47. Der zufriedne Greis

[293] Ein Nachbar von Gleims Hüttchen.


17. November 1794.


Ich sitze gern im Kühlen

Auf meiner Knüppelbank,

Und seh' im Winde wühlen

Das Roggenfeld entlang.

Dann flecht' ich Stühl' und Körbe,

Und sing', und denke wohl:

Bald sagt des Holzes Kerbe,

Die vierte Stieg' ist voll.


Wie unvermerkt doch schlendert

Die liebe Zeit dahin!

Gar viel hat sich verändert,

Seit ich im Dorfe bin.

So manches Jugendspielers

Gedenk' ich: Ach der war!

Der Sohn des Nebenschülers

Hat auch schon graues Haar.


Wer hören mag, der höret

Mich oft von alter Zeit:

Wer da und dort verkehret,

Wer dies und das verneut.

Ich weiß des Krams nicht minder,

Als unsers Kirchturms Knopf;

Das Neue nur, ihr Kinder,

Behalt' ich nicht im Kopf.
[294]

Ich mag's auch nicht behalten,

Ob's abschreckt oder körnt;

Ich habe längst am Alten

Mein Sprüchlein ausgelernt:

Der Mensch im Anfang launet,

Und findet manches hart;

Er wird's gewohnt, und staunet,

Wie gut es endlich ward.


Du wirk', ohn' umzugaffen,

Und übe deine Pflicht.

Will Gott was Neues schaffen,

So widerstrebe nicht.

Wie seltsam er oft bessert,

Er übersieht uns weit:

Was klein war, wird vergrößert,

Das Große wird zerstreut.


Fürwahr im Himmel waltet,

Der wohl zu walten weiß;

Der Alte, der nie altet,

Der lenkt der Dinge Gleis.

Gewitter, Sturm und Regen

Erheitern Luft und Flur.

Bebt nicht vor Donnerschlägen;

Der Alte bessert nur.


Jetzt naht er manchem Volke

Mit Strafgericht und Graus,

Und donnert aus der Wolke;

Getrost! er bessert aus.

Drum laß ich ohne Kummer

Es gehen, wie es geht:

Als ob in halbem Schlummer

Um mich der Schatten weht.


Quelle:
Deutsche Nationalliteratur, Band 49, Stuttgart [o.J.], S. 293-295.
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