58. Friedensreigen

[309] 9. Januar 1795.


Mit Gesang und Tanz sei gefeiert,

O du Tag, und o Nacht, auch du!

Denn er kömmt, der Fried', und erneuert

Die Gefild' uns mit Heil und Ruh!

Von der Grenze kehrt, wer gestritten,

Mit der Eichen Laub' in die Hütten!

O wie eilt ihr Gang

In der Trommeln Klang,

In der Hörner Getön und dem Siegsgesang!
[310]

Wer daheim in Angst sich gegrämet,

O hinaus, und begrüßt das Heer,

Mit der Lieb' Umarmung, und nehmet

Das Gepäck und das Mordgewehr!

Ja er lebt, dein Sohn, du Betrübter!

Ja er lebt, o Braut, dein Geliebter!

Ja der Vater lebt!

Wie er sehnend strebt

Nach der Kindelein Schwarm, und vor Freude bebt!


Sei gegrüßt in heiligen Narben,

Mit Triumph uns gegrüßt, o Held!

Mit Triumph auch grüßt sie, die starben

Für Gemein' und Altar im Feld!

Doch verschont, unrühmliche Zähren,

Die geweihte Gruft zu entehren!

Es belohnt, o Wais',

Und o Witw' und Greis,

Es belohnt die Gemein' euch mit Kost und Preis!


Wie umzog uns schwarz das Gewitter

Der Verschwornen zu Fuß und Roß:

Der Tyrannen Schwarm, und der Ritter,

Ein unzählbarer Mietlingstroß![311]

Doch ein Hauch verweht das Getümmel;

Und es strahlt die Sonn' an dem Himmel.

Nun beginnt der Tanz

In dem Eichenkranz

Um der Freiheit Altar und des Vaterlands!


Nun erhebt euch, frei der Befehdung,

Die Gewerb', und das Land zu baun:

Daß erblühn von Fleiß aus Verödung

Der Verbrüderten Berg' und Au'n.

Dem Gebornen pflanzt und dem Gatten;

Und der Säugling spiel' in dem Schatten!

Kein Bezwinger schwächt

Uns Gesetz und Recht;

Es gebeut uns kein Herr, es gehorcht kein Knecht!


O du Vaterland der Gemeine,

Die für all' und für einen wirbt,

Wo für aller Wohl auch der eine

Mit Entschlossenheit lebt und stirbt!

Wir Vereinten schwören dir wieder,

Zu beharren frei und wie Brüder!

Ja mit Herz und Hand

Sei geknüpft das Band

Für Gemein' und Altar, o du Vaterland!


Quelle:
Deutsche Nationalliteratur, Band 49, Stuttgart [o.J.], S. 309-312.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Jean Paul

Titan

Titan

Bereits 1792 beginnt Jean Paul die Arbeit an dem von ihm selbst als seinen »Kardinalroman« gesehenen »Titan« bis dieser schließlich 1800-1803 in vier Bänden erscheint und in strenger Anordnung den Werdegang des jungen Helden Albano de Cesara erzählt. Dabei prangert Jean Paul die Zuchtlosigkeit seiner Zeit an, wendet sich gegen Idealismus, Ästhetizismus und Pietismus gleichermaßen und fordert mit seinen Helden die Ausbildung »vielkräftiger«, statt »einkräftiger« Individuen.

546 Seiten, 18.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Sturm und Drang II. Sechs weitere Erzählungen

Geschichten aus dem Sturm und Drang II. Sechs weitere Erzählungen

Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Für den zweiten Band hat Michael Holzinger sechs weitere bewegende Erzählungen des Sturm und Drang ausgewählt.

424 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon