IV.

[361] Wir lagen also fest in Rotterdam und warteten auf einen Umschlag der Witterung, um uns direct nach Hamburg zu begeben; Preis elf Pfund statt siebzehn, welche Thomas Pearkop verlangt hatte, um uns bis zur Mündung der Elbe zu lootsen. Der »Saint Michel« lag verankert in der Maas, dicht vor dem schönen Park, der sich an dieser Seite der grünen Umgebung der hübschen Stadt anschließt. Die unfreiwillige Muße, welche uns der steife Nordwest auferlegte, benützten wir zum Besuch von Haag und Amsterdam und der höchst werthvollen Museen, von deren Pracht wir noch geblendet waren. Man muß eben Holland selbst gesehen haben, um Rembrandt ganz schätzen zu lernen. Wer nicht »Die nächtliche Stunde« und den »Unterricht in der Anatomie« gesehen hat, wird nimmermehr das Genie des großen Malers richtig würdigen. Dasselbe gilt von dem berühmten Gemälde Paul Potter's, das einen Stier vor einer auf der Erde liegenden Kuh darstellt.

Der Eindruck dieser Meisterwerke der Kunst ist desto überraschender, weil man ihn inmitten einer großen Zahl Gemälde von Rubens, Van der Helst, Van Dyk, Murillo, Hobbema, Ruysdaël, Teniers, Breughel de Velours und Anderer empfängt, deren Sammlung diese Museen geradezu über alle anderen erhebt. Leider lassen die Localitäten viel zu wünschen übrig und erscheinen der Schätze, die sie bergen, keineswegs würdig. Wie ist es möglich, daß so reiche und kunstsinnige Städte wie Amsterdam und Haag nicht Museen erbauen, welche ihrer Liebe zur Kunst einigermaßen entsprechen?

Was wir sonst von Holland durch ein Waggonfenster sahen, war nur ein flüchtiges Bild seiner grünen Weiden, seiner nach dem Lineal ausgehobenen Kanäle mit dem Hintergrunde zahlloser Windmühlen, welche den Horizont beleben; aber Alles bekräftigt doch des genialen Dichters Cavalier Butler geflügeltes Wort:

»Holland geht fünfzig Fuß tief im Wasser; die Erde, welche das Land bildet, ist nur verankert; man befindet sich auf derselben gleichsam an Bord.«

Allmählich drängte uns die Zeit. Wir hatten schon den 11. Juni und mußten an den Aufbruch denken, wenn nicht der ganze Reiseplan umgeworfen [362] werden sollte, obgleich der Wind immer ungünstig blieb und die pittoresken Mühlen von Rotterdam unablässig mit den Riesenarmen in der Luft herumwirbelten.

Wir beschlossen also, zunächst nach Antwerpen zu gehen.

Nach dieser Stadt kann man durch die, die Maas und Schelde verbindenden Kanäle gelangen, ohne die offene See zu berühren. Man folgt dabei jetzt dem Flusse, dann wieder einem Kanal, den die ausgedehnten Wiesen an seiner Seite um etwa zwei Meter überragen, und in welchen man durch vortrefflich in Stand gehaltene Schleußen gelangt. Diese uns völlig neue Wasserfahrt bot allen Theilnehmern ein ungewöhnliches Interesse, weshalb wir bei derselben einen Augenblick verweilen.

Nach einem letzten Blick auf das Barometer, das unabänderlich auf siebenhundertfünfzig Millimeter stehen blieb, und trotz der Verheißung besseren Wetters seitens Thomas Pearkop's, dem die Unterlassung der Fahrt nach Hamburg einige Pfund Sterling zu rauben drohte, dampft der »Saint Michel« um neun Uhr Morgens nach Antwerpen ab, obwohl wir entschlossen blieben, wenn die Witterung wirklich günstiger würde, das erste Project wieder aufzunehmen.

Man braucht zwölf volle Stunden, um durch dieses merkwürdige Land nach dem rechten Ufer der Schelde zu kommen. Der Weg führt zwischen den großen Inseln Zéland, Voorne, Goeree, Schouven und Walcheren hin, hier in engem Kanal, dort auf wirklichen Binnenseen, welche ohne Ausgang zu sein scheinen, und immer mitten unter Barken, Lastschiffen, Sloops, Goëletten und Dampfern, von denen diese, wie weite Prairien stillen Gewässer unaufhörlich durchfurcht werden.

Die Nacht verlief ohne Störung in Ziericksee, am Ende des zweiten Kanals, und am nächsten Tage, am 12. Juni, weckte uns Thomas Pearkop mit der Meldung, daß das Wetter umgeschlagen sei. Da der wackere Lootse dieselbe Nachricht aber schon vier- oder fünfmal gebracht hatte, verhielten wir uns seinen Worten gegenüber zunächst etwas ungläubig. Auf dem Deck überzeugten wir uns diesesmal jedoch von der Wahrheit seiner Aussage; das Barometer war gestiegen und der Wind während der Nacht schwächer geworden. Wir verzichteten also auf Antwerpen und begnügten uns mit einer flüchtigen Betrachtung der Schelde, welche mir an dieser Stelle viel Aehnlichkeit mit der Loire zu haben schien; dann steuerten wir, statt nach rechts, nach links hin und begaben uns nach Vlissingen.

[363] Die Stadt ist eigentlich nur ein Nest zu nennen und bietet an sich keinerlei Interesse; sie liegt ziemlich fern vom Hafen, der, den Aussagen der Einwohner nach, einmal noch zu hoher Bedeutung gelangen soll. Wir wünschen es aufrichtig, aber wir hoffen auch, daß die Kaufleute desselben sich etwas entgegenkommender verhalten möchten, als es unserem Maschinisten gegenüber der Fall war.

Nachdem wir zu wahrhaft unerhörten Preisen Kohle eingenommen hatten, verließ unsere Yacht Vlissingen wieder, und zwar gegen fünf Uhr Abends; die Mündungen der Schelde sind bald erreicht, und nun befinden wir uns also auf der Fahrt nach Hamburg, unter der hohen Leitung des behäbigen Thomas Pearkop. Wir hatten verabredet, daß der »Saint Michel« im Vorübergehen auch Wilhelmshaven, den großen deutschen Kriegshafen, anlaufen sollte, der sich am Jahdebusen, neben der Ausmündung der Weser befindet, und den wir gern besichtigt hätten.

Es ist doch ein Lootse ersten Ranges, dieser Teufel von Pearkop! Trotz seiner fünfzig Jahre hat er ein Auge ohne Gleichen! Am Tage wie in der Nacht entgeht ihm kein Leuchtthurm, kein Feuerschiff, kein Fahrzeug oder die flache Küste, die er allemal eine Viertelstunde eher wahrnimmt als jeder Andere. Und dann, jener famose Sack – der enthält Karten, Pläne, Instructionen und vorzüglich ein ungeheueres Fernrohr! Herr des Lebens, was ist das für ein gewaltiger Schlauch! Es rührt, seiner Aussage nach, von einem großen norwegischen Schiffe her, das auf den Godwinbänken, an der Mündung der Themse, zu Grunde ging und von dem nichts, gar nichts, gerettet wurde als dieses gigantische Fernrohr.

Thomas Pearkop versicherte, er werde es auch um vieles Geld nicht hergeben, obwohl er sonst nach einem Goldstück ziemlich lüstern ist.

Wenn das Unding mir gehörte, ich gäb' es umsonst weg, oder zahlte Dem noch darauf, der mir diese Last abnähme, denn ich habe dadurch niemals weder Land noch Licht, weder Ankerboje noch Bake zu erkennen vermocht.

Quelle:
Paul Verne: Von Rotterdam nach Kopenhagen an Bord der Dampfyacht »Saint Michel«. In: Die Jangada. Bekannte und unbekannte Welten. Abenteuerliche Reisen von Julius Verne, Band XXXIX– XL, Wien, Pest, Leipzig 1883, S. 353–404, S. 361-364.
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