Siebenter Auftritt

[101] Bärbelchen und Lieschen sind im Hauptraume wieder erschienen und vollenden die Zurüstung der Tafel, schenken dann die Becher ein und bedienen ferner beim Trunk.


DR. MARIANUS.

Setzt alle frisch

Euch an den Tisch!


Zu Valentin.


Du, Valentin, magst untenan dich setzen,

Wir wissen alle dein Verdienst zu schätzen,

Doch kannst du tiefern Geist nicht ahnen,

Kannst beim Gespräch dich nicht beteiligen,

Denn du gehörst zu den Profanen,

Wir aber zu den Heiligen.

VALENTIN.

Mir wurst! Spielt immer eure Geige!

Ich gucke zu und trink und schweige.


Dr. Marianus führt Faust an den Platz zu seiner Rechten, setzt sich obenan.


PATER ECSTATICUS.

Der Schwebeschwung sistiere sich,[101]

Auf meinen Hintern setz ich mich

Und hole die Ekstase

Jetzt lieber aus dem Glase!

Faleri, Juchhei!

PATER PROFUNDUS.

Dem Oberflächlichen

Blieb stets ich fern,

Drang dem Hauptsächlichen

Bis in den Kern,

Ich haßte stets das Leere, Seichte, Schiefe,

Heut aber schöpf ich gründlich aus der Tiefe.

Falera, Juchhei!

PATER SERAPHICUS.

Nicht ird'scher Zaum und Zügel

Hemmt meines Geistes Lauf,

Hoch über alle Hügel

Schwebt er entlastet auf,

Heut gibt der Trunk uns Flügel,


Zu Faust.


Fiducit, Bruder, sauf!

Faleri, Juchhei!

DR. MARIANUS ergreift den vor ihm liegenden Schläger und schlägt damit auf den Tisch.

Noch ist's nicht Zeit, ihm vorzutrinken,

Folgt in der Ordnung meinen Winken!

Zuerst, beim alten guten Brauch zu bleiben,

Laßt uns dem Fuchsen einen Salamander reiben!

FAUST.

Ist's jener, der einst glühen sollte?

DR. MARIANUS.

Als sich der Pudel nicht entpuppen wollte?

Du grüner himmlischer Student,

Der den Komment so wenig kennt! –

Zu Ehren ihm nach überstandnen Proben

Nunmehr die Becher feierlich erhoben!

Exercitium Salamandris fiat! Eins! Zwei! Drei![102]

FAUST.

Gerühret dank ich, heil'ge Kompanei!

Und ahne bei dem Trunk, mir zum Gewinn

Der Schlückezahl geriebnen tiefen Sinn!


Trunk nach dem Kommando, Niederstoßen der Becher.


DR. MARIANUS.

Nun singt zum Gruße für das neue Glied

Aus vollen Kehlen ihm das Bundeslied!

DIE DREI PATRES MIT DR. MARIANUS singen.

Mystischer Trinkerchor,

Hehres Studentenkorps,

Fromme Magisterschar

Vom Himmelsseminar,

Ernsteste Streblinge,

Strahlende Schweblinge,

Nimmer Buchstäblinge,

Setzen wir minniglich,

Brüderlich inniglich,

Figürlich sinniglich,

Hebend das Glas empor,

Dir einen ganzen vor,

Irdischen Drucks

Nunmehr entbürdeter,

Eintritts gewürdeter

Lieblicher Fuchs!

FAUST.

Seit lange soff ich keinen Ganzen mehr,

Das Ganze ward mir immer etwas schwer.

DR. MARIANUS.

Drum blieb der Faust so lange ein Fragment,

Jetzt heißt es absolvieren, Herr Student!

Bemoster Chor,

Auf, macht's ihm vor

In den bekannten sieben Zügen,

Von eins bis vier, von vier bis sieben!

Genau! Sonst werd ich's rügen!


[103] Die drei Patres trinken, während Dr. Marianus vorzählt, in den genannten Tempi.


PATRES.

Ist auch nicht die Nagelprobe dringeblieben!

Jetzt, Fauste, sei's getan!

Frisch, setz an!

FAUST.

Nun denn, es steigt,

Zählt nach und zeugt!

LIESCHEN.

Wüßt' ich nicht, daß es Sinnbild sei,

Wie schmerzte mich die Völlerei!

DR. MARIANUS.

Wohl Sinnbild, denn das Leben ist ein Schlucken,

Muß jeder würgen, ohne auszuspucken,

Und unsre Kirche lehrt das rechte Ducken.


Zu Faust, der ausgetrunken hat.


Auch nicht bemogelt, Fuchs? Laßt sehn!

Er duckt sich: gut, vollkommen ist's geschehn.

Nun stimmet an das schöne Fuchsenlied,

So oft schon, wenn von Haus ein Füchschen schied,

Aus kräftigen Jugendlungen

Zum Empfang in der Kneipe gesungen,

Zwar jetzt mit etwas renoviertem Text,

Doch ohne daß ein Sinnverlust erwächst!

Der große Humpen geht dabei im Kreise,

Trink wacker, Faust, und greifst du singend ein,

Dein Sprüchlein bring nach der bekannten Weise

Ergetzlich vor als blödes Füchselein.

Wohlan denn, schon gestimmt sind ja die Kehlen!

Pater Profunde, laß den Baß nicht fehlen,

Er trage fest mit seiner Grundgewalt

Die Melodie, daß es harmonisch schallt!

CHORUS.

Wer kommt vors Himmelstor,

Wer kommt vors lederne Himmelstor?

Ça, ça lederne Tor,

Wer kommt vors Himmelstor?[104]

Es kommt ein Füchselein,

Es kommt ein ledernes Füchselein,

Ça, ça Füchselein,

Es kommt ein Füchselein.

FAUST.

Ihr Diener, meine Herrn,

Ihr Diener, meine hochehrwürdigen Herrn,

Ça, ça hochehrwürdigen Herrn,

Ihr Diener, meine Herrn!

CHOR.

Was macht das Mütterkorps,

Was macht das lederne Mütterkorps,

Ça, ça lederne Korps,

Was macht das Mütterkorps?

FAUST.

In Fetzen liegen sie,

In ledernen Fetzen liegen sie,

Ça, ça liegen sie,

In Fetzen liegen sie.

CHOR.

Was macht die Helena,

Was macht die lederne Helena?

Ça, ça Helena,

Was macht die Helena?

FAUST.

Ist aus dem Rock geschlüpft,

Ist aus dem ledernen Rock geschlüpft,

Ça, ça Rock geschlüpft,

Ist aus dem Rock geschlüpft.

CHOR.

Was macht Euphorion,

Was macht der lederne Kautschuksohn,

Ça, ça Kautschuksohn,

Was macht der Kautschuksohn?

FAUST.

Er ist geklopft, gepatscht,

Der Lederne ist geklopft, gepatscht,

Ça, ça durchgepatscht,

Er ist geklopft, gepatscht.

CHOR.

Was macht der große Mann,

Was macht der lederne große Mann,

Ça, ça Cäsarmann,

Was macht der große Mann?[105]

FAUST.

Man schlug ihm ab den Hut,

Man schlug ihm ab den ledernen Hut,

Ça, ça Kaiserhut,

Man schlug ihm ab den Hut.

CHOR.

Was macht der Schwindelhort,

Was macht der lederne Schwindelhort,

Ça, ça Schwindelhort,

Was macht der Schwindelhort?

FAUST stockt.

CHOR.

Was macht der Hetzkaplan,

Was macht der lederne Hetzkaplan,

Ça, ça Hetzkaplan,

Was macht der Hetzkaplan?

FAUST stockt.

CHOR.

Was macht der Loyola,

Was macht der lederne Loyola,

Ça, ça Loyola,

Was macht der Loyola?

FAUST stockt.

DR. MARIANUS.

Was schweigt das Füchselein,

Was schweigt das lederne Füchselein,

Ça, ça Füchselein,

Was schweigt das Füchselein?

FAUST für sich.

Hör ich die Namen nur der Mißgebilde sprechen,

Wird mir zumut, als müßte ich mich brechen,

Die Zunge stockt, die Stirne schwitzt vor Scham,

Daß es bis dahin, dahin mit mir kam,

Daß ich ein Nichts, wozu die Hölle lacht,

Zeitweilig gelten ließ als eine Macht.

O was für Lagen

Muß man ertragen!

Die Glatzen würden ohnedem

Mich ganz gemütlich und bequem

Am Holzstoßfeuer schmoren,

Hätt' nicht der Dichter so verkehrt, vertrackt,[106]

Um zu gastieren bei dem blöden Akt,

Sie herbeschworen.

Nur eine Halbzeit läßt sich finden,

Mich leidlich da herauszuwinden:

Hilf mir, Futurum exactum:

Ein Faktum und noch kein Faktum!


Laut.


Sie werden ausgemerzt worden sein. –

CHOR.

Falsch prophezeit, nein, nein, o nein!

O diese Zeit tritt niemals ein,

Permaneant in secula,

Sunt enim nostra genera!

DR. MARIANUS.

Fällst in die Ketzerei zurück?

Bedenke besser dein Geschick!

Wart, wart,

Es geht dir hart!

Wir weigern dir die Taufe, Fuchs!

FAUST.

Ach was, ich weiß ja, ihr seid kommandiert!

Ihr freut euch selber des soliden Schlucks,

Der euch bei diesem Aktus wird serviert.

DR. MARIANUS zu den Patres.

Nun ja, es sei!

Nehmt's leicht und frei!

Vollendet willig den erhabnen Jux!

Die Kirche wird am Ende siegen,

Ein halber Ketzer wird so viel nicht wiegen,

Vielleicht durchmürbt ihn im Verlaufe

Doch noch die Kraft der Fuchsentaufe.

Sie folge nun in üblich hehrer Weise,

Stellt euch um uns in feierlichem Kreise!

Sie muß nun doppelt gründlich sein,

Statt des Pokals füllt mir den Humpen ein!


Lieschen macht eine ablehnende Bewegung, Bärbelchen füllt und reicht. Man stellt sich im Kreis um Dr. Marianus und Faust.
[107]

DR. MARIANUS den Humpen hebend.

Du vom Himmel zwar Bezweckter,

Doch noch immer nicht Korrekter,

Immer noch nicht recht Perfekter,

Vernimm an dieser hehren Pforte

Des Dichters klassisch große Worte!

Die Engel, die zum Himmelsaal

Dich trugen, haben sie gesungen,

Vernimm sie heute noch einmal,

Du Wäsche, die nicht völlig ist gewrungen:

»Uns bleibt ein Erdenrest

Zu tragen peinlich,

Und wär' er von Asbest,

Er ist nicht reinlich –«


Quelle:
Friedrich Theodor Vischer: Faust, Der Tragödie dritter Teil. Stuttgart 1978, S. 101-108.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Tschechow, Anton Pawlowitsch

Drei Schwestern. (Tri Sestry)

Drei Schwestern. (Tri Sestry)

Das 1900 entstandene Schauspiel zeichnet das Leben der drei Schwestern Olga, Mascha und Irina nach, die nach dem Tode des Vaters gemeinsam mit ihrem Bruder Andrej in der russischen Provinz leben. Natascha, die Frau Andrejs, drängt die Schwestern nach und nach aus dem eigenen Hause.

64 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier II. Sieben Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier II. Sieben Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Michael Holzinger hat für den zweiten Band sieben weitere Meistererzählungen ausgewählt.

432 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon