wintergästen der antarktischen Gegenden, von denen man schon zur Zeit der Strandung einzelne Exemplare gesehen hatte. Gleichzeitig sollte die Flagge erneuert werden, von der nach den Winterstürmen ja nur noch Fetzen übrig sein konnten. Auf Briant's Anrathen wollte man den Signalmast überdies mit einer Tafel versehen, welche die Lage von French-den[189] angab, für den Fall, daß Seeleute nach Wahrnehmung des Mastes einmal hier landen sollten.
Gordon gab seine Zustimmung unter der Empfehlung, vor Anbruch der Nacht unbedingt heimzukehren, und die kleine Truppe brach also am Morgen des 19. August noch vor dem Hellwerden auf. Der Himmel war klar und der Mond erleuchtete ihn mit den schrägen Strahlen seines letzten Viertels. Sechs Meilen bis zur Bai hin zu wandern, das konnte junge Beine nach so langem Ausruhen nicht in Verlegenheit setzen.
Mit schnellen Schritten ging es vorwärts. Die Schlammlache der Bogwoods brauchte, weil sie mit Eis bedeckt war, nicht umgangen zu werden, ein Umstand, der den Weg wesentlich abkürzte. Vor neun Uhr Morgens schon kam Briant mit seinen Kameraden auf dem Vorlande der Bai an.
»Da seht, ganze Schaaren von Vögeln!« rief Wilcox.
Er wies damit nach einigen Tausenden auf den Klippen sitzender Vögel hin, welche mit ihrem langen miesmuschelförmigen Schnabel und dem ebenso durchdringenden wie häßlichen Geschrei etwa großen Enten glichen.
»Man könnte sie für Soldaten halten, die ihr General Revue passiren läßt, meinte Service.
– Es sind nur Fettgänse, belehrte ihn Baxter, und die sind keinen Schuß Pulver werth.«
Die stumpfsinnigen Vögel, welche sich in Folge ihrer weit hinten eingelenkten Pfoten fast ganz aufrecht hielten, dachten gar nicht daran, zu entfliehen, und man hätte sie mit Stockhieben erlegen können. Doniphan hatte vielleicht auch nicht übel Lust zu einem solchen nutzlosen Gemetzel; da Briant aber so klug war, sich demselben zu widersetzen, wurden die Pinguins (Fettgänse) in Ruhe gelassen.
Wenn dieses Geflügel übrigens gar keine Verwendung finden konnte, so gab es dafür andere Thiere, deren Fett zur Erleuchtung von French-den während des folgenden Winters zu gebrauchen war.
Es waren Robben, zur Abart der sogenannten Rüssel-Robben gehörig, die sich hier auf den mit dicker Eiskruste bedeckten Klippen tummelten. Um einige derselben zu erlegen, hätte man ihnen den Rückweg an der Außengrenze des Klippengürtels verlegen müssen. Sobald sich Briant und seine Kameraden jedoch herannahten, entflohen jene mit ganz erstaunlichen Luftsprüngen und verschwanden unter dem Wasser, so daß man sich vornehmen mußte, später einmal eine förmliche Jagd zu veranstalten, um diese Amphibien einzufangen.[190]
Nachdem die Knaben von dem mitgeführten Proviant ein einfaches aber kräftiges Frühstück verzehrt, besichtigten sie die Bai in ihrer ganzen Ausdehnung.
Eine gleichmäßig weiße Fläche erstreckte sich hier von der Mündung des Rio Sealand bis zum Vorgebirge False-sea-point. Bis auf die Fettgänse und einzelne Seevogelarten, wie Sturmvögel, weiße und graue Möven u. dergl., schien das andere Geflügel den Strand gänzlich verlassen und sich, jedenfalls zur Befriedigung seines Nahrungsbedürfnisses, nach dem Innern der Insel gewendet zu haben Zwei bis drei Fuß tiefer Schnee bedeckte das Vorland, und was von den Trümmern des Schooners vielleicht noch übrig war, lag unter dieser dichten Hülle versteckt. Der aus Tang und Seegras bestehende Auswurf des Meeres, der sich am Klippenrande in langer Linie angehäuft hatte, bewies, daß die Sloughi-Bai von besonders heftigen Aequinoctialfluthen nicht betroffen worden war.
Das Meer selbst erschien bis zur äußersten Grenze des Horizontes heute ebenso verlassen, wie Briant es vor drei Monaten gesehen hatte. Und da hinaus lag in der Entfernung von Hunderten von Meilen das heimatliche Neuseeland, das er immer eines Tages wiederzusehen hoffte.
Baxter ging nun daran, eine neue Flagge, die er mitgebracht, aufzuziehen und die Tafel zu befestigen, welche die Lage von French-den sechs Meilen stromaufwärts des Rio angab. Gegen ein Uhr Mittags traten dann Alle auf das linke Ufer über.
Unterwegs erlegte Doniphan noch ein Paar langgesch wänzte Enten, nebst einigen über dem Flusse umherfliegenden Kibitzen, und gegen vier Uhr, als es langsam zu dämmern begann, traf er mit seinen Begleitern wieder glücklich in French-den ein. Hier wurde Gordon von Allem, was sie gesehen und beobachtet, unterrichtet, und da die Robben so überaus zahlreich in der Sloughi-Bai vorkamen, wollte man auf diese bei einigermaßen günstiger Witterung einmal Jagd machen.
Die schlechte Jahreszeit mußte nun bald zu Ende gehen. Während der letzten Woche des August und der ersten des September gewann der Seewind schon wieder die Oberhand. Schwere Regenböen führten eine schnelle Steigerung der Luftwärme herbei. Der Schnee kam deshalb bald zum Schmelzen, und an der Seeoberfläche donnerte und krachte es vom Bersten des Eises. Diejenigen Schollen, welche sich nicht an Ort und Stelle auflösten, trieben in tollem Durcheinander in den Rio hinein und thürmten sich hier übereinander, wodurch eine Eisstopfung entstand, die erst gegen den 10. September wieder völlig gebrochen wurde.[191]
So war der Winter denn vorübergegangen. Dank den getroffenen Vorsichtsmaßregeln hatte die kleine Colonie davon nicht allzuviel zu erdulden gehabt. Alle waren frisch und gesund geblieben und Gordon hatte, da sie ihre Studien mit großem Eifer fortsetzten, keine Veranlassung gefunden, etwaige Widerspenstige zu bestrafen.
Eines Tages jedoch mußte sich Dole, dessen Betragen eine exemplarische Buße erforderte, doch züchtigen lassen.
Wiederholt hatte der Trotzkopf sich geweigert »seine Pflicht zu thun«, und Gordon's Ermahnungen und Warnungen schlug er leichten Sinnes in den Wind. Er wurde deshalb nicht zu Wasser und Brod – was sich mit dem in den angelsächsischen Schulen geübten System nun einmal nicht verträgt – sondern zu einer Anzahl Hiebe verurtheilt.
Die jungen Engländer empfinden, wie wir schon sagten, keineswegs denselben Abscheu gegen eine derartige körperliche Züchtigung, wie ihn junge Franzosen derselben gegenüber zeigen würden. Auch im vorliegenden Falle hätte Briant gern gegen eine solche, seiner Ansicht nach entehrende Strafart Ein spruch erhoben, wenn er nicht die Entscheidung Gordon's zu respectiren verpflichtet gewesen wäre. Wo ein französischer Zögling sich übrigens der Strafe selbst schämen würde, schämt sich der englische Schüler nur. Furcht vor derselben merken zu lassen.
Dole erhielt also einige Ruthenhiebe von den Händen Wilcox', der durch Losung zum öffentlichen Stockmeister bestimmt worden war, und diese Abstrafung wirkte so nachhaltig, daß sich keine Wiederholung derselben nöthig machte.
Am 10. September waren übrigens sechs Monate verflossen, seit der »Sloughi« an den Klippen der Insel Chairman gescheitert war.
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Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Für den dritten Band hat Michael Holzinger neun weitere Meistererzählungen aus dem Biedermeier zusammengefasst.
444 Seiten, 19.80 Euro