13. Bundesgesang

[180] Dezember 1772.


Prahlt nur, Sänger Lutetiens!

Gleichet euren Gesang selber (so ziemt es sich!)

Der unsterblichen Grazie

Des Dircäers, und trotzt jenem, der Latiums

Freiheitsmörder vergötterte!

Warum solltet ihr's nicht? Habt ihr die Hoffnungen

Eurer Könige, welche zur

Kurzweil scharenweis euch fütterten, nicht erfüllt?[180]

Scholl nicht tausendmal euer Lied

Aus den Schlünden des Ruhms? Haucht' es nicht tausendmal

Wilde Gluten dem Jünglinge,

Und der heiligen Brust blühender Mädchen ein?

Billig werft ihr den Seitenblick

Spöttisch über den Rhein, in das barbarische

Land, wo Roßbach und Höchstädt noch

Vom unmenschlichen Mord feinerer Franzen raucht!

Billig schimpft ihr das rauhe Lied,

(Ach! kein Mädchen und kein witziger Höfling liebt's!)

Das, in holpernden Tönen, Gott,

Dieses Märchen! und ha! Freiheit und Vaterland

Und altvätrische Tugend singt! –

Doch laß ab, o Gesang! Spotte der Tändler nicht!

Unbesorgt um den trägen Strauß,

Der, dem Äther zu schwer, segelnde Schwingen dem

Wind' ausspreitend, den Sand durchscharrt,

Stürmt der Adler voll Stolz leuchtenden Sonnen zu!

Tritt, gerüstet mit Kühnheit, auf,

Und frag' jegliches Volk unter dem Himmel, frag',

Welcher einzig noch Antwort hat,

Selbst den Britten, ob er habe der Jünglinge,

Die, von Fürsten unangefeu'rt,

Hasser goldenen Lohns, Hasser weitstrahlender

Pöbelehren, mit hohem Schwur

Alles Leben nur dir, Tugendgesang, geweiht!

Der allwissend in unser Herz

Schaute, warum, o Gott, schwieg in der Rechten dir

Der heimsuchende Donnerstrahl?

Warum leuchtete sanftlächelnd dein Antlitz uns,

Daß der Mond in dem Wiederschein

Und der sternende Pol' lächelt', und ehrfurchtsvoll

Jedes feiernde Lüftchen sank?

Meine Brüder, Triumph! Uns hat gesegnet Gott!

Kommt, umarmt mich, und reicht den Kranz

Mir des heiligen Laubs, welches uns schattete!

Uns gesegnet hat Gott! O kommt,

Meine Miller, am Arm eures geliebten Hahn!

Und du, welchem die zärtliche[181]

Wollustthräne den Blick trübet, o Hölty, komm!

Seht den klopfenden Busen hier,

Stolbergs Biedergeschlecht! Sieh ihn, mein Boie, du!

Freiheit klopft er und Vaterland!

Du, das strahlende Ziel nächtlicher Wachen und

Thränenblinkender Stunden, wie

Flammt dir einzig mein Herz, Vaterland! Vaterland!

Ach, wie ring' ich, wie ring' ich, bald

Wert des jauchzenden Danks deines erwählten Stamms,

Und, Bastarde Thuiskons, und

Schiele Nachbarn, zu sein eures Geknirsches wert!


Quelle:
Deutsche Nationalliteratur, Band 49, Stuttgart [o.J.], S. 180-182.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Brachvogel, Albert Emil

Narziß. Ein Trauerspiel in fünf Aufzügen

Narziß. Ein Trauerspiel in fünf Aufzügen

Albert Brachvogel zeichnet in seinem Trauerspiel den Weg des schönen Sohnes des Flussgottes nach, der von beiden Geschlechtern umworben und begehrt wird, doch in seiner Selbstliebe allein seinem Spiegelbild verfällt.

68 Seiten, 8.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Sturm und Drang II. Sechs weitere Erzählungen

Geschichten aus dem Sturm und Drang II. Sechs weitere Erzählungen

Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Für den zweiten Band hat Michael Holzinger sechs weitere bewegende Erzählungen des Sturm und Drang ausgewählt.

424 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon