Biographie

Johann Heinrich Voß (Kupferstich von Gottschick)
Johann Heinrich Voß (Kupferstich von Gottschick)

1751

20. Februar: Johann Heinrich Voß, Lyriker, Idyllendichter, Übersetzer, Philologe, wird in Sommersdorf/Mecklenburg geboren.

Der spätere Homer-Übersetzer, polemische Idylliker und Spätaufklärer Voß wird geboren als Enkel eines freigelassenen Leibeigenen und Sohn eines durch den Siebenjährigen Krieges schließlich verarmten Gastwirts und Zollverwalters, der als Schulmeister starb.

Besuch der Stadtschule in Penzlin und der Lateinschule in Neubrandenburg.


1769–1772

Die Armut zwang Voß eine Hofmeisterstelle auf dem von Oertzenschen Gut in Ankershagen anzunehmen, unter extrem demütigenden Bedingungen, die seinen lebenslangen Adelshaß, seinen Freiheitsdrang und die Schärfe seines kritischen Einspruchs erklären. Beim Überleben halfen in diesen Jahren die alte und neue Literatur (Hesiod und Homer beziehungsweise Hagedorn, Uz, Kleist, Gessner, Gleim, Ramler, Klopstock) und die Freundschaft mit dem poetisch produktiven Pastor Ernst Theodor Johann Brückner in Groß-Vielen. Den Weg ins Freie zeigte ihm der Herausgeber des »Göttinger Musenalmanachs«, sein späterer Schwager Heinrich Christian Boie, der ihn in Erwiderung auf eingesandte Gedichte zum Studium nach Göttingen einlud und ihn unterstützte.


1772

Ostern: Voß hörte zunächst Theologie, dann aber ausschließlich Philologie, vor allem bei Christian Gottlob Heyne. Im Vordergrund stand schließlich der von literarischer Produktion begleitete freundschaftliche Umgang mit Boie, Hölty, Bürger, Miller, den Brüdern Stolberg, Leisewitz, Cramer, Overbeck und anderen, der in der bekannten Gründung des Göttinger Hain gipfelte.


1774

Für Voß persönlich besonders wichtig war seine Reise im Frühjahr und Sommer, auf der er in Hamburg mit Klopstock zusammentraf und sich in Flensburg mit Ernestine Boie verlobte.

Gegenüber den vielbeschriebenen Vorgängen im Hain bis heute unterschätzt ist Voß' Aufenthalt in Wandsbek, der neben dem Umgang mit Claudius auch den Kontakt mit ständig oder zeitweilig in Hamburg anwesenden wichtigen Zeitgenossen ermöglichte, unter anderen mit Klopstock, Lessing, Campe, Bode, Carl Philipp Emanuel Bach.


1775–1776

Als unvereinbar wiederum damit gelten die der Sturm-und-Drang-Bewegung zugutegehaltenen frühen Idyllen mit der erklärten Absicht, zur Aufhebung der Leibeigenschaft auf adligen Gütern beizutragen: Die Leibeigenen (zuerst in: »Der Gesellschafter«, 1775) und »Die Freigelassenen« (zuerst im »Vossischen Musenalmanach« für 1776) werden hiermit thematisiert.


1777

Inzwischen hatte Boie mit der Überlassung des Musenalmanachs an Voß diesem die erste finanzielle Grundlage verschafft und damit auch die Heirat mit Ernestine Boie (17. Juli) ermöglicht.


1778

Sommer: Die Verhältnisse geboten nach einem weiteren Jahr in Wandsbek die Annahme der Stelle des Rektors an der Lateinschule in Otterndorf an der Unterelbe, Schauplatz erster beruflicher Erfolge in einem relativ freien Gemeinwesen, aber auch schwerer gesundheitlicher Schäden der Familie (Marschfieber). Den Ausweg verschaffte diesmal der inzwischen in Eutin lebende Hainbundfreund Friedrich Leopold Stolberg, der Voß' Anstellung als Rektor der dortigen Lateinschule betrieb.


1781

Im dritten Themenkomplex, den Übersetzungen, gilt Homers »Odüßee« (Heidelberg 1781. Neuausgabe von Michael Bernays, Stuttgart 1881. In neuer Fassung zusammen mit der ersten Übersetzung der »Ilias« (Altona 1793); beide dann in zahlreichen Überarbeitungen bis 1821) als das Hauptwerk.

Im Vordergrund der poetischen Werke stehen die Idyllen »Der siebzigste Geburtstag« (zuerst im »Vossischen Musenalmanach« für 1781) und Luise. Ein ländliches Gedicht in drei Idyllen (Königsberg 1795. Zuerst im »Vossischen Musenalmanach« für 1783 und 1784 beziehungsweise im »Teutschen Merkur«, 1784; zahlreiche spätere Fassungen, besonders 1807 und 1823), die - von ihrer Wirkung auf Goethes »Hermann und Dorothea« beziehungsweise auf das frühe 19. Jahrhundert her - als verbindliches Muster der vermeintlich beruhigten, bürgerlichen Spielart der Voßschen Idylle angesehen werden.


1782–1802

20 Jahre lang sollte die kleine Residenzstadt für Voß Ruhepunkt sein mit Haus, Garten, Familie, Natur, beruflicher Identität und inzwischen auch literarischer Statur; gleichwohl fühlte er sich immer wieder angebunden »wie ein Hund an der Kette« (an Brückner, 20.7.1784).


1789

Gravierend war schließlich das Verhältnis zu Stolberg, das sich durch die verschiedene Reaktion der Freunde mit den Jahren zur Leidensgeschichte beider auswuchs, die sich nach der 1800 erfolgten Konversion Stolbergs noch einmal dramatisch vertiefte, jedenfalls aber bei Voß' Wunsch mitspielte, Eutin zu verlassen.


1800

Daß die dritte Leibeigenen-Idylle - »Die Erleichterten« - erst im Jahr 1800 geschrieben wird (zuerst in: »Idyllen« 1801), wäre Grund genug, die vermeintlich beruhigten Idyllen der Zwischenzeit anders zu lesen, nämlich im Kontext von Voß' Engagement für die Französische Revolution, dies zumal in den für Voß gar nicht stillen 90er Jahren, in denen die zeitliche Nähe etwa der »Luise« (1795) zu Texten wie dem »Hymnus an die Freiheit«. Nach der Melodie der Marseillaise (1792) den komplementären Charakter politischer und idyllischer Dichtung bei Voß anzeigt, in denen gar eine antifeudale Satire wie »Junker Cord. Ein Gegenstück zu Virgils Pollio« der vierten Ekloge (zuerst im »Vossischen Musenalmanach« für 1794) unmißverständlich die traditionell gattungseigene (1795/1796 auch von Schiller erörterte) innere Beziehung von Satire und Idylle erweist.


1802

Voß und Ernestine Voß übersiedelten nach Jena, dem Studienort der Söhne Heinrich und Wilhelm, und traten damit für zwei Jahre in den Bannkreis der Weimaraner, häufig besucht und mit Aufmerksamkeit bedacht vor allem durch Goethe, dessen Versuche, Voß in seiner Nähe zu halten, konträr zu Voß' Verhandlungen mit der damaligen Reformuniversität Würzburg standen. Auf Betreiben des Karlsruher Architekten Weinbrenner erfolgte unterdessen das Angebot einer Sinekure-Professur an der Heidelberger Universität, dem Voß nicht widerstehen konnte.


1805–1826

Diese letzte Phase in Voß' Leben ist gekennzeichnet zum einen durch die Erfüllung langer Sehnsucht nach südlicheren Umgebungen, zum andern aber durch das bald gespannte Verhältnis zur Universitätsszene, in der inzwischen die Romantik den Ton angab und in der Voß, zunehmend gereizt, die Wende des Zeitgeistes bekämpfte, dabei allerdings mit Gegnern zu tun hatte (den Kollegen Creuzer und Görres, den Studenten Arnim und Brentano), die den Wind der Literaturgeschichte im Rücken hatten. Bemerkenswert sind Voß' politische Orientierung in dieser Phase, seine Indifferenz gegenüber den Befreiungskriegen, sein Engagement für den griechischen Befreiungskampf und seine Kontakte zur frühen badischen Demokratiebewegung.

Dem Autor Voß gegenüber kommt die Nachwelt bis heute nicht los von der seit dem frühen 19. Jahrhundert eingeübten Verwunderung über die vermeintliche Unvereinbarkeit des geruhsamen Idyllikers mit dem zornigen Polemiker, dem zu allem die säkulare Leistung der Übersetzung Homers für die Deutschen zuzuschreiben ist. Solcher Betrachtungsweise zerfällt das immense Lebenswerk Voß' in drei durch relativ wenige Titel gekennzeichnete Hauptkomplexe.


1826

29. März: Voß starb in Heidelberg; seine Grabstätte befindet sich dort auf dem Bergfriedhof.

Als eigener Komplex gelten zweitens die Polemiken. Die Differenz der »unfriedfertigen« Polemik Voß' zum milden Frieden seiner Idyllendichtung verringert sich in dem Maße, als bei Voß die Idyllen selbst sich als polemisch herausstellen und zudem die großen Polemiken des älteren Voß mit Ausnahme vielleicht der als Selbstbehauptung gegenüber der mächtigen Göttinger Lehrergestalt zu verstehenden Auseinandersetzung mit Heyne (»Mythologische Briefe«, 2 Bände, Königsberg 1794, 2. Auflage herausgegeben von Barthold Niebuhr. 3 Bände, Stuttgart 1827) - den am Vorbild Lessing orientierten Einspruch gegen Verletzungen aufklärerischer Normen erkennen lassen: zum einen als Reaktion auf die erst im reaktionären Milieu nach 1815 so recht zum Politikum gewordene, aber schon früh als Verrat empfundene Konversion Stolbergs die Schrift »Wie ward Fritz Stolberg zum Unfreien?« (zuerst in: »Sophronizon«»,«, 1819. Neudruck herausgegeben von Klaus Manger. Heidelberg 1984), zum andern als Auseinandersetzung mit dem Mythenforscher Friedrich Creuzer (»Antisymbolik«, 2 Bände, Stuttgart 1824 und 1826), die ihren Sinn darin hat, die Eigenständigkeit der griechischen Mythologie - damit den Maßstab des seit Winckelmann systemkritisch gewendeten und so für Voß verbindliche Antikebezugs - zu behaupten gegenüber dem Versuch, sie aus Gegebenheiten des alten Orient herzuleiten und damit zu relativieren.

Demgegenüber lange unterschätzt, jedoch in Voß' innerem System ebenso wichtig sind die nicht zufällig in den Revolutionsjahren erschienenen Übersetzungen Vergils, an denen Voß evident gemacht hat, wie politisch antike Texte gelesen werden können (»Landbau. Eutin«, Heidelberg. 1789. »Vierte Ekloge«. Altona 1795. »Zehn erlesene Idyllen« Altona 1797. »Aeneis«. Braunschweig 1799). Offenbar wollte Voß schließlich die »ganze Antike« ins Deutsche bringen: Ovids »Verwandlungen« (Braunschweig 1798), Horaz (Heidelberg 1802), Hesiod (Heidelberg 1806), Theokrit, Bion und Moschus (Tübingen 1808), »Tibull und Lygdamus« (Tübingen 1810), Aristophanes (Braunschweig 1821), »Hymne an Demeter« (Heidelberg 1826), »Properz« (Braunschweig 1830).


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