15. An Klopstock

[183] 3. April 1773.


Tritt hin, mein Lied! Tritt mutig vors Angesicht

Des Sioniten! Zittre, wer Frevler ist!

Du, keines Knecht, selbst sein nicht! weihtest

Frühe dich Gott und dem Vaterlande!


In hoher Wolke feiert den Ewigen

Der Ruf des Donners; aber ihn feiert auch

Des Halmes Grille, die dem Schnitter

Fröhlichkeit singt und der jungen Hirtin.


Hat nicht Eloa seinen Gesang geehrt?

Sprecht, Edens Wonnen, welch' ihm der Seraph schuf!

Und er, von seinem Tabor, sollte

Stolz auf den Jünglingsgesang herabschaun?


Mann Gottes, wahrlich! kannst es nicht! kannst mein Herz

Nicht so betrüben! Schmeichler umarmte mich

Mein Bruder? rief mir falschen Beifall?

Mädchen, du weintest mir Heuchelthränen?


Still, meine Seele! Wahrlich! er kann es nicht!...

Und wenn sein Antlitz Segen mir lächelte?

»Getrost, mein Sohn! du singst der Eiche

Würdiger einst, und der Palme Sions!«...
[183]

O dann, ihr Brüder, schwur ich mit euch dem Herrn!

Dann kniet' ich einsamweinend, als Knabe schon,

Vor meinem Gott, und fleht' um Weisheit;

Und mich umschwoll's, wie Gesang des Himmels!


Dann räch' ich, Unschuld, dich mit Jehovahs Kraft

An Satans Priestern! an den Verrätern dich

Mein Vaterland! des Pöbels Hohnruf

Trotzend, und trotzend dem Wink des Wütrichs!


Quelle:
Deutsche Nationalliteratur, Band 49, Stuttgart [o.J.], S. 183-184.
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