Erster Auftritt

[40] Die Bühne zeigt einen Raum, der kein Raum ist, nichtsdestoweniger in einer großen Höhle mit großem Tor und einer seitlichen Spalte des Gesteins besteht. Um auszudrücken, daß man sich außerhalb der Zeit befindet, kann die Theateruhr gestellt werden. Drei Mütter sitzen an einem steinernen Tisch, trinken Kaffee und sind zugleich beschäftigt, Figuren aus allerhand Zeug zu verfertigen. Sie singen.


MUTTER A.

Teils sind wir wesenhaft,

Teils jedoch nicht,

Hexenhaft, besenhaft,

Wahrheit, Gedicht.

Tief in der Erde Schoß,

Also im Raum,

Doch zugleich körperlos,

Geistiger Schaum,

Außerhalb aller Zeit,

Doch zugleich einst und heut,

Thronen wir plauderbar,

Spaßhaft, doch schauderbar,

Trinken Kaffee,

Juchhe!

MUTTER B.

Fleißig auch flicken wir,

Sitzend im Ring,

Nähen und stricken hier

Seltsames Ding.

Jeglichen Wesens Form –

Dies ist der Witz –[40]

Findet hier seine Norm,

Seine Matriz,

Ewigen Prägestock,

Erstlichen innern Rock.

Bild wird von uns erneut,

Wenn Geistes Macht gebeut.

Trinket Kaffee!

Juchhe!

MUTTER C.

Fragest du, was und wie

Dieses denn sei,

Halte dich nur an die

Philosophei!

Nimm deinen Plato her:

Reinesten Wein

In der Ideenlehr

Schenkt er dir ein,

In der beschaulichen,

Mystischen, blaulichen;

Kannst du sie nicht verstehn,

Läßt du sie lieber gehn.

Trinket Kaffee!

Juchhe!

MUTTER A.

Andre behaupten nun

Sinniglich grübelich,

Dieses geheime Tun

Interpretiere sich

Richtiger, klarer aus

Dem Diodor,

Denn dieses alte Haus

– Bringen sie vor –

Melde beziehlichen,

Schwer zu erklärenden,

Mütter verehrenden

Kult auf Sizilichen.[41]

Trinket Kaffee!

Juchhe!

ALLE DREI MÜTTER sich anfassend, tanzend.

Uns ist die Konjektur

Übrigens wurst,

Löscht der Kaffee uns nur

Unseren Durst.

Goethe dort oben lacht,

Des labor improbus,

Wenn euch der Zahn erkracht

Über der harten Nuß!

Drehet und windet euch,

Zanket euch, schindet euch,

Schreibet und schnörkelet,

Firgelet, nörgelet! –

Hoch der Kaffee!

Juchhe!


Ausgelassener höllischer Fandango. Schauderhaftes Gelächter. Es klopft an der Tür.


MUTTER A.

Wer ist der Unberufne, der an dieses Tor,

Um welches rings ein schauerlich Geheimnis weht,

Mit ungeweihter Frevlerhand zu rühren wagt?

MEPHISTOPHELES außen.

Oho, ihr Mütterchen, oho!

Stellt euch nicht so!

Nur aufgetan! wozu denn das Geflunker?

DIE DREI MÜTTER.

Herrje! Herrje! Besuch von unsrem Junker!


Öffnen eilig.


Quelle:
Friedrich Theodor Vischer: Faust, Der Tragödie dritter Teil. Stuttgart 1978, S. 40-42.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Hoffmannswaldau, Christian Hoffmann von

Gedichte

Gedichte

»Was soll ich von deinen augen/ und den weissen brüsten sagen?/ Jene sind der Venus führer/ diese sind ihr sieges-wagen.«

224 Seiten, 11.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Hochromantik

Große Erzählungen der Hochromantik

Zwischen 1804 und 1815 ist Heidelberg das intellektuelle Zentrum einer Bewegung, die sich von dort aus in der Welt verbreitet. Individuelles Erleben von Idylle und Harmonie, die Innerlichkeit der Seele sind die zentralen Themen der Hochromantik als Gegenbewegung zur von der Antike inspirierten Klassik und der vernunftgetriebenen Aufklärung. Acht der ganz großen Erzählungen der Hochromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe zusammengestellt.

390 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon