27. Neujahrslied

[259] 1784.


Des Jahres letzte Stunde

Ertönt mit ernstem Schlag:

Trinkt, Brüder, in die Runde,

Und wünscht ihm Segen nach.

Zu jenen grauen Jahren

Entfliegt es, welche waren;

Es brachte Freud' und Kummer viel,

Und führt' uns näher an das Ziel.


Chor.


Ja, Freud' und Kummer bracht' es viel,

Und führt' uns näher an das Ziel.


In stetem Wechsel kreiset

Die flügelschnelle Zeit:

Sie blühet, altert, greiset,

Und wird Vergessenheit;

Kaum stammeln dunkle Schriften

Auf ihren morschen Grüften.

Und Schönheit, Reichtum, Ehr' und Macht

Sinkt mit der Zeit in öde Nacht.


Chor.


Und Schönheit, Reichtum, Ehr' und Macht

Sinkt mit der Zeit in öde Nacht.
[259]

Sind wir noch alle lebend,

Wer heute vor dem Jahr,

In Lebensfülle strebend,

Mit Freunden fröhlich war?

Ach, mancher ist geschieden,

Und liegt und schläft in Frieden!

Klingt an, und wünschet Ruh hinab,

In unsrer Freunde stilles Grab.


Chor.


Klingt an, und wünschet Ruh hinab,

In unser Freunde stilles Grab.


Wer weiß, wie mancher modert

Ums Jahr, versenkt ins Grab!

Unangemeldet fodert

Der Tod die Menschen ab.

Trotz lauem Frühlingswetter

Wehn oft verwelkte Blätter.

Wer von uns nachbleibt, wünscht dem Freund

Im stillen Grabe Ruh, und weint.


Chor.


Wer nachbleibt, wünscht dem lieben Freund

Im stillen Grabe Ruh, und weint.


Der gute Mann nur schließet

Die Augen ruhig zu;

Mit frohem Traum versüßet

Ihm Gott des Grabes Ruh.

Er schlummert kurzen Schlummer

Nach dieses Lebens Kummer;

Dann weckt ihn Gott, von Glanz erhellt,

Zur Wonne seiner bessern Welt.


Chor.


Dann weckt uns Gott, von Glanz erhellt,

Zur Wonne seiner bessern Welt.


Auf, Brüder, frohes Mutes,

Auch wenn uns Trennung droht!

Wer gut ist, findet gutes

Im Leben und im Tod![260]

Dort sammeln wir uns wieder,

Und singen Wonnelieder!

Klingt an, und: Gut sein immerdar!

Sei unser Wunsch zum neuen Jahr!


Chor.


Gut sein, ja gut sein immerdar!

Zum lieben frohen neuen Jahr!


Quelle:
Deutsche Nationalliteratur, Band 49, Stuttgart [o.J.], S. 259-261.
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