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So reiste ich wiederum durch Thüringen und an der Wartburg vorbei, deren Anblick oder Besuch somit einen eigentümlichen Zusammenhang mit meinem Scheiden von oder meiner Zurückkehr nach Deutschland erhielt. In Weimar traf ich nachts um zwei Uhr ein, um des anderen Tages in die von Liszt mir bereitete Wohnung auf der Altenburg geführt zu werden. Dieser meldete mir mit Bedeutung, daß ich in Prinzeß Mariens Zimmer aufgenommen sei. Im übrigen fehlten diesmal alle Frauen zur Bewirtung; Fürstin Karoline befand sich bereits in Rom, und ihre Tochter war an Fürst Konstantin Hohenlohe nach Wien verheiratet. Nur Miß Anderson, die Erzieherin Mariens, war zurückgeblieben, um Liszt bei der Bewirtung seiner Gäste behilflich zu sein. Im übrigen fand ich die Altenburg im Begriff, versiegelt zu werden; der jugendliche Onkel Liszts, Eduard, war zu diesem Zwecke sowie zur Aufnahme des Inventares alles Eigentumes aus Wien angekommen. Nebenher herrschte aber eine ungemeine gastliche Belebtheit, da es einer Tonkünstler-Versammlung galt und Liszt einen guten Teil derselben bei sich im Hause untergebracht hatte. Unter diesen Hausgästen waren zunächst Bülow und Cornelius inbegriffen; alle und namentlich Liszt selbst boten mir den sonderbaren Anblick, ihr Haupt nur mit Reisekappen bedeckt zu sehen, was ich so gleich auf die große Ungeniertheit dieses Weimar zugedachten ländlichen Musikfestes zu deuten hatte. In dem oberen Stocke des Hauses war Franz Brendel nebst Gemahlin mit einiger Feierlichkeit logiert; bald wimmelte es von Tonkünstlern, unter denen ich meinen alten Bekannten Draeseke sowie einen jungen Weißheimer, welchen mir Liszt einmal zum Besuche nach Zürich geschickt hatte, antraf. Auch Tausig stellte sich ein, schloß sich aber von unseren ungenierten Zusammenkünften[671] meistenteils aus, um einem Liebesverhältnisse mit einer jungen Dame nachzugehen. Bei kleineren Ausflügen wurde mir von Liszt Emilie Genast als Begleiterin zugeteilt, worüber ich mich, da sie sehr verständig und witzig war, nicht zu beklagen hatte. Auch lernte ich den Violinspieler und Musiker Damrosch kennen. Sehr erfreut war ich, meine alte Freundin Alwina Frommann, obwohl in einiger Spannung mit Liszt, hier wiederum begrüßen zu können. Da endlich auch Blandine mit Ollivier aus Paris eintraf, um neben mir in der Altenburg zu wohnen, gewannen die an sich lustigen Tage eine fast aufgeregte Heiterkeit. Am ausgelassensten fand ich Bülow, welchem die Orchesterdirektion bei der Faust-Symphonie Liszts zugeteilt war. Seine Regsamkeit war ganz außerordentlich; er hatte die Partitur vollständig auswendig gelernt und führte sie uns mit dem keineswegs aus der Elite der deutschen Musiker bestehenden Orchester mit ganz ungemeiner Präzision, Feinheit und Feuer vor. Nächst dieser Symphonie war das Gelungenste die Musik zu »Prometheus«; besonders ergreifend aber wirkte auf mich der Vortrag eines von Bülow komponierten Liederzyklus »Die Entsagende« durch Emilie Genast. Außerdem boten die Aufführungen des Festkonzertes wenig Erfreuliches, worunter eine Kantate von Weißheimer »Das Grab im Busento« zu rechnen ist; wogegen es zu einem wahren und großen Ärgernis mit einem »Deutschen Marsche« von Draeseke kam. Diese wirklich elende Komposition des sonst so begabten Menschen, welche wie im Hohn verfaßt aussah, wurde aus nicht leicht zu verstehenden Gründen von Liszt mit herausfordernder Leidenschaft protegiert; da Draeseke sich als Dirigent seiner Komposition vollends lächerlich erwies, bestand Liszt, dem Rate aller Freunde gegenüber, auf der Durchführung des Marsches unter Bülows Direktion. Auch diese gelang schließlich Hans, und zwar auswendig: doch führte dies endlich zu einem unerhörten Ärgernis. Liszt, welcher infolge der jubelnden Aufnahme seiner eigenen Komposition nicht zu bewegen war, dem Publikum sich ein einziges Mal zu zeigen, erschien bei der schließenden Aufführung des Draesekeschen Marsches in der Proszeniumloge, um dem Werke seines Schützlings, welches von den gemarterten Zuhörern endlich mit unaufhaltsamem Mißmut zurückgewiesen wurde, mit weit hervorgestreckten Händen und donnernden Bravorufen zu applaudieren. Es entspann sich hierüber ein völliger Kampf, welchen Liszt allein, zorngeröteten Antlitzes, mit dem Publikum führte. Blandine, welche an meiner Seite saß, war gleich mir in heller Verzweiflung über dieses unerhörte provozierende Benehmen ihres Vaters, und es dauerte lange, ehe auch wir über den Vorgang uns beruhigten. Von Liszt selbst war als Erklärung wenig herauszubekommen; wir hörten nur einige Male wütend verachtende Bezeigungen über das Publikum, für welches dieser Marsch noch viel zu gut sei; und ich erfuhr andrerseits, daß dies sonderbarerweise aus Ranküne gegen das eigentliche Weimarische Publikum geschah, welches jedoch hier gar nicht in Betreff kam. Liszt behandelte diese Angelegenheit nämlich als eine[672] Revanche für Cornelius, dessen Oper »Der Barbier von Bagdad« vor einiger Zeit unter Liszts persönlicher Leitung aufgeführt und vom Weimarer Publikum ausgepfiffen worden war. Außerdem bemerkte ich nun wohl auch, daß Liszt in diesen Tagen anderweitig großen Ärger zu erleiden hatte. Wie er mir selbst gestand, war es ihm darauf angekommen, den Großherzog von Weimar zu einem auszeichnenden Benehmen gegen mich zu bewegen; er wollte, daß dieser mich mit ihm zur Hoftafel einladen sollte; da jener Bedenken fand, einen noch jetzt vom Königreich Sachsen ausgeschlossenen politischen Flüchtling zu bewirten, vermeinte Liszt wenigstens den Weißen-Falken-Orden für mich durchsetzen zu können. Auch dieses war ihm abgeschlagen worden. Da er mit seinen Bemühungen für mich beim Hofe so übel angekommen war, sollte nun wenigstens die Bürgerschaft der Residenzstadt das ihrige zur Feier meiner Anwesenheit tun; es war ein Fackelzug für mich beschlossen. Als ich hiervon hörte, gab ich mir alle Mühe, das Vorhaben zu hintertreiben; was mir denn auch gelang. Ganz ohne Ovation sollte es jedoch nicht abgehen; eines Vormittags stellte sich der Justizrat Gille aus Jena mit sechs Studenten unter meinem Fenster zur Absingung eines gemütlichen Sing-Vereins-Liedes ein, welcher Bezeigung ich mich auf das herzlichste dankbar erwies. Dagegen gestaltete sich ein großes Festmahl, bei dem alle Tonkünstler versammelt waren und welchem auch ich zwischen Blandine und Ollivier beiwohnte, zu einer recht herzlichen Ovation für den nun wieder in Deutschland begrüßten, während der Zeit seiner Verbannung lieb und berühmt gewordenen Komponisten des »Tannhäuser« und des »Lohengrin«. Liszt sprach kurz, aber energisch, und einem besonderen Festredner gegenüber hatte auch ich mich ausführlicher vernehmen zu lassen. Sehr angenehm waren mehrere ausgewählte Versammlungen an Liszts Mittagstische, bei deren einer ich auch der abwesenden Wirtin der Altenburg gedachte. Einmal aber speisten wir im Garten, und hier hatte ich die Freude, auch die gute Frommann, welche sich sehr verständig mit Ollivier unterhielt, mit Liszt ausgesöhnt teilnehmen zu sehen.
So nahte nach einer sehr mannigfaltig aufgeregt durchlebten Woche der Tag der Trennung für uns alle. Es war eine freundliche Fügung, daß ich meine beschlossene Reise nach Wien zu einem großen Teil in der Begleitung Blandinens und Olliviers ausführen konnte. Diese hatten beschlossen, Cosima in Reichenhall, wo diese einer Kur wegen sich aufhielt, zu besuchen. Als wir am Bahnhofe gemeinschaftlich von Liszt Abschied nahmen, gedachten wir auch Bülows, welcher in den vergangenen Tagen sich so ungemein ausgezeichnet hatte und der einen Tag früher verreist war; wir ergossen uns in seinem Lobe, nur bemerkte ich vertraulich scherzend: er hätte Cosima nicht zu heiraten gebraucht; worauf Liszt mit einer kleinen Verneigung hinzusetzte: »Das war Luxus.«
Nun überkam uns Reisende, d.h. namentlich Blandine und mich, bald eine ausgelassen heitere Laune, welche sich namentlich durch Olliviers bei[673] jedem Auflachen unsrerseits wiederholte, neugierige Frage: Qu' est ce qu' il dit? steigerte. Dieser mußte es sich gutmütig gefallen lassen, daß wir fortgesetzt im Deutschen unsere Späße trieben; doch wurden seine häufigen Nachfragen nach einem Tonique oder Jambon cru, welche die Hauptelemente seiner Ernährung auszumachen schienen, immer französisch von uns bedient. In Nürnberg, wo wir unser Nachtlager zu halten gezwungen waren, kamen wir erst spät nach Mitternacht an und wurden mit vieler Mühe nach einem Gasthof gebracht, welcher uns jedoch nur nach langem Warten geöffnet wurde. Ein ältlicher dicker Gastwirt entschloß sich auf unsere Bitten, in so später Zeit uns noch Zimmer anzuweisen; um dies zu bewerkstelligen, ließ er uns jedoch nach vielem ängstlichen Überlegen erst längere Zeit in einem Hausflur warten, entfernte sich durch einen hinteren Korridor, und dort hörten wir ihn vor einer Kammertüre mit schüchterner Freundlichkeit den Namen »Margarethe« rufen. Er wiederholte dies mehrere Male mit dem Bedeuten, es seien Gäste da; fluchend wurde ihm von einem Frauenzimmer geantwortet. Nach vielem inständigen Bitten von seiten des Wirtes kam Margarethe im Negligé endlich heraus und brachte uns, nach mancher geheimen Überlegung mit dem Wirte, in die für uns ausgewählten Kammern; wobei das Sonderbare des Vorfalles darin bestand, daß das unmäßigste Gelächter, welches wir alle drei beständig unterhielten, weder vom Wirt, noch von seiner Magd bemerkt zu werden schien. Des anderen Tages besichtigten wir einige Merkwürdigkeiten der Stadt, zuletzt auch das Germanische Museum, welches seiner damaligen Armseligkeit wegen namentlich meinem französischen Freunde Geringschätzung abgewann; die bedeutende Sammlung von Marterinstrumenten, unter denen sich ein mit Nägeln ausgeschlagener Kasten besonders auszeichnete, erregten Blandinen aber einen mitleidigen Ekel.
Am Abend gelangten wir nach München, welches am anderen Tage, nachdem für »Tonique« und Schinken wieder gesorgt war, namentlich von Ollivier mit großer Befriedigung in Augenschein genommen wurde. Er fand, daß der antikisierende Stil, in welchem namentlich die von König Ludwig I. ausgeführten Kunstgebäude sich darstellten, höchst vorteilhaft gegen die Gebäude sich auszeichnete, mit welchen Louis Napoleon zu Olliviers größtem Ärger Paris anzufüllen beliebt hatte. Er versicherte, er werde hierüber in Paris sich vernehmen lassen. Hier traf ich zufällig einen ehemaligen jungen Bekannten, Herrn von Hornstein, wieder; ich stellte ihn als »Baron« meinen Freunden vor: seine putzige Gestalt und sein tölpelhaftes Benehmen unterhielten ihre Heiterkeit, welche wiederum zu einem wahren Feste ausartete, als »le baron« vor unserer nächtlichen Abreise nach Reichenhall uns alle, damit wir auch nach dieser Seite hin München kennenlernten, noch in eine ziemlich entfernt liegende Bierbrauerei führen mußte. Es geschah dies in finsterer Nacht; außer einem Lichtstumpfe, mit welchem »der Baron« selbst in den Keller steigen mußte, um uns das Bier heraufzuholen,[674] bot sich keine Beleuchtung dar; doch schien das Bier außerordentlich zu schmecken, und nachdem Hornstein mehrere Male seine Kellerfahrt wiederholt hatte, bemerkten wir bei der nun mit nötig gewordener Eile auszuführenden, ungemein beschwerlichen Wanderung durch Feldäcker und Gräben zum Bahnhofe hin, daß das ungewohnte Labsal uns etwas verwirrt hatte. Blandine verfiel sogleich nach dem Besteigen des Waggons in tiefen Schlaf, aus dem sie erst bei Tagesanbruch erwachte, als wir in Reichenhall anlangten, wo uns nun Cosima empfing und nach der zu unserer Aufnahme hergerichteten Wohnung geleitete.
Wir freuten uns zunächst über den Gesundheitszustand der Schwester, den wir als bei weitem weniger beängstigend erkannten, als er zuvor, namentlich mir, zur Kenntnis gekommen war. Ihr war hier eine Molkenkur verordnet worden. Wirklich wohnten wir auch am anderen Morgen einer Promenade nach der Molkenanstalt bei; auf das hier eingenommene Heilmittel selbst schien jedoch Cosima weniger Wert zu legen als auf die Wanderungen und den Aufenthalt in der so ausgezeichnet stärkenden Gebirgsluft. Von der Heiterkeit des Umganges, welche auch hier sogleich sich einstellte, blieben jedoch Ollivier und ich meistens ausgeschlossen, da die beiden Schwestern, zur größeren Vertraulichkeit ihrer durch stetes Lachen bis in die Ferne bemerkbaren Gespräche, sich gewöhnlich in ihre Kammer vor uns verschlossen, so daß mir die französische Konversation mit meinem politischen Freunde fast allein verblieb. Doch wußte ich mir einige Male Zutritt zu den Schwestern zu verschaffen, um ihnen unter andrem mein Vorhaben anzukündigen, sie, da um beide ihr Vater sich nicht mehr bekümmere, zu adoptieren – was weniger mit Vertrauen als mit Heiterkeit aufgenommen wurde. Ich beklagte mich einmal gegen Blandine über Cosimas Wildheit, was jene zunächst nicht begreifen wollte, bis sie mich dahin verstand, daß sie mir meinen Ausdruck selbst als gemeinte »timidité d'un sauvage« erklärte. Nach wenigen Tagen mußte ich aber endlich an die Fortsetzung meiner bis jetzt so anmutig unterbrochenen Reise denken; ich nahm im Hausflur Abschied und begegnete hier einem fast scheu fragenden Blicke Cosimas.
In einem Einspänner fuhr ich zunächst das Tal hinab nach Salzburg. An der österreichischen Grenze hatte ich ein Abenteuer mit dem Zollamte zu bestehen. Liszt hatte mir in Weimar ein Kistchen der kostbarsten, von Baron Sina ihm selbst verehrten Zigarren geschenkt; von meinem Aufenthalte in Venedig her die unerhörten Schikanen kennend, durch welche die Einbringung dieses Artikels in Österreich erschwert ist, war ich darauf verfallen gewesen, diese Zigarren einzeln unter meiner Wäsche und in den Kleidertaschen zu verstecken. Der Zolldiener, ein alter Soldat, schien aber auf solche Vorsichtsmaßregeln vorbereitet zu sein und zog geschickt aus allen Falten meines kleinen Reisekoffers die Corpora delicti hervor. Ich hatte ihn durch ein Trinkgeld zu bestechen gesucht; dieses hatte er auch wirklich zu sich genommen, und ich war um desto empörter, als er mich nun doch vor dem[675] Amte denunzierte. Hier hatte ich eine starke Strafe zu zahlen, erhielt aber nun die Erlaubnis, die Zigarren rückkaufen zu können, wovon ich jedoch wütend abstand; als mir dann die Quittung für meine ausgezahlte Strafe zugestellt wurde, übergab man mir aber zugleich auch den preußischen Taler, welchen zuvor der Zollsoldat ruhig zu sich gesteckt hatte. Als ich mich nun wieder zur Weiterreise in den Wagen setzte, sah ich diesen Zolldiener ruhig vor einem Schoppen sitzen und sein Stück Brot mit Käse verzehren, wobei er mich höflich grüßte; ich bot ihm jetzt seinen Taler wiederum an, diesmal aber verweigerte er ihn anzunehmen. Ich habe mich später oft noch darüber geärgert, daß ich damals nicht den Namen dieses Menschen mir geben ließ, da ich den Gedanken festhielt, er müsse ein ausgezeichnet treuer Diener sein, als welchen ich ihn später gern zu mir genommen hätte.
Über Salzburg, wo ich von Regengüssen überflutet ankam und die Nacht zubrachte, gelangte ich anderen Tages endlich an meinen vorläufigen Bestimmungsort Wien. Hier gedachte ich die Gastfreundschaft des aus der Schweiz her mir befreundeten Kolatschek anzunehmen; dieser, von Österreich längst amnestiert, hatte mich in Wien bei meinem vorherigen Aufenthalte aufgesucht und für den Fall, daß ich auf längere Zeit zurückkommen würde, um mir den unangenehmen Aufenthalt in einem Gasthofe zu ersparen, sein Haus angeboten. Schon aus Gründen der Sparsamkeit, welche um diese Zeit mir so sehr zur Nötigung gemacht war, war ich auf dieses Anerbieten gern eingegangen und fuhr nun mit meinem kleinen Gepäcke sogleich nach dem mir bezeichneten Hause hin. Zu meinem Erstaunen erkannte ich alsbald, daß ich mich in der allerentferntesten Vorstadt fast ohne alle Verbindung mit Wien selbst befand, außerdem das Haus aber auch ganz verlassen war, weil Kolatschek mit seiner Familie einen Sommeraufenthalt in Hütteldorf bezogen hatte; mit Mühe fand ich eine alte Magd heraus, welche durch ihren Herrn von meiner Ankunft ungefähr berichtet zu sein glaubte. Sie zeigte mir ein kleines Zimmer, in welchem, wenn ich wollte, ich schlafen könnte; weder für Wäsche noch sonstige Bedienung schien sie aber vorgesehen zu sein. Höchst ungemütlich berührt durch diese Enttäuschung, fuhr ich zunächst in die Stadt zurück, um in einem Kaffee hause am Stephans-Platze, wo den Aussagen der Magd nach Kolatschek um eine gewisse Zeit sich einfinden sollte, diesen zu erwarten. Ich saß da längere Zeit, erkundigte mich wiederholt nach dem von mir Erwarteten, bis ich endlich Standhartner eintreten sah. Sein höchstes Erstaunen, mich hier anzutreffen, wurde in der gemütlichsten Weise noch dadurch gesteigert, daß er mir erklärte, nie in seinem Leben noch in dieses Café eingetreten zu sein, und daß nur ein ganz besonderer Zufall ihn gerade heute um diese Stunde hierhergeführt habe. Er vernahm die Lage, in der ich mich befand, war sogleich in höchster Weise darüber aufgebracht, daß ich bei meiner so dringenden Beschäftigung im Mittelpunkte der Stadt am verlassensten Ende Wiens wohnen sollte, und bot mir sofort seine eigene Wohnung, welche er mit[676] seiner ganzen Familie jetzt für sechs Wochen verlassen werde, zu einstweiligem Unterkommen an. Eine hübsche Nichte, welche mit ihrer Mutter und Schwester im gleichen Hause wohnte, sollte für alle nötige Bedienung, auch Frühstück usw. sorgen, und ich würde somit zu höchster Bequemlichkeit in der ganzen Wohnung mich ausdehnen können. Jubelnd führte er mich sofort in sein Haus, welches bereits von seiner Familie, die zu einem Sommeraufenthalt nach Salzburg vorausgegangen, verlassen worden war. Kolatschek wurde benachrichtigt, mein Reisegepäck herein geholt, und noch einige Tage genoß ich in Standhartners Gesellschaft die Annehmlichkeit der behaglichen Gastfreundschaft. Nun hatte ich aber auch aus meines Freundes weiteren Mitteilungen die für meine Lage eingetretenen Schwierigkeiten zu vernehmen. Die im vergangenen Frühjahr für jetzt (ich war am 14. August in Wien angekommen) entworfenen Proben zu »Tristan und Isolde« hatten bereits auf unbestimmte Zeit vertagt werden müssen, weil der Tenorist Ander sich stimmkrank hatte melden müssen. Auf diese Nachricht glaubte ich eigentlich sofort meinen Aufenthalt in Wien als unnütz erkennen zu müssen; nur hätte mir niemand zu raten gewußt, wohin ich mich wenden sollte, um irgendeinem Zwecke nachzugehen.
Meine Lage war, wie mir nun erst deutlich wurde, gänzlich verlassen, denn ich erschien von aller Welt aufgegeben. Hatte ich mir vor wenigen Jahren noch damit schmeicheln können, in einem ähnlichen Falle bei Liszt in Weimar einen freundlichen Aufenthalt für das Abwarten zu gewinnen, so hatte ich nun, wie ich dies bereits erwähnte, bei meiner Rückkehr nach Deutschland bloß der Versiegelung seines Hauses beizuwohnen gehabt. So beschäftigte mich jetzt vor allem das Umsehen nach irgendeinem befreundeten Unterkommen. Somit wendete ich mich, fast nur noch in diesem Sinne, an den Großherzog von Baden, welcher mich ja vor ganz kurzem erst so freundschaftlich und teilnahmvoll begrüßt hatte. Ich legte ihm in einem ausdrucksvollen Schreiben mein Bedürfnis an das Herz, versicherte ihm, daß es mir vor allem um ein wenn auch noch so bescheidenes Asyl ankäme, und ersuchte ihn, mir dieses in oder bei Karlsruhe durch die Gewährung einer Pension von 1200 Gulden zu verschaffen. Wie erstaunt war ich, hierauf eine nicht mehr eigenhändige, sondern nur von dem Großherzog unterschriebene Antwort zu erhalten, in welcher mir auseinandergesetzt wurde, daß bei einer Gewährung meiner Bitte eine Einmischung meinerseits in die dortigen Theaterangelegenheiten und somit leicht berechenbare Mißhelligkeiten mit dem Direktor desselben, meinem jetzt so vortrefflich sich bewährenden alten Freunde Eduard Devrient, vorauszusehen seien; da in solchen Fällen der Großherzog sich genötigt sehen würde, vielleicht zu meinen Ungunsten, wie er sich ausdrückte, »das Amt der Gerechtigkeit zu verwalten«, so müsse er nach reiflicher Erwägung bedauern, mir die Erfüllung meines Wunsches versagen zu müssen. – Die Fürstin Metternich glaubte bei meinem Fortgange von Paris mein Bedürfnis auch nach dieser Seite hin zu erraten,[677] und wies mich für Wien mit herzlicher Betonung an die Familie des Grafen Nakós, von dessen Frau namentlich sie mir in bedeutungsvollem Sinne sprach. Nun hatte ich, sogleich nach meinem Einzug in die Wohnung Standhartners, durch diesen während der wenigen Tage vor seiner Abreise noch die Bekanntschaft des jungen Fürsten Rudolf Liechtenstein, unter seinen Freunden nur unter dem Namen »Rudi« bekannt, gemacht. Er wurde mir als leidenschaftlicher Verehrer meiner Musik von seinem sehr vertrauten Arzte in einnehmendster Weise empfohlen. Mit diesem, den ich, als Standhartner nun zu seiner Familie abgegangen war, häufig im »Erzherzog Karl« beim Speisen antraf, wurde der Plan eines Besuches bei Graf Nakós auf dessen entfernterem Gute Schwarzau verabredet. In gemütlichster Weise wurde die teilweise auf der Eisenbahn stattfindende Fahrt in der Begleitung der jungen Frau des Fürsten ausgeführt. Von ihnen wurde ich nun in Schwarzau den Nakós' vorgestellt: ich traf in dem Grafen einen ausgezeichnet schönen Mann, in ihr dagegen eine Art von kultivierter Zigeunerin an, deren Talent im Malen sich durch riesengroße Kopien van Dyckscher Bilder, von denen die Wände prangten, in auffälliger Weise kundgab. Peinigender war dagegen ihr Musizieren am Klavier, bei welchem sie nur Zigeunerweisen mit allerechtestem, wie sie sagte, von Liszt verfehltem Vortrage zu Gehör brachte. Die Musik des »Lohengrin« schien andrerseits alle sehr für mich eingenommen zu haben; dies bestätigten mir noch andere zum Besuch anwesende Magnaten, unter welchen ich auch den von Venedig her mir bekannten Grafen Edmund Zichy vorfand. Ich lernte hier die Tendenz einer freimütigen ungarischen Gastfreundschaft kennen, ohne jedoch von dem Inhalte der Gespräche sonderlich erbaut zu sein. Leider hatte ich mich bald zu fragen, was ich unter diesen Leuten zu tun haben sollte. Für die Nacht war mir ein anständiges Gastzimmer angewiesen, und des anderen Tages sah ich mich beizeiten nach dem Umfange der schön gepflegten Umgebung des stattlichen Schlosses um, mit dem Erwägen, in welchem Teil desselben mir vielleicht ein längerer gastlicher Aufenthalt gewährt sein dürfte. Meinen anerkennenden Bemerkungen über die Ausdehnung der Gebäude wurde beim Frühstück jedoch mit der Versicherung begegnet, daß es leider kaum für die Bedürfnisse der gräflichen Familie ausreiche, da namentlich die junge »Komtesse« mit ihrer Bedienung eines großen Aufwandes bedürfe. Es war ein kalter Septembermorgen, den wir bei dieser Gelegenheit im Freien zubrachten; mein Freund »Rudi« schien verstimmt; ich fror, und bald nahm ich meinen Abschied von der Magnatentafel mit dem Bewußtsein, noch selten mit so artigen Menschen mich zusammenbefunden zu haben, ohne im mindesten zu begreifen, was ich mit ihnen etwa gemein haben könnte. Dies Gefühl drang sich mir vollends bis zum Ekel auf, als ich mit mehreren der »Kavaliere« gemeinschaftlich bis zu der Eisenbahnstation von Mödling fuhr und während dieser Stunde zu stetem Schweigen mich gezwungen sah, da buchstäblich nur das so bekannt gewordene Gespräch über Pferde von ihnen geführt wurde.[678]
In Mödling stieg ich aus, um hier den Tenoristen Ander zu besuchen, bei welchem ich mich für diesen Tag, mit der Absicht, den »Tristan« vorzunehmen, eingeladen hatte. Es war noch sehr früh und ein heller, mit der Zeit sich erwärmender Vormittag; ich beschloß, ehe ich Ander aufsuchte, einen Spaziergang in die liebliche Brühl. Dort ließ ich mir in dem Garten des schön gelegenen Gasthofes ein zweites Frühstück bereiten und genoß in vollendeter Einsamkeit eine höchst erquickliche Stunde. Die Waldvögel waren bereits verstummt, dafür gesellte sich ein bis in das Ungeheuere anwachsendes Heer von Sperlingen um mein Frühmahl; da ich sie mit den Brotkrumen fütterte, wurden sie endlich so kirr, daß sie in ganzen Flügen auf dem Tisch vor mir zum Raube sich niederließen. Dies erinnerte mich an jenen Morgen in der Taverne des Gastwirtes Homo bei Montmorency. Auch hier, nachdem ich manche Träne vergossen, lachte ich endlich laut auf und schlug meinen Weg nach der Sommerwohnung des Herrn Ander ein. Leider fand ich an diesem bestätigt, daß seine Stimmkrankheit nicht wohl nur ein Vorwand sei. Jedenfalls mußte ich mir bald gestehen, daß dieser dürftige Mensch, welcher zwar in Wien als ein Halbgott verehrt wurde, seiner Aufgabe als »Tristan« unter keinen Umständen gewachsen sein würde. Doch tat ich das meinige, weil ich doch nun einmal hier war, ihm den ganzen »Tristan« in meiner mich so sehr aufregenden Weise vorzuführen; wobei er behauptete, die Partie sei wie für ihn geschrieben. Mit Tausig und Cornelius, die ich in Wien wiederum angetroffen und welche ich für diesen Tag zu Ander heraus beschieden hatte, kehrte ich des Abends nach Wien zurück.
Mit diesen beiden, welche sich herzlich um mich bekümmerten und nach Kräften mich zu erheitern suchten, verkehrte ich viel; nur hielt sich Tausig, der in gewisse vornehme Aspirationen geraten war, etwas mehr zurück. Doch nahm auch dieser junge Freund noch an Einladungen teil, welche uns gemeinschaftlich zu Frau Dustmann, damals zum Sommeraufenthalt in Hietzing sich befindend, beriefen. Hier kam es einige Male zu Diners, auch zu einzelnen Gesangstudien von der projektierten Isolde, für welche dieser Sängerin Stimme wie seelische Empfänglichkeit nicht abzugehen schien. Dort las ich auch einmal wieder das Gedicht des »Tristan« vor, immer in der Meinung, ich werde mit Geduld und Enthusiasmus das Vorhaben seiner Aufführung doch noch ermöglichen. Für jetzt bedurfte es aber der ersteren am meisten, während mit dem letzteren gar nichts zu erreichen war; Ander war und blieb stimmkrank, und kein Arzt wollte genau die Zeit bestimmen, in welcher er von seinem Übel erlöst sein würde.
Ich verbrachte die Zeit, so gut es ging, und verfiel darauf, die für Paris auf französischem Texte ausgeführte neue Szene zu »Tannhäuser« in das Deutsche zurückzuübersetzen. Cornelius mußte mir hierfür die in sehr defekten Zustand geratene Originalpartitur kopieren; seine Kopie eignete ich mir zu, ohne dem in seinen Händen verbliebenen Original weiter nachzufragen: was hieraus sich entwickelte, werden wir später erfahren.[679]
Zu uns gesellte sich auch noch der von früher her mir bekannte Musiker Winterberger, welchen ich in einer von mir sehr beneideten Lage antraf: in dem sehr freundlichen Hause der Gräfin Bánffy, einer alten Freundin Liszts, war er in Hietzing ganz vortrefflich aufgenommen; dort lebte er behaglich und hatte für nichts zu sorgen, da die gütige Dame es für ihre Pflicht hielt, es dem sonst so verdienstlosen Menschen an nichts fehlen zu lassen. Von ihm erhielt ich nun wieder auch Nachrichten über Karl Ritter, und was ich diesen entnehmen konnte, bestand darin, daß Winterberger auf Kosten Karls in Rom und Neapel den Kavalier gespielt, Liebschaften mit jungen Fürstinnen betrieben und in dieser Weise seinen Freund so vollständig um dessen Vermögen gebracht hatte, daß Ritter jetzt in Neapel im Hause eines Klaviermachers gegen Erteilung von Unterricht an dessen Kinder freie Wohnung und Kost anzunehmen hatte. Nachdem alles aufgebraucht, hatte Winterberger, wie es scheint, auf einige Empfehlungen Liszts hin, sich auf Abenteuer in Ungarn aufgemacht; dieses schien ihm aber nicht nach Behagen ausgefallen zu sein, wofür er denn nun jetzt im Hause der guten Gräfin entschädigt wurde. Bei dieser Dame, gleichfalls als Hausgenossin, traf ich eine vortreffliche Harfenspielerin, Fräulein Mössner an; diese hatte sich auf Anordnung der Gräfin mit der Harfe in den Garten zu verfügen gehabt und nahm sich hier, an und mit ihrem Instrument, in recht kühner Weise ganz erfreulich aus, so daß ich davon einen angenehm nachhaltigen Eindruck gewann. Leider geriet ich mit der jungen Dame darüber, daß ich ihr kein Solo für ihr Instrument komponieren wollte, in Zerwürfnis: nachdem sie meine bestimmte Weigerung erhalten, ihrem Ehrgeiz zu frönen, beachtete sie mich nicht mehr.
Zu den besonderen Bekanntschaften, welche mir Wien in dieser für mich so beschwerlichen Epoche verschaffte, gehörte nun auch der Dichter Hebbel. Da es mir nicht undenkbar erschien, daß ich vielleicht für längere Zeit Wien als den Ort meiner Wirksamkeit zu bestimmen haben würde, hielt ich eine nähere Bekanntschaft mit den dortigen literarischen Notabilitäten für ratsam. Auf diejenige mit Hebbel bereitete ich mich durch eine vorherige Bekanntmachung mit seinen Theaterstücken umständlicher vor, wobei ich den besten Willen dareinsetzte, sie gut zu finden und ein näheres Vertrautwerden mit Hebbel für wünschenswert zu halten. Die Wahrnehmung der großen Schwäche seiner Dichtungen, welche ich namentlich in der Unnatürlichkeit der Konzeptionen sowie des zwar immer gesuchten, meistens aber gemein bleibenden Ausdruckes derselben erkannte, schreckte mich für jetzt nicht ab, meinen Vorsatz auszuführen. Ich habe ihn nur einmal besucht und bei dieser Gelegenheit mich auch nicht sonderlich lange mit ihm unterhalten: die exzentrische Kraft, welche in den meisten seiner dramatischen Figuren explodieren zu wollen scheint, fand ich in der Persönlichkeit des Dichters in keiner Weise ausgedrückt; das, was mich hieran unangenehm befremdete, fand ich plötzlich erklärt, als ich wenige Jahre nachher erfuhr, Hebbel sei[680] an einer Knochenerweichung gestorben. Über das Wiener Theaterwesen unterhielt er sich mit mir in der Stimmung eines vernachlässigten, seine Angelegenheiten aber dennoch geschäftsmäßig betreibenden Dilettanten. Ich fühlte mich nicht besonders angeregt, einen Besuch bei ihm zu wiederholen, namentlich seit er den bei mir verfehlten Gegenbesuch mir durch eine Karte notifizierte, auf welcher er sich als »Hebbel, chevalier des plusieurs ordres« meldete.
Meinen alten Freund Heinrich Laube fand ich hier als längst eingeübten Direktor des k.k. Hof-Burgtheaters wieder. Bereits bei meinem ersten Besuche im vergangenen Frühjahre hatte er es für seine Pflicht erachtet, mich den Wiener literarischen Notabilitäten vorzuführen; unter diesen verstand er, sehr praktisch gesinnt, hauptsächlich Journalisten und Rezensenten. Als besonders interessant für mich hatte er bei einem größeren Diner auch Dr. Hanslick eingeladen, und hier war er sofort darüber erstaunt, daß ich mit diesem kein Wort sprach, woraus er den Grund zu der Voraussagung nahm, daß ich es in Wien schwer haben würde, wenn ich auf ein Feld künstlerischer Wirksamkeit Bedacht nähme. Bei meiner diesmaligen Wiederkehr war ich ihm einfach als alter Freund willkommen, und er bot mir, sooft ich dazu Lust hatte, seinen Mittagstisch, welchen er als passionierter Jäger durch frisches Wildpret zu bereichern wußte, zum Mitgenuß an. Nicht sehr häufig machte ich jedoch von dieser Einladung Gebrauch, da mich der aus der trockensten Theatergeschäftsroutine einzig sich belebende Geist der Unterhaltung bald unangezogen ließ. Nach der Mahlzeit versammelten sich, zu Kaffee und Zigarre, gewöhnlich Schauspieler und Literaten um einen größeren Tisch, an welchem, da Laube schweigend im Rauche seiner Zigarre nur ausruhte, seine Frau zumeist den Hof hielt. Diese war nämlich gänzlich ihrem Manne zuliebe Theater-Direktrice geworden und hielt es für nötig, mit gewählten Reden längere Zeit über Dinge zu sprechen, von denen sie nicht das mindeste verstand; wobei einzig die in früherer Zeit von mir so gern an ihr wahrgenommene große Gutmütigkeit mich wiederum erfreute, da sie, wenn keiner der Höflinge ihr zu widersprechen wagte, auf meine sehr ungenierten Berichtigungen gewöhnlich mit unverhohlener Heiterkeit einging. Ihr und ihrem Gemahl, mit denen ich, da ihr Ernst mir so sehr gleichgültig war, gewöhnlich nur scherzend und in Witzen verkehrte, galt ich hauptsächlich wohl nur als genialer Faselhans, so daß mir Frau Laube, als ich später in Wien meine Konzerte aufführte, sich mit freundlicher Verwunderung darüber zu erkennen gab, daß ich ja ganz gut dirigieren könnte, was sie nach irgendwelchem Zeitungsberichte über mich gar nicht erwartet hätte.
In einem wurde mir Laubes praktische Kenntnis der Dinge nicht unwichtig, nämlich durch die Bekanntmachung mit dem Charakter der Persönlichkeiten der höheren Intendanzen der k.k. Hoftheater. Da kam es denn heraus, daß hier ein Hofrat von Raymond von allergrößter Wichtigkeit[681] sei; der alte Graf Lanskoronsky, der sonst auf seine Autorität sehr eifersüchtige Obersthofmarschall, getraute sich ohne diesen als namentlich im Finanzfach sachverständig geltenden Mann nicht gut, selbständige Entschlüsse zu fassen. Raymond selbst, den ich bald als ein Muster von Ungebildetheit kennenlernte, wurde besonders durch die fortwährend mich herabziehende Wiener Presse in bezug auf mein Vorhaben, den »Tristan« aufzuführen, scheu gemacht und zur Hinterhältigkeit getrieben. Offiziell blieb ich für meinen Verkehr immer nur an den eigentlichen Direktor des Operntheaters, Herrn Salvi, den früheren Gesangslehrer einer Kammerfrau der Erzherzogin Sophie, angewiesen; dieser, ein durchaus unfähiger, kenntnisloser Mensch, mußte sich nun mir gegenüber die Miene geben, als ob ihm, dem Befehle der obersten Instanz gemäß, nichts dringender als die Förderung des »Tristan« am Herzen läge. Er suchte demgemäß durch stets bezeigten Eifer und Wohlwollen die immer bedenklichere Stimmung, welche sich in dem Personale selbst ausbreitete, mir zu verdecken.
Wie es hier stand, erfuhr ich eines Tages, als eine Gesellschaft unserer Sänger mit mir auf das Landgut eines Herrn Dumba, der mir als enthusiastischer Gönner bekannt gemacht wurde, eingeladen war. Herr Ander hatte seine Tristan-Partie mitgenommen, wie um zu zeigen, daß er sich keinen Tag von ihr zu trennen vermöchte: hierüber erzürnte sich Frau Dustmann, welche Ander eines auf meine Täuschung berechneten heuchlerischen Spieles bezichtigte; denn Ander so gut wie sonst jeder wisse, daß er die Partie nicht singen werde und daß es nur auf eine Gelegenheit abgesehen werde, die Verhinderung des »Tristan« in irgendeiner Weise ihr, der Frau Dustmann, in die Schuhe zu schieben. Gegen so üble Wahrnehmungen suchte nun Salvi immer wieder wie eifrig fördernd sich einzumischen. Er empfahl mir, den Tenoristen Walter vorzunehmen; da ich diesen, als mir durchaus widerwärtig, verwarf, verwies er mich auf fremde Sänger, welche er zu berufen bereit sei. Hier kam es wirklich zu einigen Versuchs-Gastspielen, von denen ein Herr Morini die besten Aussichten zu eröffnen schien. Wirklich war ich so tief herabgestimmt und nur von dem Triebe, mein Werk um jeden Preis zu fördern, eingenommen, daß ich, mit Cornelius einer Aufführung der »Lucia« von Donizetti beiwohnend, selbst meinen Freund für ein günstiges Urteil über den Sänger zu gewinnen suchte. Cornelius, in ernstliches Anhören versunken, fuhr, als ich ihn voll Spannung betrachtete, plötzlich mit einem »Scheußlich, scheußlich!« heraus, worüber wir beide so herzlich lachen mußten, daß wir alsbald in wirklich heitrer Stimmung das Theater verließen.
Als mit einem ehrlichen Menschen vom Theater verkehrte ich schließlich nur noch mit dem Kapellmeister Heinrich Esser. Er hatte sich mit großem Ernste in das für ihn sehr beschwerliche Studium des »Tristan« hineingearbeitet, und nie verlor er ernstlich die Hoffnung, die Aufführung doch noch zu ermöglichen, wenn ich mir nur den Tenoristen Walter auswählen[682] wollte; trotz meiner steten Weigerung, von dieser Hilfe Gebrauch zu machen, blieben wir immer gute Freunde. Da auch er ein tüchtiger Fußgänger war, durchwanderten wir öfters die Umgegend Wiens unter meinerseits enthusiastischen und seinerseits redlich ernsten Unterhaltungen.
Während diese »Tristan«-Angelegenheit sich wie ein unabsehbar chronisches Leiden dahinzog, war Ende September Standhartner mit seiner Familie zurückgekehrt. Im nächsten Zusammenhang hiermit stand, daß ich mich nach einer Wohnung umsah, für welche ich mir einen Gasthof zur »Kaiserin Elisabeth« auswählte. Im fortgesetzten freundlichen Verkehr mit der Familie meines Freundes lernte ich nun auch dessen Frau nebst den dreien Söhnen und einer Tochter aus deren ersten Ehe, sowie ein junges Mädchen aus ihrer zweiten Ehe mit Standhartner vertraulich kennen. Im Betreff meiner vorangehenden Niederlassung in der mir befreundeten Wohnung hatte ich vor allem die angenehme Pflege zu bedauern, welche mir die genannte Nichte Seraphine sowohl durch ihre nie ermüdende Sorgfalt als auch ihren angenehmen witzigen Umgang bereitet hatte. Sie war von mir ihrer niedlichen Figur und ihres stets sorgfältig »à l'enfant« gelockten Haares wegen »die Puppe« benannt worden. Jetzt hatte ich mich im düstren Gasthofszimmer schwieriger zu behelfen. Auch wuchsen die Kosten meines Unterhalts bedenklich an. Von Theaterhonoraren entsinne ich mich in dieser Zeit nur 25 oder 30 Louisdor für den »Tannhäuser« aus Braunschweig erhalten zu haben. Dagegen erhielt ich aus Dresden von Minna einige Blätter des silberflitternen Blattkranzes übersandt, welchen einige Freundinnen ihr zu der am 24. November von ihr gefeierten Silbernen Hochzeit verehrt hatten. Daß es bei dieser Sendung ihrerseits an bitteren Auslassungen nicht fehlte, konnte mich nicht verwundern; ich versuchte dagegen, ihr Hoffnung auf eine Goldene Hochzeit beizubringen. – Für jetzt, da ich so ganz zwecklos in einem kostspieligen Wiener Gasthof saß, tat ich noch mein möglichstes, um mir für die Aufführung des »Tristan« noch eine Aussicht zu verschaffen. Ich wandte mich an Tichatschek nach Dresden, ohne natürlich eine Zusage erhalten zu können. Das gleiche versuchte ich und widerfuhr mir mit Schnorr. So mußte ich mir denn sagen, daß es um meine Angelegenheit ziemlich elend stünde.
In einer gelegentlichen Mitteilung an Wesendonks in Zürich hatte ich hiervon kein Hehl gemacht: wie es scheint, um mich zu erheitern, luden sie mich zu einem Rendezvous in Venedig ein, wohin sie sich so eben für einen Vergnügungsausflug aufmachten. Gott weiß, was mir im Sinne liegen mochte, als ich so auf das Ungefähre hin im grauen November mich wirklich auf der Eisenbahn zunächst nach Triest und von da mit dem Dampfschiff, welches mir wiederum sehr schlecht bekam, nach Venedig aufmachte und im Hotel »Danieli« mein Kämmerchen bezog. Meine Freunde, welche ich in sehr glücklichen Beziehungen antraf, schwelgten im Genuß der Gemälde und schienen es darauf abgesehen zu haben, durch meine Teilnahme am[683] gleichen Genuß mir die Grillen zu vertreiben. Von meiner Lage in Wien schienen sie nichts begreifen zu wollen, wie ich denn überhaupt nach dem schlimmen Ausfalle der mit so glorreichen Hoffnungen betrachteten Pariser Unternehmung bei den meisten meiner Freunde ein still resigniertes Aufgeben fernerer Hoffnungen auf meine Erfolge immer mehr kennenzulernen hatte. Wesendonk, der immer mit einem ungeheueren Opernglase bewaffnet zu Kunstbesichtigungen sich bereithielt, brachte mich nur einmal zur Mitbesichtigung des Dogenpalastes, welchen ich bei meiner früheren Anwesenheit in Venedig nur von außen kennengelernt hatte. Bei aller Teilnahmslosigkeit meinerseits muß ich jedoch bekennen, daß Tizians Himmelfahrt der Maria im großen Dogensaale eine Wirkung von erhabenster Art auf mich ausübte, so daß ich seit dieser Empfängnis in mir meine alte Kraft fast wie urplötzlich wieder belebt fühlte.
Ich beschloß die Ausführung der »Meistersinger«.
Nachdem ich mit meinen alten Bekannten Tessarin und Wesendonks, welche ich hierzu eingeladen, noch einmal frugalerweise im »Albergo S. Marco« gespeist, auch Luigia, meine frühere Pflegerin im Palazzo Giustiniani, wiedergesehen und ihrer Freundschaft mich erfreut hatte, verließ ich nach vier äußerlich wahrhaft trübseligen Tagen zur Verwunderung meiner Freunde plötzlich Venedig und trat, den Umwegen zu Lande auf der Eisenbahn folgend, meine lange graue Rückreise nach Wien an. Während der Fahrt gingen mir die »Meistersinger«, deren Dichtung ich nur noch nach meinem frühesten Konzepte im Sinne trug, zuerst musikalisch auf; ich konzipierte sofort mit größter Deutlichkeit den Hauptteil der Ouvertüre in C-dur.
In einer wahrhaft behaglichen Stimmung kam ich unter diesen letzten Eindrücken in Wien an. Cornelius verkündigte ich sogleich meine Zurückkunft durch die Übersendung einer kleinen venezianischen Gondel, welche ich in Venedig für ihn gekauft hatte und welche ich mit einer in unsinnigen italienischen Worten verfaßten Canzona begleitete. Die Mitteilung meines Planes zur sofortigen Ausführung der »Meistersinger« machte ihn ganz verrückt vor Freude. Bis zu meinem endlichen Fortgange von Wien blieb er in einer völligen Berauschung. Sogleich spannte ich meinen Freund an, mir die Materialien zur Bewältigung des Sujets der »Meistersinger« herbeizuschaffen. Zunächst fiel mir Grimms Streitschrift über den Gesang der Meistersinger zu genauem Studium ein; nun aber galt es der Habhaftwerdung der Nürnberger Chronik des alten Wagenseil; Cornelius begleitete mich auf die Kaiserliche Bibliothek; die Erlaubnis, das glücklich vorgefundene Buch ausgeliehen zu erhalten, mußte mir aber mein Freund erst durch einen von ihm mir als höchst peinlich geschilderten Besuch bei dem Baron Münch-Bellinghausen (Halm) erwirken. Jetzt saß ich eifrig in meinem Gasthofe, um mir die Auszüge aus der Chronik anzueignen, welche ich bald zum Erstaunen so vieler Kenntnisloser in meiner Dichtung zu verwerten wußte.[684]
Nun galt es aber vor allen Dingen, mich der Mittel des Unterhaltes während der Zeit der Ausführung meines Werkes zu versichern. Ich verfiel auf Musikalienhändler Schott in Mainz, welchem ich gegen die nötigen Vorschüsse die Ausführung der »Meistersinger« in Aussicht stellte. Vom Triebe beseelt, mich nur für so lange wie möglich mit Geld zu versehen, erbot ich mich, ihm nicht nur das literarische Eigentumsrecht, sondern auch das dramatische Aufführungsrecht meines Werkes für 20000 Franks zu überlassen. Eine gänzlich abschlägige Depesche Schotts zerstörte zunächst alle Hoffnung. Als ich mich genötigt sah, auf andere Mittel zu denken, beschloß ich sofort, mich nach Berlin zu wenden. Von dorther, wo Bülow immer freundschaftlich besorgt für mich bemüht war, hatte dieser mir die Möglichkeit gemeldet, durch ein großes, von mir dirigiertes Konzert eine recht bedeutende Summe gewinnen zu können; da ich zugleich mich sehnsüchtig nach einem Unterkommen bei Freunden umsah, schien mir Berlin jetzt als letzte Rettung zu winken. Bereits wollte ich eines Abends abreisen, als mittags zuvor seiner ablehnenden Depesche ein Brief Schotts nachfolgte, welcher mir allerdings tröstliche Aussichten eröffnete: er bot mir nämlich an, sofort den Klavierauszug der »Walküre« zu übernehmen und mir hierfür, bis auf spätere Abrechnung, 1500 Gulden vorzuschießen. Cornelius' Freude über die hierdurch von ihm für gerettet erachteten »Meistersinger« war unaussprechlich. Von Berlin mußte mir außerdem Bülow die üblen Erfahrungen, welche er bei den vorbereitenden Versuchen für mein Konzert gemacht, mit zorniger Niedergeschlagenheit melden. Herr von Hülsen hatte ihm erklärt, er würde meinen Besuch in Berlin nicht empfangen, und ein Konzert in der großen Tabagie des Kroll mußte Bülow bei näherer Überlegung für unzulässig halten.
Während ich nun eifrig einen ausführlichen szenischen Entwurf der »Meistersinger« ausarbeitete, trat durch die Ankunft des Fürsten und der Fürstin Metternich in Wien eine neue, anscheinend günstige Diversion für mich ein.
Die Bekümmerung meiner Pariser Protektoren um mich und meine Lage war unverkennbar ernstlich; hierfür mich ihnen wiederum freundlich zu erweisen, bestimmte ich die Operntheater-Direktion, mir zu gestatten, daß ich für einige Vormittagsstunden das vortreffliche Orchester zur Durchspielung einiger Stücke aus »Tristan«, gleichsam zur Probe, in das Theater einladen dürfe. Das Orchester sowie auch Frau Dustmann waren auf das freundlichste bereit, meinem Wunsche zu willfahren: Fürstin Metternich, mit einigen ihrer Bekannten, wurde zu dieser Audition eingeladen, in welcher ich drei größere Fragmente, das Vorspiel des ersten und den Anfang des zweiten Aktes bis ziemlich in die Mitte desselben, nach einmaligem Durchspielen mit dem Orchester und der für den Gesangsteil bis dahin unterstützenden Frau Dustmann in so glücklicher Weise zur Ausführung brachte, daß ich des vortrefflichsten Eindruckes ohne jede Täuschung mich[685] versichert halten durfte. Auch Herr Ander war hierbei erschienen, ohne jedoch eine Note zu kennen noch zu versuchen. Meine fürstlichen Freunde, sowie auch merkwürdigerweise die erste Tänzerin Fräulein Couqui, welche verstohlen der Probe beigewohnt hatte, überschütteten mich mit enthusiastischen Bezeigungen. – Eines Tages eröffneten mir nun Metternichs, nachdem sie meinen Wunsch einer ungestörten Zurückgezogenheit für die Ausführung eines neuen Werkes kennengelernt hatten, daß sie gerade dieses stille Asyl in Paris mir sehr gut anbieten könnten: der Fürst habe jetzt sein sehr geräumiges Gesandtschafts-Hotel vollständig eingerichtet und könne mir, ähnlich wie ich dies im preußischen Gesandtschafts-Hotel gefunden, eine angenehme Wohnung, auf einen stillen Garten hinausgehend, zu Gebote stellen; mein Erard stehe ja noch in Paris, und wenn ich am Ende des Jahres dort eintreffen werde, sollte ich alles zu meiner Aufnahme und dem Beginne meiner Arbeit bereitfinden. Mit unverhohlener Freude nahm ich diese liebenswürdige Einladung dankbar an und sorgte des weiteren nur dafür, meine Angelegenheit so weit in Ordnung zu bringen, daß ich meinen Aufbruch von Wien und meine Übersiedelung nach Paris mit Anstand ausführen könnte. Hierzu schien mir ein durch Standhartner vermitteltes Anerbieten der Direktion, einen Teil des für »Tristan« zu stipulierenden Honorars mir auszuzahlen, mit behilflich sein zu können. Da ich jedoch nur unter so verklausulierten Bedingungen, welche einer gänzlichen Verzichtleistung nicht unähnlich sahen, jetzt 500 fl. ausbezahlt bekommen sollte, wies ich sofort das Anerbieten zurück, was jedoch die stets mit der Theaterdirektion in Rapport stehende Journalistik nicht verhinderte zu veröffentlichen, ich hätte eine Abfindungszahlung für die Nicht-Aufführung des »Tristan« angenommen; wogegen ich denn glücklicherweise mit der Bezeugung der Wirklichkeit meines Benehmens protestieren konnte. Mit Schott zogen sich nun auch die Unterhandlungen einigermaßen hinaus, da ich auf sein Anerbieten im Betreff der »Walküre« jetzt nicht eingehen wollte; ich blieb bei meinem ersten Anerbieten einer neuen Oper »Die Meistersinger« und erhielt endlich von ihm die für die »Walküre« mir angebotene Abschlagszahlung von 1500 Gulden, als auf mein neues Werk zu leisten, zugestanden. Sofort, als ich den Wechsel erhielt, ward eingepackt, als mir ein Telegramm der bereits nach Paris zurückgekehrten Fürstin Metternich zukam, worin ich gebeten wurde, meine Abreise bis zum ersten Januar zu verschieben. Ich nahm mir vor, um nur zunächst von Wien fortzukommen, mich von meinem Vorhaben nicht abhalten zu lassen und zunächst mich nach Mainz zu weiteren Unterhandlungen und Festsetzungen mit Schott zu begeben. Der Abschied am Bahnhofe ward mir besonders durch Cornelius erheitert, welcher eine von mir ihm bereits mitgeteilte Strophe des Sachs wie mit geheimnisvollem Enthusiasmus zuraunte; es war dies der Vers: »Der Vogel, der heut' sang, dem war der Schnabel hold gewachsen; ward auch den Meistern dabei bang, gar wohl gefiel er doch Hans Sachsen!«[686]
In Mainz lernte ich nun die Familie Schott, welche bereits in Paris an mir vorübergegangen war, näher kennen. Auch jener junge Musiker Weißheimer war hier als täglicher Gast, im Beginne seiner Laufbahn als Musikdirektor beim dortigen Theater, anzutreffen. Bei einem Mittagsmahle brachte ein andrer junger Mann, der Jurist Städl, mit sehr weitgehender und mich überraschender Rede einen wirklich sinnvollen Toast aus. Trotzdem gingen meine Unterhandlungen mit dem höchst sonderbaren Menschen, als welchen ich nun Franz Schott zu begreifen hatte, ungemein schwierig vor sich. Ich bestand durchaus auf der Ausführung meines ersten Vorschlages, welcher darauf ausging, mich für zwei Jahre sukzessive mit den nötigen Fonds zu versehen, um ungestört mein Werk ausführen zu können. Seine Abneigung hiergegen beschönigte er damit, daß es seinem Gefühle widerstehe, mit einem Manne wie mir gleichsam einen Handel zu treiben, indem er mir mein Werk für irgendeine Summe auch zur Ausbeutung meiner Autorenrechte im Betreff der theatralischen Aufführungen abkaufen solle; er sei Musikverleger und wolle nicht mehr sein. Ich stellte ihm dagegen vor, daß er mir nur immerhin in der verlangten Form die nötigen Vorschüsse machen solle, wogegen ich die Zurückzahlung des Teiles, welcher als Honorar für das literarische Eigentum zu rechnen sei, durch die zukünftigen, ihm bis dahin gleichsam verpfändeten Theatereinnahmen gewährleiste. Sehr langsam war er endlich dazu zu bringen, auf von mir »zu liefernde musikalische Kompositionen« im allgemeinen Vorschüsse zu machen, was ich denn endlich gern annahm, jedoch immer darauf bestehend, daß ich mich im ganzen auf eine sukzessive Zahlung von 20000 Franken verlassen könnte. Da ich nach meiner Auslösung aus meinem Wiener Gasthof jetzt sofort wieder Geld bedurfte, stellte mir nun Schott Wechsel auf Paris aus. Von dort erhielt ich nun eine briefliche Mitteilung von Fürstin Metternich, deren Sinn mir insofern unverständlich blieb, als sie mir nur den plötzlichen Tod ihrer Mutter, Gräfin Sandor, und die dadurch eingetretene Veränderung in ihrer Familienlage meldete.
Nochmals überlegte ich nun, ob es nicht ratsamer sei, auf das Geratewohl in oder bei Karlsruhe eine bescheidene Niederlassung zu versuchen, welche mit der Zeit vielleicht zu einer beruhigenden Dauer reifen könnte; im Betreff des schwierigen Unterhaltes Minnas, für welche ich meinem Versprechen gemäß in Dresden mit jährlichen 1000 Talern aufzukommen hatte, schien es mir vernünftiger und namentlich sparsamer, wenn ich meine Frau dann zur Teilnehmung an dieser Niederlassung zu mir berief. Ein Brief, den ich um jene Zeit von ihr erhielt und welcher im ganzen nichts anderes als einen Versuch zu Verhetzungen mit mir befreundeten Personen enthielt, schreckte mich sofort von jedem Gedanken einer neuen Vereinigung mit ihr zurück und bestimmte mich, durch Festhaltung meines Pariser Planes mich so weit wie möglich von ihr fernzuhalten.
So reiste ich gegen Mitte Dezember nach Paris ab, wo ich für das erste in[687] dem unscheinbaren »Hotel Voltaire« am Quai gleichen Namens ein sehr bescheidenes Zimmer, aber mit angenehmer Aussicht, bezog. Hier wollte ich, immerhin für meine Arbeit mich sammelnd, so lange unbeachtet mich erhalten, bis ich, wie sie zuvor es gewünscht hatte, der Fürstin Metternich erst mit dem Beginn des neuen Jahres mich vorstellen könnte. Um hierdurch den mit Metternichs befreundeten Pourtalès und Hatzfeld keine Verlegenheiten zu bereiten, betrachtete ich mich auch diesen gegenüber als gar nicht in Paris angekommen und suchte einzig meine in jener Angelegenheit gänzlich unberührten alten Bekannten Truinet, Gaspérini, Flaxland und den Maler Czermak auf. Mit Truinet und dessen Vater traf ich regelmäßig wieder zur Abendmahlzeit in der »Taverne Anglaise« zusammen, wohin ich mich bei eingetretener Finsternis, ohne von jemand beachtet werden zu können, die gewohnten Straßen durchschlich. Da auf einmal traf mich beim Aufschlagen eines Journals die Nachricht vom plötzlichen Tode des Grafen Pourtalès. Groß war mein Schmerz und besonders mein Bedauern darüber, daß ich durch jene sonderbare Rücksicht auf das Metternichsche Haus bisher meinen Besuch bei diesem so bewährten Freunde unterlassen hatte. Nun suchte ich allerdings den Grafen Hatzfeld sofort auf, der mir zunächst die traurige Nachricht zu bestätigen und die Umstände des so plötzlichen Todes, welcher durch eine bis in den letzten Augenblick den Ärzten verborgen gebliebene Herzkrankheit herbeigeführt war, mitzuteilen hatte. Zugleich aber erfuhr ich auch von ihm die wahre Beschaffenheit der Vorgänge im Metternichschen Hotel. Der Tod der Gräfin Sandor, welchen Fürstin Pauline mir gemeldet, hatte folgende Bedeutung: der Graf, jener famose ungarische Tollkopf, war von seiner Gattin bis dahin im Interesse der ganzen Familie als Wahnsinniger gehütet worden; nach dem Tode derselben befürchtete die Familie nun die ungeheuersten Störungen durch den jetzt nicht mehr bewachten Grafen, weshalb Metternichs es für nötig hielten, ihn sofort nach Paris zu sich zu nehmen, um ihn unter ihrer Obhut in der nötigen Pflege zu erhalten. Hierfür hatte die Fürstin sogleich als einzig zweckmäßig die mir zuvor angebotene Wohnung bestimmt; somit erkannte ich jetzt, daß an meine Aufnahme im österreichischen Gesandtschafts-Hotel bereits gar nicht mehr gedacht wurde, und ich hatte auch diesen sonderbaren Streich des Schicksals, welcher mich diesmal wiederum nach dem verhängnisvollen Paris geworfen hatte, zu erwägen.
Fürs erste blieb mir nichts anderes übrig, als mein nicht sehr kostspieliges Unterkommen im »Hotel Voltaire« bis zur Beendigung meiner Dichtung der »Meistersinger« beizubehalten und währenddem gleichzeitig gründlich zu überlegen und darnach auszuspähen, wohin ich mich nun zu wenden hätte, um das so mühevoll aufgesuchte Asyl für die Ausführung meines neuen Werkes aufzufinden. Es war nicht leicht, hierfür zu sorgen; meinen Namen und meine Person, welche unwillkürlich doch von jedem in dem bedenklichen Lichte des Pariser Mißerfolges ersehen wurden, schien eine[688] Dunstwolke zu umgeben, die mich selbst alten Freunden unkenntlich zu machen schien. Fast wollte ich eine ähnliche mißtrauische Vorstellung meinem neuesten Empfange im Ollivierschen Hause entnehmen: jedenfalls hielt man es hier für mehr als bedenklich, mich so früh wieder auf der Pariser Arena erscheinen zu sehen. Ich hatte zu erklären, welcher sonderbare Umstand mich zunächst wieder hergeführt hatte und wie ich an ein längeres Verweilen meinerseits gar nicht dächte. Von diesem gewiß trügerischen Eindrucke absehend, erkannte ich nun wohl aber bald die Veränderung, welche im Innern der Familie vorgegangen war. Die Großmutter lag an einem in ihrem Alter unheilbaren Beinbruche darnieder; Ollivier hatte sie in seiner an und für sich beschränkten Wohnung zur Pflege aufgenommen, und an ihrem Bette im kleinen Stübchen versammelten wir uns zum Diner. Blandine schien mir seit dem Sommer außerordentlich verändert und einen traurigen Ernst auszudrücken; ich glaubte zu bemerken, daß sie guter Hoffnung sei. Emile, trocken und flüchtig, gab mir einzig etwas recht nützlich zu Verwendendes an: als nämlich jener Richard Lindau durch seinen Avoué sich wegen einer für seine imaginäre Mitarbeitung an der Übersetzung des »Tannhäuser« vom Gericht ihm zuerkannten Entschädigung mahnend an mich wandte, zeigte ich den Brief Ollivier und frug, was ich machen sollte. »Ne répondez pas«, war die ganze Antwort; und sein Rat war ebenso nützlich als leicht zu befolgen: ich habe nie wieder etwas von dieser Seite zu erfahren gehabt. Mit Beklommenheit nahm ich mir vor, Olliviers nicht mehr zu belästigen; mit einem unendlich melancholischen Blick auf mich nahm Blandine von mir Abschied. –
Dagegen geriet ich nun in einen fast regelmäßigen Umgang namentlich mit Czermak, mit welchem ich des Abends, neben der stets mit der Familie Truinet mich vereinigenden »Taverne Anglaise«, noch andere ähnlich wohlfeile Restaurants aufsuchte. Gewöhnlich begaben wir uns dann auch in eines der kleinen Theater, welche ich in meinem früheren Drange gänzlich unbeachtet gelassen hatte. Als Krone derselben erkannte ich das »Gymnase«, wo von der ausgezeichnetsten Truppe auch fast durchweg nur gute Stücke gespielt wurden. Unter diesen habe ich besonders ein sehr zart rührendes einaktiges Stück »Je dine chez ma mère« in der Erinnerung behalten. Im »Théâtre du Palais Royal«, wo es nun allerdings nicht mehr so feinsinnig herging, sowie auch im »Théâtre Déjazet« mußte ich die hier originalen Urtypen aller der Possen erkennen, mit welchen in schlechter Bearbeitung und unpassender Lokalisierung das deutsche Publikum jahraus, jahrein unterhalten wird. – Außerdem hielt ich mich auch zuweilen am Mittagstische der Familie Flaxland auf, welche sonderbarerweise an meinem zukünftigen Pariser Erfolge durchaus nicht verzweifeln wollte; für jetzt fuhr mein Pariser Verleger fort, den »Fliegenden Holländer« sowie auch den »Rienzi« herauszugeben, für welchen er mir sogar, da er in jenem ersten Verkauf nicht mit einbedungen gewesen, mit 1500 Franken ein kleines Honorar zahlte.[689]
Der Grund der fast heiteren Behaglichkeit, mit welcher ich meine so widerwärtige Lage in Paris mir diesmal sogar zu einer freundlichen Erinnerung für spätere Zeiten gestalten konnte, lag allerdings darin, daß ich jetzt täglich mein Gedicht der »Meistersinger« in massenhaften Reimen anschwellen lassen konnte. Wie hätte es mich nicht mit humoristischer Laune erfüllen müssen, von dem Fenster des dritten Stockes meines Hotels aus den ungeheueren Verkehr auf den Quais und über die zahlreichen Brücken, mit der Aussicht auf die Tuilerien, das Louvre, bis nach dem Hotel de Ville hinab, an mir vorbeistreifen zu sehen, sobald ich, über die wunderlichen Verse und Sprüche meiner Nürnberger »Meistersinger« sinnend, den Blick vom Papier erhob.
Bereits war ich im ersten Akte weit vorgeschritten, als der verhängnisvolle Neujahrstag 1862 erschien und ich nun den bis dahin mir vorbehaltenen Besuch bei Fürstin Metternich ausführte. Ich traf hier auf eine sehr natürliche Verlegenheit, und gegenüber den großen Versicherungen ihres Bedauerns, unter den mir bekannten Umständen ihre Einladung zurücknehmen zu müssen, hatte ich nur mit heiterster Laune mir ihre Beruhigung angelegen sein zu lassen. – Den Grafen Hatzfeld bat ich, mich davon benachrichtigen zu wollen, wann die nun verwitwete Gräfin Pourtalès sich soweit wohlfühlen würde, um meinen Besuch zu empfangen. – So fuhr ich denn im Verlaufe des Monats Januar fort, das Gedicht meiner »Meistersinger« in genau dreißig Tagen zu vollenden. Die Melodie zu dem Bruchstücke aus Sachs' Gedicht auf die Reformation, mit welchem ich im letzten Akte das Volk seinen geliebten Meister begrüßen lasse, fiel mir, auf dem Wege zur »Taverne Anglaise« die Galerien des Palais Royal durchschreitend, ein; ich fand Truinet mich bereits erwartend und verlangte von ihm einen Streifen Papier nebst Bleistift, um meine Melodie, die ich ihm zugleich heimlich vorsang, aufzuzeichnen. Dieser, den ich mit seinem Vater gewöhnlich dann über die Boulevards nach seiner Wohnung im Faubourg St. Honoré begleitete, hatte für mich fast nichts als den jubelnden Ausruf: »Mais quelle gaîté d'esprit, cher maître!«
Je mehr sich aber meine Arbeit dem Ende näherte, desto ernstlicher hatte ich nun für mein ferneres Unterkommen zu sorgen; ich bildete mir immer noch ein, es müsse mir etwas dem, was ich mit Liszts Verlassen der Altenburg verloren hatte, Ähnliches beschieden sein. Da entsann ich mich denn, daß ich noch im vergangenen Jahre von Frau Street die feurigste Einladung zu einem längeren Besuche bei ihr und ihrem Vater in Brüssel erhalten hatte; hierauf bezog ich mich nun, als ich bei der Dame jetzt anfrug, ob sie mir eine bescheidene Aufnahme für einige Zeit bei ihr gewähren könne: man war in »désolation«, meinen Wunsch mir abschlagen zu müssen. Auch an Cosima wandte ich mich nach Berlin mit einer ähnlichen Anfrage, worüber diese wirklich erschrocken zu sein schien, was ich mir, bei einem späteren Besuche Berlins, durch den Charakter der Niederlassung Bülows allerdings[690] zu erklären verstand. Sehr auffallend war es dagegen, daß mein Schwager Avenarius, von dem ich erfuhr, daß er in recht guten Verhältnissen ebenfalls in Berlin Haus halte, sehr ernstlich auf meine Anfrage einging und mich zunächst wenigstens bat, bei ihm abzusteigen, um mich selbst von der Möglichkeit eines längeren Auskommens in seinem Hause zu überzeugen. Meine Schwester Cäcilie verbat sich nur Minnas Mitkunft, welche sie jedoch für einen etwaigen Besuch in ihrer Nähe gut unterbringen zu können glaubte. Zu ihrem Unglück mußte diese Ärmste nun wieder nichts andres zu tun haben, als mir einen wütenden Brief über das verletzende Benehmen meiner Schwester zu schreiben: die Möglichkeit, unter irgendwelchen Umständen so bald wieder zwischen die alten Hetzereien zu geraten, schreckte mich sogleich von der Annahme des Vorschlages meines Schwagers ab. – So verfiel ich denn endlich darauf, in der Umgegend von Mainz unter dem finanziellen Schütze Schotts mir einen ruhigen Aufenthaltsort auszusuchen. Dieser hatte mir von einem hübschen Landgute des jungen Barons von Harnstein, in jener Gegend gelegen, gesprochen; ich glaubte diesem wirklich eine Ehre zu erweisen, als ich ihm nach München um die Erlaubnis, auf seinem Gute im Rheingau für einige Zeit Unterkunft zu suchen, schrieb. Dagegen war ich nun höchst betroffen, als Antwort ebenfalls nur den Ausdruck des Schreckens über meine Zumutung zu empfangen. Jetzt beschloß ich denn geradeswegs nach Mainz zu gehen, wohin ich bereits unser sämtliches, in Paris seit nun bald einem Jahre zurückgestelltes Mobiliar und Hausgerät dirigierte. Ehe ich nach diesen Entschlüssen Paris verließ, ward mir noch die Tröstung einer erhabenen Mahnung zu entsagungsvoller Standhaftigkeit zuteil. Auch an Frau Wesendonk hatte ich über meine Lage und den Hauptgegenstand meiner Sorge, jedoch nur in dem Sinne, wie man teilnehmenden Freunden sich mitteilt, berichtet; sie beantwortete dies mit der Zusendung eines kleinen Briefbeschwerers von Eisenguß, welchen sie damals in Venedig noch als Geschenk für mich eingekauft hatte; er stellte den Löwen von S. Marco mit der Tatze auf dem Buche vor und sollte mich ermahnen, diesem Löwen in irgend etwas auch nachzueifern. Jedenfalls kam man nicht auf den Einfall, mir das Gesuchte bei sich anzubieten. – Dagegen gestattete mir Gräfin Pourtalès schließlich noch einen Besuch bei sich. Die so hart betroffene Dame wollte mir doch, trotz ihrer Trauer, einen innigen Anteil an mir nicht unausgedrückt lassen; da ich ihr meldete, womit ich mich soeben beschäftigt, frug sie nach meiner Dichtung: meinem Bedauern, sie jetzt gewiß nicht aufgelegt finden zu können, mit dem heiteren Charakter meiner »Meistersinger« bekannt zu werden, entgegnete sie freundlich mit dem Wunsche, sie doch durch mich kennenzulernen, und lud mich für den Abend ein. Sie war die erste, der ich mein jetzt fertiges Gedicht vorlesen konnte, und es machte auf uns beide einen nicht bedeutungslosen Eindruck, daß wir oft in herzliches Lachen darüber ausbrechen konnten.
Am Abend meiner Abreise, am ersten Februar, vereinigte ich noch meine[691] Freunde Gaspérini, Czermak und die beiden Truinets zu einer letzten Mahlzeit in meinem Hotel. Alles war vortrefflich aufgelegt und namentlich durch meine eigene gute Laune erheitert, obwohl keiner recht begreifen wollte, was es mit dem Sujet für eine Bewandtnis habe, von dem ich nun die Dichtung vollendet und von deren weiterer Ausführung ich mir für Deutschland so viel Gutes versprach.
Immer noch in der Sorge, für das mir jetzt so nötige Asyl das Richtige zu wählen, richtete ich meine Reise zunächst noch einmal nach Karlsruhe. Abermals wurde ich von dem großherzoglichen Ehepaar freundlich empfangen und über meine nächsten Lebensbeschlüsse befragt. In keiner Weise ließ man mich jedoch durchblicken, daß die von mir gesuchte Niederlassung mir etwa in Karlsruhe bereitet sein könnte. Auffallend war mir eine teilnahmvoll sich ausnehmende Bekümmernis des Großherzogs darüber, aus welchen Mitteln ich nur eigentlich die Kosten meines jetzt so beschwerlichen Lebens, selbst wenn er nur meine Reisen in Berechnung ziehen woll te, zu bestreiten vermöchte; hierüber suchte ich ihn mit heitrer Miene zu beruhigen, und zwar durch einen Hinweis auf mein kontraktliches Verhältnis zu Schott, welcher mir bis zur Vollendung meiner »Meistersinger« die nötigen Unterhaltssubsidien in der Form von Vorschüssen auf meine Arbeit zu liefern habe. Dies schien ihn zu trösten. Späterhin erfuhr ich von Alwina Frommann, der Großherzog habe sich einmal darüber geäußert, ich hätte mich spröde gegen ihn benommen, nachdem er mir doch selbst, wie einem Freunde, seine Börse angeboten habe. Hiervon hatte ich nun allerdings nichts gemerkt; es war vielmehr nur noch davon die Rede, daß ich bald einmal wieder mich in Karlsruhe einfinden möchte, um eine meiner Opern, etwa den »Lohengrin«, neu einzustudieren und zu dirigieren.
Für jetzt setzte ich meine Reise nach Mainz fort, wo ich am 4. Februar bei einer großen Überschwemmung eintraf. Der Rhein war infolge eines frühzeitigen Eisbruches in ungewöhnlicher Weise ausgetreten; fast nur mit Gefahr konnte ich in das Haus Schotts gelangen; dennoch hatte ich bereits auf den 5. dieses Monats abends auch für hier eine Vorlesung der »Meistersinger« angesagt und hierzu, noch von Paris aus, Cornelius von Wien her einzutreffen verpflichtet, indem ich ihm mit 100 Franken das Reisegeld besorgt hatte. Mir war keine Antwort von ihm zugegangen, und da ich nun erfuhr, daß die gleiche Überschwemmung, wie ich sie in Mainz antraf, sich auf alle Flußgebiete Deutschlands erstreckte und allen Eisenbahnverkehr hemmte, rechnete ich zwar nicht mehr auf Cornelius' Eintreffen, verzögerte aber doch den Beginn der Vorlesung bis zu der ihm festgesetzten Stunde; und wirklich – Schlag sieben Uhr trat Cornelius bei uns ein. Er hatte die schwierigsten Abenteuer zu bestehen gehabt, sogar seinen Paletot unterwegs verloren und war halb erfroren vor wenigen Stunden soeben erst jetzt bei seiner Schwester angelangt. So versetzte uns auch hier die Mitteilung meines Gedichtes in die heiterste Laune; nur betrübte es mich, Cornelius von seinem[692] Vorsatze, des anderen Tages sogleich wieder zurückzureisen, nicht abbringen zu können: er hielt diese pünktliche Ausführung seines Vorsatzes, eben nur für eine Vorlesung der »Meistersinger« nach Mainz zu kommen, für unerläßlich, um dem ganzen Vorgänge seinen absonderlichen Charakter zu bewahren. Wirklich reiste er anderen Tages trotz Eisschollen und Wasserfluten wieder nach Wien zurück. –
Verabredetermaßen begab ich mich nun alsbald mit Schott zum Aufsuchen einer Wohnung für mich auf das entgegengesetzte Rheinufer. Wir hatten es namentlich auf Biebrich abgesehen; da sich hier nichts Rechtes vorfand, nahmen wir aber auch Wiesbaden selbst in Betracht; endlich entschied ich mich dafür, in dem »Europäischen Hof« zu Biebrich zunächst ein Absteigequartier zu nehmen, um von hier aus das Weitere zu erkunden. Da es mir immer daran gelegen war, einsam und namentlich von jeder Möglichkeit eines unmusikalischen Geräusches fern zu wohnen, entschloß ich mich, in einem von dem Architekten Frickhöfer neu gebauten, dicht am Rheine gelegenen größeren Sommerhause eine sehr kleine, mir aber ganz entsprechende Wohnung zu mieten. Um sie mir einzurichten, hatte ich die Ankunft meines Mobiliars aus Paris abzuwarten; dies traf ein; mit unendlichen Kosten und Bemühungen wurde es in dem Biebricher Zollschuppen abgeladen, und ich bemächtigte mich nun zunächst des für meine Einrichtung Nötigsten.
Nur was ich hierzu bestimmte, sollte überhaupt in Biebrich verbleiben, der größere Teil dagegen meiner Frau nach Dresden übersandt werden. Hiervon hatte ich Minna Meldung getan, und nun bemächtigte ihrer sofort sich die Sorge, daß ich bei unregelmäßigem Auspacken alles beschädigen und zum Teil verlieren würde. Kaum hatte ich mich mit dem nun wiedererlangten Erardschen Flügel innerhalb acht Tagen erträglich eingerichtet, als Minna plötzlich bei mir in Biebrich ankam. Wirklich empfand ich zunächst nichts als herzliche Freude über ihr gutes Aussehen und ihre unverwüstliche Energie in der Handhabung praktischer Dinge: ich glaubte im ersten Augenblicke sogar, am besten daran zu tun, wenn ich sie hier an meiner Seite sich einrichten ließe. Leider konnte meine gute Stimmung nicht lange anhalten, da die alten Auftritte sich alsbald erneuerten: als wir in dem Zollschuppen die Auseinandersetzungen eines jetzt in das Auge zu fassenden Meines und Deines vornahmen, konnte sie vor Zorn darüber sich nicht halten, daß ich ihre Ankunft nicht abgewartet und eigenmächtig aus dem Gepäcke das mir Taugliche entnommen hätte. Da sie dem ungeachtet es für schicklich hielt, mich mit einigen wirtschaftlichen Gegenständen zu versorgen, wendete sie sogar vier Bestecke von Messern, Gabeln und Löffeln, einige Tassen und die hierzu gehörigen Teller an meine Ausstattung, sorgte für sichere Verpackung des nicht ganz unansehnlichen übrigen Hausrates, und nachdem dies alles in ihrem Sinne wohl geordnet war, kehrte sie nach einer Woche nach Dresden zurück. Für ihre dortige Niederlassung schmeichelte sie sich nun genügend[693] ausgerüstet zu sein, um auch mich, wie sie hoffte, bald bei sich empfangen zu können; hierfür hatte sie bereits diejenigen Schritte bei höheren Regierungsbeamten getan, welche ihr die Erklärung des Ministers erwirkt hatten, ich möge bei dem Könige formell um meine Amnestierung einkommen, so würde für jetzt meiner Rückkehr nach Dresden nichts im Wege stehen.
Was hierin zu tun sei, überlegte ich mir jetzt noch mit Zögern. Minnas Anwesenheit hatte meine an und für sich durch die Unruhe der letzten Zeiten gestörte Stimmung in erhöhtem Maße verschlimmert; rauhes Wetter, schlecht heizende Öfen, große Unbeholfenheit im Haushalte, unberechnet starke Geldausgaben, namentlich auch für Minnas Einrichtung, verdarben mir zunächst alle Freude an der Ausführung des im »Hôtel Voltaire« begonnenen Werkes. Die Familie Schott lud mich, vermutlich um mich zu zerstreuen, zu einer Aufführung des »Rienzi« mit Niemann nach Darmstadt ein: dort angekommen, stellte sich der damalige Minister, Herr von Dalwigk, welcher eine die Gegenwart des Großherzogs leicht verletzende Demonstration für mich im Theater befürchtete, schon am Bahnhofe mir vor, um mich in seine eigene Loge zu geleiten, wo er sich sehr klug das Ansehen geben konnte, als ob er für den Großherzog mich selbst dem Publikum präsentiere. In diesem Sinne ging denn auch alles sehr artig und freundlich ab: die Aufführung selbst, welche mir Niemann in einer seiner besten Rollen zeigte, war im übrigen dadurch für mich interessant, daß man so viel wie möglich darin ausließ, um dagegen, vermutlich einer Vorliebe des Großherzogs zu schmeicheln, dem Ballette durch Wiederholung der trivialsten Stücke eine besondere Ausdehnung zu geben. – Auch von diesem Ausfluge hatte ich wiederum durch die Eisschollen des Rheines zu mir zurückzukehren. Sehr verdrießlich suchte ich nun einige Bequemlichkeit in meinen Hausstand zu bringen und mietete dazu ein Dienstmädchen, welche mir auch das Frühstück bereiten mußte; meine Mahlzeiten nahm ich im »Europäischen Hof«.
Da es aber noch immer nicht zur Arbeitslaune kommen wollte und eine gewisse Unruhe sich meiner bemächtigt hatte, trug ich mich, meinem Versprechen gemäß, dem Großherzoge von Baden für einen abermaligen Besuch zu einer Vorlesung der »Meistersinger« an. Der Großherzog antwortete mir sehr freundlich durch ein persönlich von ihm unterzeichnetes Telegramm, worauf ich am 7. März in Karlsruhe eintraf und dem Großherzoglichen Paare mein Manuskript vortrug. Es war zu dieser Vorlesung sinnigerweise ein Salon bestimmt worden, welcher mit einem großen historischen Tableau meines alten Freundes Pecht, der junge Goethe die ersten Bruchstücke seines »Faust« den Ahnen der herzoglichen Familie vorlesend, geziert war. Mein Stück wurde sehr freundlich aufgenommen, und es nahm sich artig aus, als die Großherzogin am Schlusse mir besonders die musikalische Ausführung des vortrefflichen Pogner anempfahl – was wie ein freundliches Zugeständnis der Beschämung darüber anzusehen war, daß ein Bürger[694] sich eifriger als mancher Fürst für die Kunst bemühte. Abermals wurde eine Aufführung des »Lohengrin« unter meiner Leitung besprochen und ich hierfür neuerdings zum Einverständnis mit Eduard Devrient angewiesen. Dieser hatte nun das Unglück, durch eine mir dargebotene Aufführung des »Tannhäuser« im Theater sich mir auf das abschreckendste zu empfehlen. Ich mußte dieser Produktion an seiner Seite beiwohnen und hatte hierbei mit Erstaunen zu erkennen, daß dieser sonst von mir so sehr empfohlene Dramaturg in den allgemeinsten Schlendrian des Theaterwesens verfallen war. Meiner Verwunderung über die haarsträubendsten Verstöße in der Darstellung erwiderte er mit noch größerer und dabei vornehm ärgerlicher Verwunderung darüber, daß ich über so etwas viel Wesens machen könnte, da ich doch wüßte, daß es beim Theater nicht anders herginge. Dennoch ward für den bevorstehenden Sommer eine auf Mustergültigkeit berechnete Aufführung des »Lohengrin« unter Mitwirkung des Ehepaares Schnorr verabredet.
Einen angenehmeren Eindruck hatte mir auf der Durchreise eine Aufführung im Frankfurter Theater hinterlassen, wo ich ein hübsches Lustspiel sah, in welchem mir Friederike Meyer, die Schwester meiner Wiener Sängerin Dustmann, in einem Sinne, wie ich dies bei deutschen Schauspielern noch wenig gewahrt hatte, durch feines und zartes Spiel auffiel. Ich legte mir nun die etwaigen Chancen für ein erträgliches Auskommen im Betreff des um Biebrich verstreuten möglichen Umganges mit einigen Menschen vor, um nicht bloß auf die Familie Schott und meinen Gasthofwirt beschränkt zu sein. So hatte ich bereits die Familie Raff in Wiesbaden aufgesucht. Frau Raff, eine Schwester der mir von Weimar her vorteilhaft bekannten Emilie Genast, war als Schauspielerin am Wiesbadener Hoftheater angestellt. Von ihr erzählte man mir das Vorzügliche, daß sie durch ungemeine Sparsamkeit und Ordnungspflege die Lage ihres bis dahin in diesem Punkte sehr verwahrlosten Gemahles zu einem vortrefflichen Gedeihen umgewandelt hatte. Raff selbst, welcher mir durch allerlei Berichte über sein früher unter Liszts Protektion getriebenes Unwesen in der Gestalt eines exzentrisch Genialen vorschwebte, enttäuschte mich hierin sofort, als ich den ungemein trockenen, nüchternen, auf seinen Verstand eingebildeten und doch dabei ohne allen weiten Blick sich behelfenden Menschen näher kennenlernte. Von der vorteilhaften Lage aus, in welche die Sorgfalt seiner Frau ihn gebracht hatte, glaubte er jetzt im Betreff der Lage, in welcher ich mich befand, durch freundliche Ermahnungen mich hofmeistern zu dürfen; er vermeinte mir als heilsam anraten zu müssen, für meine dramatischen Kompositionen doch mehr auf die Wirklichkeit der Zustände Rücksicht zu nehmen, und wies in diesem Sinne auf meine Partitur des »Tristan« als eine Ausgeburt idealistischer Extravaganzen hin. Während ich bei seiner im ganzen wohl unbedeutenden Frau gelegentlich meiner Fußwanderungen nach Wiesbaden in der Folge zuweilen gern einsprach, wurde Raff selbst mir doch bald[695] außerordentlich gleichgültig. Doch stimmte er, als er auch mich etwas näher kennenlernte, allmählich seine Weisheitsansprüche etwas herab und schien sich endlich sogar vor meiner scherzhaften Laune zu hüten, gegen welche er sich waffenlos fühlte.
In Biebrich selbst dagegen sprach jetzt häufiger der von früher her mir oberflächlich bekannt gewordene Wendelin Weißheimer ein. Er war der Sohn eines reichen Bauern in Osthofen, der sich zum Staunen seines Vaters nicht mehr von der Musik abbringen lassen wollte. Ihm lag viel daran, mit seinem Vater mich bekannt zu machen, um diesen für die Wahl der Künstlerlaufbahn seines Sohnes günstig zu stimmen. Dies führte mich auch auf Ausflüge nach jener Gegend hin, während ich des jungen Weißheimers Talent als Orchesterdirigent durch eine Aufführung von Offenbachs »Orpheus«, bis wohin er einzig in einer untergeordneten Stellung am Theater zu Mainz gelangt war, kennenlernte. Ich war wahrhaft entsetzt, durch die Teilnahme an dem jungen Mann mich bis zur Assistenz einer solchen Scheußlichkeit herabgebracht zu sehen, und konnte lange Zeit nicht anders, als Weißheimer meinen Mißmut hierüber auffällig nachzutragen. – Dagegen suchte ich mir eine edlere Unterhaltung durch meine schriftlich an Friederike Meyer nach Frankfurt gerichtete Bitte, mich davon benachrichtigen zu wollen, wann eine Wiederholung der von mir zu spät angezeigt gesehenen Aufführung des Calderonschen Lustspieles »Das öffentliche Geheimnis« stattfinden sollte. Sehr erfreut über meine Teilnahme hierfür, meldete sie mir, daß dies Lustspiel wohl so bald nicht wiederholt werden würde, dafür jedoch Calderons »Don Gutierre« für mich in Aussicht stünde. Zu der Aufführung dieses Stückes begab ich mich abermals nach Frankfurt, lernte die interessante Künstlerin jetzt persönlich kennen und erhielt allen Grund, von der Aufführung der Calderonschen Tragödie im ganzen sehr befriedigt zu sein, obwohl der geistvollen Darstellerin der weiblichen Hauptrolle nur die zarteren Teile ihrer Aufgabe vollständig gelangen, während für das gewaltige Pathos ihre Kräfte nicht ausreichten. Sie erzählte mir, daß sie öfter eine befreundete Familie in Mainz besuchte, woran ich den Wunsch knüpfte, daß sie bei solchen Gelegenheiten doch auch Biebrich berühren möchte: sie stellte mir dies für einmal in Aussicht.
Eine große Soiree, welche Schotts ihren Mainzer Bekannten gaben, verschaffte mir die freundliche Bekanntschaft mit Mathilde Maier, welche von Frau Schott ihrer »Gescheitheit« wegen, wie sie sich ausdrückte, besonders ausgewählt war, mir beim Souper als Nachbarin Gesellschaft zu leisten; ihr sehr verständiges, wahrhaftiges, dabei für den Ausdruck von dem Mainzer Dialekt eigentümlich bestimmtes Wesen zeichnete sie, ohne daß dadurch irgend etwas Auffälliges geschah, vor der ganzen übrigen Gesellschaft sehr vorteilhaft aus. Ich versprach ihr, sie bei ihrer Familie aufzusuchen, und lernte nun ein städtisches Idyll kennen, wie ich desgleichen bisher wenig beachtet hatte. Mathilde, die Tochter eines mit Hinterlassung eines kleinen[696] Vermögens gestorbenen Notars, lebte mit ihrer Mutter, zweien Tanten und einer Schwester in enger aber sauberer Häuslichkeit, während ihr Bruder, welcher in Paris die Handlung erlernte, ihr fortgesetzt Not machte. Denn ihr tüchtiger, praktischer Sinn war es, welcher die Angelegenheiten der ganzen Familie, und, wie es schien, zur großen Zufriedenheit aller, besorgte. Ich ward hier ungemein herzlich aufgenommen, wenn ich, was wohl wöchentlich einmal geschah, meiner eigenen Angelegenheiten wegen nach Mainz wanderte, und wurde jedesmal genötigt, einen kleinen Imbiß von ihnen zu empfangen. Da sie im übrigen eine sehr ausgebreitete Bekanntschaft, unter andern auch die des einzigen Freundes Schopenhauers, eines alten Herrn in Mainz, besaß, traf ich Mathilde öfters auch anderswo, z.B. bei Raffs in Wiesbaden, von wo aus sie mit einer älteren Freundin, Luise Wagner, mich auf dem Heimwege zuzeiten begleitete, wie ich ihr ebenso zuweilen das weitere Geleite nach Mainz gab.
Beim Herannahen der schönen Jahreszeit kam mir unter derartigen gemütlichen Eindrücken, zu denen die häufigen Promenaden in dem schönen Parke des Biebricher Schlosses das ihrige beitrugen, endlich auch die Arbeitslaune wieder an. Bei einem schönen Sonnenuntergange, welcher mich von dem Balkon meiner Wohnung aus den prachtvollen Anblick des »goldenen« Mainz mit dem vor ihm dahinströmenden majestätischen Rhein in verklärender Beleuchtung betrachten ließ, trat auch plötzlich das Vorspiel zu meinen »Meistersingern«, wie ich es einst aus trüber Stimmung als fernes Luftbild vor mir erscheinen gesehen hatte, nahe und deutlich wieder vor die Seele. Ich ging daran, das Vorspiel aufzuzeichnen, und zwar ganz so, wie es heute in der Partitur steht, demnach die Hauptmotive des ganzen Dramas mit größter Bestimmtheit in sich fassend. Von hier aus ging ich sogleich weiter im Texte vorwärts, um ganz der Reihe nach die weiteren Szenen folgen zu lassen. – In so guter Stimmung fand ich auch die Laune zu einem Besuch bei dem Herzog von Nassau. Er war mein Nachbar, und ich hatte ihm so oft bei meinen einsamen Spaziergängen im Parke begegnet, daß ich es für schicklich fand, mich ihm vorzustellen. Leider wollte bei der hier stattfindenden Unterredung nicht viel herauskommen: ich hatte es mit einem sehr beschränkten aber gutartigen Menschen zu tun, welcher sich entschuldigte, seine Zigarre in meiner Gegenwart immerfort zu rauchen, weil er ohne dem nicht bestehen könnte. Im übrigen erklärte er mir seine Vorliebe für die italienische Oper, bei welcher ich ihn von ganzem Herzen beließ. Doch hatte ich eine heimliche Absicht, als ich ihn mir gewogen zu stimmen suchte. In einem hinteren Teile seines Parkes stand an einem Teiche ein altertümlich aussehendes kleines Schlößchen, welches in dem Sinne einer pittoresken Ruine verwendet war und zur Zeit einem Bildhauer als Atelier diente. Es regte sich in mir der kühne Wunsch, dieses kleine, halb verwitterte Gebäude mir für Lebenszeit zugeteilt wissen zu können; denn schon jetzt entstand in mir die bange Sorge, ob ich in meiner bisherigen Wohnung ausdauern[697] können würde, da der größere Teil desselben Stockwerkes, in welchem ich nur zwei kleine Zimmer einnahm, für den bevorstehenden Sommer an eine »Familie« vermietet war, von welcher ich erfuhr, daß sie mit einem Klavier bewaffnet einziehen würde. Bald riet man mir jedoch davon ab, der Gnade des Herzogs von Nassau für meine Spekulation weiter nachzugehen, da jenes Schlößchen seiner feuchten Lage wegen durchaus ungesund für mich sein würde.
Im übrigen ließ ich mich jedoch nicht davon abhalten, immer wieder zum Aufsuchen des von mir ersehnten einsamen kleinen Häuschens mit Garten mich aufzumachen. Bei den Ausflügen, die ich zu diesem Zwecke sehr häufig unternahm, begleitete mich öfters neben Weißheimer auch jener junge Jurist Dr. Städl, welcher mir bei Schott den erwähnten hübschen Toast ausgebracht hatte. Er war ein sonderbarer Mensch, dessen oft sehr aufgeregtes Wesen ich mir gelegentlich dadurch zu erklären hatte, daß er ein leidenschaftlicher Spieler am Roulette zu Wiesbaden sei. Dieser machte mich noch mit einem anderen Freunde, welcher zugleich geübter Musiker war, Dr. Schüler aus Wiesbaden, bekannt: mit beiden erwog ich nun alle Möglichkeiten eines Erwerbens oder auch nur Auffindens meines kleinen Zukunftsschlößchens. Einmal besuchten wir in dieser Absicht Bingen und bestiegen dort den berühmten alten Turmbau, in welchem dereinst Kaiser Heinrich IV. gefangengehalten worden war. Nachdem man eine ziemliche Felsenhöhe zu besteigen gehabt, auf welcher der Turm lag, gerieten wir in dessen viertem Stockwerke auf einen das ganze Quadrat des Gebäudes einnehmenden Raum, von welchem ein einziges Erkerfenster auf den Rhein hinausging. Ich erkannte diesen als das Ideal aller meiner Vorstellungen einer Wohnung für mich, indem ich ihm durch Benutzung von Vorhängen die nötigen kleineren Wohnungsabteilungen hineinkonstruierte und so mir für alle Zeiten ein herrliches Asyl zu bereiten gedachte. Städl und Schüler hielten es nicht für unmöglich, mir zur Erfüllung meiner Wünsche zu verhelfen, da sie mit dem Eigentümer dieser Ruine in Verkehr standen. Wirklich eröffneten sie mir auch nach einiger Zeit, daß der Besitzer gegen eine Abtretung dieses Saales für billigen Mietzins nichts einzuwenden hätte; nur wurde ich sogleich auf die gänzliche Unmöglichkeit, mein Vorhaben auszuführen, hingewiesen: kein Mensch, so hieß es, würde mich dort bedienen können und wollen, da unter anderem der Ort keinen Brunnen habe und ein schlechtes Wasser nur aus einer in furchtbarer Tiefe gelegenen Zisterne des Burgverlieses zu gewinnen sei. Es genügte, unter derartigen Umständen auf eine Schwierigkeit zu stoßen, um mich sofort von solch ausschweifenden Projekten abzubringen. – So erging es mir ebenfalls mit einem dem Grafen Schönborn gehörigen herrschaftlichen Gute im Rheingau, auf welches ich, weil es gänzlich von der Herrschaft unbewohnt blieb, aufmerksam gemacht wurde: hier fand ich allerdings viele leere Räume, von welchen ich mir schon einige für meinen Zweck geeignete hätte herrichten können; nach näheren[698] Erkundigungen bei dem Verwalter, welcher deshalb auch Anfrage an Graf Schönborn ergehen ließ, hatte ich jedoch eine abschlägige Antwort zu erfahren.
Ein sonderbarer Vorfall war um diese Zeit geeignet, in der begonnenen Arbeit mich wiederum einigermaßen zu stören: Friederike Meyer hielt ihr Versprechen und besuchte mich eines Nachmittags, von ihrem gewöhnlichen Mainzer Ausflug zurückkehrend, in Begleitung einer Freundin. Nach kurzem Verweilen überfiel sie plötzlich eine große Angst, und sie erklärte zu aller Schrecken, daß sie befürchte, vom Scharlachfieber befallen zu sein. In der Tat war der Zustand sehr bald beängstigend, so daß sie für das nächste im »Europäischen Hofe« sich eine Unterkunft suchen und einen Arzt bestellen mußte. Die Bestimmtheit, mit welcher sie sofort die sie befallende Krankheit erkannte, die sonst nur in der Folge einer Ansteckung von Kindern häufig vorkommt, durfte mir wohl auffallen; meine Verwunderung steigerte sich jedoch, als nach erhaltener Nachricht hiervon am frühesten Morgen des anderen Tages Herr von Guaita, der Direktor des Frankfurter Theaters, sich bei der Kranken einfand und eine Besorgnis für sie äußerte, deren Heftigkeit wohl nicht einzig aus dem Interesse des Theaterdirektors herzuleiten war. Ich fand mich dadurch, daß er Friederike sofort in seinen bekümmertsten Schutz nahm, für meine peinliche Teilnahme an diesem seltsamen Falle sehr erleichtert, verkehrte ein weniges mit Herrn von Guaita über die Möglichkeit, eine meiner Opern in Frankfurt aufzuführen, und wohnte am zweiten Tage der von Guaita, wie es mir schien, mit zärtlichster väterlichster Sorgfalt geleiteten Transportierung der Kranken nach dem Bahnhofe bei. – Bald hierauf führte sich ein Herr Bürde, Gemahl der namhaften Sängerin Ney, jetzt Schauspieler am Frankfurter Theater, bei mir ein: dieser, mit welchem ich unter andrem auch das Talent Friederike Meyers besprach, teilte mir mit, sie gelte als die Geliebte des Herrn von Guaita, eines in der Stadt durch seine patrizische Stellung angesehenen Mannes, und habe von diesem ein Haus geschenkt bekommen, in welchem sie wohne. Da Herr von Guaita durchaus auf mich keinen angenehmen, sondern vielmehr einen unheimlichen Eindruck gemacht hatte, erfüllte mich diese Nachricht mit einer gewissen Bekümmernis. Dagegen benahm sich die meinem Biebricher Asyle näher gelegene Umgebung recht zutraulich und freundlich, als ich am Abend meines Geburtstages, am 22. Mai, diese kleine Gesellschaft in meiner Wohnung bewirten ließ, wobei Mathilde Maier mit Schwester und Freundin meinen erbärmlichen Vorrat an Geschirr mit sehr artigem Geschick verwendete und gewissermaßen die Honneurs als Hauswirtin machte. –
Nur störte wiederum bald ein immer mehr sich verschlimmernder Briefwechsel mit Minna. Da ich sie in Dresden fixiert hatte, zugleich ihr aber auch das Beschämende einer ausgesprochenen häuslichen Trennung von mir ersparen wollte, hatte ich mich endlich dazu genötigt gesehen, den von ihr[699] angeregten Schritt beim sächsischen Justizminister auszuführen: ich war um meine schließlich vollständige Amnestierung eingekommen und erhielt jetzt mit der Gewährung derselben die Erlaubnis, mich in Dresden niederlassen zu dürfen. Somit fand sich Minna nun auch autorisiert, eine mit dem ihr zugewiesenen Mobiliare sehr gut einzurichtende größere Wohnung zu mieten, und dies zwar in der Annahme, daß ich dieselbe nach einiger Zeit, wenigstens periodisch, mit ihr teilen würde. Ihren Geldforderungen hierfür mußte ich ohne Widerrede zu entsprechen suchen und unter andrem auch die 900 Taler schaffen, welche sie hierfür ansprach. Je gelassener ich mich in diesem Punkte benahm, desto mehr schien sie die ruhige Kälte meiner Briefe zu verletzen: Vorwürfe über vermeintliche Kränkungen aus alten Zeiten sowie Schmähungen aller Art wurden ihr wieder geläufiger als je zuvor. So wandte ich mich denn endlich an meinen alten Freund Pusinelli, welcher mir zuliebe dem schwer zu behandelnden Weibe immer treu behilflich geblieben, um durch seine Vermittelung ihr die starke Medizin zu verordnen, welche mir meine Schwester Klara kurz zuvor als bestes Heilmittel für die Leidende angeraten hatte. Ich bat meinen Freund, Minna die Notwendigkeit einer Scheidung an das Herz zu legen. Es schien kein leichtes für den armen Freund gewesen zu sein, diesen Auftrag, wie es der Fall war, sehr ernstlich auszuführen. Er berichtete mir, daß sie sehr erschrocken gewesen sei, auf eine gutwillige Scheidung einzugehen aber mit Bestimmtheit verweigert habe. Jetzt änderte sich allerdings Minnas Benehmen, wie meine Schwester dies vorausgesehen, sehr auffällig; die Quälereien nahmen ein Ende, sie schien sich in ihre Lage zu fügen. Pusinelli hatte ihr zu einiger Erleichterung ihrer Herzkrankheit die Kur in Reichenhall verordnet; ich verschaffte ihr die Mittel hierfür, worauf sie an demselben Orte, wo ich vor einem Jahre Cosima ebenfalls zur Kur angetroffen hatte, den Sommer, wie es schien, in erträglicher Laune verbrachte.
Von neuem wandte ich mich zu meiner Arbeit, zu welcher ich, sobald die Unterbrechungen beseitigt waren, als zur besten Erheiterung dienend, immer wieder griff. Ein sonderbarer Vorfall störte mich in einer Nacht. Ich hatte das freundliche Thema von der Anrede Pogners »Das schöne Fest Johannistag« usw. an einem heiteren Abende entworfen, als ich, im Halbschlummer es immer noch vor mir vorüberziehen lassend, plötzlich durch ein ausgelassenes Frauengelächter im Hause über mir vollständig geweckt wurde. Das immer tollere Lachen ging endlich in gräßliches Wimmern und furchtbares Heulen über. Entsetzt sprang ich auf und gewahrte nun, daß diese Erscheinung von meinem Dienstmädchen Lieschen herrührte, welche, in der Kammer über mir gebettet, von hysterischen Krämpfen überfallen war. Die Magd meines Wirtes stand ihr bei; ein Arzt ward herbeigeholt: während ich mit Schrecken besorgt war, das Mädchen würde alsbald seinen Geist aufgeben, hatte ich mich über die eigentliche Ruhe und Gelassenheit der übrigen Assistenten zu verwundern; ich erfuhr, daß solche Krämpfe[700] sich häufig bei jungen Mädchen, namentlich nach Tanzvergnügungen, einstellten. Demungeachtet bannte mich der Vorgang mit seinen entsetzlichen Phänomenen noch lange zur Beobachtung fest, da ich hierbei, in der Weise des Wechsels von Ebbe und Flut, eine anscheinend kindische Heiterkeit durch alle Übergänge bis durch das frechste Lachen zu dem Schreien einer qualvoll Verdammten mehrere Male vor mir wechseln sah. Als sich das Übel einigermaßen beruhigte, legte ich mich wieder zu Bett, und nun erschien von neuem der »Johannistag« Pogners, welcher allmählich die vorher empfangenen gräßlichen Eindrücke verbannte.
Nicht ganz unähnlich dem armen Dienstmädchen erschien mir bald auch der junge Städl, als ich ihn eines Tages an der Spielbank zu Wiesbaden beobachtete. Mit ihm und Weißheimer hatte ich vergnüglich im Kurgarten den Kaffee getrunken, als Städl für einige Zeit verschwand; um ihn aufzusuchen, führte mich Weißheimer zur Spielbank. Eine entsetzlichere physiognomische Umwandlung, als ich jetzt an dem der Spielwut Verfallenen gewahr wurde, war mir selten noch vorgekommen. Wie zuvor das arme Lieschen, so hatte jetzt auch diesen ein Dämon in Besitz genommen, der, wie das Volk sagt, sein böses Wesen in ihm trieb. Kein Zuspruch, ja keine beschämende Ermahnung vermochte den von Spielverlust Geplagten nur irgendwie zu einer Zusammenfassung seiner moralischen Kräfte zu bewegen. Da ich selbst der Spielwut mich erinnerte, welcher ich eine Zeitlang als Jüngling verfallen war, unterhielt ich hiervon den jungen Weißheimer und erbot mich, ihm zu zeigen, wie ich wohl dem Zufalle, nicht aber dem Glücke etwas zu bieten mir getraue. Als ein neues Spiel beim Roulette begann, sagte ich ihm mit ruhiger Bestimmtheit, Nr. 11 werde zutreffen: so geschah es. Der Verwunderung über den glücklichen Zufall gab ich neue Nahrung, indem ich für das nächste Spiel Nr. 27 voraussagte, wobei ich mich allerdings einer ekstatischen Entrücktheit entsinne, welche mich einnahm: wirklich schlug diese Nummer wiederum zu, und nun geriet mein junger Freund in ein solches Erstaunen, daß er mir auf das dringendste anriet, doch auch wirklich auf die von mir vorausgesehenen Nummern zu setzen. Wiederum muß ich mich der eigentümlichen, sehr ruhigen Ekstase erinnern, mit welcher ich ihm erklärte: daß, sobald ich mein persönliches Interesse hierbei in das Spiel bringen würde, meine bisher bewährte Gabe sofort verschwinden müßte. Ich zog ihn alsbald vom Spieltische zurück; worauf wir bei schönem Sonnenuntergange den Rückweg nach Biebrich antraten.
In sehr peinigende Berührungen geriet ich nun mit der armen Friederike Meyer: sie meldete mir den Antritt ihrer Wiedergenesung und bat mich um meinem Besuch, weil sie das Bedürfnis habe, sich bei mir für die mir zugezogenen Beschwerden zu entschuldigen. Da mich die kurze Fahrt nach Frankfurt oft zu unterhalten und zu zerstreuen vermochte, erfüllte ich gern ihren Wunsch, fand die Rekonvaleszentin noch sehr schwach und in der ersichtlichen Bemühung begriffen, unangenehme Vorstellungen in ihrem Betreff[701] von mir fernzuhalten. Sie sprach über ihr Verhältnis zu Herrn von Guaita als von dem zu einem fast überzärtlich besorgten Vater. Sie habe sich sehr jung von ihrer Familie getrennt, namentlich von ihrer älteren Schwester Luise, welche sie durch ihre Heirat mit dem widerlichen Herrn Dustmann, dessen Namen diese jetzt führte, für kompromittiert hielt, zurückgezogen, und so, sehr verlassen, sei sie in Frankfurt angekommen, wo ihr die angelegentliche Protektion des bereits in reiferem Alter stehenden Herrn von Guaita sehr willkommen gewesen sei. Leider habe sie unter diesem Verhältnisse in sehr peinlicher Weise zu leiden, da sie namentlich durch die Familie ihres Protektors, welche von dem Gedanken eingenommen schien, dieser möchte sie gar heiraten wollen, in widerwärtigster Weise vornehmlich auch im Bezug auf ihren Ruf verfolgt werde. Ich konnte dieser Mitteilung gegenüber wirklich nicht umhin, sie darauf aufmerksam zu machen, daß ich von den Folgen dieser Feindschaft einiges bemerkt hätte, wobei ich so weit ging, auch von dem, wie das Gerücht besagte, ihr geschenkten Hause zu sprechen. Dies schien eine ganz außerordentliche Wirkung auf die kaum genesene Friederike hervorzubringen; sie äußerte die höchste Entrüstung über diese Gerüchte, obwohl sie seit lange wohl vermuten zu müssen geglaubt hätte, daß derlei Verleumdungen über sie ausgestreut wurden: sie habe schon öfter mit sich den Entschluß beraten, die Frankfurter Bühne aufzugeben, und sei nun mehr als je hierzu entschlossen. Ich fand in ihrem Benehmen keinen Grund, ihren Aussagen meinen Glauben zu versagen. Da außerdem Herr von Guaita sowohl seiner Persönlichkeit als auch seinem mir damals ganz unbegreiflichen Benehmen nach sich mir immer bedenklicher darstellte, nahm ich in meinem ferneren Verhalten zu dem sehr begabten Mädchen unbedingt Partei für ihr durch augenscheinliche Ungerechtigkeiten bedrängtes Interesse. Ich riet ihr, für jetzt zu ihrer Erholung einen längeren Urlaub für einen Aufenthalt am Rheine sich auszuwirken.
Jetzt wendete sich auch, der vom Großherzog ihm erteilten Weisung gemäß, Eduard Devrient im Betreff der besprochenen Aufführung des »Lohengrin« in Karlsruhe unter meiner Leitung an mich. Um diesen ehemals so blindlings hochgeschätzten Menschen mir in seiner gänzlichen Entfremdung zu zeigen, war der in seinem Schreiben enthaltene, geradesweges ärgerlich hochmütig ausgedrückte Vorwurf darüber, daß ich den »Lohengrin« ohne Kürzungen hergestellt wissen wollte, vollständig geeignet. Er schrieb mir, daß er von vornherein die Partitur nach den für die Leipziger Aufführung von Kapellmeister Rietz eingeführten Kürzungen für das Orchester habe ausschreiben lassen und somit alle die Stellen, welche ich restituiert wünschte, erst mühselig in die Stimmen einzutragen sein würden, welche Forderung er geradesweges als eine Schikane meinerseits ansehe. Hatte ich mir nun zurückzurufen, daß die einzige Aufführung des »Lohengrin«, welche ihrer gänzlichen Erfolglosigkeit wegen fast gar keine[702] Wiederholung fand, eben vom Kapellmeister Rietz in Leipzig veranstaltet worden war, daß dennoch Devrient, weil er Rietz für den Nachfolger Mendelssohns und den gediegensten Musiker der »Jetztzeit« hielt, gerade diese Verarbeitung meines Werkes zu dessen Einführung in Karlsruhe für zweckmäßig gehalten hatte, so mußte mich wohl ein wahrer Schauder über die Verblendung erfassen, welche ich so lange über diesen Menschen fast gewaltsam aufrechterhalten hatte. Ich meldete ihm kurz meine Empörung hierüber und meinen Entschluß, mit dem »Lohengrin« in Karlsruhe mich nicht befassen, dagegen gelegentlich beim Großherzog hierfür mich entschuldigen zu wollen. Bald darauf erfuhr ich nun, daß der »Lohengrin« dennoch, mit dem Ehepaar Schnorr als Gästen, nach gewohnter Weise in Karlsruhe aufgeführt werden solle. Mich bestimmte ein großes Verlangen, Schnorr und seine Leistungen endlich kennenzulernen; ich reiste demnach ohne Anmeldung nach Karlsruhe, verschaffte mir durch Kalliwoda ein Billett und wohnte so, das Weitere unbeachtend, der Vorstellung bei. Meine jetzt empfangenen Eindrücke, namentlich von Schnorr, habe ich in meinen veröffentlichten »Erinnerungen« an ihn genauer bezeichnet; er war mir sofort ein geliebter Mensch geworden, und ich ließ ihn ersuchen, nach der Vorstellung sich noch auf ein Plauderstündchen nach meinem Gasthofzimmer zu begeben. – Ich hatte so viel von seinen krankhaften Zuständen vernommen, daß ich wahrhaft erfreut war, ihn so spät in der Nacht, nach nicht unbedeutender Anstrengung, frisch und mit strahlendem Auge bei mir eintreten zu sehen. Meiner Besorgnis um Schonung für ihn durch Abhaltung jeder Art von Ausschweifung entgegnete er durch willige Annahme meines Anerbietens, unsere neue Bekanntschaft mit Champagner einweihen zu wollen. In heiterster Stimmung verbrachten wir in für mich namentlich über den Charakter Devrients sehr belehrenden Gesprächen einen guten Teil der Nacht, bis ich mir vornahm, auch noch den folgenden Tag zu verweilen, um seiner Einladung, bei ihm und seiner Frau zu speisen, entsprechen zu können. Da ich bei diesem längeren Verweilen in Karlsruhe wohl annehmen mußte, daß dem Großherzoge meine Anwesenheit bekannt werden würde, ließ ich mich den nächsten Tag bei ihm anmelden und wurde für eine Nachmittagsstunde beschieden. Nachdem ich über dem Mittagsmahle auch von Frau Schnorr, welche ich an allem als großes und wohlausgebildetes theatralisches Talent hatte kennengelernt, die wunderlichsten Aufschlüsse über Devrients Benehmen in der »Tristan«-Angelegenheit erfahren hatte, ging meine kurz darauf geführte Unterredung im großherzoglichen Schlosse mit einiger gegenseitiger Beklemmung vor sich. Die Gründe für die Zurückziehung meines Versprechens im Betreff der »Lohengrin«-Aufführung sowie auch meine bestimmte Annahme der Hintertreibung der früher projektierten Aufführung des »Tristan« durch Devrient teilte ich unverhohlen mit. Da nun durch Devrients sehr kluges Verhalten von jeher dem Großherzog der Glaube an seine innige und wahrhaft besorgte Freundschaft[703] für mich beigebracht worden war, berührte ihn dies offenbar höchst peinlich; doch schien er annehmen zu wollen, es handle sich nur um artistische Differenzen zwischen mir und seinem Theaterdirektor, da er beim Abschied mir den Wunsch ausdrückte, die vermeintlichen Mißverständnisse durch ein gutes Einvernehmen noch ausgeglichen zu sehen, worauf ich ihm leichthin erwiderte, daß ich nicht glaube, mit Devrient noch zu etwas zu kommen. Jetzt brach der Großherzog in wirkliche Entrüstung aus: er habe nicht geglaubt, daß es mir so leicht werde, einen bewährten Freund undankbar zu behandeln. Dem Ernste dieses Vorwurfes gegenüber hatte ich mich zunächst dafür zu entschuldigen, daß ich in einer an Ort und Stelle für schicklich erachteten, nicht zu ernsten Weise meinen Entschluß ausgesprochen hatte; daß jedoch der Großherzog durch seine sehr ernste Auffassung dieser Angelegenheit mich nun zu dem ebenfalls sehr ernstlichen Ausdrucke meiner wahren Gesinnung über jenen vermeintlichen Freund zu berechtigen schiene und ich somit im vollkommen entsprechenden Ernste ihm erklären müßte, mit Devrient nichts mehr zu tun haben zu wollen. Hiergegen suchte der Großherzog mit wieder hervortretender Güte mich zu bedeuten, daß er meine Erklärung für nicht so unwiderruflich auffassen wolle, da es ja doch wohl in seiner Macht läge, andrerseits auf ein mich versöhnendes Benehmen zu wirken. Ich schied mit dem ernstlich bezeugten Bedauern, daß ich jeden Versuch in dem Sinne meines Gönners für erfolglos erachte. – Späterhin erfuhr ich, daß Devrient, welcher natürlich durch den Großherzog von dem Vorgang Kenntnis erhielt, hierin einen Versuch meinerseits, ihn zu stürzen und mich an seine Stelle zu bringen, erkannte. Der Großherzog war nämlich bei dem Wunsche verblieben, von mir ein Konzert mit Bruchstücken aus meinen neuesten Werken aufgeführt zu wissen; hierüber hatte nach einiger Zeit Devrient mir wieder offiziell zu schreiben, bei welcher Gelegenheit er sich als Sieger über meine gegen ihn gespielten Intrigen zu erkennen gab, indem er mir zugleich versicherte, sein hoher Gönner wünsche dennoch das besprochene Konzert ausgeführt zu sehen, da er in seinem hohen Sinne die »Sache sehr wohl von der Person zu scheiden« wisse. Hierauf erwiderte ich mit einer einfachen Ablehnung.
Mit Schnorrs, mit denen ich mich viel über den Vorfall unterhielt, traf ich jetzt noch die Abmachung, daß sie mich mit nächstem in Biebrich besuchen sollten; worauf ich selbst dorthin zurückkehrte, um zunächst den mir angekündigten Besuch Bülows entgegenzunehmen. Dieser traf anfangs Juli ein, um Quartier auch für Cosima zu suchen, welche in zwei Tagen nachfolgte. Wir freuten uns ungemein unseres Wiedersehens, welches jetzt in dem freundlichen Rheingau zu Erholungsausflügen jeder Art benützt wurde. Im Gastsaal des »Europäischen Hofes«, wo sich nun alsbald auch Schnorrs einfanden, speisten wir regelmäßig, und zwar meist in heiterster Laune, zusammen. Des Abends ward bei mir musiziert. Zu einer Vorlesung der »Meistersinger« stellte sich auch die vorüberreisende Alwina Frommann[704] ein: auf alle schien das Bekanntwerden mit meinem neuesten Gedichte, namentlich im Betreff des bisher von mir noch nicht angewendeten populär heiteren Stiles, einen überraschenden Eindruck hervorzubringen. Auch die Sängerin Dustmann, auf einem Gastspiel in Wiesbaden begriffen, stellte sich zum Besuch ein; leider nahm ich an ihr eine heftige Abneigung gegen ihre Schwester Friederike, welche sie eines skandalösen Verhältnisses bezichtigte, wahr, was mich unter andrem auch darin bestätigte, daß es für diese die höchste Zeit sein möge, ihren Frankfurter Verbindlichkeiten sich zu entziehen. – Nachdem es mir durch Bülows Unterstützung möglich geworden war, den Freunden die fertigen Teile der Komposition der »Meistersinger« vorzuführen, ward auch sonst viel aus »Tristan« durchgenommen, wobei nun Schnorrs zeigen mußten, wie weit sie sich bereits mit dieser Aufgabe vertraut gemacht hatten. Im ganzen fand ich, daß beiden noch viel zur Deutlichkeit des Ausdruckes hierfür fehlte.
Jetzt führte der Sommer immer mehr Gäste, darunter auch manchen mir Bekannten, in unsere Gegend: der Konzertmeister David aus Leipzig stellte sich mit seinem jungen Schüler August Wilhelmj, dem Sohne eines Wiesbadener Advokaten, bei mir ein, und es ward nun so recht im eigentlichen Sinne musiziert, wozu auch der Kapellmeister Alois Schmitt aus Schwerin durch den Vortrag eines »alten Schinkens« seiner Komposition, wie er es nannte, einen sonderbaren Beitrag gab. Eines Abends kam es zu völliger Soiree, als zu meinen übrigen Freunden sich auch Schotts einfanden und hier die beiden Schnorrs durch den Vortrag der sogenannten Liebesszene im 3. Akte des »Lohengrin« uns lebhaft erfreuten. – Große Ergriffenheit brachte das plötzliche Eintreten Röckels in unseren gemeinschaftlichen Speisesaal des Hotels bei uns allen hervor. Dieser war nun nach daselbst bestandenen dreizehn Jahren aus dem Waldheimer Zuchthaus entlassen. Erstaunlich war es für mich, an meinem alten Bekannten, außer dem jetzt erbleichten Haare, gar keine wesentliche Veränderung wahrzunehmen. Er selbst erklärte mir dies damit, daß er sich wie aus einer Kruste, in welcher er zu seiner Konservierung festgehalten worden wäre, herausgetreten vorkomme. Als wir überlegten, in welche Tätigkeit er nun einzutreten haben solle, glaubte ich ihm anraten zu müssen, einen nützlichen Dienst bei einem so wohlwollenden und freisinnigen Fürsten wie dem Großherzog von Baden nachsuchen zu sollen. Er glaubte in irgendeinem Ministerium seiner fehlenden juristischen Kenntnisse wegen nicht fortkommen zu können; wogegen er sich den besten Erfolg seiner Wirksamkeit verspräche, wenn man ihm die Leitung einer Strafanstalt übergeben wollte, weil er hierüber sich die genauesten Kenntnisse verschafft und zu gleicher Zeit eingesehen habe, welche Verbesserungen hier notwendig seien. Er begab sich auf das deutsche Schützenfest, welches um diese Zeit in Frankfurt abgehalten wurde, und entging dort, in Anerkennung seines Martyriums und seines standhaften Benehmens, einer bei öffentlicher Gelegenheit ihm dargebrachten schmeichelhaften Ovation nicht. Dort und in der Umgegend verweilte er für einige Zeit.[705]
Außerdem plagte mich und meine näheren Freunde ein Maler Cäsar Willich, welcher von Otto Wesendonk den Auftrag erhalten hatte, mich für seine Rechnung zu malen. In der Freude über eine glückliche neue Entbindung seiner Frau war Wesendonk nämlich auf den Gedanken gekommen, dieser mit meinem Porträt ein recht ausdrucksvolles Angebinde zu machen. Leider wollte es nicht gelingen, den Maler auf ein richtiges Bekanntwerden mit meiner Physiognomie hinzuführen: trotzdem Cosima fast bei allen Sitzungen zugegen war und sorgsamst sich abmühte, den Künstler auf die richtige Spur zu bringen, blieb endlich nichts andres übrig, als ihm in schroffster Weise mein Profil zu präsentieren, mit welchem es doch wenigstens zu einer erkennbaren Ähnlichkeit gelangen sollte. Nachdem er dies zu seiner Zufriedenheit ermöglicht hatte, verfaßte er dankbar auch noch eine Kopie als Geschenk für mich, welche ich sofort an Minna nach Dresden übersandte, durch welche sie späterhin an meine Schwester Luise überging. Es war ein schreckliches Bild, welchem ich noch einmal begegnete, als es in Frankfurt vom Künstler ausgestellt war.
Einen anmutigen Ausflug machte ich mit Bülows und Schnorrs für einen Abend nach Bingen; von dem gegenüberliegenden Rüdesheim holte ich hierzu die jetzt dort ihren Urlaub genießende Friederike Meyer ab und machte sie mit meinen Freunden bekannt, von denen namentlich Cosima für das nicht gewöhnlich begabte Frauenzimmer ein freundliches Interesse gewann. Unsere Heiterkeit beim Glase Wein in freier Luft steigerte sich durch einen unerwarteten Auftritt: von einem entfernteren Tische trat zu mir mit gefülltem Glase in ehrerbietiger Haltung ein Reisender herzu, der mir eine sehr feurige und anständige Begrüßung bot; er war Berliner und weitgehender Enthusiast für meine Arbeiten, und es geschah dies im Namen noch zweier seiner Freunde, welche gemeinschaftlich an unseren Tisch sich setzten, wo die gute Laune uns endlich bis zum Champagner verführte. Ein herrlicher Abend mit wundervollem Mondaufgange weihte die schöne Stimmung, in welcher wir spätnachts von diesem freundlichen Ausfluge zurückkehrten. – Nachdem wir in ähnlicher guter Laune auch das Schlangenbad, wo Alwine Frommann sich aufhielt, besucht, verführte uns jetzt der Übermut zu einer noch weiteren Ausfahrt nach Rolandseck. Unseren ersten Aufenthalt nahmen wir hierbei in Remagen, wo wir die schöngelegene Kirche, in welcher bei ungeheuerem Andrange ein junger Mönch predigte, besuchten und in einem Garten am Rheinufer unser Mittagsmahl einnahmen. Das Nachtlager wurde in Rolandseck genommen, von wo wir andren Tags beizeiten den Drachenfels bestiegen. Im Zusammenhang mit dieser Besteigung trug sich ein heiter endendes Abenteuer zu. Als wir nach dem Herabsteigen bei der Eisenbahnstation am anderen Rheinufer angekommen waren, vermißte ich mein Brieftäschchen, welches mir mit dem Inhalte eines 100-Gulden-Scheines aus der Tasche des Überrockes entschlüpft war: zwei Herren, welche sich uns vom Drachenfels aus angeschlossen[706] hatten, erboten sich sogleich, den nicht unbeschwerlichen Weg zurückzugehen, um dem Verlorenen nachzuspüren. Wirklich kehrten sie nach einigen Stunden zurück und überbrachten mir die Brieftasche mit ihrem vollen Inhalte, welchen auf der Höhe des Berges zwei dort beschäftigte Steinklopfer gefunden und sogleich zurückgegeben hatten. Den ehrlichen Leuten war, wie ich dies sogleich bestimmt hatte, ein anständiger Finderlohn bezahlt worden, und nun mußte der freundliche Ausgang des Abenteuers bei einem heiteren Mahle mit dem besten Weine gefeiert werden. In einem viel späteren Jahre sollte sich dasselbe für mich aber noch ergänzen: als ich 1873 bei einem Restaurant in Köln einkehrte, stellte sich mir dessen Wirt als derselbe vor, der uns vor elf Jahren in jenem Gasthaus am Rhein bewirtet und von mir den bewußten 100-Gulden-Schein zum Auswechseln erhalten hatte; mit diesem Scheine hatte sich, wie er mir jetzt meldete, folgendes zugetragen: ein Engländer, dem er noch desselbigen Tages den Vorfall erzählt hatte, erbot sich dem Wirte, diesen Schein mit dem doppeltem Wert abzukaufen; der Wirt wollte von diesem Geschäfte nichts wissen, überließ jedoch den Schein dem Engländer gegen die Verpflichtung, die gerade anwesende Gesellschaft, welcher der Vorgang erzählt worden war, mit Champagner zu traktieren, was denn auch auf das anständigste eingehalten wurde.
Zu einem weniger befriedigenden Ausfluge veranlaßte uns eine Einladung der Familie Weißheimer nach Osthofen; dort wurden wir für eine Nacht einquartiert, nachdem man uns zu jeder Zeit des vorhergehenden Tages zum Genusse eines fortwährenden Bauernhochzeitsmahles genötigt hatte. Cosima war die einzige, welche über die Vorgänge hierbei in gute Laune zu geraten vermochte, worin ich ihr nach besten Kräften beistand, während Bülows längere Zeit hindurch wachsende Verstimmung über alle ihm bereiteten Begegnungen des Lebens bis zu Ausbrüchen der Wut gereizt wurde. Wir wollten uns damit trösten, daß so etwas uns nicht mehr widerfahren könnte. Während ich tags darauf, anderen Gründen der Verstimmung über meine Lebenslage nachhängend, mich zur Rückkehr anschickte, bewog Cosima, Zerstreuung und Erheiterung in der Aufsuchung des dortigen alten Domes suchend, Hans zu einer Weiterfahrt nach Worms, von wo aus sie mir später nach Biebrich nachfolgten.
Noch ist mir ein kleines Abenteuer, welches wir gemeinschaftlich an der Wiesbadener Spielbank erlebten, in Erinnerung geblieben. Mir war dieser Tage für eine Oper ein Theaterhonorar von 20 Louisdor zugekommen; nicht recht wissend, was ich gerade mit dieser kleinen Summe anfangen sollte, da andrerseits meine Lage im großen sich immer mißlicher gestaltete, reizte es mich, Cosima zu bitten, die Hälfte der Summe am Roulette für unser gemeinschaftliches Glück zu versuchen. Ich sah mit Erstaunen zu, wie sie ohne jede Kenntnis selbst nur der gemeinsten Äußerlichkeit des Spieles auf das Geratewohl ein Goldstück nach dem anderen auf den Spieltisch warf, ohne weder eine Nummer noch eine Farbe bestimmt damit zu bedecken, so[707] daß es regelmäßig hinter dem Rechen des Croupiers verschwand. Mir ward bang; und schnell verschwand ich, um an einem benachbarten Spieltische Cosimas Un- und Mißgeschick zu korrigieren. In diesem sehr ökonomischen Bestreben war mir das Glück so schnell behilflich, daß ich die von der Freundin dort verlorenen zehn Louisdor hier sofort gewann, was uns alsbald zu großer Heiterkeit stimmte. – Weniger anmutig ging es bei einem gemeinschaftlichen Besuche einer Aufführung des »Lohengrin« in Wiesbaden ab. Nachdem uns der erste Akt so ziemlich befriedigt und in gute Stimmung versetzt hatte, geriet die Darstellung während des weiteren Verlaufes in ein Geleise von so empörender Entstellung, wie ich sie nicht für möglich gehalten hatte; wütend verließ ich noch vor dem Schlusse das Theater, während Hans auf Cosimas Ermahnung zur Berücksichtigung des Anstandes, beide jedoch nicht minder empört als ich, das Martyrium der Anhörung des Schlusses bestand.
Ein anderes Mal erfuhr ich, daß Metternichs auf ihrem Schlosse Johannisberg angekommen seien. Immer noch von meiner Hauptsorge für ein ruhiges Domizil zur Beendigung meiner »Meistersinger« befangen, faßte ich sogleich das für gewöhnlich leerstehende Schloß in das Auge und meldete mich beim Fürsten zu einem Besuche an, zu welchem auch alsbald eine Einladung für mich erfolgte. Bülows begleiteten mich bis zur Eisenbahnstation. Ich durfte mit der Freundlichkeit meiner Aufnahme von seiten meiner Gönner zufrieden sein. Auch sie hatten die Frage meines temporären Unterkommens auf Schloß Johannisberg bereits erwogen und gefunden, daß sie mir eine kleine Wohnung bei dem Schloßverwalter recht füglich überlassen könnten, nur aber auf die Schwierigkeit meiner Beköstigung mich aufmerksam machen müßten. Mehr als diese Frage hatte den Fürsten aber die andere, der Möglichkeit, mir in Wien eine dauernde Stellung zu gründen, beschäftigt. Er wolle, so sagte er, bei seinem nächsten Aufenthalte in Wien dort mit dem Minister Schmerling, welchen er für diese Angelegenheit am geeignetsten hielt, eine Abrede in meinem Bezug treffen: dieser würde mich verstehen, vielleicht auch meine richtige Stellung in einem höheren Sinne auffinden und den Kaiser für mich zu interessieren vermögen. Wenn ich wieder nach Wien käme, sollte ich Schmerling einfach nur aufsuchen und hierbei meine Einführung bei ihm durch den Fürsten voraussetzen. Einer Einladung an den herzoglichen Hof zufolge hatten Metternichs alsbald sich nach Wiesbaden zu begeben, bis wohin ich sie begleitete, um dort wieder mit Bülows zusammenzukommen. –
Nachdem uns Schnorrs nach einem zweiwöchigen Aufenthalte bereits verlassen hatten, nahte nun auch die Zeit für Bülows Abreise. Ich begleitete sie nach Frankfurt, wo wir noch zwei Tage verweilten, um einer Aufführung des Goetheschen »Tasso« beizuwohnen, welche durch den Vortrag der Liszt-schen Symphonischen Dichtung gleichen Namens eingeleitet werden sollte. Mit sonderbaren Empfindungen wohnten wir dieser Vorstellung bei, in[708] welcher Friederike Meyer als Prinzessin und namentlich auch ein Herr Schneider als Tasso durch ihre Leistungen uns sehr ansprachen, während Hans namentlich die schändliche Ausführung des Lisztschen Werkes durch den Kapellmeister Ignaz Lachner nicht verwinden konnte. Zu einem Mittagsmahle in der Restauration des Botanischen Gartens, welches uns Friederike vor der Aufführung darbot, fand sich schließlich auch der geheimnisvolle Herr von Guaita ein. Wir hatten hier mit Verwunderung wahrzunehmen, daß von jetzt an alle Unterhaltung zu einem für uns unverständlichen Zwiegespräche zwischen jenen beiden wurde, welches nur durch die wütende Eifersucht des Herrn von Guaita und die witzig höhnische Abwehr Friederikens uns klar wurde. Doch kam es zu einiger Fassung bei dem aufgeregten Manne, als er mir sein Anliegen, eine Aufführung des »Lohengrin« unter meiner Leitung in Frankfurt zustand zu bringen, vortrug. Ich faßte zu dem Projekte Neigung, indem ich hierin ein neues Vereinigungsziel für ein abermaliges Zusammentreffen mit Bülows und Schnorrs in das Auge faßte. Bülows versprachen mir zu kommen, und an Schnorrs wandte ich mich für eine Zusage ihrer Mitwirkung. So wollte es uns dünken, als könnten wir diesmal heiter scheiden, trotzdem die zunehmende, oft exzessive Mißlaunigkeit des armen, wie es schien immer sich gequält fühlenden Hans mir zuweilen machtlose Seufzer entwunden hatte. An Cosima schien sich dagegen die bei meinem Besuch in Reichenhall vor einem Jahre von mir wahrgenommene Scheu in freundlichstem Sinne verloren zu haben. Als ich eines Tages den Freunden in meiner Weise »Wotans Abschied« vorgesungen hatte, gewahrte ich in Cosimas Mienen denselben Ausdruck, den sie mir damals zu meinem Erstaunen bei jenem Abschied in Zürich gezeigt hatte: nur war diesmal das Ekstatische desselben in eine heitere Verklärung aufgelöst. Hier war alles Schweigen und Geheimnis, nur nahm mich der Glaube an ihre Zugehörigkeit zu mir mit solcher Sicherheit ein, daß ich bei exzentrischer Erregung es damit selbst bis zu ausgelassenem Übermute trieb. Als ich jetzt in Frankfurt Cosima über einen offenen Platz nach dem Gasthofe geleitete, fiel es mir ein, sie aufzufordern, sich in eine leer dastehende einräderige Handkarre zu setzen, damit ich sie so in das Hotel fahren könne: augenblicklich war sie hierzu bereit, während ich, vor Erstaunen wiederum hierüber, den Mut zur Ausführung meines tollen Vorhabens verlor. Bülow hatte, uns nachkommend, den Vorgang angesehen; Cosima erklärte ihm sehr unbefangen, was er zu bedeuten gehabt hätte, und leider durfte ich nicht annehmen, daß seine Laune auf der Höhe der unsrigen stände, da er sich seiner Frau mit Bedenken darüber äußerte. –
Nach Biebrich zurückgekehrt, hatte ich zunächst schweren Sorgen zu begegnen. Nach längerem Hinhalten verweigerte mir endlich Schott mit Bestimmtheit, fernere Subsidien mir auszahlen zu wollen. Allerdings hatte ich bis vor kurzem seit meinem Fortgange von Wien alle meine Ausgaben für die Ansiedelung meiner Frau in Dresden, meine eigene Übersiedelung[709] nach Biebrich, und diese zwar über Paris, wo ich noch manchen verborgenen Gläubiger zu befriedigen hatte, durch meines Verlegers Vorschüsse einzig bestritten. Trotz dieses schwierigen Anfanges, welcher allerdings wohl die Hälfte der mir für die »Meistersinger« bedungenen Summe gekostet haben mochte, konnte ich nun verhoffen, mit dem Rest jenes ausbedungenen Honorares mein Werk in Frieden beendigen zu können. Seither hatte mich Schott durch Vertröstungen auf eine gewisse Periode der Abrechnung mit den Buchhändlern hingehalten. Bereits hatte ich mir in schwieriger Weise zu helfen suchen müssen: alles schien mir davon abzuhängen, daß ich Schott bald einen fertigen Akt der »Meistersinger« übergeben könnte. Hierin war ich bis zu der Szene, in welcher Pogner Walther von Stolzing den Meistersingern vorstellen will, gelangt, als mich, ungefähr Mitte August und noch während Bülows Anwesenheit, ein an sich geringer Unfall traf, welcher mich jedoch für zwei volle Monate zum Schreiben unfähig machte. Mein mürrischer Hausherr hielt sich eine Bulldogge namens »Leo« als Kettenhund, dessen grausame Vernachlässigung von seiten seines Herrn mich zu fortgesetztem Mitleiden stimmte. So wollte ich ihn eines Tages von seinem Ungeziefer reinigen, wozu ich ihm, damit er die hiermit beschäftigte Magd nicht ängstige, beim Kopfe festhielt: trotz des großen Vertrauens, welches der Hund zu mir gewonnen hatte, schnappte er einmal unwillkürlich auf und verwundete mich, anscheinend sehr geringfügig, am Vordergelenk des rechten Daumens; keine Wunde war zu sehen, nur stellte es sich bald heraus, daß die innere Knochenhaut durch die Quetschung in einen entzündlichen Zustand geraten war. Als der Schmerz beim Gebrauche des Fingers immer mehr überhand nahm, ward mir verordnet, bis zur völligen Genesung meine Hand namentlich zum Schreiben nicht mehr zu gebrauchen. Hatten mich die Zeitungen schon von einem tollen Hunde gebissen werden lassen, so war der Fall, wenn auch nicht so schrecklich, doch immerhin geeignet, mich über menschliche Gebrechlichkeit ernstlich nachdenken zu lassen. Ich brauchte also zur Vollendung meines Werkes nicht nur Gesundheit des Geistes, gute Einfälle und sonstige erlangte Geschicklichkeit, sondern auch eines gesunden Daumens zum Schreiben, da ich hier nicht ein Gedicht zu diktieren, sondern eine undiktierbare Musik aufzuschreiben hatte.
Um Schott nur etwas Ware zu übergeben, verfiel ich nach dem Rat Raffs, welcher ein Heft Lieder von mir für 1000 Franken wert hielt, darauf, fünf Gedichte meiner Freundin Wesendonk, welche ich ihr meistens mit Studien des damals mich beschäftigenden »Tristan« musikalisch ausgestattet hatte, meinem Verleger als einstweiligen Ersatz anzubieten. Die Lieder wurden angenommen und herausgegeben, ohne daß ich dadurch auf Schotts Stimmung vorteilhaft eingewirkt zu haben schien. Ich mußte bei diesem auf irgendwelche Verhetzung wider mich, welcher er unterlegen war, schließen: um diesem auf den Grund zu kommen und darnach meine ferneren Entschlüsse zu fassen, begab ich mich selbst nach Kissingen, wo jener zur Kur[710] verweilte. Ein Gespräch mit ihm blieb mir hartnäckig verwehrt, da Frau Schott, als Schutzengel vor seinem Zimmer postiert, mir einen starken Anfall von Leberleiden als Verhinderungsgrund ihres Gemahles anzugeben hatte. Somit wußte ich genug, versorgte mich zunächst durch den jungen Weißheimer, welcher, auf seinen reichen Vater gestützt, sich hierzu sehr willig mir erbot, mit einigem Gelde und überlegte mir nun, was ferner zu tun sei, da ich auf Schott nicht mehr rechnen, somit an die ungehinderte Ausführung der »Meistersinger« nicht mehr denken konnte.
Unter diesen Umständen überraschte es mich sehr, von der Direktion des Wiener Operntheaters die erneuerte bündige Einladung zur Aufführung des »Tristan« zu erhalten. Man meldete mir, alle Schwierigkeiten seien behoben, da Ander von seiner Stimmkrankheit vollkommen genesen sei. Mich setzte dies in aufrichtige Verwunderung, und auf nähere Erkundigung wurden mir die Vorgänge, welche sich in meinem Bezug seitdem in Wien zugetragen hatten, in folgender Weise klar. Noch vor meinem letzten Fortgang von Wien hatte Frau Luise Dustmann, welche wirkliches Gefallen an der Partie der Isolde genommen zu haben schien, das eigentliche Hindernis, welches meinem Unternehmen dort entgegenstand, dadurch hinwegzuräumen gesucht, daß sie zu einer Abendgesellschaft, bei welcher sie den Dr. Hanslick von neuem mir vorstellen wollte, auch mich zu kommen bestimmt hatte. Sie wußte, daß ohne eine Umstimmung dieses Herrn zu meinen Gunsten nichts für mich in Wien durchzusetzen sein würde; meine gute Laune machte es mir sehr leicht, an jenem Abende Hanslick so lange als oberflächlich Bekannten zu behandeln, bis er mich zu einem intimen Gespräch beiseite zog, in welchem er unter Tränen und Schluchzen mir versicherte, er könne es nicht ertragen, sich von mir länger verkannt zu sehen; es sei, was mir an seinem Urteil über mich auffällig gewesen sein dürfte, gewiß nicht einer böswilligen Intention, sondern lediglich einer Beschränktheit des Individuums schuld zu geben, um dessen Erkenntnisgrenzen zu erweitern er ja nichts sehnlicher wünsche, als von mir belehrt zu werden. Diese Erklärungen gingen unter einer so starken Explosion von Ergriffenheit vor sich, daß ich zu gar nichts anderem mich aufgelegt fühlte, als seinen Schmerz zu beruhigen und ihm meine rückhaltlose Teilnahme an seinem ferneren Wirken zu versprechen. Wirklich hatte ich noch kurz vor meiner Abreise von Wien erfahren, daß Hanslick gegen meine Bekannten sich in ungemessenen Ausdrücken über mich und meine Liebenswürdigkeit ergehe. Diese Veränderung hatte nun so wie auf die Sänger der Oper namentlich auch auf jenen Hofrat Raymond, den Ratgeber des Obersthofmeisters, in der Weise gewirkt, daß endlich von oben herab die Durchführung des »Tristan« als eine Ehrensache für Wien angesehen werden sollte. Dies der Grund meiner jetzt erneuerten Berufung.
Zugleich meldete mir der junge Weißheimer von Leipzig aus, wohin er sich begeben hatte, daß er dort ein gutes Konzert zu arrangieren sich getraue,[711] wenn ich ihn dabei mit der Aufführung meines neuen Vorspieles zu den »Meistersingern« sowie auch der »Tannhäuser«-Ouvertüre unterstützen wollte. Er nahm an, das Aufsehen hiervon würde so groß sein, daß er die Preise erhöhen und bei dem voraussichtlichen Absätze sämtlicher Billette nach einzigem Abzuge der Kosten mir wahrscheinlich eine nicht unbedeutende Summe zur Verfügung stellen können würde. Dazu kam, daß ich mein Herrn von Guaita gegebenes Versprechen im Betreff einer Aufführung des »Lohengrin« in Frankfurt, trotzdem Schnorrs ihre Mitwirkung absagen mußten, nicht gut wieder zurücknehmen konnte. Die Erwägung aller dieser Anträge bildete nun in mir den Plan aus, die »Meistersinger« liegenzulassen und dafür durch auswärtige Unternehmungen mir so viel zu gewinnen zu suchen, daß ich von nächstem Frühjahr an das jetzt Unterbrochene an Ort und Stelle, unabhängig von Schotts Laune, wieder aufnehmen und durchführen könnte. So beschloß ich die im übrigen mir zusagende Wohnung in Biebrich um jeden Preis beizubehalten. Da mich andrerseits Minna drängte, mein Bett und einiges andere, woran ich gewöhnt war, aus meinem zurückbehaltenen Mobiliar der von ihr eingerichteten Wohnung in Dresden zur Vervollständigung einzufügen – »damit ich, wenn ich sie besuche, doch alles gehörig in Ordnung fände« –, wollte ich dem einmal gefaßten Vorgeben, welches ihr die Trennung von mir erleichtern sollte, nicht zuwiderhandeln, sandte ihr das Verlangte zu und richtete nun meine rheinische Wohnung mit Hilfe eines Wiesbadener Möbelfabrikanten, welcher mir längeren Kredit gewährte, neu ein.
Ende September begab ich mich jetzt auf acht Tage nach Frankfurt, um die Proben zu »Lohengrin« wirklich zu übernehmen. Hier bewährte sich denn einmal wieder dieselbe Erfahrung, welche ich bereits so oft an mir gemacht hatte: nach der ersten Berührung mit dem Opernpersonale war ich willens, das Unternehmen sofort aufzugeben; hiergegen trat nun die durch die wahrgenommene Bestürzung und die mir zugewandte Beschwörung, doch nur auszuhalten, die Reaktion ein, welcher ich dann wieder unterlag, bis es mich endlich zu interessieren begann, zum mindesten die Wirkung der Unverstümmeltheit, des richtigen Tempos sowie der richtigen szenischen Anordnung ganz für sich und mit Absehung von einem elenden Sängerpersonale zu erfahren. Doch war wohl Friederike Meyer die einzige, die eben diese Wirkung vollständig empfand; die gewöhnliche »Animiertheit« des Publikums blieb zwar auch nicht aus, nur berichtete man mir späterhin, daß die folgenden Aufführungen unter der Direktion des Herrn Ignaz Lachner, eines in Frankfurt sorgsam gepflegten vorzüglich elenden Dirigenten und Stümpers, derartig von der Höhe ihrer Wirkung zurückfielen, daß, um die Oper zu erhalten, hierzu der frühere Verhunzungsmodus wieder angewendet werden mußte.
Der Eindruck von dem allen war auf mich um so niederschlagender, als ich selbst Bülows vergebens unter meinen Gästen hatte erwarten müssen. [712] Cosima war um diese Zeit, wie ich nun erfuhr, eiligst an mir vorüber nach Paris gereist, um der in längeren Leiden dahinsiechenden und nun durch einen schmerzlichsten Schlag neu betroffenen Großmutter für kurze Zeit hilfreich zur Seite zu sein. Blandine war gestorben, und zwar infolge einer Entbindung, welche sie in St. Tropez zu überstehen gehabt hatte. Jetzt verschloß ich mich für einige Zeit, bei plötzlich eingetretener rauher Witterung, in meine Biebricher Wohnung und gewann meinem noch sehr behutsam zu behandelnden Daumen die Fähigkeit ab, einzelne Stücke aus der fertigen Komposition der »Meistersinger« für den nächsten Gebrauch im Konzerte zu instrumentieren. Das Vorspiel schickte ich sogleich an Weißheimer, um es in Leipzig ausschreiben zu lassen, und setzte noch die »Versammlung der Meistersinger« mit »Pogners Anrede« für das Orchester aus.
Endlich war ich soweit, Ende Oktober selbst meine Reise nach Leipzig anzutreten. Auf dieser Fahrt wurde ich auf eine sonderbare Weise veranlaßt, nochmals auf der Wartburg einzukehren: in Eisenach, wo ich für einige Minuten ausgestiegen war, hatte sich der Bahnzug soeben in Bewegung gesetzt, als ich eilig noch einsteigen wollte; unwillkürlich lief ich dem dahineilenden Zuge mit hastigem Zuruf an den Kondukteur nach, ohne natürlich ihn aufhalten zu können. Die Abfahrt eines Prinzen hatte eine ziemliche Volksmenge auf dem Bahnhofe versammelt, welche nun über mich in ein lautes Gelächter ausbrach; ich frug sie: das mache ihnen wohl Freude, daß mir dies begegnet sei? »Ja, das macht uns Freude«, antworteten sie. Dieser Vorgang bildete bei mir das Axiom aus, daß man dem deutschen Publikum doch wenigstens durch seinen Schaden zur Freude verhelfen könne. Da erst nach fünf Stunden ein neuer Zug nach Leipzig erwartet wurde, zeigte ich durch den Telegraphen meinem Schwager Hermann Brockhaus, bei dem ich mich zu gastlicher Aufnahme gemeldet hatte, meine verspätete Ankunft an, ließ mich von einem Menschen, der sich als Führer mir vorstellte, zu einer Einkehr auf der Wartburg bestimmen, sah dort die vom Großherzoge getroffene teilweise Restauration derselben, auch den Saal mit den Schwindschen Bildern mir an, fand mich von allem sehr kalt berührt und kehrte in der Restauration dieses Eisenacher Lustortes ein, wo ich verschiedene Bürgerinnen mit dem Strickstrumpfe beschäftigt antraf. Der Großherzog von Weimar hat mir späterhin versichert, daß der »Tannhäuser« durch ganz Thüringen bis zu den niedrigsten Bauernjungen hinab Popularität genösse: weder der Wirt noch mein Führer schienen aber etwas davon zu wissen; doch schrieb ich mich in das Fremdenbuch mit meinem vollen Namen ein und erzählte darin die anmutige Begrüßung, welche mir auf dem Bahnhof zuteil geworden. Ich habe nie erfahren, daß dies beachtet worden sei.
In Leipzig wurde ich bei später Nacht von dem ziemlich gealterten und dick gewordenen Hermann Brockhaus auf das heiterste empfangen und nach seiner Wohnung geleitet, wo ich mit Ottilien ihre Familie antraf und in behaglicher Weise aufgenommen wurde. Wir hatten uns über vieles zu unterhalten,[713] und die eigentümliche Gutlaunigkeit meines Schwagers in der Teilnahme an solchen Gesprächen machte dieselben oft bis in die spätesten Morgenstunden hinaus für uns fesselnd. Meine Verbindung mit dem gänzlich unbekannten jungen Komponisten Weißheimer erregte einige Bedenken: in der Tat war sein Konzertprogramm mit einer starken Anzahl seiner eigenen Kompositionen, unter welchen sich eine soeben vollendete Symphonische Dichtung »Der Ritter Toggenburg« befand, angefüllt. Hätte ich den Proben hiervon in gleichmütiger Stimmung beigewohnt, so würde ich wahrscheinlich gegen die vollständige Ausführung dieses Programms Einspruch erhoben haben; dagegen wurden mir diese hierfür verwendeten Stunden im Konzertsaal zu den traulichsten und freundlichsten Erinnerungen meines Lebens, und zwar durch mein Wiederzusammentreffen mit Bülows. Auch Hans hatte sich nämlich bestimmt gefühlt, an meiner Seite Weißheimers Debüt die Weihe zu geben, indem er ein neues Klavierkonzert Liszts darin zum Vortrag brachte. Hatte mich mein bloßer Eintritt in den altbekannten Raum des Leipziger Gewandhaussaales sowie die Begrüßung der mir so sehr entfremdeten Orchestermitglieder, denen ich mich als einen gänzlich Unbekannten erst selbst vorzustellen hatte, in unheimlicher Weise verstimmt, so fühlte ich mich plötzlich wie aller Welt entrückt, als ich Cosima in tiefer Trauer, sehr blaß, aber freundlich mir zulächelnd, in einer Ecke des Saales gewahrte. Sie war vor kurzem aus Paris vom Bette ihrer unheilbar darniederliegenden Großmutter, mit dem tiefen Schmerz über den unerklärlich plötzlichen Tod ihrer Schwester zurückgekehrt und erschien somit selbst mir wie aus einer anderen Welt wieder auf mich zutretend. Alles, was uns erfüllte, war so ernst und tief, daß nur die unbedingte Hingebung an den Genuß unseres Wiedersehens über jene Abgründe uns hinweghelfen konnte. Alle Vorgänge der Proben wurden uns zu einem sonderbar erheiternden Schattenspiel, dem wir wie lachende Kinder zusahen. Hans, der mit uns gleich gut aufgelegt war – denn wir alle erschienen uns wie in einem Don Quixotischen Abenteuer begriffen –, machte mich auf Brendel aufmerksam, welcher nicht weit von uns saß und meine Begrüßung zu erwarten schien. Es reizte mich nun, die hierdurch eingetretene Spannung zu unterhalten, indem ich mich stellte, als ob ich ihn nicht erkennte; was den armen Menschen so sehr gekränkt zu haben scheint, daß ich, in Erinnerung an mein hierbei begangenes Unrecht, bei Gelegenheit meiner späteren öffentlichen Besprechung des »Judentums in der Musik« Brendels Verdienste noch besonders hervorzuheben mir angelegen sein ließ, gleichsam zum Sühneopfer an den nun bereits Gestorbenen. – Auch die Ankunft Alexander Ritters mit Franziska, meiner Nichte, trug zu unserer heiteren Laune bei; diese ward nämlich beständig unterhalten und angeregt durch die Ungeheuerlichkeit der Weißheimerschen Kompositionen; Ritter, welcher das Gedicht meiner »Meistersinger« bereits kannte, bezeichnete eine tief melancholische, höchst unverständliche Melodie der Bässe im »Ritter Toggenburg« mit der »abgeschiedenen[714] Vielfraß-Weis'«. Vielleicht wäre uns doch aber endlich wohl die gute Laune ausgegangen, wenn sie nicht andrerseits durch den glücklichen Eindruck, welchen das schließliche Gelingen des Vortrags des »Meistersinger«-Vorspiel sowie die neue Lisztsche Komposition mit Bülows herrlichem Klavierspiel hervorbrachte, in einem edlen Sinne erfrischt worden wäre. Die endliche Aufführung des Konzertes selbst bestätigte nun endlich den gespenstischen Charakter des Abenteuers, in dessen Vorgefühl wir uns bis jetzt mit so heiterem Behagen erhalten hatten. Zu dem Entsetzen Weißheimers blieb das ganze Leipziger Publikum aus, und es schien wohl von den Führern der Abonnementkonzerte hierzu die Weisung erteilt gewesen zu sein. Mir ist eine solche Leere bei ähnlicher Gelegenheit noch nie vorgekommen: außer meiner Familie, unter welcher sich meine Schwester Ottilie mit einer sehr exzentrischen Haube auszeichnete, waren auf einigen Bänken nur mehrere Besucher, welche von auswärts zu diesem Konzerte gekommen waren, zu bemerken. Hierunter zeichneten sich meine Weimaranischen Freunde aus: Kapellmeister Lassen und Regierungsrat Franz Müller sowie die nie fehlenden Richard Pohl und Justizrat Gille waren getreulich eingetroffen. Außerdem bemerkte ich mit unheimlichem Erstaunen den alten Hofrat Küstner, ehemaligen Intendanten des Berliner Hoftheaters, dessen Begrüßung und Verwunderung über die unbegreifliche Leere des Saales ich mit guter Laune dahinzunehmen hatte. Von Leipzigern waren sonst nur spezielle Freunde meiner Familie, welche sonst nie ein Konzert besuchten, zugegen, darunter Dr. Lothar Müller, der mir sehr ergebene Sohn des aus meiner frühesten Jugend her mir freundlich bekannten allopathischen Arztes Dr. Moritz Müller. In der eigentlichen Mitte des Saales befand sich nur die Braut des Konzertgebers mit ihrer Mutter; in einiger Entfernung ihr gegenüber nahm ich während des Verlaufes des Konzertes mit Cosima meinen Platz, und zwar, wie es schien, zum Ärgernis meiner aus der Ferne uns beobachtenden Familie, welche, selbst in tiefster Verstimmung, nicht begreifen konnte, daß wir uns in fast unaufhörlichem Lachen befanden. – Was das Vorspiel der »Meistersinger« betraf, so brachte dessen gelungene Ausführung auf die wenigen Freunde, welche das Publikum bildeten, eine so günstige Wirkung hervor, daß wir, selbst zur Freude des Orchesters, es sofort wiederholen mußten. Bei diesem schien überhaupt das Eis des künstlich genährten Mißtrauens gegen mich gebrochen zu sein; denn als ich das Konzert mit der »Tannhäuser«-Ouvertüre beschloß, feierte das Orchester mein verlangtes Wiedererscheinen mit einem gewaltigen Instrumententusch, welcher besonders meine Schwester Ottilie zu den freudigsten Gefühlen hinriß, da sie behauptete, daß diese Ehre bisher nur der Jenny Lind erwiesen worden sei. Freund Weißheimer, welcher wirklich die allgemeine Geduld in unverantwortlicher Weise ermüdet hatte, verfiel seit dieser Zeit in ein späterhin sich ausbildendes Mißbehagen mir gegenüber: er glaubte sich sagen zu müssen, daß, wenn er meine glänzenden Orchesterwerke[715] nicht zur Seite gehabt und nur seine eigenen Kompositionen zu einem billigen Preise dem Publikum geboten hätte, er viel besser daran gewesen sein würde. Für jetzt hatte er, zur großen Enttäuschung seines Vaters, die Unkosten zu tragen und dazu die sehr unnötige Beschämung, mir keinen Gewinn bringen zu können, zu verwinden.
Mein Schwager ließ sich durch diese peinlichen Eindrücke jedoch nicht davon abhalten, die zuvor zur Feier meiner erwarteten Triumphe bestellten häuslichen Festlichkeiten auszuführen. Auch Bülows nahmen an einem Bankett teil. Eine Abendgesellschaft fand statt, in welcher ich einer stattlichen Anzahl von Professoren die »Meistersinger«, und zwar mit vieler Anerkennung, vorlas. Hier erneuerte ich auch die Bekanntschaft mit dem aus meiner Jugend und seinem Umgange mit meinem Onkel mir hochinteressanten Professor Weiß, welcher besonders erstaunt über meine Kunst des Vorlesens sich äußerte.
Bülows waren jetzt leider bereits nach Berlin zurückgereist; wir hatten uns noch einmal bei großer Kälte und unter unfreundlichen Umständen, da sie Rücksichtsbesuche zu machen hatten, auf der Straße wiedergesehen, wo bei unserem kurzen Abschiede der allgemeine Druck, welcher uns belastete, sich mehr als die flüchtige gute Laune der letzten Tage auszusprechen schien. Auch meine Freunde begriffen wohl, in welcher gänzlich verlassenen und widerwärtigen Lage ich mich befand: ich war wirklich so törig gewesen, von der Leipziger Konzerteinnahme mir wenigstens das für den Augenblick Nötigste zu versprechen. In diesem Betreff setzte es mich für das erste in Verlegenheit, meine jetzt fällige Hausmiete in Biebrich meinem Wirte nicht pünktlich auszahlen zu können, da ich anderseits alles daransetzte, mir dieses Asyl für ein neues Jahr zu erhalten, und ich es außerdem hierbei mit einem eigensinnigen, grämlichen Menschen zu tun hatte, den ich überhaupt für die Fortgewähr der Wohnung nur durch Vorausbezahlung zu gewinnen vermeinte. Da zu gleicher Zeit auch Minna wieder mit ihrem Vierteljahresgeld zu versorgen war, so kam mir eine Hilfe, welche mir jetzt der Regierungsrat Müller im Auftrage des Großherzogs von Weimar zuführte, wirklich wie vom Himmel gesandt. In meiner Not hatte ich, nachdem Schott gänzlich aufgegeben gewesen war, mich auch an jenen alten Bekannten mit der Bitte gewandt, dem Großherzog meine Lage mitzuteilen, um diesen, etwa als Vorausbezahlung von Honoraren für meine neuen Opern, zu einer Unterstützung zu bewegen. Sehr auffallend und unerwartet kam mir auf diese Weise durch die Übermittelung Müllers jetzt die Summe von 500 Talern zu. Ich glaubte mir erst späterhin diese Großmut daraus erklären zu können, daß auch dieses freundliche Benehmen gegen mich vom Großherzoge mit einer bestimmten Absicht auf seinen Freund Liszt ausgeübt worden war, da er diesen um jeden Preis wieder nach Weimar zu ziehen wünschte und darin gewiß nicht irrte, daß er ein verpflichtendes und generöses Benehmen gegen mich als von vorzüglicher Wirkung auf unseren beiderseitigen Freund in Anschlag brachte.[716]
So war ich denn in den Stand gesetzt, fürs nächste auf ein paar Tage nach Dresden zu gehen, um, indem ich sie von neuem versorgte, zu gleicher Zeit Minna die zur Aufrechterhaltung ihrer schwierigen Lage nötig erachtete Ehre meines Besuches zuzuwenden. – Hier geleitete mich Minna vom Bahnhof in die von ihr bezogene und eingerichtete Wohnung in der Walpurgistraße, welche zu der Zeit, als ich Dresden verließ, noch gar nicht vorhanden war. Diese Wohnung hatte sie wiederum mit vielem Geschick und jedenfalls mit der Absicht, mir es darin gefallen zu machen, hergerichtet; am Eingange empfing mich ein kleiner Schwellenteppich, auf welchen sie »Salve« gestickt hatte. Unseren Pariser Salon erkannte ich sofort an den rotseidenen Gardinen und Möbeln wieder, ein stattliches Schlafzimmer für mich sowie auf der andern Seite ein recht behagliches Arbeitszimmer sollten mit dem Salon mir einzig zur Verfügung stehen, während sie nach dem Hof hinaus ein kleines Gemach mit Alkoven allein für sich hergerichtet. Das Arbeitszimmer schmückte jenes stattliche Büro von Mahagoniholz, welches ich mir einst zu meiner Dresdener Kapellmeistereinrichtung anfertigen ließ, das seit der Dresdener Flucht aber von der Familie Ritter angekauft und ihrem Schwiegersohn Kummer übergeben worden war; für jetzt hatte es Minna von diesem nur ausgeliehen, indem sie mir freistellte, gegen 60 Taler es wieder zurückzukaufen: da ich hierzu keine Lust zeigte, verfinsterte sich ihre Laune. In der Sorge der bangen Verlegenheit, in welcher sie sich befand, mit mir allein überlassen zu sein, hatte sie meine Schwester Klara aus Chemnitz zum Besuche eingeladen und teilte nun mit dieser ihre kleine Wohnung. Klara bezeigte sich hier, wie auch schon früher, außerordentlich klug und mitleidig: wohl dauerte sie Minna und gern mochte sie ihr über die schwere Zeit hinweghelfen, doch immer nur in der Absicht, sie in dem Glauben an die Notwendigkeit unserer fortgesetzten Trennung zu befestigen. Die genaue Kenntnis meiner äußerst schwierigen Lage mußte dazu verhelfen: die Geldsorgen waren so überwiegend, daß Minna nur die Teilnahme an diesen beizubringen war, um ihr dadurch ein Gegengewicht für ihre unruhigen Vorstellungen zu verschaffen. Im übrigen gelang es mir, alle Auseinandersetzungen mit ihr fernzuhalten, was auch dadurch möglich ward, daß wir meistens die Zeit in Gesellschaft anderer zubrachten, wozu das Wiedersehen in der Familie des Fritz Brockhaus mit dessen verheirateter Tochter Klara Kessinger sowie Pusinellis, des alten Heine und endlich der beiden Schnorrs hauptsächlich Veranlassung gab. – Die Vormittage brachte ich mit Besuchen zu, für welche ich, als ich zu dem Minister Bär meiner Dankesaufwartung für die Amnestie wegen mich aufmachte, nun zum ersten Male wieder die Straßen Dresdens durchschritt, welche zunächst den Eindruck einer großen Langweiligkeit und Leere auf mich machten, da ich sie zuletzt in dem phantastischen Zustand mit Barrikaden bedeckt gesehen hatte, wo sie sich so ungemein interessant ausgenommen hatten. Keinen der auf dem Wege mir begegnenden Menschen kannte ich; auch ich schien selbst[717] von dem Handschuhhändler, bei dem ich sonst immer meinen Bedarf bezogen und dessen Laden ich jetzt wieder aufzusuchen hatte, nicht erkannt zu werden, bis mir, eben dorthin, ein älterer Mann in höchster Aufregung und mit Tränen in den Augen von der Straße her nachstürzte: es war der nun gealterte Kammermusikus Karl Kummer, der genialste Oboebläser, dem ich jemals begegnet bin und den ich dieser Eigenschaft wegen fast zärtlich in mein Herz geschlossen hatte. Freudig umarmten wir uns, ich frug, ob er noch immer so schön sein Instrument blase, worauf er mir aber erklärte, daß ihm die Oboe, seitdem ich fort sei, keine rechte Freude mehr habe machen wollen: er habe sich seit längerer Zeit pensionieren lassen. Auf meine Erkundigungen erfuhr ich, daß meine alte Kapellmusikergarde, auch der lange Kontrabassist Dietz, gestorben oder pensioniert sei, unser Intendant von Lüttichau, Kapellmeister Reissiger tot, Lipinsky seit lange schon nach Polen zurückgekehrt, Konzertmeister Schubert dienstunfähig; so daß mir alles neu und grau vorkam. Minister Bär äußerte mir seine immer noch bestehenden großen Bedenken gegen meine Amnestierung, welche er allerdings selbst zu unterzeichnen gewagt habe, worüber er aber immer noch in der Sorge sich befinde, ich könnte bei meiner großen Beliebtheit als Opernkomponist es leicht zu verdrießlichen Demonstrationen bringen, in welchem Betreff ich ihn zunächst dadurch beruhigte, daß ich ihm versprach, mich nur wenige Tage hier aufzuhalten und das Theater unbesucht zu lassen: mit einem tiefen Seufzer und einem schweren Blick auf mich entließ er mich. – Sehr ungleich war dagegen mein Empfang von Seiten des Herrn von Beust: mit lächelnder Eleganz unterhielt er sich mit mir davon, daß ich denn doch wohl nicht so unschuldig sein möchte, als ich mir dessen jetzt bewußt schien; er machte mich auf einen Brief von mir aufmerksam, der zu jener Zeit in Röckels Tasche gefunden worden sei: dies war mir neu, und gern gab ich zu verstehen, daß ich die mir erteilte Amnestie als eine Verzeihung begangener Unvorsichtigkeiten zu betrachten mich gedrungen fühlte. Unter den heitersten Freundschaftsbezeigungen trennten wir uns.
Noch feierten wir einen Gesellschaftsabend in dem Salon Minnas, wo ich abermals den damit noch Unbekannten die »Meistersinger« vorlas. Nachdem ich Minna für längere Zeit wieder mit Geld versorgt hatte, begleitete sie mich am vierten Tage wieder zum Bahnhofe, wo sie mit den bangsten Vorgefühlen, mich wohl nie wieder zu sehen, einen sehr beklemmenden Abschied von mir nahm.
In Leipzig kehrte ich für einen Tag noch in einem Gasthof ein, wo ich Alexander Ritter abermals antraf und mit ihm einen gemütlichen Abend bei Punsch zubrachte. Was mir diesen kurzen Aufenthalt eingab, war, daß man mir versichert hatte, wenn ich für mich allein ein Konzert geben wollte, würde dieses außerordentlich besucht sein: aus Rücksicht auf eine mir nötige Geldeinnahme hatte ich auch diese Nachweisung in Betracht gezogen, fand nun aber, daß das Unternehmen in keiner Weise gesichert sei,[718] und kehrte jetzt eiligst nach Biebrich zurück, wo ich meine Wohnungsangelegenheit in Ordnung zu bringen hatte. Hier fand ich zu meinem großen Ärger meinen Hauswirt in immer schwierigerer Laune; er schien mir nicht vergessen zu können, daß ich ihn wegen der Behandlung seines Hundes getadelt sowie auch mein Dienstmädchen, um eines Verhältnisses mit einem Schneider wegen, gegen ihn in Schutz genommen hatte. Trotz Zahlung und Versprechung blieb er grämlich und behauptete, um seiner Gesundheit willen im nächsten Frühjahr die von mir innegehabte Wohnung selbst beziehen zu müssen. Während ich ihn durch Vorausbezahlung nötigte, wenigstens bis zu Ostern meinen Hausrat, wie er stehe, unberührt zu erhalten, machte ich mich unter Anleitung des Herrn Dr. Schüler und der Mathilde Maier nochmals in die Orte des Rheingaus auf, um eine mir passende Wohnung für nächstes Jahr aufzusuchen. Dies gelang zwar der Kürze der Zeit wegen nicht, meine Freunde versprachen aber, sich unablässig nach dem Gewünschten umsehen zu wollen. –
In Mainz traf ich auch nochmals mit Friederike Meyer zusammen. Ihre Verhältnisse in Frankfurt schienen immer schwieriger geworden zu sein; sie gab mir sehr recht, als sie erfuhr, daß ich den Regisseur des Herrn von Guaita, welchen er mir vor einiger Zeit mit dem Auftrage, mir 15 Louisdor für die Direktion des »Lohengrin« auszuzahlen, nach Biebrich gesandt, abgewiesen hatte; sie selbst habe mit jenem Herrn vollkommen gebrochen, ihre Entlassung durchgesetzt und stehe nun im Begriff, ein ihr zugesagtes Gastspiel am Burgtheater anzutreten. Durch diese Handlungsweise und ihren Entschluß gewann sie von neuem meine Teilnahme, da ich sie als eine kräftige Widerlegung der ihr widerfahrenen Verleumdungen zu betrachten hatte. Da auch ich im Begriff war, nach Wien abzureisen, freute sie sich, einen Teil des Weges mit mir zurücklegen zu können, weil sie sich in Nürnberg einen Tag aufzuhalten gedenke, wo ich sie dann zur weiteren Fahrt antreffen würde. Dies geschah so; und und wir trafen zusammen in Wien ein, wo meine Freundin im Hotel »Munsch«, ich dagegen in der mir bereits heimischen »Kaiserin Elisabeth« abstieg. Dies war am 15. November. Ich suchte sofort den Kapellmeister Esser auf und erfuhr von ihm, daß wirklich eifrig am »Tristan« studiert würde; dagegen geriet ich durch mein leicht mißzuverstehendes Verhältnis zu ihrer Schwester Friederike mit Frau Dustmann alsbald in sehr unangenehme Zerwürfnisse. Dieser war die Lage der Dinge durchaus nicht klarzumachen, da sie ihre Schwester, als in einem skandalösen Verhältnisse zu Herrn von Guaita stehend, von ihrer Familie geächtet und demnach ihre Übersiedelung nach Wien als für sie kompromittierend betrachtete. Hierzu kam nun, daß Friederikes eigener Zustand mir bald die allerhöchsten Beschwerden verursachte. Sie hatte für das Burgtheater ein dreimaliges Gastspiel abgeschlossen, ohne zu beachten, wie wenig sie gerade jetzt zu einer glücklichen Erscheinung auf dem Theater, namentlich vor dem Wiener Publikum, geeignet war; die überstandene[719] große Krankheit, von welcher sie nur unter den aufregendsten Umständen genesen war, hatte sie besonders durch große Magerheit sehr entstellt; so war ihr auch der Kopf fast ganz kahl geworden, wobei sie aber große Abneigung gegen den Gebrauch einer Perücke festhielt. Die Feindseligkeiten ihrer Schwester hatten ihr das Personal des Burgtheaters entfremdet, und infolge alles dessen sowie auch wegen einer ihr nicht zusagenden Rollenwahl mißlang ihr Auftreten, und von ihrer Anstellung an dieser Bühne konnte keine Rede sein. Bei zunehmender Schwäche und steter Schlaflosigkeit suchte sie dennoch die Schwierigkeit ihrer Lage voll großherziger Scham mir immer zu verbergen. In einem etwas wohlfeileren Gasthof »Zur Stadt Frankfurt« wollte sie zunächst, da sie im Betreff der Geldmittel nicht in Verlegenheit zu sein schien, den Erfolg einer möglichsten Schonung ihrer Nerven abwarten: auf meinen Wunsch berief sie Standhartner, welcher ihr nicht viel zu helfen zu wissen schien. Da gegenwärtig, Ende November und Anfang Dezember, das Klima äußerst rauh geworden, Bewegung in freier Luft ihr aber sehr empfohlen war, geriet ich auf den Gedanken, ihr einen längeren Aufenthalt in Venedig anzuempfehlen. Auch hierfür schienen ihr die Mittel nicht abzugehen: sie befolgte meinen Rat, und an einem eisig kalten Morgen begleitete ich sie nach dem Bahnhof, auf welchem ich sie mit einer treuen Kammerjungfer, welche sie begleitet hatte, für jetzt einem verhofften freundlicheren Schicksale überließ. Ich hatte die Genugtuung, bald tröstlichere Nachrichten von ihr, namentlich über ihr Befinden, aus Venedig zu erhalten. –
Während mich diese Beziehungen einerseits in schwierige Sorgen verwickelten, war ich mit meinen älteren Wiener Bekannten in fortgesetztem Verkehr geblieben. Hier hatte sich sogleich anfangs ein sonderbarer Vorfall ereignet. Ich hatte der Familie Standhartner, wie dies jetzt überall geschehen war, meine »Meistersinger« vorzulesen: da Herr Hanslick jetzt als mir befreundet galt, glaubte man gut zu tun, auch diesen dazu einzuladen; hier bemerkten wir im Verlaufe der Vorlesung, daß der gefährliche Rezensent immer verstimmter und blässer wurde, und auffallend war es, daß er nach dem Beschlusse derselben zu keinem längeren Verweilen zu bewegen war, sondern alsbald in einem unverkennbar gereizten Tone Abschied nahm. Meine Freunde wurden darüber einig, daß Hanslick diese ganze Dichtung als ein gegen ihn gerichtetes Pasquill ansähe und unsere Einladung zur Vorlesung derselben von ihm als Beleidigung empfunden worden war. Wirklich veränderte sich seit diesem Abend das Verhalten des Rezensenten gegen mich sehr auffällig und schlug zu einer verschärften Feindschaft aus, davon wir die Folgen alsbald zu ersehen hatten.
Cornelius und Tausig hatten sich wieder bei mir eingefunden. Beiden hatte ich zunächst meine wirkliche Verstimmung wegen ihres Benehmens im vorangegangenen Sommer nachzutragen: als ich damals die Aussicht hatte, Bülows und Schnorrs bei mir in Biebrich zu vereinigen, bestimmte[720] mich meine herzliche Teilnahme für diese beiden jüngeren Freunde, sie ebenfalls zu mir einzuladen. Wirklich erhielt ich auch sofort die Zusage des Cornelius, war aber desto mehr erstaunt, eines Tages von diesem ein Schreiben aus Genf zu erhalten, wohin ihn Tausig, der plötzlich über Fonds zu disponieren schien, zu einer jedenfalls bedeutenderen und angenehmeren Sommerpartie mit sich gezogen hatte. Ohne der geringsten Erwähnung eines Bedauerns, diesen Sommer nicht mit mir zusammenzutreffen, wurde mir nur gemeldet, daß man soeben jubelnd eine »herrliche Zigarre auf meine Gesundheit geraucht« habe. Als ich beide jetzt wieder in Wien antraf, blieb es mir unmöglich, ihnen das Kränkende ihres Benehmens nicht zu Gemüte zu führen, wogegen sie nicht zu begreifen schienen, was ich darwider haben könnte, daß sie die schöne Reise nach der Französischen Schweiz meinem Besuch in Biebrich vorgezogen hätten. Ich galt ihnen offenbar für einen Tyrannen. Tausig wurde mir noch außerdem durch sein sonderbares Benehmen in meinem Gasthofe verdächtig. Wie ich erfuhr, nahm er seine Mahlzeiten gewöhnlich dort in der unteren Restauration und stieg sodann, mit Übergehung meiner Etage, in den vierten Stock zu anhaltenden Besuchen bei einer Gräfin Krockow. Als ich ihn hierüber befrug und erfuhr, daß jene Dame auch mit Cosima näher befreundet sei, äußerte ich meine Verwunderung darüber, daß er mich nicht ebenfalls mit dieser Dame bekannt mache; mit sonderbar undeutlichen Ausdrücken wich er meiner Zumutung fortgesetzt aus; als ich ihn mit der Annahme eines Liebesverhältnisses necken zu dürfen glaubte, sagte er, davon könne gar nicht die Rede sein, da jene Dame bereits alt sei. So ließ ich ihn denn gewähren, nur hatte meine Verwunderung über das sonderbare Benehmen Tausigs noch zuzunehmen, als ich in späteren Jahren die Gräfin Krockow endlich näher kennenlernte, von ihrem ernsten Anteil an mir mich überzeugte und erfuhr, daß sie bereits damals nichts mehr gewünscht, als auch mich kennenzulernen, wozu Veranlassung zu verschaffen Tausig sich jedoch immer geweigert hätte, und zwar unter dem Vorgeben, ich mache mir nichts aus Umgang mit Frauen.
Endlich gerieten wir dennoch wieder in einen belebten, freundschaftlichen Verkehr, als ich jetzt ernstlich an die Ausführung meiner Absicht ging, in Wien Konzerte zu geben. Während ich es dem sehr ernstlich hierfür besorgten Kapellmeister Esser überließ, in, wie es schien, fleißig fortgesetzten Klavierproben die Hauptpartien des »Tristan« musikalisch einzustudieren, blieb mein Mißtrauen gegen das wirkliche Gelingen der Studien, und zwar weniger aus Zweifel an der Befähigung als an dem guten Willen des Personales, ungebrochen bestehen. Namentlich verleidete mir das absurde Benehmen der Frau Dustmann meine häufigere Anwesenheit bei den Proben. Dagegen verhoffte ich mir nun durch eine Vorführung von Bruchstücken aus meinen in Wien noch unbekannten neueren Werken schon um deswillen eine günstige Wirkung, weil ich dadurch meinen heimlichen Gegnern zu[721] zeigen vermochte, daß mir auch noch andere Wege, mit meiner neueren Musik vor das Publikum zu gelangen, offenstünden als der durch sie mir so leicht zu vertretende der Theateraufführungen. Für alles Praktische der Ausführung ward jetzt Tausig von vorzüglicher Hilfe. Wir kamen überein, das »Theater an der Wien« für drei Abende zu mieten, um das Ende Dezember zu gebende Konzert nach je acht Tagen daselbst zu wieder holen. Für das erste galt es nun, die Orchesterstimmen der Stücke auszuschreiben, welche ich aus meinen Partituren für dieses Konzert herausschnitt: es waren dies zwei Bruchstücke aus dem »Rheingold«, ebenso zwei aus der »Walküre« und den »Meistersingern«, wogegen ich das Vorspiel zu »Tristan«, um nicht mit der immer noch angekündigten Aufführung des ganzen Werkes im Operntheater zusammenzutreffen, jetzt noch zurückhielt. Mit einigen Hilfsschreibern machten sich jetzt Cornelius und Tausig an die Arbeit, welche der nötigen musikalischen Korrektheit wegen nur von vertrauten Partiturlesern auszuführen war. Zu ihnen hatte sich auch Weißheimer gesellt, welcher, um schließlich dem Konzert beiwohnen zu können, in Wien eingetroffen war. Nun meldete mir Tausig auch Brahms an, den er mir als einen »sehr guten Burschen« empfahl, welcher, so berühmt er auch selbst schon sei, gern einen Teil ihrer Arbeit übernehmen wollte: dieser erhielt ein Bruchstück der »Meistersinger« zugeteilt. Wirklich benahm sich auch Brahms bescheiden und gutartig; nur zeigte er wenig Leben, so daß er in unseren Zusammenkünften oft kaum bemerkt wurde. Mit dem aus älterer Zeit her mir bekannten Friedrich Uhl, welcher jetzt mit Julius Fröbel unter Schmerlings Auspizien ein politisches Journal »Der Botschafter« herausgab, traf ich jetzt ebenfalls wieder zusammen. Er stellte mir sein Journal zur Verfügung und veranlaßte mich, in seinem Feuilleton den ersten Akt der Dichtung der »Meistersinger« mitzuteilen: meine Freunde wollten bemerken, daß Hanslick immer giftiger würde.
Während ich und meine Genossen übermäßig mit den Vorbereitungen des Konzertes beschäftigt waren, trat eines Tages auch ein in Paris durch Bülow mir als lächerlicher Mensch bereits vorgestellter Herr Moritz zu uns und brachte es durch ungeschicktes, aufdringliches Benehmen und alberne, jedenfalls erfundene Berichte von Aufträgen Bülows an mich dahin, daß ich, durch Tausigs kecken Unwillen dazu hingerissen, dem sehr unberufenen Störer mit großer Heftigkeit die Tür wies. Hierüber berichtete er an Cosima in einer für Bülow so kränkenden Weise, daß diese sich wiederum veranlaßt fand, ihre höchste Indignation über mein so rücksichtsloses Benehmen gegen meine bewährtesten Freunde schriftlich mir zukommen zu lassen. Ich war wirklich so erstaunt und tief niedergeschlagen über dieses so unerklärlich wunderliche Begebnis, daß ich sprachlos Tausig den Brief Cosimas übergab und ihn einzig frug, was nun wieder gegen solchen Unsinn anzufangen sei: er übernahm es sogleich, Cosima den Vorfall im rechten Lichte zu zeigen und das Mißverständnis zu lösen; ich hatte die Freude, bald hiervon den gewünschten guten Erfolg zu erfahren.[722]
Jetzt gelangten wir zu den Proben für das Konzert; mit den mir benötigten Sängern versah mich die Hofoper, um die Bruchstücke aus »Rheingold«, der »Walküre« und »Siegfried« (Schmiede-Lieder) sowie Pogners Anrede aus den »Meistersingern« ausführen lassen zu können. Nur für die drei »Rheintöchter« hatte ich mich mit Dilettanten zu versorgen. Sehr behilflich auch hierfür sowie sonst in jeder Angelegenheit war mir der Konzertmeister Hellmesberger, welcher unter allen Umständen durch gute Leistungen und enthusiastische Bezeigungen den Musikern voranging. Nach den betäubenden Vorproben in einem kleinen Musikzimmer des Opernhauses, welche Cornelius durch das hier entstehende große Geräusch in Perplexität setzten, gelangten wir auf die Bühne des »Theaters an der Wien« selbst, wo ich neben der teueren Lokalmiete auch die Kosten für den nötigen Orchesterbau zu erstatten hatte. Der von lauter Theaterkulissen umgebene Raum blieb dennoch der Akustik außerordentlich ungünstig; eine Schallwand und Überdeckung für meine Rechnung herrichten zu lassen schien mir aber zuviel gewagt. Die erste Aufführung am 26. Dezember ergab mir, trotz des starken Besuches derselben, dennoch nichts als übergroße Unkosten und den großen Kummer, welchen mir die schlechte Wirkung des Orchesters infolge der üblen Akustik verursachte. Trotz schlechter Aussichten beschloß ich, zur Hebung der Wirkung der beiden nachfolgenden Konzerte, noch die Kosten der Herstellung eines Schallgehäuses zu übernehmen. Hierbei schmeichelte ich mir, auf den Erfolg anderseitiger Bemühungen um Erweckung von Teilnahme in höchsten Kreisen rechnen zu können. Mein Freund Fürst Liechtenstein hatte dies nicht für unmöglich gehalten: er glaubte den Weg zu einer Anregung für den kaiserlichen Hof durch die Palastdame Gräfin Zamoïska versuchen zu dürfen; zu dieser Dame geleitete er mich eines Tages durch unzählige Gänge der kaiserlichen Burg. Wie es mir späterhin deutlich wurde, hatte auch hier Frau Kalergis empfehlend vorgearbeitet; nur die junge Kaiserin schien sie aber für mich gewonnen zu haben, denn diese ganz allein, ohne jede Begleitung, wohnte der Aufführung bei. Jede Art von Enttäuschung erlitt ich jedoch bei dem zweiten Konzerte, welches ich allerdings allen Warnungen zum Trotz auf den ersten Neujahrstag 1863 angesetzt hatte: der Saal war außerordentlich schwach besetzt, und ich hatte einzig die Genugtuung, das Orchester durch die akustische Verbesserung des Raumes zu vortrefflicher Wirkung gebracht zu wissen. So war denn auch diesmal der Eindruck der aufgeführten Stücke so günstig, daß ich das am 8. Januar gegebene dritte Konzert wiederum vor sehr gefülltem Hause stattfinden lassen konnte. Ich erlebte hierbei ein schönes Zeugnis für die große Begabung des Wiener Publikums im Betreff der Musik: das keinesweges aufregende Vorspiel zu der Anrede[723] »Pogners« an die Meistersinger mußte, trotzdem der Sänger sich zu seinem Vortrage bereits erhoben hatte, auf stürmischen Zuruf wiederholt werden. Hierbei traf mein Blick in einer der Logen auf ein für meine Lage tröstliches Anzeichen: ich erkannte Frau Kalergis, welche soeben angekommen war, um für einige Zeit in Wien zu verweilen, wie es mich dünkte nicht ohne die Nebenabsicht, auch hier mir wiederum behilflich zu sein. Auch mit Standhartner befreundet, setzte sie sich sofort mit diesem in Beratung darüber, wie mir in der kritischen Lage, in welche ich wiederum durch die Unkosten von Konzertaufführungen geraten war, zu helfen sei. Sie selbst hatte unserem Freunde bekannt, über gar keine Mittel verfügen zu können und besondere Ausgaben nur durch Schuldenmachen bestreiten zu können. So sollten denn wohlhabendere Gönner geworben werden. Unter diesen zeichnete man zunächst Frau Baronin von Stockhausen, die Frau des hannöverschen Gesandten, aus: als sehr innige Freundin Standhartners verfuhr diese auch gegen mich mit warmer Teilnahme, indem sie auch Lady Bloomfield mit deren Gatten, dem englischen Gesandten, für mich gewann. Bei diesem gab es eine Soiree, so wie bei Frau von Stockhausen es zu mehreren Abendgesellschaften kam. Eines Tages überbrachte mir Standhartner, als von unbekannter Hand ihm zugestellt, 500 Gulden als Beitrag zur Deckung meiner Unkosten. Frau Kalergis hatte dagegen sich 1000 Gulden zu verschaffen gewußt, welche mir nun ebenfalls durch Standhartner für weitere Bedürfnisse zur Verfügung gestellt wurden. In ihren Bemühungen, den Hof für mich zu interessieren, war sie jedoch trotz ihrer nahen Befreundung mit Gräfin Zamoïska gänzlich erfolglos geblieben, da schließlich ein Mitglied der überall zu meinem Unglück auftauchenden sächsischen Familie Könneritz, als damaliger Gesandter, sich eingefunden und namentlich bei der alles beeinflussenden Erzherzogin Sophie jede Regung zu meinen Gunsten dadurch zu unterdrücken gewußt hatte, daß er behauptete, ich habe zu seiner Zeit das Schloß des Königs von Sachsen abgebrannt. –
Unverdrossen suchte aber meine Gönnerin nach jeder Seite meiner Bedürfnisse hin mir behilflich zu sein. Um meinem größesten Wunsche, für einige Zeit in eine ruhige Wohnung untergebracht zu sein, zu genügen, war sie darauf verfallen, die Wohnung des englischen Gesandtschafts-Attachés, des Sohnes des berühmten Lytton Bulwer, mir zu verschaffen, da dieser abberufen war, jedoch für längere Zeit noch seinen Haushalt zu seiner Verfügung behielt. Ich wurde mit dem jugendlichen, sehr liebenswürdigen Menschen durch sie bekannt gemacht; gemeinschaftlich mit Cornelius und Frau Kalergis speiste ich eines Abends bei ihm, wohernach ich schließlich mich an die Vorlesung der »Götterdämmerung« machte, ohne jedoch, wie es schien, mir dadurch eine aufmerksame Zuhörerschaft zu gewinnen; da ich dies bemerkte, brach ich ab und zog mich mit Cornelius zurück, während Frau Kalergis noch allein mit Bulwer verblieb. Cornelius glaubte sich dies nicht anders deuten zu dürfen, als daß wir dort dem Bedürfnisse nach einer vertrauteren[724] Unterhaltung hinderlich gewesen seien, und ich selbst gestehe, daß ich durch früher allerdings sehr fälschlich erweckten Verdacht so weit verleitet war, diesmal dem Ausbruche eines wilden Gelächters meines Freundes nur scherzhaft zu entgegnen. Es war uns auf dem Heimwege sehr kalt; auch Bulwers Zimmer kamen uns ungenügend geheizt vor: wir flüchteten uns in eine Restauration, um uns dort durch ein Glas Punsch zu erwärmen, welcher Vorgang mir in Erinnerung geblieben ist, weil ich hier zum ersten Male an Cornelius eine ganz unbändige, exzentrische Laune kennenlernte. Während wir uns so gehen ließen, benutzte, wie es mir wohl zum Bewußtsein kam, Frau Kalergis ihre Macht als bedeutende und unabweisbare weibliche Fürsprecherin, um Bulwer ein möglichst entscheidendes Interesse für mich einzuflößen. So viel gelangte hiervon an mich, daß dieser seine Wohnung für drei Vierteljahre mir unbedingt zu Gebote stellte. Nur wußte ich bei näherer Überlegung nicht recht, welchen Vorteil ich hieraus ziehen sollte, da ich andrerseits in Wien keine Aussicht auf Einnahmen zu meinem Lebensunterhalt auffinden konnte.
Hiergegen wirkte auf meine Entschlüsse entscheidend die Einladung, welche mir aus Petersburg zukam, daselbst im Monat März zwei Konzerte der Philharmonischen Gesellschaft für ein Honorar von 2000 Silberrubel zu dirigieren. Frau Kalergis, deren Bemühung um mich ich auch hierin zu erkennen hatte, riet mir eindringlich zur Annahme dieser Aufforderung, wobei sie mir für die Vergrößerung meiner Einnahme ein selbständig zu gebendes Konzert mit jedenfalls sehr bedeutendem materiellem Erfolge in Aussicht stellte. Was mich von der Annahme dieser Einladung hätte abhalten können, würde nur die Gewißheit gewesen sein, im Laufe der nächsten Monate in Wien den »Tristan« zur Aufführung zu bringen; neue Erkrankungen des Tenoristen Ander hatten jedoch die Vorbereitungen dazu wieder in das Stocken gebracht; wie mir denn überhaupt jedes Vertrauen auf jene Zusicherung, die mich wieder nach Wien verwiesen hatte, verlorengegangen war. Hierzu hatte schon alsbald nach meiner diesmaligen Ankunft das Ergebnis meines Besuches bei dem Minister Schmerling beigetragen. Dieser war sehr überrascht, als ich mich bei ihm auf eine Empfehlung des Fürsten Metternich berief; denn dieser hatte, der Versicherung des Ministers gemäß, kein Wort von mir zu ihm gesprochen. Sehr galant erklärte er mir jedoch, daß ich auch einer solchen Empfehlung gar nicht bedürfe, um ihn genügend für einen Mann von meinem Verdienste zu interessieren. Als ich ihm nun die in dem Entgegenkommen des Fürsten Metternich in meinem Betreff enthaltenen Gedanken über eine besondere Stellung, welche mir der Kaiser in Wien verleihen sollte, mitteilte, beeilte er sich dagegen, mir seine vollständigste Einflußlosigkeit auf irgendeinen Entschluß des Kaisers zur Kenntnis zu bringen. Um mir das Benehmen des Fürsten Metternich selbst klarzumachen, war dies Bekenntnis des Herrn von Schmerling recht dienlich und nahm ich an, daß jener eine Aktion auf den Oberstkämmerer[725] zugunsten einer ernstlichen Wiederaufnahme des »Tristan« erfolglosen Bemühungen beim Minister vorgezogen hatte.
Da, wie gesagt, aber auch diese Aussicht sich wieder in die Ferne verschob, sagte ich jetzt für Petersburg zu, suchte mich jedoch zuvor noch mit dem nötigen Gelde zu versehen, wozu mir ein von Heinrich Porges in Prag für mich vorbereitetes Konzert behilflich sein sollte. Demnach reiste ich anfangs Februar nach Prag und gewann dort allen Grund, meiner Aufnahme mich zu erfreuen. Der junge Porges, ein entschiedener Parteigänger für Liszt und mich, gefiel mir sowohl persönlich als durch seinen mir bewiesenen Eifer sehr gut. Das Konzert, in welchem außer einer Beethovenschen Symphonie Bruchstücke meiner neueren Werke zur Aufführung kamen, fand mit günstigem Erfolge im Saale der Sophieninsel statt. Als am folgenden Tage Porges noch mit Vorbehalt kleinerer Nachzahlungen mir eintausend Gulden zustellte, erklärte ich laut lachend, daß dies das erste Geld sei, welches ich durch eine persönliche Leistung mir verdient hätte. Außerdem machte er mich mit einigen sehr ergebenen und gebildeten jungen Leuten von der deutschen wie der tschechischen Partei, unter welchen ein Lehrer der Mathematik Lieblein und ein Schriftsteller Musiol, in recht befriedigender Weise bekannt. Rührend war es für mich, die aus meiner frühesten Jugend her mir bekannte Marie Löw, welche vom Gesang jetzt gänzlich zur Harfe übergegangen war, für dies letztere Instrument im Orchester angestellt und bei meinen Konzerten mitwirkend, nach so langen Jahren wieder anzutreffen. Bereits nach einer ersten Aufführung des »Tannhäuser« in Prag hatte sie mir mit großem Enthusiasmus hierüber berichtet; dieser verstärkte sich jetzt nur noch und blieb mir lange Jahre hindurch mit rührender Aufmerksamkeit zugewandt. So, recht befriedigt und neu erwachter Hoffnung voll, eilte ich für jetzt noch einmal nach Wien zurück, um die Angelegenheit des »Tristan« zu einer möglichst festen Abmachung zu bringen. Eine in meiner Anwesenheit wiederum ermöglichte Klavierprobe der beiden ersten Akte versetzte mich in wahre Verwunderung über die recht erträgliche Leistung des Tenoristen, während ich Frau Dustmann meine vollste Anerkennung ihrer vortrefflichen Durchführung der schwierigen Gesangspartie nicht zurückhalten konnte. So wurde es denn festgesetzt, daß mein Werk etwa nach Ostern zur Aufführung kommen sollte, was mit der Berechnung meiner Rückkehr aus Rußland sehr wohl in Übereinstimmung war.
Die Hoffnung auf die dort mir zu gewinnenden größeren Einnahmen bestimmte mich nun, meinen Plan einer völligen Ansiedelung in dem stillen Biebrich wieder aufzunehmen. Da mir für meine Reise nach Rußland noch Zeit übrigblieb, begab ich mich jetzt an den Rhein zurück, um dort so schnell wie möglich alles in Ordnung zu bringen. Nochmals stieg ich in der Frickhöferschen Wohnung ab, durchsuchte in Begleitung Mathilde Maiers und ihrer Freundin Luise Wagner nochmals den Rheingau nach der gewünschten Wohnung; da aber auch dies erfolglos blieb, machte ich mich sogar an Unterhandlungen[726] mit Frickhöfer wegen des Baues eines kleinen Häuschens für mich auf einem in der Nähe seiner Villa zu erwerbenden Grundstückchen. Jener Herr Schüler, den ich durch den jungen Städel kennengelernt hatte, sollte als Rechts- und Geschäftskundiger die Angelegenheit in die Hand nehmen; ein Kostenanschlag ward berechnet, und es sollte nun auf die Höhe meiner russischen Einnahmen ankommen, ob das Unternehmen im Frühjahr seine Ausführung finden werde. Da ich jedenfalls mit Ostern die Wohnung im Frickhöferschen Hause zu verlassen hatte, ließ ich bereits meinen ganzen Hausrat aus derselben entfernen und verpackt dem Möbelhändler in Wiesbaden zustellen, welchem ich noch den größten Teil der Zahlung für die mir gelieferte Einrichtung schuldete.
So reiste ich in hoffnungsvoller Stimmung zunächst nach Berlin, wo ich mich sofort in Bülows Wohnung meldete. Cosima, welche in kürzester Zeit einer Entbindung entgegensah, ließ sich, erfreut, mich wiederzusehen, durch nichts abhalten, mich zunächst in die Musikschule zu geleiten, in welcher wir Hans aufzusuchen hatten. Ich trat dort in einen länglichen Saal ein, an dessen Ende Bülow soeben eine Klavierstunde erteilte; da ich längere Zeit stumm an der Türe verweilte, fuhr jener in höchstem Ärger auf den störenden Eindringling los, um nun in ein um so freudigeres Lachen auszubrechen, als er mich erkannte. Unser gemeinschaftliches Mittagsmahl ward beredet, und mit Cosima, allein verfügte ich mich auf eine vortrefflich gelaunte Spazierfahrt in einem schönen Wagen des »Hotel de Russie«, über dessen Auspolsterung mit grauem Atlas wir unaufhörlich uns freuten. Bülow hatte Sorge gehabt, mir seine Frau in gesegnetem Zustande vorzustellen, da ich ihm einmal mit Beziehung auf eine andere Frau unserer Bekanntschaft meine damals empfundene Abneigung davon zu erkennen gegeben hatte. Es verursachte uns gute Laune, ihn in dem jetzigen Falle vollkommen beruhigen zu können, da mich an Cosima gar nichts zu stören imstande wäre. So wurde ich von den meine Hoffnung teilenden und über die Wendung meines Schicksales herzlich erfreuten Freunden auf dem Königsberger Bahnhof zur weiten Reise in die Nacht entlassen.
In Königsberg hatte ich einen halben Tag und eine Nacht zuzubringen, welche ich, von einer Wiederaufsuchung der für mich einst so verhängnisvollen Lokalitäten dieses Ortes keineswegs angezogen, still in einem Zimmer eines Gasthofes, um dessen Lage ich mich nicht einmal bekümmerte, verbrachte, um mit frühem Morgen meine Reise über die russische Grenze fortzusetzen. In einer gewissen Befangenheit wegen meiner ehemaligen gesetzwidrigen Überschreitung dieser Grenze, betrachtete ich mir während meiner langen Fahrt die Physiognomie der Mitreisenden genau. Unter diesen fiel mir ein livländischer Edelmann deutscher Herkunft besonders dadurch auf, daß er im härtesten deutschen Junker-Tone sein Mißbehagen an der Emanzipation der Bauern durch den russischen Kaiser aussprach: es ward mir hieran deutlich, daß etwaige Freiheitsbestrebungen der Russen[727] durch unseren, unter ihnen ansässigen deutschen Adel keine großen Förderungen erhalten möchten. Sehr erschreckte es mich, bei immer weiterer Annäherung an Petersburg, den Zug plötzlich angehalten und von Gendarmerie untersucht zu sehen. Es galt, wie man mir sagte, einigen der Teilnahme an dem in Ausbruch begriffenen neuesten polnischen Aufstande Verdächtigen. Nicht weit von der Hauptstadt selbst füllten sich aber die leeren Sitze des Waggons mit mehreren Leuten, deren hohe russische Pelzmützen mir um so mehr Verdacht erregten, als ich auf das aufmerksamste von den Trägern derselben fixiert wurde. Plötzlich aber verklärte sich das Gesicht des einen, welcher sich ganz begeistert mir zuwandte und mich als denjenigen begrüßte, dem er mit mehreren andern Musikern des Kaiserlichen Orchesters zur Einholung entgegengefahren sei. Es waren lauter Deutsche, welche mich nun nach der Ankunft im Petersburger Bahnhofe zahlreichen anderen Abgeordneten des Orchesters, mit dem Komitee der Philharmonischen Gesellschaft an der Spitze, jubelnd zuführten. Man hatte mir eine deutsche »Pension« in einem an der Newsky-Perspektive gelegenen Hause als geeignetes Unterkommen empfohlen. Sehr zuvorkommend ward ich hier von Frau Kunst, der Gattin eines deutschen Kaufmannes, aufgenommen, mit Auszeichnung in einem Salon mit voller Aussicht auf die große lebhafte Straße untergebracht und behaglich gepflegt. Ich speiste gemeinschaftlich mit den übrigen Pensionären und Kostgängern, zu welchen ich meistens den von Luzern her mir früher bekannt gewordenen Alexander Serow als meinen Gast herbeizog. Diesen, der sich sofort bei mir eingefunden hatte, lernte ich hier in einer sehr ärmlichen Stellung als Zensor der deutschen Journale kennen. Im Äußeren sehr vernachlässigt, kränklich und dürftig sich behelfend, erwarb er sich meine Achtung zunächst mit seiner großen unabhängigen Gesinnung und Wahrhaftigkeit, durch welche, verbunden mit seinem ausgezeichneten Verstande, er sich auch, wie ich bald erfuhr, zu einem der einflußreichsten und gefürchtetsten Kritiker erhoben hatte. Ich lernte dies in der Folge bald kennen, als ich von hochgestelltester Seite her darum angegangen wurde, meinen Einfluß auf Serow dahin zu verwenden, daß er den dort schmerzlich protegierten Anton Rubinstein fortan mit weniger Bitterkeit verfolgte. Als ich ihn hierum anging und er mir alle seine Gründe, aus denen er Rubinsteins Wirken als Künstler in Rußland für so verderblich hielte, auseinandersetzte, bat ich ihn, wenigstens mir zuliebe, der ich bei diesem kurzen Aufenthalte in Petersburg nicht als Rubinsteins Rivale angesehen sein möchte, mit seiner Verfolgung einzuhalten; wogegen er mit der Heftigkeit eines krampfhaft Leidenden mir zurief: »Ich hasse ihn und kann kein Zugeständnis machen.« Hiergegen trat er mit mir in das allerinnigste Einvernehmen; er verstand mich und meine Art so vollständig, daß wir fast nur noch scherzend miteinander umzugehen hatten, da wir über alles Ernste vollkommen einverstanden waren. Nichts glich seiner Sorgsamkeit, mit welcher er mir nach jeder Seite hin behilflich war.[728] Für die Gesangstexte der Bruchstücke aus meinen Opern, welche in meinen Konzerten vorgetragen werden sollten, sowie für meine explikativen Programme veranstaltete er die nötigen Übersetzungen in das Russische. Zur Auffindung der geeignetsten Sänger war er nach vortrefflichster Einsicht besorgt. Dafür schien er denn auch durch die Assistenz bei den Proben und Aufführungen reichlich belohnt. Sein strahlendes Gesicht glänzte mir überall ermutigend und neu belebend entgegen. – Das Orchester selbst, welches ich in dem großen und schönen Saale der Adligen Gesellschaft um mich versammelte, gereichte mir zur höchsten Befriedigung; es war durch die Auswahl von 120 Musikern der kaiserlichen Orchester zusammengesetzt und bestand zumeist aus tüchtigen Künstlern, welche, für gewöhnlich nur zur Begleitung der italienischen Oper und des Balletts verwandt, jetzt hocherfreut aufatmeten, unter einer Leitung, wie sie mir zu eigen ist, sich ausschließlich mit edlerer Musik beschäftigen zu können.
Nach dem bedeutenden Erfolge des ersten Konzertes meldete man sich mir nun auch aus den Kreisen, an welche ich, wie mir dies sehr begreiflich wurde, durch Marie Kalergis heimlich aber bedeutend empfohlen war. Höchst vorsichtig war von meiner verborgenen Protektorin meine Vorstellung an die Großfürstin Helene eingeleitet worden. Zunächst hatte ich eine von Standhartner an den ihm von Wien her befreundeten Dr. Arneth, den Leibarzt der Großfürstin, mir gegebene Empfehlung zu benutzen, um durch diesen wiederum Fräulein von Rhaden, der vertrautesten Hofdame derselben, vorgestellt zu werden. Mir hätte die Bekanntschaft mit dieser Dame allein schon recht wohl genügen können; denn ich lernte in ihr eine Frau von vollendeter Bildung, großem Verstande und edler Haltung kennen, deren immer ernstlicheres Interesse für mich sich mit einer gewissen Ängstlichkeit mir kundtat, welche sich auf eine Sorge im Betreff der Großfürstin zu beziehen schien. Mich dünkte es, als fühlte sie, daß für mich etwas Bedeutenderes zu geschehen habe, als von dem Geiste und dem Charakter ihrer Herrin zu erwarten stehen würde. Noch wurde ich auch jetzt nicht der Großfürstin unmittelbar zugeführt, sondern ich erhielt zuerst die Einladung zu der fürstlichen Palastdame für eine Abendgesellschaft, in welcher unter andren auch die Großfürstin selbst zugegen sein würde. Hier machte Anton Rubinstein die künstlerischen Honneurs; nachdem dieser mich der Palastdame vorgestellt hatte, wagte diese wiederum ihrer Herrin, der Großfürstin selbst, mich vorzuführen. Hierbei schien es denn ganz erträglich abgegangen zu sein, und ich erhielt demzufolge bald eine direkte Einladung zum vertrauten abendlichen Teezirkel bei der Großfürstin. Hier traf ich außer Fräulein von Rhaden noch die ihr nächste Hofdame Fräulein von Stahl sowie einen alten gemütlichen Herrn, den man mir als General von Brebern und langjährigen Hausfreund seiner Fürstin vorstellte. Fräulein von Rhaden schien ungemeine Anstrengungen zu meinen Gunsten gemacht zu haben, deren Erfolg sich jetzt darin äußerte, daß die Großfürstin mit meiner Dichtung[729] des Nibelungen-Ringes durch mich bekannt gemacht zu werden verlangte. Da ich kein Exemplar davon bei mir hatte, dagegen der von Weber in Leipzig besorgte Druck derselben soeben beendet sein mußte, bestand man auf sofortiger telegraphischer Aufforderung nach Leipzig, die bereits fertigen Bogen schleunigst an den großfürstlichen Hof zu senden. Für jetzt hatten sich meine Gönner mit meiner Vorlesung der »Meistersinger« zu begnügen. Hierzu war auch die Großfürstin Marie, die wegen ihres etwas leidenschaftlichen Lebens bekannte, äußerst stattliche und noch schöne Tochter des Kaisers Nikolaus, hinzugezogen worden. Von der Auffassung meines Gedichtes von seiten dieser Dame ward mir durch Fräulein von Rhaden nur bekannt, daß sie in peinlichster Sorge, Hans Sachs möge zum Schluß Eva heiraten, geschwebt habe.
Nach wenigen Tagen kamen denn auch vereinzelt die Aushängebogen meines Nibelungen-Gedichtes an, und der vertraute Teezirkel der Großfürstin schloß sich noch viermal zur geneigten Anhörung meiner Vorlesung um mich; auch General Brebern wohnte diesen regelmäßig bei, um, wie mir Fräulein von Rhaden sagte, in immer tieferem Schlafe »wie eine Rose zu erblühen«, was besonders dem sehr heitren und hübschen Fräulein von Stahl Stoff zu munteren Auslassungen gab, wenn ich des Nachts die beiden Hofdamen aus den weiten Sälen über Treppen und unendliche Korridore in ihre entfernteren Wohngemächer begleitete.
Von einflußreichen Hochgestellten lernte ich nur noch den Grafen Wielhorsky kennen, welcher in einer hohen und vertrauten Stellung am kaiserlichen Hofe hauptsächlich als Protektor der Musik sich geltend gemacht hatte, so wie er denn selbst durch sein Violoncellospiel sich auszeichnen zu dürfen glaubte. Der alte Herr schien mir freundlich gewogen und mit meinen Musikaufführungen durchaus einverstanden zu sein; so versicherte er mir, die 8. Symphonie von Beethoven (in F-dur) erst durch meine Aufführung kennengelernt zu haben. Auch mein Vorspiel zu den »Meistersingern« glaubte er vollständig begriffen zu haben; wogegen er die Großfürstin Marie, welche dieses Stück unverständlich gefunden, über das Vorspiel zu »Tristan« sich jedoch in höchstem Grade passioniert geäußert habe, für affektiert hielt, da er selbst doch wiederum nur mit Anstrengung aller seiner Musikkenntnisse zu einem Verständnis dieses letzteren Stückes gekommen wäre. Als ich dies Serow mitteilte, rief er enthusiastisch aus: »Ah! l'animal de Conte! Cette femme connait l'amour!« – Der Graf veranstaltete mir zu Ehren ein splendides Diner, bei welchem auch Anton Rubinstein und Madame Abaza zugegen waren. Da ich nach dem Diner wünschte, daß Rubinstein etwas musiziere, bestand Madame Abaza auf dem Vortrag von dessen »Persischen Liedern«, was den Komponisten sehr zu ärgern schien, da er wohl vermeinte, noch manches andere Schöne geschaffen zu haben. Dennoch gaben mir sowohl die Komposition als der Vortrag derselben einen sehr vorteilhaften Begriff von dem Talente der beiden Künstler. Durch diese[730] Sängerin, welche zuvor bei der Großfürstin für ihr Fach angestellt gewesen und nun an einen vornehmen, reichen und gebildeten russischen Herrn verheiratet war, wurde ich auch in das Haus des Herrn Abaza selbst eingeführt und mit Auszeichnung dort aufgenommen. Nebenher hatte sich auch ein Baron Vietinghoff als musikalischer Dilettant und Enthusiast bei mir eingeführt und mich mit Einladungen beehrt, bei deren einer ich mit Ingeborg Stark, der schönen, von Paris her mir bekannten klavierspielenden und Sonaten komponierenden Schwedin, zusammentraf. Sie überraschte mich durch die unverschämteste Heiterkeit, mit welcher sie den Vortrag der Komposition des Herrn Barons laut lachend begleitete. Außerdem zeigte sie mir ein seriöses Air, da sie mit Hans von Bronsart, wie sie mir mitteilte, in Brautstand getreten sei. – Rubinstein selbst, mit dem ich freundliche Besuche gewechselt hatte, betrug sich durchaus anständig, wie mir jedoch schien, etwas leidend gegen mich, da er mir denn auch versicherte, daß er seine namentlich durch Serows Gegnerschaft ihm verleidete Stellung in Petersburg aufzugeben beabsichtigte. Auch in die Kreise der Petersburger Kaufmannschaft glaubte man, zum Vorteil meines zunächst zu gebenden Benefizkonzertes, mich einführen zu müssen; hierzu wurde der Besuch eines Konzertes im Saale des Kaufmanns-Vereines in das Werk gesetzt. Schon auf der Treppe empfing mich dort ein stark betrunkener Russe, welcher sich mir als der Kapellmeister vorstellte. Dieser dirigierte mit einer kleinen Auswahl kaiserlicher Musiker u.a. die Ouvertüren zu Rossinis »Teil« und Webers »Oberon«, bei deren Ausführung die Pauken durch eine kleine Militärtrommel ersetzt waren, was namentlich in der schönen Verklärungsstelle der »Oberon«-Ouvertüre einen wunderlichen Effekt hervorbrachte.
Wenn ich für meine eigenen Konzerte im Betreff des Orchesters sehr gut bedacht war, so hatte ich dagegen für die Sänger mich äußerst mühsam zu behelfen. Der Sopran war durch Fräulein Bianchi ganz erträglich vertreten: dagegen mußte ich für die Tenorpartie mit einem Herrn Setow vorliebnehmen, welcher zwar viel Mut, aber so gut wie gar keine Stimme besaß; dennoch ermöglichte er die Ausführung der Schmiede-Lieder aus »Siegfried«, da er mir wenigstens durch seine Gegenwart den Anschein eines Gesanges lieferte, wenngleich das Orchester einzig die effektuierende Wirklichkeit übernahm. Nach Beendigung der beiden Konzerte der Philharmonischen Gesellschaft hatte ich mein eigenes Konzert im Kaiserlichen Opernhause in Angriff genommen, für dessen materielle Arrangements mir ein pensionierter Musiker behilflich war, welcher in Serows Gegenwart oft lange Stunden in meiner wohlgeheizten Stube zugegen war, ohne seinen enormen Pelz abzulegen; da wir außerdem mit seiner Unfähigkeit große Not hatten, fanden wir, daß er »das Schaf im Wolfspelz« vorstellte. Das Konzert selbst gelang über alle Erwartungen gut, und nie glaube ich von einem Publikum so enthusiastisch aufgenommen worden zu sein, als es hier der Fall war, da sogleich der erste Empfang durch seine stürmische Andauer mich, was sonst[731] so leicht nicht der Fall war, außer Fassung brachte. Zu dieser enthusiastischen Stimmung des Publikums schien mir die feurige Ergebenheit des Orchesters selbst viel beigetragen zu haben. Denn meine 120 Musiker waren es hauptsächlich, welche immer wieder den rasenden Sturm der Akklamation erneuerten, was in Petersburg wohl ein neues Erlebnis zu sein schien. Ausrufe wie: »Gestehen wir, daß wir jetzt erst wissen, was Musik ist!« hatte ich von ihnen unter sich zu vernehmen. Diese außerordentlich günstigen Dispositionen benutzte nun der Kapellmeister Schuberth, welcher bisher mit ziemlichem Anstande durch seinen geschäftlichen Rat mir behilflich gewesen war, zu der Aufforderung an mich, in seinem demnächst zu gebenden eigenen Benefizkonzerte mitzuwirken. Etwas verdrießlich, da ich wohl erkannte, daß es ihm darauf ankomme, eine jedenfalls zu erwartende neue glänzende Einnahme aus meiner Tasche in die seinige zu eskamotieren, glaubte ich jedoch auf den Rat meiner anderen Freunde ihm gewähren zu müssen, und so wiederholte ich denn nach acht Tagen die gefälligsten Stücke meines Programmes vor einem gleich zahlreichen Publikum und mit demselben Erfolge, nur daß diesmal die schöne Einnahme von 3000 Rubeln für die Bedürfnisse eines schwächlichen Menschen berechnet waren, welcher zur unerwarteten Rache für diese an mir begangene Schmälerung noch in diesem Jahre durch den Tod von der Welt abberufen wurde.
Hiergegen hatte ich nun durch einen mit dem dortigen Intendanten General Lwow abgeschlossenen Vertrag neuen Erfolgen und Einnahmen in Moskau entgegenzusehen. Hier hatte ich, auf die mit 1000 Rubel garantierte Hälfte der Einnahme eines jeden, drei Konzerte im Großen Theater zu geben. Bei einem mit neuem Frost abwechselnden Tauwetter kam ich erkältet in einer schlechtgelegenen deutschen Pension verdrießlich und von Unbehagen gepeinigt an. Nachdem ich mit einem trotz seiner am Halse getragenen Orden mir sehr geringfügig erscheinenden Intendanten über die näheren Angelegenheiten verkehrt, mich auch mit einem russischen Tenoristen und einer emeritierten italienischen Sängerin über die schwierig auszuwählenden Gesangstücke einverstanden hatte, schritt ich alsbald zu den Orchesterproben. Hier ward ich zunächst mit dem jüngeren Rubinstein, Antons Bruder Nikolaus, bekannt, welcher als Direktor der »Russischen Musikalischen Gesellschaft« die Hauptautorität in seinem Fache für Moskau repräsentierte und gegen mich sich durchgängig bescheiden und gefällig benahm. Das Orchester bestand aus den hundert Musikern, welche den kaiserlichen Dienst für italienische Oper und Ballett zu versehen hatten und durchschnittlich von weit geringerer Qualität als die Petersburger waren. Doch traf ich unter ihnen eine kleine Anzahl wiederum sehr tüchtiger und mir leidenschaftlich ergebener Quartettspieler an, unter denen ich einen alten Bekannten aus der Rigaschen Zeit, den damals namentlich durch seinen Witz sich auszeichnenden Violoncellisten von Lutzau vorfand. Vorzüglich erfreute mich aber ein Violinist Albrecht, der Bruder desselben, der mich[732] vor meiner Ankunft in Petersburg durch seine russische Pelzmütze erschreckt hatte Diese wenigen vermochten jedoch nicht, den Umgang mit dem Moskauer Orchester mich nicht als ein künstlerisches Herabsinken empfinden zu lassen. Ich quälte mich ab, ohne Freude daran zu haben, wozu noch der Ärger über meinen russischen Tenor kam, welcher in den Proben in einem roten Hemde erschien, um mir seinen patriotischen Widerwillen gegen meine Musik zu erkennen zu geben, als er mit den Italienern abgelernten faden Manieren Siegfrieds Schmiedelieder auf Russisch zu singen hatte. Am Morgen des ersten Konzerttages mußte ich mich wegen stark eingetretenen katarrhalischen Fiebers für den Abend krank melden und das Konzert absagen lassen. In dem von Schneejauche überschwemmten Moskau schienen Veranstaltungen zur Bekanntmachung dieses Falles an das Publikum unmöglich gewesen zu sein, und ich erfuhr, daß die vergebliche Anfahrt der glänzendsten Equipagen, welche zu spät zurückgewiesen werden mußten, großes und ärgerliches Aufsehen gemacht hatte. Nachdem ich mich zwei Tage ausgeruht, bestand ich jedoch darauf, die drei vertragsmäßigen Konzertaufführungen in sechs Tagen vor sich zu bringen, zu welcher Anstrengung mich besonders auch der Eifer, mit dieser mir unwürdig dünkenden Expedition fertig zu werden, antrieb. Trotzdem das Große Theater stets, und zwar von einer so prachtvoll sich ausnehmenden Versammlung, wie sie mir nicht wieder vorgekommen ist, angefüllt war, brachte ich es infolge der Berechnungen der Kaiserlichen Intendanz nicht über die mir garantierte Summe, wogegen ich durch die stets sehr glänzende Aufnahme meiner Leistungen, vor allem aber durch den auch hier wieder erregten Enthusiasmus der Musiker des Orchesters mich entschädigt fühlte. Von den letzteren erbat sich eine Deputation noch ein viertes Konzert; da ich dies abschlug, suchte man mich wenigstens noch zur Abhaltung einer »Probe« zu überreden, was mit Lächeln ebenfalls zurückgewiesen werden mußte. Doch feierte mich das Orchester noch durch ein mir zu Ehren veranstaltetes Bankett, wobei es schließlich, nachdem Nikolaus Rubinstein sich in sehr schicklicher und warmer Rede hatte vernehmen lassen, zu ziemlich tumultuarischen Freudenbezeigungen kam. Jemand hatte mich auf seinen Rücken gesetzt und durch den Saal getragen; und nun entstand ein Geschrei, weil alle mir den gleichen Dienst leisten wollten. Hier wurde mir auch aus den Zusammenschüssen der Orchestermusiker das Ehrengeschenk einer goldenen Tabatiere gemacht, auf welche das Wort aus Siegmunds Gesang in der »Walküre« eingraviert war: »Doch Einer kam«. Ich erwiderte dieses Geschenk mit einem dem Orchester gewidmeten größeren photographischen Porträt von mir, auf welchem ich den jener Stelle vorangehenden Vers aufschrieb: »Keiner ging.« – Außer dieser Musikantenwelt lernte ich infolge einer sehr bedeutungsvollen Empfehlung und Hinweisung auf ihn durch Frau Kalergis einen Fürsten Odojewsky kennen. In diesem Manne hatte ich, der Andeutung meiner Freundin gemäß, den edelsten der Menschen, der[733] mich vollkommen verstehen würde, kennenzulernen. In der Tat wurde ich von ihm, als ich nach stundenlanger, höchst beschwerlicher Fahrt in seiner bescheidenen Wohnung anlangte, mit patriarchalischer Einfachheit am Mittagstisch seiner Familie empfangen. Von meinem Wesen und meinen Absichten ihn zu unterrichten, fiel mir außerordentlich schwer; dagegen er alles, was von Eindrücken von ihm zu erwarten sei, auf die Wirkung des Anschauens eines orgelähnlichen großen Instrumentes setzte, welches er in einem größeren Raume nach seinen Angaben hatte erfinden und anfertigen lassen. Leider war niemand da, der darauf spielen konnte; doch mußte ich mir eine Vorstellung von dem nach einem eigenen System eingerichteten Gottesdienst machen, welchen er hier mit Unterstützung des Instrumentes allsonntäglich den Verwandten und Bekannten seines Hauses zum besten gab. Immer noch meiner Gönnerin eingedenk, versuchte ich dennoch dem gemütlichen Fürsten einen Einblick in meine Lage und das Ziel meiner Bestrebungen zu verschaffen; mit anscheinender Ergriffenheit rief er mir zu: »J'ai ce qu'il vous faut, parlez à Wolffsohn!« – Nach späterer Erkundigung erfuhr ich, daß dieser mir zugewiesene Schutzgeist keineswegs ein Bankier, sondern ein jüdisch-russischer Romanschreiber war.
Bei alledem schienen sich meine Einnahmen, namentlich wenn ich eine noch mögliche große Einnahme in Petersburg mit hinzurechnete, genügend herauszustellen, um das Projekt meines Hausbaues in Biebrich zur Ausführung zu bringen, weshalb ich noch von Moskau aus, welches ich nun nach einem zehntägigen Aufenthalte verließ, an meinen Bevollmächtigten in Wiesbaden hierüber ein Telegramm sendete. Auch an Minna, welche sich über die Kosten ihrer Dresdener Ansiedelung beklagte, übersandte ich jetzt 1000 Rubel.
Hiergegen traf ich sogleich bei meiner Wiederankunft in Petersburg auf große Verdrießlichkeiten. Man riet mir allgemein von einem zweiten Benefizkonzerte, welches ich für den zweiten Ostertag bestimmt hatte, ab, weil dieser Tag von der russischen Gesellschaft gewohnheitsgemäß zur Privatgeselligkeit verwendet werde. Zudem hatte ich es nicht verhindern können, für ein auf den dritten Tag nach dem meinigen angekündetes Konzert zum Besten der Petersburger Schuldgefangenen zuzusagen, da ich namentlich durch Großfürstin Helene dringend hierzu aufgefordert war. Für dieses letztere war ganz Petersburg schon ehrenhalber engagiert, da es unter hohem Protektorate stand, und während alle Plätze zu demselben im voraus verkauft waren, hatte ich bei einem sehr leeren Saale im Adeligen Kasino mich mit einer Einnahme zu begnügen, welche glücklicherweise wenigstens die Kosten deckte. Dafür ging es in dem Konzerte für die Schuldgefangenen desto festlicher her: General Suworow, ein Mann von vollkommenster Schönheit, dazu Gouverneur von Petersburg, überreichte mir als Dank der Schuldgefangenen ein sehr schön gearbeitetes silbernes Trinkhorn. – So begab ich mich denn auf das Abschiednehmen, wobei sich Fräulein von Rhaden[734] durch Bezeigung großer Teilnahme für mich hervortat. Um den Verlust meiner zuletzt erwarteten Einnahme zu vergüten, übersandte die Großfürstin mir durch sie 1000 Rubel mit der Andeutung, bis zur Besserung meiner äußeren Lage das gleiche Geschenk jährlich wiederholen zu wollen. Beim Antreffen so guter Dispositionen für mich hatte ich zu bedauern, daß das hiermit angetretene Verhältnis nicht gründlichere und ersprießlichere Folgen haben sollte. Ich ließ der Großfürstin durch Fräulein von Rhaden den Vorschlag machen, mich jedes Jahr auf einige Monate nach Petersburg kommen zu lassen, um dort sowohl für Konzerte als Theateraufführungen mich mit meinen ganzen Fähigkeiten in Verwendung zu bringen, wofür sie mir ein eben nur genügendes Jahresgehalt zu zahlen haben würde. Hierauf wurde mir ausweichend geantwortet. Noch am Tage vor meiner Abreise teilte ich demnach der liebenswürdigen Fürsprecherin meinen Plan einer Niederlassung in Biebrich mit, wobei ich ihr meine Bangigkeit davor nicht verbarg, daß, wenn ich mein hier gewonnenes Geld darauf verwendet hätte, meine Lage dieselbe wie früher sein würde; was mir die Besorgnis eingäbe, ob ich jenen projektierten Hausbau nicht lieber unterlassen möchte: worauf ich die feurige Antwort erhielt: »Bauen Sie und hoffen Sie!« Im letzten Augenblick vor der Fahrt nach dem Bahnhofe erwiderte ich ihr dankend in gleicher Weise, daß ich jetzt wüßte, was ich zu tun hätte. So fuhr ich Ende April, von Serow und den enthusiastischen Musikern des Orchesters mit herzlichen Segenswünschen entlassen, durch die russische Öde, ohne Riga, wohin man mich zu einem Konzerte eingeladen hatte, zu berühren, den langen Weg dahin, um zunächst an der Grenze, der Station Wirballen, ein nachgesandtes Telegramm des Fräulein von Rhaden in Empfang zu nehmen, worin sie mir in bezug auf meine zuletzt hinterlassenen Zeilen zurufen zu müssen glaubte: »Nicht zu kühn!«, was mir denn genug sagte, um gegen die Ausführung meines Hausbauprojektes wiederum Bedenken aufkeimen zu lassen.
Ohne weitere Verzögerung gelangte ich nach Berlin, wo ich sofort mich nach Bülows Wohnung begab. Ich hatte in den letzten Monaten durchaus keine Nachrichten von Cosimas Befinden erhalten und meldete mich jetzt, von großer Bangigkeit bewegt, an der Türe, durch welche ich von dem Mädchen nicht eingelassen werden sollte: »Die gnädige Frau sei nicht wohl«; – »Ist sie wirklich krank?« frug ich; als ich hierauf eine lächelnd ausweichende Antwort erhielt, begriff ich zu meiner Freude den Stand der Dinge und eilte freudig, Cosima zu begrüßen, welche, seit länger bereits von ihrer Tochter Blandine entbunden, jetzt in voller Genesung begriffen war und nur gegen die gewöhnlichen Besuche sich abgeschlossen hatte. Alles schien gut zu stehen, auch Hans war heiter, da er durch die russischen Erfolge mich für längere Zeit als von Sorgen entbunden betrachten wollte. Diese Annahme konnte ich jedoch immer nur für berechtigt halten, wenn ich meinen Wunsch, alljährlich nach Petersburg für einige Monate zu wiederholter[735] Wirksamkeit berufen zu werden, erfolgreich beachtet fand. Hierüber belehrte mich jetzt aber ein jenem Telegramm nachgesandter ausführlicherer Brief des Fräulein von Rhaden dahin, daß ich auf keinerlei Zusage zu rechnen habe. Dieser bestimmten Weisung zur Folge hatte ich nun den Rest meines russischen Gewinns, welcher nach Abzug der Kosten meines Aufenthaltes und meiner Reisen sowie der bereits an Minna versandten und an meinen Wiesbadener Möbelhändler bezahlten Gelder sich auf nicht viel mehr als 4000 Taler belief, ernstlich in Berechnung zu ziehen, wobei natürlich der Plan des Ankaufes eines Grundstückes und des Baues eines Hauses aufgegeben werden mußte. Cosimas vortrefflichstes Befinden und heiterste Stimmung ließ jedoch bei mir für jetzt keine Sorgen aufkommen, wir fuhren wieder in einem prächtigen Wagen in übermütigster Laune durch die Alleen des Tiergartens, dinierten im »Hotel de Russie« nach Herzenslust und nahmen an, daß die schlechten Zeiten vorbei seien.
Zunächst hatte ich mich jedenfalls nach Wien zu wenden. Vor kurzem hatte ich zwar von dort her schon die Anzeige erhalten, daß, und diesmal aus Gründen der Angegriffenheit von Frau Dustmann, der »Tristan« wieder hätte zurückgelegt werden müssen. Um diese wichtige Angelegenheit näher im Auge zu behalten, wohl aber auch, weil ich mit keinem anderen deutschen Orte noch in so nahe künstlerische Verbindung getreten war als mit Wien, hielt ich diesen Punkt für jetzt als den mir anständigsten Aufenthalt fest. Tausig, den ich hier in vollster Blüte jetzt wieder antraf, bestätigte mich hierin auf das angelegentlichste und bestimmte mich auch dadurch, daß er sich anheischig machte, gerade in der Umgebung von Wien mir am besten die angenehme und ruhige Wohnung verschaffen zu können, auf die ich mein Hauptaugenmerk gerichtet hatte. Dies gelang ihm vermittelst seines Hauswirtes in ganz erwünschter Weise. Das sehr freundliche Haus eines alten Herrn Baron von Rackowitz in Penzing, in welchem mir der ganze obere Raum nebst dem ausschließlichen Genuß eines nicht unbeträchtlichen schattigen Gartens zur Verfügung gestellt wurde, bot mir gegen eine Jahresmiete von 1200 Gulden ein sehr erfreuliches Unterkommen. – Als den Hausmeister lernte ich Franz Mrazek, einen sehr zutulichen Menschen kennen, welchen ich mit seiner Frau Anna, einer sehr begabten und einschmeichelnden Person, sofort in meine Dienste nahm, in welchen sie für längere Jahre hindurch unter wechselnden Schicksalen verblieben. Jetzt hieß es denn wieder Geld ausgeben, um mir das langersehnte Asyl für Ruhe und Arbeit behaglich herzurichten. Aus Biebrich ließ ich den letzten Rest des mir erhaltenen Hausrates sowie die zu dessen Vervollständigung angeschafften Mobilien mit meinem Erardschen Flügel mir zuschicken. Bei schönstem Frühlingswetter zog ich am 12. Mai in die freundliche Wohnung ein und verlor zunächst manche Zeit durch die Aufregung, in welche ich durch die Sorge für die Einrichtung meiner behaglichen Wohnräume geriet. Hier begründeten sich meine Beziehungen zu Philipp Haas & Söhne, welche mit[736] der Zeit bedenkliche Verhältnisse annehmen sollten. Für jetzt versetzte mich jede Bemühung um meine von mir für so hoffnungsreich angesehene Niederlassung in die beste Laune. Das Musikzimmer mit dem angekommenen Flügel und verschiedenen Kupferstichen nach Raphael, welche mir bei der Biebricher Teilung zugefallen, war bereits hergestellt, als ich am 22. Mai meinen fünfzigsten Geburtstag beging und hierzu des Abends eine Serenade mit »Lampions« vom Kaufmännischen Gesangvereine gebracht erhielt, welchem sich eine Deputation von Studenten angeschlossen hatte, von denen ich mit feuriger Anrede begrüßt wurde. Ich hatte für Wein gesorgt, und hiermit lief alles vortrefflich ab. Von dem Ehepaar Mrazek ward meine Haushaltung ganz erträglich besorgt; Anna machte es durch ihre Küchenkünste sogar möglich, daß ich Tausig und Cornelius öfters bei mir zu Tisch sehen konnte.
Leider traten jetzt nochmals große Störungen ein, welche mir Minna durch heftige Vorwürfe über alles, was ich tat, bereitete. Da ich mir vorgenommen hatte, ihr niemals mehr selbst zu antworten, schrieb ich auch diesmal nur an ihre immer noch vor sich verheimlichte Tochter Nathalie, indem ich auf die Entscheidung des vorigen Jahres verwies. – Wie sehr ich auf der anderen Seite gerade jetzt einer gewissen weiblichen Pflege und Führung des Hausstandes bedürftig war, erhellte mir selbst, als ich an Mathilde Maier in Mainz den unbefangenen Wunsch aussprach, sie möge zu mir kommen, um das mir Fehlende in schicklicher Weise zu ersetzen. Ich mußte diese gute Freundin für so verständig halten, daß sie, ohne irgendwelche Scham zu empfinden, meinen Gedanken hierbei richtig erkennen würde. Hierin mochte ich mich wohl auch nicht getäuscht haben; nur hatte ich ihre Mutter und sonstige bürgerliche Umgebung nicht richtig in Anschlag gebracht. Sie schien durch meine Aufforderung in die höchste Aufregung gebracht worden zu sein, welcher sich endlich ihre Freundin Luise Wagner dahin bemächtigte, daß sie mit bürgerlichem Verstande und Präzision einfach mir den guten Rat erteilte, zunächst von meiner Frau mich scheiden zu lassen, wonach alles übrige dann leicht sich arrangieren lassen würde. Hierüber heftig erschrocken, nahm ich sofort meine Aufforderung als unüberlegt zurück und suchte die entstandenen Aufregungen so gut wie möglich zu beruhigen. – Andrerseits fuhr, wie bisher so auch jetzt, Friederike Meyer fort, wenn auch ganz gegen ihren Willen, so doch durch ihr mir ganz unbegreifliches Schicksal mich sehr zu beunruhigen. Nachdem sie in vergangenem Winter mehrere Monate, wie es schien zu ihrem Gedeihen, in Venedig zugebracht, hatte ich von Petersburg aus ihr den Wunsch zu erkennen gegeben, sie möge bei Bülows in Berlin mit mir zusammentreffen, wobei ich das freundliche Interesse, welches Cosima für sie gefaßt hatte, reiflich in Anschlag brachte, um auch mit dieser gemeinschaftlich zu erwägen, in welcher Weise für die Ordnung der auffällig gestörten Lebenslage der Freundin zu helfen sei. Zu diesem Zusammentreffen war sie nicht erschienen; dagegen[737] meldete sie mir, daß sie für jetzt, wo ihre noch sehr leidende Gesundheit ihre theatralische Laufbahn ernstlich hemme, bei einer Freundin in Coburg sich niedergelassen habe und durch gelegentliches Auftreten auf dem dortigen kleinen Theater sich zu soutenieren suche. Eine Einladung, wie ich sie an Mathilde Maier gestellt hatte, konnte ich ihr aus vielen Gründen wohl nicht zukommen lassen. Dagegen hegte sie den heftigen Wunsch, mit mir auf kurze Zeit noch einmal zusammenzukommen, wobei sie mir versicherte, sie würde mich dann für immer in Ruhe lassen. Mir mußte es zwecklos und abenteuerlich erscheinen, sofort ihre Bitte zu gewähren; doch stellte ich dies für etwas später in Aussicht. Sie wiederholte im Verlaufe des Sommers von verschiedenen Orten aus dasselbe Verlangen, bis ich, im Spätherbste dazu bestimmt, ein Konzert in Karlsruhe zu geben, ihr diese Zeit und diesen Ort für die gewünschte Begegnung in Aussicht stellte. Hierauf habe ich von dieser seltsamen und anregenden Freundin nie auch nur die mindeste Mitteilung mehr erhalten, so daß ich mit ihr, deren Aufenthalt mir ebenfalls durchaus unbekannt blieb, jede Verbindung abgebrochen sah. Erst nach mehreren Jahren ward mir das Geheimnis ihrer allerdings höchst schwierigen Lage bekannt, nach welchen Mitteilungen ich schließen mußte, daß sie im Betreff ihres Verhältnisses zu jenem Herrn von Guaita mir die Wahrheit zu sagen sich gescheut hatte. Demnach hatte jener Mann bei weitem ernstlichere Ansprüche an sie, als ich vermutet hatte, und jetzt war sie, wie es schien, durch die Not ihrer Lage gedrängt worden, dem immerhin ernstlich ihr anhängenden Manne als letztem Freunde sich zu übergeben. Ich erfuhr, daß sie – man glaubte sogar, Herrn von Guaita »still« angetraut – mit zweien Kindern, nicht nur vom Theater, sondern auch von der Welt gänzlich zurückgezogen, auf einem kleinen Gütchen am Rhein ihr Leben unbemerkt zubringe.
Noch war ich aber jetzt zu der feierlich umständlich vorbereiteten Arbeitsruhe nicht gelangt. Das Erlebnis eines Diebstahls, welcher durch Einbruch an der von den Moskauer Musikern mir geschenkten goldenen Dose begangen wurde, rief mir wieder den Wunsch des Besitzes eines Hundes zurück: mein freundlicher alter Hausherr überließ mir hierfür seinen alten, von ihm bereits sehr vernachlässigten Jagdhund, genannt Pohl, eines der liebenswürdigsten und vortrefflichsten Tiere, welche je sich mir zugesellt haben. Mit ihm machte ich mich alltäglich auf starke Fußpromenaden, wozu die höchst angenehme Umgebung mir die befriedigendsten Veranlassungen bot. Außerdem blieb ich für jetzt noch ziemlich einsam, da Tausig durch eine schwere Erkrankung auf lange Zeit an sein Bett gefesselt war und Cornelius ebenfalls an einer Fußwunde litt, die er sich bei einem Besuche in Penzing durch unvorsichtiges Herabsteigen vom Omnibus zugezogen hatte. In freundschaftlichem Umgange blieb ich stets mit Standhartner und dessen Familie; auch hatte sich der jüngere Bruder Heinrich Porges', Fritz, als angehender Arzt und recht angenehmer Mensch schon bei Gelegenheit der[738] Serenade des Kaufmännischen Gesangvereines, welche er veranlaßt hatte, zu mir gesellt.
Ich hatte mich davon überzeugt, daß an eine Wiederaufnahme des »Tristan« im Operntheater nicht mehr zu denken sein würde, da, wie ich erfuhr, die Angegriffenheit der Frau Dustmann nur ein Vorgeben, die vollständige Stimmlosigkeit des Herrn Ander aber der wahre Grund der letzten Unterbrechung gewesen war. Der ehrliche Kapellmeister Esser suchte mich zwar stets dazu zu überreden, daß ich die Partie des Tristan einem anderen Tenoristen des Theaters, namens Walther, übergeben sollte; dieser war mir jedoch so widerwärtig, daß ich mich selbst nicht dazu entschließen konnte, ihn einmal im »Lohengrin« anzuhören. So ließ ich denn diese Angelegenheit jetzt gänzlich in Vergessenheit geraten und suchte mich einzig zur Wiederaufnahme meiner Arbeit an den »Meistersingern« zu stimmen. Somit nahm ich denn zunächst die Instrumentierung des fertig komponierten Teiles des ersten Aktes, von welchem ich zuvor nur einige Bruchstücke ausgesetzt hatte, wieder vor. Zugleich aber schlich sich beim Herannahen des Sommers wiederum die Sorge um mein künftiges Auskommen in alle meine Empfindungen von der Gegenwart ein: bei der Erfüllung meiner Verpflichtungen, namentlich auch gegen Minna, ersah ich, daß ich bald wieder an Unternehmungen für Geldgewinn werde denken müssen.
Somit kam mir schon jetzt eine mich überraschende Einladung der Direktion des Pester Nationaltheaters zu zwei von mir dort zu gebenden Konzerten durchaus nicht ungelegen. Demzufolge begab ich mich Ende Juli nach der Hauptstadt Ungarns, wurde dort von dem Intendanten Radnotfay gänzlich unbekannterweise empfangen und erhielt durch Réményi, einem von Liszt seinerzeit protegierten, in Wahrheit nicht ungenialen Geigenvirtuosen, welcher sich grenzenlos leidenschaftlich für mich gebärdete, die Aufklärung, nach welcher er ganz von sich aus meine Berufung veranlaßt hätte. Obwohl hierbei nicht viel für mich zu gewinnen war, da ich für jedes der beiden Konzerte mit 500 Gulden mich zu begnügen bereit erklärt, hatte ich doch über das Gelingen des Konzertes selbst und die große Teilnahme des Publikums an demselben mich zu erfreuen. Ich lernte hier, wo man noch in strengster magyarischer Opposition gegen Österreich lebte, einige stattliche, gut begabte junge Männer kennen, unter welchen Herr Rosti mir in freundlicher Erinnerung geblieben ist. Diese bereiteten mir eine idyllische Feier durch ein Gastmahl, abgehalten von wenigen Vertrauten auf einer Insel der Donau, wo wir uns unter einer uralten Eiche wie zu einer patriarchalischen Feier niederließen. Die Festrede hatte ein junger Advokat, dessen Namen ich leider vergessen habe, übernommen, welcher hierbei nicht nur durch das Feuer seines Vortrages, sondern namentlich auch durch den wirklich erhabenen Ernst seiner Gedanken, die auf einer vollkommenen Kenntnis aller meiner Arbeiten und Wirksamkeiten fußten, mich in Staunen und große Ergriffenheit versetzte. Die Rückfahrt ging auf[739] der Donau wieder in den kleinen, schnellfahrenden Kähnen des Ruderer-Vereines, zu welchem meine Gastgeber gehörten, vor sich, und hier erlebten wir nun die Wirkungen eines orkanartigen Gewittersturmes, welcher den mächtigen Strom in die wildeste Bewegung setzte. Eine einzige Dame, die Gräfin Bethlen-Gabor, begleitete uns hierbei und befand sich mit mir in dem schmalen Kahne, welchen Rosti nebst einem Freunde als Ruderer leitete. Diese beiden waren nur von der Angst besessen, ihr Kahn möge an einem der Holzflöße, auf welche uns die Flut zutrieb, zerschmettert werden, und gaben sich deshalb die äußerste Mühe, von diesen Flößen sich fernzuhalten, während ich die einzige Rettung namentlich auch der neben mir sitzenden Dame darin ersah, daß wir uns auf ein solches Floß hinüberbegeben könnten. Um dies gegen den Wunsch unserer Ruderer zu bewirken, erfaßte ich mit der einen Hand, als wir daran streiften, den hervorragenden Pflock eines Floßes, und hielt somit das Schiff fest; während die beiden Ruderer aufschrien, die »Ellida« sei verloren, hob ich schnell meine Dame aus dem Boot auf das Floß, ließ meine Freunde getrost »Ellida« retten und schritt nun über die Flöße hinweg endlich dem Ufer entlang durch den furchtbarsten Sturmregen, aber doch sicher und fest, der Stadt zu. Mein Benehmen bei dieser Gefahr verfehlte nicht das Ansehen, in welchem ich bei meinen Freunden stand, einigermaßen zu vermehren; worauf es denn noch zu einem feierlichen Bankett in einem öffentlichen Garten kam, zu welchem sich eine große Anzahl von Teilnehmern eingefunden hatte. Hier wurde ich denn ganz ungarisch behandelt. Eine enorme Zigeunermusikbande war aufgestellt und empfing mich bei meiner Annäherung mit dem Rákóczy-Marsch, welchen stürmische »Eljens« der Gesellschaft begleiteten. Auch hier wurde sehr feurig beredt und kenntnisvoll von mir und meiner Wirksamkeit, welche weit über Deutschland hinausreiche, gesprochen. Die Einleitungen dieser Reden waren stets in ungarischer Sprache und hatten zur Entschuldigung dafür zu dienen, daß man die eigentliche Rede dem Gaste zuliebe deutsch halten würde. Auch wurde ich hierbei nicht »Richard Wagner«, sondern »Wagner Richard« genannt.
Aber auch die oberste Militärbehörde ließ es nicht fehlen, in der Person des Feldmarschalls Coronini mir eine Huldigung darzubringen: ich ward von dem Grafen zu einer Vorstellung sämtlicher Militärmusikkräfte auf das Schloß von Ofen geladen, wo ich von ihm und seiner Familie sehr verbindlich empfangen, mit Gefrorenem traktiert und zur Anhörung eines Konzertes von sämtlichen Musikchören vom Balkon aus geleitet wurde. – Der Eindruck von diesem allen erfrischte mich sehr, so daß es mir fast leid tat, aus dem jugendlich belebenden Elemente, in welchem sich nur Pest gezeigt hatte, mich in mein stummes, muffiges Wiener Asyl wieder zurückbegeben zu müssen. – Auf meiner Rückreise im Anfang August traf ich für einen Teil der Fahrt mit Herrn von Seebach, dem von Paris her mir bekannten, freundlichen sächsischen Gesandten, zusammen. Dieser beklagte[740] sich über ungeheure Einbußen, welche er durch die schwierige Verwaltung seiner angeheirateten, in Südrußland gelegenen Güter, von denen er jetzt soeben zurückkehre, erlitten habe; wogegen ich ihn über meine eigene Lage zu beruhigen suchte, was ihm sehr wohl gefiel.
Die kleine Einnahme aus den Pester Konzerten, von welchen ich sogar nur die Hälfte zurückbringen konnte, vermochte mich nicht sonderlich bei meinem Blick in die Zukunft zu beruhigen. Jetzt, nachdem alles auf eine, wie ich vermeinte, dauernde Niederlassung verwendet war, handelte es sich darum, mich einer jährlichen sicheren, wenn auch nicht übermäßigen Gehaltseinnahme zu versichern. Während ich hierfür meine Verbindungen mit Petersburg und meinen auf diese gegründeten Plan noch keineswegs aufzugeben mich gedrungen fühlte, kam es mir dennoch bei, die Versicherungen jenes Réményi, welcher sich eines großen Einflusses auf die ungarische Magnaten-Welt rühmte, nicht gänzlich unbeachtet zu lassen, als er mir erklärte, daß es gewiß nichts Großes sei, mir eine solche Pension mit ähnlichen Verpflichtungen, wie ich sie für Petersburg im Auge hätte, für Pest zu erwirken. Wirklich besuchte er mich schon bald nach meiner Zurückkehr in Penzing, und zwar in Begleitung seines Adoptivsohnes, des jungen Plotényi, dessen ausgezeichnete Schönheit und Liebenswürdigkeit auf mich einen sehr freundlichen Eindruck machten. Dem Adoptivvater selbst, obwohl er durch einen sehr genialen Vortrag des Rákóczy-Marsches auf der Violine sich meine große Anerkennung erwarb, mußte ich jedoch bald anmerken, daß er mit seinen großartigen Versprechungen es mehr auf einen augenblicklichen Eindruck auf mich als auf eine dauernde Wirkung abgesehen hatte. Ich verlor ihn später, seiner Absicht entgegenkommend, aus dem Auge.
Während ich mich wieder mit Plänen für Konzertreisen beschäftigen mußte, genoß ich einstweilen bei großer Hitze meinen schattigen Garten und begab mich mit meinem treuen Hunde Pohl allabendlich auf größere Wanderungen, von denen die Sennerei zu St. Veit mit schönem Milchgenuß mir die meiste Erquickung bot. Mein kleiner Freundeskreis beschränkte sich dabei immer auf Cornelius und den endlich wieder genesenen Tausig, welcher letztere jedoch durch seinen Umgang mit reichen österreichischen Offizieren mir für längere Zeit wieder verschwand. Dagegen stellte sich neben dem jüngeren für einige Zeit auch der ältere Porges zu häufigen Ausflügen mit ein. Auch meine Nichte Ottilie Brockhaus, bei der von seiten ihrer Mutter ihr befreundeten Familie Heinrich Laubes wohnend, erfreute mich zu Zeiten durch ihren Besuch.
Sooft ich mich jedoch ernstlich an meine Arbeit begab, stachelte mich immer wieder die bange Besorgnis für die ruhige Erhaltung meiner Tage auf. Da eine neue Reise nach Rußland erst für die Osterzeit des nächsten Jahres in Anschlag gebracht werden konnte, hatte ich zunächst nur deutsche Städte für meine Zwecke vor mir. Von mancher Seite her, z.B. von Darmstadt,[741] erhielt ich durchaus abschlägige Antwort; von Karlsruhe, wohin ich mich unmittelbar an den Großherzog gewandt hatte, wurde mir für jetzt verzögernd geantwortet. Am meisten geriet meine Zuversicht in das Schwanken, als ich auf meine schließliche Anfrage in Petersburg im Betreff des dort vorgelegten Planes, durch dessen Annahme ich einer geordneten Gehaltzahlung versichert worden wäre, eine durchaus abschlägige Antwort erhielt. Dort war es nun die im laufenden Sommer ausgebrochene polnische Revolution, welche, wie mir versichert wurde, alle Kräfte zu künstlerischen Unternehmungen lähmte. – Erfreulicher lauteten Nachrichten aus Moskau, wo man mir im nächsten Jahre einige gute Konzerte in Aussicht stellte. Jetzt entsann ich mich denn auch einer sehr zuversichtlichen Hinweisung auf Kiew, welches mir durch den Sänger Setow als höchst lohnend empfohlen worden war. Auch hierüber trat ich in Korrespondenz und wurde ebenfalls auf die Ostern des nächsten Jahres, wo in Kiew sich der ganze kleinrussische Adel versammelte, verwiesen. Das waren nun ferne Pläne, deren Ausführung, wenn ich sie jetzt in Überlegung zog, mir bereits alle Arbeitsruhe zu nehmen imstande war. Jedenfalls hatte ich schon für eine lange Zeit bis dahin wie für mich so auch für Minna zu sorgen. Etwaige Aussichten auf eine Stellung in Wien konnte ich nur mit größter Vorsicht auffassen, so daß mir beim Herannahen des Herbstes für jetzt nichts übrigblieb, als durch Aufnahme von Geld mir zu helfen, wobei, als in diesen Dingen außerordentlich erfahren, Tausig mir zu Hilfe kam.
Wohl mußte mir schon der Gedanke ankommen, daß ich auch meine Penzinger Niederlassung wiederum aufzugeben hätte; nur frug es sich stets, wohin? Keimte die Lust zum Komponieren einmal wieder auf, so drängte sich immer von neuem die Sorge dazwischen und verwies mich, da es immer nur den Aufschub von Tag zu Tag galt, auf das Studium der »Geschichte des Altertums« von Duncker. Endlich verschlang alle meine Zeit die Korrespondenz um Konzerte. Zunächst mußte Heinrich Porges wiederum für Prag arbeiten; er stellte mir jedoch auch ein Konzert in Löwenberg bei sehr guten Dispositionen des dortigen Fürsten von Hohenzollern in aussichtsvolle Berechnung. Auch ward ich auf Hans von Bronsart hingewiesen, welcher damals in Dresden eine Privatorchestergesellschaft leitete. Mit großer Ergebenheit ging dieser auf meine Vorschläge ein, und es wurde zwischen uns die Zeit und das Programm eines von mir in Dresden zu dirigierenden Konzertes verabredet. Da nun noch der Großherzog von Baden mir sein Theater für ein im November in Karlsruhe zu gebendes Konzert zur Verfügung stellte, glaubte ich in diesem Betreff für jetzt genug getan zu haben, um auch nach anderer Seite hin einen Angriff zu machen. Ich verfaßte für die Uhl-Fröbelsche Zeitung »Der Botschafter« einen größeren Artikel über das Kaiserliche Hofoperntheater in Wien, in welchem ich Vorschläge zur gründlichen Reform dieses so sehr mißleiteten Institutes bekanntgab, deren Vortrefflichkeit sogar von der Presse allgemein anerkannt wurde. Selbst in[742] den höheren administrativen Kreisen schien ich einige Wirkung hervorgerufen zu haben; denn bald erfuhr ich durch meinen Freund Rudolf Liechtenstein, daß man mit ihm wegen der Übernahme der Intendantenstelle in einiges Vernehmen getreten war, was jedenfalls damit im Zusammenhange stand, daß man auch für mich eine Berufung zur Leitung des Hofoperntheaters in Erwägung gezogen hatte. Unter den Gründen zum Fallenlassen des Projektes machte sich auch, wie Liechtenstein mir mitteilte, die Befürchtung geltend, man würde unter dessen Intendanz wohl nur noch »Wagnersche Opern« zu hören bekommen. –
Endlich tat es mir wohl, aus der Beklommenheit meiner Lage mich durch den Aufbruch zu meinen Konzertreisen zu befreien. Zunächst, anfangs November, gelangte ich nach Prag, um dort abermals mein Glück in bezug auf eine gute Einnahme zu versuchen; leider hatte hier Heinrich Porges diesmal die Vorbereitungen nicht in die Hand nehmen können, und seine Stellvertreter, in Schulen sehr beschäftigte Lehrer, waren der Sache nicht im gleichen Maße gewachsen gewesen. Die Kosten hatten sich gesteigert, aber die Einnahme verringert, weil man die früheren hohen Preise nicht wiederum gewagt hatte. Ich wünschte das Fehlende durch ein zweites Konzert, wenige Tage darauf gegeben, eingebracht zu wissen: hierauf bestand ich, obwohl man mir davon abriet, wobei, wie es sich zeigte, meine Freunde im Rechte waren. Die Einnahme deckte diesmal kaum die Kosten, und da ich genötigt gewesen war, das im ersten Konzert gewonnene Geld zur Auslösung eines in Wien zurückgelassenen Wechsels von mir zu schicken, blieb mir jetzt zur Bezahlung meiner Gasthofrechnung und meiner Weiterreise nur übrig, das Anerbieten eines sich als Protektor gebärdenden Bankiers zur Hilfe aus der Verlegenheit anzunehmen. – In der diesen Vorgängen entsprechenden Stimmung lenkte ich nun meine Reise nach Karlsruhe, und dies zwar unter höchst mühseligen Umständen, über Nürnberg und Stuttgart, bei großer Kälte und unter steten Verzögerungen. Hier in Karlsruhe versammelten sich sogleich verschiedene Freunde um mich, welche der Ruf des Vorhabens hierhergezogen hatte. Richard Pohl aus Baden, der nie fehlte, Mathilde Maier, Frau Betty Schott, meine Verlegerin, selbst Raff aus Wiesbaden und Emilie Genast, sogar der damals vor kurzem in Stuttgart als Kapellmeister angestellte Karl Eckert fanden sich ein. Für das erste, am 14. November stattfindende Konzert hatte ich sofort mit den Sängern meine Not, da der Baritonist Hauser für »Wotans Abschied« und Hans Sachs' Schusterlied erkrankt war und für ihn ein stimmloser aber sehr routinierter Vaudeville-Sänger eintreten mußte – was nach Eduard Devrients Ansicht gar nichts ausmachte. Dieser letztere, mit welchem ich nur im alleroffiziellsten Sinne zu verkehren hatte, war übrigens für die Herstellung namentlich des Orchesterbaues nach meinen Angaben sehr korrekt besorgt gewesen. Von der Seite des Orchesters her hatte überhaupt das Konzert einen sehr guten Verlauf, so daß der Großherzog, welcher mich in seiner[743] Loge sehr wohlwollend empfangen hatte, eine Wiederholung der Aufführung in acht Tagen wünschte. Ich sprach hiergegen sogleich meine Bedenken aus, da mich bereits meine Erfahrungen gelehrt hatten, daß der starke Besuch von derlei Konzerten, namentlich bei hohen Preisen, allergrößtenteils stets nur durch die Neugierde der oft von weit her zusammentreffenden Zuhörer sich erklären lasse, wogegen die eigentlichen Kunstverständigen und für die Sache selbst sich Interessierenden immer nur eine geringe Anzahl ausmachten. Der Großherzog bestand jedoch darauf, da er seiner Schwiegermutter, der Königin Augusta, welche in wenigen Tagen ankommen werde, den Genuß meiner Leistung darbieten wollte. Besonders lästig war es mir, die lange Zeit in meinem Karlsruher Gasthof allein zuzubringen, als mir Marie Kalergis, soeben verheiratete Muchanow, welche sich zu meiner Freude ebenfalls eingefunden hatte, mit einer Einladung nach Baden-Baden, wo sie jetzt residierte, freundlich entgegenkam. Dort empfing mich meine Freundin sofort im Bahnhof und bot mir ihre Begleitung nach der Stadt an, welche ich ablehnen zu müssen glaubte, da ich mich in meinem »Räuberhute« nicht anständig genug ausnehmen dürfte; mit der Versicherung »wir tragen hier alle solche Räuberhüte« hing sie sich jedoch in meinen Arm, und so gelangten wir in die Villa von Pauline Viardot, wo wir das Diner einnehmen mußten, da meine Freundin in ihrem eigenen Hause noch nicht genügend eingerichtet war. An der Seite meiner alten Bekannten lernte ich jetzt auch den russischen Dichter Turgenjew kennen; ihren eigenen Gemahl stellte mir Mme. Muchanow mit dem Bedenken darüber vor, was ich zu dieser Heirat sagen würde. Sie bemühte sich, von ihrer welterfahrenen Umgebung unterstützt, während unseres Zusammenseins eine erträgliche Unterhaltung ins Werk zu setzen. Von der vortrefflichen Absicht meiner Freundin und Gönnerin sehr befriedigt, verließ ich für diesmal Baden, um meine Zeit durch einen kleinen Abstecher nach Zürich auszufüllen, wo ich nochmals im Hause der Familie Wesendonk mich einige Tage auszuruhen suchte. Einen Gedanken, mir in meiner aufrichtig vor ihnen besprochenen Lage behilflich zu sein, sah ich bei meinen Freunden nicht aufkeimen. So wendete ich mich nach Karlsruhe zurück, wo ich am 29. November mein zweites Konzert, wie vorausgesehen, vor schwach besetztem Saale abhielt. Nur die Königin Augusta sollte, nach der Meinung des großherzoglichen Paares, mir etwa aufkommende unangenehme Eindrücke zerstreuen: wiederum ward ich in die Hofloge eingeladen und fand alle Fürstlichkeiten um die Königin versammelt, welche, mit einer blauen Rose auf der Stirn geschmückt, mir dasjenige Belobende auszudrücken hatte, auf was der badische Hof mit höchster Gespanntheit lauschte; nur als die hohe Dame nach einigen Allgemeinheiten in das nähere Detail einzugehen hatte, trat sie die Kundgebung hierüber an ihre Tochter ab, weil diese davon mehr verstehe als sie. Des anderen Tags erhielt ich meinen Anteil an der Einnahme, welcher auf die Hälfte derselben nach Abzug der Kosten berechnet war, mit 100 Gulden[744] zugesandt. Ich kaufte mir dafür sofort einen Pelz, für welchen 110 Gulden verlangt waren, davon ich aber zehn Gulden, unter der Hinweisung darauf, daß meine Einnahme nur 100 Gulden betragen, abhandelte. Nun aber gelangte noch das Privatgeschenk des Großherzogs an mich, welches in einer goldenen Dose mit 15 Louisdor darin bestand. Ich hatte hierfür schriftlich meinen Dank abzustatten und zugleich einen Entschluß darüber zu fassen, ob ich nach den kummervollen Ermüdungen der letzten Wochen noch die Reihe der mir gewordenen Enttäuschungen durch ein in Dresden zu gebendes Konzert vermehren wollte. Vieles, ja fast alles, was ich im Betreff eines Besuches in Dresden zu berücksichtigen hatte, stimmte mich dafür, mir ein Herz zu fassen und dem freundlichst hierfür besorgten Hans von Bronsart in letzter Stunde zu melden, daß er alles Vorbereitete rückgängig machen und mich in Dresden nicht erwarten möge, was er, obwohl es ihm gewiß große Beschwerden verursachte, mit schönem Anstande entgegennahm.
Noch wollte ich nun einen Versuch mit der Firma Schott in Mainz machen und wandte mich daher in nächtlicher Reise dorthin, wo die Familie Mathilde Maiers mir ein gemütliches Unterkommen in ihrer kleinen Wohnung für den Tag meines Dortseins freundlich aufgenötigt hatte. In der kleinen Karthäusergasse wurde ich für einen Tag und eine Nacht auf das angelegentlichste verpflegt, und von hier aus unternahm ich einen neuen Einfall in die Schottsche Verlagshandlung, ohne jedoch große Beute zu gewinnen, da ich mich weigerte, die für das Konzert ausgezogenen und hergerichteten Stücke aus meinen neuen Werken einzeln, eben für den Konzertgebrauch, herauszugeben.
Da mir jetzt als einzig ergiebig nur noch mein Konzert in Löwenberg bevorstand, richtete ich jetzt meinen Weg dahin, schlug hierfür aber, um Dresden zu vermeiden, den kleinen Umweg über Berlin ein, wo ich nach durchfahrener Nacht sehr ermüdet am 28. November früh eintraf und von Bülows, wie ich mir erbeten, empfangen, zugleich aber auf das eindringlichste dazu beredet wurde, meine im Sinne gehabte sofortige Weiterreise nach Schlesien auf einen Tag, welchen ich ihnen schenken sollte, zu unterbrechen. Hans wünschte wohl vor allem auch, daß ich einer Konzertaufführung, welche an diesem Abend unter seiner Direktion stattfand, beiwohnte, was mich denn wohl auch zum Bleiben bestimmte. Bei kalter, rauher und trüber Witterung unterhielten wir uns, so gut gelaunt wie möglich, über meine widerwärtige Lage. Um meine Fonds zu vermehren, ward beschlossen, die goldene Dose des Großherzogs von Baden unserm alten Freunde, dem guten Weitzmann, zum Verkauf zu übergeben. Im »Hotel Brandenburg«, wo ich mit Bülow speiste, ward mir der Erlös mit ungefähr 90 Talern übermittelt, wobei es an Scherzen über diese Stärkung meines Daseins nicht fehlte. Da Bülow Vorbereitungen zu seinem Konzerte zu treffen hatte, fuhr ich mit Cosima allein noch einmal in einem schönen Wagen auf die Promenade. Diesmal ging uns schweigend der Scherz aus: wir blickten[745] uns stumm in die Augen, und ein heftiges Verlangen nach eingestandener Wahrheit übermannte uns zu dem keiner Worte bedürfenden Bekenntnisse eines grenzenlosen Unglückes, das uns belastete. Unter Tränen und Schluchzen besiegelten wir das Bekenntnis, uns einzig gegenseitig anzugehören. Uns war Erleichterung geworden. Eine tiefe Beruhigung gab uns die Heiterkeit, ohne Beklemmung dem Konzerte beizuwohnen, in welchem sogar eine vollendet feine und schwungvolle Aufführung der kleineren Beethovenschen Konzert-Ouvertüre (C-dur) sowie die ebenfalls von Hans sehr sinnig bearbeitete Glucksche Ouvertüre zu »Paris und Helena« sogar deutlich meine Aufmerksamkeit fesseln konnten. Wir gewahrten Alwine Frommann und trafen während der Pause auf der großen Treppe des Konzertsaales mit ihr zusammen; nachdem der zweite Teil begonnen und diese Treppe wieder leer geworden war, verweilten wir, auf einer Stufe derselben niedergesetzt, mit der alten Freundin noch längere Zeit in traulich heiterem Gespräche. Noch hatten wir uns nach dem Konzerte bei Freund Weitzmann zu einem Souper einzufinden, dessen wuchtige Copiosität uns der tiefsten Seelenruhe Bedürftige in fast wütende Verzweiflung versetzte. Doch war der Tag beschlossen; nach einer in der Bülowschen Wohnung verbrachten Nacht trat ich meine Weiterreise an, beim Abschied an jene erste wunderbar ergreifende Trennung von Cosima in Zürich in der Weise gemahnt, daß mir die dazwischenliegenden Jahre als ein wüster Traum zwischen zwei Tagen der höchsten Lebensentscheidung verschwanden. Nötigte damals das ahnungsvoll Unverstandene zum Schweigen, so war es nicht minder unmöglich, dem jetzt unausgesprochen Erkannten Worte zu geben. – Auf einer schlesischen Bahnstation empfing mich Kapellmeister Seifriz, um mich in einem fürstlichen Wagen nach Löwenberg zu geleiten. –
Der alte Fürst von Hohenzollern-Hechingen, durch seine große Befreundung mit Liszt auch mir vorzüglich gewogen, war durch Heinrich Porges, welcher auf einige Zeit zu ihm berufen gewesen, von meiner Lage in Kenntnis gesetzt worden und hatte mich nun zur Aufführung eines nur für Eingeladene in seinem bescheidenen Schlosse zu gebenden Konzertes zu sich eingeladen. Nach freundlicher Aufnahme in einer im Parterre seines Hauses gelegenen Wohnung, zu welcher er sich sehr häufig, auf seinem Rollstuhle gefahren, von seinen gegenüberliegenden Zimmern begab, durfte ich mich hier nicht unbehaglich und selbst einigermaßen hoffnungsvoll fühlen. Sogleich ging ich an das Einüben der von mir gewählten Bruchstücke aus meinen Opern mit dem ganz leidlich bestellten Privatorchester des Fürsten, welchen Studien mein Wirt stets mit großer Befriedigung anwohnte. Die Mahlzeiten wurden mit großer Gemütlichkeit gemeinsam eingenommen; am Tage der Konzertaufführung selbst aber kam es zu einer Art von Galadiner, bei welchem ich durch die Anwesenheit der von Zürich her mir genauer befreundeten Henriette von Bissing, der Schwester der Frau Dr. Wille in Mariafeld, überrascht wurde. In der Nähe Löwenbergs begütert, war[746] auch sie vom Fürsten eingeladen worden und bezeugte jetzt mir die treue Fortdauer ihrer enthusiastischen Anhänglichkeit. Sehr verständig und witzig, ward sie mir sogleich zur bevorzugten Gesellschafterin. Nachdem das Konzert ganz erträglich verlaufen, hatte ich am anderen Tage noch einen Wunsch des Fürsten zu er füllen, indem ich ihm die Beethovensche C-moll-Symphonie privatim aufführte; auch diesem wohnte Frau von Bissing, welche seit einiger Zeit Witwe geworden war, bei, und sie versprach mir, auch nach Breslau zu dem dort zu gebenden Konzerte kommen zu wollen. Vor meiner Abreise von Löwenberg stellte mir Kapellmeister Seifriz das mir bestimmte Geschenk des Fürsten in 1400 Talern zu, und zwar mit der Bezeigung des Bedauerns, für jetzt mich nicht reichlicher bedenken zu können. Nach allen von mir bisher gemachten Erfahrungen wahrhaft überrascht und befriedigt, freute es mich, meinen herzlichsten Dank dem wackeren Fürsten in eindrucksvoller Weise kundgeben zu können.
So reiste ich denn nach Breslau, wo mir Konzertmeister Damrosch, von meinem letzten Besuche in Weimar her mir bekannt und durch Liszt empfohlen, ebenfalls ein Konzert besorgt hatte. Leider stimmte mich hier alles ungemein traurig und verzweiflungsvoll: die ganze Angelegenheit, wie es andererseits wohl auch zu erwarten stand, war in kleinlichster Weise eingeleitet. Ein ganz abscheuliches Konzertlokal, welches für gewöhnlich nur als Bierhalle diente und mit dem Hintergrunde auf ein kleines Tivoli-Theater mit davor herabgelassenem, entsetzlich gemeinem Vorhange ausging und in welchem ich mir erst einen erhöhten Bretterboden für das Orchester herbeischaffen lassen mußte, widerte mich so stark an, daß ich eigentlich sofort die schlecht aussehenden Musiker entlassen wollte. Mein beängstigter Freund Damrosch mußte mir wenigstens versprechen, den fürchterlichen Tabaksgeruch des Lokales neutralisieren zu lassen. Da er mir dennoch im Betreff der Einnahme gar keine Garantie zu bieten hatte, konnte es nur die Rücksicht darauf, ihn nicht stark zu kompromittieren, sein, welche mich endlich noch zur Ausführung des Konzertes bestimmte. Zu meinem Entsetzen sah ich fast das ganze Lokal, namentlich den Vorderteil desselben, nur von Juden innegehabt, und daß ich überhaupt nur der angeregten Teilnahme dieses Teiles der Bevölkerung irgendwelchen Erfolg zu verdanken hatte, erfuhr ich des andern Tages, als ich einem von Damrosch mir zu Ehren veranstalteten Mittagsmahle beiwohnte, an welchem nur Juden teilnahmen. Wie ein Lichtstrahl aus einer bessern Welt hatte mich dagegen schon beim Verlassen des Konzertsaales die Erscheinung des Fräulein Marie von Buch erheitert, welche mit ihrer Großmutter von den Hatzfeldschen Gütern zur Assistenz meines Konzertes herbeigeeilt war und in einem zur Loge dienenden Bretterverschlage bis nach dem Verlaufen des Publikums mein Vorbeigehen erwartet hatte. So trat die junge Dame auch nach dem Schlusse des Damroschschen Diners in Reisekleidern noch einmal an mich heran, um mir mit freundlichen und teilnehmenden Versicherungen die mir[747] wohl angemerkte Trauer über meine Lage einigermaßen zu benehmen. Ich dankte ihr für diese Bezeigungen noch brieflich nach meiner Rückkehr nach Wien, welches sie mit dem Begehren eines Albumblattes erwiderte; diesem fügte ich, eingedenk des erschütternden Eindruckes, mit dem ich Berlin verlassen hatte, gleichsam als Mitteilung meiner Seelenstimmung an eine nicht Unwürdige, die Worte Calderons ein: »Was unmöglich zu verschweigen und unmöglich auszusprechen«, womit ich, nur mir bewußt, das einzig in mir Lebende mit glücklicher Unverständlichkeit einem mir befreundeten Wesen mitgeteilt zu haben glaubte.
Von durchaus andren Folgen war dagegen meine erneuete Begegnung mit Henriette von Bissing in Breslau gewesen. Diese war mir hierher nachgefolgt und im gleichen Gasthofe wie ich abgestiegen. Sie schien namentlich wohl auch durch mein krankhaftes Aussehen bestimmt, einem großen Mitgefühl für mich und meine Lage Raum zu geben. Ohne Scheu stellte ich ihr die letztere dar und bezeichnete hierbei die seit meinem Fortgange von Zürich im Jahre 1858 eingetretene Störung einer mir und meinem Berufe einzig förderlichen gleichmäßigen Lebensordnung sowie mein bis jetzt ebenso oft wiederholtes als stets vergebliches Ringen nach Gewinnung einer förderlich andauernden Ordnung meiner äußeren Verhältnisse. Meine Freundin scheute sich nicht, dem, wie sie es bezeichnete, kindischen und unüberlegten Benehmen der Frau Wesendonk gegen meine Frau eine Schuld beizumessen, welche sie nun selbst zu sühnen sich berufen fühle. Sie stimmte meiner Niederlassung in Penzing bei und wünschte nur, daß ich durch keinerlei Unternehmung nach außen ihre wohltätige Wirkung auf mich beeinträchtigen möchte. Von meinem Plan, notgedrungenerweise schon diesen Winter Rußland des Geldes wegen zu bereisen, wollte sie durchaus nichts hören, und übernahm es dagegen, aus ihrem eigenen, allerdings sehr bedeutenden Vermögen mir die nicht geringe Summe zu verschaffen, welche mich auf längere Zeit unabhängig erhalten sollte. Für einige Zeit müßte ich mir noch zu helfen suchen, so gut und schlimm es eben ginge, da sie wohl nur mit vielleicht nicht unbedeutender Mühe das versprochene Geld mir zur Disposition würde stellen können.
Von dem Eindrucke dieser Begegnung trostreich gestimmt, kehrte ich nun am 9. Dezember nach Wien zurück. Bereits hatte ich von Löwenberg den größten Teil des fürstlichen Geschenkes teils für Minna, teils zur Bezahlung neu entstandener Schulden nach Wien zu schicken gehabt. Mit geringer Barschaft, aber nun gründlich gefaßter Hoffnung, konnte ich meine wenigen Freunde jetzt in erträglicher Laune begrüßen. Von diesen stellte sich fortan Peter Cornelius allabendlich bei mir ein, und es begründete sich zwischen uns, zu denen auch Heinrich Porges sowie Gustav Schönaich sich zu Zeiten gesellten, ein traulicher Gewohnheitsverkehr ein. Für den Weihnachtsabend lud ich sie alle zu mir, und bei angezündetem Christbaume bescherte ich jedem von ihnen eine beziehungsvolle Kleinigkeit. Auch bekam ich jetzt[748] noch einmal zu tun, da Tausig für ein von ihm im großen Redoutensaale zu gebendes Konzert meine Mitwirkung erbat. Neben einigen Bruchstücken aus meinen neuen Opern führte ich zu meiner besonderen Genugtuung auch, und zwar ganz nach meinem Sinne, die Ouvertüre zu »Freischütz« auf, davon die Wirkung selbst für das Orchester eine ganz überraschende war. – Für eine offizielle Beachtung meiner Leistungen zeigte sich aber nicht die mindeste Aussicht; ich war und blieb von höherer Stelle unbeachtet. Die Mitteilungen der Frau von Bissing deckten allmählich Schwierigkeiten auf, denen sie bei der Erfüllung ihres Versprechens begegnete: doch blieben sie immer noch hoffnungsvoll, so daß ich mit guter Laune den Silvesterabend bei Standhartners zubringen und durch ein ebenso humoristisches als weihevolles Gelegenheitsgedicht von Cornelius erfreut werden konnte.
Das neue Jahr 1864 trat jedoch mit bald immer ernsterer Miene an mich heran. Ich erkrankte an einem schmerzlich sich steigernden katarrhalischen Leiden, welches Standhartners Fürsorge häufig in Anspruch nahm. Noch ernstlicher wurde ich aber durch die Wendung bedroht, welche die Mitteilungen der Frau von Bissing jetzt nahmen. Wie es schien, konnte sie ohne Hilfe ihrer Hamburger Familie, der des Schiffsreeders Sloman, das mir versprochene Geld nicht erheben und hatte dagegen von hier aus die heftigsten, wie es schien, auch mit Verleumdung gegen mich gewürzten Abmahnungen zu bekämpfen. Bereits beunruhigten mich diese Umstände derart, daß ich wünschte, der Hilfe dieser Freundin gänzlich entsagen zu dürfen, und ich nahm hierfür meine früheren Pläne auf Rußland ernstlich wieder auf. Fräulein von Rhaden, an welche ich mich wiederum gewandt hatte, mußte mir von jedem Versuche, Petersburg zu besuchen, dringend abraten, da ich selbst den Weg dahin, der in den polnischen Provinzen entstandenen Kriegsunruhen wegen, nicht frei sowie auch im allgemeinen gar keine Beachtung in Petersburg selbst finden würde. Noch wurde mir aber ein Besuch von Kiew, mit einer Aussicht auf einen Gewinn von 5000 Rubel, als durchaus möglich erklärt. Dahin richtete ich nun meine Gedanken und entwarf mit Cornelius, der mich dorthin begleiten wollte, den Plan, über das Schwarze Meer nach Odessa und von dort aus nach Kiew zu reisen, wofür wir beide uns bereits mit den gehörigen Pelzen zu versehen beschlossen. Einstweilen blieb mir nichts andres übrig, als durch immer neue Wechsel auf kurze Frist zur Bezahlung von alten, ebenfalls auf kurze Frist lautenden Wechseln zu denken. Ich geriet hierdurch in ein wirtschaftliches System, welches, da es auf offenbaren und unaufhaltsamen Ruin hinausgeht, nur durch die Annahme einer endlich noch rechtzeitig eintretenden gründlichen Hilfe geklärt werden konnte. In diesem Betreff mußte ich mich endlich gedrängt fühlen, von meiner Freundin die bestimmte Erklärung zu erbitten, nicht ob sie mir sofort helfen könne, sondern ob sie überhaupt mir helfen wolle, da ich den Verfall meiner Lage nicht mehr aufzuhalten imstande sei. Sie mußte durch mir unbekannte Vorstellungen sich im höchsten Grade gepeinigt fühlen, als[749] sie es über sich gewann, mir ungefähr so zu antworten: »Sie wollen endlich auch wissen, ob ich will? Nun denn, in Gottes Namen: nein!« Für dieses mir damals ganz unerklärliche und einzig durch die Schwäche ihres nicht unabhängigen Charakters verständlich Dünkende erhielt ich wenige Zeit hierauf durch ihre Schwester, Frau Dr. Wille, eine sehr überraschende Aufhellung: mit großer Pein über meine Fragen darnach gestand mir diese nämlich in größter Aufregung, ihre Schwester habe sich gesagt: »Und wenn ich Wagner rette, so liebt er doch am Ende nur die Wesendonk!« ...
Unter diesen Schwankungen war jetzt bereits der Monat Februar zu Ende gegangen, und während ich mit Cornelius unsern russischen Reiseplan ausarbeitete, erhielt ich von Kiew und Odessa die Nachricht, daß für dieses Jahr von jeder künstlerischen Unternehmung dort abzuraten sei. Es stellte sich mir klar heraus, daß unter den eingetretenen Umständen an eine Aufrechthaltung meiner Lage in Wien sowie meiner Haushaltung in Penzing nicht mehr zu denken war, da sich mir nicht nur keinerlei Aussicht auf wenn auch nur vorübergehenden Gelderwerb zeigte, sondern auch meine Wechselschulden, die sich nach dem genügend bekannten Wuchersysteme bis zu einer bedenklichen Höhe gesteigert hatten, in der Art drohend mich bedrängten, daß ohne eine außerordentliche Hilfe selbst meine Person davon betroffen wurde. In dieser Lage wendete ich mich mit vollster Offenheit, zunächst jedenfalls nur um Rat, an den kaiserlichen Landgerichtsrat Eduard Liszt, den jungen Oheim meines alten Freundes Franz. Dieser hatte sich mir bereits bei meinem ersten Aufenthalt in Wien als warm ergebener und zu jeder Dienstleistung erbötiger Mann bekannt gemacht. Für die Auslösung meiner Wechsel konnte er natürlich keinen anderen Weg ersehen als die Dazwischenkunft eines reichen Gönners, welcher die Gläubiger abfinden würde. Er glaubte eine Zeitlang, eine mir sehr geneigte, zugleich reiche Kaufmannsfrau, Madame Schöller, würde die Mittel hierzu besitzen und anzuwenden willig sein. Auch Standhartner, für den ich keinen Hehl hatte, vermeinte in diesem Sinne für mich etwas erwirken zu können. Hierdurch ward meine Lage wiederum auf einige Wochen im Schwanken erhalten, bis es sich herausstellte, daß meine Freunde mir höchstens so viel bieten konnten, daß ich eine durchaus notwendig dünkende Flucht nach der Schweiz ausführen könnte, wo und von wo aus ich, mit bis dahin geschützter Person, für die später zu ermöglichende Einlösung der von mir ausgestellten Wechsel Mittel finden müßte. Dem Gerichtsmanne Eduard Liszt schien dieser Ausweg namentlich auch deshalb erwünscht, weil er dadurch in die Lage gelangen könnte, den an mir ausgeübten unerhörten Wucher bestrafen zu lassen. – Während der bänglichen Zeit der letzten Monate, welche eine undeutliche Hoffnung immer noch durchzogen hatte, war der Verkehr mit meinen wenigen Freunden andauernd lebhaft geblieben. Ganz regelmäßig stellte sich jeden Abend noch immer Cornelius ein, zu welchem sich Otto Bach sowie der kleine Graf Laurencin, einmal auch Rudolf[750] Liechtenstein gesellten. Mit Cornelius begann ich allein die Wiederaufnahme der Lektüre der »Ilias«: als ich an den »Schiffskatalog« kam, wollte ich denselben überschlagen; allein Peter bestand darauf und bot sich selbst zum Vorlesen des selben an: ob wir ihn noch ganz zu Ende lasen, entsinne ich mich nicht mehr. Dafür bestand meine einsame Lektüre in der »Geschichte des Grafen Rancé« von Chateaubriand, welche mir Tausig in das Haus gebracht hatte, der nun aber selbst spurlos verschwunden war, bis er nach einiger Zeit als Bräutigam einer ungarischen Klavierspielerin wieder auftauchte. Ich befand mich in dieser ganzen Zeit stets sehr leidend und von schmerzhaften katarrhalischen Zuständen heftig geplagt. Todesgedanken traten mir so nahe, daß ich endlich zu ihrer Abwehr keine Lust mehr empfand. Ich ging an die Vererbung von Büchern und Manuskripten, von denen Cornelius ein Teil zufiel. Schon vor einiger Zeit hatte ich an Standhartner meinen übrigen in der Wohnung von Penzing befindlichen, leider jetzt gänzlich problematisch gewordenen Besitzstand zum vorsorglichen Schutz empfohlen. Da jetzt meine Freunde mir mit größter Bestimmtheit die Fluchtbereitschaft anempfahlen, hatte ich mich, da der Weg nach der Schweiz führen sollte, an Otto Wesendonk mit der Bitte um Aufnahme in seinem Hause gewendet. Dieser schlug meine Bitte ganz vollständig ab: worauf ich nicht umhin konnte, ihn durch eine Antwort meinerseits auf seine große Erbärmlichkeit aufmerksam zu machen. Es galt jetzt meine Verreisung als eine kurze und auf schnelle Wiederkunft berechnete auszuführen. Standhartner, in der größten Sorge, meinen Fortgang nicht bemerkt werden zu lassen, ließ mich in seine Wohnung zum Mittagessen kommen, wohin mein Diener Franz Mrazek mir meinen Reisekoffer zustellte. Von ihm, seiner Frau Anna und dem guten Hunde Pohl nahm ich sehr beklommenen Abschied. Standhartners Stiefsohn Karl Schönaich, dieser unter Schmerzen und Weinen, sowie Cornelius, der dagegen in frivol aufgelegter Laune war, begleiteten mich nach dem Bahnhof, wo ich am 23. März nachmittags abfuhr, um zunächst mich in München, wie ich hoffen durfte, unbeachtet, von den schrecklichen Aufregungen der letzten Zeit während zweier Tage zu erholen. Diese brachte ich daselbst im »Bayerischen Hofe« zu, von wo aus ich gelegentlich einige Gänge durch die Stadt unternahm. Es war Karfreitag: bei sehr rauhem Wetter schien die Stimmung dieses Tages die ganze Bevölkerung, welche ich in tiefste Trauer gekleidet von Kirche zu Kirche sich bewegen sah, einzunehmen. Vor wenigen Tagen war der den Bayern so liebgewordene König Maximilian II. gestorben und hatte seinen Sohn in dem so jugendlichen, dennoch bereits zum Antritt der Regierung berechtigenden Alter von 181/2 Jahren als Thronerben hinterlassen. An einem Schaufenster sah ich ein Porträt des jungen Königs Ludwig II., welches mich mit der besonderen Rührung ergriff, die uns Schönheit und Jugend in vermuteter ungemein schwieriger Lebenslage erweckt. Hier schrieb ich eine humoristische Grabschrift für mich auf und[751] reiste nun unbehelligt über den Bodensee, abermals in Flucht begriffen und asylbedürftig, nach Zürich, von wo aus ich mich sofort nach Mariafeld, dem Gute des Dr. Wille, begab.
An die von meinem früheren Züricher Aufenthalt mir vertraut gewordene Frau jenes meines sonst mir ziemlich fernstehend gebliebenen Freundes hatte ich mich bereits brieflich um Aufnahme für einige Tage gemeldet, um die nötige Zeit zur Aufsuchung eines mir geeignet dünkenden Unterkommens in einer der Ortschaften des Züricher Sees aufzusuchen; was sie mir freundlich gewährt hatte. Den Dr. Wille selbst traf ich jetzt noch nicht an, da er auf einer Vergnügungsreise nach Konstantinopel begriffen war. Es fiel nicht schwer, der Freundin meine Lage begreiflich zu machen, zu deren Abhilfe ich sie höchst willig aufgelegt fand. Zunächst räumte sie mir einige Wohnzimmer in dem ehemals von Frau von Bissing bewohnten Nebengebäude ein, aus welchem jedoch das frühere, nicht unbehagliche Mobiliar entfernt war. Ich hatte den Wunsch, mich selbst zu beköstigen, mußte aber ihrer Bitte, diese Sorge für sich zu übernehmen, nachgeben. Nur fehlte es an Mobiliar, und hierfür glaubte sie sich an Frau Wesendonk wenden zu dürfen, welche ihr sofort einiges Entbehrliche aus ihrem Hausrate sowie ein Pianino zusandte. Auch wünschte sie, um einen üblen Schein abzuwenden, daß ich meinen alten Freunden in Zürich einen Besuch machen möchte; große Kränklichkeit, durch die schwer heizbaren Räume vermehrt, hielten mich so lange davon ab, bis Otto und Mathilde Wesendonk uns selbst in Mariafeld aufsuchten. Dieses Paar schien sich in sehr unklarer und gespannter Lage zu befinden, davon die Gründe mir nicht ganz unerkenntlich waren, in meinem Benehmen jedoch keine Beachtung fanden. Schlechte Witterung und tiefster Unmut verschlimmerten fortwährend meine katarrhalischen Leiden, welche mich auch unfähig dazu machten, in den benachbarten Ortschaften mich nach einer Wohnung umzusehen. In meinem Karlsruher Pelz von früh bis abends eingehüllt, verbrachte ich die schauerlichen Tage mit betäubender Lektüre, zu welcher Frau Wille mir einen Band nach dem andren in meine Abgeschiedenheit herübersandte. Ich las »Siebenkäs« von Jean Paul, das »Tagebuch« Friedrichs des Großen, Tauler, Romane von George Sand, Walter Scott, endlich auch »Felicitas« aus der Feder meiner teilnehmenden Wirtin selbst. Von außen gelangte an mich außer einem heftigen Lamento Mathilde Maiers nur, wunderlich genug mich erfreuend, eine Sendung von 75 Franken Pariser Tantiemen, von Truinet mir zugesandt. Hierüber geriet ich in halb launiger, halb galgenhumoristischer Unterredung mit Frau Wille darauf, was ich wohl zu tun hätte, um mich vollständig aus meiner elenden Lebenslage zu befreien. Wir verfielen unter andrem auf die Notwendigkeit, eine Scheidung von meiner Frau herbeizuführen, um auf eine reiche Heirat ausgehen zu können. Da mir alles rätlich und nichts unrätlich erschien, schrieb ich wirklich an meine Schwester Luise Brockhaus ob sie nicht in einer vernünftigen Unterredung Minna dazu[752] bringen könnte, sich fortan nur an das ausgesetzte Jahrgeld, nicht aber an meine Person mehr zu halten; worauf mir mit großem Pathos der Rat gegeben ward, doch fürerst noch an die Feststellung meines Rufes zu denken und durch ein neues Werk mich in unangefochtenen Kredit zu setzen, was dann ja wohl mir auch ohne exzentrische Schritte zum Guten verhelfen würde: jedenfalls würde ich gut tun, mich um die freigewordene Kapellmeisterstelle in Darmstadt zu bewerben. – Aus Wien bekam ich sehr schlimme Nachrichten: um vor allen Dingen mein in der dortigen Wohnung zurückgelassenes Mobiliar zu beschützen, hatte Standhartner einen Verkauf auf Wiederkauf desselben mit einem Wiener Negozianten abgeschlossen, worüber ich meine höchste Entrüstung zurückäußerte, da ich namentlich hierdurch meinen Hauswirt, welchem ich in den nächsten Tagen einen Mietzins schuldig wurde, beeinträchtigt sah. Es gelang mir durch Frau Dr. Wille das nötige Geld zur Bezahlung dieses Zinses zu meiner Verfügung zu erhalten, welches ich jetzt sofort dem Baron Rackowitz zusandte. Leider erfuhr ich jedoch, daß Standhartner mit Eduard Liszt bereits reine Wirtschaft gemacht, aus dem Ertrag der Möbel die Hausmiete bezahlt und hierdurch mir jede Rückkehr nach Wien, welche sie beide für durchaus verderblich für mich hielten, abgeschnitten hatten. Da mir zugleich aber Cornelius meldete, daß Tausig, der bei einem der Wechsel mit unterzeichnet hatte, durch mich von der von ihm gewünschten Rückkehr nach Wien sich abgehalten sah (er war damals in Ungarn), ward ich hiervon so empfindlich betroffen, daß ich auf jede Gefahr hin sofort nach Wien zurückzureisen mich entschloß. Ich kündigte dies meinen dortigen Freunden an, entschied mich jedoch dafür, zuvor erst zu versuchen, ob ich mich mit so viel Geld versehen könnte, daß ich meinen Gläubigern einen Vergleich anzubieten imstande wäre. Hierfür hatte ich mich auf das dringendste und nicht ohne heftige Vorwürfe über sein Benehmen gegen mich an Schott nach Mainz gewendet. Den Ausgang dieser Bemühungen abzuwarten und in etwas größerer Nähe zu betreiben, beschloß ich jetzt, mich von Mariafeld nach Stuttgart zu wenden. Zur Ausführung dieser Diversion bestimmten mich noch andere, und zwar folgende Beweggründe.
Dr. Wille war zurückgekehrt, und sogleich konnte ich ihm anmerken, daß ihm mein Aufenthalt in Mariafeld beängstigend sei, da er vermutlich befürchten mochte, es könne auch auf seine Hilfe für mich gezählt werden. In einiger Beschämung, zu welcher ihn mein hierauf folgendes Verhalten veranlaßte, bekannte er mir in einer aufgeregten Stunde, daß er gegen mich in einem Gefühle befangen sei, welches man einem Manne, der sich unter seinesgleichen denn doch auch als etwas vorkommen dürfte, sehr wohl verzeihen müsse, wenn er in nahe Berührung mit einem andren käme, dem er als durchaus fremdartig sich untergeordnet fühle: »Man wolle in seinem Hause doch auch etwas sein, gerade hier aber nicht einem andern bloß zur Unterlage dienen.« Frau Wille hatte unter Voraussicht der Stimmung[753] ihres Mannes mit der Familie Wesendonk ein Abkommen eingeleitet, nach welchem diese mir während meines Aufenthaltes in Mariafeld eine monatliche Sustentation von 100 Franken zukommen lassen sollte; als ich hiervon Kenntnis erhielt, hatte ich nichts anderes zu tun, als an Frau Wesendonk meine sofortige Abreise aus der Schweiz zu melden und sie in freundlichster Weise zu ersuchen, sich aller Bekümmernis um mich als enthoben zu betrachten, da ich die Ordnung meiner Angelegenheiten ganz meinem Wunsche gemäß eingeleitet hätte. Ich erfuhr späterhin, daß sie diesen Brief, den sie für kompromittierend gehalten haben mochte, uneröffnet an Frau Wille zurückstellte.
Für jetzt reiste ich am 30. April nach Stuttgart ab; dort nämlich wußte ich Karl Eckert seit einiger Zeit als Kapellmeister des Königlichen Hoftheaters niedergelassen, und ich hatte Grund, diesen sehr gutartigen Menschen nach seinem vortrefflichen Benehmen als Direktor der Wiener Oper gegen mich sowie auch im Betracht seines enthusiastischen Besuches bei meinem vorjährigen Konzert in Karlsruhe als mit großer Unbefangenheit mir ergeben anzusehen. Nichts andres erwartete ich mir auch von ihm, als daß er beim Aufsuchen eines stillen Unterkommens, etwa in Cannstatt bei Stuttgart, für die Dauer des bevorstehenden Sommers mir behilflich sein möchte. Hier wollte ich nämlich in möglichster Schnelligkeit zuvörderst den ersten Akt der »Meistersinger« vollenden, um Schott endlich einen Teil des Manuskriptes übersenden zu können, auf dessen baldigen Empfang ich ihn verwiesen hatte, als ich ihn um so lange mir verweigerte Vorschüsse anging. Sodann wollte ich in größter Zurückgezogenheit und, wie ich wünschte, Verborgenheit die Mittel zu sammeln suchen, mit welchen ich meiner Wiener Verpflichtungen mich zu entledigen vermöchte. Von Eckert ward ich äußerst freundschaftlich aufgenommen. Seine Frau, eine der größten Schönheiten Wiens, welche aus phantastischem Verlangen, mit einem Künstler vereint zu sein, eine sehr vorteilhafte äußere Stellung aufgegeben hatte, war hinreichend vermögend geblieben, um dem »Kapellmeister« ein gastliches und behagliches Haus zu halten, wovon ich jetzt einen freundlichen Eindruck gewinnen durfte. Eckert hielt es durchaus für seine Pflicht, mir den Intendanten des Hoftheaters, Baron von Gall, zuzuführen: dieser äußerte sich verständig und wohlwollend im Betreff meiner schwierigen Lage in Deutschland, wo mir wohl so lange alles verschlossen bleiben würde, als die überall zerstreuten sächsischen Gesandten und Agenten mit Verdächtigungen aller Art mir zu schaden suchen dürften. Er vermeinte nach genauerer Bekanntschaft mit mir sich veranlaßt zu sehen, durch den württembergischen Hof für mich einzutreten. Als ich am Abend des 3. Mai im Eckertschen Hause mich über alle solche Dinge unterhielt, wurde hier, ziemlich spät, die Karte eines Herrn an mich abgegeben, welcher sich »Sekretär des Königs von Bayern« nannte. Sehr unangenehm davon überrascht, daß mein Aufenthalt in Stuttgart schon Durchreisenden[754] bekannt wäre, ließ ich hinaussagen, ich sei nicht anwesend, worauf ich mich alsbald in meinen Gasthof zurückzog, um hier wiederum von dem Wirte desselben davon benachrichtigt zu werden, daß ein Herr aus München mich dringend zu sprechen wünsche, welchen ich nun für den anderen Morgen um zehn Uhr beschied. Stets auf Übles mich vorbereitend, verbrachte ich eine unruhige Nacht, nach welcher ich andren Tags Herrn Pfistermeister, Kabinettssekretär S.M. des Königs von Bayern, in meinem Zimmer empfing. Dieser äußerte mir zunächst seine große Freude darüber, mich nach allem vergeblichen Aufsuchen in Wien, endlich sogar in Mariafeld am Züricher See durch glückliche Nachweisungen geleitet, hier angetroffen zu haben. Er überbrachte mir ein Billett des jungen Königs von Bayern, zugleich mit einem Porträt sowie einem Ring als Geschenk desselben. Mit wenigen, aber bis in das Herz meines Lebens dringenden Zeilen bekannte mir der junge Monarch seine große Zuneigung für meine Kunst und seinen festen Willen, mich für immer als Freund an seiner Seite jeder Unbill des Schicksals zu entziehen. Zugleich meldete mir Herr Pfistermeister, daß er beauftragt sei, mich sofort dem Könige nach München zuzuführen, und erbat sich von mir die Erlaubnis, seinem Herrn telegraphisch meine Ankunft für morgen melden zu dürfen. Ich war für Mittag zur Mahlzeit bei Eckerts eingeladen; Herr Pfistermeister mußte ablehnen, mich dorthin zu begleiten. Meine Freunde, zu denen sich auch jener junge Weißheimer aus Osthofen gesellt hatte, gerieten durch die von mir ihnen überbrachte Nachricht in das sehr begreiflich freudevollste Erstaunen. Über Tisch ward an Eckert telegraphisch der soeben in Paris erfolgte Tod Meyerbeers gemeldet: Weißheimer fuhr mit bäurischem Lachen auf über diesen wunderbaren Zufall, daß der mir so schädlich gewordene Opernmeister gerade diesen Tag nicht mehr hatte erleben sollen. Auch Herr von Gall stellte sich ein, um in sehr gewogenem Erstaunen mir zu bekennen, daß ich allerdings jetzt seiner Vermittelung nicht mehr bedürfe. Er hatte den »Lohengrin« bereits bestellt und zahlte mir jetzt sofort das dafür stipulierte Honorar aus. Des Abends um fünf Uhr traf ich nun auf dem Bahnhofe mit Herrn Pfistermeister zusammen, um mit ihm gemeinschaftlich nach München zu fahren, wo mein Besuch dem Könige bereits für den folgenden Tag angemeldet war.
Von Wien her hatte ich am gleichen Tage die dringendsten Abmahnungen von einer Rückkehr dorthin erhalten. Schrecken dieser Art sollten sich seitdem in meinem Leben nie wiederholen. Der gefahrvolle Weg, auf den mich heute mein Schicksal zu höchsten Zielen berufen hatte, sollte nie frei von Sorgen und Nöten von bis dahin mir noch ganz ungekannter Art sein; nie jedoch hat unter dem Schutze meines erhabenen Freundes die Last des gemeinsten Lebensdruckes mich wieder berühren sollen.[755]
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