45. Rundgesang beim Bischof

[289] 25. Juli 1792.


Herr Wirt, die Gläser voll geschenket,

Als tugendsamer Wirt!

Es weidet nicht allein, es tränket

Die Herd' ein guter Hirt,

Bald stockt die Red' im dürren Halse,

Von Braten, Fisch und Heringssalse,

Wo nicht gefeuchtet wird.


Alle.


Heil, Heil! da verkläret das Mahl

Mit purpurnem Strahl

Der Ambrosia Bruder Episkopal!
[289]

In aufgestülpter Kumme dunkelt

Die laue Purpurflut;

Die Kelle winkt, und ringsher funkelt

In Gläsern trübe Glut.

Holdlächelnd herrscht an ihrer Quelle

Die Wirtin mit erhobner Kelle,

Und spendet Kraft und Mut.


Alle.


Heil, Heil! wie verkläret das Mahl

Mit purpurnem Strahl

Der Ambrosia Bruder Episkopal!


Die Götter sahn aus lichter Höhe

Die Erdensöhn' erschlafft,

Und sannen mitleidsvoll dem Wehe

Zum Labsal neuen Saft.

Geh hin, mein Sohn, rief Zeus Alciden,

Und nimm vom Hain der Hesperiden

Des goldnen Apfels Kraft.


Alle.


Heil, Heil! da verklärte das Mahl

Mit purpurnem Strahl

Der Ambrosia Bruder Episkopal!


Zum Atlas ging der Menschen Heiland,

Vom Geist des Vaters voll,

Wo nah' im Ocean ein Eiland

Den Göttern Nahrung quoll;[290]

Und sah an hellbelaubten Ästen,

Wie, sanft gewiegt von lauen Westen,

Das Gold der Äpfel schwoll.


Alle.


Heil, Heil! da verklärte das Mahl

Mit purpurnem Strahl

Der Ambrosia Bruder Episkopal!


Er schlug den blaugeschuppten Wächter,

Der graß den Baum umwand;

Und singend reichten Hespers Töchter

Die Goldfrucht seiner Hand,

Die trug er heim zu Bacchus Feier,

Der Bändiger der Ungeheuer,

Und stärkte Griechenland.


Alle.


Heil, Heil! da verklärte das Mahl

Mit purpurnem Strahl

Der Ambrosia Bruder Episkopal!


Lyäus nahm die Frucht, und zwängte

Den Saft in Pramnerwein;

Die schönste der Mänaden mengte

Hymettus' Honig ein.

Und wer ihn trank, ward hohes Mutes,

Und rang, durch Schönes nur und Gutes

Die Menschen zu erfreun.


Alle.


Heil, Heil! wie verklärte das Mahl

Mit purpurnem Strahl

Der Ambrosia Bruder Episkopal!


Wie frischem Morgentau entsproßte

Ein edleres Geschlecht,

Und strebte, stark vom Göttermoste,[291]

Für Wahrheit und für Recht.

Bald huben sich Timoleone;

Vom Arm der Brutus und Katone

Ward Herrschertrotz gerächt.


Alle.


Heil, Heil! wie verklärte das Mahl

Mit purpurnem Strahl

Der Ambrosia Bruder Episkopal!


Auch wir, der Obhut Söhne, feiern

Der Obhut Weihetrank,

Und schwören Haß den Ungeheuern,

An Leib und Seele frank!

In seiner Räuberhöhl' erblasse

Der Heuchler und der stolze Sasse

Dem heiligen Gesang!


Alle.


Heil, Heil! wie verkläret das Mahl

Mit purpurnem Strahl

Der Ambrosia Bruder Episkopal!


Quelle:
Deutsche Nationalliteratur, Band 49, Stuttgart [o.J.], S. 289-292.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Meyer, Conrad Ferdinand

Jürg Jenatsch. Eine Bündnergeschichte

Jürg Jenatsch. Eine Bündnergeschichte

Der historische Roman aus der Zeit des Dreißigjährigen Krieges erzählt die Geschichte des protestantischen Pastors Jürg Jenatsch, der sich gegen die Spanier erhebt und nach dem Mord an seiner Frau von Hass und Rache getrieben Oberst des Heeres wird.

188 Seiten, 6.40 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Dass das gelungen ist, zeigt Michael Holzingers Auswahl von neun Meistererzählungen aus der sogenannten Biedermeierzeit.

434 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon