29. An Göckingk

[203] 1780.


Welche Hexe, geübt, zur Walpurgsgala

Meister Satans auf Bock und Ofengabel

Hinzureiten; vor Lust aus ihrem Nachttopf

Ungewitter zu gießen; Flöh' und Wanzen,

Mäus' und Ratzen in unbekreuzte Häuser

Frommer Leute zu bannen; Saatenfelder

Kahl zu hexen; und nachts die Kuh des Nachbars

Durch den Ständer zu melken, daß die Viehmagd

Voll Verwunderung Blut statt Milch herauszerrt:[203]

Welch triefäugichtes, schieles, ausgestäuptes,

Längst für Galgen und Rad und Strang und Holzstoß

Reifgewordenes Weib erfand das Posthorn,

Welches mächtiger noch an Zaubertönen,

Als des Hamelschen Ratzenfängers Pfeife,

Allen dichtrischen Aberwitz und Unsinn,

Der im heiligen römschen Reich nur aufkeimt,

Mir herbannt! Denn so oft des Schreckenhornes

Taratantara tönt; kömmt Ode, Volkslied,

Epigramm und Idyll', Epistel, Fabel,

Elegie und Ballad', und aller Mißwachs,

Der auf sandiger Heid', in kalten Sümpfen,

Oder brennendem Miste wild hervorschoß:

Kommt im Sturme dahergesaust, und wuchert

Durch die Beete des schönen Blumengartens,

Wo, ermüdet von Arbeit, Deutschlands Männer

Und rotwangichte Frau'n in lauer Dämmrung

Atmend unter Gesang und Lachen wandeln.

Gäte, raufe mit mir das geile Unkraut!

Hurtig, Göckingk, du rechts; ich gäte linksum!

Hier die Quecke von Trink- und Liebesliedern,

Dort elegischen Wermut, Odentollwurz,

Und Saudisteln des Minn'- und Bardensanges,

Taube Nesseln des Epigramms, und langen

Epistolischen Hühnerschwarm, des Volkslieds

Pofist, und der Balladen Teufelsabbiß!

Hurtig! nicht in den Steig, dort hintern Dornbusch

Hingeschleudert den ekelhaften Unrat,

Aufgehäuft und verbrannt mit Pech und Schwefel!

Ha! dann stehen wir fern mit Hopfenstangen,

Abgewandt, und die Nase fest zuhaltend,

Stehn, und schüren die Glut; indes der dicke[204]

Pestaushauchende schwarze Qualm hoch aufsteigt,

Der noch stinkender, als Tobias Fischdampf,

Alle Teufel verscheucht, und, weht ein Teilchen

Ihr ins Maul, die verwünschte Hexe kitzelt,

Daß sie hustend die schwarze Seel' herauswürgt!

Aber, Freund, in den Winkeln laß des Unkrauts

Etwas stehen; damit die Säu' und Esel,

Die, ihanend und grunzend, nachts umhergehn,

Und voll kritischer Wut durch Zäune brechen,

Nicht aus Mangel an Fraß die Blumenbeete

Uns durchmäkeln mit Schnauz und dickem Rüssel!


Quelle:
Deutsche Nationalliteratur, Band 49, Stuttgart [o.J.], S. 203-205.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Schnitzler, Arthur

Das neue Lied und andere Erzählungen 1905-1909

Das neue Lied und andere Erzählungen 1905-1909

Die Sängerin Marie Ladenbauer erblindet nach einer Krankheit. Ihr Freund Karl Breiteneder scheitert mit dem Versuch einer Wiederannäherung nach ihrem ersten öffentlichen Auftritt seit der Erblindung. »Das neue Lied« und vier weitere Erzählungen aus den Jahren 1905 bis 1911. »Geschichte eines Genies«, »Der Tod des Junggesellen«, »Der tote Gabriel«, und »Das Tagebuch der Redegonda«.

48 Seiten, 3.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon