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Am 22. Mai 1813 in Leipzig auf dem Brühl im »Rot und Weißen Löwen«, zwei Treppen hoch, geboren, wurde ich zwei Tage darauf in der Thomaskirche mit dem Namen Wilhelm Richard getauft. Mein Vater Friedrich Wagner, zur Zeit meiner Geburt Polizeiaktuarius in Leipzig, mit der Anwartschaft auf die Stelle des Polizeidirektors daselbst, starb im Oktober des Jahres meiner Geburt infolge großer Anstrengungen, welche ihm die überhäuften polizeilichen Geschäfte während der kriegerischen Unruhen und der Schlacht bei Leipzig zuzogen, durch Ansteckung des damals epidemisch gewordenen Nervenfiebers. Über die Lebensverhältnisse seines Vaters vernahm ich späterhin, daß dieser in dürftiger bürgerlicher Sphäre als Toreinnehmer am Ranstädter Tore sich dadurch vor seinen Standesgenossen auszeichnete, daß er seinen beiden Söhnen eine gelehrte Erziehung gab, indem er den einen – meinen Vater Friedrich – Jurisprudenz, den andern, jüngern – Adolf – Theologie studieren ließ. Mein Oheim gewann später einen nicht unbedeutenden Einfluß auf meine Entwicklung; wir werden ihm in einer entscheidenden Phase meiner Jugendgeschichte wieder begegnen. Über meinen für mich so früh verstorbenen Vater erfuhr ich später, daß er im allgemeinen sehr für Poesie und Literatur eingenommen, namentlich dem damals von den gebildeten Ständen sehr gepflegten Theater eine fast leidenschaftliche Teilnahme zuwendete. Meine Mutter erzählte mir unter anderm, daß er mit ihr zur ersten Aufführung der »Braut von Messina« nach Lauchstädt reiste; dort zeigte er ihr auf der Promenade Schiller und Goethe, sie enthusiastisch ob ihrer Unkenntnis dieser großen Männer zurechtweisend. Er soll selbst nicht frei von galanter Leidenschaftlichkeit für Künstlerinnen des Theaters gewesen sein. Meine Mutter beklagte sich scherzend, daß sie öfters sehr lange mit dem Mittagsessen auf ihn habe[9] warten müssen, während er bei einer damals berühmten Schauspielerin begeisterte Besuche abstattete; von ihr gescholten, behauptete er durch Aktengeschäfte zurückgehalten worden zu sein, und wies zur Bestätigung auf seine angeblich mit Tinte befleckten Finger, welche bei erzwungener näherer Besichtigung sich als vollkommen sauber auswiesen. Von seiner großen Neigung für das Theater zeugte außerdem die Wahl eines innig vertrauten Hausfreundes, des Schauspielers Ludwig Geyer. Hatte ihn bei der Wahl dieses Freundes gewiß hauptsächlich seine Theaterliebe geleitet, so führte er in ihm seiner Familie zugleich den edelsten Wohltäter zu, indem dieser bescheidene Künstler durch innigen Anteil an dem Lose der zahlreichen Nachkommenschaft seines unerwartet schnell verscheidenden Freundes Wagner bewogen, den Rest seines Lebens auf das angestrengteste der Erhaltung und Erziehung dieser Familie widmete. Schon während der Polizeiaktuar seine Abende im Theater verbrachte, vertrat der treffliche Schauspieler meist seine Stelle im Schoße seiner Familie, und es scheint, daß er oft die mit Recht oder Unrecht über Flatterhaftigkeit ihres Gatten klagende Hausmutter zu beschwichtigen hatte. Wie tief das Bedürfnis des heimatlosen, vom Leben hart geprüften und umhergeworfenen Künstlers war, in einem sympathischen Familienverhältnisse sich heimisch zu wissen, bezeugte er dadurch, daß er ein Jahr nach dem Tode seines Freundes dessen Witwe ehelichte, und fortan der sorgsamste Vater der hinterlassenen sieben Kinder ward. Bei diesem schwierigen Unternehmen begünstigte ihn ein unerwartetes Gedeihen seiner äußeren Lage. Als Schauspieler des sogenannten Charakterfaches erhielt er bei dem neu errichteten Dresdener Hoftheater eine vorteilhafte, ehrende und dauernde Anstellung. Das Malertalent, welches ihm einst schon sein Leben zu fristen verholfen hatte, als er, durch äußerste Armut genötigt, seine Universitätsstudien unterbrechen mußte, wurde in seiner Dresdener Stellung von neuem beachtet. Zwar beklagte er, mehr noch als seine Kritiker, von einer regelmäßigen und schulgerechten Ausbildung desselben abgehalten worden zu sein; dennoch erwarb ihm seine außerordentliche Begabung namentlich für Porträtähnlichkeit so bedeutende Aufträge, daß er unter der doppelten Anstrengung als Maler und Schauspieler leider frühzeitig seine Kräfte erschöpfte. Als er einst in München zu einem Gastspiel am Hoftheater eingeladen war, erhielt er, durch vorteilhafte Empfehlung des sächsischen Hofes eingeführt, vom bayerischen Hofe so bedeutende Aufträge für Porträts der Allerhöchsten Familie, daß er darum sein Gastspiel zu unterbrechen und gänzlich aufzugeben für gut hielt. Aber auch dichterisches Talent war ihm zu eigen; nach manchen in oft sehr zierlichen Versen verfaßten Gelegenheitsstücken schrieb er auch mehrere Lustspiele, von denen eines, der Bethlehemitische Kindermord, in gereimten Alexandrinern, häufig gegeben ward, gedruckt[10] erschien und von Goethe freundlichst gelobt wurde. Dieser ausgezeichnete Mann, unter dessen Führung in meinem zweiten Lebensjahre meine Familie nach Dresden übersiedelte, und von dem meine Mutter noch eine Tochter (Cäcilie) gewann, übernahm nun mit größester Sorgfalt und Liebe auch meine Erziehung. Er wünschte mich gänzlich als eigenen Sohn zu adoptieren, und legte mir daher, als ich in die erste Schule aufgenommen ward, seinen Namen bei, so daß ich meinen Dresdener Jugendgenossen bis in mein vierzehntes Jahr unter dem Namen Richard Geyer bekannt geblieben bin. Erst als meine Familie, längere Jahre nach dem Tode des Stiefvaters, sich wieder nach Leipzig wandte, nahm ich dort, am Sitz meiner ursprünglichen Verwandtschaft den Namen Wagner wieder an.
Meine frühesten Jugenderinnerungen haften an diesem Stiefvater, und gleiten von ihm auf das Theater über. Wohl entsinne ich mich, daß mein Vater gern Malertalent sich in mir entwickeln gesehen haben würde; sein Arbeitszimmer mit der Staffelei und den Gemälden darauf ist zwar auf mich nicht ohne Eindruck gewesen; ich entsinne mich, daß ich namentlich ein Porträt des Königs Friedrich August von Sachsen mit kindischem Nachahmungseifer zu kopieren versuchte; sobald es aber von dieser naiven Kleckserei zu ernsteren Zeichnungsstudien übergehen sollte, hielt ich, vielleicht schon durch die pedantische Manier meines Lehrers (eines langweiligen Vetters) abgeschreckt, nicht aus. Nachdem ich in zartester Kindheit durch eine Entwicklungskrankheit so elend geworden war, daß meine Mutter mir später erzählte, sie habe, da ich unrettbar schien, fast meinen Tod gewünscht, scheine ich zum Überraschen meiner Eltern dann gediehen zu sein. Auch bei dieser Gelegenheit ist mir der großmütige Anteil des vortrefflichen Stiefvaters berichtet worden, welcher, nie verzweifelnd trotz der Sorgen und Beschwerden des starken Familienbestandes, geduldig blieb, und nie die Hoffnung, mich durchgebracht zu sehen, aufgab. – Große Gewalt übte nun auf meine Phantasie die Bekanntschaft mit dem Theater, in welches ich nicht nur als kindischer Zuschauer in der heimlichen Theaterloge mit ihrem Eingang über die Bühne, nicht nur durch den Besuch der Garderobe mit ihren phantastischen Kostümen und charakteristischen Verstellungsapparaten, sondern auch durch eigenes Mitspielen eingeführt wurde. Nachdem mich »Die Waise und der Mörder«, »Die beiden Galeerensklaven«, und ähnliche Schauerstücke, in welchen ich meinen Vater die Rollen der Bösewichter spielen sah, mit Entsetzen erfüllt hatten, mußte ich selbst einige Male mit Komödie spielen. Bei einem Gelegenheitsstücke zur Bewillkommnung des aus der Gefangenschaft zurückkehrenden Königs von Sachsen – »Der Weinberg an der Elbe«, mit Musik vom Kapellmeister C.M. von Weber, entsinne ich mich, bei einem lebenden Bilde als Engel ganz in Trikots eingenäht, mit Flügeln auf dem Rücken, in schwierig eingelernter graziöser Stellung figuriert zu haben. Auch erinnere ich mich bei dieser Gelegenheit einer großen Zuckerbrezel, von der mir versichert[11] wurde, daß sie mir der König persönlich bestimmt habe. Endlich entsinne ich mich, in Kotzebues »Menschenhaß und Reue« selbst eine mit wenigen Worten versehene Kinderrolle dargestellt zu haben, welche mir in der Schule, da ich dort meine Aufgabe nicht gelernt hatte, zum Vorwand übermäßiger Beschäftigung dienen mußte, indem ich angab, eine große Rolle in den »Menschen außer der Reihe« zu memorieren gehabt zu haben.
Wie ernst es dagegen mein Vater mit meiner Erziehung nahm, bewies er, als er nach meinem vollbrachten sechsten Jahre mich zu einem Pfarrer auf das Land, nach Possendorf bei Dresden, brachte, wo ich in Gesellschaft anderer Knaben aus guten Familien eine vortreffliche, nüchterne und gesunde Erziehung erhalten sollte. In die kurze Zeit dieses Aufenthaltes fallen manche erste Erinnerungen von den Eindrücken der Welt: des Abends wurde uns Robinson vom Pfarrer erzählt und mit vortrefflichen dialogischen Belehrungen begleitet. Großen Eindruck machte auf mich die Vorlesung einer Biographie Mozarts, wogegen die Zeitungs- und Kalenderberichte über die Vorfälle des gleichzeitigen griechischen Befreiungskampfes drastisch aufregend auf mich wirkten. Meine Liebe für Griechenland, die sich späterhin mit Enthusiasmus auf die Mythologie und Geschichte des alten Hellas warf, ging somit von der begeisterten und schmerzlichen Teilnahme an Vorgängen der unmittelbaren Gegenwart aus. Ich entsinne mich, später in dem Kampf der Hellenen gegen die Perser immer die Eindrücke dieses neuesten griechischen Aufstandes gegen die Türken wiederempfunden zu haben.
Eines Tages, nach kaum einjähriger Dauer dieses ländlichen Aufenthaltes, kam ein Bote aus der Stadt an, welcher den Pfarrer benachrichtigte, er möge mich in das elterliche Haus nach Dresden geleiten, weil dort mein Vater im Sterben liege. Wir legten den dreistündigen Weg zu Fuß zurück; sehr ermüdet ankommend, begriff ich die tränenreiche Haltung meiner Mutter kaum. Des andern Tages ward ich an das Bett meines Vaters geführt; die äußerste Schwäche, mit der er zu mir sprach, alle Vorkehrungen einer letzten verzweifelten Behandlung seiner akuten Brustwassersucht erfüllten mich durchaus nur wie Traumgebilde; ich glaube, die bange Verwunderung war in mir so mächtig, daß ich nicht weinen konnte. In einem anstoßenden Nebenzimmer lud mich die Mutter ein, zu zeigen, was ich auf dem Klavier gelernt habe, in der guten Absicht, es dem Vater zur Zerstreuung zu Gehör zu bringen: ich spielte »Üb' immer Treu' und Redlichkeit«; der Vater hat da die Mutter gefragt: »Sollte er etwa Talent zur Musik haben?« – Am andern Morgen trat beim ersten Tagesgrauen die Mutter in die große Kinderschlafstube, kam zu jedem von uns an das Bett und meldete schluchzend des Vaters Tod, jedem von uns wie zum Segen etwas von ihm sagend; zu mir sagte sie: »Aus dir hat er etwas machen wollen.« Am Nachmittag kam[12] Pastor Wetzel und holte mich wieder auf das Land ab. Wir gingen wieder zu Fuß und erreichten erst in nächtlicher Dämmerung Possendorf; unterwegs frug ich ihn viel nach den Sternen, über die er mir eine erste verständige Auskunft gab. Acht Tage darauf erschien der Bruder des Verstorbenen, welcher aus Eisleben herbeigekommen war, um dem Begräbnis beizuwohnen; er hatte der nun wiederum hilflos gewordenen Familie nach Kräften seine Unterstützung zugesagt und es übernommen, für meine Erziehung fortan zu sorgen. Ich nahm Abschied von meinen Jugendgenossen und von dem liebenswürdigen Pastor, zu dessen eigenem Begräbnis ich nach wenigen Jahren zum erstenmal wieder nach Possendorf zurückkehrte, welches ich dann nur viel später wieder einmal auf einer Exkursion besuchte, wie ich sie oft als Dresdener Kapellmeister weit in das Land hinein zu Fuß unternahm: es ergriff mich sehr, das alte Pfarrhaus nicht mehr zu finden, dafür einen reichlichern modernen Aufbau, der mich so gegen den Ort verstimmte, daß ich späterhin meine Ausflüge nie wieder in diese Gegend richtete.
Mein Oheim brachte mich diesmal im Wagen nach Dresden zurück; ich traf die Mutter und die Schwestern in tiefer Trauerkleidung, und entsinne mich, zum erstenmal mit einer in der Gewohnheit meiner Familie nicht heimischen Zärtlichkeit empfangen und wieder entlassen worden zu sein, als ich nach wenigen Tagen von dem Oheim mit nach Eisleben genommen wurde. Dort war dieser jüngere Bruder meines Stiefvaters als Goldschmied niedergelassen; einer meiner älteren Brüder (Julius), war bereits von ihm in die Lehre aufgenommen; zugleich lebte bei ihm, dem Unverehelichten, noch die alte Großmutter. Man hat dieser, deren baldiges Ende man voraussah, den Tod ihres älteren Sohnes verschwiegen; auch ich wurde dazu angehalten, nichts davon zu verraten. Das Dienstmädchen nahm sorgsam den Trauerflor von meinem Kleide und erklärte, ihn für die Großmutter aufbewahren zu wollen, wenn sie, wie für bald zu erwarten, gestorben sein würde. Ich mußte nun der Großmutter öfter vom Vater erzählen; die Verheimlichung seines Todes glückte mir ohne Anstrengung, da ich selbst kein deutliches Bewußtsein davon hatte. Sie lebte in einer finsteren Hinterstube, auf einen engen Hof hinaus, und hatte gern frei umherflatternde Rotkehlchen bei sich, für welche stets frisch erhaltene grüne Zweige am Ofen ausgesteckt waren. Es glückte mir selbst, ihr im Sprenkel welche einzufangen, als die alten von der Katze getötet worden waren: hierüber freute sie sich sehr und hielt mich sauber und reinlich. Auch ihr vorausgesehener Tod trat bald ein: der aufgesparte Trauerflor wurde nun offen in Eisleben getragen; das Hinterstübchen mit den Rotkehlchen und grünen Büschen hörte für mich auf. – Bei einer Seifensiederfamilie, welcher das Haus gehörte, wurde ich bald heimisch und durch meine Erzählungen, welche ich ihr zum besten gab, beliebt. Ich wurde in eine Privatschule geschickt, welche ein Magister Weiß hielt, der auf mich einen ernsten und würdigen Eindruck hinterlassen hat. Mit Rührung las ich am Ende der fünfziger Jahre in einer[13] musikalischen Zeitung den Bericht über eine in Eisleben stattgefundene Musikaufführung mit Stücken aus dem Tannhäuser, welcher der ehemalige Lehrer des Kindes mit voller Erinnerung an dasselbe beigewohnt hatte.
Die kleine altertümliche Stadt mit dem Wohnhause Luthers und den mannigfachen Erinnerungen an dessen Aufenthalt, ist mir noch in spätesten Zeiten oft im Traume wiedergekehrt; es blieb mir immer der Wunsch, sie wieder zu besuchen, um die Deutlichkeit meiner Erinnerungen bewährt zu finden: sonderbarerweise bin ich nie dazu gekommen. Wir wohnten am Markte, der mir oft eigentümliche Schauspiele gewährte, wie namentlich die Vorstellungen einer Akrobaten-Gesellschaft, bei welchen auf einem von Turm zu Turm über den Platz gespannten Seile gegangen wurde, was in mir lange Zeit die Leidenschaft für ähnliche Kunststücke erweckte. Ich brachte es wirklich dazu, auf zusammengedrehten Stricken, welche ich im Hof ausspannte, mit der Balancierstange mich ziemlich geschickt zu bewegen; noch bis jetzt ist mir eine Neigung, meinen akrobatischen Gelüsten Genüge zu tun, verblieben. – Am wichtigsten wurde mir die Blechmusik eines in Eisleben garnisonierenden Husarenregimentes. Ein von ihr häufig gespieltes Stück erweckte damals als Neuigkeit unerhörtes Aufsehen: es war der »Jägerchor« aus dem Freischütz, welche Oper soeben in Berlin zur Aufführung gekommen war. Onkel und Bruder frugen mich lebhaft nach dem Komponisten, den ich in Dresden als Kapellmeister Weber doch gewiß im Hause der Eltern gesehen haben müßte. Zu gleicher Zeit ward in einer befreundeten Familie von den Töchtern der »Jungfernkranz« eifrig gespielt und gesungen. Diese beiden Stücke verdrängten nun bei mir meine Vorliebe für den Ypsilanti-Walzer, der mir bis dahin als das wunderbarste Tonstück galt. – Ich entsinne mich, viele Raufereien mit der autochthonen Knabenbevölkerung, welche ich namentlich durch meine viereckige Mütze zu beständiger Verhöhnung reizte, zu bestehen gehabt zu haben. Außerdem tritt noch der Hang zu abenteuerlichen Streifereien durch die felsigen Uferklippen der Unstrut in meine Erinnerung.
Durch die endliche Verheiratung meines Oheims, welcher nun einen neuen Hausstand sich einrichtete, trat, wie es scheint, auch eine starke Veränderung in seinen Beziehungen zu meiner Familie ein. Nach Verlauf eines Jahres ward ich von ihm nach Leipzig geleitet, wo ich für einige Tage den Verwandten meines Vaters (Wagner) übergeben wurde. Diese waren mein Onkel Adolf und dessen Schwester, meine Tante Friederike Wagner. Der sehr interessante Mann, welcher später immer anregender auf mich einwirkte, tritt mit seiner sonderbaren Umgebung von hier an zuerst deutlich in mein Bewußtsein. Er stand mit meiner Tante zugleich in sehr nahe befreundetem Verhältnisse zu einer wunderlichen alten Jungfer, Jeannette Thomé, der Mitbesitzerin eines großen Hauses am Markte, in welchem, wenn ich nicht irre, seit den Zeiten Augusts des Starken die sächsische Fürstenfamilie die zwei Hauptstockwerke für ihren jeweiligen Aufenthalt[14] in Leipzig gemietet und eingerichtet hatte. Jeannette Thomé fiel, so viel ich weiß, der eigentliche Besitz des zweiten Stockwerkes zu, in welchem sie für sich nur eine unscheinbare Wohnung nach dem Hof hinaus bewohnte. Da jedoch der König höchstens auf wenige Tage im Jahre von den gemieteten Räumen Gebrauch machte, so hielt sich Jeannette mit den Ihrigen für gewöhnlich in den vermieteten Prachtzimmern auf, und in einem dieser Prunkgemächer war es denn auch, wo mir meine Schlafstelle angewiesen wurde. Die Einrichtung dieser Räume war noch aus den Zeiten Augusts des Starken; prächtig aus schweren Seidenstoffen mit reichen Rokoko-Möbeln, alles bereits vom Alter stark abgenutzt. Wohl gefiel ich mir sehr in diesen großen phantastischen Räumen, von wo aus man auf den so belebten Leipziger Markt blickte, unter dessen Bevölkerung mich namentlich die gassenbreit aufziehenden Studenten, in ihrer altdeutschen burschenschaftlichen Tracht, außerordentlich fesselten. Nur an einem Schmuck dieser Räume hatte ich sehr zu leiden: das waren die verschiedenen Porträts, namentlich der vornehmen Damen im Reifrock mit jugendlichen Gesichtern und weißen (gepuderten) Haaren. Diese kamen mir durchaus als gespenstige Wesen vor, die mir, wenn ich allein im Zimmer war, lebendig zu werden schienen und mich mit höchster Furcht erfüllten. Das einsame Schlafen in einem solchen abgelegenen großen Gemach, in dem altertümlichen Prachtbett, in der Nähe eines solchen unheimlichen Bildes, war mir entsetzlich; zwar suchte ich vor der Tante, wenn sie mich des Abends mit einem Licht zu Bett brachte, meine Furcht zu verbergen; doch verging nie eine Nacht, ohne daß ich in Angstschweiß gebadet den schrecklichsten Gespenster-Visionen ausgesetzt war.
Den gespenstischen Eindruck dieses Aufenthaltes in das märchenhaft Sonderbare überzutragen, war die Persönlichkeit der drei Hauptbewohner dieses Stockwerkes vorzüglich geeignet: Jeannette Thomé war sehr klein und dick, trug eine blonde Titusperücke und schien sich in dem Bewußtsein früherer Zierlichkeit zu behagen. Ihre treue Freundin und Pflegerin, meine Tante, welche ebenfalls zur alten Jungfer geworden war, zeichnete sich durch Länge und große Magerkeit aus; das Phantastische ihres sonst sehr freundlichen Gesichtes war durch ihr außerordentlich spitzes Kinn vermehrt. Mein Oheim Adolf hatte sein Studierzimmer ein für allemal in einem finstern Gemach des Hofes aufgeschlagen. Dort traf ich ihn zuerst unter einem großen Wuste von Büchern, in einer unscheinbaren Hauskleidung, deren Charakteristisches in einer hohen spitzen Filzmütze bestand, wie ich sie in Eisleben bei dem Bajazzo der Seiltänzergesellschaft gesehen hatte. Ein großer Hang zur Selbständigkeit hatte ihn in dieses sonderbare Asyl getrieben. Ursprünglich zur Theologie bestimmt, gab er diese bald gänzlich auf, um sich einzig philosophischen und philologischen Studien zu widmen. Bei größter Abneigung gegen eine Wirksamkeit als Professor und Lehrer mit Anstellung, suchte er sich frühzeitig durch literarische Arbeiten[15] dürftig zu erhalten. Mit geselligen Talenten und namentlich einer schönen Tenorstimme begabt, auch seinerseits mit Interesse für das Theater erfüllt, scheint er in seiner Jugend als nicht ungern gesehener Belletrist in Leipzig einem größeren Bekanntenkreis liebgeworden zu sein. Bei einem Ausfluge nach Jena, auf welchem er mit einem Altersgenossen sich selbst bis zu musikalisch-deklamatorischen »Akademien« herbeigelassen zu haben scheint, besuchte er auch Schiller; er hatte sich hierzu mit einem Auftrage der Leipziger Theaterdirektion, welche den kürzlich vollendeten »Wallenstein« akquirieren wollte, versehen. Mir schilderte er späterhin den hinreißenden Eindruck, den Schiller auf ihn hervorbrachte, dessen schlanke hohe Gestalt und unwiderstehlich einnehmendes blaues Auge. Nur beklagte er sich, infolge eines gutgemeinten Streiches, den ihm sein Freund gespielt, in große und beschämende Verlegenheit gebracht worden zu sein. Dieser hatte nämlich ein Heft Gedichte Adolf Wagners zuvor an Schiller zu bringen gewußt; der betroffene junge Poet mußte nun von Schiller freundliche Lobsprüche hinnehmen, von denen er innigst überzeugt war, daß er sie nur der humanen Großmut Schillers zu verdanken hatte. – Später wandte er sich immer mehr nur noch philologischen Studien zu. Als eine der bekanntesten Arbeiten auf diesem Feld ist seine Herausgabe des Parnasso Italiano zu erwähnen, welche er Goethe mit einem italienischen Gedichte widmete, von welchem mir zwar durch Sachkenner versichert worden ist, daß es in einem ungebräuchlichen und schwülstigen Italienisch verfaßt sei, das ihm aber dennoch von Goethe einen anerkennungsvollen schönen Brief und einen silbernen Becher aus des Dichters gebrauchtem Hausgeräte erwarb. – Der Eindruck, den seine Erscheinung in der bezeichneten Umgebung in meinem achten Jahre auf mich machte, war durchaus rätselhafter, befremdender Art. –
Zunächst wurde ich nach wenigen Tagen wieder diesen Einflüssen entzogen, um zu meiner Familie nach Dresden gebracht zu werden. Dort hatte sich währenddem, unter der Leitung der nun alleinstehenden Mutter, meine Familie nach Kräften einzurichten gesucht. Mein ältester Bruder (Albert), ursprünglich zum Studium der Medizin bestimmt, hatte auf den Rat Webers, der seine Tenorstimme rühmte, die theatralische Laufbahn in Breslau ergriffen. Ihm folgte bald meine zweitälteste Schwester (Luise), ebenfalls als Schauspielerin dem Theater sich widmend. Meine älteste Schwester Rosalie war zu einer ehrenvollen Anstellung am Dresdener Hoftheater selbst gelangt und sie bildete nun fortan den Mittelpunkt des zurückgebliebenen jüngeren Teiles der Familie, wie sie die nächste Stütze der von Sorgen beschwerten Mutter blieb. Ich traf sie noch in derselben großen und angenehmen Wohnung, welche der Vater zuletzt eingerichtet hatte; nur waren stets einige überflüssige Zimmer zeitweilig an Fremde vermietet, unter denen einst auch Spohr sich einfand. Der großen Rührigkeit meiner Mutter verdankte, mit Hilfe verschiedener erleichternder Umstände, (unter denen[16] die fortdauernde Geneigtheit des Hofes gegen das Andenken meines Stiefvaters zu erwähnen ist) die Familie ein erträgliches Gedeihen, so daß auch in betreff meiner Erziehung keine Art Vernachlässigung eintrat.
Nachdem auch eine dritte Schwester (Klara) ihrer außerordentlich schönen Stimme zulieb für das Theater bestimmt war, hielt meine Mutter angelegentlich darauf, in mir nicht etwa auch Neigung für das Theater aufkommen zu lassen. Es war ihr stets ein Selbstvorwurf geblieben, daß sie in die theatralische Laufbahn meines ältesten Bruders gewilligt hatte; da mein zweiter Bruder keine weiteren Anlagen verriet als die, welche ihn zum Goldschmied bestimmt hatten, so war ihr nun daran gelegen, an mir die Hoffnungen und Wünsche des Stiefvaters, der »aus mir etwas machen wollte«, in Erfüllung gehen zu sehen. Mit meinem vollbrachten achten Jahre wurde ich auf das Gymnasium der Kreuzschule in Dresden geschickt; ich sollte studieren. Dort trat ich als unterster Schüler der untersten Klasse ein und begann nun unter den bescheidensten Anfängen meine gelehrte Bildung. Die Mutter verfolgte mit großer Teilnahme alle bei mir sich einstellenden Anzeichen von geistiger Lebendigkeit und Begabung.
Diese für alle, die sie kennenlernten, merkwürdig gebliebene Frau stellte ein eigentümliches Gemisch von bürgerlich-häuslicher Rührigkeit und großer geistiger Empfänglichkeit bei durchaus mangelnder gründlicher Erziehung dar. Über ihre Herkunft hat sie sich gegen keines ihrer Kinder umständlich vernehmen lassen. Sie stammte aus Weißenfels, und gab zu, daß ihre Eltern dort Bäcker gewesen seien. Schon in betreff ihres Namens äußerte sie sich aber mit einer sonderbaren Befangenheit, indem sie diesen als »Perthes« angab, während, wie wir wohl herausbekamen, er in Wahrheit »Petz« hieß. Auffallend war, daß sie in einer gewählten Erziehungsanstalt zu Leipzig untergebracht war und dort die Sorge eines von ihr sogenannten »hohen väterlichen Freundes« genoß, als welchen sie uns später einen weimarischen Prinzen nannte, der sich um ihre Familie in Weißenfels Verdienste erworben hatte. Ihre Erziehung scheint in jener Anstalt durch den plötzlichen Tod dieses väterlichen Freundes unterbrochen worden zu sein. Sehr jung lernte sie meinen Vater kennen und heiratete ihn, den ebenfalls sehr früh gereiften und zur Anstellung gelangten, im jugendlichsten Mädchenalter. Ihr Haupt-Charakterzug scheint ein drolliger Humor und gute Laune gewesen zu sein, und es ist wohl nicht zu glauben, daß nur das Pflichtgefühl gegen die Familie eines hinterlassenen Freundes, sondern eine wirklich herzliche Neigung auch zu dessen Witwe den trefflichen Ludwig Geyer bewog, mit der nicht mehr ganz jugendlichen Frau in die Ehe zu treten. Ein Porträt von ihr, welches Geyer noch während ihrer ersten Ehe gemalt, stellt ihr Äußeres sehr vorteilhaft dar. Von da an, wo sie deutlich in meine Erinnerung tritt, war sie bereits durch ein Kopfleiden genötigt, stets eine Haube zu tragen, so daß ich den Eindruck einer jugendlichen und anmutigen Mutter nicht mehr von ihr erhalten habe. Der sorgenvoll aufregende[17] Umgang mit einer zahlreichen Familie (deren siebentes lebendes Glied ich war), die Schwierigkeiten, das Nötige zu beschaffen und bei sehr beschränkten Mitteln eine gewisse Neigung für äußern Anschein zu befriedigen, ließen nicht jenen behaglichen Ton mütterlicher Familienzärtlichkeit bei ihr aufkommen; ich entsinne mich kaum je von ihr geliebkost worden zu sein, wie überhaupt zärtliche Ergießungen in unsrer Familie nicht stattfanden; wogegen sich ein gewisses hastiges, fast heftiges, lautes Wesen sehr natürlich geltend machte. Unter solchen Umständen ist es mir als Epoche machend in der Erinnerung geblieben, daß, als ich eines Abends schläfrig zu Bett gebracht wurde und die Augen weinerlich nach ihr aufschlug, die Mutter mit Wohlgefallen auf mich blickte und gegen einen anwesenden Besuch sich mit einer gewissen Zärtlichkeit über mich äußerte. Was mich hauptsächlich ihrerseits beeinflußte, war der seltsame Eifer, in welchem sie vom Großen und Schönen in der Kunst mit fast pathetischem Tone sprach. Mir gegenüber wollte sie aber hierunter niemals die theatralische Kunst gemeint haben, sondern nur Dichtkunst, Musik und Malerei, wogegen sie mir häufig fast mit ihrem Fluche drohte, wenn auch ich jemals zum Theater gehen wollte. Dabei war sie von sehr religiösem Sinne; sie hielt uns oft mit einem gefühlvollen Pathos längere, Predigt-ähnliche Reden von Gott und dem Göttlichen im Menschen, in denen sie sich gelegentlich wohl auch, mit plötzlich herabgestimmtem Tone, in humoristischer Art durch einen Verweis unterbrach. Namentlich seit dem Tode des Stiefvaters versammelte sie jeden Morgen die übriggebliebene Familie um ihr Bett, in welchem sie den Kaffee trank, jedoch nicht eher, als bis von einem unter uns ein Lied aus dem Gesangbuch vorgelesen worden, wobei in der Wahl es nicht peinlich genau genommen wurde, bis denn einst aus Versehen meine Schwester Klara ein »Gebet in Kriegsnöten« zu so ergreifendem Vortrag brachte, daß die Mutter sie mit den Worten unterbrach: »Na, nun höre auf! Gott verzeih' mir meine Sünde, in Kriegsnöten sind wir doch gerade nicht!«
Trotz aller Beschwerlichkeit des Auskommens ging es dann und wann bei Abendgesellschaften heiter und, wie es mich Knaben dünkte, glänzend her. Aus den Zeiten meines Stiefvaters, welcher in den letzten Jahren seines Lebens durch sein Glück als Porträtmaler seine Einkünfte auf eine – für die damalige Zeit – ziemlich ansehnliche Höhe gesteigert hatte, waren uns angenehme und den besten Ständen angehörende Bekanntschaften verblieben, die sich auch jetzt zuweilen bei uns vereinigten. Namentlich bildeten damals die Mitglieder des Hoftheaters selbst anmutige und geistig belebte Kreise, von denen ich später in Dresden keine lebendigen Erinnerungen mehr vorfand. Besonders beliebt waren gemeinschaftliche Landpartien in die schöne Umgegend Dresdens, bei welchen kollegialische künstlerische Heiterkeit vorherrschte. Ich entsinne mich eines solchen Ausfluges nach Loschwitz, wo eine Art Zigeunerwirtschaft aufgeschlagen wurde, welcher Carl Maria v. Weber in der Funktion eines Koches seinen Beitrag widmete.[18] Auch ward bei uns musiziert; meine Schwester Rosalie spielte Klavier; Klara begann zu singen. Von den verschiedenen Theater-Aufführungen, welche früher an Geburtstagen der Eltern zu gegenseitiger Überraschung oft mit großen Vorbereitungen veranstaltet wurden, blieben mir schon zu jener Zeit nur noch die Erinnerungen, namentlich an Aufführungen von einer Parodie der Grillparzerschen Sappho, in welcher ich selbst im Chor der Gassenbuben vor dem Triumphwagen Phaons mitwirkte. Diese Erinnerungen suchte ich mir durch ein schönes Puppentheater aufzufrischen, welches ich in der Hinterlassenschaft des Vaters auffand, und zu welchem er selbst schöne Dekorationen gemalt hatte. Ich beabsichtigte, die Meinigen durch eine glänzende Aufführung auf diesem Theater zu überraschen. Nachdem ich mir mit größtem Ungeschick verschiedene Puppen geschnitzt, für ihre Kleidung durch Verfertigung von Kostümen aus heimlich entwendeten Kleiderlappen meiner Schwestern notdürftig gesorgt hatte, ging ich auch an die Abfassung eines Ritterstückes, dessen Rollen ich meinen Puppen einstudieren wollte. Als ich die erste Szene entworfen hatte, entdeckten meine Schwestern das Manuskript und gaben es unmäßigem Gelächter preis: die eine Phrase der geängstigten Liebhaberin, »ich höre schon den Ritter trabsen«, ist mir lange zu meinem größten Ärger mit Pathos vorrezitiert worden.
Dem Theater, welchem auch jetzt meine Familie immer wieder naheblieb, wandte auch ich von neuem mich mit Eifer zu. Namentlich wirkte der Freischütz – jedoch vorzüglich seines spukhaften Sujets wegen – äußerst charakteristisch auf meine Phantasie. Die Erregungen des Grausens und der Gespensterfurcht bilden einen ganz besonderen Faktor der Entwicklung meines Gemütslebens. Von zartester Kindheit an übten gewisse unerklärliche und unheimliche Vorgänge auf mich einen übermäßigen Eindruck aus; ich entsinne mich, vor leblosen Gegenständen als Möbeln, wenn ich länger im Zimmer allein war und meine Aufmerksamkeit darauf heftete, plötzlich aus Furcht laut aufgeschrien zu haben, weil sie mir belebt schienen. Keine Nacht verging bis in meine spätesten Knabenjahre, ohne daß ich aus irgendeinem Gespenstertraum mit fürchterlichem Geschrei erwachte, welches nie eher endete, als bis mir eine Menschenstimme Ruhe gebot. Das heftigste Schelten, ja selbst körperliche Züchtigung erschienen mir dann als erlösende Wohltaten. Keines meiner Geschwister wollte mehr in meiner Nähe schlafen; man suchte mich so fern wie möglich von den übrigen zu betten und bedachte nicht, daß meine Gespensterhilferufe nur desto lauter und anhaltender wurden, bis man sich endlich an diese nächtliche Kalamität gewöhnte.
Was mich im Zusammenhang hiermit beim Besuch des Theaters, worunter ich auch die Bühne, die Räume hinter den Kulissen und die Garderobe verstehe, lebhaft anzog, war weniger die Sucht nach Unterhaltung und Zerstreuung, wie beim heutigen Theaterpublikum, sondern das aufreizende[19] Behagen am Umgang mit einem Elemente, welches den Eindrücken des gewöhnlichen Lebens gegenüber eine durchaus andere, rein phantastische, oft bis zum Grauenhaften anziehende Welt darstellte. So war mir eine Theaterdekoration, ja nur eine – etwa ein Gebüsch darstellende – Kulisse, oder ein Theaterkostüm und selbst nur ein charakteristisches Stück desselben, als aus einer andern Welt stammend, in einem gewissen Sinne gespenstisch interessant, und die Berührung damit mochte mir als der Hebel gelten, auf dem ich mich aus der gleichmütigen Realität der täglichen Gewohnheit in jenes reizende Dämonium hinüberschwang. So blieb mir alles, was zu theatralischen Aufführungen diente, geheimnisvoll, bis zur Berauschung anziehend, und während ich mit Altersgenossen Aufführungen des Freischütz nachzuahmen suchte und mit großem Eifer hierbei mich der Herstellung der Kostüme und Gesichtsmasken durch groteske Malerei hingab, übten die zarteren Garderobengegenstände meiner Schwestern, mit deren Herrichtung ich die Familie häufig beschäftigt sah, einen fein erregenden Reiz auf meine Phantasie aus; das Berühren derselben konnte mich bis zu bangem, heftigem Herzschlag aufregen. Trotzdem daß, wie ich erwähnte, in unserem Familienverkehr keine, namentlich in Liebkosungen sich ergehende Zärtlichkeit herrschte, mußte doch die stets nur weibliche Umgebung in der Entwicklung meines Empfindungswesens mich stark beeinflussen. Vielleicht gerade, weil dieser Umgang meist unruhiger, ja heftiger Art war, übten die sonstigen Attribute der Weiblichkeit, namentlich soweit sie mit der phantastischen Theaterwelt zusammenhingen, einen fast sehnsüchtig stimmenden Reiz auf mich aus.
Diesen von dem Grauenhaften bis in das Weichliche sich verlierenden phantastischen Stimmungen wirkte glücklicherweise ergänzend und kräftigend der ernstere Einfluß entgegen, welchen ich in der Schule im Umgang mit Lehrern und Jugendgenossen empfing. Auch hier war es zwar hauptsächlich das Phantastische, was mich zu reger Teilnahme bestimmte. Ob ich für die Studien, wie man sagt, einen hellen Kopf hatte, kann ich nicht beurteilen; ich glaube im ganzen das, was mich lebhaft anzog, fast ohne eigentliches Lernen schnell begriffen zu haben, während ich auf das, was meiner Vorstellung fernlag, kaum versuchte, eigentlichen Fleiß zu verwenden. Am deutlichsten zeigte sich dies im Rechnen und später bei der Mathematik; in beiden Wissenschaften gelang es mir nicht einmal, es nur bis zum eigentlichen Beachten der mir gestellten Aufgaben zu bringen. Auch auf die alten Sprachen vermochte ich nur soweit Fleiß zu verwenden, als es durchaus unerläßlich war, um durch ihre Kenntnis mich der Gegenstände zu bemächtigen, deren charakteristischeste Darstellung mir vorzuführen es mich reizte. Hierin zog mich namentlich das Griechische an, weil die Gegenstände der griechischen Mythologie meine Phantasie so stark fesselten, daß ich die Helden derselben durchaus in ihrer Ursprache sprechend mir vorführen wollte, um meine Sehnsucht nach vollständigster Vertrautheit mit[20] ihnen zu stillen. Daß unter diesen Umständen die eigentliche Grammatik nur als ein beschwerliches Hindernis, nicht aber als ein selbst anreizender Wissenszweig betrachtet wurde, läßt sich leicht denken. Daß ich in meinen Sprachstudien nicht sehr gründlich verfuhr, erhellt mir am besten wohl daraus, daß ich in späterer Zeit das Befassen mit ihnen so schnell aufgeben konnte. Erst weit später gewann mir das Sprachstudium im allgemeinen ein wahrhaftes Interesse ab, seit ich die physiologisch-philosophische Seite der Behandlung desselben kennenlernte, wie sie unseren neueren Germanisten durch Jakob Grimms Vorgang zu eigen geworden ist. Da es nun für mich eben zu spät war, mich gründlicher diesem endlich liebgewordenen Studium hinzugeben, bleibt mir das Bedauern, diese neuere Auffassung des Sprachstudiums nicht schon zu meiner Jugendzeit in unseren Gelehrtenschulen in Geltung angetroffen zu haben. Nichtsdestoweniger erwarben mir meine Erfolge auf dem philologischen Felde die bevorzugende Beachtung eines jungen Lehrers der Kreuzschule, des damaligen Magisters Sillig. Dieser erlaubte mir, ihn öfter zu besuchen und ihm meine Arbeiten, die in metrischen Übersetzungen sowie in eigenen Gedichten bestanden, mitzuteilen. Namentlich schien er bei den Deklamationsübungen mich liebgewonnen zu haben, und was er mir zutraute, mag daraus erhellen, daß er den damals etwa zwölfjährigen Knaben veranlaßte, nicht nur Hektors Abschied aus der Ilias, sondern selbst den berühmten Monolog des Hamlet vom Katheder herab zu rezitieren. – Als einst, da ich noch in Quarta saß, ein Mitschüler namens Starke plötzlich starb, erregte dieser traurige Vorfall so große Teilnahme, daß nicht nur die ganze Klasse zum Begräbnis des Kameraden beschieden, sondern vom Rektor auch die Aufgabe gestellt wurde, durch ein Gedicht, welches gedruckt werden sollte, die Leichenfeier zu erhöhen. Von den verschiedenen Gedichten, unter denen auch ein von mir in Eile verfaßtes sich befand, erschien dem Rektor jedoch keines der beabsichtigten Auszeichnung würdig, so daß er bereits seinen Entschluß ankündigte, durch eine von ihm selbst zu verfassende Rede für das verfehlte einzutreten. Bestürzt suchte ich eilig Magister Sillig auf, um ihn noch zu einer Intervention zugunsten meines Gedichtes zu bewegen: wir gingen dieses nun durch; die achtzeiligen wohlgebauten und -gereimten Stanzen bestimmten ihn, den Inhalt des Gedichtes sorglich zu revidieren. Es fand sich sonderlicher Schwulst in Bildern, die weit über die Vorstellungsweise eines Knaben meines Alters hinausgingen, in dem Gedicht. Ich entsinne mich einer Stelle, auf welche der Monolog aus Addisons Cato, vor dessen Selbstmord, wie ich ihn in einer englischen Grammatik vorgefunden, großen Einfluß geübt hatte. Die Worte »und wenn die Sonne schwarz vor Alter würde, die Sterne müd' zur Erde fielen«, welche jedenfalls unmittelbare Reminiszenzen aus jenem Monolog enthielten, erweckten Silligs mich fast beleidigendes Lächeln. Dennoch verdankte ich der Sorgfalt und der Schnelligkeit, mit welcher er mein Gedicht von derlei Ausschweifungen säuberte, daß[21] dieses schließlich vom Rektor noch zugelassen, wirklich gedruckt und in zahlreichen Exemplaren verteilt wurde.
Der Erfolg dieser Auszeichnung war außerordentlich, sowohl bei meinen Mitschülern, als namentlich auch bei meiner Familie; meine Mutter faltete die Hände andächtig, und in mir ward ich nun einig über meinen Beruf. Ganz unzweifelhaft stand es vor mir, daß ich zum Dichter bestimmt sei. Magister Sillig wollte von mir ein großes episches Gedicht abgefaßt haben, und wies mir als Stoff Die Schlacht am Parnassos, nach Pausanias' Darstellung, zu. Was ihn hierzu vermochte, war die von Pausanias berichtete Sage, daß den verbündeten Griechen gegen den räuberischen Einfall der Gallier im zweiten Jahrhundert vor Chr. die Musen selbst vom Parnassos herab durch Erregung eines panischen Schreckens beigestanden hätten. Wirklich begann ich mein Heldengedicht in Hexametern, kam aber nicht über den ersten Gesang hinaus. – In meinen Studien noch nicht so weit vorgeschritten, um die griechischen Tragiker in der Ursprache selbst bewältigen zu können, beeinflußte mich das Bekanntwerden mit den geistvollen Nachahmungen ihrer Formen, welche mir zufällig in August Apels hieher schlagenden dichterischen Arbeiten, nämlich dessen Polyïdos und Aitolier, bekannt wurden, bei dem Versuche, ebenfalls eine Tragödie nach griechischem Muster zu konstruieren. Ich wählte hierzu als Stoff den Tod des Odysseus nach einer Fabel des Hyginus, nach welcher der alte Held von seinem mit Kalypso erzeugten Sohne erschlagen wird. Auch mit dieser Arbeit blieb ich in den ersten Anfängen stehen.
Aus der somit eingeschlagenen Geistesrichtung geht es hervor, daß die trockneren Schulstudien meinem Eifer ferne blieben. Griechische Mythologie, Sage und endlich Geschichte waren es, was mich einzig anzog. Dem Leben zugewandt, war ich im Verkehr mit meinen Altersgenossen lebhaft und zu abenteuerlichen Streichen aufgelegt. Zu jeder Zeit stand ich in fast leidenschaftlichem Freundschaftsbund zu irgendeinem Erwählten. In diesen häufig wechselnden Beziehungen bestimmte mich meistens das Eingehen des Genossen auf meine phantastischen Liebhabereien. Einmal war es Dichterei und Versemachen, ein anderes Mal waren es theatralische Unternehmungen, mitunter wohl auch die Neigung zum Herumschweifen und zu lustigen Streichen, was mich in der Wahl meiner Freunde bestimmte. Außerdem trug sich nun, wo ich mein dreizehntes Jahr erreicht hatte, eine starke Veränderung in unserer Familie zu: meine Schwester Rosalie, welche zum ernährenden Haupte derselben geworden war, erhielt ein vorteilhaftes Engagement am Theater in Prag, und Mutter und Geschwister siedelten 1826 mit vollkommenem Aufgeben des Dresdener Aufenthaltes nach Prag über. Ich allein ward in Dresden zurückgelassen, um die Kreuzschule bis zu meinem Abgange auf die Universität ohne Unterbrechung besuchen zu können. Ich ward zu diesem Zweck zu einer Familie Böhme, deren Söhne mir von der Schule her befreundet waren und in welcher ich mich bereits[22] heimisch gemacht hatte, in Wohnung und Kost gegeben. Mit dem Aufenthalt in dieser etwas unruhigen, in dürftigen Verhältnissen nicht sonderlich wählsam geleiteten Familie, beginnt mein Eintritt in die Flegeljahre meines Lebens. Stille zur Arbeitsruhe sowie der sanftere phantastische Einfluß des Umganges mit meinen Schwestern ging mir immer merklicher verloren. Dafür stellte sich ein turbulentes Wesen, Balgerei und Raufsucht ein. Nach der zarteren Seite hin trat wiederum der Einfluß des weiblichen Elementes in bisher nicht gekannter Weise hervor; erwachsene Töchter und deren Freundinnen erfüllten oft die dürftigen engen Räume. Meine ersten Erinnerungen an knabenhafte Verliebtheit fallen in diese Zeit. In entsinne mich, daß ein sehr schönes, wohlerzogenes junges Mädchen, wenn ich nicht irre Amalie Hoffmann mit Namen, als sie, wie es ihr nur selten möglich war, des Sonntags in sauberem Putze zum Besuch in das Zimmer trat, mich bis zu lange dauernder Sprachlosigkeit in Erstaunen versetzte. Andere Male entsinne ich mich besinnungslose Schläfrigkeit geheuchelt zu haben, um von den Mädchen unter Bemühungen, welche dieser Zustand nötig zu machen schien, zur Ruhe gebracht zu werden, weil ich einst zu meiner aufregenden Überraschung bemerkt hatte, daß ein ähnlicher Zustand mich in eine mir schmeichelnde unmittelbare Berührung mit dem weiblichen Wesen brachte.
Am mächtigsten wirkte aber in diesem Jahre der Entfernung von meiner Familie ein kurzer Besuch, den ich derselben in Prag abstattete. Es war im vollen Winter, als meine Mutter in Dresden ankam und mich auf acht Tage mit sich nahm. Das Reisen mit der Mutter war von ganz besonderer Art: sie zog bis an ihr Lebensende dem schnelleren Reisen mit der Post die abenteuerlichere Fahrt mit dem Lohnkutscher vor. Von Dresden nach Prag waren wir in großer Kälte volle drei Tage unterwegs. Die Fahrt über das böhmische Gebirge schien oft mit völligen Gefahren verbunden, und nach glücklicher Überstehung der aufregendsten Abenteuer kamen wir endlich in Prag an, wo ich mich plötzlich in ein ganz neues Element versetzt fühlte. Lange Zeit hindurch hat der Besuch Böhmens, und namentlich Prags, von Sachsen aus auf mich einen völlig poetischen Zauber ausgeübt. Die fremdartige Nationalität, das gebrochene Deutsch der Bevölkerung, gewisse Kopftrachten der Frauen, der heimische Wein, die Harfenmädchen und Musikanten, endlich die überall wahrnehmbaren Merkmale des Katholizismus, die vielen Kapellen und Heiligenbilder, machten mir stets einen seltsam berauschenden Eindruck, der vielleicht an die Bedeutung sich anknüpfte, welche bei mir, der bürgerlichen Lebensgewohnheit gegenüber, das Theatralische gewonnen hatte. Vor allem übte die altertümliche Pracht und Schönheit der unvergleichlichen Stadt Prag auf meine Phantasie einen unerlöschlichen Eindruck. Aber auch in dem Umgange meiner Familie fand ich Elemente, welche mir bis dahin fremd geblieben waren. Namentlich meine nur zwei Jahre ältere Schwester Ottilie hatte die leidenschaftliche[23] Freundschaft einer adeligen Familie, der des Grafen Pachta, gewonnen. Zwei Töchter desselben, Jenny und Auguste, welche noch längere Zeit als vorzüglichste Schönheiten Prags gerühmt wurden, hatten sich mit exaltierter Zärtlichkeit dieser meiner Schwester zugewandt. Mir waren solche Wesen und ein solches Verhältnis etwas ganz Neues und Bezauberndes. Außerdem hatten sich einige Schöngeister Prags, unter diesen W. Marsano, ein ausgezeichnet schöner und liebenswürdiger Mann, in unserem Hause eingefunden. Leidenschaftlich unterhielt man sich oft über die Hoffmannschen Erzählungen, welche damals noch ziemlich neu und von großem Eindruck waren. Ich erhielt von hier an durch mein erstes, zunächst nur oberflächliches Bekanntwerden mit diesem Phantastiker eine Anregung, welche sich längere Jahre hindurch bis zur exzentrischen Aufgeregtheit steigerte und mich durch die sonderbarste Anschauungsweise der Welt beherrschte.
Im folgenden Frühjahr 1827 wiederholte ich von Dresden aus einen Besuch in Prag, diesmal aber zu Fuß und in Begleitung meines Genossen Rudolf Böhme. Die Reise war voller Abenteuer; noch eine Stunde Weges vor Teplitz, bis wohin wir am ersten Abend gelangten, mußten wir andern Tages, da wir uns die Füße wund gegangen hatten, auf einem Fuhrwerke uns weiterbefördern lassen, jedoch nur bis Lowositz, weil von nun an das Geld uns vollständig ausging. In glühender Sonnenhitze, halb verschmachtend und mit hungerndem Magen wandernd, durchstreiften wir auf Seitenwegen das wildfremde Land, bis wir am Abend wieder die Hauptstraße erreichten, auf welcher soeben ein eleganter Reisewagen uns begegnete. Ich gewann es über mich, mir das Ansehen eines reisenden Handwerksburschen zu geben und die vornehmen Reisenden um ein Almosen anzusprechen, während mein Freund sich furchtsam in dem Chausseegraben versteckte. Für die Nachtherberge beschlossen wir auf gut Glück in eine freundliche Schenke am Wege einzutreten, und beratschlagten nun, was vorzuziehen sei, ob für das soeben erhaltene Almosen ein Nachtbrot oder ein Nachtlager zu gewinnen: wir entschlossen uns zu dem Abendbrot mit der Absicht, die Nacht unter freiem Himmel zuzubringen. Während wir uns erquickten, trat ein seltsamer Wanderer herein: er trug ein schwarzes Sammetbarett mit einer metallenen Lyra als Kokarde daran, auf dem Rücken eine Harfe. Mit bestem Humor entlud er sich seines Instrumentes, machte es sich bequem und verlangte gute Kost, in der Absicht hier zu übernachten, um des andern Tages nach Prag, wo er zu Haus war und wohin er von Hannover zurückkehrte, weiterzuwandern. Das joviale Wesen des lustigen Menschen, welcher bei jeder Gelegenheit sein Lieblings-Motto »non plus ultra« anbrachte, erweckte mir Gefallen und Vertrauen: sehr schnell war Bekanntschaft geschlossen, und mein Vertrauen ward von seiten des wandernden Musikers durch Bezeigung einer fast zärtlichen Liebe erwidert. Es wurde bestimmt, des andern Tages gemeinschaftlich die Fußreise fortzusetzen; er lieh mir zwei Zwanziger und ließ sich von mir die Prager Wohnung meiner[24] Familie in seine Brieftasche notieren. Dieser persönliche Erfolg hatte für mich etwas Entzückendes. Mein Harfenspieler geriet in leidenschaftliche Lustigkeit: es wurde viel Czernoseker Wein getrunken; er sang und spielte auf seiner Harfe wie rasend, schwor in einem fort sein »non plus ultra« und sank endlich berauscht auf das für uns alle im Wirtzimmer aufgeworfene Strohlager. Als die Sonne hereinschien, war er nicht zu erwecken, und wir mußten uns entschließen, in der Morgenfrische ohne ihn uns auf den Weg zu machen in der Voraussetzung, der rüstige Mann würde uns den Tag über wohl einholen. Jedoch erwarteten wir ihn vergebens auf der Landstraße sowie auch während unseres folgenden Aufenthalts in Prag: erst nach mehreren Wochen fand der wunderliche Mensch sich bei meiner Mutter ein, weniger um sein Darlehen zurückzufordern, als um von seinen jungen Freunden Nachricht zu empfangen, wobei er sich herzlich betrübt zeigte, uns nicht mehr anzutreffen. – Der Rest unserer Wanderung kostete den jungen Gliedern noch große Ermüdung. Unbeschreiblich war meine Freude bei dem endlichen Anblick Prags von einer Anhöhe in einer Stunde Entfernung. Als wir uns den Vorstädten näherten, begegnete uns wiederum eine glänzende Equipage: aus ihr riefen mir die beiden schönen Freundinnen meiner Schwester Ottilie überrascht entgegen; sie hatten mich, trotz der fürchterlichsten Entstellung durch den Sonnenbrand und die blaue Leinwandbluse mit hochroter Kattunmütze, sofort erkannt. Voll Scham und mit hochklopfendem Herzen, vermochte ich wenig Auskunft zu geben und zog schnell weiter, um, in der mütterlichen Wohnung angelangt, vor allen Dingen für die Wiederherstellung meiner verbrannten Gesichtsfarbe zu sorgen. Hierzu opferte ich zwei volle Tage, während welcher ich mein Gesicht in Umschläge von Petersilie hüllte. Nun erst gab ich mich dem Genusse der Welt wieder hin. Als ich bei der Rückreise von der gleichen Anhöhe wieder auf Prag zurückblickte, zerfloß ich in Tränen, warf mich zur Erde und war von meinem staunenden Freunde lange nicht zum Weiterwandern zu bewegen. Ich blieb ernst, und bis zur Heimkehr nach Dresden begegneten uns diesmal keine Abenteuer.
Die Neigung zu größeren Fußreisen befriedigte ich noch im gleichen Jahre durch meinen Anschluß an eine zahlreiche Gesellschaft von Gymnasiasten verschiedener Klassen und gemischten Alters, welche sich in den Sommerferien zu einer gemeinschaftlichen Wanderung nach Leipzig entschlossen hatten. Auch diese Reise tritt aus meinen Jugenderinnerungen durch lebhafte Eindrücke hervor. Der charakteristische Hauptzug der Gesellschaft bestand in einer antizipierenden Tendenz des Studentenwesens; wir gebärdeten und kleideten uns in phantastischer Weise schon ganz nach Studentenart. Nachdem wir bis Meißen auf dem Marktschiff gefahren waren, ging die Wanderung nun von der Hauptstraße ab über mir unbekannt gebliebene Dörfer. In der Schenke eines derselben, wo wir unter den ausgelassensten Abenteuern in einer großen Scheune übernachteten,[25] trafen wir ein großes Puppentheater mit Marionetten von fast menschlicher Größe an. Natürlich pflanzte sich die ganze Wandergesellschaft im Zuschauerraume auf und setzte dadurch die Dirigenten der Aufführung, welche nur auf ein Bauernpublikum gerechnet hatten, in große Verlegenheit. Es wurde »Genovefa« gespielt; das unaufhörliche Witzeln, das stete spaßhafte Hineinreden und höhnische Unterbrechen, was sich die naseweise Zukunfts-Studentenschaft erlaubte, erregte endlich aber selbst das Mißfallen der bäuerlichen Zuschauerschaft, welche durchaus zur Rührung aufgelegt blieb. Ich glaube unter uns der einzige gewesen zu sein, der diesen Übermut peinlich empfand und, trotz unwillkürlichen Lachens über spaßhafte Einfälle meiner Genossen, dennoch für das Stück wie für sein ursprüngliches naives Publikum Partei nahm. Eine populäre Redensart, welche in dem Stücke vorkam, ist mir dennoch unvergeßlich geblieben; Golo trug nämlich dem unvermeidlichen Kaspar auf, den Pfalzgrafen nach seiner Heimkehr »hinten zu kitzeln, daß er es vorne fühle«; Kaspar verriet dem Pfalzgrafen wörtlich den Auftrag Golos, und der Pfalzgraf warf dem entlarvten Bösewicht seine Schuld wiederum mit den im höchsten Pathos ausgesprochenen Worten vor: »O Golo, Golo! Du hast Kaspern gesagt, er solle mich hinten kitzeln, daß ich's vorne fühle!« – Von Grimma aus fuhr die jugendliche Gesellschaft endlich in offenem Wagen in Leipzig ein, jedoch nicht ohne zuvor die Abzeichen des Studententumes sorgsam entfernt zu haben aus Furcht, von den wahrhaften Studenten, denen wir nun begegnen würden, für diese Anmaßung übel behandelt zu werden.
Leipzig hatte ich seit meinem ersten Besuche im achten Jahre, ganz in der ähnlichen Umgebung wie das erste Mal, vorübergehend wiederbesucht; der phantastische Eindruck des Thoméschen Hauses hatte sich wiederholt, nur war diesmal durch meine vorgerückte Schulbildung bereits die Möglichkeit eines bewußteren Umganges mit meinem Onkel Adolf gegeben. Veranlassung hierzu gab mein freudiges Erstaunen, als ich erfuhr, daß der in einem großen Vorsaal stehende Bücherschrank mit einer ziemlich zahlreichen Bibliothek aus der Erbschaft meines Vaters, mir angehöre. Ich ging die Bücher mit meinem Oheim durch, wählte sofort eine Anzahl lateinischer Schriftsteller in der schönen Zweibrücker Ausgabe sowie andere mich anziehende dichterische und schöngeistige Werke aus und sorgte für die Zusendung nach Dresden. Bei meinem neuesten Besuche reizte mich namentlich das Studium des Studentenwesens. Zu den Eindrücken des Theaters und Prags kam nun ein neues phantastisches Element, das sogenannte Renommieren des Studententums. Eine Umwälzung war hiermit vorgegangen. Da ich zuerst als achtjähriger Knabe Studenten zu sehen bekam, hatte sich mir aus ihrem Äußern die altdeutsche Tracht mit dem schwarzen Samtbarette, dem am nackten Hals umgeschlagenen Hemdkragen und dem langen Haar lebhaft eingeprägt. Seitdem war das Burschentum, welchem jene Tracht angehörte, vor den politischen Verfolgungen verschwunden, und dagegen[26] machte sich das nicht minder den Deutschen eigentümliche Landsmannschaftswesen jetzt vorzüglich breit. Die Tracht der Landsmannschafter schloß sich im ganzen der Mode, sogar mit Übertreibung an; dennoch zeichnete sie sich durch Buntheit und namentlich durch das Zurschautragen der landsmannschaftlichen Verbindungsfarben vor der der übrigen Stände aus. Der »Comment«, dieses Kompendium pedantischer Verhaltungsmaßregeln zur Konservierung eines trotzig abgeschlossenen Kastengeistes gegenüber den bürgerlichen Ständen, hatte seine phantastische Seite, wie im Grunde genommen die philisterhaftesten Eigentümlichkeiten der Deutschen sie haben. Für mich wurde derselbe zum Begriff der Emanzipation von Schul- und Familienzwang. Die Sehnsucht, Student zu werden, fiel auf bedenkliche Weise mit meiner wachsenden Abneigung gegen die trockneren Studien und meiner sich steigernden Leidenschaft für das Befassen mit phantastischer Poeterei zusammen. Die Folge hiervon zeigte sich bald durch trotzige Unternehmungen zur Veränderung meiner Lage.
Bereits traf mich der Akt meiner Konfirmation zu Ostern 1827 in ziemlicher Verwilderung nach dieser Seite hin und namentlich mit merklicher Herabstimmung meiner Hochachtung für kirchliche Gebräuche. Der Knabe, der noch vor wenigen Jahren mit schmerzlicher Sehnsucht nach dem Altarblatte der Kreuzkirche geblickt und in ekstatischer Begeisterung sich an die Stelle des Erlösers am Kreuze gewünscht, hatte die Hochachtung vor dem Geistlichen, zu welchem er in die der Konfirmation vorangehenden Vorbereitungsstunden ging, bereits so sehr verloren, daß er zu seiner Verspottung nicht ungern sich gesellte und sogar einen Teil des für ihn bestimmten Beichtgeldes in Übereinstimmung mit einer hierzu verbundenen Genossenschaft vernaschte. Wie es trotzdem mit meinem Gemüte stand, erfuhr ich jedoch fast zu meinem Schrecken, als der Akt der Austeilung des heiligen Abendmahles begann, vom Chor Orgel und Gesang ertönte, und ich im Zuge der Konfirmanden um den Altar wandelte: die Schauer der Empfindung bei Darreichung und Empfang des Brotes und des Weines sind mir in so unvergeßlicher Erinnerung geblieben, daß ich, um der Möglichkeit einer geringeren Stimmung beim gleichen Akte auszuweichen, nie wieder die Veranlassung ergriff, zur Kommunion zu gehen, was mir dadurch ausführbar ward, daß bekanntlich bei den Protestanten kein Zwang hierzu besteht.
Bald aber benutzte ich eine herbeigezogene Veranlassung zu einem Bruch mit der Kreuzschule, um meinen Fortgang nach Leipzig von meiner Familie zu erzwingen. Um mich gegen eine mir ungerecht dünkende Strafe, welche der sonst von mir sehr verehrte Konrektor Baumgarten-Crusius über mich verhängte, zu schützen, gab ich beim Rektor eine plötzlich erhaltene Aufforderung meiner Familie, mit ihr in Leipzig mich zu vereinigen, vor, um sofort meine Entlassung aus der Schule zu erhalten. Bereits seit einem Vierteljahre hatte ich das Böhmesche Haus verlassen und bewohnte für mich allein ein kleines Dachzimmer, in welchem ich von einer Hofsilberwäschers-Witwe[27] bedient wurde, die mich den ganzen Tag über mit dem bekannten dünnen sächsischen Kaffee als fast einzigem Nahrungsmittel versorgte. In dieser Dachkammer habe ich nichts wie Verse gemacht, auch faßte ich dort die ersten Entwürfe zu dem riesigen Trauerspiele, mit welchem ich später meine Familie in Bestürzung versetzte. Die Unordnung, in welche ich durch diese vorzeitige häusliche Unabhängigkeit geriet, veranlaßte namentlich meine besorgte Mutter, ohne Schwierigkeiten in meine Übersiedelung nach Leipzig zu willigen, um so mehr, als wirklich ein Teil meiner zerstreuten Familie sich dorthin gewendet hatte.
Mein Verlangen nach Leipzig, wie es ursprünglich durch die dort empfangenen phantastischen Eindrücke, zuletzt durch meine Schwärmerei für das Studentenwesen erweckt worden war, hatte in neuester Zeit noch eine andere Anregung erhalten. Meine Schwester Luise, damals ein Mädchen von etwa 22 Jahren, war, da sie kurz nach dem Tode unseres Stiefvaters nach Breslau zum Theater gegangen, mir so gut wie unbekannt geworden. Vor kurzem kam sie auf ihrer Reise von dort nach Leipzig, an dessen Theater sie ein Engagement angenommen hatte, auf wenige Tage durch Dresden. Diese Begegnung mit der verwandten Unbekannten, das herzlich zärtliche Bezeugen ihrer Freude mich wiederzusehen sowie ihr aufgewecktes launiges Wesen machten auf mich den angenehmsten Eindruck. Bei ihr, zu der sich nun auch die Mutter mit Ottilien für einige Zeit wandte, zu wohnen, erschien mir reizend. Zum erstenmal war eine Schwester zärtlich gegen mich gewesen. Als ich zu Weihnachten desselben Jahres (1827) in Leipzig ankam und bereits meine Mutter mit Ottilie und Cäcilie (meiner Stiefschwester) vorfand, wähnte ich mich im Himmel. Eine große Veränderung hatte sich jedoch bereits zugetragen: Luise war Braut des angesehenen und vermögenden Buchhändlers Friedrich Brockhaus geworden. Die Anhäufung der Familie der gänzlich vermögenslosen Braut scheint nie dem außerordentlich gutherzigen Bräutigam und baldigen Gemahle lästig gefallen zu sein; dennoch mag wohl die Schwester diesem Umstande eine besorgliche Vorstellung entnommen haben, welche sie mir alsbald in einem entfremdenden Lichte erscheinen ließ. Die Veranlassung, in den höheren bürgerlichen Kreisen sich zu wünschenswerter Geltung zu bringen, führte außerdem von selbst eine merkliche Veränderung in dem Benehmen der sonst so heiteren, zu lustigen Einfällen aufgelegten Schwester herbei, welches im Laufe der Zeit von mir mit solcher Bitterkeit wahrgenommen wurde, daß ich gelegentlich mich später mit ihr einmal vollständig überwarf. Zu dem mich kränkenden Tadel meiner Aufführung gab ich jedoch leider bald wirklichen Anlaß. Der Verfall meiner Studien und mein völliges Abweichen von den Pfaden einer regelmäßigen Schulausbildung schreibt sich von meinem Eintritt in Leipzig her, und vielleicht war der Hochmut des Schulpedantismus daran schuld.
In Leipzig bestehen zwei Gelehrtenschulen; die ältere, Thomas-, und die[28] jüngere, Nikolaischule genannt: die Nikolaischule stand damals in vorzüglicherem Rufe als ihre Schwester; dort mußte ich demnach aufgenommen werden. Nun fand das Lehrerkollegium, dem ich mich zu Neujahr 1828 zur Prüfung vorstellte, es dem Rang ihrer Schule angemessen, mir, der ich zuvor in der Dresdener Kreuzschule bereits in Sekunda gesessen hatte, für einige Zeit Obertertia anzuweisen. Der Mißmut, der mich erfaßte, als ich den Homer, von welchem ich bereits zwölf Gesänge schriftlich übersetzt hatte, wieder beiseite legen mußte, um zu den leichtern griechischen Prosaisten zurückzukehren, war unbeschreiblich und schnitt sich tief in meine ganze Stimmung ein. Ich betrug mich demzufolge so, daß ich mir nie einen der Lehrer dieser Schule befreundete. Der hieraus entstehende unfreundliche Schulzwang stimmte mich um so trotziger, als ich nun an verschiedenen neuen Faktoren meiner Lebensbildung Anhalt zu diesem Trotz gewann. Während zunächst das nun täglich vor meinen Augen sich ausbreitende Studentenleben mich immer mehr mit seinem auflehnungssüchtigen Geiste erfüllte, fand ich von einer anderen, ernsteren Seite her unerwartet eine neue Anregung zur Verachtung des Schulpedantismus. Ich bezeichne hier den ihm längere Zeit unbewußt gebliebenen Einfluß meines Onkels Adolf Wagner, dessen Umgang nun für die eigentümliche Bildung des heranreifenden Jünglings von wichtiger Bedeutung ward.
Daß meinen phantastischen Neigungen nicht eigentlich ein Hang zu oberflächlicher Zerstreuung zugrunde lag, zeigte sich in dem angelegentlichen Eifer, mit welchem ich mich diesem gelehrten Verwandten anschloß. Allerdings war er im Umgang und Gespräch sehr anziehend; die Vielseitigkeit seines Wissens, welches sich vom philologischen Fach über das philosophische und literar-poetische mit gleicher Wärme ausdehnte, vermochte nach dem Bekenntnis vieler, wenn er sich in gesprächlicher Unterhaltung mitteilte, höchst einnehmend zu wirken. Daß ihm hiergegen die Gabe versagt war, ebenso hinreißend, ja selbst nur klar zu schreiben, war eine der sonderbaren Unvollkommenheiten dieses Mannes, die seine Wirksamkeit auf die literarische Welt bedeutend abschwächte, ja ihn sogar oft der Lächerlichkeit aussetzte, indem man ihm bei vorkommender Polemik die unverständlichsten und schwülstigsten Sätze nachweisen konnte. Mich sollte diese Schwäche nicht abschrecken, da ich einerseits in der unklaren Periode meiner eigenen Entwicklung befangen war, in welcher literarischer Schwulst mir um so tiefsinniger erschien, als ich ihn nicht fassen konnte, andrerseits aber ich weniger von meinem Onkel las, als mit ihm mich unterhielt. Auch ihm schien der Umgang mit dem feurig aufhorchenden Jünglinge angenehm. Leider vergaß er im vielleicht nicht ganz unselbstgefälligen Eifer seiner Mitteilung, daß er hierbei, wie in der Wahl seiner Ausdrucksweise, weit über meine jugendliche Fassungskraft hinausging. Täglich holte ich ihn zu den seiner Gesundheit nötigen Nachmittagspromenaden um die Tore der Stadt ab. Ich vermute, oft das Lächeln vorübergehender Bekannter erregt zu[29] haben, welche den tiefsinnigen und oft aufreizenden Diskussionen zwischen mir und meinem Onkel lauschten. Den Gegenstand derselben bildete im Grunde alles Ernste und Erhabene auf dem Gebiete des Wissens. Seine reichhaltige Bibliothek hatte mich fieberhaft nach allen Seiten hin aufgeregt, so daß ich feurig von einem Gebiete der Literatur in das andere übersprang, ohne dazu gelangen zu können, nach irgendeiner Seite hin mich gründlich zu unterrichten. Mein Oheim freute sich, in mir einen höchst willigen Zuhörer von Vorlesungen klassischer Tragödien, von denen er zum Beispiel selbst eine Übersetzung des »König Ödipus« geliefert hatte, zu finden; denn mit Recht schmeichelte er sich nach Tieck, der ihm wahrhaft befreundet war, einer der besten Vorleser zu sein. Ich entsinne mich, daß, als er einsam mit dem Lesepulte vor mir saß und eine griechische Tragödie vorlas, es ihn nicht verdroß, als ich vollkommen einschlief, was er nachträglich gar nicht bemerkt zu haben vorgab. Meine Abende bei ihm zu verbringen, bestimmte mich außerdem die freundlich behagliche Bewirtung, welche mir von seiner Frau zuteil ward. Seit meiner frühesten Bekanntschaft mit meinem Oheim im Thoméschen Hause war nämlich eine große Veränderung in dessen Leben vorgegangen. Das Asyl, welches er mit seiner Schwester Friederike bei seiner Freundin gefunden, schien mit der Zeit für ihn doch unerträgliche Verpflichtungen herbeizuführen. Da seine literarischen Arbeiten ihm ein mäßiges Einkommen sicherten, fand er es endlich seiner Würde entsprechender, einen eigenen Hausstand zu gründen. Eine seinem Alter angemessene Freundin, die Schwester des nicht unrühmlich bekannt gewordenen Ästhetikers Wendt in Leipzig, wurde von ihm bestimmt, seine eigene Häuslichkeit ihm herzurichten. Ohne Jeannette ein Wort zu sagen, war er statt des gewöhnlichen Nachmittagsspazierganges mit seiner Erwählten zur schnellen Abmachung der üblichen Trauungs-Zeremonien in die Kirche gegangen, und meldete nun bei der Heimkehr, daß er ausziehe und noch heute seine Sachen abholen lassen werde. Der großen Bestürzung, vielleicht auch den Vorwürfen seiner älteren Freundin, wußte er mit milder Fassung zu begegnen, und bis an sein Lebensende setzte er seine regelmäßigen täglichen Besuche bei der zu Zeiten zärtlich schmollenden »Mamselle Thomé« fort. Nur die arme Friederike schien die unerwartete Untreue des Bruders mitunter büßen zu müssen.
Was mich an meinem Oheim besonders feurig anzog, war seine schroffe aber doch humoristisch sich äußernde Verachtung des modernen Pedantismus in Staat, Kirche und Schule. Bei großer Mäßigung seiner sonstigen Ansichten über das Leben, machte er auf mich doch die Wirkung des eigentlichen Freigeistes. Völlig begeisternd wirkte auf mich seine Verachtung der Schulpedanterei. Als ich eines Tages mit dem Lehrer-Kollegium der Nikolai-Schule in bedenkliche Konflikte geraten war und der Rektor derselben sich mit einer ernstlichen Beschwerde über mein Betragen an meinen Oheim als den einzigen männlichen Vertreter meiner Verwandtschaft richtete, frug[30] mich dieser beim Spaziergang um die Stadt gelegentlich ruhig und lächelnd, wie einen Altersgenossen, was ich denn mit den Leuten an der Schule gehabt hätte; ich erklärte ihm den Vorfall und berichtete ihm von der mir ungerecht dünkenden Strafe, zu welcher ich verurteilt war. Er beruhigte mich und ermahnte mich zur Geduld, indem ich mit dem spanischen Sprichwort mich trösten sollte: »un rei no puede morír«, welches er dahin erklärte, daß auch ein Schulmonarch notwendig immer recht haben müßte.
Es konnte ihm natürlich nicht erspart bleiben, die Folgen dieser, die Urteilskräfte meines Alters weit überschätzenden Art des Verkehrs mit mir endlich zu seinem Schrecken innezuwerden. Hatte es mich zwar auch verdrossen, eines Tages, als ich den Goetheschen Faust vorzunehmen wünschte, von ihm die ruhige Meinung, daß ich diesen noch nicht verstehen würde, zu vernehmen, so hatten mich doch seine sonstigen Gespräche über unsere großen Dichter, selbst über Shakespeare und Dante, nach meinem Dünken so vertraut mit diesen erhabensten Vorbildern gemacht, daß ich seit längerer Zeit heimlich damit beschäftigt war, mein großes, schon in Dresden konzipiertes Trauerspiel auszuführen. Auf diese Ausführung verwandte ich seit meinem Zerfall mit der Schule alle Arbeitskräfte, welche dieser eigentlich gewidmet sein sollten. Ich gewann mir bei dieser heimlichen Arbeit eine einzige Mitwisserin, meine Schwester Ottilie, welche mit mir jetzt allein bei der Mutter wohnte. Ich entsinne mich des Zagens und Schreckens, welchen die erste vertraute Mitteilung meiner großen dichterischen Unternehmung meiner guten Schwester verursachte; dennoch gab sie sich liebevoll den Peinigungen hin, welche ich ihr zu Zeiten durch geheimnisvolle, aber deshalb nicht affektlose Vorlesung der einzelnen Teile meiner fortschreitenden Arbeit verursachte. Als ich ihr einstmals eine der erschrecklichsten Szenen vorlas, brach ein heftiges Gewitter aus; als ganz in unserer Nähe der Blitz einschlug und der Donner krachte, glaubte meine Schwester in mich dringen zu müssen, mit der Lektüre einzuhalten: sie überzeugte sich bald, daß es unmöglich war, mich dazu zu bewegen, und hielt mit rührender Ergebung aus.
Ein bedenklicheres Gewitter zog sich jedoch endlich um den Horizont meines Lebens zusammen. Meine Vernachlässigung der Schule erreichte den Grad, daß es notwendig zu einem Bruche mit ihr führen mußte. Während meine gute Mutter hiervon keine Ahnung hatte, sah ich weniger mit Bangen als mit Verlangen der Katastrophe entgegen. Um dieser in würdiger Weise zu begegnen, beschloß ich endlich, meiner Familie mit der Entdeckung meines nun vollendeten Trauerspieles zu überraschen. Die Bekanntschaft mit diesem großen Ereignis sollte ihr durch meinen Onkel verschafft werden; seiner herzlichen Anerkennung meines großen Dichterberufes glaubte ich infolge unserer sonstigen großen Übereinstimmung über die wichtigsten Angelegenheiten des Lebens, der Wissenschaft und der Kunst unbedenklich sicher sein zu dürfen. Somit übersandte ich ihm das voluminöse Manuskript mit einem[31] ausführlichen Brief, in welchem ich ihm meine Lebenstendenz im Betreff der Nikolaischule sowie meinen festen Entschluß, fortan durch keinen Schulpedantismus mehr in meiner freien Entwicklung mich hemmen zu lassen, wie ich vermutete zu seiner großen Freude, mitteilte. Es kam anders. Der Schreck war groß. Mein Onkel, sich völlig einer Schuld bewußt fühlend, erschien bei meiner Mutter und meinem Schwager, um mit Entschuldigungen seines vielleicht übel zu deutenden Einflusses auf mich Bericht von dem Unglück zu geben, welches die Familie betroffen habe. Mir selbst schrieb er einen ernst abweisenden Brief, von dem ich noch heute nicht begreifen kann, warum er von so wenigem Humor in der Auffassung meiner Verirrung zeugte: denn auffallenderweise gab er nur dem Gefühl des Selbstvorwurfes, durch unzweckmäßigen Umgang mich zur Verschrobenheit getrieben zu haben, Ausdruck, belehrte mich aber durchaus nicht in gemütlicher Weise über den Charakter meiner Verirrung.
Der Gegenstand des Verbrechens des fünfzehnjährigen Jünglings bestand, wie gesagt, in einem großen Trauerspiel mit dem Titel »Leubald und Adelaïde«.
Das Manuskript dieses Dramas ist mir leider abhanden gekommen, doch sehe ich es im Geiste noch deutlich vor mir: die Handschrift war im höchsten Grad affektiert; die schräg zurückgebogenen hohen Buchstaben, durch welche ich ihr einen originellen Anstrich zu geben suchte, hatten schon einem meiner Lehrer die persische Keilschrift zurückgerufen. In dieser Schrift hatte ich nun ein Drama aufgezeichnet, zu welchem Shakespeare hauptsächlich durch »Hamlet«, »Macbeth« und »Lear«, Goethe durch »Götz von Berlichingen« beigetragen hatten. Die Handlung begründete sich eigentlich auf eine Variation des »Hamlet«: die Veränderung bestand darin, daß mein Held, durch die Erscheinung des Geistes seines unter ähnlichen Umständen gemordeten Vaters und dessen Aufforderung zur Rache, zu so ungestümer Aktion hingerissen wird, daß er durch eine Reihe von Mordtaten zum Wahnsinn gelangt. In seiner Anlage ein Gemisch von »Hamlet« und »Percy Heißsporn«, hatte Leubald dem Geiste des Vaters gelobt, das ganze Geschlecht des Roderich (so hieß der ruchlose Mörder des besten Vaters) von der Erde zu vertilgen. Nachdem er nun diesen Roderich selbst, sodann seine Söhne, auch dessen sonstige helfende Verwandten in ungestümer Fehde erlegt hatte, verwehrte ihm nur noch eines die Erfüllung seines heißesten Wunsches, sich selbst durch den Tod dem Schatten seines Vaters zu gesellen: noch lebte ein Sprosse Roderichs. Des Frevlers Tochter war bei dem Sturm auf dessen Burg durch einen getreuen, von ihr aber gehaßten Freier entführt und gerettet worden. Dieses Mädchen fühlte ich mich begeistert »Adelaïde« zu nennen. Schon damals sehr für Deutschtümlichkeit eingenommen, kann ich mir diese auffallend undeutsche Benennung[32] meiner Heldin nur aus meinem Enthusiasmus für Beethovens »Adelaïde« erklären, deren schwärmerischer Refrain mir als Symbol aller Liebesanrufung erschien. Der Gang meines Dramas bezeichnete sich nun durch die seltsamen Verzögerungen dieses letzten notwendigen Sühnemords, dessen Hauptverhinderung ein schnell sich einstellendes, glühendes Liebesverhältnis zwischen Leubald und Adelaïde abgab. Es gelang mir, die Entstehung und das Bekenntnis dieser Liebe unter außerordentlich abenteuerlichen Umständen zur Darstellung zu bringen. Adelaïde war dem sie bergenden Bräutigam wiederum durch einen Raubritter entführt worden. Nachdem Leubald diesen Bräutigam mit dessen Familie ebenfalls aufgeopfert, stürmt er nun auch vor das Raubschloß, bereits weniger von Blutdurst als von Todessehnsucht angetrieben. Er bedauert deshalb, das Raubschloß nicht sofort stürmen zu können, weil es gut verwahrt ist und die eingebrochene Nacht ihn daran verhindert; er muß ein Zelt aufschlagen; nach anhaltendem Rasen verfällt er zum erstenmal in Ermattung: und nach Hamlets Vorbild treibt ihn der Geist seines Vaters da nochmals zur Vollendung des Rachegelübdes an, als er durch einen nächtlichen Überfall plötzlich selbst in die Gewalt des Feindes gerät. Dort in unterirdischen Burgverliesen begegnet er zum ersten Male der Feindestochter, welche, gleich ihm gefangen, sich listig zur Flucht wendet und ihm unter Umständen erscheint, in welchen sie auf ihn den Eindruck einer himmlischen Vision hervorbringt. Sie lieben sich, flüchten gemeinschaftlich in die Wildnis und erkennen sich als Todfeinde. Der in Leubald bereits merklich keimende Wahnsinn bricht nach dieser Entdeckung immer stärker hervor; was zu dessen Steigerung beigetragen werden kann, geschieht durch den Geist des Vaters, welcher sich unaufhörlich zwischen die Annäherungen der Liebenden drängt. Nicht aber dieser Geist allein stört das versöhnende Liebesverhältnis Leubalds und Adelaïdes: auch der Geist Roderichs findet sich ein, und nach der von Shakespeare in Richard III. befolgten Methode schließen sich ihm die Geister der übrigen durch Leubald hingerichteten Glieder der Familie seiner Geliebten an. Gegen die unaufhörlichen Zudringlichkeiten dieser Geister sucht Leubald, durch die Mitwirkung eines wüsten Bösewichtes namens Flamming, der sich zu ihm gesellt, vermöge der Zauberei sich zu schützen. Eine der Hexen Macbeths soll die Geister bannen: da sie dies nicht ordentlich zustande bringt, stößt der rasende Leubald auch diese über den Haufen, welche ihm sterbend die ganze Schar der ihr dienenden Geister zu den ihm bereits persönlich anhaftenden Gespenstern auf den Hals hetzt. In dieser Weise auf das unleidlichste geplagt, wendet sich Leubald im äußersten Wahnsinn endlich gegen die Geliebte, welche ihm alle diese Not zu bereiten scheint. Er ersticht sie in der Raserei, findet sich dann plötzlich beruhigt, senkt sein Haupt auf ihren Schoß und läßt sich ihre letzte Liebkosung gefallen, während ihr eigenes Blut über den Sterbenden dahinströmt.
Ich kann bezeugen, daß nichts von mir unterlassen war, um diesem Stoff[33] die mannigfaltigste Ausführung zu geben; weder was aus Rittergeschichten mir bekannt war, noch was aus Lear und Macbeth mir vertraut geworden, hatte ich unbenutzt gelassen, um mein Drama mit den reichsten Situationen auszustatten. Ein Hauptingredienz meiner poetischen Gestaltung entnahm ich jedoch der pathetischen und humoristischen Kraftsprache Shakespeares. Die Kühnheit des schwülstigen und bombastischen Ausdruckes setzte namentlich meinen Oheim Adolf in Schreck und Staunen. Er konnte nicht begreifen, wie ich aus dem Lear und dem Götz von Berlichingen gerade nur diese exorbitanten Redensarten, und zwar noch mit der unglaublichsten Übertreibung herausgelesen und verwendet hatte. – Mir blieb, als man mich mit Wehklagen über meine verlorene Zeit und verschrobene Richtung wahrhaft betäubte, ein wunderlicher innerer Trost gegen die widerfahrende Kalamität: ich wußte, was noch niemand wissen konnte, nämlich, daß mein Werk erst richtig beurteilt werden könnte, wenn es mit der Musik versehen sein würde, welche ich dazu zu schreiben beschlossen hatte und welche ich nächstens auszuführen demnach beabsichtigte.
Ich habe nun nämlich nachzuholen, was im Betreff der Musik mit mir vorgegangen war, und muß hierzu von den ersten Anfängen beginnen.
In meiner Familie wurde von zwei meiner Schwestern Musik getrieben: Rosalie, die älteste, spielte Klavier, ohne es doch je weit darin zu bringen; begabter war dagegen Klara, welche, bei großem musikalischem Gefühl und schönem warmem Ton auf dem Klavier, eine außerordentlich seelenvolle Stimme besaß, deren Entwicklung so frühzeitig und bedeutend sich anließ, daß meine Schwester, von dem zur Zeit noch rühmlich genannten Gesanglehrer Mieksch geschult, schon in ihrem sechzehnten Jahre zur Primadonna reif schien, als welche sie in der italienischen Oper zu Dresden als »Cenerentola« in Rossinis Oper ihr Debüt bestand. Beiläufig erwähnt zeigte sich, daß eben diese zu frühe Entwicklung das Organ Klaras beschädigt hatte, was der Armen für ihr ganzes Leben von traurigem Einfluß ward. Durch diese beiden Schwestern wurde, wie gesagt, die Musik in unserem Haus vertreten. Namentlich das Schicksal Klaras führte aber auch den Kapellmeister C.M. von Weber zu wiederholten Malen in unser Haus. Mit dem seinigen wechselte zu Zeiten der Besuch des kolossalen Sopransängers Sassaroli ab; zwischen diesen beiden Repräsentanten der deutschen und italienischen Musik fand sich der Gesanglehrer Mieksch ein. Ich hörte als Kind bei solchen Gelegenheiten zum erstenmal über deutsche und italienische Musik diskutieren und erfuhr, daß, wem es an der Hofgunst gelegen wäre, sich auf die italienische Richtung werfen müsse, und zwar erhielt dies in unserem Familienrat eine ganz praktische Bedeutung. Das Talent Klaras, solange die Stimme noch ungebrochen, war der Gegenstand des Wetteifers der italienischen und der deutschen Oper. Ich entsinne mich nun sehr deutlich, daß ich von je mich für die deutsche Oper erklärte; vielleicht wirkte hierzu der drastische Eindruck der beiden Gestalten Sassarolis und Webers.[34] Der italienische Sopransänger, ein ungeheurer, rundbäuchiger Koloß, entsetzte mich durch seine hohe Weiberstimme, seine erstaunliche Volubilität im Sprechen und sein kreischendes stets bereites Lachen. Trotz seiner großen Gutmütigkeit und Beliebtheit namentlich auch in meiner Familie, war dieser Mensch mir gespenstisch widerwärtig; italienisch sprechen und singen hören, erschien mir als das Teufelswerk dieser Spukmaschine, und als ich infolge des Mißgeschicks meiner armen Schwester noch häufig von italienischen Intrigen und Kabalen sprechen hörte, begründete sich in mir ein so starker Widerwille gegen dieses Element, daß ich noch in spätesten Zeiten mich entsinne, bis zu leidenschaftlicher Abneigung dadurch verführt worden zu sein. Die seltenen Besuche Webers scheinen dagegen in mir diejenigen ersten Eindrücke hervorgerufen zu haben, welche mich mein ganzes Leben lang mit unerlöschlicher Sympathie erfüllten. Der skandalösen Gestalt Sassarolis gegenüber erfaßte mich Webers überaus zarte, leidende und geistverklärte Erscheinung mit ekstatischer Teilnahme. Das schmale feine Gesicht mit den lebhaften und doch häufig umschleierten Augen bannte mich in Schauern fest; sein stark hinkender Gang, den ich oft vom Fenster aus wahrnahm, wenn der Meister um die Mittagszeit aus den ermüdenden Proben seinen Heimweg an unserem Hause vorbei nahm, kennzeichnete meiner Imagination den großen Musiker als ein ungewöhnliches, übermenschliches Wesen. Als ihm einst meine Mutter den etwa neunjährigen Knaben vorstellte, und er frug was ich werden sollte, ob vielleicht Musiker, sagte meine Mutter, daß ich wohl auf den Freischütz ganz versessen sei, sie aber trotzdem noch nichts an mir wahrgenommen hätte, was auf mein musikalisches Talent deuten möchte. Dies war von meiner Mutter sehr richtig beobachtet: nichts ergriff mich so stark als die Musik des Freischütz, und auf jede Weise suchte ich die von dort her empfangenen Eindrücke wieder vorzuführen, sonderbarerweise aber am wenigsten durch Studium der Musik selbst. Ich begnügte mich dafür mit dem Anhören des Vortrages von Musikstücken aus dem Freischütz namentlich durch meine Schwestern. Jedoch wuchs die Leidenschaft hierfür allmählich so stark, daß ich mich entsinne, eine außerordentliche Neigung zu einem jüngeren Manne namens Spieß gewonnen zu haben, lediglich aus dem Grunde, weil dieser die Ouvertüre zum Freischütz spielen konnte, zu deren Vortrag ich ihn, wo ich ihn nur antraf, aufforderte. Namentlich die Einleitung dieser Ouvertüre war es, welche mich endlich auch zu dem Versuche antrieb, ohne irgendwelchen Unterricht auf dem Klavier empfangen zu haben, mir dieses Stück auf meine besondere Weise selbst vorzuführen. Denn, sonderbar genug, war ich der einzige unter meinen Geschwistern, welcher keinen Klavierunterricht empfangen hatte, was ich wahrscheinlich der ängstlichen Sorge meiner Mutter verdankte, mir derlei künstlerische Übungen, welche mir etwa Neigung zum Theater beibringen könnten, fernzuhalten. Etwa in meinem zwölften Jahre nahm jedoch meine Mutter einen Hauslehrer mit Namen Humann für mich an, bei[35] welchem ich wirklichen, wenn auch sehr dürftigen Klavierunterricht erhielt. Äußerst stümperhaft mit Kenntnis des Fingersatzes ausgerüstet, drängte ich sofort zur Einübung vierhändiger Ouvertüren, von denen wiederum die Weberschen der Zielpunkt meines Strebens waren. Als ich es endlich so weit gebracht hatte, die Freischütz-Ouvertüre, wenn auch in fehlerhaftester Weise, für mich allein zu spielen, hielt ich den Zweck dieser Studien für erreicht, und in keiner Weise fühlte ich mich gedrängt, der Ausbildung meines Klavierspiels weitere Sorgfalt zu widmen. Dennoch hatte ich jetzt so viel erreicht, daß ich für die Musik nicht mehr von dem Vortrag anderer abhängig war; ich selbst suchte mir nun auf meine immerhin bedenklich inkorrekte Weise vorzuspielen, was ich kennenlernen wollte. So versuchte ich es auch mit Mozarts Don Juan, ohne jedoch noch Gefallen daran finden zu können, da mir namentlich der italienische Text im Klavierauszuge die Musik in ein frivoles Licht setzte und vieles mir darin tändelnd und unmännlich erschien. (Ich entsinne mich, daß, wenn meine Schwester Zerlinens Ariette »Batti, batti, ben Masetto« vortrug, mich diese Musik völlig als weichlich und weibisch abschreckte.)
Dagegen wurde mein Hang zur Beschäftigung mit Musik immer reger, und ich suchte mir nun auch meine Lieblingsstücke durch Abschrift anzueignen. Ich entsinne mich des Zagens meiner Mutter, als sie mir Geld zum ersten Notenpapier geben mußte, auf welches ich mir »Lützows Jagd« von Weber als erstes Notenstück kopierte. Immer blieb aber meine Beschäftigung mit Musik Nebensache; jedoch entsinne ich mich, daß die Nachricht von Webers Tod und die Sehnsucht, seine Musik zu Oberon kennenzulernen, meine schwärmerische Neigung neu entfachte. Besondere Nahrung empfing diese noch aus den Nachmittags-Konzerten im Dresdener »Großen Garten«, wo das Zillmannsche Stadtmusikkorps, wie mir schien mit großer Virtuosität, meine Lieblingsmusik mir oft zu Gehör brachte. Das zauberische Behagen, welches mir die Anhörung des Orchesters in unmittelbarster Nähe erweckte, ist mir noch jetzt in wollüstiger Erinnerung. Schon das Einstimmen der Instrumente setzte mich in mystische Aufregung: ich entsinne mich, daß namentlich das Anstreichen der Quinten auf der Violine mir wie Begrüßung aus der Geisterwelt dünkte – was beiläufig erwähnt bei mir seinen ganz buchstäblichen Sinn hatte. Schon als kleinstes Kind fiel der Klang dieser Quinten mit dem Gespensterhaften, welches mich von jeher aufregte, genau zusammen. Ich entsinne mich noch in späterer Zeit, nie ohne Grauen an dem kleinen Palais des Prinzen Anton, am Ende der Ostallee in Dresden vorübergegangen zu sein; in dieser Gegend hatte ich nämlich zuerst und dann häufiger das Stimmen einer Violine in der Nähe gehört, welches mir von den steinernen Figuren zu kommen schien, mit denen dieses Palais geschmückt ist, und unter welchen einige mit musikalischen Instrumenten ausgestattet sind. (Es machte einen sonderbaren Eindruck auf mich, als ich, nach Antritt meines Kapellmeisteramtes in Dresden, dem Konzertmeister [36] Morgenroth, einem ältlichen Herrn, welcher seit langen Jahren jenem prinzlichen Palais gegenüber wohnte, meinen Besuch machte und bei dieser Gelegenheit mich davon überzeugte, daß der meine musikalische Knabenphantasie so stark imprimierende Quintenstreicher nichts weniger als ein gespenstisch-mystisches Wesen war.) Da ich nun auch das bekannte Bild sah, auf welchem ein Totengerippe einem sterbenden Greise auf der Violine vorspielt, so prägte sich das Geisterhafte gerade dieser Klänge der Phantasie des Kindes mit besonderer Stärke ein. Nun endlich als erwachsener Knabe fast alle Nachmittage um das Zillmannsche Orchester im Großen Garten schwärmend, denke man sich das wollüstige Grauen, mit welchem ich all die verschiedenen chaotischen Klangfarben einsog, die man beim Anhören eines einstimmenden Orchesters vernimmt: das langgehaltene A der Oboe, welches die übrigen Instrumente gleichsam wie eine Geistermahnung wachruft, verfehlte nie, alle meine Nerven in fieberhafte Spannung zu bringen; und wenn nun das anschwellende C der Freischütz-Ouvertüre mir ankündigte, daß ich unmittelbar, wie mit beiden Füßen, in das Zauberreich des Grauens eingetreten sei, so hätte wohl, wer mich damals beobachtete, gewahr werden müssen, welche Bewandtnis es trotz meinem greulichen Klavierspielen mit mir hatte.
Ein anderes Werk zog mich endlich ebenfalls an: es war die Ouvertüre in E-dur zu Fidelio, von welcher mich die Einleitung besonders ergriff. Ich erkundigte mich nach Beethoven bei meinen Schwestern und erfuhr, daß soeben die Nachricht von dessen Tode angelangt sei. Noch voll des unbegreiflich wehmütigen Eindrucks von Webers Tode, erfaßte mich dieser neue Todesfall eines soeben erst lebendig in mein Leben getretenen Tonmeisters mit seltsamem Bangen, welches dem jugendlichen Gespenstergrauen vor den Quintenklängen der Violinen nicht unverwandt war. Auch Beethoven wollte ich nun genauer kennenlernen: ich kam nach Leipzig und fand bei meiner Schwester Luise auf dem Klavier seine Musik zu »Egmont«; dann suchte ich mir Sonaten von ihm zu verschaffen; endlich hörte ich zum ersten Male in einem Gewandhaus-Konzerte eine Symphonie des Meisters: es war die A-dur-Symphonie. Die Wirkung hiervon auf mich war unbeschreiblich. Dazu kam der Eindruck, den Beethovens Physiognomie, nach den damals verbreiteten Lithographien, auf mich machte, die Kenntnis seiner Taubheit, seines scheuen zurückgezogenen Lebens. In mir entstand bald ein Bild erhabenster überirdischer Originalität, mit welcher sich durchaus nichts vergleichen ließ. Dieses Bild floß mit dem Shakespeares in mir zusammen: in ekstatischen Träumen begegnete ich beiden, sah und sprach sie; beim Erwachen schwamm ich in Tränen. – Von Mozart lernte ich jetzt das Requiem kennen: es ward der Ausgangspunkt meines schwärmerischen Versenkens auch in diesen Meister, der mich nun mit dem zweiten Finale des Don Juan dazu stimmte, ihn in meine Geisterwelt vollkommen einzureihen.
Wie ich von jeher zu dichten versucht hatte, mußte ich nun notwendig[37] auch zu komponieren versuchen: da es sich hier aber um die Erlernung eines selbständigen technischen Komplexes handelte, hatte es damit größere Schwierigkeiten, als bei dem scheinbar so leicht glückenden Versemachen; und diese Schwierigkeiten waren es, welche bald meinen Lebenslauf dahin bestimmten, daß er den Anschein des Lebenslaufes eines »Musikers« gewann, welchem der »Kapellmeister« und »Opern-Komponist« einst das spezielle gangbare Gepräge aufdrücken sollten.
Zu »Leubald und Adelaïde« wollte ich nun eine Musik schreiben, wie die Beethovensche zu Goethes »Egmont«; namentlich sollten die so unterschiedlichen Gattungen der Gespensterwelt angehörenden Geistererscheinungen durch die entsprechende musikalische Begleitung ihr rechtes Kolorit erst erhalten. Wie es zu ermöglichen sei, schnell das nötige Komponieren mir anzueignen, sollte mich Logiers »Methode des Generalbasses« lehren, welche man mir in einer musikalischen Leihanstalt als zweckmäßiges Lehrbuch zur schnellen Erlernung des Komponierens anempfohlen hatte. Ich entsinne mich, daß die finanziellen Wirren, die mir mein Leben zu jeder Zeit so sehr störten, von hier ihren Ausgang nahmen: ich entlieh Logiers Methode gegen ein wöchentliches Leihgeld in der angenehmen Hoffnung, mit einigen Wochen Leihgebühr, welche ich allenfalls von gesammeltem Taschengelde erübrigt hätte, davonzukommen. Die Wochen dehnten sich aber zu Monaten aus, und immer konnte ich noch nicht komponieren, wie ich wollte. Herr Friedrich Wieck, der spätere Schwiegervater Rob. Schumanns und damalige Besitzer jener Leihanstalt, ließ mir bedenkliche Mahnungen zukommen, und als die Rechnung fast zu gleicher Höhe mit dem Preise des Logierschen Buches angeschwollen war, sah ich mich genötigt meiner Familie mich zu entdecken, welche nun mit meiner Finanz-Kalamität zugleich meine neue Verirrung auf das Gebiet der Musik erfuhr, von der man sich natürlich im glücklichsten Falle nur eine Wiedergeburt von »Leubald und Adelaïde« erwartete. Die häusliche Not war groß: Mutter, Schwester und Schwager berieten sich mit sorgenvoller Miene, in welcher Weise künftighin meine Studien zu überwachen sein dürften, um mich von steten Abwegen zurückzuhalten. Noch wußte man jedoch nicht, in welches Verhältnis ich zur Schule getreten war, und tröstete sich damit, hoffentlich auch diesen Abweg wie den kurz zuvor beschrittenen dichterischen bald von mir wieder verlassen zu sehen.
Außerdem gingen häusliche Veränderungen vor sich, welche es herbeiführten, daß ich im Sommer 1829 längere Zeit allein und ganz mir selbst überlassen in der Leipziger Wohnung zurückblieb. In dieser Zeit erreichte meine musikalische Ekstase einen besonders phantastischen Höhepunkt. Ich hatte heimlichen Unterricht in der Harmonie-Lehre bei einem tüchtigen Musiker des Leipziger Orchesters, G. Müller (später Organist in Altenburg), genommen: während die Bezahlung auch dieses Stundengeldes mir später große häusliche Verlegenheiten bereiten sollte, vermochte ich nicht[38] einmal meinen Lehrer durch Freude an wahrnehmbaren Fortschritten meiner Studien für das Ausbleiben der Stundengelder zu entschädigen. Seine Lehren und Aufgaben erfüllten mich bald ihrer vermeintlichen Trockenheit wegen mit großem Widerwillen. Die Musik war mir durchaus nur Dämonium, eine mystisch erhabene Ungeheuerlichkeit: alles Regelhafte schien sie mir durchaus zu entstellen. Bei weitem entsprechendere Belehrung, als von meinem Leipziger Orchester-Musiker, suchte ich daher in Hoffmanns »Phantasiestücken« auf; und jetzt war die Zeit, wo ich so recht eigentlich in diesem Hoffmannschen Kunstgespensterspuk lebte und webte. Ganz erfüllt von Kreißler, Krespel und anderen Musikgespenstern meines Lieblingsschriftstellers, glaubte ich endlich auch im Leben ein solches Original glücklicherweise aufgefunden zu haben: dieser ideale Musiker, an welchen ich eine Zeitlang mich mit der phantastischen Annahme, mindestens einen zweiten »Kreißler« entdeckt zu haben, hingab, war ein gewisser Flachs. Ein langer, außerordentlich hagerer Mensch mit besonders dünnem Kopf und höchst absonderlichen Manieren im Gehen, Sichbewegen und Sprechen, war von mir in allen Gartenkonzerten, welche für mich der Hauptquell der musikalischen Bildung waren, angetroffen worden. Er hielt sich immer dicht bei den Orchestern auf, sprach in wunderlicher Hast bald mit diesem, bald mit jenem Musiker, mit denen allen er bekannt war und die ihn gut zu leiden schienen. Daß sie sich alle über ihn lustig machten, sollte ich zu meiner Beschämung erst viel später erfahren. Ich entsann mich, diese merkwürdige Figur schon in frühester Zeit in Dresden wahrgenommen zu haben, und entnahm auch aus Gesprächen, welche ich belauschte, daß er wirklich mit allen Dresdener Musikern ebenfalls genau bekannt war. Schon dieser Umstand machte mir ihn höchst interessant; vor allem aber rissen mich die Wahrnehmungen hin, die ich an ihm machte, wenn er den Musikstücken zuhörte: ein eigentümliches konvulsivisches Kopfnicken und seufzerartiges Aufblasen der Wangen deutete ich mir als dämonische Ekstase; da ich außerdem bemerkte, daß er ganz allein war, durchaus keiner Gesellschaft angehörte und einzig dem Zuge der Gartenmusik folgte, bildete sich in mir die Identifikation dieses wunderbaren Menschen mit dem »Kapellmeister Kreißler« ganz natürlich aus. Ich mußte seine Bekanntschaft machen, und es gelang mir. Wer beschreibt meine Wonne, als ich, zum erstenmal in seiner Wohnung ihn aufsuchend, dort unglaubliche Stöße von Partituren vorfand! Ich hatte noch nie eine Partitur gesehen. Zu meiner Betrübnis entdeckte ich zwar, daß er weder von Beethoven noch von Mozart oder Weber etwas besaß, dagegen eine Unmasse von Werken, Messen und Kantaten von mir gänzlich unbekannten Komponisten, wie Staerkel, Stamitz, Steibelt usw., von denen jedoch Flachs mir so viel Gutes zu sagen wußte, daß der Respekt, den ich im allgemeinen vor Partituren empfand, mir über das Bedenken, nichts von meinen geliebten Meistern anzutreffen, hinweghalf. Später erfuhr ich allerdings, daß der gute Flachs in den Besitz gerade dieser Partituren[39] nur durch die Benutzung seiner Geistesschwäche von seiten gewissenloser Spekulanten geraten war, welche ihm diese wertlosen Musikalien für teures Geld aufgeheftet hatten. Kurz, es waren Partituren, und das war mir genug. Flachs ward mein intimster Umgang; überall sah man den sechzehnjährigen schmächtigen Jüngling mit der wunderlich wackelnden Flachsstange herumziehen, und meine damals einsame Familienwohnung nahm oft den sonderbaren Gast auf, der, bei Butterbrot und Käse, meine Kompositionen von mir sich vorspielen lassen mußte, und der dagegen mir einst eine Arie für Blasinstrumente arrangierte, welche von dem Musikkorps in Kintschys Schweizerhütte zu meinem Staunen aufgeführt wurde. Daß dieser Mann nie auch nur etwas halbwegs Belehrendes gegen mich von sich geben konnte, fiel mir nicht auf, ich war so fest in der Annahme von seiner Originalität, daß er mir diese durch nichts andres als durch geduldiges Anhören meiner enthusiastischen Ergießungen zu dokumentieren hatte. Da sich mit der Zeit einige Bekannte meines Freundes zu uns gesellten, konnte es mir allerdings endlich nicht entgehen, daß mein guter Flachs als Schwachkopf und Narr von aller Welt behandelt wurde; doch stimmte mich dies zunächst mehr wehmütig, bis ein wunderliches Ereignis mich plötzlich zu der allgemeinen Ansicht über ihn bekehrte. Flachs besaß einiges Vermögen und wurde um dessentwillen von einem jungen verdächtigen Frauenzimmer umgarnt, von welcher er sich heftig geliebt meinte: plötzlich fand ich sein Haus mir verschlossen, und staunend gewahrte ich, daß dies aus Eifersucht geschah. Die wunderbare Unheimlichkeit dieses Verhältnisses, wie es in dieser Art überhaupt zum erstenmal meiner Erfahrung vorkam, erfüllte mich mit einem seltsamen Grauen. Der Wahnsinn meines Freundes ging mir plötzlich in einem grelleren Lichte, als es hier gewiß das Richtige war, auf: ich schämte mich meiner langen Verblendung so sehr, daß man mich geraume Zeit in keinem Gartenkonzert mehr sah, aus Furcht, wieder in die Nähe meines falschen »Kreißler« zu geraten.
In dieser Zeit hatte ich nun eine erste Sonate in d-moll komponiert. Auch ein Schäferspiel hatte ich begonnen, bei dessen Ausarbeitung ich in gewiß noch nie dagewesener Weise verfuhr. Durch Goethes »Laune der Verliebten« für Form und Inhalt meiner Dichtung bestimmt, entwarf ich kaum auch nur einen Plan des Textes und führte dagegen die Dichtung zugleich mit der Musik und der Instrumentation in der Weise aus, daß ich, während ich die eine Partiturseite schrieb, für die folgende selbst nicht einmal den Text im voraus überlegt hatte. Ich entsinne mich, daß ich auf diese gänzlich phantastische Weise, ohne die mindeste Kenntnis des Schreibens für Instrumente mir verschafft zu haben, wirklich eine ganze längere Nummer zustande brachte, welche sich schließlich als eine Szene für drei Frauenstimmen herausstellte, welcher die Arie eines Tenoristen folgte. Meine Neigung für Orchester zu schreiben war so lebhaft, daß, nachdem ich mir eine Partitur des Don Juan verschafft hatte, ich nun an eine größere Sopranarie ging, die ich[40] nach meiner Meinung bereits sorgfältig instrumentierte. Auch ein Quartett in D-dur schrieb ich, nachdem ich mit dem Altschlüssel der Bratsche, dessen Unkenntnis mich bei Gelegenheit des Studiums eines Haydnschen Quartettes vor kurzer Zeit noch in die größte Verlegenheit gesetzt hatte, auf befriedigende Weise mich vertraut gemacht.
Mit diesen Werken ausgerüstet, ging ich nun im Sommer auf meine erste Kunstreise. Meine Schwester Klara, an den Sänger Wolfram verheiratet, war am Magdeburger Theater engagiert: und auf altvertraute Weise machte ich mich zu dem Abenteuer einer Fußreise dahin auf. Mein kurzer Aufenthalt bei meinen Verwandten brachte mir manche musikalische Erfahrungen ein: namentlich stieß ich dort auf ein neues Original, dessen Einwirkung auf mich mir unvergeßlich geblieben ist. Es war dies ein Musikdirektor Kühnlein, ein wirklich eigentümlicher, aber auch sonderbarer Mensch; bereits ältlich, kränklich und leider auch trunksüchtig, imponierte dieser Mann durch eine auffallende, schwungvolle Gewähltheit des Ausdruckes. Seine stärkste Eigenschaft war seine vergötternde Schwärmerei für Mozart und seine leidenschaftliche Geringschätzung Webers. Er las nur ein Buch: Goethes »Faust«, und in diesem fand sich keine Seite, auf welcher nicht eine Stelle entweder mit verklärender Deutung auf Mozart oder mit schmähender Beziehung auf Weber angestrichen gewesen wäre. Diesem Mann vertraute mein Schwager meine mitgebrachten Kompositionen an, um durch ihn ein Urteil über meine Befähigung zu erhalten. Als wir des Abends gemütlich in einem Gasthofe saßen, trat der alte Kühnlein herein und kam mit ernster Freundlichkeit auf uns zu: ich glaubte Gutes in seinen Mienen zu lesen; mein Schwager frug ihn, was er an meinen Arbeiten finde? »Kein gutes Haar«, entgegnete er mit sanfter Ruhe. Mein Schwager, an Kühnleins Exzentrizität gewöhnt, lachte laut auf, was mich einigermaßen erquickte. Deutliche Gründe für sein Urteil und Belehrung konnte ich von Kühnlein nicht gewinnen, dagegen immer nur erneuertes Schmähen Webers und einziges Hinweisen auf Mozart, welches auf mich immerhin von Eindruck blieb, da Kühnlein stets mit großer und emphatischer Wärme sich ergoß. – Andererseits erwarb ich mir zu gleicher Zeit bei Gelegenheit dieses Besuches, einen wunderbaren Besitz, der mich von der Befolgung von Kühnleins Lehren wieder weit abführen sollte; es war dies die Partitur des großen Esdur-Quartettes von Beethoven, welches damals noch ziemlich neu war, und von welchem mein Schwager mir eine Abschrift besorgen ließ. Mit meiner Erfahrung und meinem Schatze bereichert, kehrte ich nach Leipzig in die Brutstätte meiner phantastisch-musikalischen Studien zurück, konnte nun aber nicht länger mehr verhindern, daß meiner dort wieder vereinigten Familie, zu welcher meine Schwester Rosalie wiederum gehörte, mein gänzlich gestörtes Schulverhältnis offenbar wurde.
Es fand sich nämlich die Anzeige ein, daß ich seit einem halben Jahre die Schule gar nicht mehr besucht hatte; nachdem die früher vom Rektorat derselben[41] an meinen Onkel gerichtete Klage über mich keine gebührende Beachtung gefunden, schien man es dort aufzugeben, mich mit Erfolg zu beaufsichtigen, wozu ich endlich alle Möglichkeit, wie gesagt, durch mein gänzliches Ausbleiben von der Schule abschnitt. Von neuem wurde in der Familie beraten, was mit mir anzufangen sei. Da ich meine Neigung zur Musik auf das kräftigste beteuerte, waren meine Verwandten der Meinung, daß ich wenigstens ein Instrument tüchtig zu erlernen hätte: mein Schwager Brockhaus schlug vor, mich zu Hummel nach Weimar zu schicken, um mich bei ihm zum Klavierspieler ausbilden zu lassen. Da ich aber leidenschaftlich erklärte, daß »Musik« bei mir »Komponieren« und nicht ein »Instrument spielen« hieße, ward mir nachgegeben und beschlossen, daß ich nun bei demselben Musiker Müller, bei dem ich vor einiger Zeit heimlichen und noch unbezahlten Unterricht genossen hatte, regelmäßige Stunden in der Harmonielehre nehmen sollte. Hiergegen gelobte ich standhafte Wiederaufnahme auch meiner Studien auf der Nikolaischule. Beides ward mir bald zur Plage, da ich hier wie dort mich im Zwange fühlte; und dies galt leider auch vom Musikunterricht, bei welchem mich die trockenen Harmonie-Studien immer mehr anwiderten, während ich für mich fortfuhr Fantasien, Sonaten und Ouvertüren zu konzipieren und auszuführen. Auf der anderen Seite spornte mich der Ehrgeiz, in der Schule zu zeigen, was ich könnte, wenn ich nur wollte: bei Gelegenheit der uns Sekundanern gestellten Aufgabe, ein Gedicht zu liefern, verfaßte ich einen Chorgesang in griechischer Sprache auf den neuesten griechischen Freiheitskampf. Ich vermute wohl, daß dieses griechische Poem zur griechischen Sprache und Poetik sich mag verhalten haben, wie meine damaligen Sonaten und Ouvertüren zur wirklich gründlich erlernten Musik sich verhielten. Mein Versuch wurde, als eine Unverschämtheit, höhnisch zurückgewiesen. Von da ab entsinne ich mich keiner weiteren Eindrücke von der Schule mehr: ihr fortgesetzter Besuch war meinerseits ein reines Opfer aus Rücksicht für meine Familie; von dem, was in den Stunden gelehrt wurde, nahm ich nicht die geringste Notiz, sondern beschäftigte mich einzig während derselben heimlich mit der Lektüre, welche mich gerade anzog.
Da wie erwähnt auch der Musikunterricht nichts bei mir fruchtete, fuhr ich in meiner willkürlichen Selbsterziehung dadurch fort, daß ich mir die Partituren meiner geliebten Meister abschrieb, wobei ich mir eine später oft bewunderte zierliche Handschrift erwarb. Soviel ich weiß, werden noch jetzt meine Abschriften der C-moll-Symphonie und der Neunten Symphonie Beethovens als Andenken bewahrt. Diese Neunte Symphonie Beethovens ward zum mystischen Anziehungspunkt all meines phantastisch-musikalischen Sinnens und Trachtens. Was mich zuerst zu ihr hinzog, war die damals gewiß nicht nur unter den Leipziger Musikern gültige Meinung, daß dieses Werk von Beethoven bereits im halben Wahnsinn geschrieben worden sei: sie galt als das Non-plus-ultra alles Phantastischen und Unverständlichen,[42] und dies war Grund genug, mich zur Erforschung dieses Dämoniums leidenschaftlich anzuregen. Was mich beim Anblick der mühsam verschafften Partitur sogleich wie mit Schicksalsgewalt anzog, waren die lang andauernden reinen Quintenklänge, mit welchen der erste Satz beginnt: diese Klänge, die, wie ich erzählte, in meinen Jugendeindrücken von der Musik eine so geisterhafte Rolle spielten, traten hier wie der gespenstige Grundton meines eigenen Lebens an mich heran. Diese Symphonie mußte das Geheimnis aller Geheimnisse enthalten; und so machte ich mich zunächst darüber, durch mühsame Abschriften mir die Partitur davon anzueignen. Ich entsinne mich, daß mich nach einer auf diese Arbeit verwendeten Nacht das Morgengrauen überraschte und bei meiner großen Aufgeregtheit so unheimlich auf mich wirkte, daß ich laut aufschreiend wie vor einer Gespenstererscheinung mich in das Bett barg. Ein zweihändiger Klavierauszug existierte von der Symphonie noch nicht; sie hatte so wenig Anklang beim Publikum gefunden, daß der Verleger sich zur Herausgabe eines solchen nicht veranlaßt sah. Ich machte mich darüber und verfaßte wirklich einen vollständigen Klavierauszug für zwei Hände, welchen ich mir selbst vorzuspielen versuchte. Meine Arbeit schickte ich an den Verleger der Partitur, Schott in Mainz, ein; ich erhielt zur Antwort, daß die Verlagshandlung sich zwar noch nicht zur Herausgabe eines Klavierauszuges der Neunten Symphonie entschlossen habe, daß sie aber meine fleißige Arbeit gern aufbewahren wolle und mir die Partitur der großen Missa solemnis als Gegengeschenk anböte, was ich denn mit großer Freude annahm.
Neben dieser Arbeit trieb ich eine Zeitlang auch Violine, da mein Harmonielehrer sehr richtig befunden hatte, daß einige Erlernung des Mechanismus' dieses Instrumentes dem zukünftigen Orchesterkomponisten unerläßlich sei. Wirklich bezahlte meine Mutter dem noch jetzt (1865) im Leipziger Orchester fungierenden Violinspieler Sipp acht Taler für eine Geige, deren Schicksal mir unbekannt geblieben ist, auf welcher ich jedoch ein Vierteljahr lang von meinem wunderbar kleinen Kämmerchen aus meine Mutter und Schwestern unerhört peinigte. Ich brachte es bis zu gewissen Maysederschen Variationen in F-dur, jedoch nur bis zur zweiten oder dritten: von da ab schwindet mir jede Erinnerung an diese Übungen, zu denen ich glücklicherweise, wie es scheint aus egoistischen Gründen, von meiner Familie nicht ernstlich angehalten wurde.
Es kam nun aber die Zeit, wo das Interesse für das Theater mich wieder leidenschaftlich in Anspruch nahm. Eine neue Gesellschaft war unter sehr glücklichen Auspizien durch die Sorgfalt der Dresdener Hoftheater-Intendanz, welche für drei Jahre auch die Führung des Leipziger Theaters übernahm, in meiner Vaterstadt zusammengetreten. Meine Schwester Rosalie war Mitglied dieser Theatergesellschaft geworden; durch sie hatte ich jederzeit leichten Eintritt zu den Aufführungen, und was in meinen Kinderjahren nur das Interesse einer phantastischen Neugierde gewesen war, ward[43] nun zu einer gründlicheren, bewußtvollern Leidenschaft. Julius Caesar, Macbeth, Hamlet, die Schillerschen Stücke, endlich der Goethesche »Faust«, erregten und begeisterten mich tief. Die Oper brachte die ersten Aufführungen von Marschners Vampyr und Templer und Jüdin. Die italienische Operngesellschaft langte von Dresden an und entzückte das Leipziger Publikum durch Vorführung ihrer außerordentlichen Virtuosenleistungen. Fast war auch ich im Begriff, von dem Rausche, welchen sie über Leipzig ergossen, bis zum Vergessen der Knabeneindrücke hingerissen zu werden, welche einst Signor Sassaroli mir eingeprägt hatte, als ein andres Wunder, welches uns ebenfalls von Dresden zukam, meinem künstlerischen Gefühle plötzlich eine neue und für das ganze Leben entscheidende Richtung gab. –
Dies war ein kurzes Gastspiel der Wilhelmine Schröder-Devrient, welche damals auf der vollsten Höhe ihrer Künstler-Laufbahn stand, jugendlich, schön und warm, wie nie seitdem auf der Bühne mir ein Weib erscheinen sollte. – Sie trat in »Fidelio« auf.
Wenn ich auf mein ganzes Leben zurückblicke, finde ich kaum ein Ereignis, welches ich diesem einen in betreff seiner Einwirkung auf mich an die Seite stellen könnte. Wer sich der wunderbaren Frau aus dieser Periode ihres Lebens erinnert, muß in irgendeiner Weise die fast dämonische Wärme bezeugen können, welche die so menschlich-ekstatische Leistung dieser unvergleichlichen Künstlerin notwendig über ihn ausströmte. Nach der Vorstellung stürzte ich zu einem meiner Bekannten, um dort einen kurzen Brief aufzuschreiben, in welchem ich der großen Künstlerin bündig erklärte, daß von heute ab mein Leben seine Bedeutung erhalten habe, und wenn sie je dereinst in der Kunstwelt meinen Namen rühmlich genannt hören sollte, sie sich erinnern möge, daß sie an diesem Abend mich zu dem gemacht habe, was ich hiermit schwöre werden zu wollen. Diesen Brief gab ich im Hotel der Schröder-Devrient ab und lief wie toll in die Nacht hinaus. Als ich im Jahre 1842 nach Dresden kam, um mit dem Rienzi zu debütieren, und nun mich oft im Hause der freundlich gewogenen Künstlerin aufhielt, überraschte sie mich eines Males durch treue Rezitation jenes Briefes, welcher auch auf sie Eindruck gemacht zu haben schien, da sie sich ihn wirklich aufbewahrt hatte.
Ich glaube jetzt erkennen zu müssen, daß eine große Verwirrung, welche nun auf längere Zeit in mein Leben, namentlich in meine Arbeiten eintrat, durch die übermäßige Erfülltheit von dem Eindrucke dieser Kunsterscheinung veranlaßt wurde. Ich wußte nicht wie mir helfen, wie es beginnen, um selbst irgend etwas hervorzubringen, was in unmittelbarem Verhältnis zu dem empfangenen Eindrucke stehen möchte; und alles, was nicht hierauf in Beziehung zu bringen war, erschien mir doch so schal und nichtig, daß ich mich unmöglich damit befassen mochte. Ich hätte mögen ein Werk schreiben, welches der Schröder-Devrient würdig gewesen wäre: da mir dies[44] nun in keiner Weise möglich war, ließ ich in enthusiastischer Verzweiflung alles Kunststreben fahren, und da mich die Schul-Wissenschaft wahrlich auch nicht zu fesseln vermochte, überließ ich mich wie steuerlos dem unmittelbaren Leben, im Verkehre mit sonderbar gewählten Genossen, aller Art von Jugend-Ausschweifungen. Es begann bei mir die eigentliche liederliche Periode der Jünglings-Flegeljahre, über deren äußerliche Unschönheit und innerliche Leere ich jetzt noch wahrhaft erstaune. Mein Umgang mit Altersgenossen war stets das leichtfertigste Werk des Zufalls gewesen; ich kann mich nicht entsinnen, daß eine besondre Neigung oder Angezogenheit mich in der Wahl meiner Jugendfreunde bestimmt hat. Während ich mit Sicherheit annehmen darf, daß ich nie in den Fall kam, etwa aus Neid von einem besonders Begabten mich zurückzuhalten, kann ich mir meine Gleichgültigkeit in der Wahl meiner Umgangsgenossen nur dadurch erklären, daß es mir, ohne Erfahrung von einem für mich bedeutenden Umgange, nur darauf ankam, jemand zu haben, der mich bei meinen Ausflügen begleitete und welchem ich nach Herzenslust mein Inneres ausschütten konnte, ohne darauf zu achten, was davon auf ihn überging. Die Folge hiervon war, daß ich nach anhaltender, nur durch meine Aufregung bezahlter Mitteilung schließlich an den Punkt gelangte, wo ich mir denn doch nun den Freund ansah: zu meinem Erstaunen fand ich dann gewöhnlich, daß von Erwiderung gar keine Rede war, und sobald ich nun es mir angelegen sein ließ, etwas mir Entsprechendes aus dem Freunde herauszuschlagen, somit ihn selbst gewissermaßen zur Mitteilung von etwas, was ihm gar nicht eigen war, zu stimulieren, brach dann gewöhnlich das Verhältnis vollständig und ohne alle Spur für mein Leben ab. In gewissem Sinne blieb mein sonderbares Verhältnis zu Flachs der Typus der allergrößten Mehrzahl meiner späteren Lebensbeziehungen. Da sich auf diese Weise nie ein dauerndes persönliches Freundesverhältnis in meinem Leben einführte, erklärt es sich, wie mir ein Gefallen am wüsten Studentenleben längere Zeit zur Leidenschaft werden konnte, weil hier das Individuelle des Umganges gänzlich vor dem Generellen der Genossenschaft zurücktritt. Mitten im Saus und Braus der lärmendsten Torheit blieb ich ganz allein; und es ist möglich, daß diese Unsinnigkeiten die schützende Kruste um meinen inneren Kern bildeten, welcher längere Zeit der natürlichen Erkräftigung bedurfte, um nicht durch frühreifes Produzieren vorzeitig geschwächt zu werden. Dem Anscheine nach zersplitterte ich mich nach allen Seiten: die Nikolaischule mußte mit Ostern 1830 aufgegeben werden, da ich beim Lehrerkollegium zu übel angeschrieben stand, um je auf Förderung von dort aus zur Universität mir Hoffnung machen zu können. Es ward nun beschlossen, daß ich ein halbes Jahr privatisieren sollte, um sodann mich an der Thomasschule zu melden, bei welcher ich in neue Verhältnisse trat und es in meiner Macht hatte, in kurzer Zeit mich bis zum Abgang auf die Universität durchzuschlagen. Mein Oheim Adolf, mit dem ich immer wieder in freundliche Beziehungen[45] trat, und welcher auch in betreff der Musik anregend und fördernd auf mich wirkte, erweckte trotz des tiefen Verfalls meiner damaligen Lebensrichtung immer wieder Neigung zu wissenschaftlichen Studien in mir. Ich nahm bei einem Gelehrten Privatunterricht im Griechischen, und las mit diesem den Sophokles. Eine Zeitlang hoffte ich, daß dieser edle Gegenstand mir wieder Lust zum ernsteren Erfassen der griechischen Sprache erwecken würde; allein es war vergeblich: der richtige Lehrer war nicht gefunden; und zudem ging sein Wohnzimmer, in welchem wir unsre Studien betrieben, auf eine Lohgerberei hinaus, deren widerwärtiger Geruch meine Nerven dermaßen affizierte, daß er mir den Sophokles und das Griechische gründlich verleidete.
Mein Schwager Brockhaus wollte mir ein Taschengeld zu verdienen geben und übertrug mir die Durchsicht der Korrektur-Bogen einer bei ihm in Druck erscheinenden neuen Auflage der durch Löbell neu bearbeiteten Beckerschen Weltgeschichte. Es war dies eine Veranlassung, den oberflächlichen Unterricht, der im allgemeinen von jedem Gegenstand in der Schule nur erteilt wird, durch Privat-Studien zu verbessern und dadurch die wissenswerten Gegenstände mir so anzueignen, wie im späteren Lauf meines Lebens es von mir mit den meisten der in der Schule uninteressant vorgetragenen Lehrobjekte geschehen sollte. Ich darf zwar nicht ganz unerwähnt lassen, daß dieses erste nähere Geschichtsstudium mir auch durch den Umstand anziehend wurde, daß er mir per Bogen acht Groschen eintrug, und ich dadurch in eine der seltenen Lagen meines Lebens geriet, mir wirklich Geld zu verdienen; doch würde ich gegen mich selbst ungerecht sein, wenn ich nicht der lebhaften Eindrücke gedenken wollte, die ich jetzt zum ersten Male durch ernste Beachtung von Geschichtsperioden empfing, von denen ich bisher nur eine sehr oberflächliche Kenntnis hatte. Von der Schule her entsinne ich mich einzig, durch die klassische Geschichtsperiode der Griechen angezogen worden zu sein: Marathon, Salamis und die Thermopylen bildeten den Kanon alles aus der Historie mich Anregenden. Nun lernte ich zum ersten Male das Mittelalter und die Französische Revolution genauer kennen, da in die Zeit meiner Korrekturarbeiten gerade der Druck derjenigen beiden Bände fiel, welche diese verschiedenen Geschichtsperioden enthielten. Ich entsinne mich, daß mich namentlich die Schilderung der Französischen Revolution mit aufrichtigem Abscheu gegen die Helden derselben erfüllte; ohne Kenntnis der vorangehenden Geschichte Frankreichs fand sich einzig mein zart menschliches Mitgefühl durch die Greuel der Revolutionsmänner empört, und es blieb in mir diese rein menschliche Regung so lange vorherrschend, daß ich mich noch in spätester Zeit des wirklichen Zwanges entsinne, welchen es mich kostete, der rein politischen Bedeutung jener gewaltigen Vorgänge meine Aufmerksamkeit zu widmen.
Wie groß war daher meine Überraschung, als ich eines Tages durch die politischen Vorgänge der Gegenwart, gleichsam unmittelbar zum Miterleben[46] des soeben wie aus weiter Ferne aus meinen Korrekturbogen an mich herangetretenen Staaten-Schicksals gebracht werden sollte. Die Extra-Blätter der Leipziger Zeitung brachten die Nachricht der Pariser Juli-Revolution. Der König von Frankreich war vom Throne gestoßen; Lafayette, der soeben wie ein geschichtliches Märchen durch meine Imagination gezogen war, ritt unter dem Jubel des Volkes wieder durch die Straßen von Paris; die Schweizergarden waren in den Tuilerien nochmals niedergemacht worden; ein neuer König wußte sich nicht anders dem Volke zu empfehlen, als daß er sich selbst für die Republik ausgeben ließ. Mit Bewußtsein plötzlich in einer Zeit zu leben, in welcher solche Dinge vorfielen, mußte natürlich auf den siebzehnjährigen Jüngling von außerordentlichem Eindruck sein. Die geschichtliche Welt begann für mich von diesem Tage an; und natürlich nahm ich volle Partei für die Revolution, die sich mir nun unter der Form eines mutigen und siegreichen Volkskampfes, frei von allen den Flecken der schrecklichen Auswüchse der ersten französischen Revolution, darstellte. Da revolutionäre Erschütterungen bald ganz Europa in mehr oder minder starken Schauern heimsuchten, und auch hier und da deutsche Länder von ihnen berührt wurden, blieb ich längere Zeit in fieberhafter Spannung und wurde zum ersten Male auf die Gründe jener Bewegungen aufmerksam, die mir als Kämpfe zwischen dem Alten, Überlebten und dem Neuen, Hoffnungsvollen der Menschheit erschienen. Auch Sachsen blieb nicht unberührt; in Dresden kam es ja zu einem wirklichen Straßenkampfe, der zu einer unmittelbaren politischen Veränderung durch die Einsetzung der Mitregentschaft des nachherigen Königs Friedrich und zur Gewährung einer konstitutionellen Verfassung führte. Mich begeisterte dieses Ereignis so sehr, daß ich eine politische Ouvertüre entwarf, deren Einleitung einen düstren Druck schilderte, in welchem dann ein Thema sich bemerklich machte, unter das ich zu deutlicherem Verständnis die Worte »Friedrich und Freiheit« schrieb: dieses Thema war bestimmt, sich immer größer und herrlicher bis zum vollsten Triumphe zu entwickeln, dessen Erfolg ich nächstens in einem der Leipziger Gartenkonzerte zu erleben verhoffte.
Ehe ich jedoch zur weiteren Ausführung meiner politisch-musikalischen Entwürfe gelangte, brachen in Leipzig selbst Unruhen aus, welche mich vom Gebiete der Kunst ab zu unmittelbarer Beteiligung am Staatsleben beriefen. Dieses Staatsleben hatte nun in Leipzig keine andre Bedeutung als die eines Antagonismus der Studenten mit der Polizei; die Polizei war das Urverhaßte, an welchem sich der Freiheitssinn der Jugend übte. Bei irgendeinem Straßenexzeß war es zu Verhaftungen einiger Studenten gekommen: diese sollten befreit werden. Die akademische Jugend, unter welcher es bereits seit einigen Tagen unruhig herging, versammelte sich eines Abends auf dem Markte; die Landsmannschaften traten zusammen und schlossen einen Kreis um ihre Senioren, wobei eine gewisse kommentmäßige Feierlichkeit herrschte, die mir außerordentlich imponierte: man sang das »Gaudeamus[47] igitur«, bildete sich in Kolonnen und zog nun, verstärkt durch alles Junge, was es mit den Studenten hielt, ernst und entschlossen vom Markte aus nach dem Universitätsgebäude, um dort die Karzer zu sprengen und die verhafteten Studenten zu befreien. Mir klopfte das Herz in unglaublicher Erregtheit, als ich zu dieser Bastilleerstürmung mitmarschierte. Doch nahm es eine andere als die erwartete Wendung: im Hofe des Paulinums ward der feierliche Schwarm vom Rektor Krug, welcher mit entblößtem Greisenhaupte herabgekommen war, aufgehalten; seine Versicherung, daß die Verhafteten bereits auf seine Veranlassung entlassen seien, brachte ihm ein donnerndes Vivat ein, und die Sache schien nun beendigt.
Allein die Spannung auf eine Revolution war zu groß gewesen, als daß nicht irgend etwas ihr zum Opfer hätte fallen müssen. Plötzlich verbreitete sich der Ruf nach einer berüchtigten Gasse, in welcher gegen eine verhaßte Magistratsperson, welche dort der Volksmeinung nach ein übelberufenes Etablissement in willkürlichen Schutz genommen hatte, populäre Justiz geübt werden sollte. Als ich im Gefolge des Schwarmes an jenem Ort anlangte, fand ich ein erbrochenes Haus, in welchem allerhand Gewalttaten verübt wurden. Ich entsinne mich mit Grauen der berauschenden Einwirkung eines solchen unbegreiflichen, wütenden Vorganges und kann nicht leugnen, daß ich, ohne die mindeste persönliche Veranlassung hierzu, an der Wut der jungen Leute, welche wie wahnsinnig Möbel und Geräte zerschlugen, ganz wie ein Besessener mit teilnahm. Ich glaube nicht, daß die vorgebliche Veranlassung zu diesem Exzeß, welche allerdings in einem das Sittlichkeitsgefühl stark verletzenden Vorfalle lag, hierbei auf mich Einfluß übte; vielmehr war es das rein Dämonische solcher Volkswutanfälle, das mich wie einen Tollen in seinen Strudel mit hineinzog. Auch daß solche Wutanfälle nicht so schnell sich verlaufen, sondern nach gewissen natürlichen Gesetzen erst durch ihre Ausartung zur Raserei zu dem ihnen eigentümlichen Abschluß gelangen, sollte ich an mir selbst erfahren. Kaum erscholl der Ruf nach einem andern derartigen Orte, als ich auch schon in der Strömung mich befand, welche nach einem entgegengesetzten Ende der Stadt sich bewegte; dort wurden die gleichen Heldentaten verübt und die lächerlichsten Verwüstungen angerichtet. Ich entsinne mich nicht, daß der Genuß geistiger Getränke zu meiner und meiner unmittelbaren Genossen Berauschung beigetragen hätte; nur weiß ich, daß ich schließlich in den Zustand gelangte, der für gewöhnlich einem Rausche folgt. Ich erwachte des anderen Morgens wie aus einem wüsten Traume und mußte mich erst an einer Trophäe, dem Fetzen eines roten Vorhanges, welchen ich als Zeichen meiner Heldentaten mit mir geführt hatte, daran erinnern, daß die Vorgänge dieser Nacht wirklich von mir erlebt worden seien. Sehr beruhigte es mich, daß allgemein, und namentlich auch in meiner Familie, eine günstige Meinung für die jugendlichen Exzedenten sich geltend machte: die Tollheit der jungen Menschen ward ihnen als sittliche Entrüstung über wirklich empörende Zustände[48] angerechnet, und auch ich durfte mich ohne Scheu zu dem Ruhme bekennen, an den Exzessen teilgenommen zu haben.
Das gefährliche Beispiel, welches von der Jugend gegeben worden war, verführte jedoch an den folgenden Abenden auch die niederen Volksklassen, namentlich das Arbeiterproletariat, zu ähnlichen Exzessen gegen mißliebige Fabrikherren und dergleichen: nun wurde die Sache ernster; das Eigentum war bedroht, der Kampf zwischen arm und reich stand grinsend vor den Häusern. Jetzt waren es die Studenten, welche, da Leipzig ohne alle bewaffnete Macht und die Polizei gänzlich desorganisiert war, zum Schutz gegen das niedere Volk herbeigerufen wurden. Und nun begann eine Zeit der Glorie für das Studententum, wie ich sie nur je in meinen Gymnasiasten-Träumen mir hatte ersehnen können. Der Student ward der Schutzgott Leipzigs; von den Behörden aufgerufen, sich zum Schutz des Eigentums zu waffnen und zu scharen, sammelten sich dieselben jungen Leute, welche zwei Tage vorher sich selbst in die Wut des Zerstörens versetzt hatten, im Universitätshof. Die verpönten Namen der Landsmannschaften und der Burschenschaften riefen laut aus dem Munde der Stadträte und Polizeidirektoren die wunderlich ausgerüsteten Jünglinge auf, welche nun in mittelalterlich naiver Kriegsgliederung sich über die Stadt verteilten, die Wachstuben der Tore bezogen, Schutzmannschaften in die Grundstücke einzelner reicher Kaufleute legten und nach Gutdünken bedroht erscheinende Lokalitäten, worunter namentlich Gasthäuser sehr beliebt wurden, unter ihre andauernde Protektion nahmen. Leider noch nicht selbst Student, antizipierte ich die Wonnen des akademischen Bürgerwesens durch teils keckes, teils einschmeichelndes Herandrängen an die von mir verehrtesten Führer der Studentenschaft. Ich hatte das Glück, mich diesen sogenannten »Haupthähnen« besonders zu empfehlen durch meine Verwandtschaft mit Brockhaus, auf dessen Grundstücke sich für eine Zeitlang das Haupt-Heerlager dieser Matadoren aufschlug. Auch mein Schwager war gefährlich bedroht gewesen; nur durch wirklich große Geistesgegenwart und Zuversicht war es ihm gelungen, seine Buchdruckerei und namentlich seine Schnellpressen, auf deren Vernichtung es vorzüglich abgesehen war, vor Zerstörung zu retten. Um sein Eigentum gegen fernere Angriffe zu schützen, wurden Studenten-Abteilungen auch auf sein Grundstück kommandiert; die vortreffliche Bewirtung, welche der liberale Hausherr der lustigen Wachtmannschaft in seinem freundlichen Gartenpavillon bot, zog die eigentliche Crême der Studentenschaft herbei; mein Schwager ward mehrere Wochen lang Tag und Nacht gegen erdenkliche Pöbelangriffe bewacht, und ich feierte dort in dem Kreis der allerberühmtesten Renommisten der Universität, von ihnen geliebt und geehrt, als Vermittler einer üppigen Gastfreundschaft, die wahren Saturnalien meines studentischen Ehrgeizes. –Noch längere Zeit blieb die Bewachung der Stadttore den Studierenden anvertraut; die unerhörte Blüte, in welche das Studentenwesen dadurch geriet,[49] lockte von nah und fern Kommilitonen herbei; täglich entluden am Hallischen Tor große Gesellschaftswagen ganze Scharen der verwegensten Studenten aus Halle, Jena, Göttingen, ja aus den entferntesten Gegenden her. Sie stiegen unmittelbar an den Torwachen ab und sind während mehrerer Wochen nie in einen Gasthof noch in eine sonstige Wohnung gekommen: dort lebten sie auf Rats Unkosten, stellten für gelieferte Eß- und Trinkwaren Bons auf die Polizei aus und kannten nur eine Sorge, nämlich die der möglichen allgemeinen Beruhigung der Gemüter, welche ihre angelegentliche Wachsamkeit überflüssig machen könnte. Ich versäumte keinen Wachttag und leider auch keine Nacht, indem ich meiner Familie die dringende Notwendigkeit auch meiner Ausdauer plausibel zu machen suchte. Natürlich zogen sich die ruhigeren, wirklich studierenden Studenten bald von diesen Wachtfunktionen zurück und nur der eigentliche Ausbund des absoluten Studententums blieb so treu, daß es den Behörden schwierig wurde, die jungen Leute ihrer Verpflichtungen zu entbinden. Ich hielt bis in die allerletzte Zeit aus und machte allerdings für mein Alter staunenswürdige Bekanntschaften. Viele der Verwegensten blieben von hieran selbst ohne Wachtdienst dauernd in Leipzig und bevölkerten dieses für längere Zeit mit einer ganz besonderen Gattung verzweifelt liederlicher Recken, die zu wiederholten Malen von verschiedenen Universitäten, um Raufereien und Schulden halber, relegiert waren und nun unter den außerordentlichen Zeit-Umständen in Leipzig, wo sie anfangs von dem allgemeinen Studenten-Enthusiasmus mit offenen Armen empfangen worden waren, ein schützendes Asyl gefunden hatten.
Ich befand mich all diesen Erscheinungen gegenüber wie vor den Wirkungen eines Erdbebens, welches die gewohnte Ordnung der Dinge und Gegenstände aufhebt. Mein Schwager Friedrich Brockhaus, welcher mit Recht den bisherigen Behörden Leipzigs ihre Unfähigkeit, Ruhe und Ordnung zu erhalten, vorwerfen konnte, geriet in den Strom einer ansehnlichen oppositionellen Bewegung. Ein kühnes Wort, welches er auf dem Rathaus an die Herren vom Magistrat gerichtet hatte, machte ihn populär; er ward zum Vize-Kommandanten der nun ins Leben gerufenen Leipziger Kommunalgarde ernannt. Dieses Institut verdrängte meine angebeteten Studenten schließlich aus den Wachstuben der Stadttore; es war uns nun nicht mehr erlaubt, Wanderburschen anzuhalten, um Pässe zu revidieren; dagegen schmeichelte ich mir, in dieser neuen Bürgerwehr die französische Nationalgarde und in meinem Schwager Brockhaus einen sächsischen Lafayette erblicken zu dürfen, was immerhin meiner hochgehenden Erregtheit eine förderliche Nahrung gab. Ich fing nun an, leidenschaftlich Zeitungen zu lesen und Politik zu treiben; für den persönlichen Umgang zog mich jedoch die bürgerliche Welt nicht genügend an, um dem geliebten Studentenverkehr untreu zu werden; ich folgte ihm aus den Wachstuben getreulich in die eigentliche Kneipe, wohin die Studenten-Glorie sich nun wieder zurückzog.[50]
An nichts lag mir mehr, als so schnell wie möglich nun selbst endlich Student zu werden: dies konnte nur durch Vermittlung einer nochmaligen Einbürgerung auf einem Gymnasium geschehen. An der Thomasschule, welche unter dem Rektorat eines schwachen Greises stand, war für meine Wünsche schnellere Erfüllung zu erreichen; ich bezog diese Schule im Herbste des Jahres 1830, rein in der Absicht, durch den bloßen Anschein ihres Besuches mich bis zur Berechtigung zum Abiturienten-Examen durchzuarbeiten. Die Hauptsache war, daß ich mit meinen gleichgesinnten Freunden bereits unter den sogenannten »Pennälern« eine imitierte Studentenverbindung zustande brachte. Sie ward mit allem möglichen Pedantismus organisiert, der Komment eingeführt, Fechtübungen, Paukereien gehalten und ein Stiftungskommers, zu welchem einige Hauptstudenten eingeladen waren und weichem ich als Subsenior in weißen Lederhosen und großen Kanonenstiefeln präsidierte, gab mir einen Vorgeschmack der bevorstehenden Wonnen als wirklicher Student. Die Lehrer der Thomasschule waren jedoch nicht geneigt, meinen Wünschen des Studentenwerdens so gutwillig zu entsprechen; sie fanden am Schlusse des Halbjahres, daß ich mich so gut wie gar nicht um ihre Lehranstalt bekümmert hatte, und waren nicht davon zu überzeugen, daß ich ein Anrecht auf das akademische Bürgertum durch Zunahme an Gelehrsamkeit mir gewonnen hätte. Der Sache mußte aber ein Ende gemacht werden: ich stellte meiner Familie vor, daß ich ja doch entschieden sei, ein Brotstudium auf der Universität nicht zu ergreifen, sondern Musiker zu werden entschlossen sei. Meiner Inskription als »Studiosus Musicæ« stand nichts entgegen: ohne um die Pedantereien auch der Thomasschul-Monarchen mich zu kümmern, verließ ich daher trotzig diese von mir durchaus unausgebeutet gelassene Lehranstalt, um sofort mich beim Rektor der Universität, dessen Bekanntschaft ich bereits an jenem Aufstandsabende gemacht hatte, zur Inskription als Student der Musik zu melden, was denn auch gegen die üblichen Sporteln ohne weiteren Anstand geschah.
Ich hatte hiermit höchste Eile: in acht Tagen begannen die Osterferien, die Studenten verließen Leipzig, und es war unmöglich, mich dann vor der Beendigung der Ferien noch in die Landsmannschaft aufnehmen zu lassen. Diese langen Wochen aber, in Leipzig, wo ich zu Hause war, zu verbleiben, ohne das Recht zu haben, die von mir ersehnten landsmannschaftlichen Farben zu tragen, erschien mir als eine unausstehliche Qual. Unmittelbar vom Rektor rannte ich wie angeschossen auf den Fechtboden, um mich bei der Landsmannschaft der Sachsen, unter Vorzeigung meiner Inskriptionskarte, zur Aufnahme zu melden. Mein Ziel war erreicht: ich durfte die Farben der Saxonia, welche damals ihrer vielen gefälligen Mitglieder wegen besonders beliebt war und in Ansehen stand, tragen.
Die sonderbarsten Schicksale sollten mich nun in dieser Osterferienzeit treffen, in welcher ich wirklich das einzige in Leipzig zurückbleibende Glied[51] der sächsischen Landsmannschaft war. Diese Verbindung bestand ursprünglich meist aus Adeligen, und diesen schloß sich der elegantere Teil der Studentenwelt an; alle gehörten ansehnlicheren und wohlhabenderen Familien Sachsens und namentlich der Hauptstadt Dresden an und brachten ihre Ferienzeit in ihren verschiedenen Heimatorten zu. In Leipzig blieben dagegen während der Ferien nur die heimatlos gewordenen wilden Studenten zurück, für welche es im Grunde nie oder immer Ferien gab. Unter diesen hatte sich eine ganz besondere Kongregation verwegener und verzweifelter junger Wüstlinge gebildet, welche in der erwähnten gloriosen Zeit, wie ich sagte, in Leipzig ein letztes Asyl gefunden hatten. Ich hatte diese meiner Phantasie ungemein imponierenden Raufdegen namentlich bei der Bewachung des Brockhausischen Gartengrundstückes bereits persönlich kennengelernt. Während die eigentliche Dauer der Universitätsstudien sich auf drei Jahre beschränkte, waren die meisten dieser Leute seit sechs bis sieben Jahren von den Universitäten in keine Heimat zurückgekehrt. Wahrhaft bezaubert war ich von einem gewissen Gebhardt, einem Menschen von ganz unvergleichlicher Schönheit und Körperkraft; seine heroische schlanke Gestalt ragte hoch über alle Genossen hervor. Als er mit zwei der kräftigsten Kollegen Arm in Arm durch die Straße schritt, fiel es ihm plötzlich ein, durch leichte Armbewegung seine Freunde hoch in die Luft zu heben und so wie mit einem Menschenflügelpaar dahinzuflattern. Einem Fiaker, der in scharfem Trabe durch die Straßen fuhr, erfaßte er mit einer Hand die Speiche eines Rades und zwang ihn so stillzustehen. Daß er dumm war, ließ ihn keiner merken, aus Furcht vor seiner Kraft, und somit ward seine Beschränktheit an sich auch wenig bemerkbar. Seine furchtbare Stärke, bei einem übrigens gemäßigten Temperamente, verlieh ihm eine erhabene Würde, welche ihn außer allen Vergleich mit andren Sterblichen setzte. Er war zugleich mit einem gewissen Degelow aus dem Mecklenburgischen nach Leipzig gekommen; ebenfalls kräftig und gewandt, jedoch keineswegs von so riesigen Proportionen wie Gebhardt, war dieser durch große Lebhaftigkeit und eine ungemein belebte Physiognomie über alles interessant. Er hatte bereits ein wüstes leidenschaftliches Leben hinter sich, in welchem Spiel, Trunk, wilde Liebeshändel und stete Duellierbereitheit den wechsellosen Kanon bildeten. Ein Gemisch von kommentmäßig ausgebildeter, ironisch-pedantischer Kälte als Zeugnis tapferen Selbstvertrauens und wildester Reizbarkeit begründete den Hauptcharakter dieser Persönlichkeit und der ihm verwandten Naturen. In Degelow erhielt das Wilde, Leidenschaftliche einen besonderen dämonischen Reiz durch eine hämische Frivolität, mit der er sich oft gegen sich selbst wandte, während er wieder Züge von einer gewissen ritterlichen Zartheit gegen andre zu erkennen gab. Zu diesen auffallendsten jungen Leuten gesellten sich andere, welche als reiner Ausbund eines wüsten Lebens, verbunden mit wirklicher trotziger Tapferkeit, gelten konnten. Ein gewisser Stelzer, ein wahrer Haudegen aus den [52] Nibelungen, mit dem Spitznamen »Lope«, studierte bereits im zwanzigsten Semester. Während diese entschieden und mit Bewußtsein einer dem Untergange verfallenen Welt angehörten und all ihr Tun und Treiben nur aus dem einen zu begreifen war, daß sie alle an ihren bevorstehenden, unaufhaltsamen Ruin glaubten, lernte ich in ihrer Gesellschaft noch einen gewissen Schröter kennen, welcher mich durch sein freundliches Wesen, seine angenehme hannöverische Sprache und seine witzige Bildung besonders anzog. Er gehörte nicht zu den eigentlichen Verzweifelten, sondern verhielt sich in einem gewissen ruhig beschaulichen Verhältnis zu ihnen, von denen allen er gerne gesehen und geliebt war. Mit Schröter ging ich auch wirklich um, trotzdem er bedeutend älter war als ich: durch ihn wurde ich mit den H. Heineschen Büchern und Gedichten bekannt; von ihm eignete ich mir eine gewisse frivole Eleganz des Ausdruckes an, und ich war geneigt, Schröters liebenswürdigem Einflusse mich nicht ohne Hoffnung auf Gewinn für meine äußere Haltung hinzugeben. Namentlich war es dieser, welchen ich jetzt täglich aufsuchte; ich traf ihn meistens des Nachmittags im »Rosenthal«, in »Kintschys Schweizerhäuschen«, nie aber anders als in Gesellschaft jener wunderbaren Hünen, die mir Grauen und Wohlgefallen zugleich erweckten. Sie gehörten sämtlich landsmannschaftlichen Verbindungen an, welche mit derjenigen, zu der ich mich bekannte, auf feindschaftlichem Fuße standen. Was das zwischen Landsmannschaften heißt, weiß, wer den damaligen Ton derselben kennt: der bloße Anblick der feindlichen Farben genügte, die gutmütigsten Menschen, sobald sie etwas im Kopfe hatten, in Wut gegeneinander zu versetzen. Jedenfalls erregte es den »alten Hähnen«, solange sie nüchtern waren, ein gemütliches Behagen, mich junges schmächtiges Bürschchen, mit den feindlichen Farben geschmückt, so zutraulich unter sich zu sehen. Diese Farben trug ich aber auf ganz besondere Art: die kurze Zeit des noch achttägigen Aufenthaltes meiner Landsmannschaft in Leipzig hatte ich benutzt, um in den Besitz einer wunderschönen, reich mit Silber gestickten Sachsenmütze zu gelangen, welche ich an einem gewissen Müller, später bedeutendem Polizeimann in Dresden, wahrgenommen und nach welcher mich so heftige Sehnsucht erfaßt hatte, daß ich sie dem zur Heimreise Geldbedürftigen abzuhandeln verstand. Trotz dieser auffallenden Mütze war ich, wie gesagt, in der Tigerhöhle jenes Reckenbundes gern gesehen; mein Freund Schröter vermittelte dies. Nur wenn der Grog, dieses Hauptgetränk der Wüstlinge, zu wirken begann, bemerkte ich oft unheimliche Blicke und belauschte bedenkliche Reden, gegen deren richtiges Verständnis mich eine Zeitlang meine eigene, durch das böse Getränk bewirkte Sinnesverwirrung schützte.
Da ich auf diesem Wege unvermeidlich in Händel verfallen mußte, gereichte es mir lange Zeit zur angenehmen Genugtuung, daß die erste Veranlassung hierzu jedoch aus einem für mich ehrenvolleren Falle hervorging, als jene halb unbemerkt gebliebenen Sticheleien es waren. Zu Schröter und[53] mir trat eines Tages Degelow in einem öfters von uns besuchten Weinkeller; auf nicht unehrerbietige Weise bekannte er im traulichen Gespräch uns seine Neigung zu einer jungen sehr hübschen Schauspielerin, deren Talent von Schröter in Zweifel gezogen wurde; Degelow entgegnete: dem möge sein wie ihm wolle, er halte diese junge Dame für das anständigste Frauenzimmer am Theater. Sogleich frug ich ihn, ob er meine Schwester für minder anständig halte. Nach studentischen Ehrbegriffen konnte Degelow, der jedenfalls nicht im entferntesten an eine Beleidigung gedacht hatte, in seiner beruhigenden Erklärung nicht weitergehen, als daß er gewiß meine Schwester nicht für minder anständig halte, jedoch auf seiner Äußerung im Betreff der von ihm erwähnten jungen Dame zu bestehen gedenke. Hierauf erfolgte ohne Zögern die bekannte Kriegserklärung mit den Worten: »Du bist ein dummer Junge« – die mir dem gereiften Wüstlinge gegenüber fast selbst, da ich mich hörte, lächerlich vorkam. Ich entsinne mich, daß es auch Degelow unwillkürlich durchzuckte und ihm wie ein Blitz aus den Augen fuhr; doch faßte er sich in Gegenwart unseres Freundes und schritt zu den üblichen Förmlichkeiten der Herausforderung, welche auf »krumme Säbel« lautete. Der Fall machte unter den Genossen großes Aufsehen: weniger als je fühlte ich Grund, mich von dem gewohnten Umgange fernzuhalten; nur wurde ich aufmerksamer auf die Haltung der Haudegen, und es verging nun während einer Reihe von Tagen kein Abend, an welchem es nicht zwischen mir und einem furchtbaren Raufbolde zu einer Herausforderung kam, bis sich das einzige von meiner Landsmannschaft bereits nach Leipzig wieder zurückgekehrte Glied derselben, ein Graf Solms, vertraulich bei mir einstellte, sich über die Vorfälle erkundigte, mein Benehmen lobte, mir jedoch anriet, bis zur Rückkehr unserer Verbindungsgenossen aus den Ferien die Farben ungetragen zu lassen und mich von dem schlimmen Umgange, in welchen ich mich gewagt hatte, zurückzuhalten. – Dies dauerte nun glücklicherweise nicht mehr lange; die Universität belebte sich, der Fechtboden füllte sich wieder. Meine ungeheure Situation, in welcher ich mit einem halben Dutzend der furchtbarsten Schläger, nach Studentenausdruck, »hing«, brachte mir unter den »Füchsen« und »jungen Häusern«, ja selbst unter den älteren »Korpsburschen« der Saxonia, ruhmreiche Beachtung ein. Meine »Suiten« wurden gehörig geordnet, die Fristen für die verschiedenen kontrahierten Duelle festgesetzt und mir durch die Vorsorge meiner Senioren die nötige Zeit zur Aneignung einiger Fertigkeit im Fechten versichert. Der leichte Mut, mit welchem ich dem Schicksal entgegensah, welches mindestens in einem der bevorstehenden Duelle mein Leben bedrohte, blieb mir selbst zu jener Zeit unbegreiflich. In welcher Weise dieses Schicksal mich dagegen vor den Folgen meiner Unüberlegtheiten bewahrte, gilt mir noch heute als wahrhaft wunderlich, und der Hergang hiervon möge daher noch näher mitgeteilt werden. Zu den Vorbereitungen für das Duell gehörte auch das Bekanntmachen[54] mit dem Charakter desselben durch persönliche Anwesenheit bei Zweikämpfen. Hierzu gelangten wir Füchse durch den sogenannten »Schleppdienst«, d.h. uns wurden die Schläger des Korps (wertvolle Ehrenwaffen, der Verbindung angehörig) anvertraut, um sie zunächst zum Schleifer zu schaffen und von dort sie nach dem Lokal des Zweikampfes überzuführen, welches mit einiger Gefahr verbunden war, da es heimlich geschehen mußte, indem das Duellieren gesetzlich verpönt war: hierfür erhielten wir das Recht, den bevorstehenden Duellen als Zuschauer anwohnen zu dürfen. Als ich zu dieser Ehre gelangte, war das Lokal für das Duell im Billardzimmer eines Wirtshauses der Burgstraße bestimmt; dort war das Billard beiseite gerückt, und auf ihm pflanzten die berechtigten Zuschauer sich auf: unter ihnen stand ich hoch oben mit klopfendem Herzen, den bangen und mutigen Vorgängen entgegensehend. Man erzählte mir bei dieser Gelegenheit von einem meiner Bekannten (einem Juden Levy, genannt Lippert), welcher in demselben Lokale vor dem Gegner so stark zurückgewichen, daß man ihm die Türe geöffnet habe, durch welche er über die Treppe bis auf die Straße, immer noch im Duell sich begriffen glaubend, entflohen sei. Nachdem mehrere Paukereien abgemacht waren, trat mit dem Senior der »Markomannen«, Tempel, ein gewisser Wohlfahrt, ein bereits im vierzehnten Semester »studierendes« »bemoostes Haupt«, mit welchem ich gleichfalls zu einem auf spätere Zeit anberaumten Zweikampf engagiert war, auf die »Mensur«.Da in solchem Falle das Zusehen nicht gestattet war, weil es dem künftigen Duellanten die Schwächen des Gegners verraten konnte, wurde Wohlfart von meinen Senioren befragt, ob er meine Entfernung verlange, worauf dieser mit ruhiger Geringschätzung antwortete, man solle das »Füchschen« doch in Gottes Namen dalassen. So ward ich Augenzeuge der Kampfunfähigmachung eines Schlägers, der sich im übrigen bei dieser Gelegenheit so erfahren und tüchtig bewies, daß ich wohl in Besorgnis vor dem Ausgang meines künftig beabsichtigten Kampfes mit ihm zu verfallen berechtigt gewesen wäre. Von seinem riesenhaften Gegner ward ihm die Arterie des rechten Armes zerschlagen: das Duell war sofort beendigt; der Arzt erklärte Wohlfart auf Jahre für unfähig, die Waffe wieder führen zu können, unter welchen Umständen sofort mein beabsichtigtes Duell mit ihm als unstatthaft angekündigt wurde. Ich leugne nicht, daß dieser Vorgang mich mit einiger Wärme erfüllte.
Kurz darauf fand der erste allgemeine landsmannschaftliche Kommers in der »Grünen Schenke« statt. Diese Kommerse sind die eigentlichen Brutstätten für Duellskandale; ich zog mir hier zwar ein neues Duell mit einem gewissen Tischer zu, erfuhr aber auch sogleich, daß ich von zwei der monströsesten älteren Engagements dieser Art, durch das Verschwinden meiner Gegner, befreit worden sei, indem beide wegen Schulden spurlos entwichen waren. Nur von dem einen, dem furchtbaren Stelzer, genannt Lope, erfuhr ich Genaueres: er hatte den Durchzug flüchtiger Polen, welche, damals bereits[55] über die Grenze gedrängt, durch Deutschland nach Frankreich sich wandten, benutzt, um als verunglückter Freiheitskämpfer verkappt sich später bis zur Fremdenlegion in Algier durchzuschlagen. Auf dem Heimweg von dem Kommers ließ mir Degelow, mit welchem ich in einigen Wochen »losgehen« sollte, »Comment-Suspendu« antragen, vermöge welcher Maßregel, wenn sie, wie es hier der Fall war, andrerseits angenommen wurde, den engagierten Gegnern erlaubt war, miteinander zu sprechen und sich zu unterhalten, was außerdem auf das strengste unterlassen werden mußte. Arm in Arm verschlungen wanderten wir nach der Stadt zurück: mit ritterlicher Zärtlichkeit erklärte mir mein furchtbarer und so sehr interessanter Gegner, daß er sich drauf freue, in einigen Wochen mit mir auf die Mensur zu treten, woraus er sich eine Ehre und ein Vergnügen mache, da er mich liebhabe und meines tüchtigen Benehmens halber mich hochschätze. Selten hat mir ein persönlicher Erfolg mehr geschmeichelt; wir umarmten uns und schieden unter Ergießungen, welche durch einen gewissen feierlichen Anstand einen für mich unvergeßlichen Ausdruck erhielten. Degelow hatte mir angekündigt, daß er zuvor nach Jena zu verreisen habe, wo ihm die Erledigung einer Herausforderung auf Stoßwaffen bevorstehe. Acht Tage hierauf gelangte die Kunde vom Tode Degelows, welcher in diesem angekündigten Duell in Jena erstochen war, nach Leipzig.
Ich war wie im Traum, aus welchem ich durch die Ansage des Duells mit Tischer erweckt wurde. Dieser, ein tüchtiger und energischer Fechter, war von meinen Senioren mir zum ersten Waffengang auserlesen worden, da er von ziemlich kleiner Statur war. Ohne mich sonderlich auf meine in der Eile gewonnene und durchaus nicht bedeutend ausgebildete Fertigkeit in der Fechtkunst verlassen zu können, sah ich diesem ersten Duell mit leichtem Mute entgegen. Eine Hauterhitzung, welche ich mir damals zugezogen hatte und von welcher man mir sagte, daß sie Verwundungen besonders gefährlich machte, daher ihre Angabe vom Duell suspendiere, fiel mir, obschon es kommentwidrig war, nicht ein bekanntzumachen, trotzdem ich bescheiden genug war, auf Verwundungen mich gefaßt zu machen. Vormittags um 10 Uhr war ich bestellt und verließ die Wohnung meiner Familie lächelnd mit dem Gedanken, was meine Mutter und meine Schwestern sagen würden, wenn ich, in dem vorausgesehenen erschreckenden Zustande, in einigen Stunden nach Haus gebracht werden würde. Als ich am Haus meines Seniors auf dem Brühl anlangte, grüßte mich derselbe, ein angenehmer ruhiger junger Mann, Herr v. Schönfeld, mit herabhängender Pfeife aus dem Fenster mit den Worten: »Du kannst heimgehen, Kleiner; es ist nichts, Tischer liegt im Spital.« Als ich hinaufkam, fand ich mehrere Korpsburschen versammelt, von denen ich erfuhr, daß Tischer in der vergangenen Nacht sich durch Exzesse der Betrunkenheit die entehrendsten Mißhandlungen der Bevölkerung eines liederlichen Hauses zugezogen hatte und auf das scheußlichste verwundet durch die Polizei zunächst in das Krankenhaus geschafft[56] worden sei, was ihm notwendig Relegation und vor allem Ausstoßung aus der Studentenschaft zuzuziehen habe.
Ich entsinne mich nicht deutlich, welches Schicksal die ein oder zwei Raufdegen aus Leipzig entfernt hatte, mit welchen ich noch aus der verderblichen Ferienzeit her engagiert war, nur weiß ich, daß diese Seite meines Studentenruhmes überhaupt nun gegen eine andere Richtung zurückgetreten war. Wir begingen den Fuchs-Kommers, zu welchem, wer es nur irgend ermöglichen konnte, vierspännig im langen Zuge durch die Stadt hinausfuhr. Nachdem mich noch der »Landesvater« durch seine plötzlich eintretende und andauernde Feierlichkeit ganz außerordentlich ergriffen hatte, verfiel ich nun in den Ehrgeiz, unter den allerletzten mich zu befinden, welche vom Kommers wieder heimkehren würden. Auf diese Weise verblieb ich drei Tage und drei Nächte, welche allermeistens im Spiele zugebracht wurden: denn dieses warf, von der ersten Kommersnacht an, seine dämonischen Schlingen über mich. Ein Ausbund der flottesten Verbindungsglieder, etwa ein halbes Dutzend, fand sich beim ersten Morgengrauen beim »Landsknecht« zusammen und bildete von da ab den Stamm einer Spielgesellschaft, welche sich den Tag über durch neu aus der Stadt Zurückkehrende verstärkte. Viele kamen, um zu sehen, ob man immer noch sein Wesen triebe; viele gingen auch wieder; nur ich, mit dem Stamme der Sechse, hielt Tage und Nächte ohne Wanken aus. Anfänglich bestimmte mich zur Teilnahme am Spiel der Wunsch, mein Kommersgeld (zwei Taler) durch Gewinn mir zu verschaffen: dies gelang, und nun begeisterte mich die Hoffnung, alle meine in jener Zeit gemachten Schulden auf diese Weise durch Spielgewinst abtragen zu können. Ähnlich wie ich das Komponieren, durch Logiers Methode, auf das schleunigste zu erlernen verhofft, durch unerwartete Schwierigkeiten hierin jedoch mich lange Zeit aufgehalten gesehen hatte, erging es mir nun mit diesem Plane der eiligen Bereinigung meiner finanziellen Situation: mit dem Gewinst ging es nicht so schnell, und gegen drei Monate blieb ich der Spielwut dermaßen verfallen, daß dagegen alle anderen Leidenschaften als gänzlich machtlos über mein Gemüt zurücktraten. Nicht der Fechtboden, nicht die Kneipe, nicht der Duellplatz bekamen mich mehr zu sehen; den Tag über zerwühlte ich meine klägliche Lage, um mir auf jede erdenkliche Weise das nötige Geld zu verschaffen, um den Abend und die Nacht hindurch es zu verspielen. Vergeblich wandte meine Mutter, die dennoch keine Ahnung von meinen unwürdigen Ausschweifungen hatte, alle ihr zu Gebote stehenden schwachen Mittel an, um mich von meinem nächtlichen Ausbleiben zurückzuhalten: nie gelangte ich, nachdem ich am Nachmittag das Haus verlassen, anders als beim Grauen des darauffolgenden Morgens, über das Hoftor, zu dem mir der Schlüssel verweigert war, steigend, in mein abseits gelegenes Zimmer zurück. Die Leidenschaft war durch die Verzweiflung des Spielunglückes bis zum Wahnsinn gesteigert: unempfindlich gegen alles, was mir sonst am Studentenleben verlockend erschienen[57] war, von sinnlosester Gleichgültigkeit gegen die Meinung meiner bisherigen Genossen, verschwand ich den Blicken aller und traf in den kleinen Spielhäusern Leipzigs nur mit den ausgemachtesten Liederlichen der Studentenschaft zu sammen. Ich ertrug mit völligem Stumpfsinn selbst die Verachtung meiner Schwester Rosalie, welche mit meiner Mutter den unbegreiflichen jungen Wüstling, der bleich und verstört sich selten vor ihnen zeigte, kaum eines Blickes zu würdigen vermochte. In meiner wachsenden Verzweiflung griff ich endlich zu dem Mittel, durch kühne Behandlung des feindseligen Glückes mir gründlich zu helfen. Ich war der Meinung, daß nur mit reichlicheren Einsatzsummen Gewinn zu erlangen sei, und bestimmte daher eine mir anvertraute, verhältnismäßig nicht unbedeutende Geldsumme, den Betrag der durch mich erhobenen Pension meiner Mutter, zu diesem Versuche. In jener Nacht verlor ich alles Mitgebrachte bis auf den letzten Taler: die Aufregung, mit welcher ich auch diesen endlich ebenfalls auf eine Karte setzte, war meinem jungen Leben nach allen sonstigen Erfahrungen doch vollständig neu: ohne das mindeste genossen zu haben, mußte ich mich wiederholt vom Spieltisch entfernen, um mich zu erbrechen. Mit diesem letzten Taler spielte ich mein Leben aus: denn an eine Heimkehr zu meiner Familie war nicht zu denken; ich sah mich bereits beim Morgengrauen über die Felder und durch die Wälder als verlorenen Sohn in das Ziellose dahinfliehen. Die hierin sich bekundende verzweiflungsvolle Stimmung hielt so energisch an, daß, als meine Karte zugeschlagen hatte, ich den Gewinn mit dem Einsatz sofort von neuem darangab und dieses Verfahren mehreremal wiederholte, bis wirklich der Gewinn sich einigermaßen beträchtlich herausstellte. Fortwährend gewann ich nun. Ich ward so zuverlässig, daß ich das kühnste Spiel wagte: denn plötzlich leuchtete es in mir hell auf, daß ich heute zum letztenmal spielte. Mein Glück ward so auffällig, daß die Bankhalter zu schließen für gut befanden. Wirklich hatte ich nicht nur alles in dieser Nacht zuvor verlorene Geld wiedergewonnen, sondern dazu auch noch den Betrag aller meiner Schulden. Die Wärme, die während dieses Vorganges mich wachsend erfüllte, war durchaus heiliger Art. Mit dem Zuschlag meines Glückes fühlte ich deutlich Gott oder seinen Engel wie neben mir stehend, seine Warnung und Tröstung mir zuflüsternd. Noch einmal galt es bei Tagesgrauen über die Torpforte nach meiner Wohnung zu gelangen; dort verfiel ich in einen tiefen und energischen Schlaf, aus welchem ich spät, gestärkt und wie neugeboren, erwachte. Kein Schamgefühl hielt mich davon ab, meiner Mutter, welcher ich ihr Geld zustellte, den Vorgang dieser entscheidungsvollen Nacht, und mit ihm mein Vergehen gegen ihr Eigentum, unaufgefordert zu berichten. Sie faltete die Hände und dankte Gott für die mir erwiesene Gnade, drückte auch ihre Zuversicht aus, daß sie mich für gerettet halte und es mir unmöglich sein werde, ferner in ähnliche Laster zurückzuverfallen. Wirklich hatte auch hiermit jede Versuchung für immer ihre Macht über mich verloren. Die Welt, in welcher ich[58] bisher zu wachsendem Taumel mich bewegt hatte, erschien mir mit einem Mal das Allerunbegreiflichste und Anziehungsloseste: die Spielwut hatte mich gegen alle sonstigen Studenteneitelkeiten bereits vollkommen gleichgültig gemacht; mit der Befreiung von dieser Leidenschaft war ich mit einem Male einer ganz neuen Welt gegenübergestellt, und dieser gehörte ich von nun ab, durch einen zuvor mir unbekannten Eifer für meine musikalische Ausbildung, für welche ich jetzt in eine neue Phase trat, an. Diese war die des wahrhaften Ernstes des Studiums.
Auch in dieser wildesten Periode meines Lebens war meine musikalische Entwicklung nicht gänzlich stillgestanden; vielmehr war die Musik jetzt immer bestimmter die einzige Richtung geworden, in welcher mein geistiges Leben sich bemerklich machte. Nur war alles musikalische Studium mir gänzlich fremd geworden. Noch heute ist es mir aber unbegreiflich, wie ich damals die Zeit fand, eine ziemliche Anzahl von Kompositionen zu beenden. Während ich von einer Ouvertüre aus C-dur (6/8) und einer vierhändigen Sonate in B-dur, welche letztere ich mit meiner Schwester Ottilie einübte und, da sie uns beiden gefiel, für das Orchester instrumentierte, keine deutliche Erinnerung behalten habe, knüpft sich an ein andres Werk aus dieser Zeit, eine Ouvertüre in B-dur, eine epochemachende Erinnerung. Diese Komposition war nämlich aus meinem Studium der Neunten Symphonie Beethovens ziemlich in derselben Weise erwachsen, wie »Leubald und Adelaïde« aus dem Studium Shakespeares. Besonders hatte sich hierbei die mystische Bedeutung, welche ich dem Orchester gab, ausgebildet: dieses gliederte ich in drei unterschiedliche, sich bekämpfende Elemente. Ich ging damit um, das Charakteristische dieser Elemente dem Leser der Partitur sofort durch ein energisches Farbenspiel vor die Augen zu bringen, und nur der Umstand, daß ich mir keine grüne Tinte zu verschaffen wußte, verhinderte mich an der Ausführung meines malerischen Kopiergelüstes. Nur den Blechinstrumenten wollte ich nämlich die schwarze Farbe der Tinte belassen; die Streichinstrumente sollten dagegen rot und die Blasinstrumente grün geschrieben werden. Diese sonderbare Partitur legte ich dem damaligen Musikdirektor des Leipziger Theaters, Heinrich Dorn, vor, welcher, noch ein sehr junger Mann, als besonders gewandter Musiker und witziger Lebemann mir wie dem Leipziger Publikum angenehm imponierte. Noch heute vermag ich jedoch mir nicht zu erklären, was ihn bewog, meinem Wunsch einer öffentlichen Aufführung dieser Ouvertüre zu entsprechen. Ich war später mit anderen, welche Dorns Gefallen an spöttischer Unterhaltung kannten, der Annahme nicht abgeneigt, daß er bei dieser Gelegenheit sich habe einen Spaß machen wollen, während er stets dabei verblieb, das Werk sei ihm interessant erschienen und es würde nur der Ankündigung eines unbekannt gebliebenen Werkes Beethovens bedurft haben, um es vom Publikum, wenn auch ohne Verständnis, dennoch aber mit Respekt aufgenommen zu sehen. Es war zu Weihnachten des verhängnisvollen Jahres 1830,[59] wo am Heiligen Abend wie üblich das Schauspiel ausfiel und dafür ein stets wenig besuchtes Armenkonzert im Leipziger Theater veranstaltet war. Als erste Nummer des Programmes figurierte die aufreizende Benennung »Neue Ouvertüre«; nichts weiter. Ich hatte unter großen Besorgnissen in einem Versteck der Probe beigewohnt und von der Kaltblütigkeit Dorns eine vorteilhafte Meinung gewonnen, welcher der bedenklichen Bewegung der Orchestermusiker gegenüber, als sie mit dem Vortrag der rätselhaften Komposition sich befaßten, eine außerordentlich sichere Fassung bewährte. Das Hauptthema des Allegros war viertaktiger Natur; nach jedem vierten Takt war jedoch ein gänzlich zur Melodie ungehöriger fünfter Takt eingeschaltet, welcher sich durch einen besonderen Paukenschlag auf das zweite Taktviertel auszeichnete. Da dieser Schlag ziemlich vereinzelt stand, wurde der Paukenschläger, welcher sich stets zu irren glaubte, befangen und gab dem Akzente nicht die in der Partitur vorgeschriebene Schärfe, womit ich, über meine Intention selbst erschrocken, in meiner Unsichtbarkeit recht zufrieden war. Zu meinem wahren Mißbehagen zog jedoch Dorn den verschämten Paukenschlag an das helle Licht und bestand darauf, daß der Musiker ihn stets mit der vorgeschriebenen Stärke zur Ausführung brächte. Als ich dem Musikdirektor nach der Probe über diesen bedenklichen Punkt meine Besorgnis mitteilte, gelang es mir nicht, ihn zu einer mildern Auffassung des fatalen Paukenschlags zu bewegen; er blieb dabei, daß die Sache sich so recht gut machen würde. Trotz dieser Beruhigung blieb meine Befangenheit groß, und ich getraute mich nicht, meinen Bekannten mich als den Komponisten dieser Ouvertüre im voraus zu bekennen. Nur meine Schwester Ottilie, welche bereits die heimlichen Vorlesungen von »Leubald und Adelaïde« zu überstehen gehabt hatte, bewog ich, mit mir zur Anhörung meines Werkes sich aufzumachen. Es war der Abend der Weihnachtsbescherung im Hause meines Schwagers Friedrich Brockhaus; ich wie meine Schwester hatten ein Interesse, dieser Bescherung beizuwohnen. Sie, als zum Hause meines Schwagers gehörig, war besonders dabei beschäftigt und konnte nur mit Mühe auf kurze Zeit sich entfernen, weshalb der freundliche Verwandte sogar den Wagen anspannen lassen mußte, um die Wiederkunft der Schwester zu beschleunigen. Ich benutzte diese Gelegenheit, um mit einer gewissen Feierlichkeit meiner ersten Einführung in die musikalische Welt beizuwohnen: der Wagen brauste vor dem Theater an; Ottilie begab sich in die Loge meines Schwagers, wogegen ich mein Unterkommen im Parterre zu suchen genötigt war. Ich hatte vergessen, mir ein Billett zu besorgen, und ward vom Türsteher zurückgewiesen: da hörte ich das Orchester immer intensiver einstimmen, ich glaubte den Beginn meines Werkes versäumen zu müssen und ging in der Angst deshalb so weit, mich dem Türsteher als den Autor der »Neuen Ouvertüre« zu entdecken, um ihn, wie es mir denn auch gelang, zu bewegen, mich ausnahmsweise ohne Billett zuzulassen. Ich drang bis zu einer der vorderen Bänke des Parterres vor und[60] ließ mich dort in sinnloser Unruhe nieder. Die Ouvertüre begann: nachdem sich das Thema der »schwarzen« Blechinstrumente bedeutungsvoll kundgetan, trat das »rote« Allegro-Thema ein, welches, wie gesagt, mit jedem fünften Takte durch den Paukenschlag aus der »schwarzen« Welt unterbrochen wurde. Welche Wirkung das später hinzutretende »grüne« Motiv der Blasinstrumente und endlich das Zusammenwirken des »schwarzen, roten und grünen« Themas auf die Zuhörer machte, ist mir undeutlich geblieben, da jener fatale Paukenschlag, mit hämischer Brutalität produziert, eine so aufregende Wirkung hervorbrachte, daß ich hierüber alle weitere Besinnung verlor. Besonders die längere Zeit andauernde regelmäßige Wiederkehr dieses Effektes erregte bald die Aufmerksamkeit und endlich die Heiterkeit des Publikums. Meine Nachbarn hörte ich diese Wiederkehr im voraus berechnen und ankündigen: was ich, der ich die Richtigkeit ihrer Berechnung kannte, hierunter litt, ist nicht zu schildern. Mir vergingen die Sinne. Ich erwachte schließlich, als die Ouvertüre, zu welcher ich alle banalen Schlußformen verschmäht hatte, ganz unversehens abbrach, wie aus einem unbegreiflichen Traum: alle Wirkungen eines Hoffmannschen Phantasiestückes auf mich erblichen gegen den sonderbaren Zustand, in welchem ich zu mir kam, als ich das Erstaunen des Publikums am Schlusse meines Werkes gewahrte. Ich hörte keine Mißfallsbezeugung, kein Zischen, kein Tadeln, selbst nicht eigentliches Lachen, sondern nahm nur die größte Verwunderung aller über einen so seltsamen Vorfall wahr, der jedem gleich wie mir wie ein unerhörter Traum vorzukommen schien. Das Schmerzliche war, daß ich nun eiligst wieder das Parterre zu verlassen hatte, da ich meine Schwester sofort nach Haus zu begleiten gehalten war. Mich erheben, durch die Bänke des Parterres mich dem Ausgange zu bewegen zu müssen, war furchtbar. Nichts glich aber der Pein, mit welcher ich jetzt dem Türsteher wieder unter die Augen trat: der sonderbare Blick, den dieser auf mich warf, hinterließ einen unauslöschlichen Eindruck auf mich, und für lange Zeit blieb ich dem Parterre des Leipziger Theaters fern. Jetzt war noch die Schwester abzuholen, mit ihr, die den Vorgang mitleidend erlebt hatte, einsam nach Haus zu fahren und dort dem Glanze eines Familienfestes entgegenzugehen, welches wie eine grelle Ironie in die Nacht meiner Betäubung hineinleuchtete.
Noch suchte ich mich zwar gegen diesen Eindruck zu behaupten und glaubte mich mit einer ebenfalls vorrätigen Ouvertüre zur »Braut von Messina« trösten zu können, welche ich für gelungener als das aufgeführte Werk hielt. An eine Reparation war jedoch nicht zu denken, da ich für längere Zeit der Leipziger Theaterdirektion, trotz Dorns Freundschaft, für sehr bedenklich galt. Zwar wurden von mir jetzt noch Kompositionen zum Goetheschen Faust entworfen, von denen einige sich bis heute bei mir erhalten haben; doch schwemmte bald das nun eintretende wüste Studentenleben auch den letzten Ernst für musikalische Arbeit in mir hinweg.[61]
Ich bildete mir dagegen ein, da ich nun einmal Student geworden sei, auch Kollegien hören zu müssen. Bei Traugott Krug, dem mir wohlbekannten freundlichen Bezwinger jenes Studentenaufstandes, versuchte ich Fundamental-Philosophie zu hören: eine einzige Stunde genügte, um mich für immer von diesem Versuche abzubringen. Zwei- bis dreimal jedoch besuchte ich die Vorlesungen eines jüngeren Professors Weiß über Ästhetik: diese große Ausdauer verdankte ich dem Interesse, welches Weiß, durch mein persönliches Bekanntwerden mit ihm bei meinem Onkel Adolf, mir eingeflößt hatte. Weiß hatte damals die Metaphysik des Aristoteles übersetzt und sie, wenn ich nicht irre, in einem polemischen Sinne Hegel gewidmet. Bei dieser Gelegenheit hatte ich im Gespräch beider Männer Dinge über Philosophie und Philosophen vernommen, welche einen großen spannenden Eindruck auf mich machten. Ich entsinne mich, daß Weiß, dessen zerstreutes Wesen, hastige und stoßweise Sprechmanier, vor allem dessen interessanter tiefsinniger physiognomischer Ausdruck mich sehr fesselten, sich in betreff der ihm vorgeworfenen Unklarheit seines schriftstellerischen Stiles damit rechtfertigte, daß die tiefsten Probleme des menschlichen Geistes doch unmöglich für den Pöbel gelöst werden könnten. Diese mir sehr plausibel dünkende Maxime war mir sofort zur Richtschnur für alles, was ich aufschrieb, geworden. Ich entsinne mich, daß mein ältester Bruder Albert, welchem ich einmal im Auftrage meiner Mutter zu schreiben hatte, in wahrhaftem Entsetzen über meinen Brief und dessen Stil, seine Befürchtung zu er kennen gab, ich sei im Begriffe toll zu werden. Trotzdem ich sonach von Weiß mir vorzüglich Sympathisches erwarten zu dürfen vermeinte, gelang es mir nicht in seinen Vorlesungen auszudauern, da meine damalige leidenschaftliche Lebenstendenz mich auf ganz andre Dinge als ästhetische Studien verwies. Dennoch vermochte um die gleiche Zeit die Sorge der Mutter es über mich, einen Versuch zu ernstlicher Wiederaufnahme des Musikstudiums zu machen; daß mein bisheriger Lehrer Müller nicht imstande gewesen war, mir dauernde Lust an diesem beizubringen, hatte sich ersichtlich herausgestellt: es galt daher zu erfahren, ob ein neuer Lehrer sich geeigneter erweisen würde, mir den nötigen Ernst hierfür zu erwecken.
Theodor Weinlich, Kantor und Musikdirektor an der Thomaskirche, bekleidete damals diese in Leipzig altherkömmlich wichtigste Stelle, welche zuletzt Schicht und dereinst Sebastian Bach selbst innegehabt hatten. Er gehörte seiner musikalischen Bildung nach der altitalienischen Schule an und hatte in Bologna in der Schule des Pater Martini studiert. In dieser Richtung hatte er sich namentlich durch Vokalkompositionen, in welchen man seine schöne Behandlung der Stimmen rühmte, vorteilhaft bekannt gemacht: er selbst erzählte mir, daß eines Tages ein Leipziger Verleger ihm nicht unbedeutende Vorteile anbot, wenn er ihm einige Hefte neuer Gesangsübungen, gleich denjenigen, welche einem andren Verleger gute Geschäfte eingebracht hatten, überlassen wollte; da ihm Weinlich bedeutete, er habe zur[62] Zeit gerade keine solchen Kompositionen vorrätig, wenn er von ihm jedoch etwas verlegen wolle, biete er ihm eine neue Messe an, lehnte der Verleger mit dem Bemerken ab: »Wer das Fleisch bekommen habe, möge auch an den Knochen nagen.« Die Bescheidenheit, mit welcher Weinlich mir diesen Zug erzählte, kennzeichnete den trefflichen Mann nach jeder Seite. Äußerst schwächlich und kränklich, verweigerte er zunächst, als meine Mutter mich bei ihm einführte, mich in die Lehre zu nehmen. Nachdem er allem herzlichen Zureden lange widerstanden hatte, schien ihn endlich der Zustand meiner mangelhaften musikalischen Ausbildung, wie er diesen aus einer von mir mitgebrachten Fuge erkannte, zu einem mir günstigen, freundlichen Mitleiden zu stimmen; er sagte mir unter der Bedingung, daß ich ein halbes Jahr lang allem Komponieren entsage und geduldig nur seine Vorschriften ausführen wollte, seinen Unterricht zu. Dem ersten Teil meines Versprechens blieb ich getreu – dank der ungeheuren Zerstreuung, zu welcher mich das Studentenleben hinriß; als ich dagegen längere Zeit einzig mit vierstimmigen Harmonieübungen im gebundenen strengen Stil mich beschäftigen sollte, fand sich nicht nur der leichtsinnige Student, sondern auch der Komponist so mancher Ouvertüre und Sonate höchlich angewidert. Auch Weinlich hatte über mich zu klagen und war endlich daran, mich gänzlich aufzugeben. In diese Zeit fiel der Wendepunkt meiner Lebensrichtung, welche die Katastrophe jenes erschütternden Abends im Spielhause herbeiführte. Nicht minder fast als dieses Erlebnis erschütterte mich Weinlichs Erklärung, nichts mehr mit mir zu tun haben zu wollen. Beschämt und gerührt bat ich den milden, von mir wirklich geliebten Greis um Verzeihung und gelobte ihm von nun an kräftige Ausdauer. Nun bestellte mich Weinlich eines Morgens um 7 Uhr zu sich, um unter seinen Augen bis Mittag das Gerippe einer Fuge auszuarbeiten; er widmete mir wirklich den vollen Vormittag, indem er jedem Takt, den ich aufzeichnete, seine ratende und belehrende Aufmerksamkeit widmete. Um 12 Uhr entließ er mich mit dem Auftrag, den Entwurf durch Ausfüllung der Nebenstimmen zu Hause vollends auszuarbeiten. Als ich ihm dann die fertige Fuge brachte, überreichte er mir dagegen eine von ihm verfaßte Ausarbeitung desselben Themas zum Vergleich. Diese gemeinsame Fugenarbeit begründete zwischen mir und dem liebenswürdigen Lehrer das ergiebigste Liebesverhältnis, indem von nun an sowohl ihm wie mir die ferneren Studien zur angenehmsten Unterhaltung wurden. Ich war erstaunt, die hierauf gewandte Zeit so schnell verflogen zu sehen. Nachdem ich im Laufe zweier Monate, außer einer Anzahl der künstlichsten Fugen, jede Art der schwierigsten kontrapunktischen Evolutionen schnell durchgearbeitet hatte und ich dem Lehrer eines Tages eine besonders reich ausgestattete Doppelfuge brachte, war ich wirklich erschrocken, da er mir sagte, ich könnte mir dieses Stück hinter den Spiegel stecken, er hätte mich jetzt nichts mehr zu lehren. Da ich mir irgendwelcher Mühe hierbei gar nicht bewußt geworden war, ward ich in der Folge wirklich oft bedenklich[63] darüber, ob ich in Wahrheit ein ordentlich gelernter Musiker sei. Weinlich selbst schien auf das von ihm Erlernte an sich keinen großen Wert zu legen; er sagte: »Wahrscheinlich werden Sie nie Fugen und Kanons schreiben; was Sie jedoch sich angeeignet haben, ist Selbständigkeit. Sie stehen jetzt auf Ihren eigenen Füßen und haben das Bewußtsein, das Künstlichste zu können, wenn Sie es nötig haben.«
Ein Haupterfolg seines Einflusses auf mich war jedenfalls das beruhigende Gefallen am Klaren und Fließenden, welches er mir gleichsam durch sein Beispiel beigebracht hatte. Schon jene Studierfuge hatte ich für wirkliche Gesangstimmen mit untergelegten Worten ausführen müssen; die Neigung zum Sangbaren war mir dadurch erweckt worden. Um mich aber vollständig in seine freundlich beruhigende Gewalt zu bekommen, hatte er zu gleicher Zeit eine Sonate ver langt, welche ich, als Beweis meiner Freundschaft für ihn, auf den nüchternsten harmonischen und thematischen Verhältnissen aufbauen sollte, zu deren Modell er mir eine der kindlichsten Pleyelschen Sonaten empfahl. Wer meine noch vor kurzem verfaßten Ouvertüren kannte, mußte gewiß erstaunt sein, daß ich es über mich vermochte, diese verlangte Sonate, wie sie gegenwärtig noch durch eine Indiskretion der Breitkopf- und Härtelschen Musikhandlung zum erneuten Abdruck befördert worden ist, zu erstaunen: um mich für meine Enthaltsamkeit zu belohnen, machte sich Weinlich nämlich die Freude, mein dürftiges Werk durch jene Verlagshandlung zum Druck zu befördern. Von nun an erlaubte er mir alles. Als erste Belohnung durfte ich ganz nach meinem Belieben eine Phantasie fürs Klavier in fis-moll ausführen, in welcher ich mich formell gänzlich frei, rezitativ-melodisch bewegte und mir ein wohltätiges Genüge tat, indem ich mir zugleich Weinlichs Lob erwarb. Bald entstanden auch drei Ouvertüren, welche sämtlich seine freundliche Zustimmung erhielten. Im darauffolgenden Winter (1831–1832) erlangte ich die Aufführung der ersten derselben (aus d-moll) in einem der Gewandhauskonzerte.
In diesem Institute herrschte damals noch große Gemütlichkeit: die Instrumentalwerke wurden von keinem Dirigenten geleitet, sondern einfach vom Konzertmeister (Mathäï) am Pulte mit der Violine vorgespielt; nur sobald der Gesang hinzutrat, erschien der Typus aller gemütlichen dicken Musikdirektoren, der in Leipzig außerordentlich beliebte Pohlenz, mit einem sehr ansehnlichen blauen Stabe am Taktierpulte. Zu einem der sonderbarsten Vorgänge wurde auf diese Weise die alljährliche Aufführung der Neunten Symphonie von Beethoven: nachdem die drei ersten Sätze glattweg wie eine Haydnsche Symphonie, so gut es ging, vom Orchester für sich hergespielt worden waren, erschien nun Pohlenz, um, statt eine italienische Arie, ein Vokalquartett oder eine Kantate zu dirigieren, diesmal das schwierigste aller Vorhaben für einen Dirigenten, die Leitung dieses so höchst komplizierten und namentlich in seinem einleitenden Instrumentalteile so rätselhaft[64] zersetzten Tonstückes zu übernehmen. Unvergeßlich blieb mir aus einer ersten Probe, welcher ich hiervon beiwohnte, der Eindruck des sorgfältig ängstlichen Dreivierteltaktes, durch welchen die wild aufschreiende Fanfare, womit dieser letzte Teil beginnt, unter Pohlenz' schwerem Taktschwunge zu einem wunderbar hinkenden Galimathias wurde. Dieses Tempo war gewählt worden, um mit dem Vortrage des Rezitatives der Baßinstrumente nur irgendwie auszukommen; dennoch gelang dies nie. Pohlenz schwitzte Schweiß und Blut, das Rezitativ kam immer nicht zustande, und ich geriet wirklich in bange Zweifel, ob Beethoven in Wahrheit nicht doch Unsinn geschrieben hätte: der Kontrabassist Temmler, ein gedienter Veteran des Orchesters, hochherzig und grob, brachte es zwar endlich durch seine energische Mahnung an Pohlenz, er möge den Taktstock lieber fortlegen, dahin, daß das Rezitativ wirklich vor sich ging; dennoch begann seit der Anhörung dieses letzten Teiles unter Umständen, die ich mir für jetzt nicht erklären konnte, in mir ein demütigender Zweifel daran zu keimen, ob ich dieses ganze seltsame Tonstück wirklich verstanden hätte oder nicht. Lange Zeit entschlug ich mich gänzlich alles Grübelns hierüber und wandte mich ohne alle Affektation dem beruhigenden klareren Elemente der Musik zu. Namentlich hatten meine kontrapunktischen Studien mich dahin gebracht, Mozarts leichte und fließende Behandlung der schwierigsten technischen Probleme der Musik mit wohltuendem Behagen anzuerkennen, und hierin galt mir namentlich der letzte Satz seiner großen C-dur-Symphonie als nachahmungswürdigstes Muster. Nachdem meine D-moll-Ouvertüre, welche noch stark auf der Beethovenschen Coriolan-Ouvertüre fußte, glücklich vonstatten gegangen, vom Publikum freundlich aufgenommen war und mir das erste Hoffnungslächeln meiner Mutter eingebracht hatte, trat ich mit einer zweiten Ouvertüre in C-dur hervor, welche wirklich mit einem »Fugato« schloß, wie ich es meinem neuen Vorbilde zu Ehren um jene Zeit nicht glaubte besser zustand bringen zu können.
Auch diese Ouvertüre ward bald darauf in einem Gastkonzert der beliebten Sängerin Palazzesi (von der Dresdener italienischen Oper) aufgeführt. Vorher schon hatte ich sie in einem Konzert der Privatmusikgesellschaft Euterpe zu Gehör gebracht und selbst dirigiert. Ich entsinne mich des sonderbaren Eindruckes, den ich bei dieser Gelegenheit durch eine Bemerkung meiner Mutter erhielt; diese Arbeit, im kontrapunktischen Stile gehalten, ohne eigentliche leidenschaftliche Bewegtheit, hatte auf sie einen befremdenden Eindruck gemacht; sie gab mir ihre Verwunderung hierüber durch besonders lebhafte Anerkennung der in dem gleichen Konzerte zuvor aufgeführten Egmont-Ouvertüre kund, von der sie behauptete, »daß diese Art Musik doch mehr ergriffe als so eine dumme Fuge«. Nun schrieb ich auch noch (wie gesagt: als drittes Opus) eine Ouvertüre zu Raupachs Drama König Enzio, in welcher sich das Beethovensche Element wieder stärker geltend machte. Durch die Bemühung meiner Schwester Rosalie erlangte ich[65] die Zulassung derselben zur Aufführung vor dem Stücke im Theater: aus Vorsicht ward sie bei der ersten Aufführung jedoch nicht angekündigt, wohl aber vom Musikdirektor Dorn dirigiert. Da die Aufführung ohne Widerspruch ablief und das Publikum durchaus nicht gestört hatte, ward bei den spätern Vorstellungen des eine Zeitlang beliebten Trauerspiels meine Ouvertüre mit voller Namens-Nennung des Komponisten öfter zu Gehör gebracht. – Nun machte ich mich an eine große Symphonie (in C-dur); in ihr zeigte ich, was ich gelernt hatte, und verschmolz die Einwirkungen meines Studiums Beethovens und Mozarts zur Abfassung eines wirklich ausführbaren und anhörbaren Tonwerkes, dem auch diesmal die Schlußfuge im letzten Teil nicht fehlte, und in welchem die Themen aller Sätze meist so beschaffen waren, daß sie in Engführungen kontrapunktisch übereinandergestellt werden konnten. Dennoch war auch das leidenschaftlichere, trotzig kühne Element, namentlich des ersten Satzes der Sinfonia eroica, nicht ohne deutliche Einwirkung auf meine Konzeption geblieben. Im Andante ließen sich sogar die Anklänge an meinen früheren musikalischen Mystizismus vernehmen: ein wiederkehrender Frageruf, von der Moll-Terz in die Quinte, verband in meinem Bewußtsein dieses mit vorherrschendem Klarheitstriebe ausgearbeitete Werk mit meinen frühesten Knabenschwärmereien. Als ich im folgenden Jahre mich um die Aufführung meiner Symphonie im Gewandhaus bewarb und deshalb Friedrich Rochlitz (den damaligen Nestor der Leipziger Musikästhetiker und Vorstand der Konzertgesellschaft) besuchte, war dieser Herr, welchem meine Partitur zuvor zur Durchsicht vorgelegen hatte, erstaunt, in mir einen so jungen Mann zu sehen, da der Charakter jener Arbeit ihn auf einen älteren erfahreneren Musiker vorbereitet hatte.
Ehe es zu dieser Aufführung kam, verging jedoch eine längere Zeit, während welcher ich Lebenseindrücken übergeben war, welche ich jetzt näher bezeichnen muß.
Mein kurzes aber leidenschaftliches Studentenleben hatte in mir nicht nur den Sinn für meine künstlerische Ausbildung, sondern auch meine Teilnahme an allen sonstigen weltlichen und geistlichen Dingen gleichsam überschwemmt. Während ich jedoch, wie ich zeigte, nie gänzlich der Musik mich entfremdete, regte sich auch mit dem Wiederaufkeimen meines Interesses an politischen Vorgängen der erste Ekel an dem sinnlosen Studententreiben, welches bald wie ein wüster Traum ganz von mir vergessen werden sollte. Der polnische Freiheitskampf gegen die russische Übermacht war es, welcher mich bald mit wachsender Begeisterung erfüllte. Die Erfolge, welche die Polen eine kurze Zeit lang im Monat Mai 1831 erstritten, setzten mich in Erstaunen und Ekstase: mir schien die Welt wie durch ein Wunder neu erschaffen. Dagegen war der Eindruck der Nachricht von der Schlacht bei Ostrolenka derart, als ob nun die Welt von neuem untergegangen sei. Ich war erstaunt, unter meinen studentischen Kommilitonen in der Kneipe, sobald[66] ich eine dieser Nachrichten berührte, roh oder boshaft verspottet zu werden: die schreckliche Schattenseite des deutschen Landsmannschaftswesens ging hier meiner Empfindung auf. Jede Art von Enthusiasmus ward hier prinzipiell ertötet und in das Geleis einer pedantischen Bravour geleitet, welche sich einzig durch Trockenheit und affektierte Empfindungslosigkeit auszeichnete. Mit größter Kaltblütigkeit, ohne den mindesten Humor, sich betrinken und Schulden machen, stand im Werte fast der Tapferkeit im Duellieren gleich. Mir ist erst späterhin die edlere Bedeutung der deutschen Burschenschaft gegenüber diesem verderblichen Studentengeiste aufgegangen; damals empfand ich das Empörende desselben ganz persönlich an den verletzenden Zurechtweisungen, welche ich mir, wie gesagt, zuzog, als ich voll schmerzlichster Trauer meine Klage über jene unglückliche Schlacht bei Ostrolenka erhob. Ich muß zu meiner Ehre gestehen, daß diese und ähnliche Eindrücke das ihrige mit dazu beitrugen, mich so schnell jenen wüsten Studentenkreisen zu entziehen. Während meiner Studien bei Weinlich bestand die einzige Ausschweifung, die ich mir gestattete, im allabendlichen Besuche der Kintschyschen Konditorei in der Klostergasse, wo ich mit leidenschaftlichem Eifer die frisch angekommenen Zeitungen verschlang. Mancher mir Gleichgesinnte fand sich hier ein; namentlich hörte ich gern auch einigen ältern Männern zu, welche eifrig politisierten. Auch die belletristischen Journale fingen an mich zu interessieren: ich las wieder viel, jedoch ohne edlere Auswahl; nur fingen bereits Witz und Geist bei meiner Lektüre mich zu bestimmen an, während sonst nur das Kolossale und Phantastische mich gereizt hatte. Immerhin blieb meine Teilnahme für den Ausgang des polnischen Kampfes die Hauptsache: die Belagerung und Einnahme Warschaus erlebte ich wie ein persönliches Unglück.
Unbeschreiblich war nun meine Aufregung, als die ersten Durchzüge der nach Frankreich auswandernden Überreste der polnischen Armee durch Leipzig kamen, und unvergeßlich der Eindruck beim Anblick eines ersten Truppes dieser Unglücklichen, welche im Grünen Schild auf der Fleischergasse einquartiert wurden. War ich hier mit großer Niedergeschlagenheit erfüllt worden, so geriet ich dagegen bald in enthusiastische Bezauberung, als ich im Foyer des Leipziger Gewandhauses, in welchem man diesen Abend die C-moll-Symphonie von Beethoven spielte, eine Gruppe heroischer Gestalten teilnehmend beobachten konnte, welche aus mehreren der vornehmsten Führer der polnischen Erhebung bestand. Vorzüglich zog mich die ungemein kräftige Gestalt und überaus männliche Physiognomie eines Grafen Vincenz Tyskiewitsch an, der mit ruhiger vornehmer Haltung eine, mir bis dahin ganz unbekannte, Sicherheit und Gelassenheit verband. Einen Mann von so königlichem Benehmen im Schnürrock und mit der roten Samtmütze zu sehen, vernichtete in mir sofort alle Verehrung, die ich bisher der geschraubten Kampfhahn-Tournüre der Heroen unserer Studentenwelt gezollt hatte. Es entzückte mich, grade diesen Mann bald im Hause meines[67] Schwagers Friedrich Brockhaus wiederzufinden und dort für längere Zeit als fast heimisch anzutreffen. Mein Schwager zeichnete sich nämlich durch die teilnahmvollste Hingabe für die unglücklichen polnischen Kämpfer aus: er stand an der Spitze eines Komitees, welches sich dauernd die Sorge für jene angelegen sein ließ, und brachte persönlich seiner Teilnahme lange Zeit hindurch die namhaftesten Opfer. Nun war das Brockhaussche Haus für mich von höchster Anziehung. Um Graf Vincenz Tyskiewitsch, welcher für uns alle der Leuchtstern dieser kleinen Polenwelt blieb, verweilten längere Zeit einige andere vermögendere Emigranten, von denen mir hauptsächlich ein Rittmeister Bansemer in Erinnerung geblieben ist, welcher sich durch grenzenlose Gutmütigkeit, nicht minder großen Leichtsinn und ein wunderschönes Gespann von vier Pferden auszeichnete, deren Schnelligkeit beim Durchfahren der Stadt die Leipziger Bürgerschaft in anhaltende Wut versetzte. Auch entsinne ich mich eines Tags mit General Bem, dessen Artillerie bei Ostrolenka sich so heldenmütig benommen hatte, bei Tisch gesessen zu haben. Manche andre, bald durch geschmeidige Feinheit, bald durch melancholisch-kriegerische Haltung auf mich eindrucksvolle Glieder der Auswanderung zogen durch das gastliche Haus: von dauerndem Eindruck blieb jedoch einzig der als Ideal eines wahrhaft männlichen Mannes von mir geliebte und verehrte Vincenz Tyskiewitsch.
Auch mir wurde der vorzügliche Mann wahrhaft geneigt: fast täglich fand ich mich bei ihm ein und wohnte oft den halb kriegerischen Gelagen bei, von denen er sich zu Zeiten gern mit mir zurückzog, um an irgendeinem ruhigen Orte seiner trüb besorgten Stimmung in meiner Gesellschaft sich hinzugeben. Noch hatte er nämlich keine Kunde von dem Schicksal seiner Frau und seines kleinen Sohnes, von welchen er sich in Wolhynien getrennt hatte. Außerdem lag ein Schatten auf ihm, der ihn dem teilnehmenden Herzen besonders anziehend machte: meiner Schwester Luise hatte er ein furchtbares Schicksal, das ihn dereinst betroffen, mitgeteilt. Er war schon einmal verheiratet gewesen und besuchte mit seiner ersten Frau eines seiner entlegenen Schlösser: des Nachts hatte sich am Fenster seines Schlafgemachs eine gespenstische Erscheinung gezeigt; wiederholt von ihm angerufen, ergriff er, um sich vor einer Gefahr zu schützen, ein Gewehr und erschoß seine eigene Frau, welche den exzentrischen Einfall gehabt hatte, in der Gestalt eines Nachtspuks ihren Gemahl zu necken. Bald teilte ich nun seine Freude, als die Nachricht von der Rettung seiner Familie zu ihm gelangte: seine Frau erschien endlich selbst mit dem wunderschönen dreijährigen Knaben (Janusz) in Leipzig. Es betrübte mich, der Dame nicht dieselbe Sympathie wie ihrem Gemahl zuwenden zu können, woran mich der so sehr störende Eindruck verhinderte, den ich durch den Anblick der unziemlich stark aufgetragenen Schminke erhielt, durch welche sonderbarerweise die von den höchsten Anstrengungen ganz erschöpfte Frau ihre abgespannten und leidenden Gesichtszüge zu verbergen suchte. Sie verreiste bald wieder nach[68] Galizien, um von ihren dortigen Besitzungen zu retten, was zu retten war, zugleich auch um ihrem Manne von der Österreichischen Regierung einen Paß auszuwirken, mit Hilfe dessen er ihr nach Galizien nachkommen sollte. – Nun kam der dritte Mai heran. Achtzehn noch in Leipzig anwesende Polen vereinigten sich zu einem Festmahle in einem Gasthause der Umgegend von Leipzig: dort sollte dieser der polnischen Erinnerung so teure Jahrestag ihrer Verfassungsgründung gefeiert werden. Nur die Vorsteher des Leipziger Polenkomitees und, aus besonderer Rücksicht und Liebe, auch ich, waren hierzu eingeladen. Es war ein unvergeßlich eindrucksvoller Tag. Das Mahl der Männer ward zum Gelage: eine aus der Stadt bestellte Blechmusik spielte unausgesetzt die polnischen Volkslieder, an welchen sich, unter dem Vorgesang eines Litauers (Zàn), die Gesellschaft jubelnd und klagend beteiligte. Namentlich erweckte das schöne »Dritte-Mai«-Lied einen erschütternden Enthusiasmus. Weinen und Jauchzen steigerten sich zu einem unerhörten Tumulte, bis sich die Gruppen auf die Rasenplätze des Gartens lagerten und dort zerstreute Liebespaare bildeten, in deren schwelgerischem Liebesgespräche das unerschöpfliche Wort »Oiczisna« (Vaterland) die Losung war, bis endlich der Schleier eines großherzigen Rausches alles in Nacht hüllte. – Der Traum dieser Nacht bildete sich später in mir zu einer Orchesterkomposition in Ouvertürenform, mit dem Titel »Polonia«, aus: das Schicksal dieser Arbeit werde ich gelegentlich berichten.
Die Pässe meines Freundes Tyskiewitsch kamen an; er war im Begriffe über Brünn nach Galizien zu reisen, was immerhin seinen Freunden als gewagt galt. In mir war die Sehnsucht entstanden, etwas Weiteres von der Welt zu sehen zu bekommen. Tyskiewitsch bot mir an, mit ihm zu reisen, was meine Mutter bestimmte, zu einem von mir gewünschten Ausfluge nach Wien ihre Einwilligung zu geben. Mit der Partitur meiner drei aufgeführten Ouvertüren und der noch unaufgeführten großen Symphonie reiste ich ab, um den befreundeten polnischen Gönner in seinem bequemen Reisewagen mit Extrapost bis in die Hauptstadt Mährens zu begleiten. Nachdem in Dresden ein kleiner Aufenthalt genommen, gaben die dort anwesenden vornehmen und geringeren Glieder der Emigration dem von ihnen allen geliebten Grafen in Pirna ein freundschaftliches Abschiedsmahl, bei welchem unter Strömen Champagners dem zukünftigen »Diktator Polens« ein Hoch gebracht wurde. Endlich trennten wir uns in Brünn, von wo aus ich am folgenden Tage mit dem Postwagen nach Wien weiterzubefördern war. Den Nachmittag und die Nacht, welche ich allein in Brünn zu verweilen hatte, brachte ich unter den seltsamsten Einwirkungen der plötzlich mir erweckten Cholerafurcht zu. Zum erstenmal befand ich mich an einem Orte, von welchem ich unversehens erfuhr, daß dort die Cholera heimisch sei: soeben von meinem zuversichtlichen Freunde verlassen, gänzlich allein in einer mir wildfremden Gegend, ohne alle Beziehung zu dem Ort, an dem ich mich zufällig befand, war es mir bei dieser Nachricht, als ob ein tückischer[69] Dämon mich in diese Falle gelockt hätte, um mich spurlos zu vernichten. Zwar ließ ich mir im Gasthofe nichts merken; als man mich aber in einen sehr abgelegenen Flügel des Hauses zum Schlafen führte und nun plötzlich mich in dieser Öde allein ließ, vergrub ich mich angekleidet in das Bett, und erlebte nochmals alles, was ich je in meiner Knabenzeit von Gespensterfurcht erlitten hatte. Die Cholera stand leibhaftig vor mir: ich sah sie und konnte sie mit Händen greifen; sie kam zu mir ins Bett, umarmte mich; meine Glieder erstarrten zu Eis, ich fühlte mich tot bis an das Herz hinan. Ob ich geschlafen oder gewacht, ist mir gänzlich unbewußt geblieben; nur wunderte ich mich im höchsten Grade, als ich beim Tagesgrauen lebendig aufstand und mich vollkommen gesund fühlte. So gelang es mir denn auch glücklich bis Wien zu entkommen, wo ich mich alsbald gegen die auch dort herrschende Seuche vollständig unempfindlich verhalten konnte.
Es war dies im hohen Sommer 1832. In der lebhaften großen Stadt, in welcher ich mich im ganzen sechs Wochen aufhielt, fühlte ich mich, auch infolge von Empfehlungen an einige meiner Familie befreundete Personen, bald heimisch. Da mein Besuch keinen praktischen Zweck haben konnte, war der Gedanke meiner Mutter, mir die wenn auch sparsamen Mittel zu einem solchen eben nur allgemeinhin anregenden Ausfluge zu bestimmen, als ein fast übermütiger Zug anzuerkennen. Ich besuchte die Theater, hörte Strauß, machte Ausflüge, und ließ es mir wohlgehen, wobei einige Schulden herauskamen, an welchen ich noch als späterer Dresdener Kapellmeister zu zahlen hatte. Sehr anregend blieben aber gewiß die hier empfangenen musikalischen und theatralischen Eindrücke, und Wien ist meiner Vorstellung lange Zeit als Vertreterin originaler volksblütiger Produktivität verblieben. In diesem Sinne befriedigten mich am meisten die Leistungen des Theaters an der Wien, wo eine groteske Zauberposse »Die Abenteuer Fortunats zu Wasser und zu Land«, in welcher »ein Fiaker an das Schwarze Meer« bestellt wurde, einen sehr lebendigen Eindruck auf mich machte. In musikalischer Beziehung war ich zwischen zwei Haupteindrücke geklemmt. Mit Stolz führte ein junger Freund mich in die Aufführung von Glucks »Iphigenia in Tauris«, welche durch die vorzüglichen Leistungen des berühmten Wild, Staudigls und Binders besonders empfehlenswert war: nur muß ich aufrichtig gestehen, daß ich im ganzen durch das Werk mich gelangweilt fühlte, was mir um so peinlicher war, da ich es nicht auszusprechen wagte. Auch Gluck war mir namentlich durch das bekannte Hoffmannsche Phantasiestück unwillkürlich zu einer dämonischen Riesengröße geworden: ich vermutete in ihm, dessen Werke ich noch nicht studiert hatte, ein hinreißendes dramatisches Feuer und legte an alles, was ich mir von einer ersten Vorführung seines berühmtesten Werkes erwarten sollte, den Maßstab an, welchen ich an jenem unvergeßlichen Abend der Darstellung des »Fidelio« durch die Schröder-Devrient entnommen hatte. Mit Mühe gelang es mir, in der großen Szene des Orestes mit den Furien mich in eine halbwegs[70] ähnliche Ekstase zu versetzen. Der Eindruck alles übrigen blieb feierlich spannend auf eine Wirkung, zu welcher es nie kam. – Auf den eigentlichen Lebensnerv des Wiener Theatergeschmackes traf ich jedoch bei der Oper »Zampa«, welche damals das fast tägliche Repertoire an beiden Operntheatern, am Kärntner Tor und in der Josephstadt, erfüllte. Beide Theater wetteiferten im Feuer für diese außerordentlich beliebte Leistung: hatte das Publikum sich den Anschein gegeben in »Iphigenie« zu schwelgen, so raste es mit voller Wahrhaftigkeit in »Zampa«; und trat man aus dem Theater der Josephstadt, in welchem soeben »Zampa« alles in Ekstase versetzt hatte, in die unmittelbar daran gelegene Tabagie von Sträußlein, so brannte mir unter Strauß' fieberhaftem Vorspiel ein Potpourri aus »Zampa« entgegen, welches die gesamte Zuhörerschaft fast ersichtlich in Flammen setzte. Unvergeßlich blieb mir hierbei die für jede von ihm vorgegeigte Pièce sich gleich willig erzeugende, an Raserei grenzende Begeisterung des wunderlichen Johann Strauß. Dieser Dämon des Wiener musikalischen Volksgeistes erzitterte beim Beginn eines neuen Walzers wie eine Pythia auf dem Dreifuß, und ein wahres Wonnegewieher des wirklich mehr von seiner Musik als von den genossenen Getränken berauschten Auditoriums trieb die Begeisterung des zauberischen Vorgeigers auf eine für mich fast beängstigende Höhe. So ward mir die heiße Sommerluft Wiens endlich fast nur noch von »Zampa« und Strauß geschwängert. – Eine äußerst dürftige Übungsprobe der Zöglinge des Konservatoriums, in welcher Teile einer Messe Cherubinis gespielt wurden, ließ mir dagegen die Pflege der klassischen Musik wie ein notdürftig bezahltes Almosen erscheinen. In derselben Probe versuchte ein mir unbekannt gebliebener Professor, an welchen ich empfohlen war, meine bereits in Leipzig aufgeführte D-moll-Ouvertüre zum Durchspielen zu bringen: ich weiß nicht, welches die Meinung des Mannes und der Zöglinge in betreff des angestellten Versuches war und entsinne mich nur, daß er alsbald aufgegeben ward.
So im ganzen in meiner Geschmacksrichtung auf bedenkliche Abwege geleitet, zog ich mich von diesem ersten Bildungsbesuche einer großen europäischen Kunststadt zurück, um eine wohlfeile aber sehr langwierige Reise im Stellwagen nach Böhmen zurück anzutreten. Dort sollte ich die aus meinen Jugenderinnerungen mir schmeichelhaft bekannte Familie des Grafen Pachta auf dessen Herrschaft Pravonin, acht Meilen seitwärts von Prag, besuchen. Von dem alten Herrn und seinen schönen Töchtern auf das freundlichste aufgenommen, genoß ich dort bis in den Spätherbst eine mannigfaltig anregende Gastfreundschaft. Als neunzehnjähriger junger Mensch mit bereits kräftig entwickeltem Bartwuchs, auf welchen die jungen Damen durch den Empfehlungsbrief meiner Schwester bereits aufmerksam gemacht worden waren, konnte der stete nahe Umgang mit so schönen und guten Mädchen unmöglich ohne Eindruck auf meine Phantasie bleiben. Jenny, die ältere, war schlank, mit schwarzem Haar, dunkelblauen Augen und[71] wunderbar edlem Schnitt des Gesichts; die jüngere, Auguste, war etwas kleiner und üppiger, von blendendem Teint, blondem Haar und braunen Augen. Die große Unbefangenheit und schwesterliche Gutmütigkeit, welche in ihrem Umgang mit mir fortgesetzt sich aussprach, irrten mich nicht in der Annahme, daß ich mich in eine derselben zu verlieben hätte. Die Mädchen unterhielt es in bester Laune, zu bemerken, in welche Verlegenheit ich durch die Wahl geriet, und unaufhörliches Necken war der Erfolg, welchen mir meine eifrigen Bemühungen einbrachten. Leider verfuhr ich nicht zweckmäßig in meinem Benehmen gegen die jungen Freundinnen: wirklich häuslich und bescheiden erzogen, waren sie doch durch ihre eigentümlichen Geburtsverhältnisse in ein sonderbares Schwanken zwischen der Hoffnung auf eine bedeutende Standesheirat oder der Nötigung zur Wahl eines eben nur reichlichen bürgerlichen Unterkommens versetzt. Die auffallend geringe, fast mittelalterliche Bildung des österreichischen eigentlichen Kavaliers, welche mir dieselben geringschätzig darstellte, war auch in der Erziehung meiner jungen Freundinnen leider maßgebend gewesen. Eine sehr oberflächliche Kenntnis auf dem Gebiete der Ästhetik, dagegen eine sehr ausgeprägte Fertigkeit in allem, was Äußerlichkeit betrifft, wurde bald von mir mit Widerwillen bemerkt. Keine meiner enthusiastischen Mitteilungen aus den mir so einzig sympathisch gewordenen höheren Lebenselementen fand bei ihnen irgendwelchen Anklang. Ich eiferte gegen die schlechten Leihbibliothek-Romane, welche ihre einzige Lektüre bildeten, gegen die italienischen Opernarien, welche Auguste sang, und endlich gegen die pferdepflegenden geistlosen Kavaliere, welche zu Zeiten sich einstellten, um beiden, Jenny wie Auguste, auf eine mich verletzende unzarte Art den Hof zu machen. Namentlich mein Eifer gegen den letzteren Punkt brachte bald große Ärgernisse zuwege; ich ward hart und beleidigend, verlor mich in Erläuterungen des Geistes der Französischen Revolution bis zur Erteilung väterlich klingender Ratschläge, sich um Gottes willen doch lieber an gutgebildete Bürgerliche zu halten und die übermütigen rohen Herren aufzugeben, deren Umgang nur ihren Ruf untergraben könnte. Die Entrüstung, die ich durch solche Ermahnungen erweckte, mußte ich manchmal durch harte Zurechtweisungen zu ertragen suchen: um Verzeihung bat ich jedoch nie, sondern suchte durch vorgebliche oder wirkliche Eifersucht, welche mich beherrschte, das Verdrießliche meiner Wutausbrüche in ein schließlich noch erträglich schmeichelndes Geleise zu bringen. So unentschieden, ob verliebt oder ärgerlich, immerhin aber in freundlichem Einvernehmen, schied ich von den schönen Kindern an einem kalten Novembertag, um die ganze Familie bald darauf in Prag wieder zu treffen, wo ich mich nun noch längere Zeit aufhielt, ohne jedoch im gräflichen Hause meine Wohnung zu nehmen.
Der Prager Aufenthalt sollte nun wieder einen musikalischen Bildungszweck erhalten. Ich ward mit dem Direktor des Konservatoriums, Dionys[72] Weber, bekannt, und durch ihn sollte meine Symphonie mir zur ersten Anhörung gebracht werden. Außerdem brachte ich meine Zeit meistens bei einem Schauspieler Moritz zu, an welchen ich, als einen älteren Bekannten meiner Familie, empfohlen war und in dessen Umgange ich mit einem ebenfalls jungen Musiker, Kittl, bald zu näherer Befreundung bekannt wurde. Moritz, der mich täglich in dringenden musikalischen Geschäften zu dem gefürchteten Chef des Konservatoriums wandern sah, entließ mich einst mit einer improvisierten Parodie der Schillerschen »Bürgschaft«:
Zu Dionys dem Direktor schlich
Wagner, die Partitur im Gewande;
Ihn schlugen die Schüler in Bande:
»Was wolltest du mit den Noten, sprich!«
Entgegnet ihm finster der Wüterich:
»Die Stadt vom schlechten Geschmacke befreien!«
»Das sollst du in den Rezensionen bereuen«.
In der Tat hatte ich es mit einer Art von »Tyrannen Dionysius« zu tun. Dem Manne, der Beethoven nur bis zu seiner zweiten Symphonie gelten ließ, die »Eroica« bereits als vollkommne Geschmacksverderbnis des Meisters bezeichnete, einzig Mozart erhob und neben ihm unter den Neueren nur Lindpaintner gestattete – diesem Mann war nicht leicht beizukommen, und ich mußte mich mit der Art vertraut machen, auf welche man Tyrannen zu seinen Zwecken nützt: ich verstellte mich, zeigte mich erstaunt über das Neue seiner Behauptungen, widersprach keineswegs und verwies ihn zur Bekräftigung der Übereinstimmung unsrer Ansichten auf die Schlußfuge sowohl meiner Ouvertüre als meiner Symphonie, beide in C-dur und nachweislich durch Mozartische Einwirkung zustande gebracht. Mein Lohn blieb nicht aus: Dionys schritt mit jugendlichem Feuer zum Einstudieren meiner Orchesterstücke. Die Schüler des Konservatoriums mußten unter seiner trockenen, aber fürchterlich lärmenden Taktiererei selbst meine neue Symphonie mit großer Präzision sich einstudieren; und vor meinen mitgebrachten Freunden, unter welchen auch mein alter Graf Pachta als Vorsteher des ständischen Konservatoriums sich befand, brachten wir die erste Aufführung dieses größten meiner bisherigen Werke wirklich zustande.
Während ich diese musikalischen Erfolge feierte, setzte ich meine sonderbaren Liebeswerbungen in dem anziehenden Hause der Pachtaschen Familie unter den wunderlichsten Wechselfällen fort. Als Schicksalsgenossen hatte ich einen Zuckerbäcker, Hascha, gewonnen. Dies war ein langer hagerer, ungemein trockner junger Mensch, der, wie die meisten Böhmen, neben seiner ansehnlichen Konditorei auch Musik trieb, Auguste beim Gesang akkompagnierte und hierüber in die seinem Naturell entsprechende Verliebtheit geraten war. Ihm, gleich mir, waren die nun in der Hauptstadt sich häufiger einstellenden Kavaliersbesuche im höchsten Grade verhaßt:[73] während aber mein Unmut sich meistens humoristisch äußerte, blieb der seinige finster und melancholisch; ja er verleitete ihn zur offenbaren Tölpelhaftigkeit, vermöge welcher er eines Abends, als zur Erwartung eines Hauptkavaliers der Lüster angezündet werden sollte, mit seinem auf langem Körper hervorragenden Kopfe den Kronleuchter anstieß, diesen zerbrach und dadurch die festliche Erleuchtung unmöglich machte, welches ihm die höchste Entrüstung der Mutter unserer Freundinnen zuzog, so daß er von da an seine Besuche im gräflichen Hause aufzugeben für gut fand. Ich entsinne mich nun die ersten Spuren der Empfindungen wirklicher Liebespein an den sonderbar nagenden Erregungen der Eifersucht, welche sich doch in Wahrheit auf keine eigentliche Liebe bezog, wahrgenommen zu haben: es geschah dies, als ich eines Abends meinen Besuch machen wollte und von der Mutter in einem Vorzimmer festgehalten wurde, während in dem eigentlichen Besuchszimmer, wie ich aus Anzeichen wahrnahm, die in besondrer Toilette geschmückten jungen Damen sich mit den mir verhaßten vornehmen jungen Herrn unterhielten. Alles was namentlich in einigen Hoffmannschen Erzählungen von gewissen satanischen Buhlschaften mir bis dahin einen unverständlichen Eindruck gemacht hatte, ward hier schrecklich lebendig in mir, und ich verließ Prag mit einer offenbar übertriebenen und ungerechten Meinung von den Dingen und Personen, die mich zum erstenmal in einen Kreis von bis dahin noch unbekannten leidenschaftlichen Empfindungen hineingezogen hatten.
Eine andre Ausbeute brachte ich jedoch von diesem ersten größeren Ausfluge in die Welt zurück: in Pravonin hatte ich gedichtet und komponiert. Meine musikalische Arbeit bestand in der Komposition eines Gedichtes meines Jugendfreundes Theodor Apel, betitelt: Glockentöne. Nachdem ich zwar schon im vergangenen Winter in Leipzig noch eine größere Arie für Sopran und Orchester fertig und zur Aufführung in einem Theaterkonzert gebracht, war diese neue Arbeit doch die erste Gesangskomposition, welche von wirklicher Empfindung eingegeben war. Ihrem allgemeinen Charakter nach war sie wohl aus den Eindrücken der Beethovenschen Gesangkompositionen, namentlich seines »Liederkreises« hervorgegangen; dennoch erinnere ich mich ihrer als einer mir eigen angehörenden Arbeit von zarter schwärmerischer Empfindung, welche besonders durch die träumerische Begleitung zu sprechendem Ausdruck kam. – Meine dichterische Arbeit bezog sich auf den Entwurf eines tragischen Opernsujets, welches ich in Prag unter dem Titel »Die Hochzeit« vollständig ausführte, und zwar ohne daß irgend jemand etwas davon merkte, welches letztere seine Schwierigkeit hatte, da ich der eingetretenen Kälte wegen nicht in meinem unheizbaren kleinen Gasthofzimmer daran schreiben konnte, sondern dies in Moritz' Wohnung, wo ich mich während des Vormittags aufhielt, abmachen mußte; ich entsinne mich, wiederholt das Manuskript schnell hinter dem Kanapee verborgen zu haben, sobald mein Gastfreund zufällig in das Zimmer eintrat.[74]
Mit dem Stoff zu dieser dramatischen Arbeit hatte es eine besondre Bewandtnis. Schon vor mehreren Jahren hatte ich in Büschings Buch über das Ritterwesen einen tragischen Vorgang beiläufig angeführt gelesen, welchen ich seitdem nirgend sonst wieder angetroffen habe. Eine Edelfrau war zur Nachtzeit von einem Manne, der sie mit heimlicher Leidenschaft liebte, gewaltsam überfallen worden und hatte ihn, mit der Kraft des Ehrgefühls kämpfend, in den Burghof hinabgeschleudert. Sein rätselhafter Tod blieb so lange ein Geheimnis, bis bei seiner feierlichen Beisetzung, welcher auch die Edelfrau im Gebet beiwohnte, diese plötzlich ebenfalls entseelt niedersank. Die geheimnisvolle Stärke der leidenschaftlichen, in sich verschlossenen Empfindung prägte sich meiner Phantasie aus diesem Vorgange mit unerlöschlicher Lebhaftigkeit ein. Zunächst noch ganz von der besonderen Art der Behandlung solcher Phänomene in den Hoffmannschen Erzählungen erfüllt, entwarf ich eine Novelle, in welche zugleich der mir damals so teure musikalische Mystizismus hineinspielte. Der Vorgang sollte auf dem Gute eines reichen Kunstfreundes spielen: ein Brautpaar sah der Hochzeit entgegen, zu welcher auch der Freund des Bräutigams, ein interessanter, verschlossener, melancholischer junger Mann geladen war. Zu dieser Gesellschaft fand sich im innigsten Verkehr ein sonderbarer alter Organist. Welche mystischen Beziehungen zwischen diesem alten Musiker, dem melancholischen jungen Manne und der Braut stattfanden, sollte aus dem Ausgange gewisser Verwicklungen klarwerden, welche zu einem gleichen Ereignisse, wie dem vorher erwähnten aus dem Mittelalter, führten. Zu dem im Sarg ausgestellten, unbegreiflich getöteten jungen Manne und der an seiner Seite ebenso rätselhaft verscheidenden Braut des Freundes gesellte sich der alte Musiker, welcher bei der ergreifenden Totenfeier die Orgel spielte und, während eines in das Unendliche forttönenden Dreiklanges, ebenfalls tot auf seiner Bank gefunden wurde. Zur Ausführung dieser Novelle war es nicht gekommen: nun aber, da ich mir einen Operntext schreiben wollte, faßte ich den Gegenstand in seiner ursprünglichen Darstellung wieder auf, und bildete aus ihm, den Grundzügen nach, folgende dramatische Handlung.
Zwei große Geschlechter hatten lange in Familien-Feindschaft gelebt und waren nun dazu vermocht worden, sich Urfehde zu schwören. Zu den Festen der Vermählung seiner Tochter mit einem treuen Parteigänger lud das greise Haupt der einen Familie den Sohn des bisherigen Feindes ein. Die Hochzeit wird mit einem Versöhnungsfeste verbunden. Während die Gäste mit Mißtrauen und Furcht vor Verrat erfüllt sind, hat in dem Herzen ihres Führers eine düstre Leidenschaft für die Braut seines neuen Bundesfreundes Raum gewonnen. Sein düstrer Blick schneidet auch ihr in das Herz, und als sie, im festlichen Zuge nach der Brautkammer geleitet, der Ankunft des Geliebten harrend, plötzlich am Fenster ihres hohen Turmgemaches diesen selben Blick mit furchtbarer Leidenschaft auf sich blitzen[75] sieht, erkennt sie sofort, daß es sich um Leben oder Tod handelt. Den Eingedrungenen, der sie mit wahnsinniger Glut umfaßt, drängt sie zum Balkon zurück und stürzt ihn über die Brüstung in die Tiefe hinab, wo der Zerschmetterte von seinen Genossen aufgefunden wird. Diese scharen sich sofort gegen den vermeintlichen Verrat und schreien nach Rache: ungeheurer Tumult erfüllt den Schloßhof; das furchtbar gestörte Hochzeitsfest droht zur Mordnacht zu werden. Den Beschwörungen des ehrwürdigen Familienhauptes gelingt es jedoch, das Unheil abzuwenden; Boten werden an die Familie des rätselhaft Verunglückten ausgesandt; die Leiche selbst soll zur Sühne des unbegreiflichen Vorganges mit höchster Feierlichkeit, unter dem Beileid des ganzen Geschlechtes der verdächtigen Familie, begangen und hierbei durch Gottes Urteil ergründet werden, ob irgendein Glied derselben die Schuld des Verrates treffe. Während der Vorbereitungen zu dieser Leichenfeier zeigen sich an der Braut Spuren eines schnell sich steigernden Wahnsinns; sie flieht ihren Bräutigam, verschmäht die Verbindung mit ihm und verschließt sich unnahbar in ihr Turmgemach. Nur zur Totenfeier, als diese mit höchster Pracht zur Nachtzeit begangen wird, stellt sie sich ein, bleich und schweigend an der Spitze ihrer Jungfrauen, dem Seelenamte beizuwohnen, dessen düstrer Ernst durch die Kunde vom Heranzug feindlicher Scharen und endlich vom Waffensturm der herandrängenden Verwandten des Erschlagenen unterbrochen wird. Als die Rächer des vermeintlichen Verrats endlich in die Kapelle dringen und den Mörder des Freundes aufrufen, deutet der entsetzte Burgherr auf die entseelte Tochter, welche, dem Bräutigam abgewandt, am Sarge des Erschlagenen hingesunken ist.
Dieses vollkommene Nachtstück von schwärzester Farbe, in welches aus weiter Jugendferne »Leubald und Adelaïde« veredelt hineinklangen, führte ich mit Verschmähung jedes Lichtscheines und namentlich jeder ungehörigen opernhaften Ausschmückung schwarz auf schwarz aus. Zarte Saiten wurden jedoch bereits berührt; und die Introduktion des ersten Aktes brachte mir (durch ein Adagio für Vokal-Septett, in welchem die Versöhnung der streitenden Familien, die Empfindungen des Brautpaares, mit der düstren Glut des heimlich Liebenden zugleich sich ausdrückten) von Weinlich, dem ich hiermit den Beginn der Komposition meines Werkes schon bei meiner Heimkehr nach Leipzig zeigen konnte, ob der darin sich kundgebenden Klarheit und Sangbarkeit sehr ermutigende Lobsprüche ein. Hauptsächlich lag mir jedoch daran, den Beifall meiner Schwester Rosalie für mein Unternehmen zu gewinnen. Diese konnte sich jedoch mit meinem Gedicht nicht befreunden: sie vermißte alles das, was ich eben fast mit Absichtlichkeit ausgelassen hatte, und wünschte Ausschmückung und Ausbildung der einfachen Verhältnisse zu mannigfaltigeren und möglichst freundlicheren Situationen. Schnell war ich entschieden, ergriff ohne alle Leidenschaftlichkeit mein Manuskript und vernichtete es spurlos.
Hiervon war nicht eigentlich gereizte Eitelkeit der Grund, sondern wirklich[76] lag es mir daran, meiner Schwester zu beweisen, teils wie wenig ich für meine Arbeit eingenommen sei, teils wie viel ich auf sie gebe. Genoß Rosalie in unsrer Familie die besondre Achtung und Liebe der Mutter und Geschwister, so hatte dies seinen Grund zum großen Teil wohl darin, daß sie seit längeren Jahren zum vorzüglich ernährenden Haupt derselben geworden war; das nicht unansehnliche Gehalt, das sie als Schauspielerin bezog, bildete den Hauptfonds, aus welchem das Hauswesen bestritten ward. Auch ihrer Beschäftigung gemäß hatte sie mancherlei Bevorzugung zu beanspruchen. Ihre Wohnungsabteilung war stets mit besondrer Annehmlichkeit und Berechnung der für ihre Studien nötigen Stille hergerichtet; an Markttagen, wo wir andren mit geringerer Kost vorliebnehmen mußten, durfte ihr allein an der gewohnten feineren Nahrung nichts abgehen. Mehr als alles dies stellte sie über das Niveau der jüngern Familie der freundliche Ernst, die gewählte Art sich zu äußern, und die zarte sinnige Haltung, aus der sie fast nie in den sonst bei uns herrschenden, etwas lebhaften Ton verfiel. Ich war nun jedenfalls dasjenige Familienglied, welches, wie der Mutter, so auch der mütterlichen Schwester die größte Sorge verursacht hatte. Während der bösen Studentenzeit war mir namentlich ihre Entfremdung gegen mich von lebhaftem Eindrucke gewesen. Daß sie endlich wieder Hoffnung auf mein Gedeihen setzte und meinen Studien mit neuer Teilnahme folgte, hatte mich mit angenehmer Wärme erfüllt. Es dahin zu bringen, daß diese Schwester, die schon daran gewesen war, mich für verloren anzusehen, endlich wirklich mit Achtung und bedeutender Erwartung meinen Arbeiten folge, war mir zu einem besondren Sporn des Ehrgeizes geworden. Unter solchen Umständen bildete sich endlich eine zarte, ja fast schwärmerische Neigung zu Rosalie in mir aus, welcher an Reinheit und läuternder Wärme wohl nur die edelsten Beziehungen zwischen Mann und Weib zur Seite gestellt werden können. Gewiß war hierbei auch Rosaliens besondres Naturell nicht ohne Einfluß. Sie hatte nicht eigentliches Talent, namentlich nicht für das Theater; ihr Spiel ward meistens studiert und unnatürlich gefunden. Dennoch zog sie durch die große Anmut ihres Äußern sowie die Reinheit und Würde ihrer edlen Weiblichkeit die warme Beachtung aller auf sich, und manches Zeugnis der verehrungsvollsten Ergebenheit, mit der ihr gehuldigt wurde, ist auch mir in Erinnerung geblieben. Nie hatte es sich jedoch gefügt, daß mit solchen Annäherungen Aussicht auf dauernde Vereinigung sich gefunden hätte, und ein mir noch unerklärliches Schicksal näherte meine Schwester endlich dem reiferen Mädchenalter, indem es sie zugleich immer mehr von der Hoffnung, in eine ihr geeignet dünkende Ehe treten zu können, entfernte. Ich glaubte in meiner Weise zu Zeiten Wahrnehmungen von Rosaliens schmerzlicher Bewegung über diesen Charakter ihres Schicksals gewonnen zu haben. Besonders unvergeßlich blieb es mir, sie eines Abends im dunkeln Zimmer, wo sie sich allein glaubte, in banges Seufzen und Klagen sich ergießen zu hören, was einen solchen Eindruck auf[77] mich machte, daß ich, nachdem ich unvermerkt mich hinausgeschlichen hatte, von da an mit gesteigerter, zärtlicher Hochachtung in allem ihr zu Willen zu sein und namentlich durch mein Gedeihen ihr Freude zu machen suchte. Denn nicht ohne Bezug hatte schon unser Stiefvater Geyer das zarte Mädchen mit dem freundlichen Spitznamen »Geistchen« belegt: war ihr Schauspieltalent, wie ich sagte, nicht bedeutend, so war dagegen ihre Phantasie, ihr Sinn für Kunst und alles Höhere desto reger. Von ihr hatte ich die ersten bewunderungsvollen Ergießungen über alles das, was mich späterhin selbst so stark erregte, vernommen; auch bildete sich um sie überall und zu jeder Zeit ein kleiner Kreis tüchtiger und für das Höhere teilnehmender Menschen, ohne daß in solchen Umgang je Affektation irgendwelcher Art sich gemischt hätte.
Bei meiner Rückkehr von meinem längern Ausfluge traf ich als neuen Ankömmling Heinrich Laube, bei den Meinigen und in Rosaliens Umgang freundlich aufgenommen, an.
Es war dies die Zeit, in welcher die Nachwehen der Julirevolution sich in der Bewegung jüngerer deutscher Geister bemerklich machten; unter diesen ward bald Laube beachtet. Er kam als junger Mann aus Schlesien nach Leipzig, um eigentlich nur durch diesen Sitz des Buchhandels nach Anknüpfung der ihm nötigen Verbindungen schnell nach Paris zu eilen, von wo aus Börne durch seine Briefe großes Aufsehn auch bei uns machte. Bei dieser Gelegenheit wohnte Laube der Aufführung eines Stückes von Ludwig Robert »Die Macht der Verhältnisse« im Theater bei und fand sich veranlaßt, über dasselbe in das Leipziger Tageblatt eine Rezension zu schreiben, welche durch ihre scharfe und lebendige Fassung ein so großes Aufsehen erregte, daß ihm sofort die Redaktion der »Zeitung für die elegante Welt« angeboten und weitere buchhändlerische Anträge gemacht wurden. In unserm Hause wurde er als glänzendes Talent begrüßt: seine scharfe, kurze, oft beißende Manier, welcher das poetische Element zu behaupten offenbar beschwerlich schien, ließ ihn für originell und kühn gelten; seine Rechtlichkeit, Gradheit und kecke Derbheit nahm alles für seinen durch eine mühselige Jugend gestählten Charakter ein. Auf mich machte Laube einen ermutigenden Eindruck, und namentlich war ich fast verwundert darüber, ihn so entschieden für mich eingenommen zu sehen, wie es sich in seinen Verkündigungen meines musikalischen Talentes aussprach, welche er infolge einer ersten Anhörung meiner Symphonie in seinem Journal veröffentlichte.
Diese Aufführung ging im Beginn des Jahres 1833 in der Leipziger »Schneider-Herberge« vor sich: in dieses ehrwürdige Lokal hatte sich nämlich die »Euterpe« zurückgezogen. Es war ein schmutziger, enger, schmählich erleuchteter Raum, in welchem, unter gemeinster Wirkung des Orchesters, mein Werk dem Leipziger Publikum zum ersten Male vorgeführt wurde. Mir ist dieser Abend durchaus nur wie ein garstiger Gespenster-Traum[78] in Erinnerung geblieben: desto mehr überraschte mich die bedeutungsvolle Aufnahme, welche Laube dieser Aufführung gab. Mit guter Hoffnung sah ich daher der bald darauf vor sich gehenden Aufführung im Gewandhaus-Konzert entgegen, wo denn auch alles hell glänzend und ganz nach Wunsch ablief. Die Aufnahme war beifällig: ich wurde in allen Zeitungen rezensiert; entschiedene Bosheit tat sich nirgends kund; mancher Bericht war dagegen ermutigend, und Laube, der schnell berühmt geworden, erklärte, einen Operntext, den er für Meyerbeer bestimmt habe, für mich abtreten zu wollen. Dies erschreckte mich. Nicht im mindesten war ich zwar darauf bedacht, mich auch als Dichter bewähren zu wollen, und hatte im Gegenteil nichts andres im Sinne, als mir selbst eben nur einen wirklichen »Operntext« zu schreiben: aber eben darüber, wie ein solcher Operntext zu schreiben sei, hatte ich bereits mein eigenes sicheres, instinktives Gefühl, welches sich in seiner Richtigkeit sofort bewährte, als Laube mich mit seinem Sujet verheißungsvoll bekannt machte. Er teilte mir mit, daß er nichts Geringeres im Sinne habe, als mir Kocziusko für eine Hauptoper zurechtzumachen. Hierüber erschrak ich wiederum: denn ich ahnte sogleich, daß es sich um eine Täuschung Laubes über den Charakter eines dramatischen Vorganges handle. Als ich nach der eigentlichen Handlung fragte, war Laube ganz erstaunt, noch etwas anderes fordern zu wollen als die außerordentlich tatenreiche Lebensgeschichte des polnischen Freiheitshelden, aus welcher er gerade genug Aktion erwählte, um das Unglück einer ganzen Nation darin auszudrücken. Außerdem fehlte es aber an einer beliebigen Polin nicht, welche mit einem Russen in einem Liebesverhältnis stand, wodurch auch tragische Liebessituationen sich ganz von selbst einfanden. Ich erklärte sofort meiner Schwester Rosalie, dieses Sujet nicht komponieren zu wollen; sie stand mir bei und bat mich nur die Erklärung zu verzögern, wozu meine Abreise nach Würzburg, welche bald erfolgte, mir derart verhalf, daß ich nach einiger Zeit meinen Abschlag Laube schriftlich berichten konnte. Er ertrug die kleine Demütigung mit guter Laune, hat mir es aber doch in keiner Zeit meines Lebens verziehen, daß ich mir selbst meine Gedichte machte.
Namentlich gab er mir seine Geringschätzung kund, als er erfuhr, welches Sujet ich seinem glänzenden politischen Gedichte vorgezogen hätte. Dieses hatte ich einem dramatischen Märchen von Gozzi: La Donna Serpente entnommen und unter dem Titel »Die Feen« ausgeführt. Die Namen meiner Helden wählte ich mir nach allerhand ossianischen und ähnlichen Gedichten: mein Prinz hieß Arindal; er war von einer Fee Ada geliebt, welche ihn, seinem Reiche entrückt, in ihrem Zauberlande festhielt, bis er von seinen Getreuen aufgesucht und endlich gefunden ward, um durch die Kunde von dem Verfall seines Landes, welches bis auf die Hauptstadt in Feindeshände geraten war, zur Rückkehr vermocht zu werden. Die liebende Fee sendet ihn selbst in die Heimat zurück, da sie durch einen Schicksalsspruch[79] genötigt ist, dem Geliebten die härtesten Proben aufzuerlegen, durch deren siegreiche Bestehung allein er ihr die Möglichkeit zu bereiten hat, aus der unsterblichen Feennatur auszuscheiden, um als liebendes Weib das Los des Sterblichen teilen zu können. Dem bereits durch die Wiederkehr in sein zerrüttetes Land entmutigten Königssohne erscheint in der Stunde der größten Bedrängnis die Gattin, um durch Handlungen der unbegreiflichsten Grausamkeit seinen Glauben an sie absichtlich zu erschüttern. Unter dem Zusammenwirken aller Schrecken gerät Arindal in den Wahn, bisher von einer bösen Zauberin verführt worden zu sein, und sucht der verderblichen Macht dieses Zaubers durch Ausstoßung seines Fluches über Ada sich zu entziehen. Wütend vor Schmerz stürzt die unglückliche Fee zusammen und enthüllt nun dem ewig Verlornen ihr gemeinsames Schicksal, und daß sie zur Strafe für den dem Feenspruch gebotenen Trotz verurteilt sei, ewig in einen Stein verwandelt zu werden (so nämlich hatte ich die Gozzische Verwandlung in eine Schlange umgeändert). Sofort bewährt sich, daß alle durch die Fee heraufbeschwornen Schrecknisse nur Täuschung waren: Sieg über die Feinde, Blühen und Gedeihen des Reiches stellt sich in zauberischer Schnelligkeit ein; nur Ada wird von den Vollzieherinnen des Schicksalsspruches davongeführt, und Arindal bleibt im vollen Wahnsinn zurück. Diese Leiden des Wahnsinns genügten jedoch den grausamen Vollstreckerinnen des Feenspruches nicht: um seine gänzliche Vernichtung zu erlangen, erscheinen sie dem büßenden Frevler und fordern ihn auf zum Weg in die Unterwelt mit dem heuchlerischen Vorgehen, ihm die Mittel zu Adas Entzauberung zeigen zu wollen. Wirklich erreichte diese feindlich gemeinte Kunde, daß Arindals Wahnsinn sich zu erhabenster Begeisterung wendet; ein dem Königshause treuer Zauberer hat ihn außerdem mit Wunderwaffen und Werkzeugen ausgerüstet, mit denen er nun den verräterischen Feen folgt. Diese geraten in Staunen und Entsetzen, als sie Arindal einen Kampf nach dem andern mit den Ungeheuern der Unterwelt siegreich bestehen sehen; nur als sie ihn zu der Gruft geleitet haben, in welcher sie auf einen menschlich gestalteten Stein deuten, fassen sie Mut, den kühnen Eindringling erliegen zu sehen: denn diesen Stein, welcher Ada selbst berge, habe er zu entzaubern, wenn er nicht selbst gleich ihr auf ewig in gleicher Weise verwandelt sein solle. Arindal, der bisher Schwert und Schild, die Geschenke des befreundeten Zauberers, gebraucht, bedient sich nun des zuvor ihm unverständlichen Werkzeuges, der ebenfalls ihm mitgegebenen Leier, zu deren Klang er seine Klagen um die verzauberte Geliebte, seine Reue und übermächtigte Sehnsucht ausströmen läßt. Diesem Zauber erweicht sich der Stein; die Geliebte ist erlöst, die Pracht der Feenwelt tut sich auf, und dem gewaltigen Sterblichen wird eröffnet, daß Ada durch seinen früheren Wankelmut zwar das Recht, der Unsterblichkeit zu entsagen, verloren habe, dagegen dem aller höchsten Zauber mächtigen Geliebten das Reich der Feen selbst zu seinem ewigen Wohnsitze an Adas Seite offenstehe.[80]
Hatte ich bei der Ausführung der »Hochzeit« allem Opernschmucke entsagt und den Stoff in schwärzester Ungebrochenheit gegeben, so stattete ich nun dieses Sujet mit aller nur irgend verträglichen Mannigfaltigkeit aus: neben dem idealen Liebespaare figurierte ein zweites reales, und neben diesem sogar ein drittes derb komisches, welches natürlich in das Knappen- und Zofenfach fiel. In betreff der poetischen Diktion und der Verse verfuhr ich mit fast absichtlicher Nachlässigkeit. Es kam mir keineswegs darauf an, meiner ehemaligen Tendenz auf Dichterruhm zu schmeicheln; ich war wirklich »Musiker« und »Komponist« geworden und wollte mir einen gehörigen »Operntext« ma chen, von welchem ich nun einsah, daß mir ihn niemand anderes machen könnte, eben weil ein Operntext, als solcher ganz für sich, etwas Besondres sei, was ein Dichter und Literat gar nicht zustande bringen kann.
Mit dem Vorhaben, diesen Text zu komponieren, verließ ich nun im Januar 1833 Leipzig, um für einige Zeit meinen damals in Würzburg beim Theater angestellten ältesten Bruder Albert zu besuchen. Es schien nämlich jetzt an der Zeit zu sein, daß ich mich für die praktische Verwertung meiner musikalischen Fähigkeiten nach der nötigen Gelegenheit zur Übung derselben umsähe; dazu sollte mein Bruder bei dem kleineren Würzburger Theater mir die Hand bieten. Ich reiste mit der Post über Hof nach Bamberg, verweilte dort einige Tage in der Gesellschaft eines jungen Mannes namens Schunke, welcher aus einem Hornisten Schauspieler geworden war, lernte die Geschichte von Caspar Hauser, der damals noch großes Aufsehen machte und welchen, wenn meine Erinnerung mich nicht täuscht, man mir persönlich zeigte, mit großem Interesse kennen; freute mich der originellen Tracht der Marktfrauen; erinnerte mich beziehungsvoll des Aufenthaltes Hoffmanns und der Entstehung seiner Phantasiestücke an diesem Ort und fuhr frierend mit einem Hauderer nach Würzburg weiter. Mein Bruder Albert, der jetzt als eine ziemlich neue Erscheinung in mein Leben trat, suchte mich seinem nicht eben weit angelegten Hausstand erträglich einzufügen, freute sich, mich nicht so verschroben zu finden, als er mich nach jenem Briefe, mit dem ich ihn vor einiger Zeit erschreckte, vermutet hatte, und verschaffte mir vor allen Dingen eine ausnahmsweise Beschäftigung als Chordirektor beim Theater, für welche ich monatlich 10 Gulden erhielt. Der Rest des Winters wurde so für mich zu meinen ersten praktischen Übungen im musikalischen Direktionsfach angewendet: es galt in der noch kurzen Frist zwei große neue Opern, in welchen der Chor stark zu wirken hatte, nämlich Marschners Vampyr und Meyerbeers Robert der Teufel, einzustudieren. Ich fühlte mich zuerst als vollkommener Neuling im Beruf eines Chordirektors und hatte mit einer mir gänzlich unbekannten Partitur, der Camilla von Paër, zu beginnen. Mir ist hiervon die Erinnerung verblieben, als ob ich mich mit etwas beschäftigt hätte, was mir gar nicht zukäme; ich fühlte mich recht eigentlich als Dilettant dabei. Bald interessierte[81] mich jedoch die Marschnersche Partitur genügend, um meine saure Arbeit mir lohnend erscheinen zu lassen. Über die Partitur des Robert war ich sehr enttäuscht: nach den Zeitungsberichten hatte ich mir ganz wunderbare Originalitäten und exzentrische Neuheiten erwartet; nichts davon vermochte ich in dem durchsichtigen Werke aufzufinden, und eine Oper, in welcher ein Finale wie das des zweiten Aktes vorkam, konnte unmöglich von mir zu jenen Werken gerechnet werden, die irgendwie meinen geliebten Vorbildern anzureihen gewesen wären; nur die unterirdische Klapptrompete, als Geisterstimme der Mutter im letzten Akte, imponierte mir. Merkwürdig ist nun die Erfahrung von ästhetischer Demoralisation, in welche ich durch fortgesetzten nahen Umgang mit diesem Werke verfiel. Die ursprüngliche Abneigung gegen das flache, so höchst uninteressante und namentlich den deutschen Musiker so unmittelbar anwidernde Werk, verlor sich wirklich allmählich hinter dem Interesse, welches ich am Gelingen der Darstellung zu nehmen mich genötigt sah, bis ich endlich von den schalen, affektierten, allen modernen Manieren nachgeahmten Melodien nichts andres vernahm, als ihre Fähigkeit, Beifall zu erzielen. Da es sich außerdem um meine zukünftige Karriere als Musikdirektor handelte, schien in den Augen meines um mich besorgten Bruders dieser Mangel an klassischer Halsstarrigkeit mir vorteilhaft angerechnet zu werden; und es bereitete sich so der allmähliche und einige Zeit andauernde Verfall meines klassischen Geschmackes vor. Doch ging es hiermit nicht so schnell, daß ich nicht zuvor noch Proben von meiner großen Unerfahrenheit im leichtfertigen Stil abgelegt hätte. Mein Bruder wünschte in Bellinis »Straniera« ein Kavatine aus dessen Piraten einzulegen, wovon die Partitur nicht zu haben war; er übertrug es mir, ihm dieselbe zu instrumentieren. Aus dem Klavierauszug erkannte ich unmöglich die lärmend dicke Instrumentation der musikalisch so außerordentlich dünnen Ritornelle und Zwischenspiele, und der Komponist einer großen C-dur-Symphonie mit Schlußfuge konnte sich hier nicht anders als mit einigen in Terzen spielenden Flöten und Klarinetten helfen. Die Kavatine klang in der Orchesterprobe so äußerst leer und effektlos, daß mein Bruder, welcher auf diese Einlage verzichtete, mir bittre Vorwürfe wegen der verschwendeten Kopiekosten machte. Doch wußte ich Revanche zu nehmen: der Tenor-Arie des »Aubry« in Marschners »Vampyr« fügte ich einen neuen Allegrosatz bei, zu welchem ich auch den Text machte. Meine Arbeit fiel dämonisch und effektvoll aus, trug Beifall des Publikums und ermunternde Anerkennung meines Bruders ein.
Im gleichen deutschen Stile führte ich denn auch im Laufe dieses Jahres (1833) die Musik zu meinen »Feen« aus. Mein Bruder und dessen Frau verließen nach Ostern Würzburg, um auswärtigen Einladungen nachzugehen, ich blieb mit den Kindern – drei jungen Mädchen in dem zartesten Alter – allein zurück, was mich in die wunderliche Lage eines verantwortlichen Erziehers[82] setzte, in welcher ich mir um jene Zeit mich nicht sonderlich auszunehmen vermochte. Teils mit meiner Arbeit beschäftigt, teils von lustigem Umgang in Beschlag genommen, konnte es nicht ausbleiben, daß ich die Pflege meiner Ziehkinder vernachlässigte. Unter meinen dortigen Freunden gewann Alexander Müller, als tüchtiger Musiker und Klavierspieler und glücklicher junger Lebemann, besondern Einfluß auf mich: namentlich imponierte mir seine wirklich große Fertigkeit im Improvisieren; er vermochte es, über gegebene Themen phantasierend, mich stundenlang zu fesseln. Mit ihm und andren Freunden, unter welchen Valentin Hamm durch seine groteske Figur, sein tüchtiges Geigenspiel und namentlich seine enorme Spanne auf dem Klavier (er griff mit einer Hand eine Duodezime) mir sehr unterhaltend war, machte ich oft Ausflüge in die Umgebung, wobei es in bayerischem Bier und fränkischem Wein lustig herging. Der »Letzte Hieb«, ein auf anmutiger Höhe gelegener öffentlicher Biergarten, ward fast allabendlich Zeuge meiner wilden, oft enthusiastischen Lustigkeit und Ausgelassenheit: nie kehrte ich in den warmen Sommernächten von dort zu meinen drei Pflegekindern zurück, ohne über Welt und Kunst in sonderbare Ekstase geraten zu sein. – Eines bösen Streiches entsinne ich mich auch, der mir allezeit als ein schwarzer Flecken in der Empfindung geblieben ist. Unter meinen Genossen befand sich ein blonder, ungemein enthusiastischer Schwabe namens Fröhlich, mit welchem ich die Partitur der C-moll-Symphonie, von jedes eigener Hand geschrieben, ausgetauscht hatte. Dieser ausnehmend weiche aber reizbare Gemütsmensch hatte einen gewissen André, dessen etwas maliziöse Physiognomie auch mir nicht sonderlich gefiel, in so heftige Abneigung gefaßt, daß er behauptete, der Mensch verderbe ihm den Abend, wenn er ihn irgendwo antraf. Der unglückliche Gehaßte legte es nichtsdestoweniger darauf an, häufig in unsre Nähe zu kommen: es entstanden Reibungen; immer wieder stellte sich jedoch André mit anscheinender Herausforderung ein. Eines Abends riß Fröhlich die Geduld. Nach einer beleidigenden Antwort suchte er ihn durch Stockschläge von unserm Tisch zu vertreiben: es entstand eine Prügelei, an welcher Fröhlichs Freunde, allerdings von eigner Abneigung getrieben, sich beteiligen zu müssen glaubten. Die Prügelwut ergriff auch mich: ich schlug mit den andern auf das unglückliche Opfer unseres Hasses ein und hörte einen Schlag, den ich selbst geführt, auf Andrés Schädel schallen, wobei ich auch den Blick des Erstaunten auf mich gerichtet wahrnahm. Ich trage die Erzählung dieses Vorfalls zur Büßung einer Schuld ab, welche unvergeßlich als Vorwurf einer wahrhaft schmählichen Tat auf mir gelastet hat. Ich kann dieser traurigen Erinnerung nur diejenige aus meiner allerfrühesten Knabenzeit zur Seite stellen, welche sich an den schrecklichen Eindruck heftet, den das mühselige Ertränken junger Hunde in einem flachen Teiche am Hause meines Onkels in Eisleben auf mich hinterlassen hat. Da mich im Gegenteil stets ein fast überzärtliches Mitgefühl mit dem Schmerz andrer, und namentlich auch der[83] Tiere, von je oft in große Verlegenheit trieb und mich im jüngsten Alter wiederholt mit einer sonderbaren Anwandlung von plötzlichem Lebensekel erfüllte, sind mir die bezeichneten Erinnerungen an jene übermütigen oder gedankenlosen Handlungen desto lebhafter verblieben.
Um so unschuldiger ist meine Erinnerung an eine erste Liebschaft. Es war ganz natürlich, daß eine der jungen Choristinnen, welchen ich täglich ihre Stimmen einzustudieren hatte, meine Augen auf sich zu ziehen verstand. Therese Ringelmann, eines Totengräbers Tochter, verführte mich durch ihre schöne Sopranstimme zu der Annahme, sie zur großen Sängerin bilden zu müssen. Seitdem ich ihr hierüber Eröffnungen gemacht, kleidete sie sich in den Chorproben mit besondrer Aufmerksamkeit und verstand es namentlich durch eine weiße Perlenschnur, welche sie sich durch das Haar wand, meine Phantasie in angenehme Aufregung zu versetzen. Als ich im Sommer allein zurückgeblieben war, erteilte ich Theresen regelmäßigen Gesangsunterricht nach einer mir bis jetzt noch unklar gebliebenen Methode. Auch besuchte ich sie öfter in ihrer Wohnung, wo ich den unheimlichen Vater zwar nie, wohl aber stets ihre Mutter und Schwester antraf. Wir begegneten uns außerdem in öffentlichen Gärten; doch hielt mich stets eine nicht sehr liebevolle Scham davor zurück, mein Liebesverhältnis vor meinen Freunden einzugestehen. Ob hieran die bescheidene Familienstellung, die wirklich geringe Bildung Theresens oder mein eigener Zweifel an dem Ernst meiner Liebe schuld war, kann ich nicht genau bestimmen; nur weiß ich, daß, als ernstlicher auf eine Erklärung meinerseits gedrungen wurde, und noch dazu eifersüchtiger Argwohn bei mir sich einstellte, das Verhältnis bald sich spurlos löste.
Ein innigeres Liebesverhältnis erzeugte sich zu Friederike Galvani, der der Tochter eines Mechanikers, von sehr scharf ausgesprochener italienischer Abkunft. Sehr musikalisch und mit lieblicher, leicht bildsamer Stimme begabt, hatte sie mein Bruder unter seinen Schutz genommen und ihr zu einem Debut am Theater verholfen, in welchem sie sich glücklich bewährte. Sehr klein von Figur, aber mit großen schwarzen Augen und zärtlichem Naturell, hatte sie bereits einen braven Musiker, den tüchtigen ersten Oboebläser des Orchesters, mit dauernder Liebe an sich gefesselt. Er galt als ihr Bräutigam: nur durfte er, aus Rücksichten für eine gewisse Vergangenheit aus seinem Leben, vor der beabsichtigten und immer noch weit sich hinanschiebenden Verheiratung das Haus ihrer Eltern nicht betreten. Als der Herbst dieses Würzburger Jahres sich herannahte, wurde ich von mehreren Freunden, unter denen auch unser Oboebläser mit seiner Braut sich befand, zu einer ländlichen Hochzeit, einige Stunden von Würzburg, eingeladen. Dort ging es bäuerisch lustig her: es wurde getrunken und getanzt, wobei ich selbst versuchte, mich meiner auf der Geige erlangten Fertigkeit zu erinnern, ohne jedoch die zweite Violine auch nur zu einiger Zufriedenheit meiner Mitmusiker zustande zu bringen. Desto größer waren[84] die Erfolge meiner Person bei der guten Friederike, mit welcher ich einige Male toll durch die Reihen der Bauern tanzte, bis die Gelegenheit es fügte, daß die allgemeine Erhitzung alle persönlichen Rücksichten auch für uns löste und wir, während der offizielle Liebhaber zum Tanz aufspielte, uns unwillkürlich herzten und küßten. Daß der Bräutigam beim Gewahrwerden der zärtlichen Unbefangenheiten, welche Friederike mir zuwendete, sich traurig aber nicht eigentlich verhindernd in sein Los fügte, erweckte mir zum ersten Male in meinem Leben ein schmeichelhaftes Selbstgefühl. Nie hatte ich nämlich Veranlassung gefunden, mich der eitlen Annahme hinzugeben, daß ich auf ein Mädchen einen vorteilhaften Eindruck zu machen vermöge. In betreff meiner äußern Begabung, oder daß ich etwa gar hübsch sei, konnte ich nie zu der mindesten Illusion gelangen, und wirklich bemerkte ich auch nie, daß ich je die Blicke eines hübschen Mädchens auf mich gezogen hätte. Dagegen war mir allmählich ein gewisses Selbstvertrauen im Umgang mit männlichen Altersgenossen erwachsen: meine ungemeine Lebhaftigkeit und stets bereite Erregbarkeit gaben mir gegenüber von allen, mit denen ich umging, ein endlich in mein Bewußtsein tretendes Gefühl von einer gewissen Kraft, meine trägeren Genossen hinzureißen oder zu betäuben. An meines armen Oboisten still leidender Zurückhaltung beim Gewahrwerden der feurigen Annäherung seiner Versprochenen gegen mich, gewann ich, wie gesagt, nun auch die erste Empfindung davon, daß ich nicht nur unter Männern, sondern auch unter Frauen für etwas gelten mochte. Der fränkische Wein tat das Seinige, eine immer steigende Verwirrung hervorzubringen, unter deren Schutze ich endlich mit Friederiken mich als offenbares Liebespaar aufführte. In spätester Nacht, bereits bei anbrechendem Tage, ging auf einem Leiterwagen die gemeinschaftliche Heimfahrt nach Würzburg vor sich: diese war der gemütliche Triumph meines anmutigen Abenteuers; während alle übrigen, auch endlich der sorgenvolle Oboist, in den dämmernden Morgen hinein ihren Rausch ausschliefen, wachte ich, an Friederikens Wange gelehnt, unter dem Gesange der Lerchen der aufgehenden Sonne entgegen.
An den darauffolgenden Tagen hatten wir kaum die Besinnung des Vorgefallenen. Eine nicht unanmutige Beschämung hielt uns voneinander zurück; jedoch gewann ich leicht den Zutritt zu ihrer Familie und war von da an täglich gern gesehen, wenn ich auf einige Stunden in unverhohlenem zärtlichem Verkehr in demselben häuslichen Kreise verweilte, von welchem der unglückliche Bräutigam ausgeschlossen blieb. Nie wurde dieses letzte Verhältnis mit irgendeinem Worte berührt, nie entstand bei Friederike auch nur annähernd der Gedanke, darin eine Änderung herbeizuführen; keinem fiel es ein, daß ich etwa an des Bräutigams Stelle treten solle. Die Zutraulichkeit, mit der ich von allen und am meisten von Friederike aufgenommen wurde, hatte ganz den Charakter eines Vorganges in der Natur, ungefähr wie wenn es Frühling wird und nun der Winter aufhört; die Berechnung[85] bürgerlicher Konsequenzen fiel keinem Menschen ein, und hierin besteht das Freundliche und Schmeichelhafte dieses ersten jugendlichen Liebesverkehrs, welcher in keiner Weise in Bedenken und Sorge erweckende Annäherung ausartete. Diese Beziehungen endeten erst mit meinem Fortgang aus Würzburg, bei welchem es noch zu dem zärtlichsten, tränenreichsten Abschied kam. Längere Zeit hielt ich die Erinnerung hieran fest, ohne jedoch eine Korrespondenz zu unterhalten. – Zwei Jahre später besuchte ich auf einer kurzen Durchreise wiederum Friederike: das arme Kind näherte sich mir in äußerster Beschämung. Ihr Oboist war ihr treu geblieben; ohne jedoch noch die Heirat mit ihm ermöglichen zu können, war sie Mutter geworden. Dann habe ich nie wieder etwas von ihr erfahren. –
Unter all diesen Lebenserregungen arbeitete ich fleißig an meiner Oper. Die gute Laune hierzu war mir durch die liebevolle Teilnahme meiner Schwester Rosalie ermöglicht worden. Als mit dem Eintritte des Sommer-Halbjahres meine Einkünfte als Chordirektor aufhörten, übernahm es von neuem die Schwester, mich mit einem ausreichenden Taschengelde treulichst auszustatten, so daß ich, um nichts bekümmert und niemand zur Last fallend, einzig der Vollendung meiner Arbeit mich hingeben konnte. Noch sehr spät habe ich einen längeren Brief von mir an Rosalie aus jener Zeit vorgefunden, welcher von einer zarten, fast schwärmerischen Liebe für dieses edle Wesen erfüllt war. – Als der Winter herannahte, mein Bruder zurückkehrte und das Theater wieder begann, trat ich zwar nicht wieder in Beziehung zu diesem, tat mich aber desto mehr in den Konzerten der Musikgesellschaft heraus, in welchen ich meine große C-dur-Ouvertüre und Symphonie, sowie endlich auch Stücke aus der neuen Oper selbst zur Aufführung brachte. Eine Dilettantin mit vorzüglicher Stimme, Fräulein Friedel, sang die große Arie der Ada; und zudem kam ein Terzett zu Gehör, welches auf meinen Bruder, der darin mitsang, bei einer Stelle, wie er mir selbst gestand, zu seiner Überraschung eine so ergreifende Wirkung machte, daß er darüber seinen Eintritt verfehlte.
Zu Weihnachten war mein Werk vollendet, meine Partitur mit rühmlichster Sauberkeit fertig geschrieben, und nun sollte ich mit Neujahr nach Leipzig zurückreisen, um dort meine Oper zur Annahme von seiten des Theaters zu bringen. Ich besuchte auf der Rückreise Nürnberg, wo ich mich bei meiner Schwester Klara und deren Manne, welche beim dortigen Theater engagiert waren, acht Tage aufhielt. Ich entsinne mich des angenehmen Behagens dieses heiteren Besuches bei denselben Verwandten, welche vor wenigen Jahren, da ich mich in Magdeburg bei ihnen aufhielt, noch in Sorge über meinen Entschluß, mich der Musik zuzuwenden, geraten waren. Jetzt war ich wirklich Musiker geworden, hatte eine große Oper geschrieben, manches bereits, ohne durchzufallen, aufgeführt: die Empfindung hiervon[86] tat mir wohl und schmeichelte nicht minder meinen guten Verwandten, welche nun doch sahen, daß das vermeintliche Unglück mit mir am Ende zu etwas geführt hatte. Ich war lustig und ausgelassen, wie es nicht nur das gesellige Haus meines Schwagers, sondern auch das gemütliche Wirtshausleben Nürnbergs sehr erleichterten. In ungemein zuversichtlicher und heitrer Stimmung kehrte ich nach Leipzig zurück, wo ich nun meiner hochbefriedigten Mutter und meiner innig erfreuten Schwester die drei kräftigen Bände meiner Partitur vorlegen konnte.
Meine Familie hatte sich durch die Rückkehr meines Bruders Julius von langer Wanderschaft bereichert. Er hatte längere Zeit in Paris als Goldschmied gearbeitet und sollte sich nun in Leipzig als solcher etablieren; auch er war mit den übrigen gespannt, etwas von meiner Oper zu hören, was allerdings seine Schwierigkeit hatte, da mir die Gabe, so etwas leicht verständlich vorzuspielen, abging und ich nur durch volle Ekstase mich in den Zustand zu bringen wußte, wo es mir möglich war, mit einigem Eindruck etwas zum besten zu geben. Rosalie wußte, daß ich es auf eine Art von Liebeserklärung ihrerseits abgesehen hatte: ich bin mir nicht klar darüber geworden, ob die Umarmung und der schwesterliche Kuß, die meine große Arie Adas, nachdem ich sie vorgesungen, lohnten, aus wirklicher Ergriffenheit oder mehr aus liebevoller Rücksicht mir gespendet wurden. Unverkennbar war dagegen der Eifer, mit welchem sie sich bei dem Direktor des Theaters, Ringelhardt, dem Kapellmeister und Regisseur für meine Oper in der Weise verwandte, daß sie Zusage der Aufführung derselben, und zwar in Bälde, erhielt. Mich interessierte es namentlich zu erfahren, daß die Direktion sich über das Kostüm meines Dramas sofort eifrig ins klare zu setzen suchte: ich war erstaunt zu hören, daß dieses »orientalisch« ausfallen sollte, während ich durch die Wahl meiner Namen genau den nordischen Charakter desselben bezeichnet zu haben glaubte: aber eben diese Namen fand man unzweckmäßig, da es Feensujets nicht im Norden, sondern nur im Orient gäbe, wie denn auch unverkennbar das Gozzische Original den orientalischen Charakter trage. Mit höchster Entrüstung kämpfte ich gegen das unausstehliche Turban- und Kaftan-Kostüm und reklamierte energisch die Rittertracht des allerentferntesten Mittelalters. – Jetzt galt es mit dem Kapellmeister Stegmayer mich über die Partitur genau zu verständigen. Dieser wunderlich kleine und dicke Mensch mit blondem Krauskopf und außerordentlich lebenslustigem Naturell war schwer zum Stichhalten zu bringen. Im Weinkeller glückte uns das Verständnis überraschend schnell; sobald wir uns jedoch ans Klavier setzten, hatte ich die sonderbarsten Einwendungen anzuhören, über deren Tendenz ich mir lange unklar blieb. Da sich durch dieses Hin- und Herziehen die Sache sehr verzog, setzte ich mit dem Regisseur der Oper, dem in Leipzig damals sehr beliebten Sänger und Kunstfreund Hauser, mich in nähere Verbindung. Mit diesem machte ich nun die wunderlichsten Erfahrungen: der Mann, der das Leipziger[87] Publikum namentlich als »Barbier« und »Engländer« in Fra Diavolo für sich gewonnen hatte, zeigte sich mir in seinem Hause plötzlich als fanatischer Anhänger der allerältesten Musik. Mit Staunen hörte ich die kaum verhohlene Geringschätzung, mit welcher selbst Mozart von ihm behandelt wurde, dagegen ihm einzig bedauerlich erschien, daß wir von Sebastian Bach keine Opern hätten. Nachdem er mir auseinandergesetzt, daß dramatische Musik noch gar nicht geschrieben worden sei und eigentlich nur Gluck Beruf dazu gezeigt habe, ging es an eine gewissenhaft erscheinende Vornahme meiner eigenen Oper, über die ich eigentlich nur sein Zeugnis für die Aufführbarkeit derselben haben wollte, statt dessen es ihm daran gelegen war, mir an jeder Nummer das Verfehlte meiner »Richtung« nachzuweisen: ich schwitzte Blut unter der unerhörten Qual, mit diesem Mann meine Arbeit durchzugehen. Meine große Niedergeschlagenheit teilte ich der Mutter und Schwester mit. Alle Verzögerungen hatten bereits dazu gedient, die Aufführung meiner Oper in der ursprünglich festgesetzten Zeit unmöglich zu machen; jetzt wurde sie auf den August des laufenden Jahres (1834) hinausgeschoben.
Eine unvergeßliche Erfahrung machte mir neuen Mut. Der alte Bierey, ein erfahrener tüchtiger Musiker und seinerzeit selbst erfolgreicher Komponist, der namentlich durch seine lange Leitung des Breslauer Theaters einen vorzüglich praktischen Blick gewonnen hatte, lebte damals, in guter Bekanntschaft auch mit meiner Familie, in Leipzig. Mutter und Schwester baten ihn, doch auch sein Urteil über die Ausführbarkeit meiner Oper abzugeben, und stellten ihm deshalb die Partitur derselben zu. Wie sehr ergriff und erschütterte es mich nun, diesen alten Herrn eines Tages unter die Meinigen treten zu sehen und ihn mit wirklicher Aufgeregtheit versichern zu hören, wie er es rein unbegreiflich finde, daß ein so junger Mann wie ich eine solche Partitur wie diese geschrieben habe. Seine Aussagen über die von ihm erkannte Größe meines Talents waren wirklich hinreißend und setzten mich in wahrhaftes Erstaunen. Da er zugleich auf die Frage, ob er das Werk für praktisch ausführbar und wirkungsvoll hielte, sein einziges Bedauern versicherte, nicht mehr selbst an der Spitze eines Theaters zu stehen, weil er dann sofort es für sein größtes Glück halten würde, einen Menschen wie mich für seine Unternehmung dauernd zu gewinnen, kehrte eine wirklich segensvolle Stimmung bei den Meinigen ein, welche einen um so gewichtigeren Grund hatte, als alle den alten Bierey keineswegs als einen gemütlichen Fasler, sondern als einen durch viele Lebenserfahrungen ziemlich trockengeriebenen Praktikus kannten. –
Die Verzögerung wurde nun mit guter Laune ertragen, und ich durfte mich eine Zeitlang hoffnungsvoll den Erwartungen der Zukunft hingeben. Unter diesen genoß ich auch den neu aufgenommenen Umgang mit Laube, welcher jetzt, trotzdem ich seinen »Kocziusko« nicht komponiert hatte, im Zenit seines Ruhmes stand. Der erste Teil seines Romanes in Briefen [88] »Das junge Europa« war erschienen und wirkte auf mich im Verein mit allem jugendlich Hoffnungsvollen, was damals in mir lebte, äußerst anregend. In seiner Tendenz, innerlichst eigentlich wohl nur eine Reproduktion des Ardinghello von Heinse, war doch das damals in jungen Geistern sprudelnde Element zum fließenden Ausdruck gebracht. Die Hauptstimmung dieser Richtung verfolgte sich eigentlich in der literarischen Kritik, welche sich hauptsächlich gegen die vermeintliche oder wirkliche Impotenz der halb klassischen Inhaber unsrer verschiedenen literarischen Throne wendete. Ohne die mindeste Schonung wurden die »Zöpfe«, unter welche man unter andren auch Tieck rechnete, als reine Belästigungen und Hindernisse für das Aufkommen einer neuen Literatur behandelt. Was mich zu einer auffallenden Wendung auch in meinem Urteil gegen sonst mit Hochachtung und Verehrung angesehene deutsche Komponisten stimmte, war zum Teil der Einfluß dieser so einladend keck sich ausnehmenden kritischen Plänkeleien, hauptsächlich aber der Eindruck eines neuen Gastspiels der Schröder-Devrient in Leipzig, welche durch ihre Darstellung des »Romeo« in Bellinis »Romeo und Julie« alles mit sich fortriß. Die Wirkung hiervon war aber auch mit gar nichts zuvor Erlebtem zu vergleichen. Das kühne seelenvolle Bild des jugendlichen Liebes-Helden auf dem Grunde einer so offenbar seichten und leeren Musik dargestellt zu sehen, forderte jedenfalls zu einem bedenklichen Nachsinnen über die Ursachen der großen Wirkungslosigkeit der gediegenen deutschen Musik, wie sie bisher auf das dramatische Genre angewandt war, heraus. Ohne mich für jetzt in dieses Nachsinnen zu tief zu verlieren, folgte ich steuerlos dem Strome meiner heiß erregten Jugendempfindungen und neigte mich unwillkürlich zum Abwenden von allem grübelnden Ernste, der mich in meinem früheren Alter zu einem so pathetischen Mystizismus gestimmt hatte. Was Pohlenz durch seine Direktion der 9. Symphonie, was das Wiener Konservatorium, Dionys Weber und mancherlei andre stümperhafte Eindrücke, durch welche mir die klassische Musik in Wahrheit eindruckslos vorgeführt worden war, noch nicht vollständig erreicht hatten, gelang dieser unbegreiflichen Wirkung der unklassischsten, italienischsten Musik durch die wunderbar zündende und entzückende Darstellung des »Romeo« durch die Schröder-Devrient. Welchen Einfluß solche mächtige und ihren Ursachen nach mir unbegreifliche Wirkungen auf mein Urteil übten, zeigte sich in der frivolen Weise, mit welcher es mir möglich ward, über Webers »Euryanthe« eine kurze Rezension für die »Elegante Zeitung« abzugeben. Diese Oper war kurz vor dem neuen Auftreten der Schröder-Devrient vom Leipziger Personal gegeben worden; kalte und matte Sänger, von denen mir namentlich die Darstellerin der Euryanthe, mit den damals modernen Reifärmeln in der Wildnis erscheinend,[89] unerquicklich im Gedächtnis ist, hatten mühsam und ohne Liebe, bloß zur Befriedigung klassischer Anforderungen zu Werke gehend, ihr möglichstes getan, auch meine schwärmerischen Jugendeindrücke selbst von Weberscher Musik zu verdrängen. Ich wußte nicht, was ich einem Gesinnungsgenossen Laubes, als er mich auf das Gequälte dieser Opernvorstellung hinwies, erwidern sollte, sobald es ihm möglich war, im Gegensatz hierzu endlich den hinreißenden Eindruck jenes Romeo-Abends anzuführen. Ich befand mich hier vor einem Problem, dessen Lösung ich eben damals gesonnen war mir so leicht wie möglich zu machen, und bewies meinen Mut, mit jedem Vorurteil zu brechen, kühnlich durch jene soeben erwähnte kurze Rezension, in welcher ich die »Euryanthe« geradewegs verhöhnte. – War ich mit meiner Studentenzeit in meine menschlichen Flegeljahre getreten, so beschritt ich nun kühn dieselbe Bahn auch in meiner künstlerischen Geschmacksentwickelung.
Es war Mai, schönes Frühlingswetter, und eine Vergnügungsreise, die ich jetzt mit einem Freunde in das gelobte Land meiner Jugendromantik, Böhmen, vornahm, sollte die ausgelassene jungeuropäische Stimmung zur rechten Blüte bringen. – Dieser Freund war Theodor Apel. Seit lange kannte ich ihn und fühlte mich von je besonders geschmeichelt durch den Gewinn seiner herzlichen Zuneigung, da ich ihm als dem Sohne des geistvollen Metrikers und Nachdichters griechischer Dichtungsarten, August Apel, diejenige achtungsvolle Vorliebe entgegentrug, die mir hier zum ersten Male den Abkömmling eines berühmten Mannes abgewann. Vermögend und in angesehenen Familienverhältnissen, bot mir sein Umgang außerdem die in meinem Leben nicht häufig vorkommenden Punkte der Berührung mit dem höheren bürgerlichen Komfort: während meine Mutter zum Beispiel diesen Umgang der hochgeachteten Familie sehr gern sah, fühlte ich mich wiederum geschmeichelt durch das Innewerden der herzlichen Wärme, mit welcher ich in solchen Kreisen aufgenommen ward. Apel wünschte nun sehnlich Dichter zu werden, und ich nahm nicht anders an, als daß er alles hierzu habe, wozu ich namentlich die volle Freiheit rechnete, welche ihm sein bedeutender Vermögensstand gestattete, da er ihn von jeder Nötigung zum Broterwerb, somit zum Betrieb von Brotwissenschaften, befreit hielt. Sonderbarerweise war seine Mutter, die an einen Leipziger Juristen wiederverheiratete Witwe des bedeutenden Vaters meines Freundes, grade in diesem Punkte sehr ängstlich und wünschte ihrem Sohne eine tüchtige Karriere als Jurist, da sie von seiner dichterischen Begabung durchaus keine vorteilhafte Meinung zu hegen sich angelegen sein ließ. Es zog mir die besondre freundschaftliche Annäherung der Dame zu, daß sie hierüber mich zu ihrer Ansicht zu bekehren suchte, um meinen intimen Einfluß auf den Freund zur Abwendung des Familienunglücks, nochmals auch in dem Sohne einen Dichter zu haben, verwendet zu wissen. Diese Zumutung reizte mich mehr, als meine eigne vorteilhafte Meinung[90] von seinem Talente es getan haben würde, den Freund in der Wahl des Dichterberufs zu bekräftigen und somit ihn in aufrührerischer Stimmung gegen seine Familie zu unterhalten. Er ließ sich das gefallen. Da er auch Musik studierte und ganz hübsch komponierte, gelang es mir, mich mit ihm in große Übereinstimmung zu setzen. Der Umstand, daß er gerade das Jahr, in welchem ich in den Abgrund der Studententorheit versank, in Heidelberg und nicht in Leipzig seine Studien machte, erhielt ihn von der Teilnahme an diesen meinen sonderbaren Ausschweifungen unberührt, und als wir uns jetzt im Frühling des Jahres 1834 in Leipzig wiedertrafen, hatte sich für unsren Umgang nur die eigentliche ästhetische Lebenstendenz aufgespart, welcher wir jetzt auch nach der Seite des Lebensgenusses hin versuchsweise eine Bedeutung zu geben strebten. Gerne hätten wir uns auf geniale Abenteuer gestürzt, wenn sie nur der Umkreis unsrer Lebensverhältnisse und der ganzen bürgerlichen Welt, welche vor uns lag, einigermaßen ermöglicht hätten. Bei aller Gespanntheit unsres Lebenstriebes brachten wir es doch nicht weiter als bis zu dem Entwurf jenes Reiseplanes nach Böhmen. Immerhin galt es schon etwas, daß wir diese Reise nicht mit Post, sondern im eignen Wagen machten, und fortgesetzt bestand unser eigentlicher Genuß darin, daß wir, zum Beispiel in Teplitz, wo wir uns mehrere Wochen aufhielten, täglich in einem schönen Wagen größere Spazierfahrten machten. Wenn wir so auf der »Wilhelmsburg« Forellen zum Abend gegessen und guten Czernoseker Wein mit Biliner Wasser getrunken, dazu uns über Hoffmann, Beethoven, Shakespeare, Ardinghello von Heinse und manches andre gehörig erhitzt hatten und nun in der dämmernden Sommernacht, in unsrem eleganten Wagen behaglich ausgestreckt, in den »König von Preußen« zurückfuhren, wo wir im ersten Stock das große Balkon-Zimmer bewohnten, glaubten wir den Tag als junge Götter verlebt zu haben und wußten vor Übermut nichts Besseres zu tun, als uns fürchterlich zu zanken, was, namentlich wenn es bei offnen Fenstern geschah, oft ängstliche Zuhörer auf dem Platz vor dem Gasthof versammelte.
An einigen schönen Morgen stahl ich mich von meinem Freunde fort, um mein Frühstück einsam auf der »Schlackenburg« zu nehmen und bei dieser Gelegenheit den Entwurf zu einem neuen Operngedicht in mein Taschenbuch aufzuzeichnen. Ich hatte mich hierzu des Sujets von Shakespeares »Maß für Maß« bemächtigt, welches ich, meiner jetzigen Stimmung angemessen, in sehr freier Weise mir zu einem Opernbuch, dem ich den Titel »Das Liebesverbot« gab, umgestaltete. Das Junge Europa und Ardinghello, geschärft durch meine sonderbare Stimmung, in welche ich gegen die klassische Opernmusik geraten war, gaben mir den Grundton für meine Auffassung, welche besonders gegen die puritanische Heuchelei gerichtet war und somit zur kühnen Verherrlichung der »freien Sinnlichkeit« führte. Das ernste Shakespearsche Sujet gab ich mir Mühe durchaus nur in diesem Sinne zu verstehen; ich sah nur den finstern, sittenstrengen Statthalter,[91] selbst von furchtbar leidenschaftlicher Liebe zu der schönen Novize entbrennend, welche, indem sie ihn um Begnadigung ihres wegen eines Liebesvergehens zum Tode verurteilten Bruders anfleht, durch Mitteilung der schönen Wärme ihres menschlichen Gefühls in dem starren Puritaner die verderblichste Glut entzündet. Daß diese mächtigen Motive im Shakespeareschen Stücke nur so reich entwickelt sind, um desto gewichtiger endlich auf der Waagschale der Gerechtigkeit gewogen zu werden, taugte mir durchaus nicht zu beachten; es lag mir nur daran, das Sündhafte der Heuchelei und das Unnatürliche der grausamen Sittenrichterei aufzudecken. Somit ließ ich das »Maß für Maß« gänzlich fallen und den Heuchler durch die sich rächende Liebe allein zur Strafe ziehen. Aus dem fabelhaften Wien verlegte ich das Sujet nach der Hauptstadt des glühenden Siziliens, in welcher ein deutscher Statthalter, über die ihm unbegreiflich freien Sitten der Bevölkerung empört, zu dem Versuch der Durchführung einer puritanischen Reform schreitet, in welchem er kläglich erliegt. Vermutlich half die Stumme von Portici einigermaßen hierbei; auch Erinnerungen an die »Sizilianische Vesper« mögen mitgewirkt haben: wenn ich bedenke, daß endlich auch selbst der sanfte Sizilianer Bellini unter den Faktoren dieser Komposition mitzählt, so muß ich allerdings über das sonderbare Quiproquo lächeln, zu welchem sich hier die eigentümlichsten Mißverständnisse gestalteten.
Dies blieb für jetzt Entwurf. Lebendige Studien zu meinem Werke sollten zuerst noch auf diesem glücklichen Ausflug nach Böhmen angestellt werden. Ich führte meinen Freund im Triumph nach Prag, um ihm die gleichen Eindrücke zu verschaffen, die mich selbst so lebhaft dort berührt hatten. Wir trafen meine schönen Freundinnen in Prag selbst an, da durch den Tod des alten Grafen Pachta sich wesentliche Veränderungen in der Familie zugetragen hatten und Pravonin nicht mehr von den hinterlassenen Töchtern besucht ward. Mein Benehmen war Übermut und Ausgelassenheit, in welchen sich die bittren Empfindungen, mit denen ich damals aus diesem Kreise schied, als launige Rachsucht aussprachen. Mein Freund fand gute Aufnahme. Die veränderten Familienverhältnisse drängten die liebenswürdigen Mädchen immer bestimmter zu einer Entscheidung in betreff ihrer zukünftigen Stellung, und ein reicher Bürgerlicher, wenn er nur nicht gerade Kaufmann war, sondern von angestammtem Vermögen, schien der sorglichen Mutter immerhin ein gutes Auskunftsmittel. Ohne irgendwelche Bosheit dabei weder zu zeigen noch zu empfinden, äußerte ich mein Behagen an den seltsamen Verwirrungen, welche Theodors Einführung in diese Familie verursachte, in den lustigsten und tollsten Streichen, aus denen einzig mein Umgang mit den jungen Damen bestand. Sie konnten nicht begreifen, mich so auffallend verändert zu finden: da war keine Streitsucht, keine Belehrungswut, kein Bekehrungseifer, nichts von alledem, was früher ihnen so lästig fiel, an mir mehr wahrzunehmen; aber auch kein vernünftiges[92] Wort war mehr aus mir herauszubringen, und sie, die gegenwärtig geneigt waren, manches ernstlich mit mir zu besprechen, erhielten nichts als die tollsten Possen von mir zur Antwort. Da ich bei dieser Gelegenheit als ausgelassener Vogel mir auch ungescheut manche Kühnheit erlaubte, gegen welche man sich ohnmächtig fühlte, reizte es meine übermütige Laune nun noch mehr, als mein Freund, durch mein Benehmen hingerissen, mich nachzuahmen versuchte, was ihm aber übel vermerkt wurde. Nur einmal kam es zu einer ernsteren Annäherung; ich saß am Klavier und hörte zu, wie mein Freund den Damen erzählte, daß ich bei einem Gasthofgespräch Veranlassung gefunden hätte, mich gegen jemand, der sich über diese Auskunft verwundert zeigte, in betreff der häuslichen und tüchtigen Eigenschaften meiner Freundinnen auf das wärmste auszusprechen. Es ergriff mich nun ungemein, an dem Erfolg dieser Mitteilung wahrzunehmen, welch üble Erfahrungen die Ärmsten bereits zu machen genötigt waren, da dieser mir so sehr natürlich dünkende Zug meines Benehmens sie wie ein ganz unerwartetes Glück rührte. Jenny kam nämlich auf mich zu, umarmte und küßte mich mit großer Wärme. Das Recht, mich fortan ausgesucht ungezogen zu benehmen, war mir nun unbestritten zuerkannt, und selbst auf Jennys warmen Erguß antwortete ich nur durch Späße und Torheiten. – In unsrem Gasthofe, dem damals so berühmten »Schwarzen Roß«, hatte sich das Feld gefunden, auf welchem ich die im Pachtaschen Hause noch nicht ermüdete übermütige Laune vollends bis zur Ausgelassenheit trieb. Aus den zufälligsten Elementen der Tisch- und Reisegäste wußten wir uns einen Anhang zu gewinnen, der bis tief in die Nacht hinein sich von uns zu den unglaublichsten Torheiten hinreißen ließ, wozu mich namentlich die Person eines sehr ängstlichen, gern aber verwegen erscheinen wollenden, ungemein kleinen Kaufmanns aus Frankfurt an der Oder anreizte, wohl schon des merkwürdigen Falles wegen, mit einem Menschen zusammenzutreffen, der eben in Frankfurt »an der Oder« zu Hause war. Wer da weiß, wie es damals in Österreich beschaffen war, wird sich einen Begriff von meiner Ausgelassenheit machen können, wenn ich berichte, daß ich es eines Mals dahin brachte, unser Konvivium im Gastsaale laut die »Marseillaise« in die Nacht hineinbrüllen zu lassen. Daß ich, nach dieser Heldentat, beim Auskleiden dann auf den äußeren Mauersimsen von einem Fenster zum andern des zweiten Stockes kletterte, erschien natürlich denjenigen entsetzlich, die meine in frühester Knabenzeit ausgebildete Neigung zu akrobatischen Übungen nicht kannten. Hatte ich unerschrocken solchen Gefahren mich ausgesetzt, so ernüchterte mich doch aber andern Morgens eine Zitation auf die Polizei, da mir die Marseillaise sehr bedenklich in das Gedächtnis zurückkehrte. Auf dem Büro durch ein sonderbares Mißverständnis lange Zeit aufgehalten, schien endlich aber für den zum Vernehmen mit mir beauftragten Kommissar die Zeit zu einem ernstlichen Verhör zu kurz geworden zu sein, und ich wurde, zu meiner großen Beruhigung, nach einigen unbedeutenden[93] Fragen nach der gewünschten Dauer meines Aufenthaltes, entlassen. Doch hielten wir es nun für rätlich, uns nicht häufig mehr den Verführungen zu ausgelassenen Streichen unter den Flügeln des Doppeladlers hinzugeben. Auf einigen Umwegen, zu denen uns die unersättliche Begierde nach Abenteuern trieb, welche in Wahrheit immer nur in unsrer Phantasie zustande kamen und äußerlich sich als sehr bescheidene Reiseunterhaltungen ausnahmen, gelangten wir endlich nach Leipzig zurück. – Und mit dieser Heimkehr schließt sich sehr bestimmt die eigentliche heitere Jugendperiode meines Lebens ab. War ich auch bis dahin nicht von ernstlichen Verirrungen und leidenschaftlichen Erregungen je freigeblieben, so trat doch erst nun die Sorge in mein Leben.
Meine Familie hatte angelegentlich auf meine Zurückkunft gewartet, um mir zu melden, daß mir die Musikdirektorstelle bei der Magdeburger Theatergesellschaft angetragen sei. Diese Gesellschaft befand sich im gegenwärtigen Sommermonat zu Gastvorstellungen in dem Bade Lauchstädt; der Direktor derselben konnte mit einem unfähigen Musikdirektor, den man ihm zugewiesen, nicht auskommen und hatte sich in seiner Not nach Leipzig gewandt, um dort einen schleunigen Ersatz zu erlangen. Kapellmeister Stegmayer, der nicht Lust hatte in der heißen Sommerzeit die Partitur meiner »Feen«, wie mir versprochen war, einzustudieren, empfahl mich eifrigst zu der Musikdirektorstelle und wußte auf diese Weise wirklich den sehr störenden Quälgeist sich vom Halse zu schaffen. Denn wünschte ich einerseits wohl gern, frei und ungebunden mich dem Strome der Kunstabenteuer überlassen zu können, so war doch auch der Trieb zur Selbständigkeit, wie sie nur durch eignen Lebenserwerb möglich war, durch den Stand meiner Verhältnisse stark in mir gekräftigt worden. Eine Ahnung sagte mir aber, daß eine solide Grundlage zur Befriedigung dieses Triebes grade in Lauchstädt nicht zu gewinnen sein möchte; auch fiel es mir schwer, so gutmütig der der Aufführung meiner »Feen« gestellten Falle behilflich sein zu sollen. Ich entschloß mich daher nur zu einem vorläufigen Besuch in Lauchstädt, um mir die Sache anzusehen.
Dieser kleine Badeort hatte zur Zeit Goethes und Schillers eine höchst rühmliche Bedeutung gewonnen; das aus Holz errichtete Theater war nach Goethes Plan ausgeführt; dort hatte die erste Aufführung der »Braut von Messina« stattgefunden. Obwohl ich mir dies alles sagte, machte der Ort doch einen sehr bedenklichen Eindruck auf mich. Ich erkundigte mich nach dem Hause des Theaterdirektors; dieser war ausgegangen: ein kleiner schmutziger Junge, sein Sohn, sollte mich nach dem Theater führen, um »Papa« aufzusuchen. Doch schon unterwegs begegnete er uns, ein ältlicher[94] Mann im Schlafrock und eine Mütze auf dem Kopf. Seine Freude, mich zu begrüßen, unterbrach er durch Klagen über große Übelkeit, gegen welche ihn sein Sohn mit einem Schnaps aus der nahegelegenen Bude versorgen sollte, wozu er ihm mit einiger auf mich berechneten Ostentation einen wirklichen Silbergroschen in die Hand drückte. Dieser Direktor war Heinrich Bethmann, der Witwer der berühmten Schauspielerin Bethmann, welche, noch der schönen Periode des deutschen Schauspiels angehörend, namentlich die Gunst des Königs von Preußen so dauernd gewonnen hatte, daß diese sich noch lange Zeit über ihren Tod hinaus selbst auf ihren Gatten fortgesetzt erstreckte. Bethmann bezog stets eine gute Pension von seiten des preußischen Hofes und genoß andauernd die Protektion desselben, ohne diese Gunst durch sein abenteuerliches und unsolides Wesen je gänzlich verscherzen zu können. Gegenwärtig war er durch anhaltendes Theaterdirektionsführen bereits auf das tiefste heruntergekommen; seine Sprache und Manieren zeigten die süßliche Vornehmheit einer vergangenen Zeit, während alles, was er tat und was ihn umgab, den unwürdigsten Verfall bezeugte. Er führte mich in sein Haus zurück, wo er mich der »Frau Direktorin« vorstellte, welche, an einem Fuße gelähmt, auf einem sonderbaren Kanapee lag, während ein ältlicher Bassist, über dessen zu große Anhänglichkeit Bethmann sich ohne alle Umstände gegen mich beklagte, an ihrer Seite seine Pfeife rauchte. Von da führte mich der Direktor zu seinem Regisseur, welcher in dem gleichen Hause wohnte. Diesem, welcher soeben in Beratungen mit dem Theaterdiener, einem zahnlosen alten Gerippe, über das Repertoire begriffen war, überließ er mich zur Abmachung alles Nötigen, worüber Herr Schmale, der Regisseur, achselzuckend lächelte, indem er mir beteuerte, das wäre so die Art des Direktors, ihm alles auf den Hals zu schicken und sich um nichts zu bekümmern: da sitze er nun und berate sich mit Kröge schon seit einer Stunde, was nächsten Sonntag herauszubringen sein könnte; er hätte gut Don Juan anzusetzen, wie aber eine Probe zustande bringen, da die Merseburger Stadtmusiker, welche das Orchester bildeten, Sonnabend nicht zur Probe herüberkommen wollten? Dabei langte Schmale beständig durch das offene Fenster nach dem Zweige eines Kirschbaumes, von welchem er sich pflückte, in einem fort aß und die Kerne mit ungemeinem Geräusch ausspuckte. Besonders dieses letzte wirkte auf mich entscheidend, da ich sonderbarerweise eine angeborne Abneigung gegen Obst habe. Ich erklärte dem Regisseur, daß er wegen des Don Juan am Sonntag sich gar nicht zu bemühen habe, da ich meinerseits, falls man auf mein Debüt bei dieser Vorstellung gerechnet hätte, dem Direktor jedenfalls auch einen Strich durch die Rechnung machen müßte, indem ich notgedrungen sofort noch einmal nach Leipzig zurückkehren müßte, um dort meine Angelegenheiten in Ordnung zu bringen. Diese höfliche Wendung meines gänzlichen Abschlages der Anstellung, welchen ich sofort bei mir beschlossen hatte, nötigte mich noch zu einiger Verstellung, durch welche ich in die Lage geriet,[95] mich in Lauchstädt noch um einiges zu bekümmern, was bei meinem Entschlusse, nicht wieder zurückzukehren, an sich ganz unnötig war. Man erbot sich mir beim Aufsuchen einer Wohnung behilflich zu sein, und ein junger Schauspieler, den ich zufällig von Würzburg her kannte, übernahm es, hierzu mein Führer zu sein. Er sagte mir, indem er mich nach der ihm bekannten besten Wohnung führe, werde er mir zugleich die Annehmlichkeit verschaffen, mich zum Hausgenossen des hübschesten und liebenswürdigsten Mädchens, welches gegenwärtig in Lauchstädt anzutreffen, zu machen: dies sei die erste Liebhaberin der Gesellschaft, Fräulein Minna Planer, von welcher ich gewiß schon gehört haben würde.
Der Zufall fügte es, daß schon unter der Tür des bewußten Hauses uns die Verheißene entgegentrat. Ihre Erscheinung und Haltung stand in dem auffallendsten Gegensatze zu all den unangenehmen Eindrücken des Theaters, welche ich soeben an diesem verhängnisvollen Morgen empfangen: von sehr anmutigem und frischem Äußern, zeichnete die junge Schauspielerin sich durch eine große Gemessenheit und ernste Sicherheit der Bewegung und des Benehmens aus, welche der Freundlichkeit des Gesichtsausdruckes eine angenehm fesselnde Würde gaben; die sorgsam saubre und dezente Kleidung vollendete den überraschenden Eindruck der sehr unerwarteten Begegnung. Nachdem ich ihr im Hausflur als der neue Musikdirektor vorgestellt war und sie überrascht den für diesen Titel so jugendlichen Ankömmling gemessen hatte, empfahl sie mich der Hauswirtin freundlich zur guten Unterkunft und ging mit stolz ruhigem Schritte über die Straße dahin in die Theaterprobe. Auf der Stelle mietete ich die Wohnung, sagte für Sonntag Don Juan zu, bereute sehr, mein Gepäck von Leipzig nicht mitgebracht zu haben, und beeilte mich schleunigst dahin zurückzukehren, um noch schleuniger wieder nach Lauchstädt zu kommen.
Das Los war geworfen. Der Ernst des Lebens trat sogleich in bedeutungsvollen Erfahrungen mir entgegen. In Leipzig hatte ich von Laube einen bedenklichen Abschied zu nehmen; er war auf die Reklamation Preußens von Sachsen ausgewiesen worden und ahnte, welche Bedeutung diesem Vorgehen beizulegen sei. Die Zeit der unverhüllten Reaktion gegen die liberalen Bewegungen der ersten dreißiger Jahre war eingetreten: daß Laube bei keinerlei politischer Aktion beteiligt war, sondern lediglich einer immer mehr nur auf ästhetische Zwecke gerichteten literarischen Tätigkeit sich hingegeben hatte, ließ uns zunächst die polizeiliche Maßregel ganz unbegreiflich erscheinen. Die widerwärtige Zweideutigkeit, mit welcher ihm von den Leipziger Behörden auf alle Anfragen wegen des Grundes seiner Ausweisung geantwortet wurde, erfüllte ihn bald mit starkem Argwohn gegen das, was man mit ihm vorhatte. Da Leipzig für das Feld seiner literarischen Tätigkeit ihm ein unersetzlich kostbarer Boden war, kam es ihm viel darauf an, sich in dessen Nähe zu erhalten. Mein Freund Apel besaß ein schönes Rittergut wenige Stunden von Leipzig auf preußischem Boden; wir faßten den[96] Wunsch, Laube dort gastfreundlich geborgen zu sehen; mein Freund, in dessen Macht es lag, ohne der gesetzlichen Bestimmung irgendwie zu nahe zu treten, dem Verfolgten ein wichtiges Asyl zu geben, ging sofort willig auf unsren Wunsch ein, eröffnete uns aber des andren Tages, nachdem er mit seiner Familie über den Fall verkehrt hatte, daß er doch sich Unannehmlichkeiten auszusetzen glaube, wenn Laube von ihm aufgenommen würde. Dieser lächelte hierzu mit einem mir unvergeßlichen Ausdrucke, von welchem ich im Laufe meines Lebens häufig bemerkte, daß er auch über meine eignen Züge glitt. Er nahm Abschied; und nach kurzer Zeit erfuhren wir, daß er auf Grund wieder aufgenommener Untersuchungen gegen ehemalige Teilnehmer der Burschenschaft gefänglich eingezogen und in der Berliner Stadtvogtei verwahrt worden war. Ich hatte hier zwei Erfahrungen gemacht, welche bleischwer sich in mich versenkten, packte meinen dürftigen Mantelsack, nahm Abschied von Mutter und Schwester und trat mit beiden Füßen entschlossen in meine Musikdirektorlaufbahn ein. –
Um das Stübchen unter der Wohnung Minnas als meine neue Heimat ansehen zu dürfen, mußte ich denn auch gute Miene gegen die theatralische Unternehmung des Direktors Bethmann machen. Wirklich kam es sofort zu einer Aufführung des Don Juan, denn diese Oper bot mir der auf Kunstgalanterie sich steifende Direktor als sinnig gewähltes Debüt für den aus guter Familie kommenden strebsamen jungen Künstler an. Obwohl ich, außer einiger meiner Instrumentalkompositionen, noch nicht, namentlich keine Oper, dirigiert hatte, ging Probe und Aufführung ziemlich gut vonstatten; nur einige Male mangelte es an Präzision im Rezitativ der Donna Anna; doch zog mir das keinerlei Feindseligkeit zu, und als ich bei »Lumpaci Vagabundus«, welchen ich vollständig einzustudieren hatte, mich rührig und unverdrossen anstellte, schien man bald allgemein volles Vertrauen in die neue Akquisition zu gewinnen. Daß ich bei dieser unwürdigen Verwendung meiner musikalischen Fähigkeiten mich ohne Bitterkeit und sogar gut gelaunt anließ, verdankte ich weniger meiner um diese Zeit, wie ich es nannte, sich in den Flegeljahren befindenden Richtung meines Geschmackes, sondern hauptsächlich dem Umgange mit Minna Planer, welche in jener Zauberposse als »Fee Amorosa« verwendet war. Immer erschien sie mitten unter dieser Staubwolke von Frivolität und Gemeinheit wirklich wie eine Fee, von der man nicht wußte, wie sie in diesen Wirbel, der sie in Wahrheit nie mit hinriß, ja kaum berührte, hineingeraten war. Während ich namentlich in den Sängerinnen der Oper nichts als jene wohlbekannten komödiantischen Karikaturen und Grimassen zu ersehen hatte, schied die schöne Schauspielerin durch ungezierte Solidität und elegante Sauberkeit, sowie durch Abwesenheit aller theatralischer Affektation und komödiantischer Gespreiztheit sich vollständig von ihrer Umgebung aus. Ein einziger junger Mensch konnte von mir wegen ähnlicher Eigenschaften, als ich sie an Minna wahrnahm, dieser an die Seite gestellt werden; dies war Friedrich Schmitt,[97] der soeben erst die theatralische Karriere ergriffen hatte, um in der Oper, zu welcher er durch eine vorzüglich schöne Tenorstimme sich berufen fühlte, sein Glück zu machen. Auch er unterschied sich von dem übrigen Personale namentlich durch den Ernst, den er auf seine Studien und seine Leistungen verwendete; der seelenvolle männliche Ton seiner Bruststimme, seine edle reine Aussprache und verständige Phrasierung sind mir stets als mustergültig in der Erinnerung geblieben. Daß er vollständig ohne theatralisches Talent war, sich ungeschickt und befangen auf der Bühne benahm, legte seiner Entwicklung bald Fesseln an; mir aber blieb er als ein gescheiter, origineller Mensch und zuverlässiger ehrenwerter Charakter als einziger Umgang wert.
Zur leidenschaftlichen Gewohnheit ward mir aber schnell der Umgang mit meiner liebenswürdigen Hausgenossin, welche dem naiv ungestümen Entgegenkommen des einundzwanzigjährigen Musikdirektors mit einer gewissen wohlwollenden Verwunderung erwiderte, die, fern von aller Koketterie und Absichtlichkeit, mir bald einen traulich freundlichen Verkehr mit ihr ermöglichte. Als ich eines Abends spät in mein Parterre-Zimmer, weil ich den Hausschlüssel nicht mit mir führte, durch das Fenster zurückkehrte, zog das Geräusch dieses Einbruches Minna an ihr über dem meinigen gelegenes Fenster; ich bat sie, immer auf meinem Fenstersims stehend, mir zu erlauben, ihr noch gute Nacht zu sagen; sie hatte nicht das mindeste dagegen, nur müsse dies vom Fenster aus geschehen, da sie ihr Zimmer stets von ihren Wirtsleuten schließen ließ und dort niemand hereinkönnte: freundlich erleichterte sie mir den Händedruck durch weites Herabbeugen ihres Oberkörpers, so daß ich die Hand, auf meinem Fenster stehend, erfassen konnte. Als ich darauf von der Gesichtsrose, an welcher ich häufig litt, ergriffen wurde und mit geschwollenem, widerlich entstelltem Gesicht mich in meiner traurigen Kammer vor aller Welt barg, besuchte mich Minna wiederholt, pflegte mich und meinte, daß das entstellte Gesicht gar nichts ausmache. Wieder genesen, besuchte ich nun sie und beklagte mich über einen an meinem Munde zurückgebliebenen Ausschlag, den ich für so unangenehm hielt, daß ich sie um Entschuldigung bäte, mich ihr damit zu zeigen; sie wollte auch dies noch erträglich finden: da meinte ich, sie würde mir doch keinen Kuß geben; wogegen sie mir sofort durch die Tat bewies, daß sie auch davor sich nicht scheue. Dies alles geschah ihrerseits mit einer freundlichen Ruhe und Gelassenheit, die fast etwas Mütterliches an sich hatte und keineswegs auf Leichtfertigkeit oder Gefühllosigkeit deutete.
Nach wenigen Wochen hatte die Gesellschaft Lauchstädt zu verlassen, um sich für den Rest des Sommers zu Gastvorstellungen nach Rudolstadt zu wenden. Es lag mir sehr daran, diese damals noch umständliche Reise in der Gesellschaft Minnas zu machen; wäre es mir gelungen, vom Direktor Bethmann mein wohlverdientes Musikdirektorengehalt richtig ausgezahlt zu erhalten, so hätte der Erfüllung meines Wunsches nichts entgegengestanden:[98] ich traf aber hierin auf außerordentliche Schwierigkeiten, die sich im Laufe verhängnisvoller Jahre in chronischer Weise zu den sonderbarsten Leiden steigerten. Schon in Lauchstädt erfuhr ich, daß es nur einen Menschen gäbe, welcher richtig sein Gehalt bezöge: dies war der Bassist Kneisel, welchen ich mit der Pfeife am Kanapee der hüftenlahmen Direktrice zuerst kennengelernt hatte. Mir wurde versichert, daß, wenn ich viel darauf hielte, dann und wann etwas von meiner Gage zu bekommen, ich dies nur durch Courmachen bei Madame Bethmann erreichen könnte. Für diesmal zog ich es vor, noch einmal meine Familie zu Hilfe zu rufen, und reiste deshalb über Leipzig, wo ich mich, zum betrübten Erstaunen meiner Mutter, mit den nötigen Subsidien zu versehen hatte, allein nach Rudolstadt. Nach Leipzig selbst aber war ich über das Gut Apels mit diesem, welcher in Lauchstädt dazu mich abgeholt hatte, gereist. Diese Abholung von Lauchstädt ist mir durch ein wüstes Gelage in Erinnerung geblieben, welches mein vermögender Freund mir zu Ehren im Gasthofe veranstaltet hatte. Bei dieser Gelegenheit nämlich war es mir und einem der Genossen gelungen, einen ungeheuren Kachelofen von massivster Bauart, wie er sich in unsrem Gasthofzimmer befand, vollständig zu demolieren. Wie das zustande gekommen, waren wir am andren Morgen sämtlich unfähig zu begreifen.
Auf dieser Reise nach Rudolstadt kam ich auch zum ersten Male durch Weimar, wo ich an einem regnerischen Tage mich nach dem Haus Goethes mit Neugier aber ohne Ergriffenheit umsah; ich hatte mir etwas andres darunter vorgestellt und erwartete mir von dem regen Theatertreiben in Rudolstadt, dem es mich hastig zudrängte, lebendigere Eindrücke. Trotzdem ich dort nun nicht selbst zu dirigieren hatte, da diese Funktion dem Dirigenten der fürstlichen Hofkapelle, welche zu unsren Leistungen hinzugezogen ward, übertragen sein mußte, war meine Beschäftigung mit dem Einstudieren der vielen Opern und Singspiele, mit welchen das Vogelschießfest-Publikum des Fürstentums um diese Zeit traktiert werden mußte, doch so stark, daß ich nie zu Ausflügen in die anmutige Gegend dieses Ländchens gelangte. Auch fesselten mich, außer diesen strengen und übel gelohnten Mühen, während der in Rudolstadt verbrachten sechs Wochen zwei Leidenschaften, zu welchen einerseits die Lust an der Ausführung des Gedichtes des »Liebesverbotes«, andrerseits meine Neigung zu Minna anschwollen. Zwar entwarf ich auch um diese Zeit eine musikalische Komposition, nämlich eine Symphonie in E-dur, deren erster Satz (3/4-Takt) als Komposition auch vollendet wurde; für Stil und Anlage war diese Arbeit durch die siebente und achte Symphonie Beethovens veranlaßt, und, soviel ich mich erinnere, glaube ich mich der Tüchtigkeit dieser Arbeit nicht geschämt haben zu dürfen, wenn ich sie vollendet oder selbst nur das Fertige mir erhalten hätte. Schon um diese Zeit bildete sich aber bei mir die Ansicht von der Unmöglichkeit aus, auf dem Gebiete der Symphonie nach dem Vorgange Beethovens noch Neues und Beachtenswertes zu leisten; wogegen die Oper,[99] für die ich mich tiefinnerlichst immer mehr ohne eigentliches Vorbild fühlte, mir in verschiedenartiger Gestalt als anreizende Kunstform sich zeigte. Unter mannigfacher leidenschaftlicher Erregung brachte ich in den wenigen mir übrigbleibenden Mußestunden den größten Teil meines neuen Operngedichtes zustande und verfuhr in bezug auf Sprache und Vers bereits mit weit größerer Sorgsamkeit als bei der Anfertigung des Textes zu den »Feen«, wie ich denn auch bei der Gestaltung und teilweisen Erfindung der Situationen mit unvergleichlich größerem Bewußtsein verfuhr, als es bei jener früheren Arbeit der Fall gewesen war.
Anderseits erfuhr ich nun auch bereits die ersten Sorgen und Bekümmernisse der verliebten Eifersucht. In Minnas bisher so unbefangenem, wohlwollendem Benehmen gegen mich ging eine mir unerklärliche Veränderung vor; es schien, daß meine naiven Bewerbungen um ihre Gunst, mit denen es in keiner Weise auf ein Verhältnis abgesehen war, sondern in welchen der erfahrene Beobachter nur den Übermut des leicht befriedigten Jünglingsbehagens erkannt haben würde, der sehr beachteten Schauspielerin Bemerkungen und Beurteilungen zugezogen hatten. Ich war erstaunt, aus ihrem Verhalten und endlich ihren Erklärungen entnehmen zu müssen, daß sie sich veranlaßt fühlte, dem Ernste meiner Bewerbungen nachzufragen sowie die Folgen derselben in Anschlag zu bringen. Minna stand, wie ich schon zuvor erfahren, in einem wirklich vertrauten Verhältnisse zu einem jungen Adeligen, den ich schon in Lauchstädt, wo er Minna besuchte, kennengelernt, und an welchem ich eine unverhohlen aufrichtige, herzliche Neigung zu Minna wahrgenommen hatte. Im Kreise ihrer Freundinnen galt sie als mit Herrn von O. versprochen, wiewohl es allseitig bald klar sich herausstellen mußte, daß an eine Verbindung der beiden nicht zu denken war, da der Liebende gänzlich ohne Vermögen, dennoch von so bedeutender Familie war, daß er sowohl seiner gesellschaftlichen Stellung wie seiner zu erwählenden Laufbahn das Opfer einer Vernunftheirat zu bringen sich genötigt sah. Hierüber schienen eben während dieser Rudolstädter Zeit bestimmte Erklärungen an Minna gelangt zu sein, welche sie ernst, ja traurig und gegen meine ungestümen Annäherungsversuche zu kühler Zurückhaltung geneigt stimmten. Jedenfalls erkannte ich bei näherer Besinnung, daß Jung-Europa, Ardinghello und Liebesverbot sich hier nicht spielen ließen, sondern daß zwischen Fee Amorosa in heitrer Theaterlaune und ehrlicher Bürger Kind, welches ein anständiges Unterkommen sucht, ein sehr bestimmter Unterschied bestand. Sehr verdrießlich und entmutigt, verschärfte ich die ausgelassenen Situationen meines »Liebesverbotes« und schwärmte des Abends mit einigen flachen Genossen im Bratwurstduft der Rudolstädter Vogelwiese umher, wo mich der Ärger sogar wieder in einige Berührung mit dem Laster des Spieles setzte, welches diesmal allerdings nur in der sehr unschuldigen Gestalt der auf offenem Markt ausgestellten Wurfel- und Roulette-Tische mich in flüchtige Fesseln schlug.[100]
Die Zeit, wo es von Rudolstadt fort endlich nach dem Hauptorte Magdeburg, zur Abhaltung der halbjährigen Wintersaison, gehen sollte, war mir sehr willkommen, vorzüglich weil ich dort auch wieder an die Spitze des Orchesters selbst treten konnte und überhaupt ein würdigeres Gedeihen meiner musikalischen Tätigkeit mir versprechen durfte. Vor meinem Einzug in Magdeburg hatte ich jedoch noch eine mühselige Zwischenzeit in Bernburg zu überstehen, für welches Direktor Bethmann, neben seinen übrigen Unternehmungen, ebenfalls Theatervorstellungen zugesagt hatte. Mit einem Bruchteile der Gesellschaft mußte ich dort im Vorbeigehen für das Herausbringen mehrerer Opern, welche wiederum der dortige fürstliche Kapellmeister dirigierte, sorgen und dazu ein kümmerliches, schlecht versorgtes, ärgerlich-komödiantisches Leben führen, was mir fast – wenn nicht für immer, doch für diesmal – das fatale Theatermusikdirektoren-Metier gründlich verleidet hätte. Doch ging es vorüber, und – Magdeburg sollte mich nun zur eigentlichen Glorie meines erwählten Berufs führen.
Es war nicht ohne Reiz für mich, an demselben Dirigentenpult, an welchem vor noch nicht langen Jahren Meister Kühnlein dem konfusen jugendlichen Enthusiasten durch gewiegte Musikdirektoren-Weisheit imponierte, mich nun selbst bald als Meister zu fühlen: denn es glückte mir in der Tat sehr bald, mir eine vollkommene Sicherheit in der Orchesterdirektion anzueignen. Von den tüchtigen Musikern des Orchesters war ich in kurzem gern gesehen, und ihr gutes Zusammenspiel trug uns gemeinschaftlich bei feurigen Ouvertüren, welche ich namentlich gegen das Ende gewöhnlich in unerhört schnellem Tempo spielen ließ, oft den berauschenden Applaus des Publikums ein. Die Leistungen meines feurigen, oft übermütigen Eifers wurden, wie sie mir auch die Zuneigung des Sängerpersonals gewannen, vom Publikum mit freudiger Anerkennung beachtet; da in Magdeburg, wenigstens zu jener Zeit, von dem Theaterrezensentenwesen noch wenig sich ausgebildet hatte, sprach sich diese allgemeine Zufriedenheit mit mir auf angenehm ermutigende Weise aus, und am Ende des ersten Vierteljahres meiner Magdeburger Musikdirektion fühlte ich mich von dem schmeichelhaft behaglichen Bewußtsein, der eigentliche Matador der Oper zu sein, getragen. In der Voraussetzung eines besondern Erfolges unter solchen Umständen, verfaßte der seitdem mir herzlich geneigt gewordene Regisseur Schmale ein Festspiel für den Neujahrstag, zu welchem ich die nötige Musik anfertigen sollte. Dies geschah in größter Geschwindigkeit; eine rauschende Ouvertüre, mehrere Melodramen und Chöre gelangen in größter Eile ganz nach Wunsch und trugen uns, was bei solchen Gelegenheitsstücken ohne eigentliche festliche Veranlassung außer aller Gewohnheit war, so reichlichen Beifall ein, daß wir diesen Neujahrsgruß mit gutem Glück wiederholen durften.
Die Zeit dieses Jahreswechsels (1835) ward mir außerdem zu einem entscheidenden Wendepunkte meiner Lebensbeziehungen. Seitdem wir in Rudolstadt[101] unsren Umgang abgebrochen und uns ziemlich aus den Augen verloren hatten, setzte sich, seit unsrem Wiedersehen in Magdeburg, das Verhältnis zwischen Minna und mir in kühler und absichtlich nachlässiger Weise fort. Ich erfuhr, daß sie hier, wo sie bei ihrem Auftreten vor einem Jahre namentlich als schönes Mädchen große Aufmerksamkeit erregt hatte, von einigen jungen adeligen Herrn besonders gefeiert wurde und gegen die Auszeichnung, von ihnen Besuche zu empfangen, sich nicht unempfindlich erwies. Blieb ihr Ruf, dank ihrem stets schicklichen und ernsten Benehmen, wirklich unangetastet, so war doch meine Abneigung gegen Umgang dieser Art, vielleicht schon durch die Erinnerung an meine Leiden im Pachtaschen Hause in Prag, stark ausgebildet worden. Versicherte mir Minna, daß diese Herrn sich bei weitem bescheidener und dezenter benähmen als Theaterliebhaber aus dem bürgerlichen Stande und namentlich auch als gewisse junge Musikdirektoren, so gelang es ihr doch nie, meiner Bitterkeit und streitsüchtigen Laune, welche sich gegen diese ihre Neigung aussprach, Herrin zu werden. So verbrachten wir drei unerquickliche Monate in zunehmender Entfernung voneinander, während ich mit halb verzweifelter Wahllosigkeit mir Gefallen an dem allerdiffusesten Umgange vorlog und nach jeder Seite hin mich so auffällig leichtfertig gehenließ, daß Minna, wie sie mir später versicherte, dadurch zu ernstlicher, mitleidvoller Besorgnis um mich bewogen wurde. Da es auch nicht fehlte, daß von seiten des weiblichen Personales der Oper dem jungen Musikdirektor nicht unbedenkliche Aufmerksamkeiten erwiesen wurden, und namentlich eine nicht im besten Ruf stehende junge Dame offenbar ihre Netze nach mir auswarf, schien diese Sorge Minnas zu einem entscheidenden Entschluß angeregt zu sein. Ich kam auf den Gedanken, am Silvesterabend auf meinem Zimmer die wunderliche Elite unsres Opernpersonals mit Austern und Punsch zu traktieren. Die Männer waren mit ihren Frauen eingeladen, und nun handelte es sich darum, ob ich auch das unverheiratete Fräulein Planer dazu vermögen würde, an meinem Feste teilzunehmen: mit großer Unbefangenheit nahm sie an und erschien wie immer sauber und dezent in meiner Junggesellenwirtschaft, in welcher es bald toll genug herging. Der Wirt war von mir zuvor von dem Sturm, der in seinem Hause sich erregen würde, benachrichtigt und wegen des Ersatzes möglicher Schäden an seinem Mobiliar beruhigt worden. Was dem Champagner noch nicht gelungen war, glückte endlich dem Punsch: alle Fesseln der dürftigen Konvenienz, mit welcher meine Gesellschaft sich für gewöhnlich zu behelfen suchen mußte, wurden gesprengt, und allgemeine Liebenswürdigkeit trat, von keiner Seite bestritten, ein. Hier entschied es sich denn nun, durch welch königlich ruhigen Anstand Minna sich vor all ihrer Genossenschaft auszeichnete. Nie verlor sie die würdigste Haltung; niemand wagte sich ihr zutraulich zu nähern; und desto bedeutender, ja endlich völlig ernüchternd, wirkte es dagegen auf alle, als Minna ohne alle Scheu meine freundlichen und innigen Zärtlichkeiten erwiderte, wodurch es[102] denn nun der ganzen Genossenschaft klarwurde, welch besondre, mit keinem andren Verhältnis zu vergleichende Bewandtnis es zwischen uns beiden hatte. Wir hatten die sonderbare Genugtuung, die übel berufene junge Frau, welche es offenbar auf mich abgesehen hatte, über diese Entdeckung in Krämpfe geraten zu sehen.
Von nun an blieb ich mit Minna fortgesetzt in innig befreundetem Verkehr. Ich glaube nicht, daß sie je eine irgend an Leidenschaftlichkeit grenzende Neigung, den eigentlichen Affekt der Liebe für mich empfand oder überhaupt wohl zu empfinden fähig war, und kann dagegen ihr Gefühl für mich nur als das des herzlichsten Wohlwollens, des innigsten Wunsches für mein Gedeihen und Wohlergehen, der freundlichsten Teilnahme und des gutgelaunten Gefallens an meinen sie oft mit Verwunderung erfüllenden Eigenschaften, welches alles ihr endlich zu einer steten und behaglichen Gewohnheit wurde, bezeichnen. Offenbar hatte sie eine sehr günstige Meinung von meinem Talente und fühlte sich von meinen so schnellen Erfolgen auf fesselnde Weise überrascht; mein exzentrisches Wesen, welches sie durch ihre launige Ruhe sehr angenehm zu temperieren wußte, reizte sie zur fortgesetzten Ausübung dieser ihrem Selbstgefühl schmeichelnden Macht, und ohne mir je irgendein Verlangen, ein Sehnen, oder gar Glut zu zeigen, setzte sie meinem Ungestüm doch durchaus keine Kälte entgegen. – Ich hatte beim Magdeburger Theater die wirklich interessante Bekanntschaft einer bereits nicht mehr ganz jugendlichen Schauspielerin, welche das sogenannte »Anstandsfach« spielte, gemacht: Mme Haas trat meiner Teilnahme sofort in besondrem Grade nahe, da sie sich mir als Jugendfreundin Laubes, an dessen Schicksal sie fortgesetzt einen innigen und bedeutenden Anteil nahm, zu erkennen gab. Sie war geistreich und sehr unglücklich, wozu namentlich ein in ihren vorgerückteren Jahren immer unangenehmer sich ausprägendes unvorteilhaftes Äußere mit beitrug. Mit einem Kinde lebte sie in spärlichen Verhältnissen und schien sich besserer Zeiten mit bittrer Wehmut zu erinnern. Ich fand mich, anfänglich namentlich um von ihr Auskunft über Laubes Schicksal zu erhalten, häufig und endlich sogar gewohnheitsmäßig bei ihr ein. Da sie mit Minna sich befreundete, brachten wir drei oft trauliche Abende in gemeinsamem Verkehr zu; einigermaßen getrübt wurde diese Traulichkeit jedoch, als sich bei der älteren Freundin einige Eifersucht auf die jüngere einzustellen schien, und namentlich verdroß es mich, von jener das Talent und die geistige Begabung Minnas kritisiert zu sehen. Eines Abends hatte ich versprochen, bei Minna in Gesellschaft der älteren Freundin den Tee zu nehmen. Unvorsichtigerweise hatte ich mich zuvor bei einer Partie Whist engagiert, welche, trotzdem sie mich sehr langweilte, von mir dennoch in der Absicht verlängert wurde, erst spät Minna zu besuchen, um die mir unbequem gewordene Genossin bis dahin entfernt zu wissen. Dies[103] gelang mir nur durch Hilfe geistiger Getränke, und so erlebte ich das Sonderbare, von einer nüchternen Whistpartie in vollkommen berauschtem Zustand aufzustehen, in welchen ich so ganz unmerklich geraten war, daß ich durchaus nicht an ihn glauben wollte. Diese Ungläubigkeit verführte mich, meinen späten Teebesuch noch abzustatten: zu meinem ungeheuren Ärger traf ich die ältere Freundin noch an, was sofort meinen Rausch zum heftigsten Ausbruch brachte; denn als die Dame ihre Verwunderung über mein sonderbar heftiges und abstoßendes Benehmen gegen sie in scherzhaft gemeinten Ausrufen kundtat, verspottete ich sie auf so grobe Weise, daß sie entrüstet sofort das Haus verließ. Ich behielt hierauf nur noch so viel Besinnung, das herzlich verwunderte Lachen Minnas über mein unerhörtes Benehmen wahrzunehmen. In gutgelaunter Ruhe vermochte sie sich dann selbst schnell zu einem immerhin schwierigen Entschlusse zu fassen, da mein Zustand bald so bedenklich ward, daß, ohne großes Aufsehen zu erregen, an mein Fortgehen oder Nach-Haus-Schaffen nicht zu denken war. Ihr Bedauern mit mir kam dazu; sie verschaffte mir die nötigen Erleichterungen, und da ich bald in tiefen Schlaf versank, räumte sie mir ohne Zagen ihr Bett ein, wo ich denn dem wunderlichen Tagesgrauen entgegenschlief, welches, da ich erkannte, wo es mich weckte, mir ein an diesen Morgen sich knüpfendes langes, unendlich verhängnisvolles Lebensverhältnis mit unabweisbar wachsender Klarheit beleuchtete. – Die geahnte Sorge war in mein Leben getreten. – Ohne leichtfertigen Scherz, ohne Übermut und irgendwelche lustige Laune zu zeigen, frühstückten wir ehrbar und sittsam miteinander, um zu der Zeit des Vormittags, wo dies unter so bedenklichen Umständen ohne Aufsehen möglich wurde, mit Minna einen langen Spaziergang vor die Tore der Stadt zu machen. Dann trennten wir uns, um fortan als offenes Liebespaar frei und ohne Scheu unseren zärtlichen Interessen nachzugehen. –
Die sonderbare Richtung, in welche allmählich mein musikalisches Treiben geraten war, erhielt neue Bekräftigung durch die Erfolge wie durch die Mißerfolge, welche um diese Zeit meinen Bestrebungen zuteil wurden. In einem Konzert der Logengesellschaft führte ich in sehr empfehlender Weise die Ouvertüre zu meinen »Feen« auf und erhielt dafür großen Beifall: zu gleicher Zeit erhielt ich aber die Bestätigung des üblen Verfahrens der Leipziger Theaterdirektion in betreff der versprochenen Aufführung dieser Oper selbst. Bereits setzte mich der Beginn der Komposition des Liebesverbotes in eine Stimmung, in welcher ich bald alle Teilnahme für jene ältere Arbeit verlor, so daß ich mit stolzem Gleichmut von jeder Bemühung, dieselbe in Leipzig noch zur Aufführung zu bringen, abstand und mit dem soeben erhaltenen Erfolge der Ouvertüre allein mich genügend für meine erste Oper belohnt hielt. Dagegen fand ich bei aller Zerstreuung in der kurzen Zeit dieses ersten Magdeburger Theater-Halbjahres Zeit, um, neben andren Arbeiten, bereits vieles von der neuen Oper fertigzumachen. In[104] einem Konzert, welches wir im Theater gaben, brachte ich bereits zwei Duette daraus zur Aufführung, deren Ausfall mich genügend antrieb, mit bester Laune an meinem Werke fortzuarbeiten. – In der zweiten Hälfte der Saison besuchte mich auch Freund Apel, um im Glanze meiner neuen Musikdirektorenwonne sich zu sonnen. Er hatte ein Drama, Kolumbus, geschrieben, welches ich der Direktion zur Aufführung empfahl. Nichts war leichter, als diese Gunst zu erreichen, da Apel sich erbot, eine neue Dekoration, die Alhambra vorstellend, auf seine Kosten malen zu lassen und außerdem dem in seinem Stück beschäftigten Personal, welches sämtlich unter der andauernden Bevorzugung des Bassisten Kneisel seitens der Direktrice in seinen Gagenbezügen empfindlich beeinträchtigt blieb, manche gelegentliche Erleichterung und Verannehmlichung seiner gedrückten Lage in Aussicht stellte. Das Stück selbst schien mir sehr viel Gutes zu enthalten; es stellte das Ringen und die Kämpfe des großen Seefahrers bis zu seiner Abfahrt auf seine erste Entdeckungsreise dar. Mit dem verheißungsvollen und, dem Erfolge nach, aller Welt bekannten Auslaufen seiner Schiffe aus dem Hafen von Palos schloß das Drama, welches sich, selbst nach dem Urteil meines Onkels Adolf, dem es Apel auf meinen Wunsch vorgelegt hatte, durch die lebhaften und charakteristischen Volksszenen besonders auszeichnete, während ein eingeschobener Liebesroman sich unbehilflich und matt ausnahm. Außer einem kleinen Chor der aus Granada verwiesenen Mauren auf ihrem Auszuge aus der gewohnten Heimat und einem kurzen Orchesterstück am Schluß, komponierte ich in übermütigster Schnelligkeit auch eine Ouvertüre zu dem Stücke meines Freundes. Den vollständigen Entwurf dazu schrieb ich eines Abends bei Minna nieder, während ich Apel gestattete, mit meiner Geliebten nach Herzenslust sich laut zu unterhalten. Die Wirkung dieses leider ungemein flüchtig ausgeführten Tonstückes war auf einen einfachen, aber in seiner Wendung überraschenden Grundgedanken berechnet: das Orchester schilderte, in nicht gerade mühsam gewählten Figurationen, das Meer und je nach Belieben auch das Schiff darauf: ein gewaltsames, sehnsüchtig verlangendes und strebendes Motiv war das einzige Erfaßbare in dem Gewoge der Umgebung. Dieses Ensemble ward nun wiederholt und jäh abspringend durch ein fremdartiges, im größten pianissimo unter dem dämmernden Schwirren der hohen Violinen gleichsam als Fata Morgana sich darstellendes Motiv unterbrochen. Ich hatte drei Paar Trompeten in verschiedenen Stimmungen dazu bestellt, dieses prächtig und verlockend dämmernde Motiv in zartester Färbung und in den verschiedenartigsten Modulationen vorzutragen: dies war das geahnte Land, nach welchem des Helden Blick ausspäht, das er wiederholt schon wirklich zu erkennen wähnt, das immer wieder im Ozean verschwindet, endlich aber, nach äußerster Anstrengung des Suchenden und Strebenden, in Wahrheit und dem Auge alles Seevolkes deutlich erkenntlich, als ungeheures Land der Zukunft am Morgenhimmel aufsteigt. Meine sechs Trompeten vereinigten[105] sich jetzt in der Haupttonart, um das ihnen bestimmte Motiv nun in prachtvollstem Jubel ertönen zu lassen. Mit der Vorzüglichkeit der preußischen Regimentstrompeter vertraut, hatte ich sehr richtig auf einen hinreißenden Effekt namentlich meines Schlußsatzes gerechnet: die Ouvertüre setzte alles in Erstaunen und trug stürmischen Beifall davon. Das Stück selbst wurde ohne Würde gespielt, und namentlich verdarb ein eitler Komödiant, Ludwig Meyer, welcher zugleich die Regie führte und dadurch sich verhindert erklärte, seine Rolle gehörig auswendig lernen zu können, auf Apels Kosten seine Garderobe jedoch durch eine Unzahl prachtvoller Kostüme bereichert hatte, welche er als Kolumbus nach und nach sich überzog, die Hauptrolle gänzlich. Immerhin hatte Apel eine wirkliche Aufführung eines Stückes von sich erlebt, das zwar keine Wiederholung erfuhr, mir jedoch Gelegenheit verschaffte, durch die verlangte Wiederaufführung meiner Ouvertüre in Konzerten meine Popularität beim Magdeburger Publikum zu vermehren.
Das Hauptereignis dieser Theatersaison trug sich jedoch gegen deren Ende zu. Ich hatte Frau Schröder-Devrient, welche sich in Leipzig aufhielt, vermocht, zu einigen Gastrollen auch zu uns herüberzukommen. Ich selbst hatte nun die große Genugtuung und genoß die begeisternde Erregung, zweimal die Opern, in welchen sie sang, zu dirigieren und so mit ihr im unmittelbaren künstlerischen Zusammenwirken mich zu befinden. Sie trat als »Desdemona« und »Romeo« auf: namentlich im letzteren exaltierte sie auch hier wiederum alles und erfüllte mich von neuem mit Feuer und Glut. Diesmal trat ich denn auch in näheren persönlichen Verkehr mit ihr, wobei sie sich so freundlich und teilnehmend für mich erwies, daß sie mir aus freien Stücken ihre Mitwirkung bei einem Konzerte, welches ich zu meinem Vorteil zu geben beabsichtigte und zu welchem sie eigens nach einer kurzen Verreisung wiederzukehren hatte, anbot. Der Ausfall dieses Konzerts, von welchem ich mir unter solchen Umständen das Günstigste erwarten durfte, hatte für meine Verhältnisse eine ganz besonders wichtige Bedeutung angenommen. Die an und für sich geringe Gage, welche ich von der Magdeburger Direktion zu erhalten gehabt hätte, war dadurch, daß das, was ich von ihr erhielt, mir in höchst unregelmäßigen kleinen Raten zukam, völlig illusorisch geworden, so daß ich meine Lebensbedürfnisse, und namentlich meine Ausgaben für häufiges Traktieren meiner wunderlichen Sänger und Musiker-Klientele, nur auf eine Weise hatte bestreiten können, die schließlich sich mir als eine nicht unbeträchtliche Anzahl von Schulden verdeutlichte. Zwar wußte ich nicht klar, wie hoch sich diese beliefen, glaubte mir aber einen vorteilhaft unbestimmten Begriff von der Höhe meiner Konzerteinnahme ebenfalls machen zu dürfen, wodurch beide Undeutlichkeiten sich aufheben sollten, und vertröstete daher meine sämtlichen Gläubiger auf diese fabelhafte Einnahme, von welcher sie am Tage nach dem Konzert bezahlt werden sollten, indem ich sie sämtlich für den Morgen dieses glücklichen[106] Tages in den Gasthof, welchen ich jetzt am Schluß der Saison bezogen hatte, bestellte. Gewiß lag nichts Unnatürliches darin, daß ich bei der Mitwirkung der so enthusiastisch gefeierten großen Künstlerin, welche eigens zu diesem Zwecke nochmals nach Magdeburg zurückkehrte, auf die erdenklich höchste Einnahme rechnete und deshalb in bezug auf musikalischen Luxus durch das Engagement eines vorzüglich großen Orchesters und Bestellung zahlreicher Proben mich rücksichtslos gegen die hierdurch verursachten Kosten benahm. Unglücklicherweise wollte aber niemand daran glauben, daß die berühmte Frau, welche ihre Zeit als ein kostbares Kapital ansehen durfte, dem kleinen Magdeburger Musikdirektor zulieb von weit her wirklich noch einmal zurückkehren würde. Fast allgemein hielt man daher die pomphafte Ankündigung ihrer Wiederkunft für ein betrügerisches Manöver und war in dieser Annahme namentlich über die hohen Preise des Konzertentrees entrüstet. Als Folge hiervon zeigte sich, daß der Saal nur dürftig besetzt war, was mir zunächst meiner freundlichen Gönnerin wegen, welche, wie ich nicht gezweifelt hatte, pünktlich zu meiner Unterstützung erschien und die nun das ihr höchst Ungewohnte erleben sollte, vor einem sehr spärlichen Publikum zu erscheinen, große Pein verursachte. Glücklicherweise blieb sie wenigstens guter Laune (was, wie ich später erfuhr, jedoch noch andre, mich durchaus nicht persönlich betreffende Gründe hatte) und sang unter andrem Beethovens Adelaïde, welche ich ihr zu meinem eignen Erstaunen auf dem Klavier begleitete, hinreißend schön. Ein andres unerwartetes Mißgeschick traf mein Konzert durch die Wahl der Orchesterstücke, welche in dem kleinen, übermäßig resonierenden Saal des Gasthofs Zur Stadt London von unerträglich lärmender Wirkung waren. Meine Kolumbus-Ouvertüre mit ihren sechs Trompeten hatte bereits alle Zuhörer mit Entsetzen erfüllt; nun kam aber zum Schlusse die Schlacht bei Vittoria von Beethoven, welche ich, in enthusiastischer Erwartung der reichlichen Entschädigung durch unerhörte Einnahmen, mit allem nur erdenklichen Orchesterluxus ausgestattet hatte. Geschütz- und Gewehrfeuer war durch besonders konstruierte kostbare Maschinen, sowohl auf der französischen wie auf der englischen Seite, mit größter Vollständigkeit organisiert, Trommeln und Signalhörner verdoppelt und verdreifacht; und nun begann eine Schlacht, wie sie grausamer wohl selten in einem Konzert geschlagen wurde, da das Orchester mit so entschiedener Übermacht auf das geringe Auditorium sich stürzte, daß dieses jeden Widerstand endlich vollständig aufgab und buchstäblich die Flucht ergriff. Frau Schröder-Devrient, welche freundlich verblieben war, um in einer der ersten Reihen der Aufführung vollends mit beizuwohnen, vermochte, so viel sie auch schon Schrecken dieser Art ertragen haben mochte, selbst aus Freundschaft für mich nicht Widerstand zu halten; und als auch sie endlich bei einem neuen verzweifelten Angriff der Engländer auf die französischen Positionen fast händeringend die Flucht ergriff, ward dies zum Zeichen eines wahrhaft panischen Schreckens. Alles[107] stürzte davon, und die Feier des Sieges Wellingtons ward schließlich zu einem traulichen Erguß zwischen mir und dem Orchester allein. – So endete dieses denkwürdige Musikfest. Die Schröder-Devrient reiste alsbald weiter und überließ mich, den Mißerfolg ihres guten Willens bedauernd, freundlich meinem Schicksal. Nachdem ich bei der bekümmerten Geliebten Trost gesucht und für die Schlacht des folgenden Tages, die vermutlich ohne Siegessymphonie enden sollte, mich zu rüsten versucht hatte, kehrte ich nun andern Morgens nach meinem Gasthofzimmer zurück, zu welchem ich jedoch nur durch eine lange Doppel-Reihe von Herren und Damen gelangen konnte, welche ihrer besondren Anliegen wegen zuvor für diese Morgenstunde dahin beschieden worden waren. Ich behielt mir das Recht vor, die einzelnen meiner Besucher mir auszuwählen, mit welchen ich der Reihe nach verkehren wollte; und so führte ich zunächst den zweiten Trompeter des Orchesters, welcher Kasse und Musik besorgt hatte, in mein Gemach. Aus seinen Berechnungen ging hervor, daß bei den hohen Honoraren, welche ich in großmütigem Enthusiasmus dem Orchester zugesichert hatte, noch einige Taler und Silbergroschen aus meiner Tasche auf die Kosten bezahlt werden sollten. Dies ward abgemacht, und der Stand der Dinge war klar. Nun lud ich Mme Gottschalk, eine vertrauungsvolle Jüdin, vor allem ein, sich mit mir über die vorliegenden dringenden Angelegenheiten ins Vernehmen zu setzen. Sie sah ein, daß hier auf eine außerordentliche Hilfe gerechnet werden müßte, an der es mir ja wohl bei meinen vermögenden Bekanntschaften in Leipzig nicht fehlen könnte, und übernahm es somit verständigerweise, den übrigen Gläubigern, gegen welche sie ihres unschicklichen Erscheinens wegen sich sehr aufgebracht zeigte, beruhigende Versicherungen zu machen, durch welche es, wenn auch nicht ohne bedauerliche Beschwerden, endlich gelang, den Korridor vor meinem Zimmer wieder praktikabel zu machen.
Die Theatersaison war zu Ende, die Gesellschaft ihrer Auflösung nahe und ich meiner Anstellung ledig; der Theaterdirektor war vom chronischen zum akuten Bankrott übergegangen; er bezahlte mit Papiergeld, nämlich mit ganzen Bogen von Logenbilletten zu Vorstellungen, von denen er versicherte, daß sie stattfinden würden. Minna, die aus diesen sonderbaren Schatzscheinen durch große Klugheit noch einigen Vorteil zu ziehen wußte, immer sparsam und vorsorglich lebte, außerdem, da nur die Oper vollständig aufgelöst war, während das Schauspiel vorläufig auf Rechnung der Mitglieder sich aktiv erhielt, dem Theater noch angehörig blieb, entließ mich bei meiner nötigen Heimkehr nach Leipzig mit dem herzlichen Wunsche, uns bald wieder zu vereinigen, und versprach mir, einen bald anzutretenden Urlaub zu einem Besuch ihrer Eltern in Dresden zu benutzen, bei welcher Gelegenheit sie in Leipzig mich zu besuchen gedachte.
So flüchtete ich denn Anfangs Mai mich wieder in die Heimat zu den Meinigen, um nach diesem ersten Versuche zur Erlangung meiner bürgerlichen Selbständigkeit zunächst mich mit dem Auftreiben des Geldes zu[108] beschäftigen, welches ich für diesen Versuch in Magdeburg schuldig geblieben war. Ein sehr intelligenter brauner Pudel begleitete mich von Magdeburg aus getreulich und ward meiner Familie als einziger erworbener Besitz zu Unterkunft und Pflege empfohlen. Immerhin schöpften die Mutter und Rosalie aus dem Umstande, daß ich doch jedenfalls die Musikdirektion zu führen imstande gewesen sei, gute Hoffnung für meine zukünftige Laufbahn. Mir ließ jedoch der Gedanke, wieder in mein früheres Familienverhältnis zurückzukehren, keine Ruhe; namentlich spornte mein Verhältnis zu Minna mich an, so bald wie möglich in meine unterbrochene Laufbahn wieder einzutreten. Am deutlichsten drängte sich mir die große Veränderung, welche in diesem Bezug mit mir vorgegangen, auf, als Minna auf ihrer Durchreise sich einige Tage mir zuliebe in Leipzig aufhielt und durch ihre trauliche, liebenswürdige Erscheinung mich daran gemahnte, daß die Zeiten der patriarchalischen Familienabhängigkeit für mich erloschen wären. Ich beriet mich mit ihr über mein Wiederengagement bei dem Magdeburger Theater, versprach ihr meinen baldigen Besuch in Dresden und veranstaltete ihr Bekanntwerden mit meiner Mutter und Schwester durch die von diesen erbetene Erlaubnis, sie eines Abends zum Tee in das Haus bitten zu dürfen. Bei dieser Gelegenheit ward es Rosalie ersichtlich, wie es mit mir stand; doch nahm sie davon keinen weiteren Anlaß, als mich wegen meiner Verliebtheit zu necken. Die Sache schien somit nicht gefährlich; in mir sah es jedoch anders aus, da diese verliebte Neigung mit meinem Hang zur Unabhängigkeit und mit meinem Wunsche, in der Kunstwelt mir eine Stellung zu machen, ganz von selbst zusammenfiel. –
Meine Abneigung gegen Leipzig selbst ward außerdem durch die Wendung, welche in dem dortigen Musikwesen um diese Zeit eintrat, vermehrt. Während ich in Magdeburg mit leichtsinnigem Versinken in den frivolen Theatergeschmack meine Musikdirektorenlaufbahn begründete, hatte Mendelssohn-Bartholdy gleichzeitig durch sein persönliches Auftreten als Dirigent der Gewandhaus-Konzerte eine für sich und namentlich für den Leipziger Musikgeschmack bedeutungsvolle Epoche eröffnet. Mit der Naivetät des Leipziger Publikums, mit welcher es bis dahin die Produktionen seiner gemütlichen Abonnement-Konzerte beurteilt hatte, war es nun zu Ende; und als ich in einem Benefiz-Konzert der beliebten jugendlichen Sängerin Livia Gerhart, durch meines damals noch nicht gänzlich beseitigten guten alten Pohlenz' Vermittlung, meine in Magdeburg so stark bejubelte Kolumbus-Ouvertüre zur Aufführung brachte, fand ich zu meinem Erstaunen, daß die Musikfreunde Leipzigs plötzlich eine Geschmacksrichtung gewonnen hatten, welcher ich selbst mit der so gewandten Kombination meiner sechs Trompeten nicht beizukommen vermochte. Diese Erfahrung bestärkte mich in meinem Widerwillen gegen alles, was irgendwie klassischen Duft affektierte, und ich geriet hierbei in eine wunderliche Übereinstimmung mit dem braven Pohlenz, welcher in gutmütigen Seufzern den Untergang der guten[109] alten Zeit beklagte. – Die Abhaltung eines Musikfestes in Dessau, unter Friedrich Schneiders Leitung, bot mir einen willkommenen Anlaß, mich von Leipzig zu entfernen. Zu dieser Reise, welche man zu Fuß in sieben Stunden zurücklegte, hatte ich mir einen auf acht Tage lautenden Paß zu verschaffen: dieses Aktenstück war berufen, lange Jahre in meinem Leben eine wichtige Rolle zu spielen; denn es war und blieb das einzige Dokument, welches später wiederholt und in den verschiedensten Ländern Europas mich in polizeilichem Sinne zu beschützen berufen war, da ich, wegen Umgehung meiner Militärpflichtigkeit in Sachsen, von da an bis zu meiner Anstellung als Dresdener Kapellmeister nie wieder in den Besitz eines regelmäßigen Passes gelangen konnte. Der Kunstgenuß, zu welchem er mir diesmal das Geleite gab, war von so wenig wohltätiger Bedeutung, daß er mich im Gegenteil in meinem Klassizitätshaß bestärkte. Von einem Manne, dessen Physiognomie, ähnlich der eines besoffenen Satyrs, mich mit unüberwindlichem Abscheu erfüllte, hörte ich die Beethovensche C-moll-Symphonie, trotz einer unabsehbaren Reihe von Kontrabässen, mit welchen gewöhnlich auf Musikfesten kokettiert wird, so ausdruckslos und nichtssagend aufführen, daß ich den wiederholt wahrgenommenen unbegreiflichen Abstand zwischen dem in mir lebenden Phantasiebild von diesen Werken und der stets einzig nur von mir gehörten lebendigen Aufführung derselben als ein beängstigendes und abschreckendes Problem empfand, von dessen Lösung ich mich verdrossen abwandte. Diese gequälte Stimmung durch Anhörung des Oratoriums Absalon des »Altmeisters« Schneider in das Burleske gezogen zu sehen, erheiterte und beruhigte mich für jetzt.
In Dessau, wo Minna ihr erstes Debüt beim Theater begangen hatte, hörte ich über diese von leichtfertigen jungen Menschen in dem Tone reden, in welchem gemeinhin junge schöne Schauspielerinnen in solchen Kreisen besprochen werden. An meinem Eifer, derartiges Geschwätz zu widerlegen und die Verleumder zu beschämen, ward ich der leidenschaftlichen Teilnahme, welche mich der Geliebten nachzog, immer mehr inne. Ich kehrte, ohne meinen Verwandten mich zu zeigen, nach Leipzig zurück, wo ich mir die Mittel zu einer sofortigen Reise nach Dresden zu verschaffen wußte. Auf der Hälfte des Weges dorthin, welchen man damals noch im Eilwagen zurücklegte, begegnete ich bereits Minna, in der Begleitung einer ihrer Schwestern soeben auf der Rückreise nach Magdeburg begriffen. Ich verschaffte mir alsbald eine Postkarte zur Rückfahrt nach Leipzig und trat diese auch wirklich mit der Geliebten an; es gelang mir jedoch bis zur Ankunft auf der nächsten Station, Minna zur Umkehr nach Dresden zu bewegen, welche nun, da der Postwagen längst voraus war, mit Extrapost angetreten werden mußte. Dieser große Train schien die beiden Mädchen, wie in Verwunderung, so in gute Laune zu versetzen. Offenbar hatte ich durch mein verschwenderisches Auftreten sie zur Erwartung erfreulicher Abenteuer hingerissen, für deren Erfüllung ich nun zu sorgen hatte. Ich[110] verschaffte mir bei einem Dresdener Bekannten die nötigen Gelder, um im größten Zuge meine Freundinnen in die Sächsische Schweiz zu geleiten, wo wir einige wirklich heitre, vom unschuldigsten jugendlichen Übermut erfüllte Tage verbrachten, welche nur einmal durch das Hervorbrechen einer eifersüchtigen Stimmung meinerseits getrübt wurden, zu der in diesen Tagen selbst durchaus keine Veranlassung gegeben war, welche aber in meinem tiefsten Innern durch Eindrücke der Vergangenheit, sowie durch eine bange Ahnung der Zukunft, an den Erfahrungen, die ich bisher bei meinen Bekanntschaften mit der Frauenwelt gemacht hatte, sich nährte. Dennoch blieb dieser Ausflug und namentlich eine beim schönsten Sommerwetter fast gänzlich durchwachte anmutige Nacht im Bad zu Schandau die liebste, fast einzige Erinnerung an heiter beglücktes Dasein aus meinem ganzen Jugendleben. Mein ganzes späteres, so langes, von schmerzlichsten und bittersten Erfahrungen sorgenvoll durchwobenes Verhältnis zu Minna ist mir oft als die beharrlich andauernde Sühne für den harmlosen kurzen Genuß dieser Tage erschienen.
Nachdem ich Minna bis Leipzig, von wo sie nach Magdeburg weiterreiste, begleitet hatte, meldete ich mich wieder bei meiner Familie, welcher ich den Dresdner Ausflug verschwieg, und folgte von nun an, wie einer seltsamen, tiefen Schuld bewußt, dem Drange, meine Lage so zu gestalten, daß sie mich baldmöglichst wieder in die Nähe der Geliebten brächte. Dazu mußte ein neues Engagement mit dem Direktor Bethmann für das nächste Winterhalbjahr eingeleitet werden. Während der hierzu nötigen Unterhandlungen litt es mich bereits nicht in Leipzig, sondern ich benutzte Laubes Anwesenheit im Bade Kösen bei Naumburg zu einem Besuche desselben. Kurz zuvor war Laube nämlich nach beinahe einjähriger, höchst quälender Untersuchungshaft aus der Berliner Stadtvogtei entlassen worden; auf das Gelöbnis, bis zur Fällung des Urteils sich nicht außer Landes zu entfernen, war ihm der Besuch Kösens gestattet, von wo aus er heimlich uns für einen Abend in Leipzig besucht hatte. Der Eindruck, den sein leidendes Aussehen, seine zwar männlich gefaßte, aber hoffnungslos resignierte Stimmung in betreff aller früheren Erwartungen für das Gedeihen neuer, besserer Weltzustände, bei der besondren Erregung, in welcher mich meine eigne kritische Lage erhielt, auf mich machte, ist mir als einer der traurigsten und unglückweissagendsten in Erinnerung geblieben. In Kösen teilte ich ihm mehreres von den Versen meines »Liebesverbotes« mit, für welche er, trotz aller Kälte gegen meine Anmaßung, mir auch meine Operntexte selbst schreiben zu wollen, doch nicht ohne ermunternde Anerkennung blieb. Unruhig erwartete ich jedoch nur Briefe aus Magdeburg; nicht weil ich daran gezweifelt hätte, daß dieses Wiederengagement zustande käme, da ich im Gegenteil Grund hatte, mich für eine gute Akquisition des Direktors Bethmann anzusehen, sondern weil alles, was mich wieder in die Nähe Minnas bringen sollte, mir nicht schnell genug ging. Kaum waren die[111] nötigen Nachrichten eingetroffen, als ich schleunigst mich aufmachte, um an Ort und Stelle die zur Sicherung eines besonders glänzenden Zustandes der bevorstehenden Magdeburger Opernsaison erforderlichen Vorschläge zu machen. Dem stets bankrotten Theaterdirektor war um diese Zeit durch die unermüdete Gunst des Königs von Preußen eine neue letzte Hilfe zugeführt worden; einem aus angesehenen Magdeburger Bürgern bestellten Komitee hatte der König eine nicht unbedeutende Summe zur Verwendung für das Theater unter Bethmanns Leitung angewiesen. Was das hieß und welches Ansehen dadurch plötzlich die Magdeburger Kunstverhältnisse für mich gewannen, ist zu begreifen, wenn man bedenkt, wie verlassen und kümmerlich derartige Theater in unsren Städten ihr verachtetes Leben hinschleppen. Ich erbot mich sofort, eine größere Reise zur Aufsuchung guter Opernsänger zu unternehmen; die Mittel hierzu wollte ich auf eigne Gefahr mir verschaffen, die Direktion sollte mir den möglichen Ersatz nur durch Zusicherung der Einnahme einer Benefiz-Vorstellung in Aussicht stellen. Dies wurde denn gern angenommen und ich in hochtrabendem Tone mit den nötigen Vollmachten des Direktors versehen und außerdem noch besonders von ihm gesegnet. Mit Minna, die nun ihre Mutter bei sich hatte, lebte ich während dieses kurzen Aufenthaltes wiederum im traulichsten Verkehr und nahm nun zur Ausführung meines kühnen Unternehmens von neuem Abschied.
Schwierig war es zunächst, in Leipzig die in Magdeburg so liberal angekündigten Geldmittel zur Bestreitung meiner projektierten Engagementsreise zu verschaffen. Der Glanz der königlich-preußischen Protektion unsrer Theater-Unternehmung, welchen ich meinem guten Schwager Brockhaus in den lebhaftesten Farben spielen ließ, wollte diesen durchaus nicht verblenden, und es kostete große, demütigende Bemühungen, mein Entdeckungsschiff zur Ausfahrt flottzumachen. – Natürlich trieb es mich zuallernächst in mein altes Wunderland Böhmen, wo ich Prag diesmal, ohne meine schönen Freundinnen anzutreffen, nur flüchtig berührte, um zunächst in Karlsbad das während der Badesaison dort vorrätige Opernpersonal zu beobachten. Ungemein begierig, so schnell wie möglich, so viel wie möglich Talente aufzufinden, um meine Reisemittel nicht erfolglos zu erschöpfen, wohnte ich mit dem herzlichen Wunsche, alles vortrefflich zu finden, einer Aufführung der »Weißen Dame« bei. Von der üblen Beschaffenheit sämtlicher Sänger vermochte ich mir erst dann einen vollen Begriff zu verschaffen, als ich den einzig von mir ausgewählten Bassisten, Gräf, welcher den »Gaveston« sang, späterhin in Magdeburg zum Debüt gelangen ließ, wobei er, und, wie ich nicht leugnen konnte, mit großem Recht, so entschieden mißfiel, daß ich dem Spott, den diese Akquisition mir zuzog, nichts Ernstliches zu erwidern vermochte. – War ich bisher nicht glücklich gewesen im Betreff des eigentlichen Zwecks meiner Reise, so regte mich diese selbst doch desto angenehmer an. Die Fahrt durch Eger, über das Fichtelgebirg,[112] mit der Ankunft in dem vom Abendsonnenschein lieblich beleuchteten Bayreuth, wirkte noch bis in späteste Zeiten angenehm auf meine Erinnerung.
Mein Ziel war für jetzt Nürnberg, wo meine Schwester Klara und ihr Mann noch beim Theater waren und ich durch diese gute Auskunft über das von mir Gesuchte erwarten zu dürfen glaubte. Vor allem war's mir lieb, im Hause meiner Verwandten gastlich aufgenommen zu werden, um zunächst für die Wiederauffrischung meiner sehr erschöpften Reisemittel sorgen zu können. Ich rechnete hierfür besonders auf den Ertrag des Verkaufs einer Tabaksdose, welche ich von einem Freunde zum Geschenk erhalten hatte und von der ich aus geheimen Gründen fest annahm, sie sei aus Platin; hierzu kam ein goldener Siegelring, den mir Freund Apel für die Komposition der Ouvertüre zu seinem Kolumbus verehrt hatte. Der Versatz dieser einzig mir gehörenden Kleinodien, von denen leider der mir vorschwebende Wert der Tabatiere sich als ein imaginärer herausstellte, mußte die spärlichen Mittel zur Weiterreise bis Frankfurt beschaffen. Dorthin nämlich und in die Nähe des Rheines wiesen mich die mir erteilten Auskünfte; denn nachdem es mir gelungen war, meinen Schwager und meine Schwester zu einem Engagement für Magdeburg zu bereden, fehlte es nun hauptsächlich noch an einem ersten Tenor und einer ersten Sängerin, welche bisher durchaus nicht aufzufinden waren.
Dieser gelegentliche Aufenthalt in Nürnberg verzögerte sich außerdem noch auf angenehme Weise durch ein neues Zusammentreffen mit der Schröder-Devrient, welche dort zu einem kurzen Gastspiel grade um diese Zeit eintraf. Bei ihrem Wiedersehen ging mir der ganze Himmel auf, der sich seit unsrer Trennung in betreff meines Kunsttreibens etwas getrübt hatte. Das Nürnberger Opernpersonal bot der Künstlerin keine große Auswahl der zu gebenden Vorstellungen; außer Fidelio war nichts andres als die Schweizerfamilie herauszubringen, worüber die Künstlerin sich beklagte, da dies eine ihrer frühesten Jugendrollen sei, für welche sie sich kaum mehr eignete und die sie auch zum Überdruß häufig gegeben habe. Auch ich sah der Schweizerfamilie mit Mißbehagen, ja fast Bangigkeit entgegen, da ich nicht anders glaubte, als daß die matte Oper und die altmodisch sentimentale Rolle der »Emmeline« den bisher stets von den Leistungen der Künstlerin erhaltenen großen Eindruck beim Publikum wie bei mir selbst schwächen würde. Wie groß waren meine Ergriffenheit und mein wahrhaftes Erstaunen, als ich an diesem Abend die unbegreifliche Frau erst in ihrer wahrhaft hinreißenden Größe kennenlernen sollte. Daß so etwas, wie die Darstellung dieses Schweizermädchens, nicht als Monument allen Zeiten erkenntlich festgehalten und überliefert werden kann, muß ich jetzt noch als eine der erhabensten Opferbedingungen erkennen, unter welchen die wunderbare dramatische Kunst einzig sich offenbart, weshalb diese, sobald solche Phänomene sich kundgeben, gar nicht hoch und heilig genug gehalten werden kann.[113]
Außer diesem für mein ganzes Leben und meine Kunstentwicklung so tief bedeutungsvoll neuem Seelenerlebnisse hat mein diesmaliger Nürnberger Aufenthalt nach einer andren Seite hin besondre Eindrücke auf mich hinterlassen, welche, so unscheinbar, ja trivial ihre Veranlassung war, doch mit so großer Stärke in mir hafteten, daß sie späterhin, in eigentümlich erneuter Gestalt, in mir wiederauflebten. Mein Schwager Wolfram war besonders auch als gemütlich witziger Kumpan den Nürnberger Theaterfreunden zu größter Beliebtheit nahegetreten: von dem Geiste der ausgelassenen Unterhaltung, zu der es an den Wirtshausabenden kam, an welchen auch ich teilnahm, erhielt ich bei dieser Gelegenheit eigentümlich ergötzliche Belege. Ein Tischlermeister Lauermann, ein nicht mehr junger, kleiner und untersetzter Mann, von drolligem Äußern und nur mit dem niedersten Volksdialekte vertraut, wurde mir in einem von unsren Bekannten besuchten Wirtshaus als einer der Sonderlinge bezeichnet, welche gegen ihren Willen am meisten zur Unterhaltung der Spaßvögel beitrugen. Lauermann bildete sich nämlich ein, ein vortrefflicher Sänger zu sein, und hegte, von diesem Vorurteil ausgehend, besondres Interesse wiederum nur für solche, an denen er seiner Meinung nach Gesangstalent wahrnahm. Trotzdem er nun fortgesetzt wegen dieser seltsamen Eigenheit zur beständigen Zielscheibe des Spottes und der verhöhnenden Scherze gemacht war, stellte er sich doch regelmäßig alle Abende unter seinen lachlustigen Verfolgern ein; nur hielt es endlich äußerst schwer, den so häufig Ausgelachten und durch Verhöhnung Gekränkten dazu zu bringen, daß er seine Kunstfertigkeit zum besten gab, was endlich nur durch künstlichst angelegte Fallen, die man seiner Eitelkeit stellte, gelang. Meine Ankunft, als eines Unbekannten, wurde zu einem solchen Spiel benutzt; und wie gering man von der Urteilskraft des armen Meistersängers dachte, zeigte sich mir zu meinem Erstaunen dadurch, daß mein Schwager mich ihm als den großen italienischen Sänger Lablache vorstellte. Zu seiner Ehre muß ich gestehen, daß Lauermann mich lange Zeit mit ungläubigem Mißtrauen maß, sich über mein jugendliches Aussehn, noch mehr aber über den offenbaren Tenorklang meiner Stimme mit vorsichtigem Bedenken äußerte. Allein dies Unglaubliche den armen Enthusiasten glauben zu machen, darin bestand eben die belustigende, lange Zeit in Anspruch nehmende Kunst der Wirtshausgenossen. Mein Schwager wußte es dem Tischler glaublich zu machen, daß ich, der ich für meine Leistungen unerhört bezahlt würde, diese beim Besuchen öffentlicher Wirtschaften durch besondre Verstellung dem Publikum zu entziehen suchte; wenn es sich übrigens um eine Begegnung zwischen »Lauermann« und »Lablache« handle, könnte natürlich nur das Interesse in Rechnung kommen, Lauermann, nicht aber Lablache zu hören, da dieser von jenem, nicht aber umgekehrt jener von diesem zu lernen habe. Ein seltsamer Kampf von Ungläubigkeit und gestachelter Eitelkeit machte nun den armen Tischler für mich wirklich anziehend: ich begann die mir zugeteilte Rolle selbst mit[114] möglichstem Geschick zu spielen, und nach Verlauf zweier, durch die sonderbarsten Einfälle gewürzter Stunden gelang es wirklich, den wunderlichen Menschen, der lange in großer Aufregung seine blitzenden Augen auf mich gerichtet hatte, dazu zu bringen, daß er seine Muskeln in die eigentümlich gespenstische Bewegung setzte, die wir an einem musizierenden Automaten wahrzunehmen glauben, wenn das Räderwerk in ihm aufgezogen ist: die Lippen bebten, die Zähne knirschten, das Auge verdrehte sich konvulsivisch, und endlich erscholl von heiserer, fetter Stimme ein ungemein trivialer Gassenhauer. Beim Vortrage desselben, den er mit einer stabilen Bewegung des ausgestreckten Daumens hinter die Ohren begleitete und bei welchem sein dickes Gesicht zur glühendsten Röte sich erhitzte, brach leider alsbald ein unmäßiges Gelächter sämtlicher Zuhörer aus, was den unglücklichen Meister sofort in die höchste Wut brachte. Mit vollendeter Grausamkeit wurde dieser Wut wiederum von denjenigen, welche ihm bis dahin auf das abgefeimteste geschmeichelt hatten, durch ausgelassenste Verhöhnung erwidert, was den armen Menschen bis zu wahrhaftem Schäumen brachte. Als der Unglückliche unter den furchtbarsten Verwünschungen der elenden Freunde seinen Rücktritt aus dem Wirtshaus anzutreten im Begriff war, trieb mich ein wahrhaftes Mitleiden an, ihm nachzugehen, ihn um Verzeihung zu bitten und auf jede Weise ihn zu begütigen, was um so schwerer hielt, da er grade auf mich, als den neuesten seiner Feinde, der ihn noch dazu um die Wonne, Lablache kennenzulernen, so empfindlich betrogen hatte, am bittersten aufgebracht war. Doch gelang es, ihn an der Schwelle festzuhalten; und nun verständigte sich die ausgelassene Gesellschaft stillschweigend sogar zu der unerhörten Verschwörung, am selben Abende Lauermann nochmals zum Singen zu bringen. Wie dies gelang, blieb mir um so schwerer in meiner Erinnerung festzuhalten, als namentlich auch die Wirkung der geistigen Getränke, welche schließlich doch wohl auch über Lauermann nur diesen äußersten Erfolg zu erringen vermochte, meine eigne Wahrnehmung in betreff der wunderbaren Vorgänge dieses unerhört langen Wirtshausabends in Verwirrung setzte. Nachdem Lauermann noch einmal dieselbe Verhöhnung erlebt, fühlte die ganze Gesellschaft die Verpflichtung, den Unglücklichen nach Haus zu geleiten; es geschah dies in einem Schiebkarren, den wir vor dem Hause fanden und in welchem wir ihn gleichsam im Triumph vor seiner Tür, in einem jener wunderbaren engen Gäßchen der alten Stadt, vorfuhren. Frau Lauermann, welche aus dem Schlafe geweckt wurde, um ihren Gatten in Empfang zu nehmen, ließ uns durch die Ausbrüche ihrer Verwünschungen erraten, wie es mit diesem ehelichen und häuslichen Verhältnisse stand. Die Verhöhnung des Gesangstalentes ihres Mannes war auch ihr geläufig; nur gesellten sich dazu die schrecklichsten Vorwürfe gegen die nichtswürdigen Buben, welche ihren armen Mann durch Unterhaltung seines Wahnes vom nützlichen Betrieb seines Gewerbes abhielten und gar endlich zu solchen Auftritten wie[115] dem gegenwärtigen Anlaß gäben. Hier aber richtete sich wieder der Stolz des leidenden Meistersängers auf: denn seiner Frau, während sie ihn mühsam die Treppe hinaufgeleitete, sprach er jedes Recht über seine Gesangskunst zu urteilen in den härtesten Ausdrücken ab und verwies sie auf das kräftigste zur Ruhe. – Nun war aber dies wunderliche Nachtabenteuer keineswegs zu Ende. Der ganze Schwarm bewegte sich noch einmal nach dem Wirtshaus zurück; vor diesem fanden wir aber bereits andre Gesellen, worunter Handwerksburschen, welchen bereits der eingetretenen Polizeistunde wegen die Türe verschlossen war: den eigentlichen Stammgästen, welche sich unter uns befanden und welche mit dem Wirt in altbefreundeten Beziehungen standen, dünkte es erlaubt und möglich, dennoch Einlaß zu begehren. Der Wirt war in Pein, seinen Freunden, deren Stimme er erkannte, die Türe verschlossen erhalten zu sollen; doch mußte vermieden werden, daß die neu Hinzugekommenen sich etwa nachdrängten. Aus dieser Situation entstand nun eine Verwirrung, welche durch Schreien und Toben so wie durch unbegreifliches Anwachsen der Masse der Streitenden bald einen wahrhaft dämonischen Charakter annahm. Mir schien es, als ob im nächsten Augenblick die ganze Stadt in Aufruhr losbrechen würde, und ich glaubte wirklich abermals zum Zeugen einer Revolution werden zu müssen, von der aber kein Mensch irgendeinen wahrhaftigen Anlaß zu begreifen imstande war. Da plötzlich hörte ich einen Fall, und wie durch Zauber stob die ganze Masse nach allen Seiten auseinander. Einer der Stammgäste, mit einer alten Nürnberger Kampfart wohlvertraut, hatte nämlich, um der unabsehbaren Verwirrung ein Ende zu machen und um sich den Heimweg zu öffnen, einen der heftigsten Schreier durch einen gewissen Stoß mit der Faust zwischen die Augen besinnungslos, wenn auch unschädlich verwundet, zu Boden gestreckt; und die Wirkung hiervon war es, welche so plötzlich alles auseinanderjagte. Kaum in einer Minute nach dem heftigsten Toben von mehreren Hunderten von Menschen konnte ich mit meinem Schwager Arm in Arm, ruhig scherzend und lachend, durch die monderleuchteten einsamen Straßen nach Hause wandern und erfuhr von ihm unterwegs staunend zu meiner Beruhigung, daß er dies eigentlich an allen Abenden so gewohnt sei. –
Endlich war es Zeit, mich der Erreichung des Zweckes meiner Reise ernstlich wieder zuzuwenden. Nur im Durchzug berührte ich Würzburg auf einen Tag: von dem Wiedersehen meiner Verwandten und Bekannten ist mir nichts in Erinnerung geblieben, als jener bereits früher erwähnte wehmütige Besuch bei Friederike Galvani. In Frankfurt angekommen, mußte ich mich sogleich in den Schutz eines soliden Hotels begeben, um daselbst den Erfolg meiner Bemühungen um Subsidien bei der Magdeburger Theater-Direktion abzuwarten. Meine Hoffnungen für den Gewinn der eigentlichen Matadoren unsrer Opernunternehmung waren auf Wiesbaden gerichtet, wo man mir eine gute, im Auseinandergehen begriffene Operngesellschaft[116] nachwies. Es fiel mir äußerst schwer, die kleine Reise bis dorthin zu bewerkstelligen; doch gelang es mir daselbst einer Probe von »Robert der Teufel« beizuwohnen, in welcher der Tenorist Freimüller glänzte. Diesen, den ich sofort aufsuchte, fand ich auch geneigt, auf meine Vorschläge für Magdeburg einzugehen; ich traf mit ihm die nötigen Verabredungen und reiste notgedrungen auf das schleunigste in mein Asyl, den Gasthof zum »Weidenbusch« in Frankfurt, zurück. Dort hatte ich noch eine peinliche Woche zu verleben, da ich vergeblich die aus Magdeburg requirierten ferneren Reisemittel erwartete. Um die Zeit zu töten, griff ich unter andrem zu einer großen roten Brieftasche, welche ich in meinem Reisemantelsack mit mir herumführte, und schrieb darin, mit bloßer Angabe der Data, Notizen zu meiner dereinstigen Biographie auf – dieselben, welche ich gegenwärtig vor mir habe, um meine Erinnerung anzufrischen, und welche ich seitdem in verschiedenen Lebensperioden mit ununterbrochener Folge fortsetzte. Meine durch die Vernachlässigung der Magdeburger Direktion sich bedenklich gestaltende Lage geriet endlich in die sonderbarste Verwirrung, als ich in betreff einer in Frankfurt selbst gemachten Akquisition glücklicher war, als ich es zu ertragen vermochte. Ich hatte einer Aufführung der »Zauberflöte«, unter des damals als »genialer Dirigent« wunderbar berühmten Kapellmeisters Guhr Leitung, beigewohnt und war von dem wirklich vorzüglichen Opernpersonal sehr angenehm überrascht worden. Natürlich war nicht daran zu denken, eines der ersteren Mitglieder desselben in meine Netze zu verlocken; dagegen blickte ich scharf genug, in dem jugendlichen Fräulein Limbach, welche den ersten »Knaben« sang, ein begehrenswertes Talent zu erkennen. Meine Engagements-Anträge wurden von ihr angenommen, und zwar schien es ihr so sehr daran gelegen zu sein, von ihrem Frankfurter Engagement freizuwerden, daß sie beschloß, durch heimliches Entweichen sich aus demselben zu entfernen. Dies erklärte sie mir und forderte mich zur Mithilfe bei diesem Vorhaben auf, welches keinen Aufschub leiden könnte, weil es sonst der Direktion bekannt werden würde. Die junge Dame vermutete mich jedenfalls im Besitz reicher Kreditive, mit denen das von mir ihr so sehr gerühmte Magdeburger Theaterkomitee mich für meine offizielle Geschäftsreise ausgestattet haben würde. Bereits hatte ich jedoch, um nur mein eigenes Fortkommen zu ermöglichen, zum Versatze meines dürftigen Reisegepäckes schreiten müssen: so weit hatte ich den Wirt gebracht; nun aber noch die Kosten der Entführung einer jungen Sängerin mir vorzuschießen, fand ich ihn durchaus abgeneigt. Ich mußte der jungen Dame, zur Bemäntelung des schlechten Benehmens meiner Direktion, irgendein Mißgeschick vorlügen und die verwunderungsvoll Zürnende zurücklassen. Sehr beschämt über dieses Abenteuer, reiste ich durch Regen und Wetter über Leipzig, wo ich meinen braunen Pudel abholte, nach Magdeburg zurück, wo ich nun vom ersten September an wieder meine Musikdirektion antrat.[117]
Der Ausfall meiner Geschäftsbesorgung machte mir keine große Freude; der Direktor wies mir zwar triumphierend nach, daß er fünf ganze Louisdor an meine Adresse nach Frankfurt schließlich geschickt habe: meinem Tenor und meiner jugendlichen Sängerin hatte man jedoch wohlausgefertigte Kontrakte, nicht aber die verlangten Reisegelder und Vorschüsse zugesendet. Alle blieben aus; nur der Bassist Gräf langte aus Karlsbad mit pedantischer Pünktlichkeit an und erregte sogleich die lustigen Bemerkungen der Spottvögel des Theaters. Er sang auf einer Probe zur »Schweizerfamilie« so schulmeisterlich schnarrend, daß ich darüber wirklich in große Verlegenheit geriet. Daß mein tüchtiger Schwager Wolfram mit meiner Schwester Klara ebenfalls anlangten, gereichte mehr dem Singspiel als der großen Oper zum Vorteil und bereitete mir außerdem große und sorgenvolle Pein, da die braven, an solide Verhältnisse gewöhnten Leute sehr bald das, trotz aller königlichen Protektion, Mißliche der Theaterverhältnisse unter einer so gewissenlosen Direktion wie der Bethmannschen durchblickten und dadurch sich in einer bedenklichen Verschlimmerung ihrer Familienlage zu befinden erkannten. Schon sank mir aller Mut, als der Zufall uns in einer jungen Frau, Mme Pollert geb. Zeibig, welche mit ihrem Mann, einem Schauspieler, durch Magdeburg kam, eine mit schöner Stimme begabte und talentvolle Sängerin für das erste Fach vorläufig als Gast zuführte. Die Not hatte endlich die Direktion zu den geeigneten Schritten getrieben, welche in letzter Stunde auch den Tenoristen Freimüller uns zuführten; und besonders groß war meine freudige Genugtuung, als die Liebe, welche diesen schnell zu der jungen Limbach in Frankfurt ergriffen hatte, dem unternehmenden Tenor auch die Entführung dieser Sängerin, zu welcher ich mich so schmachvoll unfähig erwiesen, glücklich ermöglicht hatte. Beide kamen freudestrahlend an; zu ihnen ward Mme Pollert, welche sehr gefiel, trotz ihrer Prätensionen ebenfalls engagiert; ein gut geschulter, musikalisch gebildeter Baritonist, Herr Krug, später Chordirektor in Karlsruhe, hatte sich auch gefunden, und so stand ich plötzlich an der Spitze eines wirklich recht guten Opernpersonales, bei welchem nur der Bassist Gräf mühsam durch Vertuschung unterzubringen war. Uns glückte bald eine Reihe in ihrer Art nicht ganz gewöhnlicher Opernvorstellungen, wobei unser Repertoire sich geradeswegs über alles erstreckte, was nur irgend in diesem Genre für das Theater geschrieben war: ganz vorzüglich freute ich mich aber der wirklich nicht weihelosen Aufführung der Spohrschen »Jessonda«, welche uns auch bei den gebildeteren Musikfreunden in große Achtung setzte. Ich war unermüdlich in Auffindung von Möglichkeiten, unsre Vorstellungen weit über das Niveau der solch dürftig organisierten Stadttheatern sonst möglichen Leistungen zu erheben. Den Direktor Bethmann verfeindete ich mir unaufhörlich durch Verstärkung des Orchesters, welche er zu bezahlen hatte; dafür gewann ich wieder seine volle Zuneigung durch Verstärkung des Chors und der Theatermusik, welche ihn[118] nichts kosteten, unsren Vorstellungen aber einen solchen Glanz verliehen, daß das Abonnement und der sonstige Besuch des Theaters einen unerhörten Aufschwung nahmen. Ich hatte nämlich die Regimentsmusiker und die in der preußischen Armee trefflich organisierten Militärsänger zu ihrer Mitwirkung bei unsren Aufführungen gegen bloße Entschädigung durch freies Entree auf die Galerie für ihre Angehörigen vermocht. So erreichte ich es, daß wir in Bellinis Norma die nach der Partitur verlangte, besonders starke Musikbande auf dem Theater in größter Vollständigkeit besetzen konnten und für das mir damals sehr imponierende Unisono des Männerchors der Introduktion eine selbst den größten Bühnen fast unerschwingbare Anzahl von Männerstimmen zur Verfügung hatten. Ich konnte in späterer Zeit Herrn Auber im Tortonischen Kaffeehaus zu Paris, wo ich öfter mit ihm zum Genuß des Eises zusammentraf, versichern, daß ich das meuterische Militär, welches in seinem »Lestocq« zur Verschwörung sich hinreißen läßt, wirklich durch eine ganze vollzählige Kompanie zum Singen gebracht hätte; was er mir damals noch mit staunender Freude dankte.
Unter solch ermutigenden Umständen schritt auch die Komposition meines Liebesverbotes ihrer Vollendung schnell entgegen. Ich bestimmte die Aufführung dieses Werkes zu der für meine Auslagen mir versprochenen Benefizvorstellung und arbeitete nun zu gleicher Zeit an der Gründung meines Ruhms und einer nicht minder lebhaft erwarteten günstigen Gestaltung meiner finanziellen Verhältnisse, als ich mit unerhörtem Eifer selbst die wenigen Stunden, die ich neben meinen Geschäften mir an Minnas Seite gönnte, zur Ausarbeitung meiner Partitur verwendete. Dieser Fleiß rührte selbst die bedenklich auf unser Liebesverhältnis blickende Mutter Minnas, welche seit dem Sommer bei der Tochter zum Besuch verblieben war und ihr die Wirtschaft führte; durch ihre Dazwischenkunft war in unser Verhältnis eine neue, auf ernstliche Lösung drängende Spannung getreten. Es war natürlich, daß die Frage, zu was dieses führen sollte, nun näher herantrat. Ich muß gestehen, daß der Gedanke an eine Heirat mich, zunächst wohl schon meiner großen Jugend wegen, mit banger Beängstigung erfüllte; ohne irgend mich der Überlegung und vernünftigen Erwägung hinzugeben, hielt mich ein naives, instinktmäßiges Gefühl von der Erfassung der ernstlichen Möglichkeit eines für das ganze Leben so wichtigen Entschlusses zurück. Dazu waren unsre bürgerlichen Verhältnisse in so sehr beängstigender und unsichrer Schwebe, daß auch bei Minna eher wohl der Wunsch der Verbesserung dieser Lage als des Abschlusses eines Ehebündnisses in derselben zur Äußerung kommen konnte. Hierauf zunächst ihrerseits zu denken, fühlte sie sich bald durch Verdrießlichkeiten veranlaßt, in welche sie in betreff ihrer Stellung am Magdeburger Theater geriet. Sie hatte nämlich für ihr Fach im Schauspiel eine Nebenbuhlerin erhalten, welche ihr namentlich dadurch, daß ihr Mann als Oberregisseur zur höchsten Macht gelangte, sehr gefährlich wurde. Da Minna nun im Beginn des[119] Winters von der Direktion des damals in Berlin sehr glänzende Geschäfte machenden Königstädter Theaters vorteilhafte Anträge erhielt, erfaßte sie diese Veranlassung zur Herbeiführung eines völligen Bruches mit dem Magdeburger Theater, wodurch ich, auf den sie hierbei gar keine Rücksicht zu nehmen schien, in wahrhafte Beängstigung geriet. Ich konnte nicht verhindern, daß Minna ihre Entfernung zum Antritt eines Gastspiels in Berlin in völlig kontraktbrüchiger Weise durchsetzte. Sie reiste ab und ließ mich in großer Pein und wahrhaftem Zweifel über ihr Benehmen zurück. In leidenschaftlichster Unruhe drang ich brieflich in sie, zurückzukehren, und trat, um sie zu bewegen, ihr Schicksal nicht von dem meinigen zu trennen, mit förmlichen, auf eine bald zu ermöglichende Heirat abzielenden Erklärungen hervor. Zu gleicher Zeit hatte sich mein Schwager Wolfram, der sich mit dem Direktor Bethmann überworfen und seinen mit diesem bestehenden Kontrakt gelöst hatte, ebenfalls zu einem Gastspiel an das Königstädter Theater gewandt. Meine gute Schwester Klara, die in unerfreulichen Verhältnissen zunächst in Magdeburg zurückgeblieben war, gewahrte die peinlich sorgenvolle Stimmung, in welcher der sonst so heitre Bruder sich schnell abzehrte. Eines Tages hielt sie es an der Zeit, mir einen Brief ihres Mannes zu zeigen, in welchem dieser aus Berlin und namentlich auch über Minna berichtete, indem er herzlich meine Leidenschaft für dieses Mädchen beklagte, die sich meiner unwürdig aufführe und, wie er in dem Gasthofe, in welchem er mit ihr zugleich wohnte, Gelegenheit zu beobachten hatte, sich des ärgerlichsten Umganges und Benehmens schuldig mache. Der außerordentliche Eindruck, den diese schreckliche Mitteilung auf mich machte, bestimmte mich, aus der bisher noch gegen meine Verwandten gezeigten Zurückhaltung in betreff meines Liebesverhältnisses herauszutreten: ich schrieb meinem Schwager nach Berlin, wie es mit mir stünde, wie ernstlich ich an Minna Planer hinge und von welcher entscheidenden Wichtigkeit es mir wäre, von ihm die untrüglichste Wahrheit über das Verhalten der von ihm so übel Bezichtigten zu erfahren. Von meinem sonst so trockenen und leicht zum Spott geneigten Schwager erhielt ich nun eine Antwort, welche mein Herz mit großer Wärme erfüllte. Er bekannte, Minna leichtsinnig angeklagt zu haben, bereute, auf müßiges Geschwätz, welches sich nach genauester Erkundigung als völlig grundlos erwiesen, eine Verleumdung begründet zu haben, und erklärte, nach näherer Bekanntschaft und Unterredung mit Minna sich von der Tüchtigkeit und Rechtschaffenheit ihres Charakters auf das befriedigendste überzeugt zu haben, so daß er zu meiner möglichen Vereinigung mit dem braven Mädchen mir aus ganzem Herzen Glück wünsche. Nun läutete es in mir Sturm. Ich beschwor Minna sofort zurückzukehren und war erfreut, ihrerseits zu vernehmen, daß auch sie an eine fernere Anstellung bei dem Berliner Theater, seitdem sie gewisse frivole Tendenzen desselben genauer kennengelernt habe, nicht mehr denke. Einzig blieb mir nun übrig, den Wiedereintritt in ihr Magdeburger Engagement[120] zu ermöglichen. Ich trat zu diesem Zweck in einer Sitzung des Theaterkomitees dem Direktor und seinem von mir gehaßten Oberregisseur mit solcher Energie entgegen und verteidigte Minna gegen das von beiden ihr zugefügte Unrecht mit so leidenschaftlicher Wärme, daß die Beisitzenden, über das freimütige Bekenntnis meiner Neigung erstaunt, widerstandslos meinen Wünschen sich fügten. Nun reiste ich bei schrecklichem Winterwetter in tiefer Nacht mit Extrapost der wiederkehrenden Geliebten entgegen, um sie unter herzlichen Tränen freudig zu begrüßen und im Triumphe in ihre behagliche, mir so lieb gewordene Magdeburger Wohnung zurückzugeleiten.
Während unser kurz unterbrochenes Zusammenleben nun sich immer enger schloß, vollendete ich gegen Neujahr 1836 die Partitur des »Liebesverbotes«. Auf den Erfolg dieser Arbeit gab ich bei der Gestaltung meiner Pläne für die Zukunft nicht wenig; auch Minna schien nicht ungeneigt, auf meine Hoffnung in diesem Bezug einzugehen. Wir hatten Grund, nicht unbesorgt darüber zu sein, wie sich mit dem Eintritt des Frühjahres, welcher solchen prekären Theaterunternehmungen stets verderblich ist, die Verhältnisse für uns gestalten sollten. Trotz der königlichen Unterstützung und der Einmischung des Theaterkomitees in die Verwaltung, blieb unser würdiger Direktor in perennierendem Bankrott begriffen, und an ein Fortbestehen seiner Theaterunternehmung unter irgendwelcher Form war nicht zu denken. Somit sollte die Aufführung meiner Oper durch das mir zu Gebote stehende, recht gute Sängerpersonal zum Ausgangspunkte einer gründlichen Wendung meiner mißlichen Lage werden. Ich hatte zur Entschädigung meiner Reisekosten vom vorigen Sommer her eine Benefizvorstellung zu meinen Gunsten zu fordern: natürlich bestimmte ich eine Aufführung meines Werks dazu und bemühte mich hierbei, der Direktion diese mir zu erweisende Gunst so wenig wie möglich kostspielig zu machen. Da dem ungeachtet die Direktion einige Auslagen für die neue Oper zu machen hatte, verabredete ich, daß die Einnahme der ersten Aufführung ihr überlassen bleiben sollte, wogegen ich nur die der zweiten für mich in Anspruch nahm. Daß auch die Zeit des Einstudierens gänzlich an das Ende der Saison hinausgerückt wurde, schien mir nicht eigentlich ungünstig, da ich annehmen durfte, daß die letzten Vorstellungen des oft mit ungewöhnlichem Beifall aufgenommenen Personals mit besondrer Teilnahme vom Publikum beachtet werden würden. Leider aber erreichten wir das gemeinte gute Ende dieser Saison, welches auf Ende April festgesetzt war, gar nicht, da schon im März, wegen Unpünktlichkeit der Gagenzahlung, die beliebtesten Opernmitglieder, welche sich anderswo besser versorgen konnten, der Direktion, welche in ihrer Zahlungsunfähigkeit hiergegen keine Mittel zur Verfügung hatte, ihren Abgang anzeigten. Nun ward mir allerdings bang: das Zustandekommen einer Aufführung meines »Liebesverbotes« schien mehr als fraglich. Der großen Beliebtheit, welche ich bei allen Opernmitgliedern[121] genoß, verdankte ich es allein, daß sich die Sänger nicht nur zum Aushalten bis an das Ende des Monates März, sondern auch zur Übernahme des für die kurze Zeit so sehr anstrengenden Einstudierens meiner Oper bewegen ließen. Diese Zeit, sollten noch zwei Aufführungen zustande kommen, war so knapp zugemessen, daß wir zu allen Proben nur zehn Tage für uns hatten. Da es sich keineswegs um ein leichtes Singspiel, sondern, trotz des leichtfertigen Charakters der Musik, um eine große Oper mit zahlreichen und starken Ensemblesätzen handelte, war das Unternehmen wohl tollkühn zu nennen. Ich baute jedoch auf den Erfolg der besonderen Anstrengung, welcher mir zuliebe die Sänger, indem sie früh und abends unausgesetzt studierten, sich gern unterzogen; und da trotzdem es rein unmöglich war, zu einiger bewußter Sicherheit namentlich auch des Gedächtnisses bei den Geplagten zu gelangen, so rechnete ich schließlich auf ein Wunder, welches meiner bereits erlangten Geschicklichkeit im Dirigieren gelingen sollte. Welche eigentümliche Fähigkeit ich besaß, den Sängern zu helfen und sie, trotz höchster Unsicherheit, in einem gewissen täuschenden Fluß zu erhalten, zeigte sich wirklich in den wenigen Orchesterproben, wo ich durch beständiges Soufflieren, lautes Mitsingen und drastische Anrufe betreffs der nötigen Aktion das Ganze so im Geleis erhielt, daß man glauben konnte, es müsse sich ganz erträglich ausnehmen. Leider beachteten wir nicht, daß bei der Aufführung in Anwesenheit des Publikums all diese drastischen Mittel zur Bewegung der dramatisch-musikalischen Maschinerie sich einzig auf die Zeichen meines Taktstockes und die Arbeit meines Mienenspiels beschränken mußten. Wirklich waren die Sänger namentlich des männlichen Personals so außerordentlich unsicher, daß hierdurch eine vom Anfang bis zum Ende alle Wirksamkeit ihrer Rollen lähmende Befangenheit entstand. Der Tenorist Freimüller, mit dem schwächsten Gedächtnis begabt, suchte dem lebhaften und aufregenden Charakter seiner Rolle, des Wildfanges Luzio, durch seine in Fra Diavolo und Zampa erlangte Routine, namentlich aber auch durch einen unmäßig dicken und flatternden bunten Federbusch mit bestem Willen aufzuhelfen. Trotzdem war es dem Publikum nicht zu verdenken, daß es, namentlich da die Direktion den Druck von Textbüchern nicht zustande gebracht hatte, über die Vorgänge der nur gesungenen Handlung gänzlich im unklaren blieb. Mit Ausnahme einiger Partien der Sängerinnen, welche auch beifällig aufgenommen wurden, blieb das Ganze, welches von mir auf kecke, energische Aktion und Sprache abgesehen war, ein musikalisches Schattenspiel auf der Szene, zu welchem das Orchester mit oft übertriebenem Geräusch seine unerklärlichen Ergüsse zum besten gab. Als charakteristisch für die Behandlung meiner Tonfarben erwähne ich, daß der Direktor eines preußischen Militär-Musikkorps, welchem übrigens die Sache sehr gefallen hatte, mir für zukünftige Arbeiten doch eine wohlgemeinte Anleitung zur Behandlung der türkischen Trommel zu geben für nötig hielt. Ehe ich das weitere Schicksal dieser wunderlichen[122] Jugendarbeit mitteile, verweile ich noch, um über den Charakter derselben namentlich in betreff der Dichtung kurz zu berichten.
Das in seinem Grunde sehr ernst gehaltene Stück Shakespeares war in meinem Sujet zu folgender Fassung gelangt.
»Ein ungenannter König von Sizilien verläßt, wie ich vermute zu einer Reise nach Neapel, sein Land und übergibt dem von ihm eingesetzten Statthalter – um ihn als Deutschen zu charakterisieren, einfach Friedrich genannt – die Vollmacht, alle Mittel der königlichen Gewalt zum Versuch einer gründlichen Reform des Sittenzustandes der Hauptstadt, an welchem der strenge Rat Ärgernis genommen, anzuwenden. Beim Beginn des Stückes sieht man die Diener der öffentlichen Gewalt in voller Arbeit, Volksbelustigungshäuser in einer Vorstadt Palermos teils zu schließen, teils ganz niederzureißen und die Bevölkerung derselben, die Wirte und Bedienung, gefangen fortzuführen. Das Volk tut diesem Beginnen Einhalt; große Schlägerei: der Chef der Sbirren, Brighella (Baßbuffo) im stärksten Gedränge, verliest, nach beruhigendem Tambourwirbel, die Verordnung des Statthalters, in Gemäßheit welcher, zur Sicherung eines besseren Sittenzustandes, in geschehener Weise gehandelt worden sei. Allgemeine Verhöhnungen und Spottchor fällt ein; Luzio, junger Edelmann und jovialer Wüstling (Tenor), scheint sich zum Volksführer aufwerfen zu wollen und findet sofort Veranlassung, der Sache der Verfolgten sich eingehender anzunehmen, als er seinen Freund Claudio (ebenfalls Tenor) auf dem Weg nach dem Gefängnis dahergeführt sieht und von diesem erfährt, daß er, einem von Friedrich hervorgesuchten uralten Gesetze gemäß, wegen eines Liebesvergehens mit dem Tod bestraft werden soll. Seine Geliebte, mit der eine Vereinigung bisher ihm durch die feindseligen Eltern derselben verwehrt ist, ward von ihm Mutter; zu dem Haß der Verwandten gesellt sich Friedrichs puritanischer Eifer: er fürchtet das Schlimmste und hofft einzig auf dem Weg der Gnade Rettung, sobald der Fürbitte seiner Schwester Isabella es gelingen dürfte, das Herz des Harten umzustimmen. Luzio gelobt dem Freunde, Isabella sofort im Kloster der ›Elisabethinerinnen‹, in welchem sie vor kurzem als Novize eingetreten, aufzusuchen. – Dort in den stillen Mauern des Klosters lernen wir nun diese Schwester im traulichen Gespräch mit ihrer Freundin, der ebenfalls als Novize eingetretenen Marianne, näher kennen. Marianne entdeckt der Freundin, von der sie längere Zeit getrennt war, das traurige Schicksal, das sie hiehergeführt habe. Sie ward von einem hochstehenden Manne unter der Versicherung ewiger Treue zu geheimer Liebesverbindung vermocht; endlich aber fand sie sich, in höchster Not, von ihm verlassen und sogar verfolgt, denn der Verräter erwies sich ihr zugleich als der mächtigste Mann im Staate, kein Geringerer als der jetzige Statthalter des Königs selbst. Isabellas Empörung macht sich in feuriger Weise Luft, und ihre Beruhigung folgt nur aus dem Entschluß, eine Welt zu verlassen, in welcher[123] so ungeheure Frevel ungestraft verübt werden dürfen. – Als ihr nun Luzio die Kunde vom Schicksal ihres eigenen Bruders bringt, geht ihr Abscheu vor dem Fehltritt des Bruders sofort in helle Entrüstung über die Schändlichkeit des heuchlerischen Statthalters über, welcher den unendlich geringeren Fehl des Bruders, den mindestens kein Verrat befleckte, so grausam zu bestrafen sich anmaßt. Ihre heftige Aufwallung zeigt sie unvorsichtigerweise Luzio im verführerischsten Lichte; schnell von heftiger Liebe entzündet, dringt dieser in sie, für immer das Kloster zu verlassen und seine Hand anzunehmen. Den Kecken weiß sie sogleich würdevoll in Schranken zu halten, beschließt aber ohne Zögern, sein Geleit nach dem Gerichtshaus zum Statthalter anzunehmen. – Hier bereitet sich nun die Gerichtsszene vor, welche ich durch ein burleskes Verhör verschiedener Verbrecher gegen die Sittlichkeit durch den Sbirrenchef Brighella einleitete. Der Ernst der Situation wird dann desto auffälliger, als die finstre Gestalt Friedrichs durch das tobend eingebrochene Volk Ruhe gebietend eintritt und das Verhör Claudios durch ihn selbst in strenger Form vorgenommen wird. Schon will der Unerbittliche das Urteil aussprechen, als Isabella hinzukommt und vor allem eine einsame Unterredung mit dem Statthalter verlangt. In dieser beherrscht sie sich, dem gefürchteten und von ihr dennoch verachteten Manne gegenüber, mit edler Mäßigung, indem sie zunächst sich nur an seine Milde und Gnade wendet. Seine Einwürfe steigern ihren Affekt: sie stellt das Vergehen des Bruders in rührendem Lichte dar und bittet um Verzeihung für den so menschlichen und keineswegs unverzeihlichen Fehltritt. Da sie den Eindruck ihrer warmen Schilderung gewahrt, fährt sie immer feuriger fort, sich an die eigenen Gefühle des jetzt so hart sich verschließenden Herzens des Richters zu wenden, welches doch unmöglich nie den gleichen Empfindungen, welche den Bruder hinrissen, gänzlich verschlossen gewesen sein könnte, und dessen eigene Erfahrung sie jetzt zur Mithilfe für ihr angstvolles Gnadengesuch anrufe. Nun ist das Eis dieses Herzens gebrochen: Friedrich, von der Schönheit Isabellas bis in das Tiefste erregt, fühlt sich seiner nicht mehr mächtig; er verspricht Isabella, was sie nur verlange, um den Preis ihrer eigenen Liebe. Kaum ist sie dieser unerwarteten Wirkung innegeworden, als sie, in höchster Empörung über solche unbegreifliche Schändlichkeit, zu Türe und Fenster hinaus das Volk herbeiruft, um vor aller Welt den Heuchler zu entlarven. Schon stürzt alles in Aufruhr in die Gerichtshalle herein, als es Friedrichs verzweifelter Energie gelingt, mit wenigen bedeutungsvollen Weisungen Isabella das unmögliche Gelingen ihres Vorhabens darzutun: er würde kühn ihre Anschuldigung leugnen, seinen Antrag als Mittel der Versuchung angeben und zweifellos Glauben finden, sobald es sich darum handle, den Vorwurf eines leichtfertigen Liebesantrages zurückzuweisen. Isabella, selbst beschämt und verwirrt, erkennt das Rasende ihres Beginnens und überläßt sich dem Knirschen stummer Verzweiflung. Als nun Friedrich dem Volke von neuem seine[124] höchste Strenge und dem Verklagten sein Urteil angekündigt, gerät Isabella, durch die schmerzliche Erinnerung an Mariannes Schicksal geleitet, blitzschnell auf den rettenden Ausweg, durch List zu erreichen, was durch offene Gewalt unmöglich erscheint. Hierüber geht ihre Stimmung aus der tiefsten Trauer mit jähem Sprung in ausgelassene Laune über: dem jammernden Bruder, dem bestürzten Freunde, dem ratlosen Volke wendet sie sich mit der Verheißung des lustigsten Abenteuers zu, das sie allen bereiten werde, da selbst die Karnevals-Lustbarkeiten, welche der Statthalter soeben streng verboten, diesmal mit besondrer Ausgelassenheit begangen werden sollten: denn jener gefürchtete Verbieter stelle sich nur zum Schein so grausam, um alle Welt durch seine lustige Teilnahme an allem, was er verboten, desto angenehmer zu überraschen. Alles hält sie für wahnsinnig geworden, und namentlich Friedrich verweist ihr mit leidenschaftlicher Härte ihre unbegreifliche Torheit: wenige Worte ihrerseits genügen jedoch, den Statthalter selbst zum Taumel dahinzureißen; denn sie verspricht ihm mit heimlich zutraulichem Flüstern die Erfüllung aller seiner Wünsche und die Zusendung einer glückverheißenden Botschaft für die folgende Nacht. – So endet in höchster Aufregung der erste Akt. Welches der so schnell gefaßte Plan der Heldin ist, erfahren wir im Beginn des zweiten, wo sie im Gefängnis des Bruders sich einstellt, um diesen zunächst noch zu prüfen, ob er der Rettung wert sei. Sie entdeckt ihm die schmachvollen Anträge Friedrichs und fragt ihn, ob er um diesen Preis der Unehre seiner Schwester sein verwirktes Leben zu retten begehre? Der höchsten Entrüstung und Opferbereitwilligkeit Claudios folgt, da er nun Abschied für dieses Leben von der Schwester nimmt und er dieser die ergreifendsten Grüße an die hinterlassene trauernde Geliebte aufträgt, endlich die weiche Stimmung, welche den Unglücklichen durch die Wehmut bis zur Schwäche führt. Isabella, die ihm bereits seine Rettung ankündigen wollte, hält bestürzt inne, da sie den Bruder von der Höhe der edelsten Begeisterung bis zum leisen Bekenntnis der ungebrochenen Lebenslust, zur schüchternen Frage, ob der Preis seiner Rettung ihr unerschwinglich schiene, ankommen sieht. Entsetzt fährt sie auf, stößt den Unwürdigen von sich und kündigt ihm an, daß er nun zu der Schmach seines Todes auch noch ihre volle Verachtung hinnehmen solle. Nachdem sie ihn dem Schließer von neuem übergeben, zeigt sich ihre Haltung im schnellen Wechsel sofort wieder in heitrer übermütiger Fassung: sie beschließt zwar, den Wankelmütigen durch längere Ungewißheit, in welcher er über sein Schicksal bleiben soll, zu bestrafen, bleibt aber nichtsdestoweniger bei ihrem Vorsatz, die Welt von dem scheußlichsten Heuchler, der ihr je Gesetze vorschreiben wollte, zu befreien. Sie hat Marianne davon benachrichtigt, daß diese bei der Friedrich für die Nacht zugesagten Zusammenkunft die Stelle der treulos begehrten Isabella einnehmen solle, und sendet nun Friedrich die Einladung zu dieser Zusammenkunft zu, welche, um den Feind noch mehr in das Verderben zu verwickeln, in Maskenvermummung[125] und an einem der von ihm selbst untersagten Belustigungsorte stattfinden soll. Dem Wildfang Luzio, welchen sie für den kecken Liebesantrag an die Novize ebenfalls zu strafen sich vorgenommen hat, teilt sie Friedrichs Begehren und ihren vorgeblichen notgedrungenen Entschluß, diesem Begehren zu willfahren, in so unbegreiflich leichtgefaßter Weise mit, daß der sonst so Leichtfertige hierüber in das ernstlichste Erstaunen und verzweiflungsvolles Rasen gerät: er schwört, diese unerhörte Schmach, wenn die edle Jungfrau sie ertragen wolle, dennoch seinerseits mit aller Gewalt von ihr abzuwenden und lieber ganz Palermo in Brand und Aufruhr zu bringen. – Wirklich veranstaltet er, daß alles, was ihm bekannt und befreundet ist, am Abend, wie zur Eröffnung der verbotenen großen Karnevals-Prozession, sich am Ausgang des Korso einfinden soll. Als es mit Einbruch der Nacht dort bereits wild und lustig hergeht, findet sich Luzio ein, um durch ein ausgelassenes Karnevalslied mit dem Schlußrefrain ›Wer sich nicht freut bei unsrer Lust, dem stoßt das Messer in die Brust‹ bis zur offenen blutigen Empörung aufzureizen. Da unter Brighellas Führung eine Bande von Sbirren sich nähert, um die bunte Masse zu zerstreuen, soll das meuterische Vorhaben bereits zur Ausführung kommen; doch verlangt Luzio für jetzt noch nachzugeben und sich in der Nähe zu zerstreuen, da hier zuvor noch der eigentliche Anführer ihrer Unternehmung von ihm gewonnen werden solle: eben hier befindet sich nämlich der Ort, welchen Isabella in ihrem Übermut ihm als denjenigen ihrer vorgeblichen Zusammenkunft mit dem Statthalter verraten hat. Diesem letzteren lauert nun Luzio auf: wirklich erkennt er ihn in einer sorgfältig vermummten Maske, hält ihn im Wege auf, und da jener gewaltsam sich loswindet, will er ihm mit lautem Ruf und gezogener Waffe nachfolgen, als er, auf der im Gebüsch versteckten Isabella Veranstaltung, selbst aufgehalten und irregeleitet wird. Isabella tritt hervor, freut sich des Gedankens, in diesem Augenblick der verratenen Marianna den treulosen Gatten zurückgeführt zu wissen, und da sie soeben das versprochene Begnadigungspatent des Bruders in der Hand zu halten glaubt, ist sie im Begriff, gutmütig jeder weiteren Rache zu entsagen, als sie, beim Schein einer Fackel die Schrift erbrechend, zu ihrem Entsetzen den verschärften Hinrichtungsbefehl erkennt, welchen der Zufall dadurch, daß sie die Kunde der Begnadigung ihrem Bruder vorenthalten wollte, durch Bestechung des Schließers jetzt in ihre Hand geliefert hat. Nach harten Kämpfen gegen die ihn zerwühlende Leidenschaft der Liebe, hatte Friedrich, seine Ohnmacht gegen diesen Feind seiner Ruhe erkennend, beschlossen, wenn auch als Verbrecher, doch als Ehrenmann zugrunde zu gehen. Eine Stunde an Isabellas Busen, dann der eigne Tod – nach demselben Gesetz, dessen Strenge unwiderruflich Claudios Leben verfallen bleiben soll. Isabella, welche in dieser Handlung nur eine neue Häufung der Schändlichkeiten des Heuchlers erkennt, bricht noch einmal in das Rasen schmerzlichster Verzweiflung aus. Auf ihren Ruf zur sofortigen Empörung gegen[126] den schändlichsten Tyrannen strömt alles Volk in bunter leidenschaftlicher Verwirrung herbei: Luzio, welcher ebenfalls dazukommt, rät jedoch mit heftiger Bitterkeit dem Volk ab, dem Wüten des Weibes Gehör zu geben, das, wie ihn, gewiß auch sie alle täusche; denn er ist im Wahne ihrer schmachvollsten Untreue. Neue Verwirrung, gesteigerte Verzweiflung Isabellas: plötzlich vom Hintergrunde her burleske Hilferufe Brighellas, welcher, selbst in eine Situation der Eifersucht verwickelt, den verlarvten Statthalter aus Mißverständnis ergriffen hat und so nun dessen Entdeckung veranlaßt. Friedrich wird erkannt, die zitternd an seine Seite geschmiegte Marianne entlarvt; Staunen, Entrüstung, Jubel greifen um sich; die nötigen Erklärungen stellen sich rasch ein; Friedrich begehrt finster, vor das Gericht des zurückerwarteten Königs zum Empfang des Todesurteils gestellt zu werden. Der vom jauchzenden Volke aus dem Gefängnis befreite Claudio belehrt ihn, daß das Todesurteil nicht jederzeit für Liebesvergehen be stimmt sei: neue Boten melden die unerwartete Ankunft des Königs im Hafen; man beschließt, in voller Maskenprozession dem geliebten Fürsten, welcher zu seiner Herzensfreude wohl einsehen werde, wie übel es mit dem finstren Puritanismus des Deutschen im heißen Sizilien ergehen müsse, freudig huldigend entgegenzuziehen. Von ihm heißt es: ›Ihn freuen bunte Feste mehr, als eure traurigen Gesetze.‹ Friedrich mit seiner neu ihm vermählten Gemahlin Marianna muß nun den Zug eröffnen, die dem Kloster für immer verlorene Novize folgt mit Luzio als zweites Paar. –«
Diese lebhaften und in vieler Beziehung wohl kühn entworfen zu nennenden Szenen hatte ich in einer angemessenen Sprache und sorgfältigen Versen, welche schon von Laube beachtet worden waren, ausgearbeitet. Die Polizei stieß sich zunächst an dem Titel des Werks, welcher, wenn ich ihn nicht geändert hätte, schuld an dem gänzlichen Scheitern meiner Aufführungspläne gewesen wäre. Wir befanden uns in der Woche vor Ostern, und dem Theater waren Aufführungen lustiger oder gar frivoler Stücke in dieser Zeit untersagt. Glücklicherweise hatte die betreffende Magistratsperson, mit welcher ich hierüber unterhandeln mußte, mit dem Gedichte selbst sich nicht näher eingelassen, und da ich versicherte, daß es nach einem sehr ernsten Shakespeareschen Stücke gearbeitet sei, begnügte man sich mit der Abänderung des unter allen Umständen doch aufregenden Titels, wogegen die Benennung »Die Novize von Palermo« nichts Bedenkliches zu haben schien und im Betreff der Inkorrektheit desselben keine weitren Skrupel aufkamen. – Anders ging es mir kurz darauf in Leipzig, wo ich statt der geopferten »Feen« mein neues Werk zur Aufführung einzuschieben versuchte. Der Direktor Ringelhardt, den ich dadurch, daß ich seiner eignen, bei der Oper debütierenden Tochter die Partie der »Marianne« zuweisen wollte, schmeichelnd für mein Unternehmen zu gewinnen hoffte, nahm aus der von ihm begriffenen Tendenz des Sujets den nicht übel klingenden Vorwand,[127] meine Arbeit zurückzuweisen. Er behauptete, daß, wenn der Magistrat Leipzigs die Aufführung derselben gestatten würde, woran er aus Hochachtung vor dieser Behörde sehr zweifelte, er als gewissenhafter Vater seiner Tochter doch jedenfalls nicht erlauben würde, darin aufzutreten. –
Von dieser bedenklichen Eigenschaft meines Operntextes hatte ich bei der Magdeburger Aufführung merkwürdigerweise gar nicht zu leiden, da das Sujet, wie gesagt, der gänzlich unklaren Darstellung wegen dem Publikum rein unbekannt blieb. Dieser Umstand, und daß somit gar keine Opposition gegen die Tendenz sich gezeigt hatte, ermöglichte daher auch eine zweite Aufführung, gegen welche von keiner Seite her Einspruch erhoben wurde, da sich kein Mensch darum bekümmerte. Wohl fühlend, daß meine Oper keinen Eindruck hervorgebracht und das Publikum in eine gänzlich unentschiedene Stimmung darüber, was dies alles eigentlich zu sagen gehabt, gelassen hatte, rechnete ich wegen des Umstandes, daß dies die letzte Vorstellung unsres Opernpersonales war, dennoch auf eine gute, ja große Einnahme, weshalb ich mich denn auch nicht hindern ließ, die sogenannten »vollen« Preise für den Eintritt zu verlangen. Ob bis zum Beginn der Ouvertüre sich einige Menschen im Saale eingefunden haben würden, kann ich nicht genau ermessen: ungefähr eine Viertelstunde vor dem beabsichtigten Beginn sah ich nur Frau Gottschalk mit ihrem Gemahl und sehr auffallenderweise einen polnischen Juden im vollen Kostüm in den Sperrsitzen des Parterres. Dem ohngeachtet hoffte ich noch auf Zuwachs, als plötzlich die unerhörtesten Szenen hinter den Kulissen sich ereigneten. Dort stieß nämlich der Gemahl meiner ersten Sängerin (der Darstellerin der »Isabella«), Herr Pollert, auf den zweiten Tenoristen, Schreiber, einen sehr jungen hübschen Menschen, den Sänger meines »Claudio«, gegen welchen der gekränkte Gatte seit längerer Zeit einen im verborgenen genährten eifersüchtigen Groll hegte. Es schien, daß der Mann der Sängerin, der mit mir am Bühnenvorhange sich von der Beschaffenheit des Publikums überzeugt hatte, die längst ersehnte Stunde für gekommen hielt, wo er, ohne Schaden für die Theaterunternehmung herbeizuführen, an dem Liebhaber seiner Frau Rache zu üben habe. Claudio ward stark von ihm geschlagen und gestoßen, so daß der Unglückliche mit blutendem Gesicht in die Garderobe entweichen mußte. Isabella erhielt hiervon Kunde, stürzte verzweiflungsvoll ihrem tobenden Gemahl entgegen und erhielt von diesem so starke Püffe, daß sie darüber in Krämpfe verfiel. Die Verwirrung im Personal kannte bald keine Grenze mehr: für und wider ward Partei genommen, und wenig fehlte, daß es zu einer allgemeinen Schlägerei gekommen wäre, da es schien, daß dieser unglückselige Abend allen geeignet dünkte, schließlich Abrechnung für vermeintliche gegenseitige Beleidigungen zu nehmen. Soviel stellte sich heraus, daß das unter dem Liebesverbot Herrn Pollerts leidende Paar unfähig geworden war, heute aufzutreten. Der Regisseur ward vor den Bühnenvorhang gesandt, um der sonderbar gewählten kleinen[128] Gesellschaft, welche sich im Theatersaale befand, anzukündigen, daß »eingetretener Hindernisse« wegen die Aufführung der Oper nicht stattfinden könnte. –
Dies war das Ende meiner vielverheißenden und mit verhältnismäßig großen Opfern begonnenen Dirigenten- und Komponisten-Laufbahn in Magdeburg. – Die »Heiterkeit der Kunst« wich von nun an gänzlich dem »Ernste des Lebens«. Meine Lage war zu überdenken und gewährte dabei keinen erfreulichen Anblick. Alle Hoffnungen, die ich, selbst gemeinschaftlich mit Minna, auf den Erfolg meines Werkes begründet hatte, waren spurlos vernichtet. Meine auf diese in Aussicht gestellte Einnahme verwiesenen Gläubiger verzweifelten an meinem Talente und hielten sich dagegen lediglich an meine bürgerliche Person, welcher sie durch schleunig eingereichte gerichtliche Klagen beizukommen suchten. Meine kleine Wohnung auf dem »Breiten Weg« war mir, da ich bei jeder Heimkehr an der Türe eine gerichtliche Vorladung angenagelt fand, höchst widerwärtig geworden; ich vermied sie von nun an gänzlich, namentlich auch da mein brauner Pudel, der mir dieses Asyl bisher noch erheitert hatte, spurlos verschwunden war, welches ich für ein böses Anzeichen des gänzlichen Verfalls meiner Lage betrachtete. Jetzt gewährte Minna mit wahrhaft tröstlicher Sicherheit und Standhaftigkeit in jeder Art des Verhaltens mir einen letzten, höchst wohltuenden Anhalt. Umsichtig hatte sie zuvörderst für ihr eignes Fortkommen gesorgt und stand im Begriff, mit der Theaterdirektion von Königsberg in Preußen einen nicht ungünstigen Kontrakt abzuschließen. Nun galt es, für mich eben daselbst ein Unterkommen als Musikdirektor zu finden: ein solcher ward nicht gesucht; da der Königsberger Direktor aus unsrer Korrespondenz wohl aber ersah, daß Minnas Annahme des Engagements von der Möglichkeit auch meiner Anstellung an dem gleichen Theater abhinge, eröffnete er die nahe Aussicht der Erledigung des Postens und seine Bereitwilligkeit, diesen mit mir zu besetzen. Daraufhin kamen wir überein, daß Minna nach Königsberg vorangehen und mir den Weg zur Nachfolge bahnen sollte. Ehe dies zur Ausführung kam, verlebten wir noch eine bange, in meiner Erinnerung als höchst beängstigend aufbewahrte Zeit in Magdeburgs Mauern. Zwar machte ich noch einen Versuch, in Leipzig persönlich einiges für die Besserung meiner Lage zu erwirken, worunter auch die oben erwähnten Verhandlungen mit dem Theaterdirektor im Betreff meiner neuen Oper zu rechnen sind. Doch sah ich bald ein, daß meines Bleibens in meiner Vaterstadt und in der mich beängstigenden Nähe meiner Familie, von der es mich unruhig hinwegtrieb, nicht mehr war. Meine tief erregte, schwermütig verschlossene Stimmung ward von den Meinigen erkannt: die Mutter beschwor mich, was ich auch erwählen möge, nur um des Himmels willen mich nicht bei so großer Jugend zu einer Heirat hinreißen zu lassen. Ich schwieg. Da ich schied, gab mir Rosalie das Geleit bis auf die Treppe; ich gab vor, nach Besorgung nötiger[129] Geschäfte in Bälde wieder zurückzukehren, und wollte leichthin ihr nur ein flüchtiges Adieu sagen: sie ergriff mich bei der Hand, sah mir lange in die Augen und sagte: »Gott weiß, wann ich dich wiedersehe!« – Dies schnitt mir durchs Herz, schien jedoch nur mein böses Gewissen zu treffen: daß sie zugleich aber die Ahnung ihres frühen Todes aussprach, konnte mir erst aufgehen, als ich nach kaum zwei Jahren, ohne sie wiedergesehen zu haben, die Kunde von ihrem plötzlichen Ende erhielt. –
Jetzt verbrachte ich noch einige Wochen in größter Zurückgezogenheit bei Minna in Magdeburg: sie selbst half, so gut sie konnte, gegen die äußersten Bedrängnisse meiner Lage. In Erwartung der Trennung und ihrer ungewissen Dauer verließ ich sie kaum mehr, und unsre einzige Erholung bestand in Spaziergängen nach der entlegeneren Umgebung der Stadt. Bange Anzeichen drückten die Stimmung: die warme Maiensonne, die uns, wie zur Verhöhnung der verlassenen Lage, die traurigen Straßen Magdeburgs beschien, verfinsterte sich eines Tages so vollständig, wie ich es seitdem nie wieder erlebt, und erfüllte mich mit wahrhaftem Grauen. Von einem Spaziergange zurückkehrend, nahten wir uns der Elbbrücke und gewahrten einen Mann, der soeben von dort sich in das Wasser hinabstürzte: wir traten an das Ufer, riefen nach Hilfe und vermochten den Müller einer der auf dem Flusse liegenden Wassermühlen, dem, von der Strömung in dieser Richtung geführten, mit dem Tode ringenden Unglücklichen, als er grade der Mühle sich näherte, einen Rechen entgegenzuhalten, an welchem jener sich retten sollte. Mit unbeschreiblicher Angst sahen wir dem entscheidenden Augenblick entgegen – gewahrten, wie der Ertrinkende wirklich nach dem Rechen griff, ihn aber verfehlte und in demselben Augenblick unter der Mühle verschwand, um nie wieder gesehen zu werden. – Am gleichen Morgen, an welchem ich Minna an den Postwagen brachte, um dort von ihr einen mich so sehr bekümmernden Abschied zu nehmen, strömte die ganze Bevölkerung der Stadt zu einem der Tore hinaus, um auf einem weiten Anger einer »durch das Rad von unten« zu vollziehenden Hinrichtung zuzusehen. Der Verbrecher war ein Soldat, der seine Braut aus Eifersucht vorsätzlich ermordet hatte. Als ich hierauf zu meinem letzten Mittagsmahl im Gasthof mich niederließ, hörte ich von allen Seiten nichts als die scheußlichen Einzelheiten der befolgten national-preußischen Hinrichtungsmethode berichten. Ein junger Assessor, großer Musikfreund, erzählte seine Unterredung mit dem von Halle her requirierten Scharfrichter, mit welchem er sich über die humanen Mittel zur Beschleunigung der Tötung des Schlachtopfers zu beraten gehabt hatte, wobei er der eleganten Kleidung und Haltung des entsetzlichen Menschen mit Schaudern gedachte. – Dies waren die letzten Eindrücke, mit welchen ich von dem ersten Orte meiner künstlerischen Wirksamkeit und bürgerlichen Selbständigkeits-Versuche schied. Sie sind mir seitdem oft mit seltsamer Bezüglichkeit wiedergekehrt, wenn ich mit dem Gefühle, es sei für immer, von denjenigen Städten mich wandte, an welchen[130] ich, wo es auch war, Gedeihen für meine Kunst oder bürgerliche Wohlfahrt gesucht hatte. Nicht sehr unähnlich waren meine Empfindungen beim Verlassen jedes Ortes, wo ich in jener Absicht geweilt. –
So traf ich am 18. Mai dieses Jahres 1836 zum ersten Male in Berlin ein und lernte auch die eigentümliche Physiognomie dieser anspruchsvollen Königsstadt kennen. In dem Gasthof »Zum Kronprinzen« auf der Königsstraße, in welchem einige Monate zuvor Minna sich aufgehalten hatte, suchte ich denn mit den bescheidensten Ansprüchen in sehr unsicherer Erwartung für meine Lage ein dürftiges Unterkommen. Einen vertrauten Anhalt gewährte es mir, Laube in Berlin wiederzufinden, wo er, dem Entscheide des gerichtlichen Urteils über ihn entgegensehend, privatisierend und mit literarischen Arbeiten beschäftigt sich aufhielt. Für das Schicksal meines »Liebesverbotes« hatte er eine Schwäche und ging mir mit gutem Rat für die Benützung der vorliegenden persönlichen Verhältnisse, zum Zweck der zu erlangenden Aufführung dieser Oper am »Königstädter« Theater, an die Hand. Dieses Theater stand unter der Direktion eines der originellsten Produkte des Berliner Bevölkerungswesens: er nannte sich Cerf und war durch den König von Preußen ermächtigt, den Titel eines »Kommissionsrates« zu führen. Für seine große Begünstigung von seiten des Hofes führte man allerhand nicht besonders geschmackvolle Gründe an; es war ihm vermöge derselben gelungen, die Privilegien des Vorstadttheaters außerordentlich zu erweitern. Der Verfall der Großen Oper am königlichen Theater führte dem leichteren Genre, welches die Königstädtsche Bühne mit Glück pflegte, die bevorzugende Gunst des Publikums zu. Durch solche Erfolge übermütig, stimmte der Direktor dem Urteil derjenigen, welche die geschickte Führung eines Theaters nur von gemeinen und ungebildeten Menschen erwarten zu dürfen erklärten, mit dem unverhohlenen Selbstgefühl, der richtige Mann in diesem Sinne zu sein, bei und bewahrte nach allen Seiten hin auf das ergötzlichste seine glückliche Ignoranz. Ganz nur auf seinen natürlichen Blick sich verlassend, hatte er sich eine völlig diktatorische Stellung zu den künstlerischen Beamten seines Theaters beigelegt: er durfte ganz nach Gunst und Ungunst verfahren. Diese Eigenschaft schien mir zum Vorteil auszuschlagen: Cerf erklärte bei meinem ersten Besuche, daß ich ihm gefiele, wünschte mich aber lieber als »Tenorist« verwenden zu können; meinem Anliegen, das Liebesverbot aufzuführen, setzte er nicht das mindeste Bedenken entgegen, sondern versprach es sogleich. Namentlich aber wollte er mich als Musikdirektor anstellen. Er war im Begriff sein Opernpersonal zu erneuern und setzte hierbei voraus, daß sein Kapellmeister Gläser, der Komponist von »Adlerhorst«, durch seine Parteinahme für die ältern Sänger seinen Absichten hinderlich sein würde, weshalb er mich seinem Theater zugesellt wissen wollte, um jemanden zu haben, welcher »für die neuen Sänger eingenommen wäre«. Dies alles machte sich so leicht, daß es mir wohl kaum zu verdenken war, wenn ich[131] mich an einer besonders günstigen Wendung meines Schicksals angelangt glaubte und mein schwermütiges Herz durch günstige Hoffnung erleichtert fühlte. Kaum erlaubte ich mir, meine Lage einigermaßen diesen freundlichen Erwartungen gemäß einzurichten, als mir auch klarwerden sollte, wie sehr ich hierbei auf Sand gebaut hatte. Mit wahrhaftem Grauen erfüllten mich die schnell sich mehrenden Wahrnehmungen des fast boshaft aussehenden Betrugs, welchen Cerf, wie es schien rein zu seinem Vergnügen, sich gegen mich erlaubt hatte. Nach Art der Potentaten hatte er seine Gnadenbezeigungen mir direkt und autokratisch erwiesen; die Rücknahme und Ungültigkeitserklärung seiner Versprechungen ließ er jedoch durch seine Beamten und Sekretäre ausführen, indem er auch sein ausnahmsweises Verhalten zu mir plötzlich in das gewöhnliche Geleis der scheinbaren Abhängigkeit des Potentaten von seiner Bürokratie hinübergleiten ließ. Mit denselben Menschen, vor denen er mich zuvor gewarnt hatte und gegen welche er mich sich verbündet wissen wollte, hatte ich mich endlich, als Cerf möglichst ohne jede Entschädigung mich loszuwerden wünschte, über alles das, was zwischen uns bestimmt abgemacht war, gewissermaßen gesuchsweise zu verständigen. Kapellmeister, Regisseur, Sekretär und ähnliche Herren hatten mir zu beweisen, daß meine Wünsche nicht zu erfüllen seien und daß der Direktor für meine nutzlos in der Erwartung der Erfüllung der mir gemachten Zusagen hingebrachte Zeit keinerlei Entschädigung schulde. Ich entsinne mich, daß der mühselig sich abwickelnde Prozeß dieser Erfahrungen mich mit ahnungsvollem Weh für mein ganzes Leben erfüllte. –
Meine Lage ward außerdem dadurch gegen zuvor noch bedeutend verschlimmert. Mit Königsberg, von wo aus jetzt Minna mir über meine auf dort gerichteten Hoffnungen Mitteilungen machte, erfuhr ich nichts Ermutigendes: der dortige Theaterdirektor schien zu seinem bisherigen Musikdirektor in einem unklaren Verhältnis zu stehen, über welches ich mich erst später genügend aufklären konnte, das für jetzt aber meine Aussichten auf die gewünschte Stelle in unverständlicher Weise in die Ferne stellte. Doch schien es gewiß, daß ich im Herbst die Königsberger Stelle würde antreten können: da ich in Berlin gänzlich ohne Anhalt umherschwankte und an eine Rückkehr nach Leipzig um keinen Preis denken wollte, baute ich mir auf diesen schwachen Hoffnungen mühselig das Schiff, welches mich aus dem Berliner Sandmeer in den schützenden Hafen der Ostsee führen sollte.
Dies war mir jedoch erst möglich geworden, nachdem ich noch schwere und ernste Kämpfe, welche auf mein Verhältnis zu Minna sich bezogen, in meinem Innern durchgefochten hatte. Ein unbegreiflicher Zug dieses sonst so einfach scheinenden weiblichen Charakters hatte mein junges Herz in große Beunruhigung gestürzt. Ein gutmütiger, vermögender Kaufmann jüdischer Abkunft namens Schwabe, welcher bis dahin in Magdeburg etabliert gewesen war, näherte sich mir teilnehmend in Berlin; und, wie ich[132] bald erfuhr, galt diese Teilnahme hauptsächlich dem leidenschaftlichen Interesse, welches er für Minna gefaßt hatte. Mir ist später klargeworden, daß zwischen diesem Mann und Minna ein Verhältnis bestanden hatte, welches an sich nicht wohl als eine Untreue gegen mich angesehen werden konnte, da es in seinem Verlaufe sich als eine bestimmte Zurückweisung der Werbung des Nebenbuhlers zu meinen Gunsten herausstellte: nur daß dies so geheim geschehen war, daß ich bis dahin gar keine Ahnung davon hatte, auch daß mir die Vermutung blieb, Minnas wohlbestellte Verhältnisse hätten sich zum Teil der Freundschaft dieses Menschen verdankt, erfüllte mich mit düstren Bedenken. Da ich jedoch, wie gesagt, keiner eigentlichen Untreue auf den Grund kommen konnte, empfand ich mehr nur eine störende und ängstigende Unruhe, die mich zu dem halb verzweiflungsvollen Willen drängte, durch vollkommene Versicherung der Geliebten mich nach dieser Seite hin in das Gleichgewicht zu bringen. Es schien mir, als ob sowohl meine bürgerliche Stetigkeit als mein künstlerisches Gedeihen durch eine rückhaltlose Verbindung mit Minna mir versichert werden würden. Bereits hatten die zwei Jahre, welche ich beim Theater verbrachte, mich in einer Zerstreuung erhalten, welche meinem innersten Bewußtsein sich fast qualvoll fühlbar machte: dunkel ahnte es mir, daß ich mich auf übel leitenden Irrwegen befand; ich sehnte mich nach Sammlung und Ruhe und hoffte diese am entsprechendsten durch den Abschluß des Verhältnisses zu finden, welches selbst der Quell so ernstlicher Beunruhigungen für mich geworden war. Laube mochte wohl dem übel bestellten, leidenschaftlich und verzehrt aussehenden jungen Manne anmerken, daß es mit ihm eine besondre Bewandtnis habe: in seinem Umgange, der für mich immer etwas Tröstliches hatte, gewann ich die einzigen, einigermaßen lohnenden Eindrücke von Berlin. Der wichtigste künstlerische Eindruck, den ich außerdem dort erhielt, kam mir aus einer Aufführung des »Ferdinand Cortez« unter Spontinis eigner Leitung: der Geist derselben überraschte mich auf fast ungekannte Weise. Ließ mich auch die eigentliche Darstellung, namentlich in betreff der Hauptpersonen, die sämtlich nicht mehr der Blüte der Berliner Oper angehörten, kalt, und kam es auch nie zu einer Wirkung, die sich nur annähernd derjenigen, welche die Schröder-Devrient auf mich gemacht hatte, vergleichen konnte, so war mir doch das außerordentlich präzise, feurige und reichorganisierte Ensemble des Ganzen durchaus neu. Ich gewann eine neue Ansicht von der eigentümlichen Würde großer theatralischer Vorstellungen, welche in allen ihren Teilen durch scharfe Rhythmik zu einem eigentümlichen, unvergleichlichen Kunstgenre sich steigern konnten. Dieser sehr deutliche Eindruck lebte drastisch in mir fort und hat mich bei der Konzeption meines »Rienzi« namentlich geleitet, so daß in künstlerischer Beziehung Berlin seine Spuren in meinen Entwicklungsgang eingrub.
Für jetzt galt es jedoch, meiner äußerst hilflos gewordenen Lage aufzuhelfen. Ich war dazu entschlossen, mich nach Königsberg zu wenden und[133] hatte meinen Entschluß, wie die darauf begründeten heilsamen Annahmen, Laube mitgeteilt. Dieser treffliche Freund erkannte es, ohne weiter darum angegangen zu werden, als seine Aufgabe, mir durch seine energische Vermittelung zur Befreiung aus meiner Berliner Verlassenheit und zur Erreichung meines nächsten Zieles zu verhelfen, was durch Vereinigung mehrerer, Laube befreundeter Personen gelang. Beim Abschied ermahnte mich der Freund, der mir teilnehmend in das Herz blickte, auch bei erwünschtem Gedeihen meiner Musikdirektoren-Laufbahn mich nicht in die Flachheit des Theater-Lebens verstricken zu lassen und nach ermüdenden Proben, statt zum Liebchen zu gehen, lieber ein tüchtiges Buch zur Hand zu nehmen, damit auch meine größern Anlagen der kräftigenden Pflege nicht entbehren möchten. Ich verschwieg ihm, daß ich im Sinne hatte, durch frühzeitigen vollständigen Abschluß nach dieser zerstreuenden Seite hin, mich gänzlich gegen das Aufreibende des Theaterliebschaftswesens schützen zu wollen. So trat ich am 7. Juli die damals äußerst beschwerliche und ermüdende Reise nach dem fernen Königsberg an.
Mir war es, als ging es aus der Welt, als ich tagelang durch die Wüsten der Marken dahinrollte. Traurig und demütigend wirkte auf mich dann zunächst der äußerliche Eindruck von Königsberg, wo ich in einer dem Theater nahegelegenen Vorstadt (»Tragheim«) vom ärmlichsten Anschein in einer dorfähnlichen Gasse das schlechte Haus aufsuchte, in welchem Minna Unterkunft genommen hatte. Der ihr eigene freundliche und wohlwollende Gleichmut wirkte aber bald heimisch wohltätig auf mich. Sie gefiel am Theater sehr, war der Direktion und den Theaterfreunden wert; ihrem Bräutigam, für den ich nun offen galt, schien dies zugute kommen zu müssen. War auch noch keine deutliche Aussicht für meine Anstellung eröffnet, so kamen wir doch überein, daß ich zunächst einige Zeit aushalten möchte; die Sache werde sich wohl machen. Dieses war namentlich auch die Meinung eines vorzüglichen Königsberger Theaterfreundes, des wunderlichen Abraham Möller, welcher Minna und endlich auch mir eine große freundschaftliche Teilnahme widmete. Dieser bereits ältliche Mann gehörte der in Deutschland jetzt wohl gänzlich ausgestorbenen Gattung leidenschaftlicher Theaterliebhaber an, von denen in der Geschichte der Schauspieler aus früheren Zeiten so manches berichtet wird. Man konnte mit dem Manne, der sonst den verwegensten spekulativen Geschäften nachging, nicht eine Stunde zusammen sein, ohne von der Glorie der früheren Theaterzeiten in einem nicht entmutigenden Sinne Mitteilungen anhören zu müssen. Er hatte sich, als früher vermögender Mann, den Umgang, selbst die Freundschaft fast aller großen Schauspieler und Schauspielerinnen zu verschaffen gewußt. Durch allzu große Liberalität hatten sich leider seine Vermögensumstände sehr verschlechtert, und er war nun genötigt, durch allerhand sonderbare Geschäfte, bei welchen ohne Einsatz zu gewinnen war, die Mittel zu erschwingen, seiner Theaterlust und Liebe zur Protektion von[134] Theaterangehörigen eine dürftige, dem heruntergekommenen Zustande des Theaters aber ganz richtig entsprechende Unterlage zu geben. Dieser wunderliche Mann, welchen der Theaterdirektor Anton Hübsch einigermaßen zu fürchten Grund hatte, übernahm es, meine Anstellung in Ordnung zu bringen. Was ihr entgegenstand, war folgendes Verhältnis: der sehr tüchtige Musiker Louis Schubert, schon in frühester Zeit mir als erster Violoncellist des Magdeburger Orchesters bekannt geworden, war von Riga, wo das Theater für einige Zeit sich aufgelöst und wo er seine Frau zurückgelassen hatte, nach Königsberg gekommen, um dort so lang die Stelle des Musikdirektors einzunehmen, bis das neue Theater in Riga wieder eröffnet und er dorthin zurückkehren würde. Diese Wiedereröffnung des Rigaschen Theaters, welche schon zu Ostern dieses Jahres hatte stattfinden sollen, verzögerte sich, und es lag ihm nun daran, Königsberg nicht zu verlassen; da er in seinem Fach sehr tüchtig war, entstand für den Theaterdirektor die Verlegenheit, sich für Schubert, dessen Bleiben oder Gehen ganz von auswärtigen Verhältnissen abhing, eines Nachfolgers zu versichern, welcher dann einzutreten bereit wäre, wenn Schuberts Verhältnisse seinen Abgang herbeiführten. Somit konnte ein neuer junger Musikdirektor, welcher sich um jeden Preis nach Königsberg gezogen fühlte, als Reserve und schnell nötig werdender Ersatz nur sehr willkommen sein. Auch erklärte der Direktor sich bereit, mir bis zur Zeit meines definitiven Antritts ein Sustentations-Gehalt zu zahlen. Von Schubert dagegen ward meine Ankunft mit höchstem Grimm gesehen, die Nötigung, bald nach Riga zurückzugehen, war für ihn entschwunden, da die Wiedereröffnung des dortigen Theaters auf unbestimmte Zeiten verschoben war. Für das Verbleiben in Königsberg hatte er aber außerdem ein besondres Interesse gewonnen, und zwar durch die in ihm rege gewordene besondre Teilnahme für die erste Sängerin der Königsberger Oper, welche ihn auch gegen den Wunsch der Rückkehr zu seiner Frau erkalten ließ. So klammerte er sich endlich mit großer Leidenschaftlichkeit an seine Königsberger Stellung an, erblickte in mir seinen Todfeind und wandte alle Mittel der Selbsterhaltung dazu an, mir das Verbleiben in Königsberg und das an und für sich sehr peinliche Warten auf seinen Fortgang zur Hölle zu machen. Während ich zuvor in Magdeburg mit Musikern und Sängern in dem freundschaftlichsten Verhältnis gestanden hatte und vom Publikum äußerst wohlwollend beachtet worden war, hatte ich hier bald nach jeder Seite hin mich gegen die kränkendsten Anfeindungen zu wehren. Diese sich bald mir eröffnende widerwärtige Lage trug nicht wenig dazu bei, mich in Königsberg wie in der Verbannung angekommen zu fühlen. Daß ich gerade unter solchen Verhältnissen die Verbindung mit Minna ertrotzen sollte, erschien selbst meiner Leidenschaftlichkeit als höchst bedenkliches Wagnis. – Anfangs August ging die Gesellschaft für einige Zeit zur Abhaltung einer Sommersaison nach Memel: ich folgte Minna in einigen Tagen nach. Die Reise geschah zum größten Teil[135] zu Schiff auf dem Kurischen Haff bei üblem Wetter und schlechtem Wind ohne Dampf: eine der melancholischsten Fahrten, die ich je erlebt. Auf dem dünnen Sandstreifen, welcher dieses Haff von der Ostsee trennt, wurde mir im Vorbeifahren das Schloß von Runsitten gezeigt, wohin Hoffmann eine seiner schaurigsten Erzählungen (»Das Majorat«) verlegt hat. Daß ich gerade hier, in dieser öden, trübseligen Umgebung, seit lange zum ersten Male wieder mit meinen phantastischen Jugendeindrücken mich berühren sollte, wirkte seltsam und schaurig auf meine Stimmung. – Der traurige Aufenthalt in Memel, die trübselige Rolle, welche ich dort spielte, alles wirkte zusammen, mich in Minna, um deren willen ich wiederum doch nur in eine so beängstigende Lage mich begeben hatte, meinen einzigen tröstlichen Anhalt suchen zu lassen. Freund Abraham kam uns aus Königsberg nach und schien zu meinen Gunsten allerhand sonderbares Spiel in Bewegung zu setzen, offenbar um den Direktor mit dem Musikdirektor zu überwerfen. Wirklich meldete sich eines Tages Schubert, infolge eines nächtlichen Wirtshaus-Disputes mit Hübsch, für eine von »Euryanthe« abzuhaltende Orchesterprobe krank, um hierdurch den Direktor zu veranlassen, mich schnell an das Direktionspult zu berufen – wobei der Rivale boshaft voraussetzte, daß ich, auf diese selten gegebene schwierige Oper gänzlich unvorbereitet, bei dieser Gelegenheit mir für seine feindlichen Absichten willkommene Blößen geben sollte. Obgleich ich wirklich die Partitur der »Euryanthe« noch nie vor mir gehabt hatte, ging jedoch sein Wunsch so wenig in Erfüllung, daß er vorzog, für die Aufführung wieder gesund zu werden, um selbst zu dirigieren, was er nicht getan haben würde, wenn die Oper meiner Unfähigkeit wegen nicht hätte gegeben werden können. In kümmerlicher Lage, gekränkt und unter dem rauhen Klima, welches selbst an Sommerabenden schaurig frostig sich auf mich senkte, verlebte ich, nur in der Abwehr der peinlichsten Lebensmühen begriffen, eine für meine künstlerische Entwickelung gänzlich verlorne Zeit; bis endlich mit der Rückkehr nach Königsberg, namentlich unter Freund Möllers Vormundschaft, die Frage, was daraus werden sollte, ernstlicher erwogen wurde. Von Danzig aus war mir und Minna zugleich ein nicht unvorteilhaftes Engagement angeboten, und zwar durch Vermittelung meines Schwagers und meiner Schwester Wolfram, welche sich dorthin gewandt hatten. Unser Theaterfreund benutzte diesen Fall, um den Direktor Hübsch, welchem namentlich an der Erhaltung Minnas gelegen war, zum Abschluß eines ehrenvollen Kontraktes für uns beide zu bewegen, wonach ich von Ostern nächsten Jahres an unter allen Umständen als wirklicher Musikdirektor seines Theaters einzutreten hatte und uns beiden eine Hochzeits-Benefiz-Vorstellung zugesichert wurde, für welche wir die »Stumme von Portici« unter meiner Orchesterdirektion wählten. Denn so fand nun namentlich Möller: wir müßten uns heiraten und Hochzeit machen; anders ging' es nun nicht mehr. Minna hatte nichts dagegen, und ich schien durch alle meine bisherigen Bestrebungen und[136] Entschlüsse mir selbst bewiesen zu haben, daß ich nichts eifriger erstrebte, als in diesen Hafen der Ruhe einzulaufen. Dem ohngeachtet sah es in meinem tiefsten Innern um jene Zeit wunderlich genug aus.
Mit Minnas Leben und Charakter war ich genügend bekannt geworden, um die bedeutenden Divergenzen unsrer verschiedenen Naturen mir so klar, als es bei so einem wichtigen Schritte nötig war, machen zu können, wenn ich zu solchem Urteil die entsprechende Reife um jene Zeit bereits erlangt gehabt hätte. – Diejenige, die mir nun bald vermählt werden sollte, stammte von mühsam sich nährenden Eltern aus Oederan im sächsischen Erzgebirge. Ihr Vater, ein sonderbarer Mann von großer Lebenskraft, der im spätern Alter bedenkliche Spuren von Geistesverwirrung zeigte, war in jungen Jahren sächsischer Stabstrompeter gewesen, hatte als solcher einen Feldzug in Frankreich sowie die Schlacht bei Wagram mitgemacht; dann war er zu mechanischen Arbeiten übergegangen und verfertigte Wollkrempeln, mit denen er eine Zeitlang, da er eine besondre Verbesserung in der Herstellung derselben einführte, erträgliche Geschäfte gemacht haben soll. Ein reicher Fabrikant in Chemnitz hatte für das Ende eines Jahres große Bestellungen bei ihm gemacht: die Kinder, deren zarte Finger hierzu besonders gute Dienste leisteten, mußten Tag und Nacht angestrengt arbeiten, wofür ihnen der Vater eine besonders gute »Weihnacht« verhieß, da er einer reichen Einnahme entgegensah. Als die ersehnte Zeit herankam, traf ihn dagegen die Nachricht vom Bankrott des Bestellers: das schon Abgelieferte war verloren, das noch vorrätige Material ohne Aussicht auf Absatz. Von der Verwirrung, in welche dies Unglück die Familie setzte, konnte sie sich nie wieder erholen: sie wendete sich nach Dresden, wo der Vater als geschickter Mechaniker, namentlich bei dem Bau von Klavieren, zu denen er einzelne Bestandteile lieferte, sich lohnende Arbeit zu finden versprach. Außerdem führte er bedeutende Vorräte des für die Krempeln bestimmten feinen Drahtes mit sich, der hier so vorteilhaft wie möglich zum Verkauf gebracht werden sollte. Die zehnjährige Minna ward beauftragt, Partien davon den Putzmacherinnen für das Verfertigen von Blumen zum Abkauf anzubieten: mit dem schweren Korbe voll Draht machte sie sich auf und verstand es, so angelegentlich zum Ankauf desselben zuzureden, daß sie bald den ganzen Vorrat glücklich und vorteilhaft untergebracht hatte. Von hier an entstand in ihr der Wunsch und die Sehnsucht, durch eigene Tätigkeit der immer mehr verarmenden Familie von Nutzen sein zu können und sich selbst bald möglichst zu der Selbständigkeit zu verhelfen, welche die Eltern der Sorge für sie entheben sollte. Da sie erwuchs und ihr freundliches Äußeres sich bald zu auffallender Anmut entwickelte, zog sie frühzeitig die Augen der Männerwelt auf sich. Ein Herr von Einsiedel verliebte sich sterblich in sie und wußte seine Leidenschaft dem unerfahrenen jungen Mädchen in einer unbewachten Stunde verderblich zu machen. Halb Gewalt, halb Verführung brachte sie in seine Gewalt. Der höchste Schrecken[137] kam in die Familie: nur die Mutter und eine ältere Schwester durften erfahren, in welch schrecklicher Lage sich Minna befand; dem Vater, von dessen Zorn das Härteste zu fürchten war, blieb es stets verborgen, daß die kaum siebzehnjährige Tochter Mutter ward und unter Umständen, die ihr Leben auf das äußerste bedrohten, ein Mädchen gebar. Von nun an fühlte sich Minna, welche in keiner Weise von dem Verführer Recht erlangen konnte, doppelt veranlaßt, ihrer Selbständigkeit und dem Austritt aus dem elterlichen Hause nachzutrachten. Durch Bekannte war sie mit einem Gesellschaftstheater in Berührung getreten: sie erregte bei einer Vorstellung desselben die Aufmerksamkeit von Mitgliedern des königlichen Hoftheaters und vor allem die des anwesenden Direktors des Dessauer Hoftheaters, welcher ihr sofort ein Engagement an seiner Bühne antrug. Mit Freuden ergriff sie diesen Ausweg aus ihrer drückenden Lage, da er ihr durch eine mögliche glänzende Laufbahn beim Theater zugleich die Mittel, für ihre Familie vielleicht dereinst sogar reichlich sorgen zu können, zeigte. Ohne jede Leidenschaft für das Theater, ohne Flattersinn und Neigung zur Gefallsucht, ersah sie in der theatralischen Laufbahn eben nur das Mittel zu einer schnellen, möglicherweise sogar reichlichen Versorgung. Ohne irgendwelche Bildung zur Kunstempfänglichkeit vorbereitet, erblickte sie im Theater genau nur die Schauspielergesellschaft. Gefallen und Nichtgefallen war ihr von Wert für die Behauptung einer guten bürgerlichen Selbständigkeit: alle Mittel, sich dieser auf dem vorliegenden Wege zu versichern, schienen ihr so zur Sache gehörig, wie dem Kaufmann es unerläßlich gilt, seine Ware am Schaufenster anziehend auszustellen. Den Direktor, den Regisseur, die beliebtesten Mitglieder sich zu Freunden zu machen, schien ihr notwendigste Klugheit: diejenigen Theaterfreunde, welche durch ihr Urteil oder ihren Geschmack auf das Publikum und namentlich wieder auf die Direktion einwirkten, erkannte sie als Wesen, von denen die Erreichung ihrer innigsten Wünsche abhing; sie nie sich zum Feind zu machen, schien ihr so natürlich notwendig, daß der Erhaltung ihrer Gewogenheit keinerlei Rücksichten auf das persönliche Selbstgefühl entgegenzusetzen seien. Ihr Benehmen hatte sich hierbei eine besondre Klugheit angeeignet, die einerseits auf die Vermeidung des üblen Anscheins gerichtet war, andrerseits aber Entschuldigung selbst für das Auffällige fand, sobald sie sich im letzten Grunde der Vorgänge nichts Übles bewußt war, woraus ein Gemisch von Widersprüchen entstand, deren bedenklichen Sinn zu fassen sie unfähig blieb. Ersichtlich war, daß ihr der eigentliche Zartsinn abging; sie zeigte dafür nur Schicklichkeitsgefühl, mit welchem sie das sogenannte »Anständige« in das Auge faßte, ohne die Nichtigkeit desselben begreifen zu können, sobald der Zartsinn dabei verletzt wurde. Das Gefühl für Kunst, da es ihr somit an aller Idealität fehlte, ging ihr vollständig ab; Talent für das Theater besaß sie ebenfalls nicht: ihr Gefallen rührte von ihrer lieblichen Erscheinung her; ob es mit der Zeit erlangter Routine gelungen sein[138] würde, sie zu einer »guten« Schauspielerin zu machen, kann ich nicht beurteilen. Die eigentümliche Macht, welche sie über mich ausübte, rührte somit keineswegs von der ursprünglich mächtig auf mich wirkenden idealen Seite der Dinge her, sondern im vollen Gegenteile wirkte sie durch die Nüchternheit und Solidität des Wesens, welches bei meiner großen Zerfahrenheit auf den Irrwegen nach einem idealen Ziele mir nötigen Anhalt und Ergänzung bot. Sehr bald hatte ich mich daran gewöhnt, mein ideales Bedürfnis nie vor Minna in das Spiel zu bringen: in höchster Unklarheit hierüber bei mir selbst, ging ich gutmütig lächelnd und scherzend über diesen Punkt hinweg, zeigte mich natürlich nun aber desto empfindlicher gegen die Beängstigungen, welche mir von derjenigen Seite des weiblichen Wesens entstanden, auf welcher ich Minna unwillkürlich von vornherein eine mir wohltätige Superiorität zuerkennen zu müssen glaubte. Ihre sonderbare Toleranz gegen gewisse Vertraulichkeiten und Zudringlichkeiten der von ihr dafür angesehenen Protektoren des Theaters selbst gegen ihre Person verletzten mich im höchsten Grade; und zur Verzweiflung brachte es mich, gegen meine Vorwürfe hierüber sie die ernstliche Miene der Beleidigten annehmen zu sehen. Von jenem mir unbekannt gebliebenen Verhältnisse zu dem Kaufmann Schwabe, über welches ich in Berlin die erste Auskunft erhalten hatte, verschaffte der Zufall, durch Auffinden der Briefe dieses Mannes, mir eine höchst überraschende nähere Kenntnis. Alle in mir vorbereitete Eifersucht, aller tiefinnerliche Zweifel an Minnas Charakter machte sich in dem schnellen Entschlusse Luft, das Mädchen sofort zu verlassen. Es kam zu einem grenzenlos leidenschaftlichen Auftritt, in welchem sich der Typus aller späteren ähnlichen Auftritte mit großer Prägnanz feststellte. Ich war in meinen Ausbrüchen offenbar zu weit gegangen, indem ich ein Weib, welches durch keine Art von leidenschaftlicher Liebe an mich gefesselt war, sondern welches mehr nur meinem Andrängen wohlwollend sich gefügt hatte und welches im tiefsten Grunde mir eigentlich gar nicht angehörte, in einer Weise behandelte, als ob ich wirkliche Rechte auf sie besäße. Um mich in die vollste Verwirrung zu bringen, brauchte Minna mich nur darauf hinzuweisen, daß sie im bürgerlichen Sinn wirklich vorteilhafte Bewerbungen zurückgewiesen hatte, während sie dem Ungestüm des jungen besitzlosen, übel versorgten Menschen, dessen Talent noch keine der Welt gültige Probe bestanden, mit freundlicher Teilnahme und Hingebung gewichen war. Hauptsächlich aber schadete mir die tobende Heftigkeit meiner Worte und Sprache, durch welche die Geschmähte sich so stark verletzt fühlte, daß ich beim Innewerden dieser Übertreibung stets nur auf die Begütigung der Gekränkten durch Bekennen meines Unrechtes und die Bitte um Verzeihung angewiesen blieb. Somit endigte dieser, wie später alle ähnlichen Auftritte, stets zum äußerlichen Vorteil der weiblichen Partei. Doch war der Friede für alle Zeit untergraben, und namentlich erlitt Minnas Charakter bei häufiger Wiederkehr ähnlicher Vorfälle eine bedenkliche[139] Änderung. Wie sie in späteren Zeiten namentlich durch meine ihr immer unbegreiflicher werdende Auffassung der Kunst und ihrer Verhältnisse in zunehmende Perplexität geriet, welche ihr eine leidenschaftliche Unsicherheit in der Beurteilung alles hierauf Bezüglichen eintrug, brachte sie von jetzt an mein von dem ihrigen so sehr verschiedenes Gefühl über den Punkt des höheren Zartsinns im sittlichen Verhalten in eine wachsende Verwirrung, welche, da sie im übrigen so manches Freie in meinen Ansichten nicht begreifen und gutheißen konnte, sie mit einer ihrem gelassenen Wesen ursprünglich fremden Leidenschaftlichkeit erfüllte. Daß wiederum diese Leidenschaftlichkeit, mit den Jahren zunehmend, sich in der Weise äußerte, wie es die Erziehung und der Ton in Familien der unteren bürgerlichen Schicht mit sich bringt, war nicht zu verwundern, weil statt eigentlicher Bildung die Arme nur die dürftige Tünche des bürgerlichen Anstands sich zugeeignet hatte. Daß mir unter den Äußerungen dieser Heftigkeit aber der letzte Anhalt schwinden mußte, welchen Minnas eigentümliche Natur bis dahin mir geboten, dies machte das wahrhaft Quälende unseres späteren Zusammenlebens aus. – Zu jener Zeit erfüllte mich erst nur eine unbestimmte Ahnung des Verhängnisvollen, welches der Schritt meiner Verheiratung mit Minna mit sich führte. Noch wirkten ihre behaglichen und beruhigenden Eigenschaften so vorherrschend wohltätig auf mich, daß ich die innere Stimme, die mir dunkel Unheil weissagte, durch den großen Leichtsinn, welcher mir zu eigen war, so wie durch den Eigensinn, welchen ich allen Abmahnungen entgegensetzte, zum Schweigen brachte.
Mit meiner Familie, d.h. mit der Mutter und Rosalie, hatte ich mich seit meiner Reise nach Königsberg außer allem Verkehr gehalten; von meinem beschlossenen Schritte machte ich niemandem nur die mindeste Mitteilung. Unter meines alten Freundes Möller verwegener Anleitung beseitigte ich alle legalen Schwierigkeiten, welche der Vollziehung des Trauaktes entgegenstanden. Nach preußischem Gesetz bedarf der mündig gewordene Mann der Einwilligung der Eltern zum Abschluß einer Ehe nicht: da ich nach demselben preußischen Gesetz aber noch nicht meine Volljährigkeit erreicht hatte, berief ich mich hierfür auf das sächsische Gesetz, welchem ich durch Geburt angehörte und nach welchem ich bereits mit dem 21. Jahre meine Mündigkeit erreicht hatte. Unser öffentliches Aufgebot war nun an dem Orte nötig, an welchem wir uns das letzte Jahr aufgehalten hatten; und in Magdeburg ging dieser kirchliche Akt ohne alle Einwendung ruhig vorüber. Da es auch an der Einwilligung der Eltern Minnas nicht fehlte, blieb uns nur noch ein gemeinschaftlicher Besuch bei dem Pfarrer des Tragheimer Kirchspiels übrig, um alles in Ordnung gebracht zu haben. Bei diesem Besuch ging es noch wunderlich genug her. Es war am Vormittag des Abends unsrer Benefiz-Vorstellung, in welcher Minna die pantomimische Rolle der »Fenella« übernommen hatte; noch war ihr Kostüm nicht in Ordnung; Bestellungen und Besorgungen blieben übrig; regnerisches kaltes[140] Novemberwetter stimmte uns zum Unmut, als wir im offenen Hausflur der Pfarrei ungebührlich lang auf Vorlassung warten mußten. Hierüber kam es zwischen uns beiden zu einem Wortwechsel, der mit jäher Schnelligkeit bis zu den gehässigsten Äußerungen führte, so daß wir eben daran waren, jedes zu verschiedenen Seiten davonzulaufen, als der Pfarrer die Tür öffnete und, betreten über den von ihm wahrgenommenen Zank, uns zum Eintritt aufforderte. So waren wir genötigt, wieder gute Miene anzunehmen; die sonderbare Situation kam uns erheiternd zum Bewußtsein; der Pfarrer ward beschwichtigt und die Trauung auf den folgenden Tag um elf Uhr bestellt.
Andre Verdrießlichkeiten, welche oft zum Ausbruch von heftigen Zänkereien führten, verursachte die häusliche Einrichtung, in deren möglichst gefälligem und behaglichem Charakter ich eine wesentliche Garantie des nun erwarteten ruhigen Glückes erblicken wollte. Gegen die besonnenen Vorstellungen meiner Braut gebärdete ich mich ungeduldig: der Anfang einer langen Reihe von Jahren wachsenden Gedeihens, welches ich vor mir sah, sollte durchaus mit entsprechender Symbolik häuslichen Komforts eingeleitet werden. Möbel, Gerät und alles Nötige ward auf Kredit gegen allmähliche Abzahlungs-Verpflichtung entnommen. Von Aussteuer, Ausstattung und allen solchen dem gemeinsten bürgerlichen Leben so geläufigen Annahmen, welche eine Heirat zum Ausgangspunkt eines sich begründenden Wohlstandes machen, war nicht im entferntesten die Rede. Unsre Trauzeugen und Hochzeitsgäste entnahmen wir dem zufällig am Königsberger Theater zusammengetroffenen Schauspielerpersonal: doch sorgte Freund Möller für eine silberne Zuckerdose, zu welcher ein andrer Theaterfreund, ein eigentümlicher und meiner Erinnerung nicht uninteressant vorschwebender junger Mann, mit Namen Ernst Castell, ein silbernes Kuchenkörbchen fügte. Die am Vorabend stattfindende Benefiz-Vorstellung der »Stummen von Portici«, welche ich mit allem Feuer dirigierte, ging gut vonstatten und lieferte die erwartete gute Einnahme. Nachdem wir den Polterabend, vom Theater heimkehrend, still und ermüdet verbracht, nahm ich zum ersten Male Besitz von der neuen Wohnung, ohne mich jedoch in das zur Hochzeit aufgeputzte Brautbett zu legen, wogegen ich auf einem harten Kanapee, übel zugedeckt, weidlich dem Glücke des kommenden Tages entgegenfror. Nun setzte es mich des andren Morgens in angenehme Aufregung, als Minnas Habseligkeiten in Koffern und Körben bei mir ankamen; auch hatte sich das regnerische Wetter vollständig verzogen, die Sonne strahlte hell am Himmel; nur in unsrem Gastzimmer wollte es nicht warm werden, und ich zog mir für lange Zeit die Vorwürfe Minnas wegen vermeintlich unterlassener Pflege der Heizung zu. Endlich kleidete ich mich in den neuen Anzug, für welchen ich einen dunkelblauen Frack mit goldenen Knöpfen gewählt hatte. Der Wagen fuhr vor, und ich machte mich auf, um die Braut abzuholen. Der helle Himmel hatte uns alle freundlich gestimmt: in bester[141] Laune traf ich Minna in ihrem prächtigen, von mir ausgewählten Anzuge; mit wirklicher Innigkeit und Freude im Auge begrüßte sie mich; das schöne Wetter für ein gutes Anzeichen erklärend, machten wir uns zu der plötzlich uns lustig dünkenden Trauung auf. Wir genossen die Genugtuung, die Kirche wie zu einer glänzenden Theater-Vorstellung überfüllt zu sehen; es kostete Mühe, bis zum Altar vorzudringen, wo uns die nicht minder weihelose Versammlung unsrer Trauungszeugen im theatralischen Putze empfing. Es war nicht eine wahrhaft befreundete Seele unter allen Anwesenden, denn selbst unser sonderbarer alte Freund Möller fehlte, weil sich für ihn keine schickliche Paarung gefunden hatte. Das tief Ungemütliche, erkältend Frivole der Umgebung sowie des ganzen durch sie unwillkürlich beeinflußten Vorganges blieb nicht einen Augenblick meiner Empfindung fremd. Der Traurede des Pfarrers, von dem man mir später berichtete, daß er bei der früheren Muckerei, die Königsberg so unsicher gemacht hatte, nicht ganz unbeteiligt gewesen, hörte ich wie im Traume zu. Mir wurde nach einigen Tagen gemeldet, man trage sich in der Stadt mit dem Gerücht, daß ich den Pfarrer wegen in seiner Rede enthaltener gröblicher Beleidigungen verklagt hätte: ich begriff nicht, was man meinte, und vermutete, daß ein Passus, welchen ich allerdings mit einiger Verwirrung vernommen hatte, zu jener Übertreibung Veranlassung gab. Der Prediger nämlich verwies uns für die leidenvollen Zeiten, denen auch wir entgegengehen würden, auf einen Freund, den wir beide nicht kennten; einigermaßen gespannt, hier etwa von einem heimlichen einflußreichen Protektor, der auf diese sonderbare Weise sich mir ankündigte, Näheres zu erfahren, blickte ich neugierig auf den Pfarrer: mit besondrem Akzent verkündigte dieser wie strafend, daß dieser uns unbekannte Freund – Jesus sei, worin ich keineswegs, wie man in der Stadt vermeinte, eine Beleidigung, sondern nur eine Enttäuschung fand, während ich andrerseits annahm, daß derlei Ermahnungen dem Ritus bei Trauungsreden entspräche. Doch war im ganzen meine Zerstreutheit bei dem im tiefsten Grunde mir unbegreiflichen Akte so groß, daß, als der Pfarrer uns das geschlossene Gebetbuch hinhielt, um darauf unsre Trauringe zu sammeln, Minna mich ernstlich anstoßen mußte, um mich zur Nachfolge ihres sofort gegebenen Beispiels zu ermuntern. Mir wurde es in diesem Augenblick wie durch eine Vision klar, daß sich mein ganzes Wesen wie in zwei übereinander fließenden Strömungen befand, welche in ganz verschiedener Richtung mich dahinzögen: die obere, der Sonne zugewendete, riß mich wie einen Träumenden fort, während die untere in tiefem unverständlichem Bangen meine Natur gefesselt hielt. Der unerhörte Leichtsinn, mit welchem ich die oft jäh sich aufdringenden Vorstellungen des Doppelfrevels, den ich beging, ebenso schnell wieder zu verjagen wußte, fand einen freundlichen, für alles entschuldigenden Anhalt an der wirklich herzlichen Wärme, mit welcher ich auf das in ihrer Art und namentlich in ihrer Umgebung wahrhaft seltene und eigentümliche[142] Mädchen blickte, das sich so rückhaltlos mit dem im Leben so ohne allen Rückhalt dastehenden jungen Mann verband. Es war Mittag elf Uhr am 24. November 1836: ich war 23 Jahre und sechs Monate alt. – Bei und nach der Heimkehr aus der Kirche gewann meine gute Laune die volle Oberhand über alle Bedenken. Minna trat sogleich in wirtschaftliche Sorge für den Empfang und die Bewirtung der Gäste ein, die Tafel war gedeckt und ein reiches Gastmahl, an welchem auch der energische Stifter unsrer Ehe, Abraham Möller, trotz einigen Verdrusses über seine Ausschließung beim kirchlichen Akte teilnahm, mußte für die zum großen Leidwesen der jungen Hausfrau vorgefundene und lange unbezwinglich bleibende Kälte des Zimmers entschädigen.
Alles nahm seinen gemeinen, eindruckslos vorübergehenden Verlauf: doch blieb mir die gute frische Laune noch bis zum andren Vormittag zu eigen, wo ich meinen ersten Ausgang nach dem Stadtgericht zu nehmen hatte, um mich gegen Verklagungen zu stellen, welche aus Magdeburg von meinen dortigen Gläubigern nach Königsberg mir nachgesandt worden waren. Freund Möller, den ich zur Abwehr der mich bedrohenden Angriffe zu Hilfe gezogen, hatte mir den rabulistischen Rat gegeben, mich gegen alle Schuld-Verklagungen durch Beziehung auf meine nach preußischem Gesetz bestehende Unmündigkeit fürs erste so lange zu schützen, bis wirkliche Hilfe zur Erledigung der Forderungen herbeigeschafft werden könnte. Der Gerichtsassessor, dem ich diesen mir angeratenen Ablehnungsgrund der Klagen eröffnete, war hierüber erstaunt, da er wohl von meiner am vorangehenden Tage stattgefundenen Vermählung vernommen hatte, welche wiederum nur durch Dokumentierung meiner Volljährigkeit zustande zu bringen gewesen war. Natürlich war auch hiermit nur eine kurze Frist gewonnen, und die Plage, die mir von dieser Seite her noch lange Zeit beschieden war, nahm vom ersten Tage meiner Ehe an ihren Beginn.
Die Zeit, in welcher ich ohne Funktion für das Theater blieb, trug mancherlei Kränkendes für mich mit sich; immerhin glaubte ich die Ruhe des erreichten Hafens für meine Kunst ausbeuten zu müssen: ich führte einige Arbeiten aus, worunter eine große Ouvertüre über das »Rule Britannia«. – Noch während meines Berliner Aufenthaltes hatte ich die bereits bei Gelegenheit des Polenfestes erwähnte, »Polonia« betitelte Ouvertüre geschrieben. »Rule Britannia« war ein weiterer Schritt in der Richtung dieses auf große Massenwirkung berechneten Genres; am Schluß derselben sollte zu dem an und für sich schon überreich besetzten Orchester noch eine starke Militärbande hinzutreten, und das Ganze hatte ich zur Aufführung bei dem im nächsten Sommer bevorstehenden Musikfest in Königsberg bestimmt. Zu diesen beiden Ouvertüren trug ich mich mit einem dritten Seitenstück, einer Ouvertüre mit dem Titel »Napoléon«: namentlich die Wahl der Effektmittel hierzu beschäftigte mich im voraus, und ich erwog in mir das ästhetische Dilemma, ob ich den vernichtenden Schicksalsschlag,[143] welcher den französischen Kaiser in Rußland traf, durch einen Tamtam-Schlag versinnlichen dürfte oder nicht. Ich glaube, es war besonders mein Skrupel über die Zulässigkeit dieses Schlages, der mich von der Ausführung meines Planes für jetzt abhielt. – Dagegen veranlaßte mich das Nachdenken über den Mißerfolg der Aufführung meines »Liebesverbotes«, eine theatralische Arbeit zu entwerfen, bei welcher die Ansprüche an das Sänger- und Chorpersonal in ein richtigeres Verhältnis zu dem von mir erkannten Bestand der Kräfte der mir einzig zugänglichen kleineren Stadttheater gesetzt sein sollten. Eine originelle Erzählung der »Tausend und eine Nacht« gab mir das Sujet zu einer solchen leichtern Arbeit an die Hand: sie ist dort, wenn ich nicht irre, »Männerlist größer als Frauenlist« betitelt. Aus Bagdad verlegte ich die Handlung in unsere Zeit und modernes Kostüm. Ein junger Goldschmied reizte die Empfindlichkeit einer jungen Frau durch die auf seinem Ladenschild angebrachte oben erwähnte Devise: tief verschleiert stellt sie sich in seinem Verkaufsladen ein und frägt ihn, der in seinen Arbeiten so viel feinen Geschmack zeige, um sein Urteil über ihre körperliche Beschaffenheit, beim Fuße, der Hand beginnend, und endlich, da sie bereits die hervorgebrachte Verwirrung gewahrt, durch Aufdeckung des Schleiers beim Gesicht endigend. Dem von ihrer Schönheit hingerissenen Juwelier klagt sie nun, daß ihr Vater, welcher sie sorgfältig verwahrt halte, jedem Bewerber seine Tochter als ein häßliches Ungeheuer schildere, wie sie vermute, lediglich um die Aussteuer zu ersparen; der junge Mann gelobt, durch diesen törigen Einspruch des Vaters, wenn er ihn auch gegen seine Bewerbungen vorbringen wollte, sich nicht abschrecken zu lassen. Gesagt, getan. Der vertrauungsvolle Juwelier wird der Tochter des sonderbaren alten Herrn zugesprochen, und als sie, nachdem seinerseits der Kontrakt unterzeichnet, dem Bräutigam zugeführt wird, erkennt dieser allerdings die abschreckende Beschaffenheit der wirklichen Tochter des keineswegs als Lügner befundenen Vaters: zu dem verzweiflungsvollen Bräutigam tritt die schöne junge Frau wieder, um sich an seiner Pein zu weiden und verspricht, ihm von der entsetzlichen Heirat zu helfen, wenn er das Motto von seinem Schild entfernen wollte. Von hier an erfand ich nun folgende Wendung des ursprünglichen Motivs: schon ist der wütende Juwelier im Begriff, das unglückliche Ladenschild herabzureißen, als er durch eine sonderbare Erscheinung von seinem Vorhaben abgehalten wird; auf der Straße ist ein Bärenführer erschienen, welcher sein plumpes Tier tanzen läßt, und in welchem auf den ersten Blick der unglückliche Liebhaber seinen durch wunderbare Schicksale von ihm getrennten Vater erkennt. Er unterdrückt die Rührung dieses Wiedererkennens, da ihm wie im Blitz ein auf diese Entdeckung gegründeter Plan zu seiner Befreiung von dem verhaßten Ehebündnis mit der Tochter des adelsstolzen alten Herrn ankommt. Er bestellt den Bärenführer für diesen Abend in den Garten, wo die feierliche Verlobung vor eingeladenen Gästen begangen werden soll. Der jungen Feindin erklärt er aber, das[144] Ladenschild vorläufig noch hängen lassen zu wollen, da er hoffe, die Devise noch bewähren zu können. Nachdem nun vor feierlicher Versammlung einer Gesellschaft, die ich mir etwa aus der Elite der adelsstolzesten französischen Emigrés zur Zeit der Revolution bestehend dachte, ein Ehekontrakt verlesen worden ist, in welchem der junge Mann sich allerhand ersonnene Adelstitel beilegt, wird plötzlich die Pfeife des Bärenführers gehört, welcher mit dem tanzenden Mutz den Garten betritt. Bereits unwillig über diese triviale Belustigung, gerät die Gesellschaft in staunende Entrüstung, als der Bräutigam nun seinem Herzen den Zügel schießen läßt und dem Bärenführer mit Freudetränen um den Hals stürzt, ihn laut als seinen wiedergefundenen Vater begrüßend. Das Entsetzen der Umgebung steigert sich aber noch, als der Bär selbst den vermeinten Mann von altem Adel umarmt; denn dieser ist sein leiblicher Bruder, welcher, nachdem der Kapital-Bär gestorben war, im Felle des Verlorenen die Fortsetzung des einzig den Verarmten übrigbleibenden Gewerbes ermöglichte. Die offenkundige Entdeckung seiner niedrigen Herkunft löst sogleich die Heirat, und die sich durch Männerlist besiegt erklärende junge Frau entschädigt dafür den Befreiten mit ihrer Hand. – Diesem anspruchslosen Sujet gab ich den Titel »Die glückliche Bärenfamilie« und stattete es mit einem Dialog aus, welcher später Holteis großen Beifall fand: für jetzt war ich auch schon im Begriff, die Musik dazu im leichten neufranzösischen Stile zu beginnen. Das Andrängen des immer peinlicher sich gestaltenden Ernstes meiner Lebenslage hielt mich jedoch von weiteren Fortschritten in meiner Arbeit ab.
In diesem Betreff blieb zunächst mein mißliches Verhältnis zur Musikdirektion des Theaters ein Quell stets wiederkehrender Pein. Ohne alle Gelegenheit und Mittel, mich zu bewähren, mußte ich von meinem das Feld behauptenden Gegner mich nach jeder Seite hin angeschwärzt und verdächtigt wissen, wobei die Absicht vorherrschte, den zu Ostern mir kontraktlich zugesicherten vollständigen Antritt der Musikdirektorstelle mir zu verleiden. Verlor ich hierbei auch nicht mein Selbstvertrauen, so schmerzte mich doch das Beschämende und Niederdrückende dieser so lange anhaltenden Situation. Als endlich die Zeit erschien, in welcher, mit Anfang April, der bisherige Musikdirektor Schubert entlassen war und ich vollständig in seine Stelle eintrat, hatte dieser außerdem die traurige Genugtuung, nicht nur den Bestand der Oper namentlich durch den Abgang der ersten Sängerin äußerst geschwächt, sondern auch den Fortgang der ganzen Theaterunternehmung in sehr begründeten Zweifel gezogen zu wissen. Der allen ähnlichen Theaterunternehmungen in Deutschland so verderbliche Lenz-Monat übte seinen entvölkernden Einfluß wiederum auch auf dieses Königsberger Theater aus. Der Direktor gab sich die erdenklichste Mühe, die Lücken des Opernpersonals durch Gäste und neue Akquisitionen auszufüllen, und hierbei war ich und meine große Tätigkeit ihm von wahrhaftem Nutzen; wie ich denn überhaupt meine größte Energie bewies, durch rastlosen Rat[145] und eifrige Tat das beschädigte Schiff des Theaters, dem ich jetzt erst nahetreten durfte, flott zu erhalten. Die roheste Behandlung von seiten einer Studenten-Clique, unter welcher mein Amtsvorgänger mir rücksichtslos Feinde geworben hatte, mußte ich längere Zeit kaltblütig zu ertragen suchen. Die anfängliche Widerspenstigkeit des gegen mich bearbeiteten Orchesters hatte ich durch unbeirrt sichere Führung desselben umzustimmen. Mit Mühe zu dieser Grundlage des persönlichen Ansehens gelangt, mußte ich nun aber innewerden, daß die Geschäftsführung des Direktors Hübsch bisher schon zu große Opfer erheischt hatte, um der Ungunst der theaterfeindlichen Jahreszeit mit Erfolg widerstehen zu können. Er entdeckte mir im Mai, daß er auf den Punkt gelangt sei, das Theater schließen zu müssen: mit Aufbietung aller Beredsamkeit und durch Vorlegung von Plänen, welche seiner Unternehmung günstige Chancen herbeiführen sollten, gelang es mir, ihn von neuem zur Ausdauer zu bewegen; jedoch war ihm dies nur dadurch möglich, daß er die Mithilfe seiner Gesellschaft durch vorläufige Verzichtleistung auf einen Teil ihrer Gagen in Anspruch nahm. Dies rief allgemeine Erbitterung der Unverständigen hervor, und es stand mir eigentümlich an, den durch jene Maßregel Betroffenen zugunsten des Direktors begütigende Vorstellungen zu machen, während ich und meine persönliche Lage dadurch selbst in einer Weise berührt wurden, daß mein eigenes Bestehen unter der Häufung der unerträglichsten, meiner Vergangenheit entstammenden Schwierigkeiten von Tag zu Tag immer unhaltbarer wurde. Verlor ich selbst dennoch nicht den Mut, so war es diesmal hingegen Minna, welche – als meine Frau – aller bisher in ähnlichen Lagen ihr zugut kommenden Mittel beraubt, sich einer unerträglichen Wendung ihres Schicksals ausgesetzt fühlte.
Die traurigsten Folgen eines unter so betrübenden Umständen längst keimenden Zerwürfnisses des jungen Ehepaares blieben nicht aus, und diese Zerwürfnisse nahmen ihren Ausgang von dem selben, mich so leidenschaftlich beängstigenden Punkte, welcher schon vor unsrer Heirat zu den heftigsten Auftritten zwischen uns geführt hatte. Je weniger es mir vergönnt war, im Verlaufe des Winters durch Tätigkeit und Geltendmachung meiner Fähigkeiten zur Aufrechterhaltung des Wohlanstandes unsrer bürgerlichen Lage beizutragen, desto mehr glaubte, zu meiner unerträglichen Beschämung, Minna durch Geltendmachung ihrer persönlichen Beliebtheit diese nötige Sorge übernehmen zu müssen: häufige Wahrnehmungen ähnlicher Kondeszendenzen, wie ich sie früher bezeichnete und welche nur bei Minnas eigentümlicher Auffassung ihrer ganzen theatralischen Stellung und der damit zusammenhängenden Nötigung eine unbedenkliche Deutung gewinnen konnten, hatten wiederholt die widerwärtigsten Auftritte herbeigeführt. Die junge Frau zu meiner Auffassung hiervon zu bringen, meine Gefühle im Betreff jener verletzenden Begegnungen ihr mitzuteilen, blieb durchaus unmöglich; und was jede erdenkliche Verständigung ein für allemal vereitelte,[146] war die Heftigkeit und verletzende Bitterkeit, mit welcher ich mich in Sprache und Benehmen gehen ließ. Wiederholt führten solche Szenen zu Krämpfen meiner Frau, welche für mich einen so unerhört beängstigenden Charakter annahmen, daß, wie man sich leicht denken kann, die Befriedigung, sie endlich wieder versöhnt zu haben, der einzige Erfolg solcher Auftritte für mich blieb. Gewiß war es, daß unser beiderseitiges Benehmen uns selbst immer unbegreiflicher und unverständlicher ward. Dem Grade von Liebe, welchen Minna für mich zu empfinden imstande war, mochten diese immer häufiger und ärgerlicher sich wiederholenden Zerwürfnisse bereits eine bedenkliche Minderung beigebracht haben; doch hatte ich keine Ahnung davon, daß es für Minna nur einer geeignet dünkenden Veranlassung bedürfte, um sie zu den verzweifeltsten Entschlüssen zu bestimmen.
Um den unsrer Oper fehlenden Tenor zu ersetzen, hatte ich den aus meinem ersten Magdeburger Jahre mir befreundeten, bereits näher erwähnten Friedrich Schmitt nach Königsberg berufen: er war mir mit herzlichem Ernst ergeben und half mir so gut wie möglich zur Beseitigung der Schwierigkeiten, welche sich gegen das Gedeihen des Theaters sowie meiner eigenen bürgerlichen Lage erhoben hatten. Die Nötigung, uns im Publikum Freunde zu erwerben, machte mich, eben in seiner Begleitung, weniger zurückhaltend und wählsam in betreff der Anknüpfung geselliger Beziehungen. Ein vermögender Kaufmann namens Dietrich hatte sich in der letzten Zeit zum Protektor namentlich der dem Theater angehörenden Damenwelt aufgeworfen: er lud die Crème derselben, mit schuldiger Beachtung der ihr zugehörigen Männerwelt, zu Diners bei sich ein und benahm sich hierbei nach den Regeln eines affektierten englischen Komforts – das höchste Ideal für deutsche Kaufleute namentlich der nordischen Handelsstädte. Bereits gegen die Annahme seiner hierzu auch an uns gerichteten Einladung hatte ich mich verdrossen gezeigt – zunächst einfach aus dem Grunde, weil seine Physiognomie mir widerwärtig war; wogegen Minna fand, daß ich unrecht hätte. Gegen eine Ausdehnung des Umgangs mit diesem Manne blieb ich entschieden gestimmt; und obwohl Minna nicht auf der Annahme seiner Besuche angelegentlich bestand, ward doch auch mein Benehmen gegen diesen Eindringling Grund zu ärgerlichen Auftritten zwischen uns. Freund Schmitt hielt es nun eines Tages für seine Pflicht, mir Anzeige davon zu machen, daß dieser Herr Dietrich an öffentlicher Gasttafel sich in einer Weise über mich vernehmen ließ, welche bei aller Welt eine bedenkliche Vertrautheit seinerseits mit meiner Frau voraussetzen ließ. Ich selbst mußte den Verdacht fassen, daß Minna, auf mir verborgen bleibendem Wege, an jenen Mann Mitteilungen über mein Benehmen gegen sie wie über den Verfall unsrer Lage zukommen ließ. Ich stellte in Schmitts Begleitung den gefährlichen Menschen in seiner Wohnung hierüber zur Rede, was seinerseits für das erste zu den gewöhnlichen Ableugnungen, dann aber zu heimlichen Mitteilungen über diesen Vorgang an Minna führte, welche nun neuen[147] Grund zu haben glaubte, sich über mein rücksichtsloses Benehmen gegen sie zu beklagen. Eine bedenkliche Verschlimmerung unsres Verhaltens trat nun ein: über gewisse Punkte ward geschwiegen. Zugleich – es war gegen Ende Mai 1837 – war die Geschäftsführung des Theaters in den oben von mir bezeichneten Wendepunkt angelangt: die Direktion mußte sich an die aufopferungsvolle Mithilfe des Personals wenden, um das Bestehen der Theaterunternehmung zu sichern. Wie bereits ebenfalls erwähnt, war meine persönliche Lage am Ausgange eines meinem bürgerlichen Fortkommen so höchst nachteiligen Jahres hierdurch am allerübelsten betroffen; doch schien mir nichts übrigzubleiben, als geduldig diesen Schwierigkeiten entgegenzugehen, und ich nahm es in meine Hand, für mich allein, ohne Einmischung Minnas, namentlich aber auch mit des guten Friedrich Schmitts Hilfe, die nötigen Arrangements zur Sicherung meiner Königsberger Stellung zu treffen. Dieses sowie meine rastlose Beteiligung an den Theatergeschäften hielt mich so stark in Atem und häufig aus dem Hause, daß ich dem schweigenden und zurückhaltenden Benehmen Minnas in diesen Tagen keine besondere Beachtung zu schenken vermochte. Am Vormittag des 31. Mai hatte ich mich zu Theaterproben und Geschäften, welche mich vermutlich bis in den späten Nachmittag aufhalten mußten, von Minna zu verabschieden. Diese hatte seit längerer Zeit ihre Tochter Nathalie, welche gegen jedermann für ihre jüngste Schwester ausgegeben ward, mit meiner herzlichsten Übereinstimmung zu sich berufen. Als ich jetzt mein ruhiges Adieu sagen wollte, stürzten mir die Frauen zur Türe nach, umarmten mich dort leidenschaftlich, Minna wie ihre Tochter unter hervorbrechenden Tränen, so daß ich erschrocken nach dem Grunde dieser Aufregung frug, ohne Erklärung zu erhalten, mich aber abwenden mußte, um über das sonderbare Benehmen nachzudenken, dessen Grund ich weit entfernt war auch nur mit der leisesten Ahnung zu berühren. Abgehetzt durch Anstrengung und Ärger, todmüde, bleich und hungernd kam ich zur späten Mittagsstunde nach Haus, war betroffen, den Tisch ungedeckt und Minna, von der mir die Magd sagte, daß sie von einem Ausgang mit Nathalie noch nicht zurückgekommen sei, nicht im Haus anzutreffen. Ich geduldete mich und ließ mich erschöpft am Nähtische nieder, welchen ich in der Zerstreuung öffnete und zu meinem Erstaunen geleert fand. Von einer fürchterlichen Ahnung getroffen, sprang ich auf nach dem Kleiderschrank und erkannte schnell, daß Minna nicht mehr in diesem Hause wohnte. Selbst vor der Dienstmagd war der mit großer List ausgeführte Fortgang meiner Frau verborgen geblieben. Den Tod im Herzen stürzte ich aus dem Hause, um Nachforschungen über Minnas Verschwinden anzustellen; der alte Möller, Dietrichs persönlicher Feind, brachte durch seinen geübten Scharfsinn alsbald heraus, daß dieser am Vormittage mit Extrapost in der Richtung nach Berlin Königsberg verlassen hatte. Das Grauenhafte stand unleugbar vor mir. Es mußte der Versuch gemacht werden, die Flüchtigen einzuholen: mit Anwendung großer[148] Geldmittel schien dies möglich zu sein; diese fehlten und mußten mühselig zum Teil erst verschafft werden. Auf Möllers Rat steckte ich die silbernen Hochzeitsgeschenke für möglichen weiteren Bedarf zu mir und machte mich mit dem alten bekümmerten Freunde gemeinsam, ebenfalls mit Extrapost, nach Verlauf einiger schrecklichen Stunden auf den Weg. Es mußte uns gelingen, den kurze Zeit vorher abgegangenen Post-Eilwagen zu erreichen, weil vorauszusetzen war, daß Minna diesen ebenfalls, in gehöriger Entfernung von Königsberg, zur Weiterreise benutzen wollte. Dies blieb unmöglich: am andren Morgen bei Tagesgrauen in Elbing angelangt, fanden wir unsre Geldmittel durch den leidenschaftlichen Gebrauch der Extrapost erschöpft und sahen uns zur Umkehr genötigt, welche, um sie selbst mit dem einfachen Postwagen zu bewerkstelligen, es uns unerläßlich machte, Zuckerdose und Kuchenkörbchen zu versetzen. Diese Rückfahrt nach Königsberg bleibt mit Recht eine der traurigsten Erinnerungen aus meinem jungen Leben. An mein Verbleiben an diesem Orte dachte ich natürlich keinen Augenblick, sondern bloß daran, wie es mir möglich sein sollte, fortzukommen. Zwischen den gerichtlichen Klagen meiner Magdeburger Gläubiger und den neuen Gewaltmaßregeln derjenigen, welche am Orte selbst für meine erst allmählich abzuzahlende häusliche Einrichtung Forderungen zu erheben hatten, eingeschlossen, konnte mein Fortgang mir nur durch Heimlichkeit ermöglicht werden: eben hierzu wiederum bedurfte es aber, namentlich auch im Anbetracht der weiten Reise von Königsberg nach Dresden, wohin es mich zur Aufsuchung meiner Frau trieb, der Erlangung von Geldmitteln, die mich noch für zwei schreckliche Tage zurückhielt. Keinerlei Nachricht kam von Minna an mich: nur durch Möller erfuhr ich, daß Minna, von Dietrich unter vorgeblich freundschaftlich geleisteter Hilfe nur eine Strecke weit geleitet, sich nach Dresden gewandt habe. Durch die Annahme, daß sie wirklich nur eben einer sie mit Verzweiflung erfüllenden Lage sich habe entziehen wollen, hierzu die Hilfe eines durch ihre Lage gerührten Mannes angenommen habe und nun bei ihren Eltern zunächst Ruhe und Unterkommen suchte – milderte sich meine anfängliche Entrüstung über den Vorgang in so bedeutendem Grade, daß ich zu Mitleiden für die Verzweifelte und zu Selbstvorwürfen gegen mich, sowohl meines Benehmens wegen, als weil ich sie in das Unglück gezogen hätte, immer geneigter wurde. Diese Ansicht nahm während der nun endlich am 3. Juni angetretenen langwierigen Reise über Berlin nach Dresden so entschieden alle meine Vorstellungen und Empfindungen ein, daß ich, Minna in der ärmlichen Wohnung ihrer Eltern antreffend, wirklich nur Reue und schmerzliches Mitgefühl auszudrücken vermochte. – Es bestätigte sich, daß Minna sich als übel von mir behandelt ansah und zu dem verzweifelten Schritt nur durch die Rücksicht auf unsre unhaltbare Lage, gegen welche sie mich blind und taub erkannt hätte, gedrängt worden zu sein erklärte. Den Eltern war ich unwillkommen: der aufgeregte leidende Zustand der Tochter[149] schien den Klagen derselben über mich genügende Rechtfertigung zu geben. Ob mein eigner leidender Zustand, meine schleunige Nachkunft und alle herzlichen Bezeigungen meiner Trauer auf sie einen mir vorteilhaften Eindruck machten, kann ich kaum genau ermessen, so undeutlich und zum Teil unbegreiflich blieb mir ihre gemischte Haltung gegen mich. Doch machte es Eindruck auf sie, als ich ihr meldete, daß mir vorteilhafte Aussichten auf die Musikdirektorstelle bei dem unter vorzüglichen Umständen neu zu eröffnenden Theater in Riga sich darböten. Ich glaubte zu weiteren Entschließungen für die Ordnung unsrer zukünftigen Lebensverhältnisse jetzt nicht drängen zu dürfen und desto ernstlicher für eine verbesserte Grundlage derselben zuallernächst sorgen zu müssen, zu welchem Zwecke ich, nach achttägigem bangen Zusammensein unter den peinlichsten Umständen, mich angelegentlichst nach Berlin aufmachte, um dort mit dem neu bestellten Direktor des Rigaischen Theaters mein Engagement zum Abschluß zu bringen. Dies gelang, und zwar unter nicht ungünstigen Bedingungen, welche mir die Möglichkeit zeigten, auf den Grund meiner Einnahmen den Hausstand in der Weise zu versorgen, daß Minna gänzlich vom Theater zurücktreten und dadurch in den Stand gesetzt werden könnte, Beschämungen und Beängstigungen in Zukunft von mir fernzuhalten. –
Nach Dresden zurückgekehrt, fand ich für die Eröffnung der mir dargebotenen Aussichten nicht unwilliges Gehör und vermochte Minna, die enge elterliche Wohnung fürs erste zu verlassen, um nahe bei Dresden auf dem Lande in Blasewitz die Zeit des Antrittes meiner Rigaschen Stelle abzuwarten. Wir nahmen bescheidenes Quartier in dem an der Elbe gelegenen Gasthof, dessen Wirtschaftsgarten in meiner frühesten Jugendzeit bereits häufig von mir besucht worden war. Minnas Stimmung schien sich wirklich zu bessern; auf ihr Anliegen, sie mit nichts zu bedrängen, ging ich mit möglichster Schonung ein, und im Verlauf einiger Wochen glaubte ich mich zu der Annahme berechtigt, daß die Zeit der Bangigkeit bald überstanden sein würde. Sehr befremdlich war es mir, daß diese Stimmung ohne mir erklärliche Ursache bald sich wieder trübte: Minna sprach mir von vorteilhaften Anträgen, die ihr von verschiedenen Theatern zugekommen seien, und überraschte mich eines Tages mit der Ankündigung einer kleinen Vergnügungsreise, welche sie mit der Familie einer Jugendbekannten auszuführen beabsichtige. Da ich mich gedrungen fühlte, in nichts einen Zwang auf sie auszuüben, wendete ich gegen die Ausführung dieses Planes, welcher sie für acht Tage von mir entfernen sollte, nichts ein, begleitete sie selbst zu ihren Eltern zurück und versprach ihre Rückkunft ruhig in Blasewitz abzuwarten. Einige Tage darauf besuchte mich ihre älteste Schwester und erbat sich von mir die nötige schriftliche Erlaubnis zur Ausstellung eines Passes für meine Frau. Hierüber erschrocken, frug ich bei den Schwiegereltern[150] in Dresden nach, was ihre Tochter vorhabe: dort wurde ich zu meiner Überraschung besonders übel empfangen und erhielt gröbliche Vorwürfe über mein Benehmen gegen Minna, welche ich ja nicht einmal zu ernähren imstande sei; da ich hiergegen einzig nur Auskunft über den Aufenthalt und das Vorhaben meiner Frau verlangte, wurde ich mit unwahrscheinlichen Berichten abgewiesen. Von den bittersten Vorstellungen gepeinigt, nichts von allem Vorgegangenen begreifend, kehrte ich in mein Dorf zurück. Dort traf mich ein Brief aus Königsberg von Möller, welcher mir mein Elend klarmachte: jener Herr Dietrich war nach Dresden gereist; das Hotel, in welchem er abgestiegen, wurde mir genannt. Das furchtbare Licht, welches durch diese Mitteilung auf Minnas Benehmen fiel, erleuchtete mich mit Blitzesschnelle: ich eilte in die Stadt, um in dem mir genannten Hotel die nötige Nachfrage zu halten; wirklich war der bezeichnete Mann dort abgestiegen, jedoch wieder verreist; ebenso wie er war Minna verschollen. So wußte ich denn genug, um mein Schicksal zu fragen, warum mir in so großer Jugend schon eine so furchtbare, wie es mich dünkte, das ganze Leben vergiftende Erfahrung zu machen bestimmt war.
In meinem grenzenlosen Leiden wandte ich mich nun dem tröstlichen Umgange mit meiner Schwester Ottilie und deren vortrefflichem Manne Hermann Brockhaus zu, mit welchem diese seit einigen Jahren verheiratet war und zu dieser Zeit in dem schönen »Großen Garten« bei Dresden einen freundlichen Sommerpavillon bewohnte. Sogleich nach meiner ersten Ankunft in Dresden hatte ich beide aufgesucht; selbst noch in großer Unklarheit über meine Lage, hatte ich ihnen keine Mitteilungen hierüber gemacht und nur wenig mich bei ihnen gezeigt: jetzt war ich getrieben, meinen Trotz zu überwinden und ziemlich unverhüllt mein Unglück zu eröffnen. Der große Vorzug verwandtschaftlicher Beziehungen und der unvermittelten, unbedingten Vertraulichkeit zwischen Blutsverwandten trat hier zum ersten Male meinem Gefühl höchst wohltätig nahe. Hier war wenig zu erklären; Bruder und Schwester waren dieselben, die in frühester Kindheit in vollster Gemeinschaft gelebt hatten: alles verstand sich ohne Erklärung; ich war unglücklich, sie glücklich: Trost und Hilfe erstanden ganz von selbst.
Dies war dieselbe Schwester, welcher ich einst unter Blitz und Donner »Leubald und Adelaïde« vorgelesen, welche an jenem Weihnachtsabend der verhängnisvollen Aufführung meiner ersten Ouvertüre voll Staunen und Mitleiden beigewohnt hatte und welche ich nun an einen der liebenswürdigsten Menschen, den jüngsten Bruder meines älteren Schwagers Friedrich Brockhaus, den orientalischen Sprachgelehrten und bald rühmlich bekannten Hermann Brockhaus, vermählt fand. Ihre Ehe war bereits mit zwei Kindern gesegnet; ein günstiger Vermögensstand erleichterte ein sorgenloses Leben, und wenn ich, wie es nun täglich geschah, meine Fußwanderung von Blasewitz nach dem berühmten »Großen Garten« richtete, war es mir beim[151] Eintritt in einen jener so gesuchten Pavillons, wo ich stets eine glückliche Familie freundlich zu meinem Empfange bereit wußte, als ob ich aus wüster Lebensöde in ein Paradies einträte. Durch den schwesterlichen Umgang ward nicht nur mein Gemüt auf das wohltuendste beruhigt, sondern durch den Verkehr mit dem geistvollen und gelehrten Schwager auch mein so lange schlummernder höherer Bildungstrieb von neuem lebhaft angeregt. Während meine jugendliche Ehe als eine zwar verzeihliche, doch zu berichtigende Verirrung in durchaus unverletzender Weise mir zum Bewußtsein gebracht wurde, gewann mein Geist auch wieder genügende Spannkraft zu künstlerischen Entwürfen, welche diesmal nicht auf leichtfertige Zweckmäßigkeit für die mir bekannt gewordenen Theaterverhältnisse berechnet waren. Während der kümmerlichen Tage meines letzten Zusammenseins mit Minna in Blasewitz hatte ich den Bulwerschen Roman von Cola Rienzi gelesen; während ich nun im tröstlichen Umgang mit meiner Familie mich erholte, arbeitete ich den Plan zu einer großen Oper aus, zu welchem mich jenes Sujet begeisternd angeregt hatte. War ich für das erste auch genötigt, mich einem kleineren Theaterverhältnisse wieder zuzuwenden, so bestrebte ich mich doch, von jetzt an auf eine Erweiterung meines Wirkungskreises in der Zukunft hinzuarbeiten. Ich sandte meine Ouvertüre über »Rule Britannia« an die Philharmonische Gesellschaft nach London ein und suchte mich mit Scribe in Paris wegen eines von mir entworfenen, einem Roman von H. König entnommenen Sujets »Die hohe Braut« in Verbindung zu setzen. So verbrachte ich, zu unvergeßlich freundlicher Erinnerung, den Rest des Sommers dieses Jahres, um nun mit Ende August meiner neuen Bestimmung gemäß die Reise nach Riga anzutreten. Trotzdem ich dort kürzlich auch meine Schwester Rosalie, ihrer Herzensneigung entsprechend, an den Professor Oswald Marbach verheiratet wußte, vermied ich, wohl um mir in töriger Weise eine Beschämung zu ersparen, Leipzig zu berühren, und traf in Berlin ein, wo ich einige nähere Instruktionen meines zukünftigen Direktors zu empfangen, auch einen Paß mir zu besorgen hatte. Dort begegnete ich einer jüngeren Schwester Minnas, Amalie Planer, einer mit schöner Stimme begabten Sängerin, welche wir schon in Magdeburg für kurze Zeit zu unserer Oper gezogen hatten. Das äußerst gutmütige Mädchen war sehr erschüttert durch meine Mitteilung über Minna; in einer Aufführung des »Fidelio«, welcher wir gemeinschaftlich beiwohnten, brach sie mit mir in Tränen und Schluchzen aus. Auch durch diesen tröstlichen Eindruck gestärkt, wendete ich mich nun über Schwerin, wo ich irrtümlich auf die Spuren Minnas zu treffen wähnte, nach Lübeck, um dort den Abgang eines nach Riga fahrenden Kaufmannsschiffes abzuwarten. Bereits waren wir nach Travemünde ausgelaufen, als sich ein ungünstiger Wind einstellte, welcher die Abfahrt acht Tage lang unmöglich machte. In einer elenden Schiffskneipe mußte ich diese widerwärtige Zeit zu überstehen suchen; ohne Mittel der Unterhaltung griff ich unter anderm zur Lektüre des[152] Volksbuches vom »Till Eulenspiegel«, welches mich zuerst auf den Gedanken einer echt deutschen komischen Oper brachte. Als ich dann um so vieles später endlich die Dichtung meines »Jungen Siegfried« entwarf, entsinne ich mich, daß Erinnerungen aus diesem traurigen Aufenthalt in Travemünde und an die Lektüre des »Eulenspiegel« lebhaft hierbei wieder in mir wach wurden. Nach einer viertägigen Seefahrt langten wir endlich im Hafen von Bolderaa an, und ich empfand zunächst die eigentümlichen Schauer des Verkehrs mit russischen Behörden, gegen welche ich seit meiner Jugendsympathie für die Polen mit instinktivem Entsetzen erfüllt war. Mir war es, als ob die Hafenwachen mir meine Schwärmerei für Polen ansehen und sofort mich nach Sibirien schicken würden: desto angenehmer überraschte mich endlich das durchaus zutrauliche deutsche Element, welches mich in Riga, namentlich bei allem, was mit dem Theater in Verbindung stand, umfing.
Nach meinen schlimmen Erfahrungen im Betreff der Eigenschaften der kleineren deutschen Theater wirkte zunächst auf mich die Beschaffenheit der dort neu begründeten Theaterzustände angenehm beruhigend. Eine Anzahl vermögender Theaterfreunde und reicher Kaufleute hatte eine Gesellschaft gegründet, welche aus freien Stücken die nötigen Geldmittel beschaffte, um einer gewünschten guten Theaterdirektion eine solide Grundlage zu geben: die Direktion selbst hatte man einem Manne von gewissem theatralischem Ruf, dem nicht unbeliebten Theaterdichter Karl von Holtei übergeben. Dieser Mann, einer besondren, um jene Zeit bereits verschwindenden Tendenz des Theaterwesens angehörend, vereinigte mit außerordentlichen geselligen Eigenschaften eine ungewöhnliche Bekanntheit mit allen dem Theater nahestehenden Persönlichkeiten aus den vorangegangenen zwanzig Jahren. Er zählte sich zu dem Kreise der sogenannten »liebenswürdigen Libertins«, welche sich gern auch für geistvoll angesehen sahen und im Theater den von der Öffentlichkeit willig geduldeten Tummelplatz für frivole Exzentrizitäten erfaßten, gegen welche das bürgerliche Leben sich ebenso abgeschlossen verhält, wie die höhere Intelligenz der Nation sich immer hoffnungsloser von ihrer früheren Teilnahme für das Theater überhaupt wieder zurückzog. Das Königstädter Theater in Berlin, an welchem Holteis erste Frau vor längerer Zeit bereits als liebenswürdige Schauspielerin geglänzt hatte, war in der Zeit seiner besondren Blüte, zu welcher es namentlich durch den Besitz der berühmten Henriette Sontag gediehen war, die Schule des Holteischen Theatergeschmackes gewesen. Dort hatte neben seinen Liederspielen, unter denen »Der alte Feldherr« zu ziemlicher Beliebtheit gelangte, namentlich sein nach der Bürgerschen Ballade bearbeitetes Melodrama »Lenore« ihm eine weitreichende Beachtung als Theaterstückmacher gewonnen. Von der Begierde, mit seiner ganzen Person sich in das Theater zu werfen, ergriffen, war ihm die Einladung nach Riga besonders willkommen, weil er an dem entlegenen Orte ohne Scheu[153] seiner Neigung sich hinzugeben hoffen durfte. Durch sein merkwürdig zutrauliches Benehmen, seine unerschöpflich amüsante Unterhaltung und ungemein leichte Art der Geschäftsbehandlung wußte er die Rigaschen Kaufleute, welche nach eben nichts andrem als solcher Unterhaltung, wie er sie zu gewähren wußte, verlangten, außerordentlich für sich einzunehmen. Sie statteten ihn mit allen erforderlichen Mitteln reichlich aus und kamen ihm in jeder Hinsicht mit unbedingtem Vertrauen entgegen. Mein Engagement bei seiner Unternehmung war außerordentlich leicht zustande gekommen: griesgrämige Pedanten wollte er sich vom Halse halten und zog daher junge Leute schon ihrer Jugend wegen vor; in meinem Betreff hatte es ihm genügt, mich einer ihm bekannten und befreundeten Familie angehörend zu wissen, und da er außerdem erfuhr, daß ich eifrig und feurig namentlich der modernen italienischen und französischen Oper mich zugewandt hatte, glaubte er in mir grade den rechten Mann gefunden zu haben. Von sämtlichen Opern Bellinis, Donizettis, Adams und Aubers hatte er in Bausch und Bogen die Partituren verschrieben; die sollte ich nun alle fix und flott den guten Rigaern in größter Schnelle zum besten geben.
Bei meinem ersten Besuche in Holteis Wohnung traf ich als alten Bekannten von Leipzig her meinen ehemaligen Protektor Heinrich Dorn an, welcher in Riga eine feste Anstellung als städtischer Musikdirektor an Kirche und Schule angenommen hatte. Dieser, der sich freute, den phantastischen Jüngling als praktischen Musikdirektor in selbständiger Stellung wiederzufinden, gewahrte mit Verwunderung die mit mir vorgegangene Veränderung, als er mich, den exzentrischen Beethovenianer, so ganz in der Parteinahme für Bellini und Adam begriffen sah. Er führte mich nach seiner Sommerwohnung, welche nach Rigaschem Sprachgebrauch »im Grünen«, das heißt buchstäblich: im Sand sich befand. Während ich ihm von meinen Lebensschicksalen einiges berichten mußte, befiel mich beim Gewahrwerden der seltsamen Öde, in welche ich geraten war, zuerst ein banges Gefühl der Heimatlosigkeit, welches sich von anfänglichem Unbehagen allmählich zu leidensvoller Sehnsucht steigerte, mich aus diesem Theatergewirr, das mich in so unwirtliche Gegenden verlockt hatte, gänzlich zu befreien. Der Leichtsinn, mit welchem ich in Magdeburg mich gleichzeitig zum Verfall meines musikalischen Geschmacks wie zum Behagen am nichtigsten Theaterumgang hatte hinreißen lassen, wich immer mehr dieser bang sehnsüchtigen Stimmung, woraus im Verlaufe meiner Rigaschen Wirksamkeit in mir eine Tendenz sich bildete, welche, wie sie dem Theater selbst mich immer mehr entfremdete, namentlich auch den Direktor Holtei mit dem Ärger der Enttäuschung über mich erfüllte.
Für den Anfang fiel es mir jedoch noch nicht schwer, gute Miene zum bösen Spiel zu machen. Wir mußten das Theater eröffnen, ehe noch das Opernpersonal sich vollzählig eingefunden hatte; dies wurde uns durch Vorführung einer kleinen komischen Oper von C. Blum »Marie, Max und[154] Michel« möglich. Hierzu komponierte ich als Einlage eine von Holtei gedichtete Arie für den tüchtigen Bassisten Günther; sie bestand aus einer sentimentalen Einleitung und einem heitren militärischen Rondo und gefiel sehr. Später komponierte ich noch für den Bassisten Scheibler eine gebetartige Einlage zur »Schweizerfamilie«, welche nicht nur dem Publikum, sondern auch mir selbst wirklich gefiel und bereits von der großen Umwandlung Zeugnis ablegte, welche sich immer mehr in meiner musikalischen Entwicklung kundgab. Für den Namenstag des Kaisers Nikolaus ward mir die Komposition einer von Brakel gedichteten »Nationalhymne« übertragen, welcher ich eine möglichst despotisch-patriarchalische Färbung zu geben suchte und damit nicht weniger Ruhm einlegte, da sie alljährlich am gleichen Tage eine Zeitlang wiederholt aufgeführt wurde. – Holtei suchte mich zu bestimmen, für unser Personal, wie es nun grade vorhanden war, eine leichte, gefällige Oper, lieber noch »Singspiel« zu schreiben; ich sah mir den Text meiner »Lustigen Bärenfamilie« noch einmal an, fand, wie ich früher bereits erwähnte, auch Holtei sehr günstig für diese Arbeit gestimmt; da ich jedoch die wenige Musik, die ich bereits hierfür in Königsberg aufgeschrieben, wieder hervorsuchte, kam mir ein lebhafter Ekel vor dieser Schreibart an. Ich schenkte das Textbuch einem gutmütigen, unbeholfenen Freunde, dem unter mir stehenden Musikdirektor Löbmann, und kümmerte mich in meinem Leben nie wieder darum. – Dagegen schritt ich nun zur Ausführung des in Blasewitz entworfenen Textes zu »Rienzi« und verfuhr in jeder Weise hierbei nach einem so ausschweifend großen theatralischen Maßstabe, daß ich mit der Konzeption dieser Arbeit mir absichtlich jede Möglichkeit abschnitt, durch die Umstände mich verführen zu lassen, mein Werk anders als auf einer der größten Bühnen Europas aufzuführen.
Während sich hiermit immer mehr das Streben, aus den kleinen, entwürdigenden Theaterverhältnissen herauszugelangen, in mir ausbildete, traten neue Verwicklungen in mein Leben, welche mein Gemüt mit immer größerm Ernst erfüllten und dem soeben angedeuteten Streben neue Erschwerungen zuführten. Die von Holtei erwartete Primadonna war ausgeblieben; wir befanden uns gänzlich ohne Sängerin für die seriöse Oper. Unter diesen Umständen ging Holtei sehr erfreut auf meinen Vorschlag ein, Amalie, die Schwester Minnas, welche gern ein Engagement in meiner Nähe anzunehmen bereit war, sofort nach Riga zu berufen. Von Dresden aus, wo sie sich damals aufhielt, berichtete sie mir in ihrer Antwort zugleich die Wiederkehr Minnas zu ihren Eltern sowie den leidenden, traurigen Zustand, in welchem diese, von harter Krankheit gefesselt, sich befände. Diese Nachricht traf mich in sehr natürlicher Kälte: was ich, seitdem sie mich zuletzt verlassen, über Minna erfahren, hatte mich notwendig bestimmt, meinem alten Königsberger Freunde den Auftrag zu erteilen, die legalen Schritte zur Scheidung unsrer Ehe einzuleiten. Es war gewiß, daß Minna mit jenem unglücklichen Herrn Dietrich sich längere Zeit in einem[155] Hamburger Hotel aufgehalten und ihre Trennung von mir mit so gänzlicher Rücksichtslosigkeit kundgegeben hatte, daß namentlich die Theaterwelt in für mich wirklich ehrenrühriger Weise davon sich unterhielt. Ich teilte dies Amalien einfach mit und bat sie, mich mit weiteren Berichten über ihre Schwester zu verschonen.
Hierauf wandte sich nun Minna selbst an mich mit einem wahrhaft erschütternden Brief, in welchem sie mir offen ihre Untreue eingestand. Wie sie zu dieser durch Verzweiflung getrieben worden, sei sie jedoch ebenfalls durch Verzweiflung über das Unglück, in welches sie sich gestürzt, von diesem Wege wieder abgekommen. Andeutungen ließen schließen, daß sie über den Charakter ihres Verführers getäuscht worden und durch Erkenntnis ihrer abscheulichen Lage in einen moralisch wie körperlich höchst leidensvollen Zustand verfallen war, aus welchem sie sich nun krank und elend zu mir zurückwandte, um, ihre Schuld bekennend, meine Verzeihung zu erbitten und unter allen Umständen mir zu versichern, daß sie erst jetzt zur wahren Erkenntnis ihrer Liebe zu mir gelangt sei. Nie hatte ich eine ähnliche Sprache von Minna vernommen und nie sollte ich wieder eine gleiche von ihr vernehmen, außer in einer ergreifenden Stunde weit späterer Zeit, in welcher der gleiche Ausdruck ebenso erschütternd und umstimmend auf mein Gemüt wirkte, als es dieses erste Mal nach Empfang des bezeichneten Briefes der Fall war. Ich schrieb ihr zurück, daß von dem Vorgefallnen, an dem ich mir die meiste Schuld selbst beimesse, nie mit einem Wort zwischen uns mehr die Rede sein sollte; und ich darf mich rühmen, diesen Vorsatz buchstäblich durchgeführt zu haben.
Da auch das Engagement ihrer Schwester nach Wunsch zustande kam, lud ich Minna ein, mit dieser sofort zu mir nach Riga zu kommen. Gern folgten beide meiner Aufforderung und trafen bei bereits rauher Jahreszeit am 19. Oktober aus Dresden in meiner neuen Heimat ein. Daß Minnas Gesundheit wirklich gelitten, ward ich mit Bedauern inne und suchte dafür nach Kräften durch Herstellung häuslicher Bequemlichkeit und Ruhe ihr wohltätig zu werden, was seine Schwierigkeiten hatte, da mir nur meine bescheidenen Einnahmen als Musikdirektor zu Gebote standen und wir beide fest dabei verharrten, Minna nicht wieder zum Theater gehen zu lassen. Die Durchführung dieses Entschlusses, wie sie für unser Auskommen uns Unbequemlichkeiten auferlegte, zog andrerseits mir sonderbare Verwicklungen zu, über deren Charakter ich erst späterhin in einer Weise aufgeklärt wurde, die mir zugleich die abschreckendsten Erfahrungen über die moralische Beschaffenheit des Direktors Holtei einbrachte. Für jetzt hatte ich es mir eben nur gefallen zu lassen, als eifersüchtig auf meine Frau angesehen zu werden; daß dies von dem Urteil, ich möge dazu wohl Grund haben, begleitet war, ließ ich mir ruhig gefallen und erfreute mich dagegen[156] der Wiederherstellung befriedigender ehelicher Verhältnisse, namentlich auch einer nach Möglichkeit behaglichen Führung unseres bescheidenen Hausstandes, für welche nun Minnas Talent sich wohltätig entwickelte. – Da unsre Ehe stets kinderlos blieb und für gewöhnlich die Pflege eines Hundes für die Belebung des häuslichen Herdes herbeigezogen werden mußte, verfielen wir diesmal sogar auf den exzentrischen Gedanken, es einmal mit einem jungen Wolfe zu versuchen, welcher uns als Säugling in das Haus gebracht worden war. Da wir jedoch fanden, daß dieser Versuch die Gemütlichkeit unsres häuslichen Lebens nicht vermehrte, gaben wir ihn nach einigen Wochen auf. – Besser glückte es mit der Schwester Amalie, welche durch ihre Gutmütigkeit und anspruchslose Zutraulichkeit eine Zeitlang recht angenehm zur Herstellung des fehlenden Familienwesens mitwirkte. Die beiden Schwestern, von denen keine eine eigentliche Bildung genossen hatte, verfielen oft auf belustigende Weise in den Ton ihrer Kinderjahre; wenn sie zweistimmige Volkslieder sangen, bei welchen Minna, ohne irgendwie musikalisch belehrt zu sein, doch immer recht geschickt zu sekundieren wußte, und hierzu russischer Salat, gesalzener Düna-Lachs oder gar frischer Kaviar zur Abendmahlzeit genossen wurde, fühlten wir drei gemeinschaftlich uns im fernen Norden behaglich und wohlgemut.
Amaliens schöne Stimme und wirkliches Gesangstalent bereiteten ihr anfänglich auch eine sehr günstige Aufnahme beim Publikum, was uns dreien gemeinschaftlich recht wohltat. Von sehr kleiner Gestalt und bei nicht weitreichendem Darstellungstalent, blieb jedoch ihr Wirkungskreis beschränkt, und während sie bald durch glücklichere Nebenbuhlerinnen empfindlich überholt wurde, durfte sie für ihr Lebensglück es als besonders günstig ansehn, daß ein äußerst rechtschaffener Offizier der russischen Armee, der damalige Rittmeister, jetzt General Carl von Meck, sich aufs herzlichste in das bescheidene Mädchen verliebte und nach einem Jahr sie heiratete. Leider kam durch dieses Verhältnis, da es zunächst manche Schwierigkeiten bereitete, die erste Trübung unsres Zusammenlebens zum Vorschein. Die Schwestern überwarfen sich mit der Zeit gänzlich, und ich hatte die ärgerliche Verdrießlichkeit zu überstehen, endlich ein volles Jahr zwischen zwei Verwandten, welche sich nie mehr sprachen und sahen, in der gleichen Wohnung zu leben.
Den Winter, mit welchem wir in das Jahr 1838 traten, brachten wir noch in einer engen, unfreundlichen Wohnung in der alten Stadt zu; erst mit dem Frühjahr bezogen wir eine angenehmere Wohnung in der frei gelegenen Petersburger Vorstadt, in welcher sich, trotz des bezeichneten schwesterlichen Zerwürfnisses, ein ziemlich belebter geselliger Verkehr einfand, da wir oft Freunde und Bekannte gemütlich zu bewirten uns angelegen sein ließen. Außer mit Mitgliedern des Theaters pflegte ich abwechselnd auch einige städtische Bekanntschaften; wir empfingen und besuchten[157] die Familie des Musikdirektors Dorn, mit welchem ich Brüderschaft schloß; am treuesten hielt jedoch der zweite Musikdirektor am Theater, der nicht sehr begabte aber ehrenwerte Franz Löbmann zu mir. Dennoch pflegte ich den Verkehr in weitern Kreisen nur dürftig und, der von jetzt an immer mehr sich herausstellenden Haupttendenz meines Lebens gemäß, gar bald immer weniger, so daß, als ich nach einem nicht ganz zweijährigen Aufenthalt später Riga verließ, ich auch von diesem Orte nicht minder fremd und gleichgültig schied wie früher von Magdeburg und Königsberg. Was diesen Fortgang mir aber besonders verbitterte, sollte aus einer Reihe von Erfahrungen bestehen, welche besonders widerwärtiger Art waren und mich mit dem Drange beseelten, für immer von der Berührung mit ähnlichen Elementen, wie ich sie in meinen bisherigen Versuchen, bei Theatern mir eine Stellung zu verschaffen, angetroffen hatte, auszuscheiden.
Doch nur allmählich trat dies alles in mein Bewußtsein, während ich anfänglich, im Geleite des Wiederauflebens meines so früh gestörten jungen ehelichen Glückes, eine Zeitlang auch in meiner künstlerischen Wirksamkeit mich gegen früher wesentlich gebessert fühlte. Unter der wohltätigen Einwirkung des gesicherten materiellen Bestandes der Theaterunternehmung stellte sich auch manches Erfreuliche für die künstlerischen Leistungen derselben heraus. Das Theater selbst war in einem besonders kleinen Raum eingepfercht; auf der winzigen Bühne war ebensowenig an die Entwicklung von theatralischem Luxus wie in dem höchst beschränkten Orchesterraume an Unterbringung reichlicher musikalischer Kräfte zu denken. Nach beiden Seiten hin waren somit die engsten Schranken gesetzt; dennoch verstand ich es, in einem Orchesterraume, welcher eigentlich nur für zwei erste und zwei zweite Violinen, zwei Bratschen und einen Kontrabaß zur Besetzung des Streichquartettes berechnet war, allmählich ansehnliche Verstärkungen einzuführen, durch welche an sich erfolgreiche Bemühungen ich zuerst den Grimm Holteis reizte. Für die Oper stellte sich bald ein gutes Ensemble heraus. Vorzüglich anregend ward für mich das glückliche Studium der Mehulschen Oper »Joseph in Ägypten«, deren edler und einfacher Stil bei der rührenden und ergreifenden Wirkung der Musik zu der günstigen Wendung meiner bis daher durch die Theaterpraxis auffallend verdorbenen Geschmacksrichtung nicht wenig beitrug. Sehr erfreulich war es mir, daß ich durch recht gute Aufführungen des rezitierenden Schauspiels meine alte ernste Neigung wieder angeregt fühlen durfte. Mir bleibt besonders eine Aufführung des »König Lear« unvergeßlich, welcher ich nicht nur in den Aufführungen, sondern auch in den Proben mit höchstem Interesse beiwohnte. – Diese fördernden Eindrücke trugen dennoch nur dazu bei, mich im Befassen mit dem Theater allmählich immer unglücklicher zu fühlen, da einerseits die Persönlichkeiten der Theatergesellschaft mich immer mehr abstießen und andrerseits die Tendenz der Direktion mich mit wachsendem Unmut erfüllte. Im Betreff des Theaterpersonals machte ich nun,[158] da ich meine frühere, in Magdeburg so leichtfertig bewährte Neigung zu ungewähltem Umgange verloren hatte, bald die widerwärtigsten Erfahrungen von der Hohlheit, Eitelkeit und der frechsten Selbstsucht dieser ungebildeten, gänzlich zuchtlosen Menschenklasse. Bald gab es nur wenige Mitglieder unserer Oper, mit denen ich mich nicht im Kampfe gegen eine der genannten Eigenschaften überworfen hätte. Am traurigsten war es aber zu gewahren, daß ich in solchen Kämpfen, zu denen ich mich in Wahrheit nur im Eifer für das Gelingen der künstlerischen Gesamtleistung hinreißen ließ, von dem Direktor Holtei nicht nur ohne Unterstützung blieb, sondern sogar ihn selbst mir dadurch verfeindete. Dieser fand sich nämlich bald zu der offenen Erklärung veranlaßt, daß unser Theater einen für seinen Geschmack bereits viel zu soliden Charakter angenommen habe, und suchte mich darüber zu belehren, daß gute theatralische Leistungen eigentlich eine liederliche Bande voraussetzten. Wie er den Begriff der Würde der theatralischen Kunst geradeswegs für einen pedantischen Unsinn erklärte, erkannte er für das Genre ihrer Leistungen eigentlich nur das halb rührend, halb frivol anregende Vaudeville als beachtungswert an. Die ernste große Oper, besonders das reiche musikalische Ensemble waren ihm entschieden verhaßt, und meine Anforderungen hierfür reizten ihn zu wirklichem Hohn und hämischer Zurückweisung. Den eigentümlichen Zusammenhang dieser seiner künstlerischen Tendenz mit seinen anderweitigen, das Gebiet der Moralität berührenden Neigungen sollte mir zu meinem Schrecken allmählich auch klarwerden. Für das erste fühlte ich mich durch die Äußerungen seiner künstlerischen Antipathien genügend von ihm abgestoßen, um meiner wachsenden Abneigung gegen das Befassen mit dem Theater mich immer mehr nachhängen zu lassen. Wohl erfreute ich mich noch einiger guter Aufführungen, welche ich unter günstigen Umständen auf dem größern Theater zu Mitau, wohin die Gesellschaft sich im Anfang des Sommers auf einige Zeit begab, zustande brachte. Dennoch faßte ich grade bei diesem Aufenthalte, während welchem ich mich meist mit der Lektüre Bulwerscher Romane befaßte, den heimlichen Entschluß, ernstlich nach Befreiung aus dem Verkehr mit dem Theater, wie er mir bis jetzt einzig möglich geworden war, zu trachten.
Die Komposition meines bereits im Anfang des Rigaer Aufenthaltes beendigten Textes der Oper »Rienzi« sollte mir die Brücke zu der von mir ersehnten großartigern Welt bauen. Hatte ich die »Lustige Bärenfamilie« schon mit aus dem Grunde, weil die leichtere Ausführung derselben mich wieder zum Befassen mit den von mir verachteten Theaterverhältnissen verführt haben würde, verworfen, so gab es mir nun eine erhebende Beruhigung, den »Rienzi« auch im Betreff der angewandten Kunstmittel so rücksichtslos reich zu entwerfen, daß schon das Verlangen nach seiner dereinstigen Aufführung mich zum Verlassen der bisher gewohnten kleinern Theaterverhältnisse und zum Aufsuchen neuer Beziehungen zu einem großen[159] Theater nötigen mußte. Nach unsrer Rückkehr aus Mitau im Hochsommer 1838 begann ich nun diese Komposition und nährte dadurch in mir eine enthusiastische Stimmung, welche meiner tatsächlichen Lebenslage gegenüber den Charakter einer verzweifelten Aufgelegtheit annahm. Jedem, dem ich mein Vorhaben mitteilte, leuchtete es schon aus dem bloßen Bekanntwerden mit meinem Sujet ein, daß ich auf einen Bruch mit meiner bisherigen Stellung, in welcher an die Aufführung meines Werkes gar nicht zu denken war, ausging, wodurch ich in den Augen meiner Bekannten als hoffärtig und leichtsinnig zugleich erschien.
Für unpraktisch und exzentrisch galt ich auch jetzt, wo ich von meinem letzten leichtfertigen Behagen am trivialen Operngeschmack mich lebhaft wieder abgewandt hatte, namentlich auch dem ehemaligen Protektor meiner merkwürdigen Leipziger Ouvertüre. Er sprach dies mit größter Unbefangenheit in einem Bericht über ein zuvor am Schlusse des Winters von mir gegebenes Konzert in der Neuen Zeitschrift für Musik aus, wo er sich über zwei meiner Kompositionen, jene Magdeburger Kolumbus-Ouvertüre und die bereits erwähnte Ouvertüre über »Rule Britannia« diesmal ohne Scheu lustig machte. Ich selbst hatte an der Aufführung dieser beiden Ouvertüren keine Freude erlebt, und namentlich meine in diesen Kompositionen noch stark bekundete Vorliebe namentlich für Trompeten spielte mir bereits diesmal unangenehme Streiche, da ich unsern Rigaschen Musikern hierbei offenbar zuviel zugemutet hatte und mannigfaltiges Unglück bei der Exekution ertragen mußte. Im vollen Gegensatz zu meiner ausschweifenden Anlage des »Rienzi« hatte dagegen derselbe H. Dorn zur Anfertigung einer Oper sich angelassen, für welche er recht praktisch eben nur den Bestand unsres Rigaschen Theaters im Auge behalten hatte. »Der Schöffe von Paris«, historisch-komische Oper aus der Zeit der Belagerung von Paris unter Jeanne d'Arc, wurde zur Zufriedenheit des Komponisten von uns einstudiert und aufgeführt. Ich erhielt keinen Grund, durch den Erfolg dieses Werkes mich von meinem Vorhaben im Betreff der Ausführung meines »Rienzi« abbringen zu lassen, und freute mich innerlich der Neidlosigkeit, welche ich über diesen Erfolg empfand. Gänzlich unangeregt zur Nebenbuhlerschaft, zog ich mich immer mehr aus dem Verkehr mit der Rigaschen Künstlerschaft zurück, beschränkte mich lediglich auf die Ausübung meiner kontraktlichen Funktionen und arbeitete die zwei ersten Akte meiner großen Oper aus, ohne im mindesten mich darum zu bekümmern, ob ich je zu einer Aufführung des Werkes selbst gelangen würde.
Hatten mich zu der Umkehr meiner innern Neigungen nach der in frühester Jugend mir eignen, inbrünstig ernsten Seite meines Wesens hin gewiß auch die so früh von mir gemachten bitter-ernsten Lebenserfahrungen bestimmt, so waren diese neuerdings durch besonders wehmütige Eindrücke noch gefärbt worden. Nicht lange nach meiner Wiedervereinigung mit Minna kam mir aus der Heimat die Nachricht vom Tod meiner Schwester [160] Rosalie zu. Zum ersten Male in meinem Leben hatte ich den Eindruck vom Dahinscheiden eines innig nahestehenden Wesens zu erfahren gehabt. Gerade der Tod dieser Schwester erschütterte mich wie ein tief bedeutungsvoller Schicksalsschlag; sie war es gewesen, um deren Liebe und Achtung willen ich einst mich so energisch von meinen jugendlichen Ausschweifungen abgewandt hatte, um deren Teilnahme zu verdienen ich meinen ersten größern Arbeiten einen besondren, sinnigen Fleiß zugewandt hatte. Als mich die leidenschaftliche Sorge des Lebens erfaßte und aus dem elterlichen Haus ohne Aufenthalt forttrieb, war sie es, welche in meinem dunkel-befangenen Herzen gelesen und bei jenem letzten Abschied in Leipzig das ahnungsvolle Lebewohl mir zugerufen hatte. In der Zeit meines Verschollenseins, als die Nachricht von meiner eigenwilligen Heirat und dem damit verbundenen Mißraten meiner Lebenslage in die Familie gelangte, war sie es, welche, wie meine Mutter mir später mitteilte, nie den Glauben an mich aufgegeben hatte, sondern stets die Hoffnung nährte, ich würde noch zur reinen Entfaltung meiner Natur gelangen und es zu etwas Tüchtigem bringen. Nun, bei der Nachricht von ihrem Tode, stand mit der Erinnerung an unsren bedeutungsvollen Abschied wie vom Blitz erleuchtet der ganze Umfang des edlen Wertes meiner Beziehungen zu dieser Schwester vor mir, und welchen Einfluß dieses auf mich hatte, ward mir später deutlich bewußt, als nach meinen ersten auffallenden Erfolgen meine Mutter unter Tränen beklagte, daß Rosalie sie nicht hatte miterleben können. Nun war es mir denn auch wohltätig überhaupt, mit meiner Familie wieder in Verkehr zu treten. Mutter und Schwestern hatten in ihrer Weise von meinen Schicksalen vernommen; es rührte mich tief in den Briefen, die mir von ihnen nun wieder zukamen, nichts von Vorwürfen über mein eigenwilliges und anscheinend liebloses Benehmen, sondern nur Mitgefühl und herzliche Sorge ausgedrückt zu sehen. Auch über die guten Eigenschaften meiner Frau waren meiner Familie empfehlende Berichte zugekommen, was mir besonders wohltätig war, da mir so die Verteidigung ihres bedenklichen Benehmens gegen mich, welche mich sehr beschwert haben würde, im versöhnlichen Sinne erspart wurde. Somit trat eine wohltätige moralische Ruhe in mein kurz zuvor so stark aufgeregtes Innere. Was mich mit solcher Leidenschaftlichkeit zu der unvorsichtigen, allzu jugendlichen Ehe getrieben, was infolge hiervon mich so aufreibend bedrängt hatte, schien nun wie beschwichtigt und in Frieden beigelegt; und verblieben mir auch die gemeinen Lebenssorgen oft in widerwärtigster und bekümmerndster Gestalt lange Jahre hindurch, so waren doch die Beunruhigungen des sehnsüchtigen Jünglingsbedürfnisses in einer Weise gedämpft und beschwichtigt, daß ich fortan, bis zur Erreichung meiner künstlerischen Selbständigkeit, das Streben meiner Natur lediglich eben auf diesen idealeren Zweck richten konnte, welcher jetzt, von der Konzeption des »Rienzi« ab, für alle meine Lebensentschlüsse mich einzig leitete.[161]
Mir ist später durch das mir berichtete Wort eines Rigaers, welcher erstaunt war, von den Erfolgen eines Menschen zu hören, von dessen Bedeutung man während eines zweijährigen Aufenthalts in der doch nicht sonderlich großen livischen Hauptstadt nicht das mindeste wahrgenommen hatte, der Charakter meines Lebens in Riga selbst erst bemerklich geworden. Von nirgends her trat mir eine auch nur im mindesten anregende Persönlichkeit entgegen. Gänzlich auf mich allein angewiesen, blieb ich allen fremd. Wie schon erwähnt, zog ich mich auch mit immer zunehmendem Widerwillen von dem Personal des Theaters zurück, und so fand es sich denn, daß am Ende eines zweiten dort verbrachten Winters, als mir Ende März 1839 von seiten der Direktion meine Entlassung angezeigt wurde, so sehr aus andern Gründen mich dieses Vorgehen überraschte, ich mich doch in voller Übereinstimmung mit dieser äußeren Nötigung, meinen Lebensplan zu verändern, fühlte. Die charakteristischen Umstände dieser Entlassung waren nun allerdings aber der Art, daß ich sie wohl als eine der widerwärtigsten Erfahrungen meines Lebens anzusehen hatte. Bei Gelegenheit einer lebensgefährlichen Erkrankung hatte ich bereits auf die Gesinnung Holteis gegen mich zu schließen sehr betrübende Veranlassung erhalten. Mitten im stärksten Winter hatte ich in einer Theaterprobe mir eine heftige Erkältung zugezogen, welche bei meinem durch beständigen Ärger und nagenden Gram über die Nichtswürdigkeit der mich erdrückenden Theaterwirtschaft sehr krankhaft aufgeregten Nervensystem sofort einen sehr bedenklichen Charakter annahm. Nun sollte grade in diesen Tagen aber eine Gastvorstellung der Oper »Norma« von unsrer Gesellschaft in Mitau gegeben werden. Holtei verstand es, mich zu nötigen, vom Krankenbette mich zu der winterlichen Reise aufzumachen und in dem eiskalten Mitauer Theater mich der gefährlichsten Vermehrung meiner Krankheit auszusetzen. Die Folge hiervon war ein typhöses Fieber, welches mich so schnell abzehrte, daß Holtei, der meinen Zustand kennenlernte, im Theater sich davon unterhielt, daß ich nun wohl auch nie mehr dirigieren würde und vermutlich zur »Abfahrt bestimmt sei«. Einem trefflichen homöopathischen Arzte, Dr. Prutzer, verdankte ich meine Rettung und Wiedergenesung. Nicht lange hierauf verließ Holtei für immer unser Theater und Riga; ihm war das Befassen mit den dortigen, wie er sich ausdrückte, »viel zu soliden Umständen« unerträglich geworden; außerdem aber schienen in seinem Privatleben, welches zuletzt noch durch den Tod seiner Frau hart betroffen worden war, Umstände eingetreten zu sein, welche ihn einen gänzlichen Abbruch seines Aufenthaltes in Riga rätlich dünken ließen. Daß auch ich unter den ihm entstandenen Verlegenheiten bisher unbewußt zu leiden gehabt hatte, sollte mir zu meinem Erstaunen jetzt bekannt werden. Als mir der Nachfolger Holteis in der Direktion – der Sänger Joseph Hoffmann – anzeigte, daß ihm von seinem Vorgänger ein mit dem Musikdirektor Dorn abgeschlossenes Engagement für die von[162] mir bisher innegehabte Stelle am Theater als Verpflichtung übertragen worden und meine Wiederanstellung somit unmöglich gemacht sei, begegnete meinem Erstaunen hierüber meine Frau mit der Erklärung der ihr bereits länger wohlbekannten Gründe der besondern Abneigung Holteis gegen uns beide. Mit dem Bekanntwerden der Vorgänge, welche Minna aus Schonung, und um mir kein böses Blut gegen meinen Direktor zu machen, bisher angelegentlichst verschwiegen hatte, ging mir nun ein erschreckendes Licht auf. Wohl entsann ich mich, daß bald nach der Ankunft Minnas in Riga ich von Holtei dringlich angegangen worden war, das Engagement meiner Frau am Theater nicht hindern zu wollen; ich bat ihn, sich ungestört mit dieser selbst zu vernehmen, um auf diesem Wege sich die Überzeugung zu verschaffen, daß die Fernhaltung Minnas vom Theater auf einer gemeinschaftlichen Übereinkunft, nicht aber etwa auf einseitiger Eifersucht meinerseits beruhte. Ich hatte ausdrücklich die Zeit, wo ich mit Proben im Theater beschäftigt war, zu den hierfür nötigen Konferenzen des Direktors mit meiner Frau angezeigt; am Schlusse solcher Zusammenkünfte traf ich bei meiner Heimkehr mehreremals Minna in sehr aufgeregtem Zustande und erhielt endlich von ihr die feste Erklärung, unter keinen Umständen in das von Holtei vorgeschlagene Engagement zu willigen. Außerdem bemerkte ich an dem Benehmen Minnas gegen mich ein mir unerklärliches scheues Forschen nach den Gründen meiner Bereitwilligkeit, mit welcher ich Holtei erlaubt hatte, meine Frau zu überreden zu versuchen. Wie ich nun nach dem Eintritt der Katastrophe erfuhr, hatte Holtei diese Zusammenkünfte allerdings zu unverhohlenen Liebesbewerbungen benutzt, deren Charakter und Tendenz mir nach weiterm Bekanntwerden mit den besondern Eigenheiten dieses Mannes schwierig erklärbar wurde, bis aus dem Bekanntwerden andrer Prozeduren dieser Art es sich herausstellte, daß Holtei es für vorteilhaft halten mußte, sich mit hübschen Frauen in das Gerede bringen zu lassen, um hierdurch die Aufmerksamkeit des Publikums von ungleich befleckenderen Verirrungen abzulenken. Zunächst aber war Minna auf das äußerste bereits dadurch empört worden, daß Holtei, nachdem er mit seinen eignen Liebesbewerbungen abgewiesen war, nun als Werber für einen andern hervortrat, in dessen Betreff er sich dahin äußerte, daß er der jungen Frau allerdings nicht verdenken wolle, wenn sie ihn, den bereits ergrauten und vermögenslosen Mann, abweise, wogegen er ihr nun einen hübschen, jungen und zugleich sehr reichen Mann, den Kaufmann Brandenburg, zuweise. Sein grimmiger Ärger über die doppelte Abweisung, die Demütigung, sich gänzlich erfolglos so sehr bloßgestellt zu haben, scheint nach den Wahrnehmungen Minnas hiervon groß gewesen zu sein. Ich begriff nun, daß seine oft gehörten Ausbrüche einer leidenschaftlichen Verachtung gegen »solide Verhältnisse beim Theater« nicht geniale Übertreibungen waren, sondern daß er oft schon Grund erhalten haben mochte, über die ärgerlichsten Beschädigungen von dieser Seite her sich zu beklagen.[163] Daß aber frevelhafte Versuche zu einem Spiel, wie er es mit meiner Frau vorhatte, dennoch nicht imstande waren, die immer weiter greifende Aufmerksamkeit der Beobachter seines eigentlichen lasterhaften Treibens zu täuschen, scheint ihm endlich nicht entgangen zu sein, und unverhohlen gestanden eingeweihte Näherstehende, welche hierüber sich mir mitteilten, ein, daß die Furcht vor sehr üblen Enthüllungen ihn so schnell bewogen habe, seine Stellung in Riga gänzlich zu verlassen. – Noch in den spätesten Jahren hörte ich von Holteis leidenschaftlicher Ungeneigtheit gegen mich, mit welcher er unter andrem gegen »Zukunftsmusik« und ihre die Einfachheit der reinen Empfindung bedrohende Tendenz eiferte. Wie erwähnt, hatte er auch so viel menschliche Leidenschaftlichkeit bewiesen, bereits in der letzteren Zeit unseres Rigaer Zusammenseins mir seine Feindseligkeit zu bezeigen, welche ich bis dahin geneigt war, wirklich nur seiner von der meinen abweichenden Kunsttendenz zuzuschreiben.
Wurde ich nun auch zu meinem Schrecken darüber belehrt, welche durchaus nur persönlichen Veranlassungen hierbei zugrunde lagen, und hatte ich eine gewisse Beschämung darüber zu empfinden, durch mein früheres rückhaltloses Vertrauen gegen einen mich ganz unvergleichlich bieder dünkenden Charakter meine Menschenkenntnis noch auf sehr schwachen Füßen stehend erkennen zu müssen, so setzte mich dagegen die Offenbarung des Charakters meines Freundes H. Dorn in fast noch größere Verwirrung. Dieser war während unsres fortgesetzten Umganges in Riga aus dem Benehmen eines wohlwollenden älteren Bruders in ein offenbar vertrautes Freundesverhältnis zu mir übergegangen; wir sahen und besuchten uns fast täglich, sehr häufig im Familienkreise; ich hatte kein Geheimnis vor ihm, und die Aufführung seines »Schöffen von Paris« ging unter meiner Leitung so gut wie unter seiner eignen vonstatten. Als ich nun hörte, daß meine Stelle an ihn vergeben sei, glaubte ich ihn nur darüber befragen zu müssen, um zu erfahren, daß seinerseits ein Irrtum über meine Absicht im Betreff meiner bisherigen Stellung am Theater obwalte. Aus einer brieflichen Antwort ersah ich jedoch, daß Dorn sich wirklich die feindselige Stimmung Holteis gegen mich zunutze gemacht hatte, um von diesem gerade bei dessen Abgange eine den Nachfolger bindende Abmachung zu seinen Gunsten zu erwirken. Daß er als mein Freund die Vorteile dieser Abmachung nur für den Fall ausbeuten zu dürfen geglaubt hätte, daß ich wirklich meine Rigasche Anstellung aufzugeben gesonnen sei, war ihm so wenig eingefallen, daß er in unsrem bisher fortgesetzten vertrauten Umgange sogar sorgfältig vermied, die Möglichkeit meines Fortgehens oder Verbleibens zu berühren. Er führte dagegen an, Holtei habe ihm eröffnet, er werde mich keinesfalls von neuem engagieren, da ich mit dem Sängerpersonale mich nicht zu vertragen wisse; ihm, welchen der Erfolg seines »Schöffen von Paris« mit neuer Lust für das Theater belebt hatte, sei demnach nicht zu verdenken gewesen, daß er die ihm sich bietende Vakanz zu seinem Vorteil ergriffen habe. Aus[164] meinen vertrauten Mitteilungen habe er außerdem entnommen, daß ich in bedrängter Lage sei und bei meinem geringen, durch Holtei von vornherein verkürzten Gehalte gegen die Zumutungen meiner Königsberger und Magdeburger Gläubiger, welche einen Dorn nahe befreundeten Advokaten gegen mich gewonnen hatten, einen sorgenvollen Stand hätte, was ihn denn zu der Annahme gebracht habe, ich würde mich doch in Riga nicht halten können. Somit habe er auch als Freund bei dem Erfassen der Holteischen Proposition sein Gewissen unbelästigt gefühlt. Um ihm diese Selbstbelügung nicht ungestört zu belassen, führte ich ihm zu Gewissen, daß ihm nicht unbekannt sei, wie mir für mein drittes Kontraktjahr, wenn ich es angetreten hätte, ein erhöhtes Gehalt zugesichert war, außerdem durch Gründung von Orchesterkonzerten, welche bereits einen günstigen Anfang genommen hatten, mir nun, nach Überstehung der schwierigen Zeiten der Übersiedelung und Niederlassung, eben gerade die Möglichkeit entstünde, meiner aus der Vergangenheit herrührenden Schulden mich zu entledigen, und frug ihn somit, wie er sich zu verhalten gedenke, wenn ich erkläre, meinen Vorteil in der Beibehaltung meiner bisherigen Stellung zu ersehen, und ihn somit ersuchen würde, von seiner Abmachung mit Holtei, der außerdem ja nach seinem Fortgange von Riga den vorgeschützten Grund zu meiner Entlassung fahrengelassen habe, abzustehen. Hierauf erhielt ich von Dorn bis auf den heutigen Tag keine Antwort, hatte dagegen im Sommer 1865 die Überraschung, Dorn in Person unangemeldet in meiner Münchener Wohnung eintreten und, nachdem ich ihn zu seiner Freude wiedererkannt, mit einer Bewegung mir entgegentreten zu sehen, welche deutlich die Absicht einer Umarmung zeigte; während ich dieser auszuweichen verstand, erkannte ich doch schnell die Schwierigkeit, sein brüderliches »Du« von mir abzuhalten, da die Bemühungen hiergegen möglicherweise Erörterungen nötig gemacht hätten, welche eine unnütze Vermehrung meiner damaligen Aufregungen (es war in der Zeit der Aufführung meines Tristan) veranlaßt haben würden. Dies war Heinrich Dorn, den, obwohl er sich zu jener Zeit nach dem Mißglücken dreier Opern mißmutig vom Theater ab- und der rein bürgerlichen Handhabung der Musik bereits zugewandt hatte, der Rigasche Lokalerfolg seiner historisch-komischen Oper »Der Schöffe von Paris« über die Brücke eines Freundschafts-Verrates und an der Hand der Tugend in der Person des Direktors Holtei der Pflege der dramatischen Musik in Deutschland, wohin er aus seiner Vergessenheit durch ein großmütiges Versehen Franz Liszts zurückgebracht wurde, zu andauernder Erhaltung zuführte. Zum Gewinn seiner schließlichen bedeutenden Stellung an dem größten lyrischen Theater Deutschlands, der Königlichen Oper in Berlin, verhalf ihm die Neigung des Königs Friedrich Wilhelm IV. für kirchliche Vorgänge; denn zunächst weniger dem Rufe der dramatischen Muse, als dem Wunsche, in einer größern deutschen Stadt überhaupt nur eine gute Anstellung zu finden, folgend, war er, wie angedeutet, durch Liszts[165] Empfehlung als Musikdirektor am Dom nach Köln berufen worden. Bei Gelegenheit einer Dombaufestlichkeit hatte er als Musiker auf das religiöse Gemüt des preußischen Monarchen in der Art zu wirken gewußt, daß dieser ihn mit der Würde seines Hoftheaterkapellmeisters belehnte, als welcher er nun lange Zeit berufen blieb, mit Wilhelm Taubert gemeinschaftlich die Ehre der deutschen dramatischen Musik zu pflegen.
J. Hoffmann, dem nunmehrigen Direktor des Rigaschen Theaters, muß ich es nachrühmen, daß ihm der an mir verübte Verrat zu Herzen ging; er erklärte mir, zu der Anstellung Dorns nur für ein Jahr verpflichtet zu sein und sofort für das übernächste Jahr von neuem einen Kontrakt mit mir abschließen zu wollen. Hierzu kamen Anerbietungen Rigascher Kunstfreunde, durch Nachweisung von Musikunterricht, Einrichtung von Konzerten usw. für das ausfallende Jahr meines Musikdirektor-Gehaltes mich zu entschädigen. So lieb mir diese Zeugnisse der Anerkennung für mich waren, so hatte doch, wie ich bereits anführte, die Sehnsucht, von dem bisher von mir gekannten Theaterwesen mich gänzlich zu entfernen, mich so stark eingenommen, daß ich diese unfreiwillige Veranlassung, schon jetzt meine bisherige Laufbahn zu verlassen und in eine vollständig neue mich zu werfen, mit Entschiedenheit ergriff. Nicht ohne Geschick benutzte ich die Erregung auch ihres über den an mir begangenen Verrat erbitterten Gemütes, um meine Frau mit dem von mir gefaßten exzentrischen Vorhaben, nach Paris zu gehen, zu befreunden. Hatte ich schon mit der Konzeption des »Rienzi« nur noch die großartigsten Theaterverhältnisse in das Auge gefaßt, so wollte ich nun mit Übergehung aller Zwischenstationen sofort dem Brennpunkte des europäischen großen Opernwesens unmittelbar mich zuwenden. Bereits in Magdeburg hatte ich dem Roman »Die hohe Braut« von H. König das Sujet zu einer großen fünfaktigen Oper nach reichlichstem französischem Zuschnitt entnommen. Den vollständig ausgearbeiteten szenischen Entwurf ließ ich mir in das Französische übersetzen und schickte ihn von Königsberg aus an Scribe nach Paris. Diese Zusendung begleitete ich mit einem Brief an den berühmten Operntextdichter, in welchem ich ihm die Aneignung meines Entwurfes unter der Bedingung, mir den Auftrag zur Komposition der Oper für Paris zu erwirken, antrug. Um sich von meiner Befähigung, eine Pariser Opernmusik zu schreiben, überzeugen zu können, übersandte ich ihm zugleich die Partitur meines »Liebesverbotes«. Außerdem schrieb ich aber auch an Meyerbeer, um ihn von meinem Vorhaben in Kenntnis zu setzen und um seine Unterstützung dafür anzugehen. Es beunruhigte mich nicht, hierauf keinerlei Antwort zu erhalten; wogegen es mir genügte, mir sagen zu können, daß ich bereits »mit Paris in Verbindung stehe«. Wirklich hatte ich, als ich nun von Riga aus mein kühnes Unternehmen in Angriff nahm, einen gewissermaßen soliden Anknüpfungspunkt und schwebte in betreff meiner Pariser Pläne nicht so eigentlich ganz und gar mehr in der Luft. Nun kam aber hinzu, daß meine[166] jüngste Schwester Cäcilie Braut eines zum Brockhausschen Geschäft gehörigen Buchhändlers Eduard Avenarius geworden war und dieser in Paris die Führung des dort etablierten Zweiges der deutschen Firma übernommen hatte. An ihn wandte ich mich jetzt, um von Scribe Auskunft und Antwort auf mein bereits einige Jahre altes Anerbieten zu erhalten. Avenarius suchte Scribe auf und erhielt von diesem die Bestätigung des Empfanges meiner früheren Zusendung. Auch bezeugte ihm Scribe Erinnerung an das ihm mitgeteilte Sujet, in welchem, soviel er sich entsänne, eine »joueusc de harpe« vorkäme, welche von ihrem Bruder malträtiert wurde: daß ihm gerade nur dieser mehr episodische Zug im Gedächtnis geblieben war, ließ mich zwar annehmen, daß Scribe über die Kenntnisnahme des ersten Aktes, in welchen dieses Ereignis fiel, nicht hinausgelangt sei; auch daß er in betreff meiner Partitur nichts andres mitzuteilen hatte, als daß er sich von einem Schüler des Conservatoires etwas daraus habe vorspielen lassen, konnte mich nicht zu der schmeichelhaften Annahme bewegen, daß er in einen deutlichen und bewußten Rapport mit mir getreten sei. Dennoch lag, als ich den einen von Scribe an Avenarius in meiner Angelegenheit gerichteten Brief von diesem als Einschluß in meine Hände gelangt sah, ein greifbares Zeugnis vor mir, daß Scribe sich mit mir beschäftigt habe und ich mit ihm in Verbindung stehe. Selbst auf die keineswegs sanguinische Vorstellungsart meiner Frau wirkte dieser Scribesche Brief so bedeutend, daß sie den Schrecken, mit mir sich zu dem Pariser Abenteuer aufmachen zu sollen, immer mehr zu überwinden vermochte. Wir setzten endlich kurz und gut fest, daß wir nach Ablauf meines zweiten Rigaschen Kontraktjahres, also im bevorstehenden Sommer (1839), direkt von Riga nach Paris reisen würden, um dort einzig mein Glück als Opernkomponist zu versuchen.
Nun erhielt die Ausführung meines »Rienzi« immer größere Bedeutung; noch vor der Abreise war auch die Komposition des 2. Aktes beendigt und diesem ein heroisches Ballett von ausschweifendster Dimension eingeflochten. Da fand sich denn nun, daß ich schnell auch Französisch zu lernen hätte, welches ich während meiner klassischen Gymnasialstudien mit höchster Verachtung beiseite liegengelassen hatte. Als mir zum Nachholen des Versäumten für jetzt nur noch vier Wochen übrigblieben, nahm ich einen tüchtigen französischen Sprachlehrer an; da ich jedoch bald einsah, daß ich es zu keinem besondern Erfolg in dieser kurzen Zeit bringen würde, benutzte ich die Unterrichtsstunden nur dazu, unter dem Vorwand der Übung meinem Lehrer eine Prosa-Übersetzung des Textes zum »Rienzi« abzugewinnen; diese schrieb ich mit roter Tinte sofort in die Partitur der fertigen Teile meiner Musik ein, um auf diese Weise sogleich nach meiner Ankunft in Paris meine halbvollendete Oper französischen Kunstrichtern vorlegen zu können.
Somit schien mir alles recht verständig für meine Unternehmung geordnet,[167] und es blieb nur übrig, mir die Geldmittel zur Ausführung derselben zu verschaffen. Hiermit stand es nun übel: der Verkauf unserer bescheidenen häuslichen Einrichtung, der Ertrag eines Benefiz-Konzertes und einige sonstige kleine Ersparnisse reichten gerade eben nur aus, die von Magdeburg und Königsberg gegen mich in Riga klaghaft gewordenen Gläubiger zu befriedigen. War ich genötigt, hierfür mein Geld zu verwenden, so verblieb mir nicht ein Heller. Hier mußte nun Rat geschafft werden, und unser alter Königsberger Freund Abraham Möller fand sich ein, um in der ihm geläufigen, nicht allseitig leicht zu beurteilenden Weise diesen Rat zu schaffen. In dieser kritischen Zeit stattete er uns einen zweiten Besuch in Riga ab; ich klagte ihm meine schwierige Lage und die Hindernisse, welche der Ausführung meines Entschlusses, nach Paris zu gehen, entgegenstünden. Er riet mir nun kurz und bündig, alle meine Ersparnisse für unsre Reise zu verwenden und mit meinen Gläubigern erst dann mich abzufinden, wenn meine Pariser Erfolge mir dazu die Mittel an die Hand gegeben haben würden. Um dies zu ermöglichen, bot er uns an, in seinem Reisewagen mit Extrapost uns über die russische Grenze bis in einen ostpreußischen Hafen zu bringen; die Überschreitung dieser Grenze mußte von unsrer Seite ohne Pässe bewerkstelligt werden, da auf diese von seiten der auswärtigen Gläubiger Beschlag gelegt war. Er schilderte uns die Ausführung dieses höchst bedenklichen Vorhabens als sehr leicht, da er auf einem der Grenze benachbarten preußischen Gute einen Freund habe, der ihm hierzu die erfolgreichste Hilfe leisten werde. Die Begierde, um jeden Preis meiner bisherigen Lage mich zu entziehen und schnellstmöglich auf das große Feld zu gelangen, auf welchem ich mir rasche Befriedigung meiner ehrgeizigen Wünsche erwartete, verblendete mich gegen alle Widerwärtigkeiten, welche die Ausführung des nun beschlossenen Vorhabens begleiten mußten. Direktor Hoffmann, der sich mir nach Kräften verpflichtet hielt, erleichterte meinen Fortgang dadurch, daß er mir ihn um einige Monate vor meiner kontraktlich abgelaufenen Dienstzeit ermöglichte. Nachdem ich noch im Juni die Opernaufführungen der Mitauer Theatersaison dirigiert hatte, traten wir, eben von Mitau aus, unter Möllers Schutze und in dessen Wagen mit Extrapost heimlich die Reise an, deren Ziel Paris sein und unter den unerhörtesten Drangsalen von uns erreicht werden sollte. –
Das Wohlgefühl, welches mir die Fahrt durch das fruchtbare Kurland im üppigen Sommermonat Juli namentlich durch die Vorstellung, daß ich nun mit einer ganzen mir verhaßten Lebensrichtung gebrochen und dafür einem unermeßlich neuen Schicksalspfade nachging, unwillkürlich erweckte, ward schon im Beginn der Reise durch die quälende Belästigung getrübt, welche mir durch die Begleitung eines großen Neufundländer Hundes mit Namen Robber veranlaßt wurde. Dieser wunderschöne Hund, ursprünglich einem Rigaschen Kaufmann gehörig, hatte sich, gegen die Natur dieser besondern Rasse, mit einer vorzüglichen Zuneigung an meine Person geheftet.[168] Nachdem ich Riga verlassen, hatte während meines längern Aufenthaltes in Mitau Robber fortgesetzt meine leergewordene Wohnung belagert und durch seine auffallende Anhänglichkeit den Hauswirt und die Nachbarn so sehr gerührt, daß sie den Hund durch den Postkondukteur mir nach Mitau nachschickten, wo ich ihn mit wahrhafter Ergriffenheit empfing und mir gelobte, trotz aller Beschwerden den Hund fortan nicht mehr von mir zu weisen. Wie mir es auch ergehen möchte, der riesige Hund mußte mit nach Paris; allein schon nur auf dem Wagen ihn unterzubringen, schien rein unmöglich: alle Vorrichtungen, welche ich unterwegs traf, um ihm im oder am Wagen einen Platz zu verschaffen, erwiesen sich als nichtig, und zu meiner wachsenden Pein mußte ich das so stark bepelzte nordische Tier in glühendster Sonnenhitze tagelang neben dem Wagen herlaufen sehen, bis ich, durch das Mitgefühl für seine Erschöpfung auf das äußerste gebracht, endlich auf die ingeniösesten Einfälle geriet, im vollbesetzten Wagen den großen Hund doch noch so unterzubringen, daß er darin aushielt. Am Abend des zweiten Tages gelangten wir so an die russisch-preußische Grenze; die Besorgnis Möllers wegen Ausführung unsrer heimlichen Überschreitung derselben ließ auch uns innewerden, daß es sich hierbei eigentlich um ein gefährliches Wagnis handelte; der vertraute Freund von jenseits begegnete uns der Abmachung gemäß mit einem kleinen Wagen, in welchem er Minna, mich und Robber, von der Hauptstraße ab auf Umwegen nach einem Punkt brachte, von dem aus er uns zu Fuß in ein Haus von höchst verdächtigem Aussehen geleitete, um uns dort, nachdem er uns einem Führer übergeben, wieder zu verlassen. Dort hatten wir bis nach Sonnenuntergang zu warten und gewannen Muße innezuwerden, daß wir uns in einer Pascherkneipe befanden, welche sich allmählich mit polnischen Juden vom allerschmutzigsten Aussehen bis zum Übermaß anfüllte. Endlich wurden wir aufgefordert, unsrem Führer zu folgen. Einige hundert Schritte weit zog sich am Abhange eines Hügels der Graben hin, welcher längs der ganzen russischen Grenze gezogen ist und beständig durch Wachtposten von Kosaken, in sehr kleinen Zwischenräumen verteilt, bewacht wird. Es galt, die wenigen Minuten zu benutzen, welche nach der Ablösung der Wachen die Wächter anderweitig beschäftigten. Sehr eilig hatten wir daher den Hügel hinabzulaufen, durch den Graben zu klettern und dann von neuem eilig uns weiter zu wenden, bis wir aus der Schußlinie gelangt waren; denn die Kosaken, sobald sie uns gewahrten, waren gebunden, uns selbst über den Graben hinweg ihre Kugeln nachzusenden. Ich hatte trotz der leidenschaftlichen Sorge für Minna dennoch zu meiner seltsamen Freude das intelligente Verhalten Robbers beobachtet, welcher, als ob er die Gefahr gewahrte, sich lautlos an uns geschmiegt hielt und meine Sorge, er werde uns bei dem gefahrvollen Übergange Not machen, gänzlich zerstreute. Endlich begegnete uns der vertraute Gehilfe wieder; er war so ergriffen, daß er uns heftig in seine Arme schloß und nun von neuem mit seinem[169] Fuhrwerk uns in den Gasthof des preußischen Grenzortes geleitete, wo Freund Möller, vor Angst erkrankt, uns schluchzend und jubelnd aus dem Bett entgegensprang. Nun war es denn auch für mich Zeit, mich zu besinnen, in welche Gefahr ich nicht nur mich, sondern die arme Minna an meiner Seite gebracht hatte und zu welchem Frevel ich durch die Unkunde, in welcher Möller mich in so leichtsinniger Weise über die ungeheuerlichen Umstände des von ihm angeratenen heimlichen Grenzüberganges gelassen, verleitet worden war. Ich fand keinen Ausdruck, um meine Reue hierüber meiner zum Tod erschöpften Frau zu erkennen zu geben.
Und doch war, was wir soeben überstanden, nur das Vorspiel zu den neuen Widerwärtigkeiten, welche diese für mein Leben so entscheidungsvolle abenteuerliche Reise begleiteten. Während wir des andern Tages durch die reiche Tilsiter Niederung mit bereits wieder gehobenem Mute auf Arnau bei Königsberg zufuhren, wurde der fernere Reiseplan dahin festgesetzt, daß wir von dem preußischen Hafen Pillau aus auf einem Segelschiff zunächst nach London weitergehen sollten. Der Grund hiervon war hauptsächlich die Rücksicht auf die Begleitung unsres Hundes, welcher so am leichtesten mitzuführen war; während an seine Unterbringung bei einer Reise im Postwagen von Königsberg bis Paris, da man von Eisenbahnen damals noch nichts wußte, natürlich nicht zu denken war. Außerdem aber bestimmte uns auch die Rücksicht auf unsre Kasse; aller Gewinn saurer Mühen bestand für mich in nicht ganz 100 Dukaten, welche nicht nur zur Reise, sondern auch für den Pariser Aufenthalt bis dahin, wo ich dort etwas verdient haben würde, zu berechnen waren. So fuhren wir denn, nach einigen Tagen der Erholung in dem Arnauer Gasthofe, abermals von Möller geleitet, auf einem dort landesüblichen Fuhrwerke, welches einem Leiterwagen nicht sehr unähnlich war, über kleinere Orte und auf schlechten Straßen, um Königsberg nicht zu berühren, nach dem Hafenstädtchen Pillau. Auch diese kürzere Reise sollte nicht ohne Unglücksfall vonstatten gehen. Der ungeschickte Wagen fiel in einem Bauernhofe um, und Minna ward bei dem Falle durch eine innere Erschütterung so stark beschädigt, daß wir in einem Bauernhaus, wohin ich die gänzlich Gelähmte mit größter Mühe zu schleppen hatte, bei mürrischen und schmutzigen Leuten eine für die Verletzte höchst schmerzliche Nacht zu verbringen hatten. Die um mehrere Tage sich verspätende Abfahrt des Pillauer Schiffes mußte uns unter diesen Umständen, wegen der hierdurch gewährten Frist für Minnas Erholung, sehr willkommen sein. Da der Kapitän uns ohne Paß aufzunehmen hatte, war endlich auch die Besteigung seines Schiffes für uns wiederum von besondrer Schwierigkeit. Wir mußten noch vor dem Tagesgrauen uns auf einem Boote heimlich durch die Hafenwache an Bord unsres Schiffes zu schleichen suchen; dort angelangt und nachdem wir Robber ebenfalls mit großer Mühe, ohne Aufsehen zu erregen, die steile Schiffswand hinaufgezogen hatten, mußten wir uns sofort in einem unteren Raum verbergen,[170] um von den vor der Abfahrt das Schiff noch besuchenden Visitatoren nicht bemerkt zu werden. Endlich war der Anker gelichtet, und während wir allmählich das Land aus dem Auge verloren, glaubten wir nun aufatmen und uns beruhigt fühlen zu dürfen.
Wir waren an Bord eines Kaufmannsschiffes von kleinster Gattung; es hieß Thetis, hatte das Brustbild der Nymphe an der Puppe aufgesteckt und war, den Kapitän eingerechnet, von sieben Männern bedient. Man war der Meinung, bei gutem Wetter, wie es im Sommer zu erwarten stand, die Fahrt nach London in acht Tagen zu bestehen. Schon auf der Ostsee waren wir durch anhaltende Windstille jedoch lange zurückgehalten; ich benutzte die Muße, um meine Kenntnis des Französischen durch das Studium eines Romans von G. Sand »La dernière Aldini« näher zu begründen. Außerdem gewährte uns der Umgang mit den Schiffsleuten manche Unterhaltung. Ein sonderlich schweigsamer älterer Matrose mit Namen Koske ward von uns viel beobachtet, namentlich der unversöhnlichen Abneigung wegen, welche der sonst so gutmütige Robber gegen ihn gefaßt hatte und welche uns in der Stunde der Gefahr noch eine lächerliche Not machen sollte. – Nach siebentägiger Fahrt gelangten wir erst vor Kopenhagen an, wo wir, ohne das Schiff zu verlassen, die Gelegenheit wahrnahmen, unsre sehr spärliche Schiffskost durch Einnahme verschiedener Nahrungsmittel und Getränke erträglicher zu machen. Guten Mutes fuhren wir so an dem schönen Schlosse von Helsingör vorbei, dessen Anblick mich in unmittelbare Berührung mit meinen Jugendeindrücken von Hamlet setzte, und segelten nun hoffnungsvoll durch das Kattegatt dem Skagerrak zu, als der anfänglich nur ungünstige Wind, welcher uns zu mühseligem Lavieren genötigt hatte, am zweiten Tag dieser neuen Fahrt in einen heftigen Sturm umschlug. Volle 24 Stunden hatten wir unter für uns ganz neuen Leiden gegen ihn zu kämpfen. In die jämmerlich enge Kajüte des Kapitäns eingepfercht, ohne eigentliches Lager für eines von uns beiden, waren wir der Seekrankheit und allen Ängsten preisgegeben. Zum Unglück war das Branntweinfaß, aus welchem die Mannschaft sich während der harten Arbeit zu stärken hatte, in einer Vertiefung unter der Bank, auf welche ich mich ausgestreckt hielt, angebracht; hier war es nun Koske, welcher sich am häufigsten zu der mich so belästigenden Stärkung einfand, trotzdem er jedesmal einen Kampf auf Leben und Tod mit Robber zu bestehen hatte, welcher ihn einzig mit stets erneueter Wut anfiel, sobald er die enge Treppe herabgeklettert kam, was mir, dem von der Seekrankheit gänzlich Erschöpften, jedesmal eine mein Übelbefinden zu den bedenklichsten Katastrophen steigernde Anstrengung abnötigte. Endlich, am 29. Juli, sah der Kapitän bei heftig stürmendem Westwind sich gezwungen, einen Hafen der norwegischen Küste aufzusuchen. Mit tröstlichem Gefühle gewahrte ich das weithin sich dehnende felsige Ufer, dem wir mit großer Schnelligkeit zugetrieben wurden, und nachdem nun ein norwegischer Lotse, der auf seinem kleinen Boot uns[171] entgegengekommen war, mit kundiger Hand das Steuer der Thetis übernommen hatte, erlebte ich bald einen der wunderbarsten und schönsten Eindrücke meines Lebens. Was ich für eine zusammenhängende Uferfelsenkette gehalten hatte, zeigte sich bei unsrer Annäherung zunächst als eine Reihe einzelner, aus der See hervorragender Felsenkegel; an ihnen vorbeigesegelt, erkannten wir, daß wir nicht nur vor uns, wie zur Seite, sondern auch im Rücken von diesen Riffen umgeben waren, welche sich hinter uns wieder so dicht zusammendrängten, daß sie eine einzige Felsenkette zu bilden schienen. Zugleich brach an diesen rückwärts gelegenen Felsen der Sturmwind sich derart, daß, je weiter wir mit der Fahrt durch dieses stets wechselnde Labyrinth von Felsenkegeln vordrangen, die See immer ruhiger und endlich, bei der Einfahrt in einer jener langen Wasserstraßen durch ein riesiges Felstal, als welches sich ein norwegischer Fjord mir darstellte, völlig glatt und friedlich das Schiff dahintrug.
Ein unsägliches Wohlgefühl erfaßte mich, als das Echo der ungeheuren Granitwände den Schiffsruf der Mannschaft zurückgab, unter welchem diese den Anker warf und die Segel aufhißte. Der kurze Rhythmus dieses Rufes haftete in mir wie eine kräftig tröstende Vorbedeutung und gestaltete sich bald zu dem Thema des Matrosen-Liedes in meinem »Fliegenden Holländer«, dessen Idee ich damals schon mit mir herumtrug und die nun unter den soeben gewonnenen Eindrücken eine bestimmte poetisch-musikalische Farbe gewann. Hier gingen wir denn auch ans Land. Ich erfuhr, daß der kleine Fischerort, der uns auf nahm, Sandwike hieß und einige Meilen von dem größeren Orte Arendal abgelegen sei. Das Haus eines verreisten Schiffskapitäns nahm uns zu unsrer Erholung auf, und der in offener See noch fortwährende stürmische Wind hielt uns hier zwei Tage lang zurück, deren wir zu unsrer Erholung sehr wohl bedurften. Am 31. Juli bestand der Kapitän, trotzdem der Lotse davon abriet, auf der Wiederausfahrt. Wiederum an Bord der Thetis, verzehrten wir soeben zum ersten Male in unsrem Leben einen Hummer, als sich wenige Stunden nach der Abfahrt ein heftiges Fluchen des Kapitäns und der Mannschaft gegen den Lotsen erhob, welchen ich mit starrer Angst am Steuer sich bemühen sah, einem nur schwach aus der See hervorstehenden Felsenriff auszuweichen, auf das das Schiff zutrieb. Unser Schreck war groß, als wir den leidenschaftlichen Tumult gewahrten und nicht anders glauben konnten, als daß wir in äußerster Gefahr seien. Wirklich erhielt das Schiff einen starken Stoß, welcher in meiner Einbildung blitzesschnell als ein gänzliches Bersten des Schiffes erschien; glücklicherweise fand sich aber, daß unser Schiff das Riff nur von der Seite gestreift hatte und eine augenblickliche Gefahr keineswegs vorhanden war. Dennoch sah sich der Kapitän veranlaßt, nach einem Hafen zurückzusteuern, um das Schiff der nötigen Untersuchung zu unterwerfen. An einen andern Küstenpunkt zurückgekehrt, ward abermals Anker geworfen, und der Kapitän lud uns ein, in einem kleinen Boot mit ihm und zwei Matrosen nach dem einige[172] Stunden entfernten größeren Ort Tromsond zu fahren, wo er die Hafenbehörden zur Untersuchung seines Schiffes zu requirieren hatte. Diese Spazierfahrt war wiederum im höchsten Grad anziehend und eindrucksvoll; namentlich der Einblick in einen weit in das Land sich hineinziehenden Fjord erfüllte meine Phantasie mit dem Eindruck einer noch ungekannten grauenvoll erhabenen Öde. Ein größerer Spaziergang von Tromsond auf die Hochebene vervollständigte diesen Eindruck durch die furchtbare Melancholie dieser schwarzen Moorheiden, welche ohne Baum, ja ohne Strauch, höchstens von dürftigem Moos bedeckt sich am Horizont in dem düstren Himmel mit ununterscheidbarer Färbung verloren. Von diesem Ausflug zur größten Beängstigung meiner Frau in später Nacht auf dem kleinen Boote zurückgekehrt, konnten wir endlich, am andern Morgen über die Ungefährlichkeit der Beschädigung des Schiffes beruhigt, am 1. August bei gutem Winde unbehindert von neuem in See gehen.
Nach vier Tagen ruhiger Fahrt stellte sich ein stürmischer Nordwind ein, welcher uns in günstiger Richtung mit ungemeiner Schnelle vorwärtstrieb. Schon glaubten wir die Reise bald überstanden zu haben, als am 6. August abends die günstige Windrichtung um schlug und zugleich der Sturm mit unerhörter Heftigkeit zunahm. Es war eines Mittwochs am 7., mittags halb 3 Uhr, wo wir jeden Augenblick unsren Tod voraussehen zu müssen glaubten. Nicht die furchtbare Gewalt, mit welcher das Schiff auf und ab geschleudert wurde und gänzlich richtungslos dem bald als tiefsten Abgrund, bald als steile Berghöhe sich darstellenden Meerungetüm preisgegeben war, erweckte in mir das Todesgrauen, sondern was mich mit dem Gefühl der verhängnisvollen Entscheidung erfüllte, war die Mutlosigkeit der Mannschaft, unter welcher ich verzweiflungsvoll boshafte Blicke wahrnahm, mit denen wir von ihnen in abergläubischer Weise als die Ursache des drohenden Seeunglücks bezeichnet zu werden schienen. Nicht unterrichtet von der so geringfügigen Veranlassung zur Verheimlichung unsrer Reise, mochte den Leuten der Gedanke beikommen, daß es mit unsrer Nötigung zur Flucht eine bedenkliche, gar wohl verbrecherische Bewandtnis haben möge. Selbst der Kapitän schien es in der äußersten Drangsal bereuen zu wollen, uns an Bord genommen zu haben, da wir ihm, der so oft diese Fahrt – namentlich im Sommer – in kurzer Zeit und ohne alle Beschwerde zurückgelegt hatte, für diesmal offenbar Unglück gebracht hätten. Da auch eben um die genannte Tageszeit zugleich mit dem Sturm ein heftiges Gewitter am Himmel tobte, sprach Minna den eifrigen Wunsch aus, lieber vom Blitz zerschmettert mit mir umzukommen, als in die fürchterliche Wasserflut lebend zu versinken. Auch bat sie mich, sie mit einigen Tüchern an mich anzubinden, damit wir beim Versinken nicht getrennt werden möchten. Noch eine ganze Nacht verbrachten wir unter diesen andauernden, nur durch die schrecklichste Ermüdung sich abschwächenden Ängsten. Andern Tages hatte sich nun der Sturm gelegt, der Wind blieb ungünstig, war aber schwach; der[173] Kapitän bemühte sich, mit seinen astronomischen Instrumenten sich darüber genau zu orientieren, wo wir uns befänden; er klagte über den nun bereits so viele Tage und Nächte stets bedeckten Himmel, beteuerte, um einen einzigen Sonnen- oder auch nur Sternenblick viel geben zu mögen, und verbarg seine Unruhe nicht, die er darüber empfand, daß er die Meeresstelle, wo wir uns befanden, nicht mit Sicherheit angeben könne. Doch folgte er zu seinem Troste einem in der Entfernung einiger Seemeilen in gleicher Richtung vor uns segelnden Schiff, dessen Bewegungen er anhaltend mit großer Aufmerksamkeit durch das Fernrohr beobachtete. Plötzlich sprang er im heftigen Schrecken auf und kommandierte mit leidenschaftlichem Eifer eine Veränderung der Schiffsrichtung. Er hatte wahrgenommen, daß das vor uns segelnde Schiff auf eine Sandbank getrieben war, von welcher, wie er behauptete, es nicht wieder loszukommen vermögen würde, da er nun genau innegeworden, daß wir uns in der Nähe des gefahrvollsten Teiles der die holländische Küste weithin einfassenden Sandbänke befanden. Mit geschicktester Benutzung der Segel gelang es nun andauernd die entgegengesetzte Richtung auf die englische Küste einzuhalten, welche wir wirklich am 9. August abends in der Nähe von Southwould zu Gesicht bekamen. Als wir von dorther schon in weiter Ferne die Jagd der Lotsen auf unser Schiff bemerkten, welche an der englischen Küste freie Konkurrenz unter sich halten und deshalb selbst unter den größten Wagnissen so weit wie möglich den nahenden Schiffen entgegensegeln, erfüllte sich mein Blut mit angenehmer neuer Lebenswärme. Es gelang einem grauköpfigen kräftigen Manne, jedoch erst nach wiederholten vergeblichen Anstrengungen gegen die tobenden Wellen, welche sein leichtes Boot immer wieder von unsrem Schiffe zurückwarfen, endlich mit bluttriefenden Händen, wie sie ihm das herabgeworfene Tau, welches wiederholt seiner Faust entglitt, zerfetzt hatte, an Bord der »Thetis« zu gelangen. So hieß nämlich immer noch unser armseliges, vielgeprüftes Schiff, trotzdem bereits der erste Sturm im Kattegatt das tröstliche Holz-Brustbild der schützenden Nymphe in die Wellen geschleudert hatte, was damals bereits von der Mannschaft als ein übles Vorzeichen gedeutet worden war. Das Steuerruder jetzt in der sichern Hand des ruhigen, durch seine ganze Persönlichkeit höchst wohltätig auf uns wirkenden englischen Seemannes zu wissen und in ihm die unfehlbare Bürgschaft baldiger Erlösung aus den schrecklichen Drangsalen zu erkennen, erfüllte uns mit religiösem Wohlgefühl. Noch waren wir aber keineswegs soweit; denn nun begann erst die von zahllosen Gefahren begleitete Fahrt durch die Sandbänke der englischen Küste entlang, auf welchen jährlich, wie man mir versicherte, durchschnittlich gegen 400 Schiffe zugrunde gehen. Wir hatten volle 24 Stunden, vom Abend des 10. bis zum Abend des 11. August, innerhalb dieser Sandbänke einen heftigen Weststurm zu bestehen, welcher uns so sehr am Vorwärtskommen hinderte, daß wir erst in der Nacht zum 12. August in die Mündung der Themse einliefen. Bis dahin[174] hatten die unzähligen verschiedenartigen Warnungszeichen, meistens aus kleinen hellrot gefärbten und mit fast ununterbrochen, des Nebels wegen, läutenden Glocken versehenen Wachtschiffen bestehend, namentlich auf die geängstete Einbildungskraft meiner Frau so aufregend gewirkt, daß sie bei Tag und Nacht, nach ihnen ausspähend und die Mannschaft darauf hindeutend, nicht ein Auge schloß, während auf mich im Gegenteil diese Zeichen der rettenden menschlichen Nähe so beruhigend wirkten, daß ich trotz der lebhaften Vorwürfe Minnas hierüber mich einem langen erquicken den Schlafe hingab. Als wir nun, an der Themse-Mündung geankert, ruhig den Anbruch des Tages erwarteten, gab ich, während Minna mit der ganzen ermüdeten Mannschaft zugleich im tiefen Schlafe sich ausruhte, mich einem übermütigen Behagen hin, besorgte meine Kleidung, versah mich mit frischer Wäsche und rasierte mich auf offenem Deck am Schiffsmast, mit wachsender Spannung der zunehmenden Regsamkeit auf der berühmten Flußstraße zusehend. Die Sehnsucht nach völliger Erlösung aus dem so widerwärtig gewordenen Schiffsgefängnisse veranlaßte uns, nachdem die Fahrt stromaufwärts langsam wieder begonnen, von einem vorbeifahrenden Dampfschiff bei Gravesend, zur Beschleunigung der Ankunft in London, uns aufnehmen zu lassen. Die Annäherung an London auf dem immer dichter mit Schiffen aller Art bedeckten Strome, durch die von Häusern und Straßen, den berühmten Docks und andren maritimen Konstruktionen immer reicher besetzten Ufer, brachte uns in zunehmendes Erstaunen, und als wir endlich an der Londoner Brücke, mitten in dem unabsehbar angehäuften Leben dieses unvergleichlichen Weltplatzes angekommen, hier nach mehr als dreiwöchiger schrecklicher Seefahrt zum ersten Male wieder den Fuß auf das feste Land setzten, erfaßte uns, wie an und für sich der an die schwankende Schiffsbewegung gewöhnte Schritt uns wie im Taumel dahinführte, in dem unerhörten Tumult der lärmendsten Umgebung ein freudig behaglicher Schwindel, von dem namentlich auch Robber ergriffen schien, welcher wie besessen an den Straßenecken dahinsprang und uns jeden Augenblick verlorenzugehen schien. Doch retteten wir uns alle drei in einen Fiaker, welcher uns der Weisung unsres Kapitäns gemäß fürs erste nach einer Schiffskneipe in der Nähe des Towers, die »Horseshoe-Tavern« geleitete, von wo aus wir nun den Plan zur Überwältigung des Ungeheuers von Stadt zu überlegen hatten.
Die Umgebung, in welche wir hier gerieten, war derart, daß wir schleunigste Entfernung beschlossen. Von einem kleinen buckeligen Hamburger Juden, welcher sich wohlwollend unsrer annahm, erhielten wir den Nachweis eines besseren Unterkommens im Westend. Die eine volle Stunde dauernde Fahrt dahin ist mir sehr anregend in der Erinnerung geblieben; sie ward in einem der damals noch gebräuchlichen, nur für zwei sich gegenübersitzende Personen berechneten winzig schmalen Cabs, in welchem wir den großen Hund querüber durch die Wagenfenster legen mußten, zurückgelegt.[175] Was wir von diesem wunderlichen Versteck aus in dieser Stunde zu beobachten hatten, ging über alle unsre bisherigen Vorstellungen von der Lebendigkeit und Ungeheuerlichkeit einer großen Stadt. In sehr belebter Laune kamen wir vor dem uns bezeichneten boarding-house in Old Comptonstreet an. Hatte ich als zwölfjähriger Knabe es im Englischen in kurzer Zeit bis zu einer, mir so dünkenden, Übersetzung eines Monologs aus Shakespeares »Romeo und Julie« gebracht, so wollte die Erinnerung an diese Studie jetzt mir durchaus nichts helfen, als ich darauf bedacht war, mit der Wirtin des Hauses, welches sich »Kingsarms« nannte, mich zu verständigen. Doch glaubte die Dame, als Witwe eines Schiffskapitäns, es auf französisch mit mir zu etwas bringen zu können, durch welche Versuche sie mich in Nachdenken darüber versetzte, welches von uns beiden nichts von dieser Sprache wüßte. Das aufregendste Ereignis trat jedoch sogleich ein, als wir bemerkten, daß Robber uns gar nicht in das Haus gefolgt, sondern sofort bei der Tür uns entwichen war. Die Sorge und Klage um den trefflichen Hund, den wir nun mit so großer Mühe bis hieher mitgeschleppt hatten, um sofort ihn uns verlorengehen zu sehen, nahmen uns die zwei ersten Stunden des gastlichen Unterkommens in einem wirklich feststehenden Hause ganz ausschließlich ein, bis wir, stets am Fenster spähend, zu unsrer ausgelassenen Freude Robber plötzlich um die Ecke einer Seitenstraße unbefangen auf unser Haus zukommen sahen. Wir erfuhren später, daß unser Hund sich bis nach der Oxford-Street auf Neuigkeiten herumgetrieben hatte, und es blieb mir seine unbegreifliche Rückkehr nach dem Hause, welches er zuvor noch nie mit uns betreten hatte, als ein kräftiges Zeugnis für die erstaunliche Sicherheit des tierischen Instinktes in der Erinnerung. – Nun hatten wir erst Zeit, uns dem Innewerden der großen Belästigung hinzugeben, welche uns die Nachwirkungen der Seefahrt bereiteten. Daß uns der feste Boden fortgesetzt schwankte und wir bei jedem Schritt in die lächerlichste Verlegenheit, uns zu stützen, gerieten, erschien uns fast ergötzlich; als aber das ungeheure zweischläfige englische Bett, als wir uns zur schwer erkauften Ruhe darin niederließen, unaufhörlich auf und nieder getragen wurde und, sobald wir nur das Auge zum Schlafe schlossen, in eine schreckliche Tiefe hinab versank, so daß wir jedesmal hilferufend daraus emporschnellten, wurde es endlich doch unerträglich, denn uns dünkte, daß die entsetzliche Seefahrt nun unser ganzes Leben lang fortdauern würde. Zu diesen Leiden kam das quälendste Übelbefinden, welches uns die nach der greulichen Schiffskost von uns nun begierig aufgesuchte pikante Nahrung zuzog.
Sehr geschwächt von allen diesen Nöten, vergaßen wir dennoch über die Hauptnot, nämlich, was wir denn eigentlich für teures Geld uns zu erwarten hätten, nachzusinnen, sondern, ganz erfüllt von den Wundern der Weltstadt, machten wir uns folgenden Tages, als ob wir eben nur auf einer Vergnügensreise wären, sofort auf eine mannigfaltige Entdeckungsreise[176] in einem Fiaker nach Anleitung eines auf der Karte von London von mir verzeichneten Planes auf. Das Staunen und die Freude über alles Wahrgenommene machte uns alles Überstandene gänzlich vergessen. Den für unsere Kasse so schädlichen achttägigen Aufenthalt in London rechtfertigte ich einerseits aus der Nötigung zur Erholung für Minna, andrerseits aus der von mir wahrzunehmenden Veranlassung zur Anknüpfung künstlerischer Beziehungen. Meine bereits in Königsberg komponierte Ouvertüre »Rule Britannia« hatte ich schon während meines letzten Dresdener Aufenthaltes an Sir John Smart, Vorsteher der dortigen Philharmonischen Gesellschaft, nach London geschickt; allerdings hatte mir dieser auf meine Sendung nie geantwortet; für desto gebotener hielt ich es nun, ihn dafür zur Rede zu setzen. Während ich mir überlegte, durch welche Verwendung meiner Sprachkenntnisse ich mich mit ihm zu verständigen haben würde, verbrachte ich einige Tage mit Erkundigungen nach seiner Wohnung, deren schließlicher Erfolg die Erfahrung war, daß Smart gar nicht in London sei. Nun bildete ich mir wiederum einige Tage über ein, es wäre gut, wenn ich Bulwer aufsuchte, um mit ihm mich über die musikalische Ausführung seines von mir dramatisierten Romanes »Rienzi« zu verständigen. Da ich seinerzeit auf dem Kontinent erfahren hatte, daß Bulwer Parlaments-Mitglied sei, erkundigte ich mich nach ihm unmittelbar im Parlamentshause. Hier verhalf mir meine gänzliche Unkenntnis der englischen Sprache zu einer unerwartet rücksichtsvollen Aufnahme. Da in dem ungeheuren Gebäude keiner der zunächst von mir angetroffenen niederen Beamten verstand, was ich wollte und suchte, ward ich von diesen in aufsteigender Leiter zu immer höheren Würdenträgern gewiesen. Einem vornehm aussehenden Herrn, der soeben aus einem großen Saale heraustrat, ward ich, während Minna immer zu meiner Seite war und nur Robber in »Kingsarms« zurückgeblieben, wie es schien, als völlig unverständlicher Mensch vorgestellt. Auf französisch freundlich von ihm befragt, was ich wünsche, schien meine Erkundigung nach dem berühmter Bulwer keinen ungünstigen Eindruck zu machen. Es mußte mir zwar gemeldet werden, daß der Gesuchte nicht in London sei; da ich aber weiter frug, ob es nicht möglich sei, daß ich einer Parlamentssitzung beiwohnen könne, bedeutete mir der Herr, daß in dem höchst beschränkten, infolge des kürzlichen Brandes der alten Parlamentshäuser provisorisch zu den Sitzungen verwendeten Lokale nur wenigen Begünstigten gegen Eintrittskarten der Besuch gestattet sei; auf mein besonders zutrauliches Andringen entschloß sich jedoch mein Gönner, den ich, da wir uns vor dem Oberhause befanden, wohl nicht mit Unrecht für einen Lord in eigner Person zu halten hatte, in Kürze uns eine Tür zu öffnen und uns so unmittelbar in den engen reservierten Zuhörerraum des Sitzungssaals der Peers von England einzuführen. Dies war mir denn über alle Maßen interessant. Ich hörte und sah den damaligen Premier, Lord Melbourne, Brougham (welcher mir eine außerordentlich[177] bewegliche Rolle zu spielen schien und, wie es mich dünkte, Melbourne mehrere Male einhalf); außerdem den Herzog von Wellington, welcher mit seinem grauen Kastor-Hute auf dem Kopfe, die beiden Hände in den Hosentaschen, namentlich durch das Schütteln seines Körpers bei gewissen stärkern Akzenten seiner ganz konversationell klingenden Rede auf mich einen alle übertriebene Ehrfurcht zerstreuenden behaglichen Eindruck machte. Außerdem interessierte mich Lord Lindhurst, der spezielle Antagonist Broughams, zu welchem, während er sprach, mehrere Male dieser sein Gegner, zu meinem höchsten Erstaunen, ganz gemütlich sich an die Seite setzte, um auch ihm, wie es mir schien, einzuhelfen. Es handelte sich, wie ich späterhin aus der Zeitung ersah, um Maßregeln gegen die Portugiesische Regierung zur kräftigen Durchführung der Bill gegen Sklavenhandel. Der Bischof von London, den ich hierbei auch zu hören Gelegenheit hatte, war unter den Herren der einzige, welcher durch Ton und Haltung auf mich einen ungemütlichen Eindruck machte, woran vielleicht mein Vorurteil gegen den geistlichen Stand überhaupt schuld war.
Nach diesem glücklichen Abenteuer schien mir London für diesmal erschöpft zu sein, denn obgleich ich keiner Sitzung des Unterhauses beiwohnen konnte, führte mich doch mein unermüdlich freundlicher Gönner, auf welchen ich wiederum beim Hinausgehen zufällig stieß, noch in das Sitzungslokal der Gemeinen, erklärte mir dort alles Nötige, ließ mich auch den Wollsack des Sprechers sowie die unter dem davorstehenden Tisch verborgene Keule dieses Würdenträgers in Augenschein nehmen und belehrte mich über verschiedenes so genau, daß ich jetzt alles Wissenswerte der Hauptstadt des britischen Reiches vollkommen innezuhaben glaubte. An das Aufsuchen der italienischen Oper dachte ich nicht im mindesten, vielleicht schon weil ich mir die verderblichsten Vorstellungen über die enormen Eintrittspreise daselbst machen zu müssen glaubte. Nachdem wir im übrigen noch fleißig die Hauptstraße der Stadt, oft bis zur größten Ermüdung, durchwandert, auch den gespensterartigen Eindruck eines Londoner Sonntags mit völligem Grausen in uns aufgenommen und schließlich mit dem Kapitän der »Thetis« zum ersten Male in unsrem Leben eine Dampfwagenfahrt, und zwar nach dem Park von Gravesend, ausgeführt hatten, reisten wir nun am 20. August mit dem Dampfschiff nach Frankreich ab, wo wir des Abends in Boulogne sur mer, mit brünstigen Wünschen es nie wieder befahren zu müssen, vom Meere Abschied nahmen. – –
Eine gewisse Bangigkeit vor der mit unsrer Einkehr in Paris ahnungsvoll vorausgefühlten Enttäuschung, die wir uns jedoch gegenseitig verbargen, wirkte nebst andren Gründen mit dazu, daß wir zuvörderst uns einige Wochen in oder bei Boulogne zu verweilen bestimmten. Jedenfalls befanden wir uns noch in zu früher Jahreszeit, um die verschiedenen wichtigen Personen, die ich für mein Vorhaben in Paris aufzusuchen hatte, jetzt schon dort anzutreffen; dagegen es mir überaus glücklich erschien, von Meyerbeers[178] Aufenthalt eben in Boulogne selbst zu erfahren. Außerdem hatte ich noch einen Teil des 2, Aktes des »Rienzi« zu instrumentieren; es lag mir daran, bei meinem Eintritt in dem kostspieligen Paris sofort wenigstens die vollendete Hälfte meines Werkes vorlegen zu können, und in der Nähe von Boulogne schien uns für diese Zeit ein wohlfeilerer Aufenthalt aufzufinden zu sein. Einen solchen aufzusuchen, durchstreiften wir zuallernächst die Umgegend und fanden auf der großen Straße nach Paris, in halbstündiger Entfernung von Boulogne, im freigelegenen Haus eines ländlichen Marchand de vin zwei fast unmöblierte Kammern, die wir auf kurze Zeit mieteten und zu unsrem Zweck mit vieler Erfindung, worin namentlich Minna, sich auszeichnete, dürftig aber genügend einrichteten. Außer einem Bett und zwei Stühlen ward ein Tisch aufgetrieben, auf welchem wir, sobald ich meine Arbeit am »Rienzi« hinweggeräumt hatte, unsre in einem Kamine selbst zubereiteten Mahlzeiten zu uns nahmen.
Von hier aus machte ich mich denn zu einem ersten Besuch bei Meyerbeer auf. In Journalen hatte ich öfter von dessen sprichwörtlich gewordener Liebenswürdigkeit und Gefälligkeit gelesen; daß er mir auf meinen früheren Brief nicht geantwortet, verzieh ich ihm gern und fand mich in meiner besten Meinung nun wirklich auch nicht enttäuscht, als ich bald von ihm vorgelassen und freundlich empfangen wurde. Er machte in jeder Hinsicht auf mich einen vorteilhaften Eindruck, wozu sein damals vom Alter noch nicht in der bedenklichen Weise, wie es bei jüdischen Physiognomien gewöhnlich eintritt, erschlaffter, namentlich durch eine schön geformte Umgebung der Augen sehr hoffnungweckender Gesichtsausdruck entscheidend beitrug. Mein Vorhaben, in Paris als dramatischer Komponist mein Aufkommen zu suchen, wollte er nicht für verzweiflungsvoll ansehen. Er gestattete mir, ihm den Text meines »Rienzi« vorzulesen, und hörte auch wirklich bis zum Schluß des dritten Aktes zu, nahm die fertigen zwei Akte der Komposition zur Durchsicht an und bezeugte mir bei einem späteren Besuche seine rückhaltlose Teilnahme für meine Arbeit, wobei es mich jedoch einigermaßen störte, daß er wiederholt auf das bewundernde Lob meiner zierlichen Handschrift zurückkam, an welcher er den »Sachsen« vorteilhaft wiederzuerkennen glaubte. Er versprach mir empfehlende Briefe an den Direktor der Großen Oper Duponchel und an den Chef d'orchestre derselben, Habeneck. Ich glaubte somit vollen Grund zu haben, mein Geschick zu preisen, welches mich durch die abenteuerlichsten Drangsale gerade an diese Stelle Frankreichs hingetrieben hatte. Welcher glücklichere Erfolg wäre in so kurzer Zeit zu gewinnen gewesen, als er mir jetzt durch die schnell erworbene Teilnahme des berühmtesten Komponisten der französischen Oper geworden war? Meyerbeer führte mich auch bei dem zum Besuch gleichfalls in Boulogne weilenden Moscheles, auch bei Frl. Blahedka, der mir schon früh als Berühmtheit bekannten Virtuosin ein. Bei beiden wohnte ich vertraulichen musikalischen Soireen bei und fand mich somit[179] zum ersten Male in einem Elemente des Umgangs mit musikalischen Berühmtheiten, welches mir bisher noch gänzlich fremd geblieben war.
Nachdem ich meinem zukünftigen Schwager Avenarius um Besorgung eines geeigneten Unterkommens für uns nach Paris geschrieben hatte, machten wir uns nun am 16. September in der Diligence zur Reise dahin auf, wobei Robber, welchen ich auf der hohen Impériale unterzubringen hatte, mir wiederum die altgewohnte Not bereitete. – Mit der höchsten Spannung meiner Ankunft in dem ersehnten Paris zugewandt, bedauerte ich zunächst, von dieser Stadt nicht den großartigen Eindruck wiederzugewinnen, den mir zuvor London verschafft hatte. Alles schien mir enger, eingedrückter, und namentlich von den berühmten Boulevards hatte ich mir kolossalere Vorstellungen gemacht. Unerhört war mein Ärger, in einer gräßlich engen Gasse, der rue de la Jussienne, von unsrer riesigen Diligence herab zum ersten Male den Pariser Boden betreten zu müssen. Auch die rue Richelieu, in welcher ich die Buchhandlung meines Schwagers aufzusuchen hatte, imponierte mir im Vergleich zu den Straßen des Londoner Westends gar nicht. Als ich nun von hier aus, zum Einzug in die für mich gemietete Chambre garnie, in eine der engen Seitengassen, welche die rue St. Honoré mit dem marché des Innocents verbindet, der rue de la Tonnellerie, gewiesen wurde, kam ich mir wirklich wie degradiert vor. Es bedurfte der tröstlichen Inschrift des Hauses meines Hotel garnis, welche unter einer Büste Molières die Worte enthielt: Maison où naquit Molière, um mich durch gute Vorbedeutung für die empfangenen geringen Eindrücke einigermaßen zu trösten. Klein aber freundlich und wohlanständig aus gestattet, empfing uns das um billigen Preis für uns bereitgehaltene Zimmer des vierten Stockes, aus dessen Fenstern wir bald mit wachsender Bangigkeit auf das ungeheure Marktgewühle in den Straßen herabblickten, von dem ich nicht zu begreifen vermochte, was ich in seiner Nähe zu suchen haben könnte.
Avenarius, welcher bald nach Leipzig zu verreisen hatte, um dort seine Braut, meine jüngste Schwester Cäcilie, zu heiraten und nach Paris zu führen, wies mir die einzige ihm zugängliche musikalische Bekanntschaft mit einem an der Bihliothèque royale für die Abteilung der Musik angestellten Deutschen, E.G. Anders, zu. Dieser suchte uns bald in Molières Geburtshaus auf, und in ihm lernte ich schnell einen jener seltenen Menschen kennen, dessen Andenken, so wenig er mir auch nützen konnte, zu ergreifender Erinnerung in meinem Leben geborgen blieb. Er war unverheiratet, stand in den fünfziger Jahren und vertraute mir bald, daß er üble Erfahrungen hinter sich habe, welche ihn aus früherer Wohlhabenheit und günstigen Lebensverhältnissen zu der traurigen Nötigung gebracht hätten, gänzlich hilflos in Paris ein Unterkommen zu suchen, wozu ihm, was er früher nur aus Liebhaberei betrieben, seine ungemeinen bibliographischen Kenntnisse, namentlich im musikalischen Fach, verhelfen mußten. Seinen[180] wirklichen Namen nannte er mir nie; diesen, wie seine Schicksale, wollte er mir nach seinem Tode erst zur Eröffnung bereithalten; für jetzt enthüllte er mir nicht mehr, als daß er eben »anders« hieß, aus adliger Familie früher am Rhein angesessen gewesen sei, durch schwärzesten Verrat an seiner Leichtgläubigkeit und Gutmütigkeit alles verloren und nur seine sehr ansehnliche Büchersammlung gerettet habe, von deren bedeutendem Umfange ich mich allerdings in seiner bescheidenen Wohnung, wo sie alle Wände füllte, überzeugen konnte. Auch hier in Paris, wo er, wie es scheint, mit einer bedeutenden Empfehlung ankam, glaubte er sich bald über grausame Feinde beklagen zu müssen; denn noch habe er es seit langer Anstellung in der Bibliothek trotz seiner großen Kenntnisse nicht über den niedrigsten Posten eines sogenannten Employé bringen können, wogegen er erleben müsse, daß wirkliche Ignoranten in die ihm verhießenen höheren Stellen emporrückten. Später erfuhr ich wohl, daß hieran die große Unbehilflichkeit und Weichlichkeit des durch seine früheren Verhältnisse verwöhnten Mannes die wahre Schuld trugen, da er energische Tätigkeit zu entwickeln nicht mehr im Stand war. So führte er mit dem kläglichen Gehalte von 1500 Franken ein mühseliges, stets von Schwierigkeiten bedrohtes Leben. Einsam alternd und, wie er nicht anders vermeinte, seinem Hinsterben in einem Spital entgegensehend, schien ihm unsre Bekanntschaft, die wir zwar selbst im höchsten Grade bedürftig, doch aber mit so wagendem Mute hoffnungsvoll in die Zukunft blickten, von neu belebendem Eindrucke zu sein. Meine Lebendigkeit und unerschütterliche Energie erfüllten ihn mit Hoffnung auf meine Erfolge, an deren Förderung er von nun an einen ungemein innigen und hingebenden Anteil nahm. Als Mitarbeiter an der von Moritz Schlesinger herausgegebenen »Gazette musicale« hatte er doch nie auch nur den mindesten Einfluß sich zu verschaffen gewußt, da ihm jede publizistische Gewandtheit abging und er von der Redaktion dieses Blattes fast nur zur Anfertigung bibliographischer Notizen verwendet wurde. Mit ihm, dem gänzlich Unbehilflichen und Weltunkundigen, hatte ich sonderbarerweise den Plan zur Eroberung des aus allen erdenklichen Nichtswürdigkeiten kombinierten musikalischen Terrains von Paris zu beraten, wobei es eigentlich immer nur darauf hinauskam, sich gegenseitig für die Hoffnung zu erhitzen, daß irgendein unvorhergesehener Glücksfall mir förderlich sein sollte.
Zur Mithilfe an diesen Beratungen zog er seinen Freund und Hausgenossen, den Philologen Lehrs herbei und verschaffte mir dadurch eine Bekanntschaft, welche bald zu einem der schönsten Freundschaftsverhältnisse meines Lebens führte. Lehrs, der jüngere Bruder eines namhaften Gelehrten in Königsberg, war vor einigen Jahren von dort her nach Paris gekommen, um zu versuchen, sich durch philologische Arbeiten daselbst eine unabhängige Stellung zu gewinnen, welche er, selbst wenn unter schwierigen Umständen, einer Anstellung als Lehrer, wie sie deren einzig in Deutschland[181] Gelehrten zum Unterkommen dienen, vorzog. Sehr bald hatte er Beschäftigung bei dem Buchhändler Didot als Mitarbeiter an einer großen Ausgabe der griechischen Klassiker erhalten, wobei der Verleger, welcher die bedürftige Lage des jungen Gelehrten sich zum Nutzen machte, mehr für das Gelingen seiner Unternehmung als das Gedeihen des armen Mitarbeiters besorgt war. So hatte Lehrs stets mit großer Not zu kämpfen, behielt dabei aber immer eine würdige Laune und bewährte sich in jeder Hinsicht als ein seltenes Beispiel von Uneigennützigkeit und Aufopferung für andre. Gänzlich ohne Kenntnis der Musik, auch ohne eigentliches Interesse dafür, sah er zunächst in mir nur den ratbedürftigen Menschen, bald auch den Leidensgenossen im Pariser Elend. Wir wurden bald so vertraut, daß ich ihn fast alle Abende regelmäßig mit Anders bei mir eintreten sah. Für diesen war die Begleitung des Freundes schon deshalb von großem Wert, weil er, etwas unsicher auf den Füßen, stets mit einem Stock und einem Parapluie zugleich bewaffnet, namentlich bei den Überschreitungen belebter Straßen des Abends sehr ängstlich war. Auch schickte er Lehrs gern zuerst über meine Schwelle, um Robber von sich abzuwenden, vor welchem er eine so auffällige Furcht bezeigte, daß das sonst so gutmütige Tier hierdurch wirklich zum Argwohn gegen Anders gereizt wurde und gegen ihn bald eine ähnliche aggressive Abneigung faßte als wie an Bord der Thetis gegen den Matrosen Koske. Beide lebten in einem Hotel garni der rue de Seine und klagten viel über ihre Wirtin, welche ihre Einkünfte dermaßen in Beschlag nahm, daß sie völlig unter ihrer Vormundschaft standen. Um sich von ihr zu emanzipieren, ging Anders bereits seit Jahren damit um, von ihr fortzuziehen, ohne je das Vorhaben ausführen zu können. Bald bestand im Betreff unsrer gegenseitigen Lage nicht das mindeste Geheimnis mehr zwischen uns, so daß wir mit den Freunden gemeinschaftlich eine, wenn auch auseinanderliegende, doch aber durch gleiche Leiden innig verschmolzene Wirtschaft führten.
Fürs erste bildeten nun den Gegenstand unsrer Besprechungen die verschiedenen Wege, welche ich zur Erreichung meines Zieles, mich in Paris bekannt zu machen, einschlagen sollte. Das Eintreffen der versprochenen Empfehlungsbriefe Meyerbeers belebte zunächst unsre Hoffnungen. Der Direktor der Oper, Herr Duponchel, empfing mich wirklich in seinem Büro; er las den Brief Meyerbeers durch ein Glas, welches er sich in das rechte Auge klemmte, und verriet bei dieser Lektüre nicht die mindeste Ergriffenheit. Jedenfalls hatte er dergleichen Empfehlungs-Schreiben Meyerbeers schon sehr häufig erbrochen. Nachdem er mich verabschiedet, erfuhr ich nie wieder das mindeste von ihm. Der alte Orchesterchef Habeneck nahm mich dagegen mit einiger nicht nur scheinbaren Teilnahme auf und erklärte auf meinen Wunsch sich bereit, bei vorkommender Muße in einer der Übungsproben des Orchesters der Conservatoire-Konzerte etwas von mir durchspielen zu lassen. Leider hatte ich von selbständigen Instrumentalkompositionen[182] nichts mir geeignet Dünkendes vorrätig als meine sonderbare Ouvertüre zu »Kolumbus«, welche ich, da sie dereinst unter der Mithilfe der tapferen preußischen Militärtrompeter im Magdeburger Theater mir so großen Applaus eingebracht hatte, immer noch für das bewährteste meiner Feder entflossene Effektstück hielt. Ich übergab die Partitur und Orchesterstimmen davon Habeneck und hatte somit unsrem abendlichen Komitee eine erste in Gang gebrachte Unternehmung zu berichten. – Von Versuchen, meine mit Scribe angeknüpften Beziehungen jetzt persönlich aufzunehmen, ward ich durch die Vorstellungen der Freunde abgehalten, da sie mir aus der Kenntnis der Dinge leicht nachweisen konnten, daß an ein ernstliches Befassen dieses so außerordentlich beschäftigten Autors mit einem gänzlich namenlosen jungen Musiker gar nicht zu denken sei. Dagegen brachte mich Anders mit einem Herrn Dumersan, mit dem er freundschaftlich bekannt war, zusammen. Dieser bereits stark ergraute Herr war Verfasser einiger 100 Piècen für die kleinen Vaudeville-Theater und hätte sehr gern vor seinem Ende noch erlebt, eines seiner Stücke auf einem größeren lyrischen Theater gespielt zu sehen. Gänzlich ohne Autoren-Eitelkeit, wäre ihm auch die Übertragung des Arrangements einer bereits fertigen Oper für französische Verse ganz recht gewesen; ihm ward von uns somit die Bearbeitung meines »Liebesverbotes« für ein damals bestehendes drittes lyrisches Theater, welches sich das Théatre de la Renaissance nannte und in der seit ihrem Brande neu hergerichteten Salle Ventadour spielte, vorgeschlagen. Drei Nummern dieser Oper, welche ich für eine verhoffte Audition bestimmte, führte er auf Grund einer wörtlichen Übersetzung sofort in artigen französischen Versen aus. Außerdem aber lud er mich ein, zu einem Vaudeville, welches in der Karnevals-Zeit im Theater der Variétés gegeben werden sollte und »La Descente de la Courtille« betitelt war, einen Chor zu schreiben. – Dies war eine zweite Aussicht. Die Freunde rieten aber, vor allen Dingen einige kleinere Gesangskompositionen zu schreiben, welche ich beliebten Sängern zum Vortrag in den häufigen Konzerten anbieten könnte. Lehrs und Anders schafften Texte herbei; Anders brachte von einem befreundeten jungen Poeten ein sehr unschuldiges »Dors mon enfant«, das erste, was ich in französischer Sprache komponierte; es geriet so gut, daß, als ich spät abends es mehrmals leise mir auf dem Klavier probierte, meine Frau aus dem Bett mir zurief, das wäre ja ganz himmlisch zum Einschlafen. Außerdem komponierte ich »L'Attente« aus Hugos »Orientales« und eine Romanze von Ronsard: »Mignonne«. Diese kleinen Arbeiten, deren ich mich nicht zu schämen habe, veröffentlichte ich später als musikalische Beilage zu der damals von Lewald herausgegebenen »Europa«, wo sie in dem Jahrgange von 1841 erschienen. – Nun verfiel ich aber noch auf den Gedanken, für Lablache eine von ihm als »Orovist« in Bellinis »Norma« einzulegende große Baß-Arie mit Chor schreiben zu wollen; Lehrs mußte einen italienischen politischen Flüchtling auftreiben,[183] um von ihm den Text zu einer solchen Arie zu erlangen; dies geschah, und ich führte eine effektvolle Komposition im Stile Bellinis aus, die sich noch unter meinen Manuskripten befindet und mit welcher ich mich damals unmittelbar zu Lablache verfügte, um sie ihm anzubieten. Der freundliche Mohr, welcher mich in des berühmten Sängers Vorzimmer empfing, wollte mich durchaus sofort unangemeldet zu seinem Herrn einlassen; da ich das Vorkommen bei einem solchen Herrn für sehr schwierig gehalten, hatte ich mich auf das Abweisen gefaßt gemacht und mein Anliegen schriftlich in einem Briefe niedergelegt, wodurch ich mich besser verständigt zu haben glaubte, als es durch mündlichen Vortrag mir möglich gewesen sein würde. Die Zutraulichkeit des schwarzen Dieners setzte mich somit in Verlegenheit; ich drang ihm meine Partitur und den Brief auf, um sie seinem Herrn zu übergeben, achtete nicht seiner mit freundlichem Erstaunen wiederholten Aufforderung, doch nur selbst einzutreten und mit seinem Herrn mich zu unterhalten, und verließ eilig das Haus, um in einigen Tagen mir Antwort zu holen. Als ich wiederkehrte, empfing mich Lablache höchst freundlich, versicherte mich, die Arie sei sehr gut gemacht, nur sei es ganz unmöglich, sie in der bereits so häufig gegebenen Bellinischen Oper nachträglich noch einzulegen. Dieser Rückfall auf das Bellinische Operngebiet, den ich mir durch die Anfertigung dieser Arie zuschulden kommen ließ, war somit ohne Nutzen geblieben, und die Unfruchtbarkeit eines meiner Versuche war demnach schnell entschieden. Ich sah ein, daß ich persönlicher Empfehlungen bei den Sängern und Sängerinnen bedürfen würde, wenn ich meine andren Kompositionen zum Vortrag gebracht zu sehen wünschte.
Höchst willkommen war mir daher die endliche Ankunft Meyerbeers selbst in Paris. Der geringe Erfolg seiner Empfehlungsbriefe, von dem ich ihm berichtete, überraschte ihn so wenig, daß er es im Gegenteil für gut hielt, mich nun darauf aufmerksam zu machen, daß in Paris alles sehr schwierig sei und ich am besten täte, zunächst mich nach bescheidener Lohnarbeit umzusehen. Er führte mich in diesem Sinne bei seinem Verleger Maurice Schlesinger ein, überließ mich dem Schicksale dieser monströsen Bekanntschaft und reiste nach Deutschland ab. – Da fürs erste Schlesinger nicht wußte, was er mit mir anfangen sollte, und die in seinem Büro unter seinem Protektorat von mir gemachten Bekanntschaften, worunter die des Violinspielers Panofka, auch zu nichts führten, kehrte ich zu meinem häuslichen Beratungs-Conseil zurück, der mir doch schon einiges an die Hand gegeben hatte, wie neuerdings eine Übersetzung der »Beiden Grenadiere« von Heine durch einen Pariser Professor, welche ich für eine Bariton-Stimme zu meiner Zufriedenheit alsbald komponierte. – Auf Anders' Vorschlag suchte ich nun Sänger und Sängerinnen für meine neuen angefertigten Kompositionen aufzufinden. Mme Pauline Viardot, an die ich mich in erster Linie wandte, ging meine Stücke sehr freundlich mit mir durch, verweigerte mir auch nicht das Zugeständnis ihres Gefallens daran, versicherte[184] mich jedoch, keine Veranlassung zu ihrem Vortrag zu ersehen. Ähnlich ging es mir mit einer Mme Widmann, welche mein »Dors mon enfant« mit schöner Alt-Stimme gefühlvoll mir vorsang, dennoch aber nicht wußte, was sie weiter damit tun sollte. Ein Herr Dupont, dritter Tenor der Großen Oper, versuchte meine Komposition des Ronsardschen Gedichtes, erklärte aber, daß die Sprache, in welcher es verfaßt sei, vom jetzigen Pariser Publikum nicht goutiert werden könnte. Herr Géraldy, ein sehr beliebter Konzertsänger und Gesanglehrer, welcher mir verschiedene Besuche bei sich gestattete, erklärte die »Deux grénadiers«, welche ich ihm anbot, aus dem Grunde für unmöglich, weil die Marseillaise, an welche ich die Begleitung des Schlusses anklingen ließ, gegenwärtig in Paris nur in Begleitung von Kanonen- und Gewehrfeuer auf den Straßen gehört zu werden pflegte.
Einzig führte Habeneck sein Versprechen aus, meine Kolumbus-Ouvertüre bei Gelegenheit einer Probe vom Orchester mir und Anders vorzuspielen, was ich, da es dabei keineswegs selbst nur auf den Versuch der Zulassung dieser Komposition bei einem der berühmten Conservatoire-Konzerte abgesehen war, wirklich als eine aufmunternde Artigkeit des alten Herrn anzusehen hatte, welche für jetzt allerdings jede weitere günstige Folge für mich ausschloß, da ich selbst wohl auch inneward, daß meine ungemein flüchtige Jugendarbeit dem Orchester nur eine konfuse Meinung über mich hatte beibringen können. – Doch gewann ich bei einer dieser Proben unerwartet einen so bedeutenden Eindruck, daß ich ihm eine wichtige Entscheidung für eine jetzt neu sich begründende Wendung meiner künstlerischen Entwicklung beimessen muß. Dies geschah durch meine Anhörung der 9. Symphonie Beethovens, welche ich nun von diesem berühmten Orchester mit dem Erfolge eines beispiellos andauernden Studiums in so vollendeter und ergreifender Weise vorgetragen hörte, daß wie mit einem Schlage das in meiner Jugendschwärmerei von mir geahnte Bild von diesem wunderbaren Werke, nachdem es mir durch die Hinrichtung desselben durch das Leipziger Orchester unter des biedren Pohlenz' Leitung gänzlich verwischt worden war, nun sonnenhell wie mit den Händen greifbar vor mir stand. Wo ich früher nichts als mystische Konstellationen und klanglose Zaubergestalten vor mir gesehen hatte, strömte jetzt wie aus zahllosen Quellen der Strom einer nie versiegenden, das Herz mit namenloser Gewalt dahinreißenden Melodie entgegen.
Die ganze Periode der Verwilderung meines Geschmackes, welche genau genommen mit dem Irrewerden an dem Ausdrucke der Beethovenschen Kompositionen aus dessen letzter Zeit begonnen und durch meinen verflachenden Verkehr mit dem schrecklichen Theater sich so bedenklich gesteigert hatte, versank jetzt vor mir wie in einem tiefen Abgrund der Scham und Reue.
War diese innere Wendung in den letzten Jahren, namentlich auch durch die Wirkung leidenvoller Lebenserfahrungen auf mich, wohl sehr günstig[185] vorbereitet, so gewann doch nun, durch den unsäglichen Eindruck der 9. Symphonie in einer Ausführung, von welcher in jeder Hinsicht ich zuvor gar keine Ahnung hatte, der neugewonnene alte Geist erst wirkliche Lebenskraft, und ich vergleiche daher diesen für mich so wichtigen Vorgang mit dem ähnlichen entscheidenden Eindrucke, welchen ich als 16-jähriger Jüngling vom Fidelio der Schröder-Devrient gewann.
Die nächste Folge hiervon war meine innige Sehnsucht, gerade jetzt, wo das Elend meiner Lage in Paris mir immer klarer bewußt wurde und ich tiefinnerlich an jedem Erfolg auf dem betretenen Wege verzweifelte, etwas zu schaffen, was mir ebenso innerlich Genugtuung geben sollte. So entwarf ich eine Ouvertüre zu Faust, welche dem ersten Plane nach nur den ersten Satz einer ganzen Faust-Symphonie bilden sollte, da ich für den zweiten Satz bereits die Ausführung des »Gretchens« ebenfalls im Kopfe trug. Es ist dies dieselbe Komposition, welche ich, nachdem ich sie bereits außer acht verloren, infolge sinniger Andeutungen und Wünsche Liszts fünfzehn Jahre später in einigen Teilen umarbeitete, und welche jetzt unter dem Titel »Eine Faust-Ouvertüre« von mir wieder holt öffentlich aufgeführt und auch sonst weiter beachtet worden ist. Damals hegte ich den Ehrgeiz, eine so beschaffene Komposition von dem Orchester des Conservatoires für eines seiner Konzerte angenommen zu sehen, erfuhr jedoch, daß man dort der Meinung war, mir bereits genug Aufmerksamkeit erwiesen zu haben, und für einige Zeit mich loszusein wünschte.
Gänzlich ohne allen Erfolg, wandte ich mich brieflich an Meyerbeer um nochmalige Empfehlungen namentlich an Sänger, deren ich bedurfte. Sehr überrascht war ich, als infolge hiervon Meyerbeer mich aus Berlin an einen wunderlichen Mann, Herrn Gouin, einen Postbeamten und seinen Generalagenten in Paris, mit der Bedeutung empfahl, daß dieser alle näheren Instruktionen von ihm habe, um meinen Wünschen nach Möglichkeit nachzukommen. Vor allem ließ mich Meyerbeer auf diese Weise an Herrn Anténor Joly, Direktor des bereits genannten lyrischen Theaters de la Renaissance, weisen. Herr Gouin vermittelte bei diesem die fast mit bedenklicher Leichtigkeit mir gemachte Zusage, eine Oper, mein »Liebesverbot«, welches eben nur noch zu übersetzen war, aufzuführen. Es handelte sich nur darum, daß ich dem Komitee des Theaters einige Nummern meiner Komposition in einer Audition zur Prüfung vorführen könnte. Da ich mir die eignen Sänger des Theaters zum Einüben der drei von Dumersan bereits übersetzten Stücke erbat, ward ich allerdings mit dem Bedauern, daß diese Sänger gegenwärtig sämtlich zu stark beschäftigt seien, abgewiesen. Allein hiergegen wußte Gouin wieder Rat: vermöge seiner vom »Meister« erhaltenen Generalvollmacht warb dieser mehrere Meyerbeer besonders verpflichtete Sänger für meinen Zweck. Mme Dorus-Gras, eine wirkliche Primadonna der Großen Oper, Mme Widmann und Herr Dupont, beide letztere mir bereits durch meine vergeblichen Bemühungen für meine[186] kleineren Kompositionen bekannt, mußten ihre Zusage geben, zu der beabsichtigten Audition mir behilflich zu sein.
So weit hatte ich es nach einem halben Jahre, gegen Ostern 1840, gebracht, und auf die Grundlage der durch die Gouinschen Abmachungen gewonnenen, mich höchst solid dünkenden Hoffnungen hin veränderte ich nun, namentlich auch durch Lehrs' waghalsige Anempfehlungen bestimmt, meinen bis jetzt befolgten Pariser Lebenszug, indem ich mich entschloß, aus dem obskuren Quartier der Innocents mich nach dem der Künstlerwelt näherliegenden Teile von Paris überzusiedeln. Was dies heißen wollte und unter welchen Umständen dieses kühne Vorhaben ausgeführt wurde, wird erhellen, wenn ich jetzt näher bezeichne, unter welchen Umständen wir bis dahin durch unsre Pariser Lage uns geschleppt hatten.
Trotzdem wir sogleich nach unsrer Ankunft in Paris uns auf das wohlfeilste eingerichtet hatten, z.B. unser Diner bei einem kleinen Restaurant zu einem Franken einnahmen, war es doch unmöglich gewesen zu verhüten, daß der Rest unsrer Dukaten bald gänzlich aufging. Freund Möller hatte uns bedeutet, sobald wir in Not kämen, uns an ihn zu wenden, da er den Ertrag des ersten ihm vorkommenden guten Geschäftes für uns zurücklegen würde. Es ging nicht anders, als daß ich mich schon jetzt an ihn wendete; einstweilen versetzten wir, was wir irgend an wertvollen Kleinigkeiten besaßen. Da ich Scheu trug, mich nach einem Leihhause zu erkundigen, suchte ich im Dictionnaire nach der französischen Bezeichnung einer solchen Anstalt, um diese dann auf einem der Straßenschilder gelegentlich aufzusuchen: in meinem kleinen Handdictionnaire war für die gesuchte Anstalt kein andres Wort als »Lombard« verzeichnet; auf dem Plan von Paris fand ich in einer unentwirrbaren Gegend eine kleine Gasse mit dem Namen »rue des Lombards« genannt. Dort irrte ich nun auf Abenteuer lange umher, ohne irgendeine mir günstige Auskunft erhalten zu können. Dagegen hatte mich an transparenten Laternen häufig die Aufschrift »Mont de piété« neugierig nach der Bedeutung hiervon gemacht, und ich ward, als ich mein häusliches Ratskollegium darum befragte, was dieser »Berg der Frömmigkeit« zu bedeuten habe, zu meiner freudigen Überraschung darüber belehrt, daß ich eben dort mein Heil zu suchen habe. Nun wanderte zunächst, was wir von Silberzeug besaßen, namentlich unsre Hochzeitsgeschenke, zum Commissaire des Mont de Piété. Dann folgten die kleinen Schmucksachen meiner Frau, Reste ihrer ehemaligen Theatergarderobe, worunter ein schöner mit Silber gestickter blauer Schlepprock, welcher einst der Herzogin von Dessau gehört hatte. Freund Möller ließ immer noch nichts von sich hören; es galt Tag um Tag zu fristen, um die ersehnte Sendung aus Königsberg erwarten zu können, und so mußten eines Tages selbst unsre beiden Trauringe auf den Mont de Piété wandern. Als immer keine Hilfe kam, erfuhr ich, daß ich an den Versatzscheinen selbst noch letzte Hilfsquellen besaß, indem diese zugleich mit dem Besitz des verpfändeten Gegenstandes zu verkaufen[187] waren. Auch hierzu mußte endlich gegriffen werden, und namentlich der Dessauer Schlepprock ging bei dieser Gelegenheit gänzlich verloren. – Möller ließ in der Tat nie wieder etwas von sich hören. Als er später mich als Dresdner Kapellmeister wieder besuchte, gestand er, nach unsrer Trennung auf das bitterste durch den Bericht demütigender und geringschätziger Äußerungen, welche wir über ihn gemacht haben sollten, sich von uns gekränkt gefühlt zu haben, weshalb er geglaubt habe, seine freundschaftlichen Beziehungen zu uns fahren lassen zu müssen. Wir waren uns untrüglich bewußt, hierdurch gänzlich verleumdet und somit einer sicher verhofften Hilfe in der Not beraubt worden zu sein.
In der Zeit der hieraus eintretenden Not betraf uns ein Ereignis, welches wir als ein Unglück weissagendes Anzeichen empfanden: wir verloren unseren mit so unsäglicher Mühe nach Paris mitgeführten schönen Hund, der, da er jedenfalls ein wertvoller Gegenstand war und überall, wo er sich zeigte, Aufsehen erregte, aller Wahrscheinlichkeit nach absichtlich uns entlockt worden war. Auch in dem so übermäßigen Straßengedränge von Paris hatte er seine schon in London bewährte Sicherheit, sich überall zurechtzufinden, auf das glänzendste bewährt. Schon in den ersten Tagen war er heimlich in den Garten des Palais royal, wo er viele Hundegesellschaft zu treffen wußte und außerdem die Gamins durch sein Apportieren aus dem Wasser des dortigen Bassins unterhielt, spaziert und ruhig wieder zurückgekommen. Am Quai des Pont-neuf bat er uns gewöhnlich um die Erlaubnis, sich baden zu dürfen, und zog dort bald eine so stark anwachsende Versammlung von Zuschauern herbei, welche sich an seinem Untertauchen und Hervorholen von allerhand dort versenkten Kleidungsstücken und Gerätschaften mit lautem Jubel ergötzte, daß die Polizei uns ersuchte, dieser Veranlassung zur Erneute ein Ende zu machen. Als ich ihn eines Morgens wie gewöhnlich zu einer kurzen Erholung auf die Straße entließ, kehrte er nun nicht wieder zurück, und trotz der sinnreichsten Einfälle, auf die ich geriet, um wieder in seinen Besitz zu kommen, blieb er spurlos verschwunden. Dieser Verlust erschien manchem der um uns Besorgten als ein Glück, da man sich billigerweise darüber verwundern zu müssen glaubte, daß wir, ohne alle Subsistenzmittel, außer uns auch noch einen so übermäßig großen Hund zu ernähren übernommen hatten.
Um jene Zeit, es war dies etwa im zweiten Monate unsres Pariser Aufenthaltes, vereinigte sich nämlich meine aus Leipzig ankommende Schwester Luise mit ihrem bereits seit länger hier sie erwartenden Manne Friedrich Brockhaus. Sie beabsichtigten, eine gemeinschaftliche Vergnügungsreise nach Italien anzutreten, und Luise benützte den Pariser Aufenthalt zu verschiedenen reichen Einkäufen. Es dünkte mich natürlich, daß sie sich für die Folgen unsrer so sinnlos erscheinenden Übersiedelung nach Paris in keiner Weise mitleidend oder verantwortlich fühlen konnten, und, ohne uns den falschen Anschein einer angenehmen Lage zu geben, zog ich aus[188] meinen verwandtschaftlichen Beziehungen dennoch auch nicht den geringsten Vorteil. Minna war sogar so gutmütig, meiner Schwester bei ihren luxuriösen Einkäufen behilflich zu sein, während wir einzig besorgt waren, den wohlhabenden Verwandten den Argwohn zu benehmen, daß wir etwa ihre Teilnahme zu erwecken gesonnen seien.
Dagegen führte mir meine Schwester eine wunderliche Bekanntschaft zu, welche bald zu großer Teilnahme an allem, was mich betraf, sich bestimmen sollte. Es war dies der junge Maler Ernst Kietz aus Dresden, ein ungemein treuherziger, gutmütiger Naturmensch, dessen leichtes Talent für Porträtieren in einer ihm eignen bunten Kreidemanier in seiner Heimat den blutjungen Menschen so beliebt gemacht hatte, daß er durch seine gewinnreichen Erfolge sich hatte bestimmen lassen, zur höheren Ausbildung seiner Anlagen sich nach Paris zu wenden, wo er nun seit ziemlich einem Jahre sich aufhielt und im Atelier Delaroches seine Studien machte. Daß er bei seinem seltsam, fast kindisch zerfahrenen Wesen, beim Mangel aller ernsteren Bildung und bei der ungemeinen Schwäche seines Charakters hiermit den Weg gewählt hatte, auf welchem er, trotz seines wahrhaften Talentes, bald rettungslos seicht verfallen mußte, dies sollte ich zu meinem Bedauern infolge meiner anhaltenden freundschaftlichen Beziehungen zu ihm leider immer mehr innewerden. Für jetzt war mir und namentlich auch meiner armen, oft sehr vereinsamten Frau der kindlich zutrauliche Mensch sehr angenehm, und seine große Gutmütigkeit und herzliche Hingebung machten seine Freundschaft in Zeiten der äußersten Not mir sogar zu einem Quell der Hilfe. Er wurde nun dem abendlichen Familienkreis eingereiht, so sonderbar er auch in jeder Hinsicht im Umgange mit dem alten ängstlichen Anders und dem ernst gediegenen Lehrs sich ausnahm. Seine ungemeine Gemütlichkeit und seine oft höchst komischen Einfälle machten ihn uns bald unentbehrlich; namentlich ergötzte uns häufig der zuverlässige Eifer, in welchem er sich, ohne in die mindeste Verlegenheit zu geraten, auf französische Unterhaltung einließ, trotzdem er es später selbst nach einem zwanzigjährigen Aufenthalt noch nicht dazu brachte, nur zweier aufeinanderfolgender Worte sich richtig zu bedienen. Seine Studien bei Delaroche gingen auf die Aneignung der Ölfarbe aus; offenbar zeigte er auch hierzu vieles Talent, dennoch war dies die Klippe, an welcher er scheiterte. Es fand sich nämlich, daß das Umsetzen der Farben auf der Palette und besonders das Auswaschen der Pinsel seine Zeit so vollständig in Beschlag nahmen, daß er sehr selten zum eigentlichen Malen kam. Da es nun im tiefen Winter stets so früh Nacht wurde und er, wenn er mit Palette und Pinsel in Ordnung war, nun nichts mehr sehen konnte, so gelang es ihm nach meiner Erfahrung nie, auch nur ein einziges Porträt zu vollenden. Fremde, welchen er empfohlen war und deren Porträt ihm bestellt wurde, mußten stets Paris verlassen, ehe er damit nur zur Hälfte fertig geworden war; endlich hatte er sich sogar über das ganz besondere Unglück zu beklagen, daß seine Kunden[189] ihm unter dem Porträtieren wegstarben. Nur sein Hauswirt, dem er stets die Miete schuldig blieb, wußte es so anzufangen, daß Kietz das Porträt gerade dieses schrecklichen Menschen fertigmachte; soviel ich weiß, ist dies das einzige von Kietz vollendete Porträt. Dagegen glückten ihm kleine Krokis, wie er sie uns des Abends, angeregt durch Gegenstände unsrer Unterhaltung, sofort zum besten gab, durch naive Einfälle und leichte Ausführung. Schon in diesem ersten Winter entwarf er auch ein fleißig ausgeführtes Bleistiftporträt von mir, welches er, nachdem er mich noch besser hatte kennenlernen, nach zwei Jahren von neuem überarbeitete und in der Fassung beendete, wie es noch jetzt aufbewahrt wird. Es freute ihn, mich in der Stimmung aufzufassen, in welcher er mich beim abendlichen Gespräch, bei behaglicher Belebung meiner Lebensgeister beobachtet hatte. In der Tat verging kein Abend, ohne daß die durch die trostlosen Bemühungen und Erfahrungen des Tages oft verzweiflungsvoll niedergedrückte Stimmung bei mir endlich sich doch bis zum Eintritt der vollen, mir eignen Heiterkeit aufklärte; und den gemütlichen Kietz reizte es, gerade aus jener kummervollen Periode mich der Welt in der Haltung eines seiner Erfolge vollständig sichren, lächelnd über das Leben hinwegsehenden Menschen darzustellen.
Noch vor Ende des Jahres 1839 war auch meine jüngste Schwester Cäcilie als Gattin des Eduard Avenarius in Paris angekommen. Die Befangenheit, mit uns in leicht errätlicher bedürfnisvoller Lage hier in Paris, wohin keinerlei solide Aussicht uns geführt hatte, zusammenzutreffen, war uns bei der jungen Frau, welche selbst ihrem Mann in keineswegs bedeutende Verhältnisse gefolgt war, wohl erklärlich. Wir zogen daher vor, statt unsere Verwandten häufig aufzusuchen, lieber abzuwarten, bis sie uns aufsuchen würden, worüber genügende Zeit verstrich.
Sehr erwärmend regte uns dagegen ein längeres Wiedersehen Heinrich Laubes an, welcher im Anfang des neuen Jahres 1840 mit seiner Frau, geb. Iduna Budäus, der jungen Witwe eines vermögenden Leipziger Arztes, die er seit unsrer letzten Trennung in Berlin unter besonderen Umständen geheiratet hatte, zu seinem Vergnügen auf einige Monate in Paris verweilte. Schon während seiner früher erwähnten langen Untersuchungshaft hatte die junge Frau, von seinem Schicksale gerührt, ohne ihm zuvor durch nähere Bekanntschaft vertraut worden zu sein, große Teilnahme und Fürsorge gezeigt. Als ich damals Berlin verließ, erschien auch bald Laubes Verurteilung, welche unerwartet mild auf ein Jahr städtisches Gefängnis lautete. Es wurde ihm gestattet, nach seiner Wahl seine Strafzeit im Stadtgefängnisse von Muskau in Schlesien zu verbüßen, wo er den Vorteil der Nähe des ihm befreundeten Fürsten Pückler genoß, mit welchem er, unter besonderer Begünstigung der dem Fürsten untergebenen Gefängnisdirektion, in tröstlichen Verkehr und selbst persönlichen Umgang treten konnte. Seine Freundin hatte sich entschlossen, gerade zur Zeit des Antritts seiner Gefängnisstrafe[190] sich ihm zu vermählen, um ihm in Muskau liebevoll behilflich zur Seite sein zu können. War es für mich nun schon an und für sich erfreulich, den älteren Freund in jetzt so vorteilhaft gestalteter Lage wiederzusehen, so empfand ich dagegen auch die wohltätige Befriedigung, von ihm die früher gewohnte Teilnahme unverändert mir zugewandt zu sehen. Wir waren häufig zusammen; auch unsre Frauen befreundeten sich, und Laube war der erste, welcher meinen tollkühnen Pariser Zug mit gewogenem Humor aufzufassen verstand. – Bei ihm lernte ich auch Heinrich Heine kennen, und beide unterhielten sich oft in gutmütigen Scherzen, die mich selbst gern zum Lachen brachten, über meine wunderliche Lage. Es war Laube unmöglich, mir über mein Vorhaben, es in Paris zu etwas bringen zu wollen, in ernst bedenklicher Weise Vorstellungen zu machen, da er sah, daß ich selbst mit einer Laune, die wieder um ihn hinriß, meine auf so nichtige Hoffnungen begründete Lage behandelte. Dagegen war er darauf bedacht, wie er, ohne Einspruch gegen die Wahl meines Lebensweges zu erheben, mir helfen könne, und wünschte deshalb von mir nur einen irgendwie plausiblen Plan für meine nächsten Unternehmungen dargelegt zu bekommen, um daraufhin in der Heimat, wohin er bald zurückkehrte, mir Unterstützung erwirken zu können. Nun fand es sich denn, daß um diese Zeit ich in ein so hoffnungsvolles Einvernehmen mit der Direktion des Theaters de la Renaissance trat; hiermit schien ein Boden gewonnen zu sein, und ich glaubte erklären zu dürfen, daß, wenn mir die Deckung meiner Bedürfnisse für ein halbes Jahr versichert würde, ich in dieser Zeit es zu etwas bringen müßte. Laube versprach hierfür zu sorgen und hielt Wort. Er bestimmte in Leipzig einen seiner vermögenden Freunde und infolge dieses Beispiels auch den vermögenden Teil meiner Familie, mir für ein halbes Jahr eine durch Avenarius in monatlichen Raten mir auszuzahlende Sustentation zu erwirken.
Demzufolge bestimmten wir uns, wie erwähnt, das Hotel garni zu verlassen und eine selbständige Wohnung in der rue du Helder zu beziehen. Meine Frau, deren vorsichtiges und solides Wesen durch die Nötigung zur Teilnahme an meiner sorglosen Behandlung der bürgerlichen Lebensfragen bereits in Schwanken und Unsicherheit gebracht worden war, ließ sich hierbei namentlich durch die Annahme bestimmen, daß sie es verstehen werde, einen eigenen Haushalt weniger kostspielig einzurichten, als das Hotel-garni- und Restaurant-Leben für uns war. Der Erfolg erwies diese Annahme auch als sehr richtig; das Bedenkliche lag nur darin, daß diese eigne Haushaltung eben ohne jeden Besitz erst zu gründen war, somit alles, was eine häusliche Wirtschaft ermöglicht, ohne Mittel dazu erst angeschafft werden mußte. Hierfür wußte nun eben Lehrs, welcher bereits genügend in den eigentümlichen Zug der Pariser Lebensverhältnisse eingeweiht war, Rat. Nach seiner Auffassung war mein ganzes bis hierher gediehenes Pariser Unternehmen nur durch einen meinem Wagnis entsprechenden Erfolg zu[191] rechtfertigen; da ich außerdem gar keine Mittel besaß, mich in Paris geduldig längere Jahre über der Erwartung hinzugeben, so mußte ich auf eine außerordentliche Begünstigung der Umstände rechnen oder sofort gänzlich abstehen. Der erwartete Erfolg mußte im Laufe eines Jahres eintreten, oder ich war unter allen Umständen gescheitert; so hieß es denn wagen, da ich nun einmal »Wagner« hieße, und er nicht geneigt sei, in betreff meiner diesen Namen von »Fuhrwerk« abzuleiten. Meine für 1200 Fr. gemietete Wohnung hatte ich erst in vierteljährlichen Raten zu bezahlen; für das Ameublement und die Ausstattung der Wohnung wies er mir durch Vermittlung der Wirtin seines Hotels einen »Menuisier« zu, welcher mir alles Nötige gegen spätere bequem dünkende Abzahlungen lieferte. Lehrs blieb dabei: wenn ich nicht auch nach außen hin Selbstvertrauen zeigte, würde ich in Paris zu nichts kommen. Meine Audition stand bevor; das Theater de la Renaissance war mir gewiß; Dumersan begehrte eifrig, mein »Liebesverbot« vollends ganz in französische Verse zu bringen. So ward es denn gewagt. Am 15. April zogen wir, zur Verwunderung des Concierge des Hauses der rue du Helder, mit außerordentlich wenigem Gepäck in die ziemlich behagliche neue Wohnung ein. –
Mit dem ersten Besuche, den ich in dieser auf kühne Hoffnungen hin bezogenen Wohnung erhielt, meldete mir Anders, daß das Theater de la Renaissance soeben seinen Bankerott erklärt habe und geschlossen sei. – Diese Kunde, die mich wie ein Donnerschlag traf, schien mehr als ein gewöhnlicher Unglücksfall mir sagen zu wollen: sie enthüllte mir mit Blitzesschnelle zugleich auch die ganze Nichtigkeit der mir eröffneten Aussichten. Meine Freunde sprachen sich offen dahin aus, daß Meyerbeer von den Verhältnissen des Theaters, an welches er mich, von der Großen Oper ab, gewiesen, vermutlich sehr genau unterrichtet gewesen sei. Den hieran sich knüpfenden Betrachtungen hing ich noch nicht weiter nach, da ich genügenden Grund zur Bitterkeit empfand, wenn ich mir überlegte, was ich nun mit meiner hübsch eingerichteten Wohnung anfangen wollte.
Da meine Sänger bereits die zur Audition bestimmten Stücke des »Liebesverbots« genügend eingeübt hatten, wollte ich hieraus wenigstens den Vorteil ziehen, sie einigen einflußreichen Personen zu Gehör zu bringen. Da es sich eben nur um die Anwohnung dieser kleinen Audition, keineswegs aber um daran sich knüpfende Konsequenzen handelte, verweigerte mir Herr Edouard Monnaie, welcher nach Duponchels Abgang zum provisorischen Direktor der Großen Oper ernannt war, meiner Einladung Folge zu geben um so weniger, als die vortragenden Sänger dem ihm untergebenen Institut angehörten. Außerdem machte ich mich nun aber auf, Scribe zu besuchen und ihn ebenfalls zu meiner Audition einzuladen; mit freundlichster Bereitwilligkeit sagte er zu. Vor den beiden genannten Herren ließ ich eines Tages im Gesangsfoyer der Großen Oper meine drei Stücke, welche ich selbst am Klavier akkompagnierte, vortragen; sie fanden die Musik [192] »charmant«. Scribe erklärte seine Bereitwilligkeit, sofort einen Text für mich zu arrangieren, sobald die Administration der Oper mir die Komposition desselben auftragen würde, wogegen Herr Monnaie nichts einzuwenden hatte, als daß ein solcher Auftrag so bald nicht möglich sein würde. Daß es sich hier nur um freundliche Phrasen handelte, entging mir nicht, und ich fand es überhaupt, namentlich von Scribe, recht artig, daß er eben nur gekommen war und mich einer freundlichen Phrase wert gehalten hatte. –
Im Innersten fühlte ich mich wahrhaft nur dadurch beschämt, daß ich mit dem leichtsinnigen Jugendwerk, welchem ich die drei vorgeführten Stücke entnahm, mich ernstlich noch einmal befaßt hatte, was natürlich nur in der Meinung geschah, ich würde durch Aneignung des leichtfertigen Geschmacks am schnellsten es in Paris zu etwas bringen. Die Abwendung von dieser Geschmacksrichtung, wie sie längst in mir vorbereitet war, fiel für mich daher mit dem Aufgeben aller Hoffnungen auf Paris zusammen. Daß meine Lage sich so gefügt hatte, daß ich diese bedeutende innere Wendung gegen niemand, namentlich gegen meine arme Frau nicht aussprechen durfte, versetzte mich in einen schwermütigen Zustand. Fuhr ich aber fort, noch gute Miene zum bösen Spiel zu machen, so dachte ich innerlich doch bereits in keiner Weise mehr an die Möglichkeit eines Erfolges in Paris. Einem unabsehbaren Elend entgegensehend, empfand ich ein wahrhaftes Grauen vor der lachenden Gestalt, welche nun in der üppigen Maisonne Paris vor unsren Augen annahm. Die ungünstige Zeit für jede Art Kunstunternehmungen war somit an sich für Paris eingetreten; von jeder Türe, an welche ich mit verstellter Hoffnung klopfte, wurde ich mit dem schrecklich monotonen »Monsieur est à la campagne« abgewiesen. Auf weiten Spaziergängen, auf welchen wir uns so grenzenlos fremd unter dem bunten Menschengewimmel fühlten, phantasierte ich meiner armen Frau oft von den südamerikanischen Freistaaten vor, in welchen man von all diesem unheimlichen Spuk gänzlich entfernt wäre, von Oper und Musik nichts mehr wisse und sich durch tüchtige Arbeit leicht eine vernünftige Existenz gründen könnte. Minna, die nicht verstand, was das sagen sollte, verwies ich auf eine kürzlich von mir gelesene Erzählung von Zschokke: Die Gründung von Maryland, in welcher das Gefühl des Aufatmens gequälter und verfolgter europäischer Einwandrer in sehr verführerischer Weise mir mitgeteilt worden war. Praktischer gesinnt, verwies sie auf die Nötigung, uns das Aushalten in Paris zu ermöglichen, weshalb sie auf Ersparnisse aller Art bedacht war. – Ich dagegen entwarf den Plan zum Gedicht meines »Fliegenden Holländers«, bei welchem ich die Möglichkeit eines Auftretens in Paris immer noch im Auge behielt. Ich faßte den Stoff nämlich für einen einzigen Akt zusammen, wozu mich zunächst der Gegenstand selbst bestimmte, da ich auf diese Weise ihn ohne alles jetzt mich anwidernde Opernbeiwerk auf den einfachen dramatischen Vorgang zwischen den Hauptpersonen[193] zusammengedrängt geben konnte. Nach der praktischen Seite hin glaubte ich aber annehmen zu dürfen, daß ich für eine einaktige Oper, wie man sie als sogenannte Lever de rideau vor einem Ballett in der Großen Oper häufig gab, am ehesten Aussicht zur Annahme meiner projektierten Arbeit hätte. Hierüber schrieb ich Meyerbeer nach Berlin und bat um seine Verwendung. Außerdem nahm ich jetzt die Komposition des »Rienzi« wieder auf, an welchem ich nun ununterbrochen bis zur Vollendung weiterarbeitete.
Unterdes trübte sich unsere Lage immer mehr; die durch Laube erwirkten Subsidien war ich genötigt bald vorschußweise aufzuzehren, wodurch ich mich der Teilnahme meines Schwagers Avenarius, der unsre Pariser Niederlassung immer unbegreiflicher fand, stets mehr entfremdete. – Eines Morgens, als wir in großer Sorge die Möglichkeit der Erschwingung des ersten Mietzins-Termines beraten hatten, meldete sich ein Faktor der Messagerien mit einem aus London mir zugeschickten Pakete; ich hielt es für eine Sendung des Himmels und erbrach das Siegel, während nun ein Buch zur Einzeichnung der Empfangsbescheinigung mir vorgeschoben wurde, aus welchem ich zugleich ersah, daß ich sieben Franken für das Porto zu bezahlen hätte. Zu meinem Schreck erkannte ich außerdem in dem Paket die Partitur meiner Ouvertüre »Rule Britannia«, welche von der Philharmonischen Gesellschaft in London mir zurückgesandt wurde. Wütend erklärte ich dem Überbringer, daß ich das Paket nicht annähme, wogegen er auf das lebhafteste remonstrierte, da ich es jetzt bereits eröffnet hatte. Nichts half ihm: ich hatte keine sieben Franken; ich erklärte, er habe mir zu spät die Berechnung des Portos mitgeteilt, und zwang ihn so, das einzige Exemplar meiner Ouvertüre der Kompagnie der Herren Laffitte und Gaillard als Eigentum, über welches sie nach Gutdünken verfügen könne, zurückzustellen. Was aus diesem Manuskript geworden, interessierte mich nie zu erfahren. –
Gegen solche Kalamität wußte nun Kietz plötzlich guten Rat zu schaffen. Von einem alten Fräulein Leplay, einer sehr reichen und wunderlich geizigen alten Jungfer in Leipzig, hatte er den Auftrag erhalten, in Paris ein billiges Absteigequartier für sich und Kietzens eigene Stiefmutter, in deren Gesellschaft sie zu reisen gedachte, zu besorgen. Da unsre, wenn auch nicht große, dennoch über unsren Notbedarf geräumige Wohnung uns bereits schnell zur peinlichsten Last geworden war, standen wir keinen Augenblick an, sofort den besseren Teil derselben für die Dauer ihres Pariser Aufenthaltes, welcher gegen zwei Monate währte, ihr zu vermieten. Außerdem besorgte meine Frau den Gästen ganz wie in einem Hotel garni das Frühstück, wobei sie sich freute, die wenigen Sous, welche hierbei herauskamen, als ihr Verdienst anzusehen. So lästig uns das wunderliche Original von geiziger alter Jungfernschaft fiel, half doch das mit ihr eingegangene Geschäft einigermaßen, die schwere Zeit zu überstehen, und ich vermochte[194] es, trotz der häuslichen Unruhe, ungestört an meinem »Rienzi« fortzuarbeiten. – Schwieriger wurde dies, als wir nach dem Abzug des Fräuleins Leplay ein Zimmer unsrer Wohnung von neuem an einen deutschen Geschäftsreisenden vermieteten, welcher in seinen Mußestunden eifrig Flöte blies. Dieser nannte sich Brix, war ein bescheidener, gutartiger Mensch, welcher uns durch einen seither neu gewonnenen Freund, den Maler Pecht, zugewiesen worden war. Pecht war mir durch Kietz bekannt geworden, welcher mit diesem gemeinschaftlich in Delaroches Atelier studierte. Er war der volle Gegensatz von Kietz; mit offenbar geringerem Talente begabt, erfaßte er dagegen seine Aufgabe, unter schwierigen Umständen in möglichst kurzer Zeit die Ölmalerei zu erlernen, mit einem ungewöhnlichen Fleiß und Ernste; dazu war er gebildet sowie weiterer Ausbildung mit Eifer zugänglich und erwies sich überhaupt rechtschaffen, streng und zuverlässig. Wenn auch nicht in dem Grade von Vertraulichkeit unsrem Verkehre eingereiht wie die drei älteren Freunde, gehörte er doch von nun an zu diesen wenigen, welche im Trübsal fortgesetzt treu zu uns hielten und fast regelmäßig des Abends bei uns sich einfanden.
Von Laubes fortgesetzter Freundessorge für mich erhielt ich eines Tages einen überraschend neuen Beweis. Der Intendant eines Grafen Kushelew fand sich bei mir ein und eröffnete mir nach einigen Erkundigungen über meine Situation, von welcher der Graf durch Laube in Karlsbad unterrichtet worden war, kurz und bündig, daß sein Patron mir nützlich zu sein und mich deshalb kennenzulernen wünsche. Dieser beabsichtigte nämlich, in Paris das Personal einer kleinen komischen Oper zu engagieren, welches ihm auf eines seiner Güter nach Rußland folgen sollte; für diese suche er einen Musikdirektor, welcher gewandt genug sei, ihm bereits bei der Aufbringung der Truppe in Paris behilflich zu sein. So ließ ich mich denn willig in das Hotel des Grafen selbst bescheiden, fand da einen geschmeidig zutraulich sich gebärdenden, bereits etwas ältlichen Herrn, welcher gutmütig von mir sich meine kleinen französischen Gesangskompositionen vortragen ließ. Mit einem Blick hatte jedenfalls der menschenkundige Herr gewahrt, daß ich nicht sein Mann sei, und ließ sich, unter allerhand freundlichen Bezeugungen, in weitere Verhandlungen über die mir mitgeteilte Opernunternehmung nicht erst weiter ein. Dagegen übersandte er mir noch am selbigen Tage mit einigen freundlichen Zeilen 10 Napoleonsdor, von denen ich nicht wußte, was damit bezahlt sein sollte. Ich schrieb ihm daher, bat mir nähere Angabe dessen, was er von mir wünsche, und ersuchte ihn um die Bestellung einer Komposition, da ich annähme, er habe mir das Honorar dafür im voraus bezahlt. Da ich keine Antwort erhielt, suchte ich mehrmals aber vergebens bei ihm wieder vorzukommen. Auf andrem Wege erfuhr ich später, daß Graf Kushelew nur das Genre der Opern Adams anerkenne und in betreff des zu engagierenden Opernpersonales seinen Neigungen gemäß es außerdem mehr auf einen kleinen Serail, als auf ein Kunstinstitut abgesehen hatte. –[195]
Mit dem Musikhändler Schlesinger hatte ich es bisher zu nichts bringen können. Es war mir unmöglich, ihn zur Herausgabe meiner kleinen französischen Gesangskompositionen zu bewegen. Um auf diesem Wege aber doch auch etwas für mein Bekanntwerden zu tun, entschloß ich mich, auf meine Kosten die »Deux grénadiers« bei ihm stechen zu lassen. Kietz mußte ein großartiges Titelblatt dazu auf Stein zeichnen. Schließlich berechnete mir Schlesinger fünfzig Franken für die Kosten. Das Schicksal dieser Publikation ist immerhin merkwürdig: das Werk trug Schlesingers Verlags-Firma, und der Ertrag des Verkaufes sollte, da alle Kosten mir zur Last fielen, natürlicher weise zu meinem Vorteil berechnet werden. Daß gar kein Exemplar davon abgesetzt wurde, mußte ich den späteren Versicherungen des Verlegers glauben. Nachdem ich später in Dresden durch meinen »Rienzi« schnell einen Namen gewonnen, fand der Mainzer Musikhändler Schott, dessen Verlag fast ausschließlich aus französischer übersetzter Ware bestand, es geraten, diese »Deux grénadiers« für Deutschland abzudrucken. Unter den Text der französischen Übersetzung ließ er den deutschen Originaltext von Heine setzen, welcher jedoch, da das französische Gedicht eine sehr freie Bearbeitung, namentlich auch im Versmaß gänzlich verschieden vom Original war, in so grotesker Weise zu meiner Komposition paßte, daß ich, über die mir angetane Schmach empört, gegen die Schottsche Publikation als einen ohne mein Wissen angefertigten Nachdruck zu protestieren mich genötigt hielt. Hiergegen drohte Schott mir mit einem Injurienprozeß, weil seine Ausgabe nach der bestehenden Übereinkunft nicht ein Nachdruck, sondern ein Abdruck sei, was mich, um von weiteren Verdrießlichkeiten verschont zu bleiben, zu einer auf die von mir ungekannte Unterscheidung sich beziehende Ehrenerklärung zu geben bewog. Als ich nun im Jahre 1848 in Paris beim Nachfolger Schlesingers, Herrn Brandus, mich nach dem Schicksale meines Werkchens, von dem ich erfuhr, daß man eine neue Ausgabe gemacht hatte, erkundigte, wollte man von irgendeinem Rechte meinerseits nicht das mindeste wissen. Da ich keine Lust hatte, für mein Geld mir ein Exemplar zu kaufen, habe ich mich daher bis auf den heutigen Tag ohne Besitz meines Eigentums behelfen müssen. In welchem Maßstabe sich später ähnliche gewinnreiche Beziehungen zu der Herausgabe meiner Werke steigerten, wird sich in der Folge zeigen.
Für jetzt handelte es sich darum, Schlesinger für die berechneten fünfzig Franken zu entschädigen; er schlug mir dazu Arbeiten für die von ihm herausgegebene »Gazette musicale« vor; da ich in keiner Weise der französischen Sprache für schriftstellerische Arbeiten mächtig genug war, mußten meine Artikel übersetzt und die Hälfte des Honorars für den Übersetzer bezahlt werden. Immerhin tröstete er mich, daß ich für den Druckbogen gelieferter Arbeit doch noch sechzig Franken bekommen würde; was ein solcher Druckbogen hieß, sollte ich bald erfahren, als ich um meiner Bezahlung willen bei dem hierzu stets höchst verdrossenen Verleger mich[196] zu melden hatte, dieser ein widerwärtiges eisernes Instrument, auf welchem die Zeilen der Spalten mit Zahlen abgemessen waren, an den zu taxierenden Artikel angelegt und nach sorgfältiger Abrechnung des Raumes für Titel und Unterschrift die Addition der Zeilen ausführte, wobei es sich herausstellte, daß, was ich für einen Bogen gehalten hatte, eigentlich nur ein halber Bogen war. – Genug, ich begann nun für das wunderliche Schlesingersche Blatt Artikel zu schreiben. Der erste war ein größerer Aufsatz: De la musique Allemande, in welchem ich mich über den innigen und ernsten Charakter des deutschen Musiktreibens mit damals mir nötiger schwärmerischer Übertreibung ausließ, so daß schon Freund Anders bemerkte, es wäre schön, wenn es in Deutschland wirklich so wäre. Ich genoß die für mich überraschende Genugtuung, diesen Artikel in der Folge in einer Mailändischen Musikzeitung italienisch reproduziert zu sehen, wobei es mir Lächeln erweckte, aus einem gegenwärtig wohl nicht mehr möglichen Versehen als »dottissimo musico tedesco« angeführt zu werden. Schon jetzt schien mein Aufsatz nicht ungünstig bemerkt worden zu sein; Schlesinger veranlaßte mich, über die Bearbeitung des Pergolesischen Stabat mater von dem russischen General Lwow einen – jedenfalls empfehlenden – Artikel zu liefern, was ich mit zweckdienlicher Breite zu ermöglichen suchte. Aus eigenem Antrieb schrieb ich den bereits gemütlicher gehaltenen Aufsatz: »Du métier du Virtuose et de l'indépendance du Compositeur«.
Unterdessen überraschte mich mitten im Sommer eine Ankunft Meyerbeers, welcher sich auf 14 Tage in Paris einfand. Er bezeigte sich sehr teilnehmend und verbindlich. Da ich ihm meine Idee, eine einaktige Eröffnungsoper für das Ballett zu schreiben, und meine Bitte, hierzu mit dem neuesten Direktor der Großen Oper, Herrn Léon Pillet, mich bekannt zu machen, mitteilte, trug er endlich auch kein Bedenken, diesen Herrn mit mir zu besuchen und mich ihm zu empfehlen. Leider hatte ich die unangenehme Überraschung, bei den ernstlichen Beratungen der beiden Herren darüber, was mit mir anzufangen sei, Meyerbeer auf den Vorschlag geraten zu sehen, ich möchte mich doch entschließen, mit einem andern Komponisten zusammen einen Akt zu einem Ballett zu komponieren. Hiervon wollte ich natürlich nichts wissen und übergab dagegen Herrn Pillet den sehr kurz gefaßten Entwurf des Sujets des »Fliegenden Holländers«. – So weit war es wieder gediehen, als Meyerbeer, diesmal für lange Zeit, wieder Paris verließ.
Während ich längere Zeit von Herrn Pillet gar nichts erfahren konnte, arbeitete ich nun fleißig an der Komposition des »Rienzi« weiter, mußte mich aber, zu meinem nagenden Kummer, oft darin unterbrechen, um Arbeiten für Schlesinger, welche mir das Leben zu fristen helfen sollten, zu fördern. Da bei meiner Mitarbeiterschaft an der »Gazette musicale« so gar wenig herauskam, trug mir Schlesinger eines Tages die Vertiefung einer Methode für Cornet à piston auf. Meinem Staunen darüber, wie ich dies beginnen sollte, entgegnete er mit der Zusendung von fünf bereits erschienenen[197] verschiedenen Schulen für das Cornet à piston, welches damals das beliebteste Privatinstrument der jüngeren männlichen Bevölkerung von Paris war. Aus diesen fünf Methoden sollte ich sehr einfach eine sechste neue kombinieren, da es Schlesinger eben nur darauf ankam, eine solche in seinem Verlag zu haben. Wirklich begann ich mir ganz ernstlich den Kopf darüber zu zerbrechen, wie ich dies anfangen sollte, als Schlesinger mich von dieser Zumutung wieder befreite, da ihm soeben eine bereits fertige Methode eingesandt worden sei. Dagegen sollte ich nun nicht weniger als vierzehn »Suiten« für Cornet à piston schreiben; hierunter wurden Auszüge von Opernmelodien für dieses Instrument verstanden, und um für diese Arbeit mich mit Stoff zu versehen, schickte mir Schlesinger nicht mehr als 60 vollständige Opernklavierauszüge ins Haus. Diese durchsuchte ich nun nach geeigneten Melodien für meine Suiten, merkte in jedem Bande die aufgefundenen Stellen mit Papierstreifen an und führte mit den 60 Klavierauszügen ein sonderbar konstruiertes Bauwerk um meinen Arbeitstisch auf, um von meinem Sitze aus nach möglichster Varietät den melodischen Stoff zur Hand zu haben. Zu meiner großen Befriedigung, jedoch zur Bestürzung meiner armen Frau, eröffnete mir mitten in dieser Arbeit Schlesinger, daß Herr Schiltz, der Haupt-Kornettbläser von Paris, welchem er meine Etüden vor dem Stiche zur Durchsicht mitteilen mußte, erklärt habe, ich verstünde ja gar nichts von dem Instrumente und hätte gemeiniglich zu hohe Tonarten gewählt, welche die Pariser nicht herausbringen würden. Das bereits von mir Gearbeitete wurde unter diesen Umständen, da Schlitz zur Verbesserung sich bereit erklärte, allerdings gegen Abzug der Hälfte des Honorars, welches an diesen bezahlt werden mußte, beibehalten; des weiteren aber wurde ich von dieser Bestellung befreit, und die 60 Klavierauszüge wanderten wieder in das merkwürdige Magazin der rue Richelieu zurück.
So stand es denn um meine Einkünfte wiederum schlecht genug; die Not im Hause wuchs, während ich allerdings wieder Freiheit hatte, um die letzte Hand an »Rienzi« zu legen. Om 19. November vollendete ich endlich diese umfangreichste aller Opern gänzlich. Ich hatte mich bereits dafür entschieden, dieses Werk dem Dresdner Hoftheater zur ersten Aufführung anzubieten, um im glücklichen Fall hierdurch mir wieder die Brücke nach Deutschland zu bauen. Für Dresden hatte ich mich bestimmt, weil ich dort in Tichatschek den besten Tenoristen für die Hauptrolle anzutreffen wußte; dazu rechnete ich auf meine Bekanntschaft mit der von früher her mir freundlich gesinnten Schröder-Devrient, welche sich aus Rücksichten für meine Familie schon seinerzeit für die Empfehlung meiner »Feen« am Dresdner Hoftheater, wenn auch vergeblich, bemüht hatte. Außerdem kannte ich in dem Theatersekretär, Hofrat Winkler (genannt Theodor Hell), einen alten Freund meiner Familie; auch der Kapellmeister Reissiger war mir, bei Gelegenheit jenes Jugendausfluges mit Apel nach Böhmen,[198] durch einen in Dresden lustig verlebten Abend bekannt geworden. An all diese Genannten setzte ich nun beziehungsvolle, beredsame Briefe auf, fügte ein offizielles Schreiben an den Intendanten Herrn von Lüttichau, ja sogar ein formelles Bittgesuch an den König von Sachsen bei und machte nun alles zur Versendung fertig.
Zuvor hatte ich nicht versäumt, die genaue Angabe der Tempi meiner Oper mit Hilfe des Metronomen anzugeben; da ich kein solches Instrument besaß, hatte ich mir dieses ausleihen müssen und machte mich nun eines Morgens auf, um den Metronomen, unter meinem dünnen Mäntelchen verborgen, dem Eigentümer zurückzustellen. – Der Tag, an welchem dies geschah, war einer der merkwürdigsten meines Lebens, weil an ihm sich das ganze Mißgeschick meiner damaligen Lage in wirklich grauenvoller Weise zusammendrängte. Außerdem daß ich von Tag zu Tag nicht wußte, woher die wenigen Franken zu nehmen seien, um von Minna unsre dürftige Wirtschaft bestreiten zu lassen, waren nun einige Wechsel fällig geworden, welche ich nach Pariser Gewohnheit für die Einrichtung meiner Wohnung seinerzeit ausgestellt hatte. Irgendeine Rettung erwartend, mußte ich zunächst versuchen, die Inhaber der Wechselbilletts zur Stundung zu überreden; da solche Wechsel als Kommerz-Papiere durch vielerlei Hände gehen, hatte ich in den verschiedensten Quartieren die Betreffenden aufzusuchen; an dem genannten Tage galt es, einen Käsehändler in einem fünften Stock der Cité zu beschwichtigen. Zugleich aber hatte ich vor, den Bruder meiner beiden Schwäger Brockhaus, Heinrich, welcher um diese Zeit nach Paris gekommen war, um seine Hilfe anzugehen; bei Schlesinger wollte ich mir so viel Geld verschaffen, um meine heute abzusendende Partitur auf der Messagerie frankieren zu können. Während ich nun zu gleicher Zeit auch den ausgeliehenen Metronomen fortzutragen hatte, verließ ich nach bangem Abschied am frühen Morgen Minna, welche aus Erfahrung wußte, daß sie, wenn ich um Geld aufzutreiben ausging, mich vor spätem Abend nicht wiederzusehen bekäme. Die Straßen bedeckte ein dicker Nebel, und als ich zum Hause heraustrat, war der erste Gegenstand, den ich erkannte, mein vor einem Jahre mir entführter Hund Robber. Ich glaubte zuerst ein Gespenst zu sehen, rief ihn aber hastig mit schriller Stimme an; das Tier erkannte mich augenscheinlich und kam ziemlich nahe an mich heran; da ich aber hastig mit ausgestrecktem Arm auf ihn zuschritt, schien bei dem ebenfalls überraschten Tiere sofort die Furcht vor einer Züchtigung, wie ich sie ihm in der letzten Zeit unseres Zusammenlebens in törichter Weise einige Male zugefügt hatte, jede andere Erinnerung zu bemeistern; er wich scheu von mir zurück, und da ich ihm hastig nachlief, jagte er immer eiliger vor mir davon. Daß er mich erkannt, ward mir immer deutlicher, als ich ihn an den Straßenecken sich ängstlich nach mir umwenden sah und, da er mich wie einen Rasenden ihm nachjagend bemerkte, er von neuem zu verstärkter Flucht sich anließ. So verfolgte ich[199] ihn durch ein im dicken Nebel kaum erkennbares Straßengewirr, bis ich schweißtriefend und atemlos, mit meinem Metronomen belastet, ihn bei der Kirche St. Roch endlich auf Nimmerwiedersehen aus den Augen verlor. – Eine Zeitlang stand ich wie erstarrt da und stierte in den Nebel hinein. Ich frug mich, was diese gespenstische Wiedererscheinung des Gefährten meiner Reise-Abenteuer an diesem schrecklichen Tage zu bedeuten habe. Daß er mit der Scheu eines wilden Tieres vor seinem alten Herrn davonfloh, dünkte mich, wie es mein Herz mit einer seltsamen Bitterkeit erfüllte, als ein grauenvolles Anzeichen. Tief erschüttert machte ich mit wankenden Knien mich zu meinen traurigen Geschäften weiter auf. – Heinrich Brockhaus, nachdem er mir versichert hatte, daß er mir unmöglich helfen könnte, verließ ich mit Beschämung und unter der Bemühung, ihm das Schmerzliche dieser Beschämung zu verbergen. Meine übrigen Verrichtungen fielen so hoffnungslos aus, daß ich, nachdem ich schließlich in Schlesingers Büro stundenlang das absichtlich verzögerte fadeste Geschwätz der Besucher meines Brotherrn hatte ertragen müssen, ohne die mindeste Hilfe bei eingebrochener Nacht mich wieder unter den Fenstern meines Hauses zeigte, an welchen ich Minna, mit hochgestiegener Beklemmung nach mir ausspähend, gewahrte. Sie hatte unterdessen, mein Mißgeschick ahnend, unsren Mietgenossen und Kostgänger, den um seiner Gutmütigkeit willen mühsam doch geduldig ertragenen Flötenbläser Brix, in guter Manier um einen kleinen Vorschuß angegangen und konnte mir wenigstens eine stärkende Mahlzeit bieten. Weitere Hilfe sollte von nun an für einige Zeit, wenn auch unter schweren Opfern für mich, aus dem Erfolg einer Donizettischen Oper erwachsen.
Ein höchst schwächliches Werk des italienischen Maëstro, »La Favorite«, welches aber von dem bereits tiefgesunkenen Pariser Publikum zweier Kabaletten wegen mit großem Beifall aufgenommen worden, hatte Schlesinger, welcher an den letzten Halévyschen Opern sehr zu Schaden gekommen war, angekauft, und, meine ihm bekannte hilflose Lage benutzend, stürmte er eines Morgens mit groteskem Freudestrahlen in meine Wohnung, verlangte Feder und Papier, um eine Berechnung der enormen Einnahmen, welche er mir zuzuwenden sich entschlossen hatte, mir vor die Augen zu stellen. Er schrieb nieder: »La Favorite, vollständiger Klavierauszug, Klavierauszug ohne Worte zu zwei Händen, dito zu 4 Händen, vollständiges Arrangement für Quatuor, ebenso für zwei Violinen, dito für Cornet à piston. Für diese Arbeiten 1100 Franken. Sofort Vorschuß von 500 Franken«. Mit einem Blick übersah ich, welches Elend ich mit dieser Bestellung übernahm, schwankte jedoch keinen Augenblick, sie anzunehmen. – Als ich die 500 Franken in harten Fünffrankentalern nach Haus gebracht und zu unsrem Ergötzen auf den Tisch gehäuft hatte, besuchte uns zufällig meine Schwester Cäcilie Avenarius. Der Anblick unsres Reichtums wirkte ermutigend auf ihre bisherige Bangigkeit in betreff ihres Umgangs mit uns,[200] von hieran sahen wir uns öfter und wurden häufig von ihnen des Sonntags zum Diner eingeladen. – Mir war jedoch um keine Art Zerstreuung mehr zu tun; die Erschütterungen der letzten Vergangenheit hatten so ernst auf mich gewirkt, daß ich jetzt, wie zur Buße all meiner je begangenen Sünden, mir die Pönitenz einer atemlosen Hingebung an die so demütigende und doch einzig hilfreiche Arbeit bestimmte. Wir beschränkten uns zur Ersparnis an Heizung auf unser Schlafzimmer, welches wir zum Salon, Speise- und Arbeitszimmer zugleich machten; mit zwei Schritten war ich aus dem Bett am Arbeitstisch, von welchem ich den Stuhl nun zum Speisetisch herumdrehte und nur vollständig von ihm aufstand, um mich spät wieder zu Bett zu begeben. Regelmäßig jeden vierten Tag gönnte ich mir einzig einen kleinen Ausgang zur Erholung. Da diese Kasteiung ziemlich den ganzen Winter andauerte, legte ich hiermit den Grund zu den mein übriges Leben hindurch mehr oder minder stets mich belästigenden Unterleibsleiden.
Mein Erwerb vermehrte sich durch die äußerst zeitraubende und peinliche Korrektur der Partitur der Donizettischen Oper, für welche ich von Schlesinger, da er zu dieser Arbeit niemand anders hatte, 300 Franken erpreßte. Dabei mußte ich noch Zeit finden, die Orchesterstimmen meiner »Faustouvertüre«, von der ich immer noch hoffte, sie im Conservatoire aufgeführt zu hören, selbst auszuschreiben; und um einigermaßen mich gegen den Eindruck der schändlichen musikalischen Arbeit aufrechtzuerhalten, schrieb ich zunächst eine kleine Novelle: »Eine Pilgerfahrt zu Beethoven«, welche unter dem Titel »Une visite à Beethoven« in der »Gazette musicale« erschien. – Unverhohlen gestand mir Schlesinger, daß diese Novelle Aufsehen erregt und ungewöhnlichen Beifall gefunden habe, wie sie in Wahrheit ganz oder bruchstückweise auch in vielen Unterhaltungsblättern reproduziert worden war. Er forderte mich auf, mit Ähnlichem fortzufahren. Mit einer Fortsetzung der Novelle unter dem Titel »Das Ende eines Musikers in Paris«, französisch »Un musicien étranger à Paris«, nahm ich Rache für alle mir widerfahrene Schmach. Sie gefiel Schlesinger bei weitem weniger, trug mir aber namentlich von seinem armen Kommis rührende Beifallsbezeugungen und von H. Heine den Lobspruch: »So etwas hätte Hoffmann nicht schreiben können« ein. Selbst Berlioz rührte sich und gedachte in einem seiner Feuilletons des Journals des Débats mit Anerkennung meiner Novelle. Ein weiterer musikästhetischer Aufsatz »Über die Ouvertüre« wendete mir seine, jedoch nur im Gespräch mitgeteilte, Sympathie namentlich dafür zu, daß ich, mein Prinzip für diese Gattung von Komposition damit erhellend, Glucks Ouvertüre zur »Iphigenie in Aulis« als Muster hinstellte.
Diese Annäherung ermutigte mich zu dem Versuch, mich mit Berlioz enger zu befreunden. Wohl war ich ihm bereits seit länger in dem Schlesingerschen Geschäftsbüro, wo ich ihn seitdem auch öfters antraf, vorgestellt. Ein Exemplar meiner »Deux grénadiers« hatte ich ihm überbracht, konnte[201] von ihm darüber jedoch nichts andres herausbringen, als daß er nur ein wenig Gitarre spiele und es sich nicht auf dem Klavier vorspielen könne. Dagegen hatten seine großen Instrumentalkompositionen, welche ich schon im vorangehenden Winter verschiedentlich unter seiner Leitung gehört, einen ungemein anregenden Eindruck auf mich hinterlassen. In jenem Winter (1839–1840) führte er in drei verschiedenen Aufführungen, von denen ich einer beiwohnen konnte, zum ersten Male seine »Romeo-und-Julie«-Symphonie auf. Dies war mir allerdings eine neue Welt, in welcher ich mich, ganz den empfangenen Eindrücken gemäß, mit voller Unbefangenheit zurechtzufinden suchte. Zunächst hatte die Gewalt der nie zuvor von mir geahnten Virtuosität des Orchester-Vortrages auf mich geradezu betäubend gewirkt. Die phantastische Kühnheit und scharfe Präzision, mit welcher hier die gewagtesten Kombinationen wie mit den Händen greifbar auf mich eindrangen, trieben mein eignes musikalisch-poetisches Empfinden mit schonungslosem Ungestüm scheu in mein Inneres zurück. Ich war ganz nur Ohr für Dinge, von denen ich bisher gar keinen Begriff hatte und welche ich mir nun zu erklären suchen mußte. In »Romeo und Julie« hatte ich allerdings häufig und andauernd Leeren und Nichtigkeiten empfunden, was mich um so mehr peinigte, als ich andrerseits von den mannigfaltigen hinreißenden Momenten in diesem, durch seine Ausdehnung und Zusammenstellung in Wahrheit dennoch verunglückten Kunstwerke mich bis zur Vernichtung jeder Möglichkeit eines Widerspruchs überwältigt fand. Dieser neuen Symphonie ließ Berlioz im gleichen Winter noch Wiederaufführungen seiner »Sinfonie fantastique« und seines »Harald« folgen. Hatte ich in der »Sinfonie fantastique« namentlich den eingewobenen musikalischen Genre-Bildern, der »Harald«-Symphonie jedoch fast gänzlich in jeder Hinsicht mit staunender Ergriffenheit folgen können, so hatte die neueste Arbeit des wundersamen Meisters, seine »Trauersymphonie für die Opfer der Julirevolution«, welche er im vergangenen Sommer 1840 zur Feier der Beisetzung der Juligefallenen unter der Säule des Bastilleplatzes für eine ungeheure, auf das geistvollste von ihm kombinierte Militärmusik aufführte, mich vollends mit der Größe und Energie dieser in seiner Art einzigen und ganz unvergleichlichen Künstlernatur bekanntgemacht, ohne daß ich jedoch eine seltsame, tiefe und ernstliche Beklommenheit dem Totaleindruck dieser Erscheinung gegenüber hätte überwinden können. Es blieb mir eine Scheu wie vor etwas Fremden, mit welchem ich nie vollständig vertraut werden würde, zurück, und diese Scheu nahm den Charakter eines bedenkenvollen Nachsinnens darüber an, daß ich von einem größeren Berliozschen Werke mich ebenso hingerissen als zu Zeiten auch unleugbar abgestoßen, mitunter geradewegs gelangweilt fühlte. Das Problem, welches mich jahrelang Berlioz gegenüber in peinlicher Spannung erhielt, gelang mir erst in viel späterer Zeit mir klar zum Bewußtsein zu bringen und zu lösen.[202]
Gewiß war es, daß ich um jene Zeit mich schülerhaft klein neben Berlioz empfand; und so versetzte es mich denn in wahrhafte Verlegenheit, als Schlesinger jetzt den Erfolg meiner Novelle in einem mir günstigen Sinne auszubeuten beschloß und mich aufforderte, in einem großen, von der Redaktion der »Gazette musicale« zu gebenden Konzerte etwas für Orchester vor mir aufführen zu lassen. Ich begriff nämlich, daß keine meiner vorrätigen Kompositionen, weder nach der einen noch der andren Seite hin, hier vorteilhaft für mich am Platze sein würde. Meiner neuen »Faust-Ouvertüre« traute ich noch nicht, namentlich ihres zartausgehenden Schlusses wegen, der, wie mich dünkte, nur vor einem mir bereits befreundeten Publikum im Sinne des äußeren Erfolges Beachtung finden konnte. Da mir außerdem bedeutet wurde, daß nur ein Orchester zweiten Ranges – das damalige Valentinosche des Casinos der rue St. Honoré – und außerdem nur eine Probe mir zu Gebote stünden, glaubte ich nur die Wahl zu ersehen, entweder ganz abzustehen, oder es noch einmal mit meiner flüchtigen Jugendarbeit, jener Magdeburger »Kolumbus-Ouvertüre«, zu versuchen. Ich entschloß mich zu der letzteren. – Als ich mir die Orchesterstimmen dieser Ouvertüre von Habeneck, der sie noch im Archiv des Conservatoires verwahrte, zurückholte, warnte mich dieser trocken aber wohlmeinend vor der Gefahr, mit dieser Komposition vor das Pariser Publikum zu treten, da sie, wie er sich ausdrückte, zu »vague« sei. – Eine große Schwierigkeit war in betreff der Besetzung meiner sechs Trompeten zu überwinden, da dieses Instrument, welches den Deutschen so virtuosenhaft geläufig ist, in den Pariser Orchestern nur selten gut besetzt werden kann. Der Korrektor meiner Suiten für Cornet à piston, Herr Schiltz, schlug sich gutmütig in das Mittel; ich mußte die Anzahl der Trompeten auf vier reduzieren, von denen er mir jedoch versicherte, daß er für die gute Exekution sogar nur von zwei derselben stehen könnte. In der Probe machte mir denn auch diese Hauptressource meines Effektes sehr entmutigend zu schaffen; nicht einmal wurden die zarten hohen Stellen ohne Umschlagen des Tones geblasen. Außerdem, da ich nicht selbst dirigieren durfte, hatte ich mit einem chef d'orchestre zu tun, welchem ich es ansah, daß er mit inniger Überzeugung mein Werk für einen Unsinn hielt – eine Ansicht, die mir vom ganzen Orchester geteilt zu werden schien. Berlioz, welcher bei dieser Probe zugegen war, verhielt sich durchaus schweigsam; er ermutigte nicht, widerriet mir aber auch nicht, sondern bestätigte nur mit seufzendem Lächeln, daß es in Paris gar eine schwere Sache sei. Am Abend der Aufführung (4. Februar 1841) schien das Publikum, zum größten Teil aus Abonnenten der »Gazette musicale«, somit aus Kennern meiner Novelle bestehend, nicht ungünstig für mich gestimmt zu sein. Man versicherte mir auch, daß meine Ouvertüre, selbst wenn sie alle Welt gelangweilt hätte, dennoch gewiß applaudiert worden wäre, wenn nicht die unglücklichen Trompeter durch regelmäßiges Umschlagen des Tones auf der effektvollen zarten Note das Publikum, welches in Paris[203] gemeiniglich nur dem virtuosen Teile der Leistung, z.B. dem Glücken gewisser gefährlicher Tone, mit Aufmerksamkeit folgt, zu nur mühsam unterdrücktem Unwillen gereizt hätten. Ich verbarg mir nicht, daß ich durchgefallen sei, daß nach dieser Kalamität Paris für mich nicht mehr existiere und ich für jetzt nichts weiter zu tun habe, als in mein universelles Schlafzimmer mich von neuem zum Arrangement Donizettischer Opern einzuschließen.
Meine arbeitsvolle Weltentsagung war so groß, daß ich wie ein Büßer mir nicht mehr den Bart schor und ihn, zum Kummer meiner Frau, für das erste und einzige Mal in meinem Leben langwachsen ließ. Während ich alles geduldig ertrug, brachte mich nur ein Klavierspieler, welcher unmittelbar neben meinem Zimmer wohnte und fast den ganzen Tag Liszts Fantasie über »Lucia di Lammermoor« übte, zur wahren Verzweiflung. Um ihm auf meine Weise einen Begriff von den Qualen zu geben, die ich durch ihn litt, räumte ich eines Tages mein furchtbar verstimmtes Piano aus dem Salon in das Schlafzimmer, stellte es unmittelbar an die nachbarliche Wand, forderte Brix auf, seine Pikkolo-Flöte herbeizuholen und mir auf derselben die Ouvertüre zur »Favorite«, welche ich soeben für Klavier und Violine (oder Flöte) arrangiert hatte, zu begleiten. Die Wirkung hiervon scheint meinen Nachbarn, einen jüngeren Klavierlehrer, wahrhaft erschreckt zu haben; mir sagte die Concierge andren Tages, daß er soeben in eine andre Wohnung ziehe – was mich wiederum einigermaßen beschämte. – Dieselbe Frau unsres Concierge war zu uns in ein diskret beziehungsvolles Verhältnis getreten; wir hatten sie anfangs für die unerläßlichsten häuslichen Verrichtungen namentlich in der Küche, für das Reinigen der Kleider und des Schuhwerkes in beiläufigen Dienst genommen; endlich belästigte uns auch der geringe Lohn, den wir ihr hierfür zahlten, und Minna mußte die Demütigung auf sich nehmen, sie von ihren Hilfsleistungen zu entlassen, um fortan selbst die niedrigsten häuslichen Geschäfte ohne jede Beihilfe für sich zu übernehmen. Da wir unsrem Untermieter hiervon nichts zu wissen tun wollten, sah sich meine Frau, welche nicht nur selbst kochte, sondern auch das Geschirr aufwusch, sogar genötigt, die Stiefel unsres Gastes zu putzen. Hauptsächlich aber war uns nur die Beschämung, die wir vor unsrem Concierge empfanden, schwierig zu ertragen; doch hatten wir hierin Unrecht: diese Leute bezeigten uns mit gesteigerter Höflichkeit ihre Achtung, wogegen allerdings auch einige Vertraulichkeit mit unterfloß. So unterhielt mich der Mann öfter über Politik; als um jene Zeit die Quadruple-Alliance gegen Frankreich sich auftat und unter dem zeitweiligen Ministerium Thiers die Situation für sehr gespannt galt, beruhigte mich eines Tages mein Concierge mit den Worten: »Monsieur, ill y a quatre hommes en Europe qui s'appellent: le roi Louis Philippe, l'empereur d'Autriche, l'empereur de Russie, le roi de Prusse; eh bien, ces quatre sont des couillons; et nous n'aurons pas la guerre.«[204]
Des Abends blieb ich gewöhnlich nicht ohne Unterhaltung; nur mußten meine wenigen treuen Freunde sich daran gewöhnen, mit mir über die bis in die Nacht vor mir liegende Notenschreiberei hin sich zu vernehmen. Als der Silvesterabend des Jahres 1840 angebrochen war, ward ich in wahrhaft ergreifender Weise durch ein Rendez-vous, welches sie unter sich verabredet hatten, überrascht. Lehrs klingelte und kam mit einer großen Kalbskeule an; Kietz mit Rum, Zucker und Zitrone; Pecht mit einer Gans; Anders aber mit zwei Flaschen Champagner, dem Vorrat entnommen, welchen er dereinst von einem Instrumentenmacher für einen empfehlenden Artikel seiner Klaviere zum Geschenk erhalten hatte und der nun für feierliche Gelegenheiten von ihm verwahrt wurde. Jetzt warf ich denn die schmähliche »Favorite« beiseite und stürzte mich mit wahrhafter Begeisterung in das zu feiernde Freundschaftsfest. Alle mußten für die Zubereitung desselben helfen – zunächst den Salon zu heizen, der Frau in der Küche beizustehen und etwa Fehlendes vom Epicier zu holen. Das Souper verwandelte sich zum dithyrambischen Gelage; als nach dem Champagner noch der Punsch zu wirken begann, hielt ich eine emphatische Rede, die, weil sie die Freunde in unaufhörlichem Lachen unterhielt, nicht enden wollte und mich so hinriß, daß ich, der ich im gesteigerten Pathos mich bereits auf einen Stuhl gestellt hatte, endlich selbst den Tisch bestieg und von da herab das Evangelium der unsinnigsten Lehren der Weltverachtung mit Anpreisung der südamerikanischen Freistaaten meinen entzückten Zuhörern verkündete, welche endlich in lachendes Schluchzen sich verloren und schließlich von uns sämtlich beherbergt werden mußten, da ihr Nachhausegehen unmöglich geworden war. – Der Neujahrstag 1841 traf mich wieder in voller Bußübung bei meiner »Favorite«. Eines zweiten, wenn auch ungleich feierlicheren Festabends entsinne ich mich, durch den Besuch des berühmten Violinvirtuosen Vieuxtemps, zufällig eines Jugendbekannten Kietz', veranlaßt. Ich hatte die Freude, den damals in Paris sehr gefeierten jungen Künstler mit seiner Geige mich und meine Freunde einen ganzen Abend durch sein schönes Spiel unterhalten zu sehen, was meinem Salon ein ungewohnt bedeutsames Ansehen verlieh; für seine Freundlichkeit belohnte ihn Kietz, indem er ihn von meiner Wohnung bis in sein in der gleichen Straße gelegenes Hotel auf seinen Schultern reitend davontrug.
Ein harter Schlag traf mich im Beginn dieses Jahres infolge einer aus Unkenntnis der Pariser Regeln begangenen Versäumnis. Es war natürlich, daß wir nur den schicklichen Termin abgewartet hatten, um unsre Wohnung zu kündigen. Ich verfügte mich deshalb selbst in die Wohnung der Hauseigentümerin, einer jungen, sehr reichen Witwe, einem ihrer Hotels im »Marais«. Die Dame empfing mich verlegen, sagte mir, sie würde mit ihrem Intendanten über meine Kündigung sprechen, und wies mich an diesen. Schriftlich ward mir angezeigt, daß meine Kündigung nur annehmbar gewesen sein würde, wenn sie bis am Abend zuvor erfolgt wäre, und infolge[205] dieser Versäumnis ich mich genötigt sehen würde, laut unsrer kontraktlichen Stipulationen die Miete der Wohnung auch für ein zweites Jahr zu entrichten. Im höchsten Schrecken machte ich mich zu dem Intendanten meiner Hauseigentümerin selbst auf; hier ward ich nur mühsam vorgelassen, traf einen, wie es schien, durch schreckliche Krankheit gelähmten, regungslos ausgestreckten älteren Herrn und erhielt von ihm, nachdem ich unverhohlen meine ganze Lage auseinandergesetzt und ihn auf das herzlichste um Verwendung für die Entbindung von meinem Kontrakt angegangen hatte, keine andre Antwort, als daß es meine Schuld sei und nicht die seinige, daß ich einen Tag zu spät gekündigt habe, und ich dagegen sehen möchte, wie ich in Zukunft meine Miete auftriebe. – Mein Concierge, dem ich sehr erschüttert Bericht von diesem Auftritt gab, sagte mir beschwichtigend in betreff dieses Intendanten: »J'aurais pu vous dire cela, car voyez, monsieur, cet homme ne vaut pas l'eau qu'il boit.«
Dieses gänzlich unvorausgesehene Mißgeschick zerstörte alle Aussicht, die wir auf die Erlösung aus unsrer unhaltbaren Lage zu gewinnen uns bemüht hatten. Eine Zeitlang tröstete uns die Hoffnung, einen neuen Mieter zu finden. Sie erfüllte sich nicht; wir sahen mit Ostern das neue Mietjahr eintreten, ohne Rat zu finden. Endlich empfahl uns der Concierge eine fremde Familie, welche gesonnen sei, die ganze Wohnung mit Möbeln auf einige Monate uns abzumieten. Mit Freuden griffen wir zu diesem Mittel, um uns auf diesem Wege wenigstens die Erschwingung der nächsten Miettermine zu versichern, und hofften, wären wir nur einmal aus dieser Unglückswohnung fort, so würde sich auch der Weg zur gänzlichen Entledigung von derselben finden. So machten wir uns auf, in der Umgebung von Paris eine möglichst wohlfeile Sommerwohnung für uns aufzusuchen. Wir waren hierfür nach Meudon gewiesen und entschieden uns dort für ein Logis in der Avenue, welche Meudon mit dem nahegelegenen Bellevue verbindet. Rue du Helder wurde dem Concierge, welchen ich für alles bevollmächtigte, zur Aftervermietung übergeben, und wir richteten uns nun so gut es gehen wollte in unsrem zeitweiligen Asyle ein, in welchem wir für das nächste auch unsren alten Untermieter, den gutmütigen Flötenbläser Brix mit aufnehmen mußten, weil der Arme selbst in eine kritische Periode getreten war und beim Ausbleiben seiner Geldmittel in größte Verlegenheit geraten sein würde, wenn er gerade jetzt von der Teilnahme an unsrem Hausstand ausgeschlossen worden wäre. Am 29. April fand sonach diese notdürftige Übersiedelung statt, welche in Wahrheit nur eine Flucht aus dem Unmöglichen in das Unbegreifliche war; denn wovon wir diesen Sommer leben sollten, davon hatten wir keine Ahnung, da Schlesinger versiegt war und nach keiner Seite irgendein neuer Quell sich eröffnete.
Mir schien nichts als journalistische Arbeit übrigzublieben, die, so wenig gewinnreich sie war, mir doch einzig zugleich einigen Erfolg verschafft hatte. Für die »Gazette musicale« hatte ich noch im vergangenen Winter[206] einen größeren Aufsatz über Webers »Freischütz« geliefert, welcher auf die damals bevorstehende Aufführung desselben in der Großen Oper, mit der Zutat der Berliozschen Rezitative, vorbereiten sollte. Es scheint, daß ich mit diesem Aufsatze zunächst Berlioz' Abneigung mir zuzog. Ich hatte nicht umhin gekonnt, auf das so Mißliche des Vorhabens aufmerksam zu machen, gerade dieses, der Form nach auf dem älteren Singspiel begründete Werk durch Zutaten, welche seine ursprünglichen Dimensionen gänzlich entstellen müßten, dem luxuriösen Repertoire jenes Theaters einzureihen. Entsprach auch der Erfolg vollständig meiner Voraussicht, so waren die bei dieser Unternehmung Beteiligten mir deshalb nicht minder übelgesinnt. Eine fast schmeichelhafte Genugtuung erhielt ich aber dadurch, daß mein Artikel die Beachtung der berühmten G. Sand auf sich gezogen hatte. Eine sagenhafte Erzählung aus dem französischen Provinzial-Leben leitete sie mit dem Versuch ein, gewisse Zweifel über die Fähigkeit der Franzosen, das sagenhafte, mystische Volkselement, welches ich dem »Freischütz« vorzüglich vindizierte, in seiner Eigentümlichkeit zu erfassen, abzuwehren; wobei sie eben auf meinen Aufsatz Bezug nahm. – Eine neue Veranlassung zu journalistischer Tätigkeit erwuchs mir aus meinen Bemühungen für die Annahme des »Rienzi« in Dresden. Der dortige Theatersekretär, der bereits genannte Winkler, berichtete mir eingehend über den Stand dieser Angelegenheit; in seiner Eigenschaft als Herausgeber der damals bereits sehr gesunkenen »Abendzeitung« ergriff er aber auch die Gelegenheit, in mir einen Gratis-Korrespondenten für sein Blatt zu bekommen, indem er mich zu häufigen Mitteilungen für dasselbe aufforderte; wollte ich nun von ihm etwas über die Annahme meiner Oper erfahren, so mußte ich ihn durch Einsendung einer Korrespondenz dazu willig zu machen suchen. Da sich diese hoftheatralische Negoziation in eine ungemessene Länge zog, entstanden bei dieser Gelegenheit zahlreiche Korrespondenzen von mir aus Paris, wobei ich in eine wunderliche Verlegenheit geriet, da ich seit länger mich auf mein Schlafzimmer zurückgezogen hatte und gänzlich ohne Wahrnehmung von Paris blieb.
Mit dieser Entfernthaltung von allem Pariser künstlerischen wie sozialen Scheinwesen hatte es eine ernstere Bewandtnis. Teils meine notvollen Erlebnisse, teils aber auch der in meinem ganzen Bildungsgange innerlichst vorbereitete Ekel vor demjenigen künstlerischen und geselligen Treiben, welches früher mir so überwältigend anziehend vorgekommen war, hatten mich mit wahrhaft erschreckender Schnelligkeit von jeder Berührung mit ihm zurückgetrieben. Noch die Aufführung der »Hugenotten«, welche ich hier zum erstenmal erlebte, hatte mich zwar sehr geblendet; das schöne Orchester, die außerordentlich sorgsame und wirkungsreiche Szenierung gaben mir einen berauschenden Vorgeschmack der bedeutenden Möglichkeiten, zu denen so sicher ausgebildete Kunstmittel verwendet werden könnten. Sonderbarerweise zog es mich aber nicht an, öfteren Wiederholungen[207] solcher Aufführungen beizuwohnen; in der Manier der Sänger fand ich bald die Karikatur heraus und vermochte es, meine Freunde durch Nachahmung der neuesten Pariser Gesangsmoden und ihrer geschmacklosen Übertreibungen in ergötzlicher Weise zu unterhalten. Daß auch die Komponisten selbst, welche mit der Ausbeutung dieser Modelächerlichkeiten sich wiederum ihre Erfolge sicherten, endlich meiner spottenden Kritik verfallen mußten, war nicht zu verhindern. Daß endlich ein so seichtes, an sich wirklich sogar unfranzösisches Machwerk wie die Donizettische »Favorite« dieses sonst so stolze Theater längere Zeit vollständig in Beschlag nahm, erschöpfte in mir die letzte Geduld, mit welcher ich mir noch Achtung vor den Leistungen dieses »ersten lyrischen Theaters der Welt« zu erhalten bemüht gewesen war. Ich glaube, während der ganzen Zeit meines Pariser Aufenthalts nicht über viermal in der großen Oper gewesen zu sein. Die »Opéra Comique« hatte mich sofort, sowohl der eigentümlichen Kälte der dort herrschenden Darstellungsweise als der so großen Verschlechterung der in ihr gepflegten Musik wegen, zurückgestoßen. Dieselbe Kälte trieb mich von den Leistungen der Sänger der italienischen Oper zurück. Die meist sehr berühmten Namen dieser Künstler, welche seit langen Jahren beständig gewisse vier Opern sangen, konnten mich für den wahrgenommenen Mangel jeder selbst gemeinen theatralischen Wärme, welche ich doch so ungemein bei den Leistungen der Schröder-Devrient genossen hatte, nicht entschädigen. Ich sah wohl ein, daß hier eben alles im Verfall begriffen sei, empfand zugleich aber weder Hoffnung noch Verlangen, das Verfallende neubelebt wiedererstehen zu sehen. – Mehr gefielen mir die kleineren Theater, welche mir das französische Talent in seinem rechten Lichte zeigten; nur war ich durch mein eignes Streben zu sehr auf das Aufsuchen von Anknüpfungspunkten für meine innere Teilnahme angewiesen, als daß ich zu der bloßen müßigen Beobachtung mir gänzlich unsympathischer Vorzüge befähigt gewesen wäre. Außerdem waren vom Beginn an meine Sorgen und Nöte so überwältigend und das Bewußtsein von der Fruchtlosigkeit meiner Pariser Unternehmung wurde in mir so deutlich, daß ich bald sogar jede Aufforderung, dies oder jenes mir anzusehen, mit Unwillen oder Gleichgültigkeit von mir wies. Mehrere Male schickte ich Billetts zum »Theatre français« für die Aufführungen der Rachel zum großen Leidwesen Minnas zurück und sah überhaupt dieses berühmte Theater nur später einmal im geschäftlichen Interesse meines korrespondenzbedürftigen Dresdener Protektors.
Um diesem die Spalten seiner »Abendzeitung« zu füllen, verfuhr ich in wahrhaft unverschämter Weise, indem ich, was mir Anders und Lehrs, welche selbst nie etwas erlebten, des Abends teils aus Zeitungen, teils aus Table-d'hòte-Gesprächen erzählten, in der Weise zusammenstellte und durch die in neuer Zeit durch die Heinesche Manier im Journalstil herrschend gewordene Mode pikant herzurichten suchte, so daß ich wirklich nicht anders[208] glaubte, als mein guter Hofrat Winkler würde eines Tages hinter das Geheimnis meiner Pariser Weltkenntnis geraten müssen. – Auch einen größeren Aufsatz über die stattgehabte Aufführung des »Freischütz«, welche ihn als Vormund der Weberschen Kinder insbesondere interessierte, hatte ich ihm freiwillig für sein verfallenes, von niemand mehr gelesenes Blatt geliefert. Da er mir versicherte, er werde nicht eher ruhen, als bis er mir die bestimmtesten Versicherungen für die Annahme des »Rienzi« verschafft habe, sandte ich ihm im überschwenglichen Dank auch noch das deutsche Original meiner Beethoven-Novelle zu. Der Jahrgang 1841 dieser bei Arnold in Dresden erschienenen, jetzt gänzlich untergegangenen Zeitschrift enthält den einzigen Abdruck dieser Manuskripte.
Ein weiteres Feld einer vorübergehenden literarischen Tätigkeit betrat ich, durch die Aufforderung Lewalds, des Herausgebers der belletristischen Monatsschrift »Europa« veranlaßt. Dieser war der erste, der überhaupt meinen Namen gelegentlich dem Publikum genannt hatte; da seiner eleganten und eine Zeitlang ziemlich verbreiteten Zeitschrift, wie ich damals schon bemerkt hatte, auch musikalische Beilagen gegeben wurden, hatte ich bereits von Königsberg ihm zwei Kompositionen, um sie auf diesem Wege zu veröffentlichen, zugesandt. Diese waren ein von mir in Musik gesetztes melancholisches Gedicht von Scheuerlin »Der Knabe und der Tannenbaum« (eine Arbeit, die ich noch jetzt gern mein nenne) und mein famoses Karnevals-Lied aus dem »Liebesverbot«. Als ich jetzt auf den Gedanken kam, in gleicher Weise meine kleinen französischen Gesangskompositionen vor das Publikum zu bringen, und Lewald deshalb das »Dors mon enfant«, die Hugosche »Attente« und »Mignonne« von Ronsard übersandte, gewährte er mir mit der Aufnahme derselben nicht nur ein kleines Honorar – das erste, das ich für eine Komposition von mir erhielt –, sondern er forderte mich auch auf, ihm in größeren, möglichst unterhaltenden Aufsätzen meine Eindrücke von Paris mitzuteilen. So schrieb ich für sein Blatt »Pariser Amusements« und »Pariser Fatalitäten«, in welchen beiden Aufsätzen ich, mit Benutzung der Heineschen Manier, unter allerhand Wendungen meine Enttäuschungen über Paris, meine Verachtung vor seinem Treiben in launige Darstellung brachte. Zu dem zweiten Aufsatze benutzte ich außerdem die Schicksale eines gewissen Hermann Pfau, eines sonderbaren Taugenichtses, der mir aus meiner schlimmsten Leipziger Jugendzeit genauer als wünschenswert bekannt geworden war und sich nun seit dem Beginn des vergangenen Winters längere Zeit als Vagabund in Paris herumtrieb, wobei ich mich seines schrecklich verwahrlosten Zustandes wiederholt auf Kosten der Erträge meiner Favoriten-Arbeiten zu erbarmen hatte. Es war daher eine Art von ökonomischer Gerechtigkeit, die ich übte, als ich seine Pariser Abenteuer zu einer Darstellung für das Lewaldsche Blatt benutzte und auf diese Art mir einige Franken zurückgewann.
Eine andre Wendung nahm dagegen die literarische Tätigkeit, zu welcher[209] ich durch meine Verhandlungen mit dem Direktor der Großen Oper Léon Pillet veranlaßt wurde. Nach langer Bemühung hatte ich endlich erfahren, daß dieser an meinem Entwurfe zum »Fliegenden Holländer« Gefallen gefunden habe; er eröffnete mir dies zugleich mit dem Antrage, ihm diesen Entwurf abzutreten, da er genötigt sei, verschiedenen Komponisten infolge bestehender Verpflichtungen dergleichen Sujets für kleinere Opern zuzuweisen. Nun suchte ich mündlich und brieflich Pillet davon zu überzeugen, daß er die Ausführung und Komposition mit Aussicht auf Erfolg doch einzig nur von mir zu erwarten habe, da ich ja hier erst auf meinem wahren Felde sei, auf welches ich ihn durch Mitteilung eines dichterischen Entwurfes, der ihm gefallen habe, erst nur geleitet hätte. Hier halfen nun aber keine Gründe; der Direktor sah sich genötigt, mit größter Aufrichtigkeit mir zu erklären, welche Bewandtnis es mit den Aussichten habe, welche durch Meyerbeers Empfehlung an ihn ich mir eröffnet zu haben glaubte: an einen Auftrag der Komposition selbst einer kleinen Oper sei unter keinen Umständen vor sieben Jahren zu denken, da bis dahin die bereits eingegangenen Verpflichtungen der Direktion reichten; ich möchte daher vernünftig sein, gegen eine billige Entschädigung meinen Entwurf an einen von ihm zu wählenden »Auteur« abzutreten, und wollte ich durchaus schon bald mein Glück als Komponist bei der Großen Oper versuchen, so riet er mir, den Ballettmeister zu sprechen, um mich mit diesem über ein etwa einzulegendes Pas zu verständigen. Da ich dies letztere mit unverhohlenem Ekel zurückwies, überließ er mich geduldig meinem Trotze, bis ich, nach unendlich langen vergeblichen Bemühungen, den zugleich als Redakteur der »Gazette musicale« mir befreundet gewordenen Kommissar der k. Theater, Edouard Monnaie, um seine Vermittlung anging. Dieser, der meinen Entwurf bei dieser Gelegenheit kennenlernte, versicherte mir unverhohlen, daß er nicht begriffe, wie Pillet daran Gefallen habe finden können; da er nun aber einmal – wie er vermute zu seinem großen Schaden – dafür eingenommen sei, so riet er mir, doch ja nur jeden Vorteil, den man mir für die Abtretung meines Entwurfes bieten würde, eiligst anzunehmen, weil ihm bekannt geworden sei, daß derselbe bereits Herrn Paul Foucher, einem Schwager Victor Hugos, zur Ausführung als »Libretto« übergeben worden sei, und dieser außerdem behaupte, der Entwurf enthalte für ihn gar nichts Neues, da das Sujet des Vaisseau fantôme ja auch in Frankreich genügend bekannt sei. Nun merkte ich, woran ich war, erklärte meine Bereitwilligkeit, dem Wunsche des Herrn Pillet zu willfahren, und wohnte einer Konferenz mit Herrn Foucher bei, in welcher unter besondrer Verwendung des Herrn Pillet mein Entwurf auf 500 Franken geschätzt wurde, welche als Vorschuß auf die droits d'auteur des zukünftigen Dichters von der Theaterkasse mir ausgezahlt wurden.
Nun erhielt mein Sommer-Asyl in der Avenue. de Meudon einen bestimmten physiognomischen Ausdruck: mit diesen 500 Franken mußte dort[210] der »Fliegende Holländer« sofort von mir in Dichtung und Musik für Deutschland ausgeführt werden, während ich das »Vaisseau fantôme« seinem französischen Schicksale überließ.
Mit dem Abschlusse meines Geschäftes hatte ich zugleich meiner bis dahin immer hilfloser bedrängten Lage etwas aufgeholfen. Die Monate Mai und Juni hatten wir unter beständig sich steigernden Nöten zugebracht. Die schöne Jahreszeit, die erheiternde Landluft, das Gefühl der Befreiung von der schmachvollen musikalischen Lohnarbeit, unter welcher ich den Winter zugebracht, hatten zunächst zwar hoffnungsvoll anregend auf mich gewirkt und die kleine Kunstnovelle »Ein glücklicher Abend«, welche in fransischer Übersetzung in der »Gazette musicale« erschien, mir eingegeben. Bald aber stellten sich die Folgen dieser Entblößung von allen Hilfsmitteln in wahrhaft mutraubender Härte bei uns ein. Mit eigentümlicher Bitterkeit wurde diese von uns empfunden, als, durch unsre Übersiedelung angeregt, meine Schwester Cäcilie ihren Mann zur Nachfolge dahin vermocht und dicht neben uns eine Sommerwohnung bezogen hatte. Wenn auch nicht in glänzenden, so doch in sicheren Verhältnissen, wohnten diese Verwandten nachbarlich uns zur Seite, gingen von Haus zu Haus täglich mit uns um, ohne daß wir es für gut hielten, sie je mit unsren grenzenlosen Verlegenheiten bekannt zu ma chen. Diese steigerten sich eines Tages in allerbitterster Weise. Da wir gänzlich ohne Geld waren, machte ich mich mit Tagesanbruch zu Fuß – denn ein Platz auf der Eisenbahn war nicht zu bezahlen – nach Paris auf, um dort den ganzen Tag über, von Straße zu Straße mich schleppend, der Möglichkeit, fünf Franken aufzutreiben, nachzujagen, bis ich am späten Nachmittage, ohne auch nur den mindesten Erfolg erzielt zu haben, wiederum auf die qualvolle Fußreise nach Meudon zurück mich zu begeben genötigt war. Als ich Minna, welche mir entgegenkam, dieses schlimme Resultat eröffnete, meldete sie mir zu ihrer Verzweiflung, daß auch noch der vorher erwähnte Hermann Pfau im jammervollsten Zustand, um nur einen Imbiß zu gewinnen, sich zu uns geflüchtet hätte; sie habe ihm bereits das letzte am Morgen vom Bäcker uns gelieferte Brot überlassen müssen. Immerhin blieb uns nun noch die Hoffnung, daß mein Untermieter Brix, welcher durch sonderbare Schicksale jetzt zu unsrem Unglücksgenossen geworden, von seinem gleichfalls am Morgen unternommenen Streifzug nach Paris mit jedenfalls einigem Erfolg doch zurückkehren müßte. Endlich kam auch dieser schweißtriefend und erschöpft zurück, von dem Bedürfnisse einer Mahlzeit getrieben, welche er sich in der Stadt nicht hatte verschaffen können, da er nicht einen der von ihm aufgesuchten Bekannten angetroffen hatte; flehentlich bat er nur um ein Stück Brot. Die so gesteigerte Situation begeisterte endlich meine Frau; sie hielt sich berufen, wenigstens gegen den Hunger der Männer rettend anzukämpfen. Zum ersten Male auf französischem Boden ward der Bäcker, der Fleischer und Weinhändler unter plausiblen Vorwänden ohne sofortige bare Bezahlung für das Nötige in Beschlag[211] genommen, und Minnas Auge strahlte, als sie nach einer Stunde ein von ihr zubereitetes treffliches Mahl uns vorsetzen konnte, bei dem wir zufällig von der Familie Avenarius angetroffen wurden, welche ersichtlich sich beruhigt fühlte, uns in so wohlversorgter Lage zu finden.
Dieser äußersten Bedrängnis machte nun mit Anfang Juli für einige Zeit der Verkauf meines »Fliegenden Holländers«, somit mein letzter Verzicht auf Pariser Erfolge, ein Ende. – Solange die 500 Franken reichten, war mir Luft zur Ausführung meines Werkes gegönnt. Die erste Ausgabe davon war für die Miete eines Pianos, da ich ein solches seit längeren Monaten gänzlich entbehrt hatte. Es sollte dazu dienen, in mir zunächst nun wieder den Glauben zu beleben, daß ich noch Musiker sei, nachdem ich seit dem Herbst des vergangenen Jahrs nur als Journalist und Opernarrangeur meinen Geist geübt hatte. Das Gedicht des »Fliegenden Holländers«, welches ich noch in den zuletzt überstandenen Nöten schnell ausgeführt hatte, erregte namentlich Lehrs' große Teilnahme; er erklärte geradesweges, ich würde nie etwas Besseres machen, der »Fliegende Holländer« würde mein »Don Juan« werden. Nun galt es, Musik dazu zu finden. Als ich am Ausgange des verlebten Winters noch hoffte, dieses Sujet für die französische Oper bearbeiten zu dürfen, hatte ich bereits einige lyrische Bestandteile desselben poetisch und musikalisch ausgeführt, sie von Emile Deschamps übersetzen lassen und zu einer verhofften Audition bestimmt, bis zu welcher es jedoch eben nie kam. Dies waren: die Ballade der Senta, das Lied der norwegischen Matrosen und der Spuk-Gesang der Mannschaft des »Fliegenden Holländers«. Seitdem war ich so gewaltsam der Musik entfremdet worden, daß ich nun, als das Klavier in meiner Sommerwohnung ankam, einen Tag lang mich gar nicht es zu berühren getraute. Ich hatte wirklich die Furcht, dahinterkommen zu müssen, daß mir nichts mehr einfallen könnte – als mir plötzlich war, ich hätte noch das Lied des Steuermanns im ersten Akt vergessen aufzuzeichnen, obwohl ich mich wiederum nicht entsann, es bereits entworfen zu haben, da ich soeben ja auch erst die Verse davon gemacht hatte. Dies gelang nun und gefiel mir. Ähnlich erging es mit dem »Spinnerlied«; und da ich denn nun diese beiden Stücke aufgeschrieben hatte und mir bei genauer Überlegung sagen mußte, daß sie mir wirklich soeben erst eingefallen wären, ward ich über diese Entdeckung ganz unsinnig vor Freude. – In sieben Wochen wurde die ganze Musik des »Fliegenden Holländers« bis auf die Instrumentation ausgeführt.
Da lebte denn alles auf; meine übermütig gute Laune setzte alles in Erstaunen, und namentlich meine Verwandten Avenarius hielten sich nun für überzeugt, daß es mir wirklich sehr gut gehen müsse, da mit mir ein so heitrer Umgang zu pflegen wäre. Ich machte meine weiten Spaziergänge in den Wald von Meudon, wo ich mich sogar dazu verstand, oft Minna Pilze suchen zu helfen, was für sie leider den Hauptreiz unserer Waldeinsamkeit bildete und unsren Hauswirt, wenn er uns mit der Beute heimkehren sah,[212] mit Entsetzen erfüllte, weil er behauptete, wir würden uns durch den Genuß der Pilze vergiften. Mein Schicksal, welches mich fast immer in das Abenteuerliche führte, hatte mich auch hier das wunderlichste Original auffinden lassen, was jedenfalls nicht nur in der Umgegend von Meudon, sondern auch von Paris anzutreffen war. Dies war Herr Jadin, zwar so alt, daß er sich noch die Marquise von Pompadour in Versailles erinnern wollte gesehen zu haben, dabei aber von der unglaublichsten Rüstigkeit. Er selbst schien es darauf abzusehen, die Welt in bezug auf sein wirkliches Alter in einer steten Aufregung zu halten; wie er sich alles selbst verfertigte, hatte er sich auch eine große Anzahl von Perücken hergerichtet, welche sich in den verschiedensten Nuancen vom jugendlichen Blond bis auf das würdigste Weiß erstreckten, dazwischen grau, angenehm meliert, und diese trug er abwechselnd je nach Laune. Da er alles trieb, war ich erfreut, ihn besonders auf Malerei versessen zu finden. Daß er alle Wände seiner Zimmer mit den kindischsten Karikaturen aus der Tierwelt behängt, ja selbst, daß er nach außen seine Stores auf das lächerlichste mit Gemälden versehen hatte, störte mich nicht im mindesten, da ich im Gegenteil hierdurch in der Annahme bestärkt wurde, daß er keine Musik triebe; bis ich zu meinem Schreck dahinterkam, daß wunderbar verstimmte Harfenklänge, welche aus einer unerklärlichen Region zu mir drangen, aus seiner Souterrain-Wohnung herkamen, wo er zwei Harfen-Klaviere seiner Erfindung stehen hatte, welche zu spielen, wie er mir sagte, er leider lange vernachlässigt habe, wogegen er nun fleißig sich wieder darauf einüben wolle, um mir Freude zu machen. Es gelang mir jedoch, ihn davon abzubringen, als ich ihn versicherte, der Arzt habe mir die Harfe als nervenschädlich verboten. – Als eine Erscheinung wie aus der Hoffmannschen Märchenwelt ist er mir, wie ich ihn zum letzten Male sah, in Erinnerung geblieben. Als wir im Spätherbst wieder nach Paris zogen, bat er uns, auf unsrem Gepäckwagen ein kolossal ungeheures Ofenrohr mitzunehmen, welches er bald bei uns abholen würde. An einem sehr kalten Tage erschien nun wirklich Jadin in unsrer neuen Pariser Wohnung, und zwar in einem höchst frivolen, eigenhändig verfertigten Kostüme, bestehend aus ganz dünnen hellgelben Beinkleidern, aus einem sehr kurzen hellgrünen Frack mit außerordentlich langen Schößen, weit heraushängendem Spitzenjabot und Manschetten, hellblonder Perücke und einem so kleinen Hut, daß er ihm beständig vom Kopfe fiel; dazu eine Unmasse unechter Bijouterie, und dies alles in der unverhohlenen Annahme, daß er sich in dem eleganten Paris nicht so einfach wie auf der Campagne behelfen könne. So erbat er sich das Ofenrohr; wir frugen ihn, wo er die Leute habe, es ihm zu tragen; lächelnd äußerte er sein Erstaunen über unsre Unbehilflichkeit, faßte das kolossale Ofenrohr unter den Arm und verweigerte durchaus, unsre Hilfe anzunehmen, als wir ihm beistehen wollten, es durch die Treppe hinunterzubringen, welches Manöver eine volle halbe Stunde lang seine trotzige Geschicklichkeit[213] in Anspruch nahm; das ganze Haus lief darüber zusammen; er ließ sich jedoch nicht irremachen, brachte sein Rohr richtig zur Haustür hinaus und schwebte mit elegantem Gang das Trottoir entlang, bis er uns auf immer entschwand.
Ich kann aus der kurzen und doch so inhaltsvollen Periode, in welcher ich nun, ganz in meinem Innersten mir angehörend, der Tröstung reinen künstlerischen Schaffens mich hingab, nichts andres berichten, als daß ich, ihrem Ende mich nähernd, so weit gediehen war, der vorausgesehenen ungleich längeren Periode der Störung und der Not jetzt mit heitrer Fassung entgegenzusehen. Diese trat denn auch mit großer Genauigkeit ein; denn gerade nur bis zum Schluß der letzten Szene gelangte ich, als meine 500 Franken zu Ende gingen; nicht mehr aber reichten sie auch zur Sicherung der nötigen Ruhe für die Komposition der Ouvertüre aus; diese mußte ich bis zum Eintritt einer neuen günstigen Wendung meiner Lage verschieben und für jetzt, unter Zeit und Ruhe raubenden Bemühungen aller Art, von neuem zum Kampf um das nackte Dasein mich aufmachen. – Der Concierge der rue du Helder meldete sich bei uns mit der Nachricht, daß die heimliche Familie, welche bisher unsre Wohnung uns abgemietet hatte, wieder ausgezogen sei und daß wir jetzt wieder für den Mietzins aufzukommen hätten. Ich mußte nun erklären, in keinem Falle mich um die Wohnung mehr bekümmern zu wollen und dagegen es dem Hausbesitzer zu überlassen, durch den Verkauf unseres zurückgebliebenen Mobiliars sich zu entschädigen. Dies wurde denn unter den empfindlichsten Verlusten aller Art vermittelt, und das Mobiliar, für welches ich noch den größten Teil der Bezahlung schuldete, ward für die Miete einer von uns nicht mehr benutzten Wohnung dahingegeben.
Unter den unsäglichsten Entbehrungen suchte ich es immer noch möglich zu machen, so viel freie Zeit zu behalten, daß ich die Instrumentation meiner Komposition des Holländers ausarbeiten konnte. Die rauhe Herbstwitterung trat ausnahmsweise frühzeitig ein, aus allen Sommerwohnungen zog man nach Paris zurück, so auch die Familie Avenarius. Nur wir konnten nicht daran denken, weil wir die Mittel zu dieser Übersiedlung nicht aufzutreiben vermochten. Ich gab dem hierüber betroffenen Herrn Jadin vor, mit meiner Arbeit gedrängt zu sein und jede Unterbrechung, selbst trotz der empfindlichen Kälte der leicht gebauten Wohnung, vermeiden zu müssen. So wartete ich auf Erlösung durch einen früheren Bekannten in Königsberg, Ernst Castell, einen jungen vermögenden Kaufmann, welcher uns vor kurzem in Meudon aufgesucht, nach Paris zu einem schwelgerischen Gastmahl entführt und uns versprochen hatte, uns baldigst durch einen, wie wir wußten, ihm leicht fallenden Vorschuß aus unsrer üblen Lage zu befreien. Um in unsrer ungemütlichen Verlassenheit uns zerstreuende Gesellschaft zu leisten, kam eines Tags Kietz mit seiner großen Zeichenmappe und einem Bettkopfkissen unter dem Arm zu uns heraus; er wollte an einer[214] mich und meine Pariser Leiden darstellenden großen Karikatur zu unsrer Belustigung arbeiten, und für die Erholung davon sollte das Kopfkissen auf unsrem harten Kanapee, auf welchem er keine Erhöhung für den Kopf bemerkt hatte, ausreichen. Da er wußte, daß uns die Beschaffung von Feuerungsmaterial schwierig war, brachte er einige Flaschen Rum mit, um für die kalten Abende uns durch Punsch einzuheizen; ich las ihm und meiner Frau bei solchen Gelegenheiten Hoffmannsche Geschichten vor. Endlich traf die Nachricht aus Königsberg ein, welche mich darüber belehrte, daß der junge Wüstling sein Versprechen nicht im Ernst gemeint hatte. Nun starrten wir gänzlich hilflos in den kalten Nebel des herannahenden Winters hinein. Da aber erklärte Kietz, jetzt sei es seine Sache, Hilfe zu schaffen; er packte seine Mappe ein, steckte das Kopfkissen dazu unter den Arm und zog so nach Paris ab, um andern Tages mit 200 Francs zurückzukehren, welche er sich in aufopfernder Weise zu verschaffen gewußt hatte. Sogleich machten wir uns auf, um in Paris uns eine kleine Wohnung zu mieten, welche wir in der Nähe unsrer Freunde, in einem Hintergebäude des Hauses Nr. 14 der rue Jacob, fanden. Später erfuhr ich, daß kurze Zeit nach uns Proudhon dieselbe Wohnung innegehabt habe.
So gelangten wir am 30. Oktober wieder in die Stadt zurück. Unsre sehr kleine und kalte Wohnung, welche besonders der letzten Eigenschaft wegen unsrer Gesundheit leider nachteilig wurde, richteten wir mit dem wenigen, was wir aus unsrem Schiffbruch der rue du Helder gerettet, notdürftig ein, um hier den Erfolg meiner Bemühungen für die Annahme und Aufführung meiner Arbeiten in Deutschland abzuwarten. Zunächst galt es, um jeden Preis mir auf die kurze Zeit, welche ich auf die Ouvertüre des »Fliegenden Holländers« zu verwenden hatte, Ruhe zu verschaffen; ich erklärte Kietz, daß er bis zur Vollendung dieses Tonstücks und der Absendung der fertigen Partitur der Oper das nötige Geld für meinen Haushalt herbeischaffen müßte. Mit Hilfe eines peinlichen Onkels, welcher ebenfalls als Maler seit lange in Paris ansässig war, gelang es ihm, mir 10- und 5-Franken-weise die nötigen Subsidien zuzustellen. Ich zeigte um diese Zeit häufig mit heitrem Stolze meine Stiefel, welche endlich buchstäblich nur noch eine Scheinbekleidung für meine Füße abgaben, da die Sohlen zuletzt vollständig verschwanden.
Solange ich noch mit dem »Holländer« beschäftigt war und Kietz für mich sorgte, hatte das nichts zu sagen, denn ich ging einfach nicht aus; mit der Absendung meiner vollendeten Partitur an die Berliner Hoftheater-Intendanz anfangs Dezember war nun aber die Bitterkeit der Lage nicht länger zu versüßen; ich mußte mich selbst aufmachen, um Hilfe herbeizuschaffen. Was dies in Paris hieß, lernte ich um eben jene Zeit an dem jammervollen Schicksal des vortrefflichen Lehrs kennen. Von einer ähnlichen Not, wie ich sie vor einem Jahr um dieselbe Zeit zu überstehen hatte, gedrängt, war er im verflossenen Sommer an einem glühend heißen Tage[215] gezwungen gewesen, die verschiedensten Quartiere der Stadt atemlos zu durchlaufen, um für die auf ihn lautenden verfallenen Wechsel Stundung zu erhalten. Ein verzweifelter kalter Trunk, mit dem er sich während der Qual zu erfrischen suchte, nahm ihm sofort die Sprache, und er verfiel von diesem Tage an einer Heiserkeit, welche die wohl in ihm verborgenen Keime der Schwindsucht mit erschreckender Schnelle durch Entwickelung der unheilbaren Krankheit förderte. Seit Monaten in zunehmender Schwäche begriffen, erfüllte er uns endlich mit der düstersten Sorge; nur er glaubte, der vermeintliche Katarrh würde endlich schon weichen, wenn er nur gerade jetzt sein Zimmer besser heizen könnte. Eines Tages suchte ich ihn in seiner Wohnung auf, fand ihn in sich zusammengesunken in der eiskalten Stube vor seinem Arbeitstisch, und er beklagte sich, daß ihm die Arbeit für Didot so schwerfiele, was ihm um so peinlicher sei, da er von diesem der erhaltenen Vorschüsse wegen gedrängt werde. Er sagte, wenn er nicht die Annehmlichkeit hätte, in so traurigen Stunden an dem Gedanken sich zu erfreuen, daß ich doch wenigstens meinen »Holländer« fertigbekommen hätte und somit für den kleinen Freundeskreis doch eine Hoffnung auf Gelingen sich eröffne, so würde ihm das Elend wohl schwer zu ertragen sein. In meinem großen Leid beschwor ich ihn, sich doch wenigstens unsres Kaminfeuers mit zu bedienen und bei mir zu arbeiten; er lächelte nur über meine Verwegenheit, noch auf Hilfe für andre bedacht zu sein, und dies noch dazu in einem Zimmer, wo ich mit meiner Frau kaum den nötigen Platz fand. Nun kam er aber eines Abends zu uns und teilte sprachlos mir einen Brief des damaligen Kultus-Ministers Villemain an ihn mit, worin dieser in den wärmsten Ausdrücken sein großes Bedauern bezeigte, soeben vernommen zu haben, daß ein so ausgezeichneter Gelehrter, dessen geistvolle und umfassende Mitarbeit an der Didotschen Herausgabe der griechischen Klassiker ihn jedenfalls zum Teilhaber an einem der Nation zum Ruhm gereichenden Werke mache, bei stark angegriffener Gesundheit in bedrängter Lage sich befinde. Leider gestattete die Höhe der zu Unterstützungen für gelehrte Zwecke ihm zugewiesenen Fonds in diesem Augenblick nur, ihm die Summe von 500 Franks anzubieten, welche er mit der Bitte, sie als Anerkennung seiner Verdienste seitens der französischen Regierung nicht verschmähen zu wollen, diesem Schreiben beifüge, indem er sich jedenfalls vorbehalte, auf eine gründlichere Besserung seiner Lage ernstlichen Bedacht zu nehmen. – Dies kam uns allen, wie es uns des armen Lehrs willen mit dankbarster Rührung erfüllte, außerdem wie ein bestaunenswertes Wunder vor; hatten wir auch anzunehmen, daß Herr Villemain durch Didot, welchen sein schlechtes Gewissen wegen der schmählichen Ausbeutung unsres Freundes zugleich mit der Rücksicht, auf diese Weise selbst einer Hilfeleistung für Lehrs entbunden zu werden, angetrieben hatte, hierzu veranlaßt worden war, so mußten wir doch aus bisher uns bekannt gewordenen Analogien, die sich durch meine späteren Erfahrungen vollkommen[216] bestätigten, uns die Ansicht bilden, daß solche liebenswürdig bezeugte und prompt wirkende Teilnahme eines Ministers in deutschen Landen undenklich sei. Lehrs konnte sich wieder einheizen und arbeiten, leider aber uns über den Verfall seiner Gesundheit nicht beruhigen. Als wir im folgenden Frühjahr von Paris schieden, machte namentlich die Gewißheit, den treuen Freund nicht wiederzusehen, unsren Abschied sehr schmerzlich.
In eigner großer Not hatte ich den Ärger, wiederum stark Gratis-Korrespondenz für die »Abendzeitung« schreiben zu müssen, da mein Gönner Hofrat Winkler mir immer noch keine vollständig genügende Auskunft über das Schicksal meines »Rienzi« in Dresden geben zu können glaubte. Unter solchen Umständen mußte ich es für ein Glück halten, daß endlich wieder eine Halévysche Oper Glück machte. Schlesinger stellte sich freudestrahlend über den Erfolg der »Reine de Chypre« ein und verhieß mir das Paradies für die Anfertigung des Klavierauszuges und verschiedener Arrangements des neuaufgegangenen Operngestirns. Da saß ich wieder und büßte die Schuld, meinen »Fliegenden Holländer« komponiert zu haben, durch Einrichtung der Halévyschen Oper ab. Doch kam mir diese Arbeit nun leichter an. Außer daß ich bereits berechtigte Hoffnung auf gänzliche Erlösung aus meiner Pariser Verbannung fassen durfte und somit diesen letzten Kampf mit der Not als einen entscheidenden ansehen zu dürfen glaubte, war denn doch auch das Befassen mit einer Halévyschen Partitur eine unvergleichlich interessantere Lohnarbeit als die schmachvolle Bemühung um die Donizettische »Favorite«. Nach langer Zeit besuchte ich, um diese »Reine de Chypre« zu hören, auch einmal wieder das Theater der Großen Oper; hatte ich auch bereits vieles zu belächeln und entging mir die große Schwäche des ganzen Genres und namentlich seiner oft sehr karikierten Vortragsweise nicht mehr, so freute ich mich doch aufrichtig, Halévy, den ich von seiner »Jüdin« her sehr liebgewonnen und von dessen kräftigem Talent ich eine sehr günstige Meinung mir gebildet hatte, diesmal nach seiner bessern Seite hin wiedererkennen zu dürfen. Von Schlesinger dazu aufgefordert, ließ ich mich auch gern in einem breiteren Artikel für sein Blatt über die neueste Arbeit Halévys aus. Ich gab hierin besonders meinem Wunsche Nachdruck, daß die französische Schule ihre durch das Studium der Deutschen gewonnenen Vorzüge nicht wieder dem Rückfall in die seichte italienische Manier hingeben möchte. Bei dieser Gelegenheit unterstand ich mich, eben um die französische Schule zu ermutigen, auf die eigentümliche Bedeutung Aubers und namentlich seiner »Stummen von Portici« hinzuweisen, um dagegen auf die überladene Melodie Rossinis, welche einem Solfeggio oft nicht unähnlich sähe, aufmerksam zu machen. Bei der Durchlesung der Korrektur meines Aufsatzes gewahrte ich, daß dieser Passus über Rossini ausgelassen war; Herr Edouard Monnaie bekannte mir, daß er in der Eigenschaft als Redakteur einer musikalischen Zeitung zu[217] dieser Unterdrückung sich genötigt gesehen habe, da er finden müsse, daß, wenn ich irgendeinen Zweifel an Rossini auszudrücken hätte, ich dies nach Belieben in jeder Art von Journal veröffentlichen könnte, nur nicht in einem dem Interesse der Musik gewidmeten, weil man dort einfach so etwas nicht sagen könnte, ohne absurd zu erscheinen. Daß ich Aubers mit Auszeichnung gedacht, war ihm zwar auch ärgerlich, doch ließ er es stehen. Ich hatte mir hieraus manches zu entnehmen, was mich für alle Zeiten über den Verfall der Opernmusik und hiermit in Verbindung im allgemeinen über den Verfall des Kunstgeschmackes bei den heutigen Franzosen orientierte. – Über dieselbe Oper schrieb ich auch einen größeren Artikel für meinen kostbaren Freund Winkler in Dresden, welcher immer nicht mit der definitiven Annahme meines »Rienzi« herausrücken wollte. Hierbei machte ich mich namentlich über ein dem Kapellmeister Lachner begegnetes Unglück lustig. Der damalige Münchner Theaterintendant Küstner hatte nämlich für seinen Freund, um es denn doch einmal mit ihm zu etwas Rechtem zu bringen, bei St. Georges in Paris einen Operntext bestellt, somit das höchste Glück, welches einem deutschen Komponisten zu träumen war, in väterlicher Sorge seinem Schützlinge zugewandt. Nun fand es sich, als die von Halévy komponierte »Reine de Chypre« erschien, daß diese dasselbe Sujet, wie das bereits von Lachner nun ebenfalls komponierte, vermeintliche Originalwerk enthielt. Daß es sich hierbei etwa nur um einen wirklich guten Operntext gehandelt hätte, fiel nicht ins Gewicht, sondern der Wert des Kaufes bestand darin, daß es eine nur von der Lachnerschen Musik allein verklärte Dichtung sein sollte. Nun fand sich denn gar aber auch, daß St. Georges das nach München gesandte Buch allerdings einigermaßen abgeändert hatte, jedoch nur dadurch, daß mehrere interessante Züge darin ausgelassen blieben. Die Wut des Münchener Intendanten hierüber war groß; wogegen St. Georges darüber erstaunt war, daß jener sich hatte einbilden können, er würde für den erbärmlichen Preis, um welchen die deutsche Bestellung bei ihm gemacht worden war, einen einzig nur für das deutsche Theater bestimmten Text liefern. Da ich nun bereits auch über dieses französische Operntextwesen zu meiner besondren Ansicht gelangt war und mich schon damals nichts in der Welt vermocht haben würde, das allereffektvollste Stück von Scribe oder St. Georges in Musik zu setzen, so ergötzte mich dieser Vorfall ganz besonders, und in bester Laune ließ ich mich für die Leser der »Abendzeitung«, zu denen hoffentlich mein späterer »Freund« Lachner nicht gehörte, darüber aus.
Nebenbei führte mich die Beschäftigung mit seiner Oper nun auch näher mit Halévy selbst zusammen und verschaffte mir mit dem eigentümlich gutartigen, leider zu früh erschlafften, wirklich anspruchslosen Manne manche erheiternde Unterhaltung. Schlesinger war nämlich über dessen grenzenlose Trägheit außer sich. Halévy, der meinen Klavierauszug durchgesehen, beabsichtigte mehrere Veränderungen zum Zwecke der Erleichterung;[218] er kam aber damit nicht vorwärts; Schlesinger konnte der Korrekturbogen nicht wieder habhaft werden, fand sich in der Herausgabe gehemmt und fürchtete, die Oper möchte ihren Erfolg wieder verlieren, noch ehe sie zur Versendung fertig sei. So drang er denn in mich, Halévy am frühesten Morgen bereits in seiner Wohnung festzuhalten und ihn so zu nötigen, die Änderungen gemeinschaftlich mit mir vorzunehmen. Das erste Mal kam ich des Vormittags um 10 Uhr bei Halévy an, traf diesen eben dem Bett entstiegen und wurde von ihm bedeutet, daß er nun doch erst frühstücken müsse. Seiner Einladung folgend, setzte ich mich mit ihm zu einem ziemlich üppigen Diner nieder; meine Unterhaltung schien ihn anzusprechen; Freunde kamen hinzu, endlich auch Schlesinger, welcher in Wut ausbrach, jenen nicht mit den ihm so nötig dünkenden Korrekturen beschäftigt zu sehen, was Halévy keineswegs aus der Fassung brachte. In gutmütigster Laune beklagte er einzig, einmal wieder einen Erfolg gehabt zu haben, wogegen er sich nie größerer Ruhe erfreut hätte, als wenn, wie zuletzt fast ohne Unterbrechung, seine Opern durchgefallen wären, worauf er jedesmal des andren Tages dann nicht mehr das mindeste damit zu tun gehabt hätte. Auch schien er nicht zu begreifen, warum gerade diese »Reine de Chypre« gefallen habe; er meinte, diesen Erfolg habe Schlesinger arrangiert, um ihn nun quälen zu können. Als Halévy mit mir einiges deutsch sprach, verwunderte sich einer der anwesenden Besucher hierüber, worauf Schlesinger erklärte: die Juden könnten alle deutsch sprechen. Bei dieser Gelegenheit wurde auch Schlesinger befragt, ob er Jude sei, worauf dieser erklärte, er sei es gewesen, wäre aber Christ geworden um seiner Frau willen. Mich setzte diese unbefangene Unterhaltung über einen Punkt, welchem wir in ähnlichen Fällen unter Deutschen als für den Betreffenden beleidigend ängstlich auswichen, in ein angenehmes Erstaunen. Da es bei alledem aber nicht zur Beschäftigung mit den Korrekturen kam, so verpflichtete mich nun Schlesinger, unausgesetzt Halévy so lange auf dem Nacken zu bleiben, bis wir damit zu Ende seien. Das Geheimnis von Halévys Gleichmut gegen seine Erfolge wurde mir im Verlauf unserer ferneren Unterhaltung offenbar, als ich erfuhr, daß er im Begriff stehe, eine reiche Heirat zu machen. War ich zuerst geneigt, hierin nur das schmähliche Bekenntnis zu ersehen, daß bloß der Eifer, sich Vermögen zu machen, in der Jugend Talente wie das seinige kräftig anzufeuern vermöchte, und schien mir hierin eine Erklärung dessen zu liegen, daß so häufig nur einmal ein wirklich über das Unbedeutende sich erhebendes Kunstwerk von ihnen hervorgebracht wird, so lag außerdem in Halévys Behandlung der Sache einerseits ein eigentümliches Gemisch von Bescheidenheit in betreff seiner Leistungen, indem er annahm, er sei einmal keiner von den Großen, als andrerseits auch ein Ausdruck des Unglaubens an die Echtheit desjenigen, was bei andauerndem Ehrgeiz von glücklicheren Autoren um jene Zeit für das französische Theater geschaffen wurde. In ihm traf ich somit zum ersten Male das naiv ausgesprochene[219] Bekenntnis des Unglaubens an den wahren Wert aller unsrer modernen Kunstleistungen auf diesem bedenklichen Kunstgebiete an, welcher, nur leider nicht mit solcher Bescheidenheit ausgedrückt, seitdem mir als Vorwand zur Berechtigung zu ihrer Mitwirkung an unsrem Kunstwesen bei allen Juden aufgegangen ist. Nur einmal sprach Halévy in herzlichem Ernste zu mir, nämlich als er mir bei meiner endlichen Abreise nach Deutschland den Erfolg für meine Werke wünschte, den ich ihm zu verdienen schien. – Im Jahre 1860 sah ich ihn noch einmal. Ich hatte erfahren, daß er, während die Pariser Feuilletonisten über meine damals gegebenen Konzerte sich auf das erbittertste ausließen, sich wohlwollend über mich geäußert habe, was mich bestimmte, ihn im Palais de l'Institut, dessen Sécrétaire perpétuel er seit längerer Zeit geworden war, zu besuchen. Er schien besonders neugierig zu sein, von mir Auskunft darüber zu erhalten, worin die neue Theorie, welche ich über die Musik aufgestellt habe und worüber er so tolles Zeug hörte, bestehen möge; denn, so versicherte er, er habe in meiner Musik eben nur Musik erkannt, bloß mit dem Unterschied von anderer, daß sie ihm zumeist sehr gut vorgekommen wäre. Es gab dies zu heiteren Erörterungen meinerseits Veranlassung, auf welche er mit gutem Humor einging, von neuem nun auch zu Pariser Erfolgen mir Glück wünschend; nur geschah dies mit wenigerem Ernste, als da er mich damals nach Deutschland entließ, was ich mir aus seinem Zweifel an der Möglichkeit von Pariser Erfolgen für mich erklärte. Ich nahm von diesem letzten Besuche im ganzen den betrübenden Eindruck von der moralischen wie ästhetischen Erschlaffung eines der letzten bedeutenden französischen Musiker mit und erkannte demgegenüber nur noch die herrschende Gleisnerei oder offenbar freche Ausbeutung der allgemeinen Versunkenheit bei allen denen, die man als Halévys Nachfolger bezeichnen konnte. –
Während dieser abermaligen Lohnarbeit war bereits mein ganzes Sinnen auf die Rückkehr nach Deutschland, welches mir jetzt in einem durchaus neuen, idealen Lichte erschien, gerichtet. Dem, was mich hierbei anzog und mein Gemüt mit Sehnsucht erfüllte, suchte ich in verschiedener Weise beizukommen. Im allgemeinen hatte schon der Umgang mit Lehrs mich meiner früheren Richtung auf ernsteres Erfassen der Gegenstände, von welcher eine Zeitlang ich durch meine nahe Berührung mit dem Theater abgelenkt war, mit warmer Neigung wieder zugewendet. Hieraus bildeten sich selbst Grundlagen zu einem näheren Befassen mit philosophischen Gegenständen. Es überraschte mich, von dem so strengen und reinen Lehrs gelegentlich unverhohlen, und als ob dies sich ganz von selbst verstünde, die persönliche Fortdauer nach dem Tode in bedenklichsten Zweifel gezogen zu sehen. Er behauptete, daß diese, wenn auch nur stillschweigende Annahme die eigentliche Triebfeder zu großen Taten bei bedeutenden Menschen gewesen sei. Was sich an diese Annahme als weitere Folge knüpfte, dämmerte mir bald auf, ohne mich jedoch mit bangen Schauern zu erfüllen; vielmehr empfand[220] ich eine höchst anregende Verlockung darin, ein unermeßliches Gebiet des Nachsinnens und der Erkenntnis vor mir erschlossen zu sehen, an welchem ich bisher nur mit leichtsinniger Gedankenlosigkeit hinangestreift war. – Vor der Bemühung, mich den griechischen Klassikern in der Ursprache wieder zuzuwenden, brachte mich Lehrs mit dem wohlwollenden Troste ab, daß ich, wie ich nun einmal sei, und namentlich mit meiner Musik in mir, hier auch ohne Grammatik und Lexikon mir zu der mir nötigen Erkenntnis verhelfen würde; wogegen das Griechische, um es mit wahrem Genuß zu treiben, kein Spaß sei und sich nicht nebenher abmachen ließe.
Dagegen zog es mich lebhaft an, mit der deutschen Geschichte mich näher, als dies auf der Schule der Fall gewesen war, bekannt zu machen. Zunächst war mir Raumers Geschichte der Hohenstaufen zur Hand; alle großen Gestalten, denen ich da begegnete, lebten leibhaftig vor mir auf, und namentlich fesselte mich der geistvolle Kaiser Friedrich der Zweite, dessen Schicksale meine höchste Teilnahme erweckten und welche darzustellen ich vergeblich die geeignete künstlerische Form suchte; wogegen mir in dem Schicksale seines Sohnes Manfred ein eher zu bewältigendes Widerspiel von dem Wesen nach ziemlich gleicher Bedeutung aufging. Ich entwarf demnach den Plan zu einer größeren fünfaktigen dramatischen Dichtung, welche vollkommen sich zugleich für musikalische Komposition eignen sollte. Die Anregung zu der Erfindung einer weiblichen Hauptfigur von höchst romantischer Bedeutung entnahm ich der geschichtlichen Tatsache, daß der von jeder Seite verratene, von der Kirche geächtete und von allem Anhange verlassene jugendliche Manfred auf seiner Flucht durch Apulien und die Abruzzen von den Sarazenen in Luceria enthusiastisch aufgenommen, unterstützt und von Sieg zu Sieg bis zu seinem Triumphe geleitet wurde. Schon damals erfreute es mich, im deutschen Geiste die Anlage zu erblicken, welche über die engeren Schranken der Nationalität zu einem Erfassen des rein Menschlichen in jedem fremden Gewande hinleitet und ihn mir so dem griechischen Geiste verwandt erscheinen ließ. In Friedrich II. zeigte sich mir die Blüte dieser Anlage; der blonde Deutsche aus altschwäbischem Stamm, als Erbe des normannischen Reiches von Sizilien und Neapel, der italienischen Sprache ihre erste Ausbildung gebend, den Grund zur Entwickelung der Wissenschaften und Künste dort legend, wo bisher nur kirchlicher Fanatismus und feudale Roheit miteinander im Kampfe waren, an seinem Hofe die Dichter und Weisen der orientalischen Reiche, die Anmut arabischer und persischer Elemente des Lebens wie des Geistes um sich vereinigend – er, der zum Ärger des römischen Klerus seinen Kreuzzug, auf welchem er von diesem an den ungläubigen Feind verraten wurde, durch einen Friedens- und Freundschaftsabschluß mit dem Sultan beendigte, welcher in Palästina den Christen alle Vorteile gewährte, wie sie kaum der blutigste Sieg hätte gewinnen können – dieser wundervolle Kaiser erschien mir nun, im Bann derselben Kirche und endlich im trostlos vergeblichen[221] Kampfe gegen die wütende Beschränktheit seines Jahrhunderts, als der höchste Ausdruck des deutschen Ideals. Meine Dichtung befaßte sich mit dem Schicksale seines Lieblingssohnes Manfred, welcher, da nach dem Tode seines älteren Bruders des Vaters Reich vollkommen zerfallen war, unter päpstlicher Oberhoheit im scheinbaren Besitz der Gewalt über Apulien gelassen wurde. Wir treffen ihn in Capua in einer Umgebung und im Genuß einer Hofhaltung, in welcher der Geist seines großen Vaters in fast verweichlichender abgeschwächter Form fortlebte. Er ist verzweifelt an der Möglichkeit der Wiederherstellung der hohenstaufischen Kaisermacht und sucht als Dichter und Sänger seinen Unmut hierüber zu vergessen. In diesen Kreis tritt nun eine soeben aus dem Morgenlande angekommene jugendliche Sarazenin, welche mit der Berufung auf den Bund, den das Morgen- und Abendland durch Manfreds großen Vater geschlossen, den in Unmut versinkenden Sohn auffordert, das Erbe des Kaisers zu bewahren. Sie gebärdet sich stets als begeisterte Prophetin und weiß den bald in Liebe entbrannten Königssohn in sehnsüchtig ehrerbietiger Ferne von sich zu halten. Den Nachstellungen verschworener apulischer Großer, sowie den Wirkungen eines jetzt über ihn verhängten Bannspruches des Papstes, welcher ihn seiner Lehen entsetzt, weiß sie, immer in der Ferne ihm voranschreitend, ihn durch eine kühn geleitete Flucht zu entziehen; von wenigen Getreuen gefolgt, führt sie ihn durch die wildesten Gebirge, in welchen eines Nachts dem Ermüdeten der Geist Friedrichs II., mit seinem Heerbann über die Abruzzen dahinziehend, erscheint, um ihn nach eben jenem Luceria zu führen. Dorthin, im Kirchenstaate, hatte Friedrich die bis dahin in den Gebirgen Siziliens furchtbar hausenden Reste der früheren sarazenischen Herrschaft durch friedliche Übereinkunft verpflanzt, indem er diese Stadt, zum höchsten Ärger des Papstes, ihnen mit vollkommenem Besitzrechte einräumte und so in ihnen, mitten im stets verräterischen Feindeslande, sich treuer Bundesgenossen versicherte. Dort hat Fatima (so hieß meine Heldin) durch getreue Freunde die Aufnahme Manfreds vorbereitet, welcher nun, nachdem der päpstliche Befehlshaber der Stadt durch einen Aufruhr beseitigt ist, unter dem Tor sich in die Stadt schleicht, von der ganzen Bevölkerung als des geliebten Kaisers Sohn erkannt und mit wildem Enthusiasmus an ihre Spitze gestellt wird, um sie gegen die Feinde ihres geschiedenen Wohltäters zu führen. Während nun Manfred, von Sieg zu Sieg fortschreitend, das ganze apulische Reich sich gewinnt, blieb das von mir erfundene Verhältnis des von immer ungestümerer Liebessehnsucht erfüllten Siegers zu der wunderbaren Heldin der tragische Mittelpunkt der Handlung. Sie ist dem Liebesbunde des großen Kaisers mit einer edlen Sarazenin entsprossen; die Mutter hatte sie sterbend zu Manfred entsandt und ihr geweissagt, sie werde zu dessen Erhöhung Wunder wirken, wenn sie nie in Liebe sich ihm ergebe: (ob Fatima wissen solle, daß sie Manfreds Schwester sei, ließ ich bei dem Entwurfe des Planes noch unentschieden.) Ihrem Gelübde[222] getreu, beschloß sie, wie sie stets Manfred sich nur in entscheidenden Augenblicken und in unnahbarer Weise gezeigt hatte, jetzt, da sie mit seiner Krönung in Neapel ihr Werk als vollendet ansah, heimlich für immer dem Gesalbten zu entweichen, um einzig aus der fernen Heimat auf ihr gelungenes Werk zurückzublicken. Ein sarazenischer Jugendgefährte, Nurreddin, durch dessen Hilfe sie hauptsächlich Manfreds Rettung vollführte, soll sie einzig zurückbegleiten. Dieser, dem sie in frühester Jugend versprochen war, der sie mit verzehrendem Feuer liebt und dem sie nun mit wehmütiger Resignation anzugehören sich gelobt hat, entbrennt über scheinbare Anzeichen der Untreue seiner Braut, da sie vor ihrer heimlichen Abreise noch einmal dem schlummernden König segnend genaht war, in wütender Eifersucht. Der Blick, welchen Fatima dem von der Krönung zurückkehrenden jungen Könige aus der Ferne zum letzten Abschied zuwirft, entflammt den Eifersüchtigen zur augenblicklichen Rache seiner vermeintlich geopferten Ehre; er stößt die Prophetin nieder, welche ihm ob dieser Erlösung von einem ihr unmöglichen Dasein mit Lächeln dankt. Manfred erkennt bei dem Anblick ihrer Leiche, daß nun das Glück für immer von ihm geschieden.
Ich hatte diesen Stoff mit vielen reichen Szenen und verwickelten Situationen ausgestattet, so daß ich ihn in seiner Ausführung, sobald ich ihn mit andren mir bekannten Sujets ähnlicher Art zusammenhielt, für ziemlich stichhaltig, interessant und effektvoll halten durfte. Dennoch konnte ich mich nie genügend dafür erwärmen, um ernstlich an seine Ausführung zu denken; wogegen nun ein andrer Stoff mich auf das allerinbrünstigste einnahm. Diesen hatte mir ein zufällig mir in die Hand geratenes Volksbuch vom »Venusberg« eingegeben.
Hatte ich im unwillkürlichen Drange dem, was ich als »deutsch« mit immer innigerer Wärme sehnsüchtig zu erfassen suchte, mich immer mehr zugewandt, so ging mir dies hier plötzlich in der einfachen, auf das bekannte alte Lied vom »Tannhäuser« begründeten Darstellung dieser Sage auf. Zwar kannte ich alle zu ihr gehörigen Elemente bereits durch Tiecks Erzählung in seinem Phantasus; doch hatte mich diese Fassung des Gegenstandes mehr auf das phantastische, früher durch Hoffmann in mir begründete Gebiet zurückgeführt, und keineswegs hätte ich dieser vollständig ausgebildeten Erzählung den Stoff zu einer dramatischen Arbeit zu entnehmen mich verleitet fühlen können. Was allerdings dem Volksbuch sogleich nach dieser Seite hin ein großes Übergewicht bei mir gab war, daß »Tannhäuser« hier, wenn auch nur durch sehr flüchtige Beziehung, mit dem »Sängerkrieg auf Wartburg« in Verbindung gesetzt war. Auch diesen kannte ich bereits durch eine Hoffmannsche Erzählung in dessen »Serapionsbrüdern«; nur fühlte ich, daß der alte Stoff hier sehr entstellt dem Dichter aufgegangen war, und suchte nun mir näheren Aufschluß über die echte Gestalt dieser anziehenden Sage zu verschaffen. Da brachte mir Lehrs ein Jahresheft der[223] Königsberger Deutschen Gesellschaft, in welchem Lukas den »Wartburgkrieg« kritisch näher behandelte, namentlich auch den Text davon in der Ursprache gab. Trotzdem ich von dieser echten Fassung für meine Absicht materiell so gut wie gar nichts benutzen konnte, zeigte er mir doch das deutsche Mittelalter in einer prägnanten Farbe, von welcher ich bis dahin keine Ahnung erhalten hatte.
In demselben Hefte fand ich nun aber auch, und zwar als Fortsetzung des Wartburggedichtes, ein kritisches Referat über das Gedicht vom »Lohengrin«, und zwar mit ausführlicher Mitteilung des Hauptinhalts dieses breitschweifigen Epos.
Eine ganz neue Welt war mir hiermit aufgegangen, und fand ich zunächst noch nicht die Gestalt, in welcher ich auch den »Lohengrin« hätte bewältigen können, so lebte doch nun auch dieses Bild unverlöschlich in mir fort, so daß ich bei späterem Bekanntwerden mit den Zweigen der Lohengrinsage dieses Bild schnell mit gleicher Deutlichkeit in mir beleben konnte, wie jetzt zunächst mit dem »Tannhäuser« es der Fall war.
Es steigerte sich unter diesen Eindrücken auf das lebhafteste meine Sehnsucht, nun bald nach Deutschland zurückkehren und dort mich der neu zu gewinnenden Heimat in schöpferischer Ruhe erfreuen zu können. – Noch aber durfte ich an das Befassen mit so lieben Arbeiten nicht denken; noch war die gemeine Not, die mich in Paris zurückhielt, zu bekämpfen. Indem ich dies tat, fand ich doch auch hierbei Gelegenheit, mich bereits in dem mir entsprechenderen Sinne zu üben. Herr Dessauer, ein vielen bekannt gewordener, besonders aber durch seine Hypochondrie seinen Bekannten unvergeßlich gewordener, nicht geistloser jüdischer Musiker und Komponist, welchen ich schon in meiner frühesten Jugendzeit in Prag kennengelernt hatte und welcher nun als vermögender Mann von Schlesinger in der Weise protegiert wurde, daß dieser ernstlich vorhatte, ihm zu einem Auftrage für die Große Oper zu verhelfen – dieser Dessauer hatte das Gedicht meines »Fliegenden Holländers« kennengelernt und bestand jetzt darauf, daß ich ihm ein ähnliches Sujet entwerfen sollte, da das »Vaisseau fantôme« von Herrn Léon Pillet bereits dessen Chordirektor, Herrn Dietsch, zum Komponieren übergeben war. Dessauer hatte von dem selben Direktor die Zusage eines gleichen Auftrages erhalten und versprach mir jetzt 200 Franken für die Überlassung eines ähnlichen Entwurfes, welcher seinem hypochondrischen Temperamente entspräche. Diesmal plünderte ich meine Hoffmannschen Erinnerungen und verfiel mit leichter Mühe auf die Bearbeitung der »Bergwerke von Falun«. Wirklich gelang mir die Bildung dieses anziehenden wunderlichen Stoffes vollkommen nach Wunsch, und auch Dessauer war davon überzeugt, daß dieses Sujet sich der Mühe verlohne, von ihm komponiert zu werden; desto größer war sein Leidwesen, als Pillet unsern Entwurf aus dem Grunde zurückwies, weil die schwierige Inszenesetzung, namentlich des zweiten Aktes, unübersteigliche Verlegenheiten für das[224] jedesmal darauf zu gebende Ballett herbeigeführt haben würde. Nun wünschte Dessauer, ich möchte ihm dafür ein Oratorium »Maria Magdalena« dichten. Da er an dem Tage, wo er mir diesen Wunsch eröffnete, gerade von besondrer Hypochondrie erfüllt war, indem er behauptete, er habe am Morgen seinen eigenen Kopf vor seinem Bette liegen gesehen, so schlug ich ihm seine Bitte nicht ab; bat mir aber Zeit aus, welche ich mir leider bis auf den heutigen Tag nehmen zu müssen gestimmt blieb. – –
Unter solchen Diversionen verging endlich dieser Winter, während langsam und geduldprüfend meine Aussichten für Deutschland sich allmählich einer hoffnungerweckenden Gestaltung näherten. Unausgesetzt hatte ich mit Dresden wegen des »Rienzi« korrespondiert und schließlich namentlich in dem wackren Chordirektor Fischer daselbst einen redlichen und wohlgesinnten Mann gefunden, welcher mir zuverläßliche und vertrauenerweckende Mitteilungen über den Stand meiner Angelegenheit machte. Nachdem im Anfang Januar 1842 mir von abermaligen Verzögerungen gemeldet worden war, erhielt ich endlich die Nachricht, daß »Rienzi« bis Ende Februar zur Aufführung fertig sein sollte, was mich in wahre Unruhe versetzte, da ich um diese Zeit die Reise dorthin nicht zu ermöglichen glaubte. Auch diese Nachricht ward bald aber widerrufen, und der ehrliche Fischer berichtete mir, daß meine Oper bis auf den Herbst des Jahres habe verschoben werden müssen. Ich erkannte wohl, daß sie nie gegeben werden würde, wenn ich nicht selbst in Dresden zugegen sein könnte. Da nun endlich im März auch vom Grafen Redern, dem Intendanten der k. Theater in Berlin, die Annahme meines »Fliegenden Holländers« für die dortige Oper mir gemeldet wurde, so glaubte ich mich nun genügend veranlaßt, um jeden Preis meine Rückkehr nach Deutschland baldigst auszuführen.
Mit dem »Fliegenden Holländer« hatte ich bereits verschiedene Erfahrungen in betreff der Gesinnung der deutschen Theaterdirektionen gemacht. Auf das Sujet, welches dem Direktor der Pariser Oper bereits so sehr gefallen hatte, mich verlassend, hatte ich das Gedicht zunächst an den Direktor des Leipziger Theaters, den mir bereits von früher her bekannten Ringelhardt, eingesandt. Dieser nährte aber seit meinem »Liebesverbot« eine unverhohlene Abneigung gegen mich. Da er nun diesmal gegen die »Frivolität« meines Stoffes unmöglich etwas einzuwenden haben konnte, stieß er sich vielmehr an dessen zu düstrem Ernst und verweigerte die Annahme. Da ich Herrn Hofrat Küstner, den damaligen Intendanten des Münchener Hoftheaters, bei Gelegenheit seiner Bestellung der »Königin von Cypern« in Paris kennengelernt hatte, schickte ich nun das Buch des »Fliegenden Holländers« an diesen mit der gleichen Bitte ein. Mit der Versicherung, daß es sich für deutsche Theaterverhältnisse und den Geschmack des deutschen Publikums nicht eigne, sandte auch er es mir zurück. Da er ein französisches Libretto für München bestellt hatte, begriff ich, was diese Belehrung zu bedeuten habe. – Als endlich die Partitur fertig geworden, schickte[225] ich sie, mit einem Brief für den Grafen Redern, an Meyerbeer nach Berlin und bat diesen, da er mit dem besten Willen mir in Paris zu nichts hatte verhelfen können, nun seinen Einfluß in Berlin für mein Werk unmittelbar geltend machen zu wollen. Über die wirklich prompte und mit sehr wohlwollenden Versicherungen begleitete Annahme meines Werkes von seiten des Grafen, wie sie nach zwei Monaten bereits erfolgte, war ich wirklich überrascht und herzlich erfreut und ersah darin ein Zeichen der wahrhaftigen und energischen Teilnahme Meyerbeers für mich. Sonderbarerweise mußte ich, bald darauf nach Deutschland zurückgekehrt, erfahren, daß Graf Redern bereits seit längerer Zeit seinen Rücktritt von der Intendanz der Berliner Operntheater in Aussicht genommen hatte und Herr Küstner aus München seine Stellung einzunehmen schon berufen war; woraus sich denn ergab, daß die Zusage des Grafen Redern an mich wohl sehr höflich, aber keineswegs ernstlich gemeint gewesen, da die Ausführung desselben nicht ihm, sondern seinem Nachfolger zugeschoben war. Was daraus erfolgte, wird sich zeigen.
Was schließlich die so sehr ersehnte und nun durch gute Aussichten gerechtfertigte Rückkehr nach Deutschland mir ermöglichte, war die endlich wach gewordene Teilnahme der vermögenderen Glieder meiner Familie für meine Lage. Hatte Herr Didot seine Gründe gehabt, den Minister Villemain zur Unterstützung für Lehrs anzugehen, so fand auch mein Pariser Schwager Avenarius vom Innewerden des Charakters meines Kampfes gegen die Not sich bestimmt, durch Intervention bei meiner Schwester Luise mich eines Tages mit einer sehr unerwarteten Hilfe zu überraschen. Am 26. Dezember des ablaufenden Jahres 1841 war ich es, der diesmal mit einer Gans zu Minna nach Hause kam, und diese Gans trug ein 500-Franks-Billett im Schnabel, welches durch Vermittelung meiner Schwester Luise seitens eines ihr befreundeten sehr reichen Kaufmanns Schletter mir eben von Avenarius zugestellt war. Die angenehme Belebung unseres ungemein dürftigen Hausstandes würde jetzt vielleicht nicht allein mehr im Stand gewesen sein, mich herzlich froh zu stimmen, wenn ich nicht zugleich die Aussicht, gänzlich meiner Pariser Lage mich zu entwinden, auf diese Weise mir immer deutlicher eröffnet gesehen hätte. Da ich nun wirklich Zusagen für die Aufführung zweier meiner Werke von bedeutenden deutschen Theatern erhalten hatte, glaubte ich jetzt im Ernst auch meinen Schwager Friedrich Brockhaus, welcher im vergangenen Jahre, als ich in höchster Not mich an ihn gewandt, mich wegen »Unübereinstimmung mit meiner Lebensrichtung« zurückgewiesen hatte, mit besserem Erfolg für die Vermittelung meiner Rückkehr angehen zu können. Ich täuschte mich nicht; und als die Zeit herannahte, ward ich von dieser Seite auch mit dem nötigen Reisegeld versehen.
Unter solchen Aussichten und bei solcher Besserung meiner Lage verbrachte ich bereits den zweiten Teil des Winters von Neujahr 1842 an in[226] gutgelaunter Stimmung, welche oft dem kleinen Kreise, der durch meine Verwandtschaft mit Avenarius sich um mich bildete, zugute kam. Ich fand mich mit Minna öfter bei dieser sowie bei einigen andren Familien, unter welchen ich die des Leiters einer Privat-Erziehungsanstalt, Herrn Kühne nebst Frau, mit guter Erinnerung erwähne, zu Abendbesuchen ein und trug sowohl durch meine Unterhaltung als durch den guten Humor, mit welchem ich am Klavier Tänze, nach denen getanzt wurde, improvisierte, so viel zum günstigen Ausfall solch kleiner Soireen bei, daß ich im Begriff stand, mich hier bald einer fast lästigen Beliebtheit erfreuen zu sollen. – Endlich schlug die Stunde der Erlösung; der Tag erschien, an welchem ich, wie ich von ganzem Herzen gern annahm, für immer Paris den Rücken kehren durfte. Es war am 7. April; Paris prangte bereits im ersten üppigen Keimen des Frühlings. Vor unsren Fenstern, welche auf einen im Winter zuvor so öde erscheinenden Garten hinausgingen, grünten die Bäume und sangen die Vögel. Groß, ja überwältigend war die Rührung beim Abschied von unsren armen treuen Freunden Anders, Lehrs und Kietz. Auch Anders schien uns dem nahen Tode verfallen, da seine Gesundheit bei bereits eingetretenem Alter in bedenklicher Weise angegriffen war. Über Lehrs, wie ich bereits erwähnte, konnte gar keine Täuschung nunmehr stattfinden, und es war mir grauenvoll, an einer so kurzen Erfahrung von nur zwei und einem halben Jahre, wie sie Paris mich gekostet hatte, die Verwüstungen zu ersehen, welche die Not unter guten, edlen und zum Teil selbst bedeutenden Menschen anrichtete. Kietz, für dessen Zukunft ich weniger aus Gesundheitsrücksichten, sondern lediglich aus moralischem Bedenken in Sorge geraten war, rührte uns wiederum durch seine grenzenlose, fast kindische Gutmütigkeit. Er bildete sich nämlich ein, ich könnte doch etwa nicht genug Reisegeld haben, und drang mir, trotz aller Widerrede, durchaus noch ein Fünf-Franken-Stück auf, ungefähr den Rest seines eigenen Vermögens des Augenblicks; er steckte mir auch ein Paket guten französischen Schnupftabaks noch in die Wagentasche der Diligence, in welcher wir endlich über die Boulevards nach den Barrieren hin entführt wurden, von denen wir diesmal vor reichlich fließenden Tränen nichts mehr gewahrten. –[227]
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