Dritte Szene


[808] Es ist Nacht. Der Mondschein spiegelt sich auf dem Rheine. – Gutrune tritt aus ihrem Gemache in die Halle heraus.


GUTRUNE.

War das sein Horn?


Sie lauscht.


Nein! Noch

kehrt er nicht heim. –

Schlimme Träume

störten mir den Schlaf.

Wild wieherte sein Roß; –

Lachen Brünnhildes

weckte mich auf. –

Wer war das Weib,

das ich zum Ufer schreiten sah? –

Ich fürchte Brünnhild.

Ist sie daheim?


Sie lauscht an der Türe rechts und ruft.


Brünnhild! Brünnhild!

Bist du wach?


Sie öffnet schüchtern und blickt in das innere

Gemach.


Leer das Gemach.

So war es sie,

die ich zum Rheine schreiten sah? –

War das sein Horn? –

Nein![808]

Öd alles!


Sie blickt ängstlich hinaus.


Säh ich Siegfried nur bald! –


Als Gutrune Hagens Stimme hört, bleibt sie, von Furcht gefesselt, eine Zeitlang unbeweglich stehen.


HAGENS STIMME von außen sich nähernd.

Hoiho! Hoiho!

Wacht auf! Wacht auf!

Lichte! Lichte,

helle Brände!

Jagdbeute

bringen wir heim. –

Hoiho! Hoiho! –


Wachsender Feuerschein von außen. – Hagen tritt in die Halle.


Auf, Gutrun!

Begrüße Siegfried!

Der starke Held,

er kehret heim.

GUTRUNE in großer Angst.

Was geschah? Hagen!

Nicht hört ich sein Horn!


Männer und Frauen, mit Lichtern und Feuerbränden, geleiten in großer Verwirrung den Zug der mit Siegfrieds Leiche Heimkehrenden.


HAGEN.

Der bleiche Held,

nicht bläst er es mehr;

nicht stürmt er zur Jagd,

zum Streite nicht mehr,

noch wirbt er um wonnige Frauen!

GUTRUNE mit wachsendem Entsetzen.

Was bringen die?


Der Zug gelangt in die Mitte der Halle, und die Mannen setzen dort die Leiche auf einer schnell errichteten Erhöhung nieder.


HAGEN.

Eines wilden Ebers Beute:

Siegfried, deinen toten Mann.


Gutrune schreit auf und stürzt über die Leiche hin. Allgemeine Erschütterung und Trauer. Gunther bemüht sich um die Ohnmächtige.


GUNTHER.

Gutrun, holde Schwester!

Hebe dein Auge, –

schweige mir nicht! –

GUTRUNE wieder zu sich kommend.

Siegfried – Siegfried – erschlagen! –


Sie stößt Gunther heftig zurück.
[809]

Fort, treuloser Bruder,

du Mörder meines Mannes! –

O Hilfe! Hilfe!

Wehe! Wehe!

Sie haben Siegfried erschlagen!

GUNTHER.

Nicht klage wider mich,

dort klage wider Hagen.

Er ist der verfluchte Eber,

der diesen Edlen zerfleischt.

HAGEN.

Bist du mir gram darum?

GUNTHER.

Angst und Unheil

greife dich immer!

HAGEN mit furchtbarem Trotze herantretend.

Ja denn! Ich hab

ihn erschlagen.

Ich – Hagen –

schlug ihn zu Tod. –

Meinem Speer war er gespart,

bei dem er Meineid sprach. –

Heiliges Beuterecht

hab ich mir nun errungen: –

drum fordr' ich hier diesen Ring.

GUNTHER.

Zurück! Was mir verfiel,

sollst nimmer du empfahn!

HAGEN.

Ihr Mannen, richtet mein Recht!

GUNTHER.

Rührst du an Gutrunes Erbe,

schamloser Albensohn?

HAGEN zieht sein Schwert.

Des Alben Erbe

fordert so sein Sohn.


Er dringt auf Gunther ein; dieser wehrt sich; sie fechten. Die Mannen werfen sich dazwischen. Gunther fällt von einem Streiche Hagens tot darnieder.


Her den Ring!


Er greift nach Siegfrieds Hand; diese hebt sich drohend empor. – Gutrune hat bei Gunthers Falle entsetzt aufgeschrien. Alles bleibt in Schauder regungslos gefesselt. Aus dem Hintergrunde

schreitet, fest und feierlich, Brünnhilde dem Vordergrunde zu.


BRÜNNHILDE noch im Hintergrunde.

Schweigt eures Jammers jauchzenden Schwall!

Das ihr Alle verrietet,

zur Rache schreitet sein Weib. –


Während sie ruhig weiter vorschreitet.


Kinder hört ich[810]

greinen nach der Mutter,

da süße Milch sie verschüttet:

doch nicht erklang mir

würdige Klage,

des höchsten Helden wert.

GUTRUNE vom Boden heftig sich aufrichtend.

Brünnhilde! Neiderboste!

Du brachtest uns diese Not:

die du die Männer ihm verhetztest, –

weh, daß du dem Haus genaht!

BRÜNNHILDE.

Armsel'ge, schweig!

Sein Eheweib warst du nie;

als Buhlerin

bandest du ihn.

Sein Mannesgemahl bin ich,

der ewige Eide er schwur,

eh Siegfried je dich gesah.

GUTRUNE in jähe Verzweiflung ausbrechend.

Verfluchter Hagen!

Daß du das Gift mir rietest,

das ihr den Gatten entrückt!

Ach, Jammer!

Wie jäh nun weiß ich's: –

Brünnhild war die Traute,

die durch den Trank er vergaß! –


Sie hat sich voll Scheu von Siegfried abgewendet und beugt sich nun ersterbend über Gunthers Leiche; so verbleibt sie regungslos bis zum Schlusse. Hagen steht, trotzig auf Speer und Schild gelehnt, in finsteres Sinnen versunken auf der entgegengesetzten Seite. – Brünnhilde allein in der Mitte; nachdem sie lange in den Anblick Siegfrieds versunken gewesen, wendet sie sich jetzt, mit feierlicher Erhobenheit, an die Männer und Frauen.


BRÜNNHILDE zu den Mannen.

Starke Scheite

schichtet mir dort

am Rande des Rheins zu Hauf!

Hoch und hell

lodre die Glut,

die den edlen Leib

des hehresten Helden verzehrt.

Sein Roß führet daher,

daß mit mir dem Recken es folge:

denn des Helden heiligste[811]

Ehre zu teilen,

verlangt mein eigner Leib.

Vollbringt Brünnhildes Wort!


Die jungen Männer errichten, während des Folgenden, vor der Halle, nahe am Rheinufer, einen mächtigen Scheithaufen: Frauen schmücken diesen dann mit Decken, auf welche sie Kräuter und Blumen streuen. – Brünnhilde versinkt von Neuem in die Betrachtung des Antlitzes der Leiche Siegfrieds. Ihre Mienen nehmen eine immer sanftere Verklärung an.


Wie Sonne lauter

strahlt mir sein Licht:

der Reinste war er,

der mich verriet!

Die Gattin trügend –

treu dem Freunde –,

von der eig'nen Trauten –

einzig ihm teuer –

schied er sich durch sein Schwert.

Echter als Er

schwur keiner Eide;

treuer als Er

hielt keiner Verträge;

lautrer als Er

liebte kein Andrer!

Und doch, alle Eide,

alle Verträge, –

die treueste Liebe –

trog keiner wie Er! –

Wißt ihr, wie das ward?


Nach oben blickend.


Oh, ihr, der Eide

ewige Hüter!

Lenkt euren Blick

auf mein blühendes Leid;

erschaut eure ewige Schuld!

Meine Klage hör,

du hehrster Gott!

Durch seine tapferste Tat,

dir so tauglich erwünscht, –

weihtest du den,

der sie gewirkt,

dem Fluche, dem du verfielest, –

mich mußte[812]

der Reinste verraten,

daß wissend würde ein Weib! –

Weiß ich nun, was dir frommt?

Alles, Alles,

Alles weiß ich, –

Alles ward mir nun frei.

Auch deine Raben

hör ich rauschen;

mit bang ersehnter Botschaft.

send ich die beiden nun heim. –

Ruhe, ruhe, du Gott!


Sie winkt den Mannen, Siegfrieds Leiche auf den Scheithaufen zu tragen; zugleich zieht sie von Siegfrieds Finger den Ring ab und betrachtet ihn sinnend.


Mein Erbe nun

nehm ich zu eigen. –

Verfluchter Reif!

Furchtbarer Ring!

Dein Gold faß ich,

und geb es nun fort.

Der Wassertiefe

weise Schwestern,

des Rheines schwimmende Töchter, –

euch dank ich redlichen Rat:

was ihr begehrt,

ich geb es euch:

aus meiner Asche

nehmt es zu eigen!

Das Feuer, das mich verbrennt,

rein'ge vom Fluche, den Ring! –

Ihr in der Flut,

löset ihn auf,

und lauter bewahrt

das lichte Gold,

das euch zum Unheil geraubt.


Sie hat den Ring sich angesteckt und wendet sich jetzt zu dem Scheitergerüst, auf dem Siegfrieds Leiche ausgestreckt liegt. Sie entreißt einem Manne den mächtigen Feuerbrand, schwingt diesen und deutet nach dem Hintergrund.


Fliegt heim, ihr Raben!

Raunt es eurem Herren,

was hier am Rhein ihr gehört![813]

An Brünnhildes Felsen

fahrt vorbei!

Der dort noch lodert,

weiset Loge nach Walhall!

Denn der Götter Ende

dämmert nun auf.

So werf ich den Brand

in Walhalls prangende Burg.


Sie schleudert den Brand in den Holzstoß, welcher sich schnell hell entzündet. Zwei Raben sind vom Felsen am Ufer aufgeflogen und verschwinden nach dem Hintergrunde. – Brünnhilde gewahrt ihr Roß, welches soeben zwei Männer hereinführen.


Grane, mein Roß!

Sei mir gegrüßt!


Sie ist ihm entgegengesprungen, faßt es und entzäumt es schnell; dann neigt sie sich traulich zu ihm.


Weißt du auch, mein Freund,

wohin ich dich führe? –

Im Feuer leuchtend,

liegt dort dein Herr,

Siegfried, mein seliger Held.

Dem Freunde zu folgen,

wieherst du freudig?

Lockt dich zu ihm

die lachende Lohe?

Fühl meine Brust auch,

wie sie entbrennt,

helles Feuer

das Herz mir erfaßt, –

ihn zu umschlingen,

umschlossen von ihm

in mächtigster Minne,

vermählt ihm zu sein! –

Heiajaho! Grane!

Grüß deinen Herren!

Siegfried! Siegfried! Sieh!


Sie hat sich auf das Roß geschwungen und hebt es jetzt zum Sprunge.


Selig grüßt dich dein Weib!


Sie sprengt das Roß mit einem Satze in den brennenden[814] Scheithaufen. Sogleich prasselt der Brand hoch auf, so daß das Feuer den ganzen Raum vor der Halle erfüllt und diese selbst schon zu ergreifen scheint. Entsetzt drängen sich die Männer und Frauen nach dem äußersten Vordergrunde. Als der ganze Bühnenraum nur noch von Feuer erfüllt erscheint, verlischt plötzlich der Glutschein, so daß bald bloß ein Dampfgewölke zurückbleibt, welches sich dem Hintergrunde zu verzieht und dort am Horizont sich als finstere Wolkenschicht lagert. – Zugleich ist vom Ufer her der Rhein mächtig angeschwollen und hat seine Flut über die Brandstätte gewälzt. Auf den Wogen sind die drei Rheintöchter herbei geschwommen und erscheinen jetzt über der Brandstätte. – Hagen, der seit dem Vorgang mit dem Ringe Brünnhildes Benehmen mit wachsender Angst beobachtet hat, gerät bei dem Anblick der Rheintöchter in höchsten Schreck. – Er wirft hastig Speer, Schild und Helm von sich und stürzt, wie wahnsinnig, sich in die Flut.


HAGEN.

Zurück vom Ring!


Woglinde und Wellgunde umschlingen mit ihren Armen seinen Nacken und ziehen ihn, so zurückschwimmend, mit sich in die Tiefe. Floßhilde, den anderen voran dem Hintergrunde zu schwimmend, hält jubelnd den gewonnenen Ring in die Höhe. Durch die Wolkenschicht, welche sich am Horizont gelagert, bricht ein rötlicher Glutschein mit wachsender Helligkeit aus. Von dieser Helligkeit beleuchtet, sieht man die drei Rheintöchter auf den ruhigeren Wellen des allmählich wieder in sein Bett zurückgetretenen Rheines, lustig mit dem Ringe spielend, im Reigen schwimmen. Aus den Trümmern der zusammengestürzten Halle sehen die Männer und Frauen, in höchster Ergriffenheit, dem wachsenden Feuerscheine am Himmel zu. Als dieser endlich in lichtester Helligkeit leuchtet, erblickt man darin den Saal Walhalls, in welchem die Götter und Helden, ganz nach der Schilderung Waltrautes im ersten Aufzuge, versammelt sitzen. Helle Flammen scheinen in dem Saale der Götter aufzuschlagen. Als die Götter von den Flammen gänzlich verhüllt sind, fällt der Vorhang.


Quelle:
Richard Wagner: Die Musikdramen. Hamburg 1971, S. 808-815.
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