Vorspiel


[753] Die Szene ist dieselbe wie am Schlusse des zweiten Tages, auf dem Walkürenfelsen.


Nacht. Aus der Tiefe des Hintergrundes leuchtet Feuerschein. – Die drei Nornen, hohe Frauengestalten in langen dunklen und schleierartigen Faltengewändern. Die erste (älteste) lagert im Vordergrund rechts unter der breitästigen Tanne; die zweite (jüngere) ist an einer Steinbank vor dem Felsengemach hingestreckt; die dritte (jüngste) sitzt in der Mitte des Hintergrundes auf einem Felssteine des Höhensaumes. Düsteres Schweigen und Bewegungslosigkeit.


DIE ERSTE NORN.

Welch Licht leuchtet dort?

DIE ZWEITE NORN.

Dämmert der Tag schon auf?

DIE DRITTE NORN.

Loges Heer

lodert feurig um den Fels.

Noch ist's Nacht.

Was spinnen und singen wir nicht?

DIE ZWEITE NORN zu der ersten.

Wollen wir spinnen und singen,

woran spannst du das Seil?

DIE ERSTE NORN während sie ein goldenes Seil von sich löst und mit dem einen Ende es an einen Ast der Tanne knüpft.

So gut und schlimm es geh,

schling ich das Seil und singe. –

An der Weltesche

wob ich einst,

da groß und stark

dem Stamm entgrünte

weihlicher Äste Wald.

Im kühlen Schatten

rauscht ein Quell:

Weisheit raunend

rann sein Gewell –

da sang ich heil'gen Sinn.

Ein kühner Gott

trat zum Trunk an den Quell;

seiner Augen eines

zahlt er als ewigen Zoll.[753]

Von der Weltesche

brach da Wotan einen Ast;

eines Speeres Schaft

entschnitt der Starke dem Stamm.

In langer Zeiten Lauf

zehrte die Wunde den Wald;

falb fielen die Blätter,

dürr darbte der Baum;

traurig versiegte

des Quelles Trank –

trüben Sinnes

ward mein Gesang.

Doch web ich heut

an der Weltesche nicht mehr,

muß mir die Tanne

taugen, zu fesseln das Seil, –

singe, Schwester,

dir werf ich's zu:

weißt du wie das wird?

DIE ZWEITE NORN windet das ihr zugeworfene Seil um einen hervorspringenden Felsstein am Eingang des Gemaches.

Treu berat'ner

Verträge Runen

schnitt Wotan

in des Speeres Schaft:

den hielt er als Haft der Welt.

Ein kühner Held

zerhieb im Kampfe den Speer;

in Trümmer sprang

der Verträge heiliger Haft.

Da hieß Wotan

Walhalls Helden,

der Weltesche

welkes Geäst

mit dem Stamm in Stücke zu fällen:

die Esche sank;

ewig versiegte der Quell.

Feßle ich heut

an dem scharfen Fels das Seil,

singe, Schwester,

dir werf ich's zu:

weißt du wie das wird?

DIE DRITTE NORN das Seil empfangend und dessen Ende hinter[754] sich werfend.

Es ragt die Burg,

von Riesen gebaut:

mit der Götter und Helden

heiliger Sippe

sitzt dort Wotan im Saal.

Gehau'ner Scheite

hohe Schicht

ragt zu Hauf

rings um die Halle:

die Weltesche war dies einst! –

Brennt das Holz

heilig brünstig und hell,

sengt die Glut

sehrend den glänzenden Saal,

der ewigen Götter Ende

dämmert ewig da auf. –

Wisset ihr noch?

So windet von neuem das Seil;

von Norden wieder

werf ich's dir nach.


Sie wirft das Seil der zweiten Norn zu; diese schwingt es der ersten hin, welche das Seil vom Zweige löst und es an einen anderen Ast wieder anknüpft.


Spinne, Schwester, und singe!

DIE ERSTE NORN bei ihrer Beschäftigung nach hinten blickend.

Dämmert der Tag?

Oder leuchtet die Lohe?

Getrübt trügt sich mein Blick;

nicht hell eracht ich

das heilig Alte,

da Loge einst

brannte in lichter Glut.

Weißt du, was aus ihm ward?

DIE ZWEITE NORN das zugeworfene Seil wieder um den Stein windend.

Durch des Speeres Zauber

zähmte ihn Wotan;

Räte raunt er dem Gott:

an des Schaftes Runen,

frei sich zu raten,

nagte zehrend sein Zahn:

da mit des Speeres

zwingender Spitze[755]

bannte ihn Wotan,

Brünnhildes Fels zu umbrennen. –


Sie wirft das Seil der dritten Norn zu: diese wirft es wieder hinter sich.


Weißt du was aus ihm wird?

DIE DRITTE NORN.

Des zerschlag'nen Speeres

stechende Splitter

taucht einst Wotan

dem Brünstigen tief in die Brust:

zehrender Brand

zündet da auf;

den wirft der Gott

in der Weltesche

zu Hauf geschichtete Scheite. –


Sie wirft das Seil zurück; die zweite Norn windet es auf und wirft es der ersten wieder zu.


Wollt ihr wissen

wann das wird?

Schwinget, Schwestern, das Seil! –

DIE ZWEITE NORN das Seil von Neuem anknüpfend.

Die Nacht weicht;

nichts mehr gewahr ich:

des Seiles Fäden

find ich nicht mehr;

verflochten ist das Geflecht.

Ein wüstes Gesicht

wirrt mir wütend den Sinn: –

das Rheingold

raubte Alberich einst:

weißt du was aus ihm ward?

DIE ZWEITE NORN windet mit mühevoller Hast das Seil um den zackigen Stein des Gemaches.

Des Steines Schärfe

schnitt in das Seil;

nicht fest spannt mehr

der Fäden Gespinst;

verwirrt ist das Geweb:

aus Not und Neid

ragt mir des Niblungen Ring:

ein rächender Fluch

nagt meiner Fäden Geflecht.


Das Seil der dritten Norn zuwerfend.


Weißt du, was daraus wird?[756]

DIE DRITTE NORN das zugeworfene Seil hastig fassend.

Zu locker das Seil, –

mir langt es nicht.

Soll ich nach Norden

neigen das Ende,

straffer sei es gestreckt! –


Sie zieht gewaltsam das Seil an; dieses reißt.


Es riß! –

DIE ZWEITE NORN.

Es riß!

DIE ERSTE NORN.

Es riß!


Erschreckt fahren die Nornen auf und treten nach der Mitte der Bühne zusammen: Sie fassen die Stücken des zerrissenen Seiles und binden damit ihre Leiber aneinander.


DIE DREI NORNEN.

Zu End ewiges Wissen!

Der Welt melden

Weise nichts mehr. –

DIE DRITTE NORN.

Hinab!

DIE ZWEITE NORN.

Zur Mutter!

DIE ERSTE NORN.

Hinab!


Sie verschwinden Tagesgrauen. – Wachsende Morgenröte, immer schwächeres Leuchten des Feuerscheines aus der Tiefe. – Sonnenaufgang. Voller Tag. – Siegfried und Brünnhilde treten aus dem Steingemache auf. Er ist in vollen Waffen, sie führt ihr Roß am Zaume.


BRÜNNHILDE.

Zu neuen Taten,

teurer Helde,

wie liebt ich dich,

ließ ich dich nicht?

Ein einzig Sorgen

läßt mich säumen,

daß dir zu wenig

mein Wert gewann.

Was Götter mich wiesen,

gab ich dir:

heiliger Runen

reichen Hort;

doch meiner Stärke

magdlichen Stamm

nahm mir der Held,

dem ich nun mich neige.

Des Wissens bar,

doch des Wunsches voll:[757]

an Liebe reich,

doch ledig der Kraft,

mögst du die Arme

nicht verachten,

die dir nur gönnen,

nicht geben mehr kann!

SIEGFRIED.

Mehr gabst du Wunderfrau,

als ich zu wahren weiß.

Nicht zürne, wenn dein Lehren

mich unbelehret ließ!

Ein Wissen doch wahr ich wohl –


Feurig.


daß mir Brünnhilde lebt;

eine Lehre lernt ich leicht –

Brünnhildes zu gedenken!

BRÜNNHILDE.

Willst du mir Minne schenken,

gedenke deiner nur,

gedenke deiner Taten:

gedenk des wilden Feuers,

das furchtlos du durchschrittest,

da den Fels es rings umbrann!

SIEGFRIED.

Brünnhilde zu gewinnen!

BRÜNNHILDE.

Gedenk der beschildeten Frau,

die in tiefem Schlaf du fandest,

der den festen Helm du erbrachst!

SIEGFRIED.

Brünnhilde zu erwecken!

BRÜNNHILDE.

Gedenk der Eide,

die uns einen;

gedenk der Treue,

die wir tragen;

gedenk der Liebe,

der wir leben:

Brünnhilde brennt dann ewig

heilig dir in der Brust.


Sie umarmt Siegfried.


SIEGFRIED.

Laß ich, Liebste, dich hier

in der Lohe heiliger Hut,


Er hat den Ring Alberichs von seinem Finger gezogen und reicht ihn jetzt Brünnhilde dar.


zum Tausche deiner Runen

reich ich dir diesen Ring.

Was der Taten je ich schuf,

des Tugend schließt er ein.[758]

Ich erschlug einen wilden Wurm,

der grimmig lang ihn bewacht:

nun wahre du seine Kraft

als Weihegruß meiner Treu!

BRÜNNHILDE voll Entzücken den Ring sich ansteckend.

Ihn geiz ich als einziges Gut!

Für den Ring nimm nun auch mein Roß!

Ging sein Lauf mit mir

einst kühn durch die Lüfte, –

mit mir

verlor es die mächt'ge Art;

über Wolken hin

auf blitzenden Wettern

nicht mehr

schwingt es sich mutig des Wegs;

doch wohin du ihn führst,

sei es durchs Feuer,

grauenlos folgt dir Grane:

denn dir, o Helde,

soll es gehorchen.

Du hüt ihn wohl;

er hört dein Wort:

O, bringe Grane

oft Brünnhildes Gruß!

SIEGFRIED.

Durch deine Tugend allein

soll so ich Taten noch wirken?

Meine Kämpfe kiesest du,

meine Siege kehren zu dir:

auf deines Rosses Rücken,

in deines Schildes Schirm, –

nicht Siegfried acht ich mich mehr,

ich bin nur Brünnhildes Arm.

BRÜNNHILDE.

O wäre Brünnhild' deine Seele!

SIEGFRIED.

Durch sie entbrennt mir der Mut.

BRÜNNHILDE.

So wärst du Siegfried und Brünnhild'?

SIEGFRIED zart.

Wo ich bin, bergen sich Beide.

BRÜNNHILDE lebhaft.

So verödet mein Felsensaal?

SIEGFRIED.

Vereint faßt er uns Zwei!

BRÜNNHILDE in großer Ergriffenheit.

Oh! heilige Götter!

Hehre Geschlechter!

Weidet eu'r Aug

an dem weihvollen Paar!

Getrennt – wer will es scheiden?[759]

Geschieden – trennt es sich nie!

SIEGFRIED.

Heil dir, Brünnhilde,

prangender Stern!

Heil, strahlende Liebe!

BRÜNNHILDE.

Heil dir, Siegfried,

siegendes Licht!

Heil, strahlendes Leben!

BEIDE.

Heil! Heil! Heil! Heil!


Siegfried geleitet das Roß schnell dem Felsenabhange zu, wohin ihm Brünnhilde folgt. Siegfried ist mit dem Rosse hinter dem Felsenvorsprung abwärts verschwunden, so daß der Zuschauer ihn nicht mehr sieht; Brünnhilde steht so plötzlich allein am Abhang und blickt Siegfried in die Tiefe nach. – Brünnhilds Gebärde zeigt, daß jetzt Siegfried ihrem Blicke entschwindet. – Man hört Siegfrieds Horn aus der Tiefe. Brünnhilde lauscht. Sie tritt weiter auf den Abhang hinaus. Jetzt erblickt sie Siegfried nochmals in der Tiefe: sie winkt ihm mit entzückter Gebärde zu. Aus ihrem freudigen Lächeln deutet sich der Anblick des lustig davon ziehenden Helden. Der Vorhang fällt schnell.


Quelle:
Richard Wagner: Die Musikdramen. Hamburg 1971, S. 753-760.
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