Erster Auftritt

[5] Einfaches Zimmer. Lieschen tritt auf.


LIESCHEN.

Ich bin das Lieschen, das am Brunnentrog

Einst des Gespräches mit dem Gretchen pflog.

Erinnert euch, wie sie aus meinem Munde

Vom Bärbelchen vernahm die schlimme Kunde.

Weil ich nun damals so moralisch sprach,

Ließ mir der Herr in seiner großen Gnade

Des Fegefeuers heiße Qualen nach

Und läutert mich auf minder hartem Pfade.

Er wählte mich nach meines Lebens Endung

Zu sonderlich bedeutungsvoller Sendung,

Ernannte mich zu hochgewicht'ger Stelle:

Im Himmelsvorraum, an der heil'gen Schwelle

Darf ich als Fausti Seelenfreundin leben,

Bis wir gereift, ins Heiligtum zu schweben.

Das arme Gretchen, das zu hart gebüßt:

Ihr ist jedwede Läuterung erlassen,

Als sel'ger Geist ward sie schon längst begrüßt

Im sel'gen Kreis, den keine Worte fassen,

Sie wohnt in der Verklärten Sitz

Zu hoch für eines Dichters Witz.

Vernehmet nun, was ich getreu berichte

Von Doktor Fausts seitheriger Geschichte.

Als er zum Himmelseingang ward erhoben,

Erklang ein Ruf posaunenhaft von oben:

»Es hat nicht ohne Recht

Der Kritiker Geschlecht,

Voran der Geist, der stets verneint

Und stets als ihr Regent erscheint,

Den scharfen Einwand vorgebracht,[5]

Der viele Leser stutzig macht,

Der Geisterwelt präsentes edles Glied,

Nicht ganz so strebend hab' es sich bemüht,

Als nötig, es zu retten

Aus Satans Ketten;

Darum ward resolvieret,

Wird hiemit dekretieret:

Faust soll vorerst dahüben

Noch eine Zeit sich üben,

Soll zur Erinnrung an sein Amt auf Erden

Im mystischen Vorraum vor dem höchsten Himmel

Bei sel'ger Knaben munterem Gewimmel

Präzeptor werden!

Dies soll mit gewissen Entbehrungen,

Mit prüfenden Erschwerungen,

Mit Lockungen, die wir nach unserem Plan

Dem Satan selbst bewilligt han,

Verbunden sein!

Und obendrein

Erfolgen dann weitere Übungen,

Versuchende heilsame Trübungen,

Zum Schluß ein läuternder Prozeß,

Was noch verhüllt bleibt unterdes.

Dies soll ergehn über unsern Knecht!

Conclusum! Vidit! Es ist recht.« –

Erlaubt, daß ich hier nebenbei bemerke,

Ein Wink in Goethes eignem Dichterwerke

Sei als Motiv, worauf der Spruch sich stützt,

Vom höchsten Consistorium benützt:

Da Fausti Seele – freilich fast zu prompt –

Mit Engelpost zur Himmelspforte kommt,

Im Puppenstande zwar zunächst,

Dann aber reißend schnelle wächst,

So singen dort die sel'gen Knaben –

Ihr werdet's ja gelesen haben

Und kennt den pädagogisch schönen Text:[6]

»Er überwächst uns schon

An mächtigen Gliedern,

Wird treuer Pflege Lohn

Reichlich erwidern.

Wir wurden früh entfernt

Von Lebechören,

Doch dieser hat gelernt,

Er wird uns lehren.«

Was nun das himmlische Dekret

Unter den Prüfungen versteht,

Die an den neuen Stand sich knüpfen

Nebst andern, die dann weiter folgen sollen:

Laßt nur das Drama weiter hüpfen,

So wird sich alles euch entrollen.

Ich melde jetzt – ihr werdet es verlangen –

Genauer, was mit mir ist vorgegangen.

Nicht fern von diesem himmelnahen Ort

Steht ein Gebäude, edler Bildung Port,

Ein Institut, Feld für Erziehungssaat,

Vorhimmlisches Töchterpensionat,

Wo man das Herz sowohl als auch den Geist

Im Guten, Wahren, Schönen unterweist.

Da wird der Sinn geseiet und gesichtet,

Im deutschen Stil, in Logik und Musik,

Literatur, Kritik sowie Physik,

Vor allem in der Unschuld unterrichtet.

»Religion für Töchter« war die Blume

Des Unterrichts. Des Herrn Direktors Muhme

Trug sie uns vor; wie tief und klar,

Ich vergeß es nie!

Ihr schöner Standpunkt war

Gemäßigt freisinnige Theologie. –

Manch Gröbliches, was mir vom alten Stande

Noch anhing, tat mir ab die Gouvernante.

Wahr ist es leider, daß ich gerne klatschte,

Wenn ich mit andern zu dem Brunnen patschte;[7]

Weit hinter mir mit Gelte und mit Krug

Liegt jetzo dieser lasterhafte Zug.

Ich reifte, machte mein Examen,

Und als den Faust hieher die Engel nahmen,

Ward ich als Hausverwalterin,

Als weise Unterhalterin,

Als Warnerin, als Mahnerin,

Vollkommenheitsanbahnerin

Dem Waller nach dem Himmelszelt

In Gnaden beigesellt.


Sie geht an den Tisch, deckt weiter, tritt aber noch einmal vor.


Doch ob der Anstalt zu Herrn Doktors Essen

Hätt' ich noch einen Hauptpunkt fast vergessen.

Der gute Valentin! Da muß ich nun

Vom Bärbelchen zugleich Erwähnung tun:

Der Valentin, kein andrer, war ihr Schatz,

Ein Leichtfuß schien er mir, ein Flatterspatz;

Ich sprach: »Er ist ein flinker Jung,

Hat anderwärts noch Luft genung.«

Wie unrecht! Er war treu! Allein er fiel,

Und Treu und Leben fand ein frühes Ziel.

Und als zu ihr die Trauerkunde kam,

Sie trug es nicht, die Arme starb vor Gram.

Doch ihm und ihr war für so schweres Leid

Entschädigung von seltner Art bereit:

Er durfte hier am Rand der Himmelshallen

Für müde Pilger, die zum Gipfel wallen,

Ein Wirtshaus, eine Brauerei errichten,

Wohin zur Labung kurze Zeit sie flüchten.

Die Bärbel kocht, er schenkt, und alle Gäste

Befinden sich, so hört man, auf das beste.

Jedoch für meinen guten Faust,

Der hier so friedlich mit mir haust,

Ist dieser Umstand keine Kleinigkeit.

Warum? Die Antwort ist bereit,[8]

Der nächste Auftritt bringt sie schon

Mit mächtiger Sensation.

Hiemit sind dann die Proben eingeläutet,

Die jener Ausspruch dunkel angedeutet.

Ach Gott, mir ist es angst und bang

Vor dem geahnten Sturm und Drang!

Doch schimmert Licht des Trostes in die Nacht,

Ein Himmelsbote hat es überbracht:

Es ist ein milder Zusatzparagraph

Zum strengen Machtwort, das den Teuren traf:

Der Valentin, der handfest tücht'ge Klopfer,

Auf Erden einst des Fausti blut'ges Opfer,

Jetzt christlich ihm versöhnt nach Möglichkeit,

Soll ihm zur Hülfe, wenn die schwersten Proben

Ihn etwan aus dem Gleichgewicht geschoben,

Mit seiner Muskel Boxkraft sein bereit.

Seht hier die Klingel: kommt's zu schwer,

So darf ich ziehn und er eilt her.

Genug, es ist des Mittagessens Hora,

Euch grüßt des Schauspiels Chorus oder Chora.


Verneigt sich und tritt an den Tisch zurück.


Quelle:
Friedrich Theodor Vischer: Faust, Der Tragödie dritter Teil. Stuttgart 1978, S. 5-9.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Klingemann, August

Die Nachtwachen des Bonaventura

Die Nachtwachen des Bonaventura

Erst 1987 belegte eine in Amsterdam gefundene Handschrift Klingemann als Autor dieses vielbeachteten und hochgeschätzten Textes. In sechzehn Nachtwachen erlebt »Kreuzgang«, der als Findelkind in einem solchen gefunden und seither so genannt wird, die »absolute Verworrenheit« der Menschen und erkennt: »Eins ist nur möglich: entweder stehen die Menschen verkehrt, oder ich. Wenn die Stimmenmehrheit hier entscheiden soll, so bin ich rein verloren.«

94 Seiten, 5.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Hochromantik

Große Erzählungen der Hochromantik

Zwischen 1804 und 1815 ist Heidelberg das intellektuelle Zentrum einer Bewegung, die sich von dort aus in der Welt verbreitet. Individuelles Erleben von Idylle und Harmonie, die Innerlichkeit der Seele sind die zentralen Themen der Hochromantik als Gegenbewegung zur von der Antike inspirierten Klassik und der vernunftgetriebenen Aufklärung. Acht der ganz großen Erzählungen der Hochromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe zusammengestellt.

390 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon