Erste Szene


[458] In Sachsens Werkstatt. (Kurzer Raum.) Im Hintergrunde die halbgeöffnete Ladentüre, nach der Straße führend. Rechts zur Seite eine Kammertüre. Links das nach der Gasse gehende Fenster, mit Blumenstöcken davor, zur Seite ein Werktisch. Sachs sitzt auf einem großen Lehnstuhle an diesem Fenster, durch welches die Morgensonne hell auf ihn hereinscheint; er hat vor sich auf dem Schoße einen großen Folianten und ist im Lesen vertieft.

David zeigt sich, von der Straße kommend, unter der Ladentüre; er lugt herein und, da er Sachs gewahrt, fährt er zurück. Er versichert sich aber, daß Sachs ihn nicht bemerkt, schlüpft herein, stellt seinen mitgebrachten Handkorb auf den hinteren Werktisch beim Laden und untersucht seinen Inhalt; er holt Blumen und Bänder hervor, kramt sie auf dem Tische aus und findet endlich auf dem Grunde eine Wurst und einen Kuchen; er läßt sich an, diese zu verzehren, als Sachs, der ihn fortwährend nicht beachtet, mit starkem Geräusch eines der großen Blätter des Folianten umwendet.


DAVID fährt zusammen, verbirgt das Essen und wendet sich zurück.

Gleich, Meister! Hier! –

Die Schuh sind abgegeben

in Herrn Beckmessers Quartier. –

Mir war's, als rieft Ihr mich eben?


Beiseite.


Er tut, als säh er mich nicht?

Da ist er bös, wenn er nicht spricht! –


Er nähert sich, sehr demütig, langsam Sachs.


Ach, Meister! Wollt mir verzeihn;

kann ein Lehrhub vollkommen sein?

Kenntet Ihr die Lene wie ich,

dann vergäbt Ihr mir sicherlich.[458]

Sie ist so gut, so sanft für mich,

und blickt mich oft an so innerlich.

Wenn Ihr mich schlagt, streichelt sie mich,

und lächelt dabei holdseliglich;

muß ich karieren, füttert sie mich,

und ist in Allem gar liebelich!

Nur gestern, weil der Junker versungen,

hab ich den Korb ihr nicht abgerungen.

Das schmerzte mich: – und da ich fand,

daß nachts Einer vor dem Fenster stand,

und sang zu ihr, und schrie wie toll, –

da hieb ich dem den Buckel voll:

wie käm nun da was Großes drauf an?

Auch hat's unsrer Liebe gar wohl getan! –

Die Lene hat mir eben Alles erklärt,

und zum Fest Blumen und Bänder beschert. –


Er bricht in größere Angst aus.


Ach, Meister! Sprecht doch nur ein Wort! –

(Hätt ich nur die Wurst und den Kuchen erst fort!)

SACHS hat unbeirrt immer weiter gelesen. Jetzt schlägt er den Folianten zu. Von dem starken Geräusch erschrickt David so, daß er strauchelt und unwillkürlich vor Sachs auf die Knie fällt. Sachs sieht über das Buch, das er noch auf dem Schoße behält, hinweg, über David, welcher, immer auf den Knien, furchtsam nach ihm aufblickt, hin und heftet seinen Blick unwillkürlich auf den hinteren Werktisch. Sehr leise.

Blumen und Bänder seh ich dort?

Schaut hold und jugendlich aus.

Wie kamen mir die ins Haus?

DAVID verwundert über Sachs' Freundlichkeit.

Ei, Meister! 's ist heut festlicher Tag;

da putzt sich jeder so schön er mag.

SACHS immer leise, wie für sich.

Wär heut Hochzeitsfest?

DAVID.

Ja, käm's erst so weit,

daß David die Lene freit!

SACHS immer wie zuvor.

's war Polterabend, dünkt mich doch?

DAVID für sich.

(Polterabend? ... Da krieg ich's wohl noch?)

Verzeiht das, Meister! Ich bitt, vergeßt!

Wir feiern ja heut Johannisfest.

SACHS.

Johannisfest?

DAVID.

(Hört er heut schwer?)

SACHS.

Kannst du dein Sprüchlein, so sag es her![459]

DAVID ist allmählich wieder zu stehen gekommen.

Mein Sprüchlein? Denk, ich kann's gut – –

(Setzt nichts! der Meister ist wohlgemut.) –


Stark und grob.


»Am Jordan Sankt Johannes stand ...«


Er hat in der Zerstreuung die Worte mit der Melodie von Beckmessers Werbelied aus dem vorhergehenden Aufzuge gesungen; Sachs macht eine verwunderte Bewegung, worauf David sich unterbricht.


SACHS.

Wa ... was?

DAVID lächelnd.

Verzeiht das Gewirr!

Mich machte der Polterabend irr'.


Er sammelt und stellt sich gehörig auf.


»Am Jordan Sankt Johannes stand,

all Volk der Welt zu taufen;

kam auch ein Weib aus fernem Land,

aus Nürnberg gar gelaufen:

sein Söhnlein trug's zum Uferrand,

empfing da Tauf und Namen;

doch als sie dann sich heimgewandt,

nach Nürnberg wieder kamen,

in deutschem Land gar bald sich fand's,

daß wer am Ufer des Jordans

Johannes war genannt,

an der Pegnitz hieß der Hans.«


Sich besinnend.


Hans? ... Hans! ...

Herr – Meister!


Feurig.


's ist heut Eu'r Namenstag!

Nein! Wie man so was vergessen mag!

Hier! hier die Blumen sind für Euch, –

die Bänder, und was nur Alles noch gleich?

Ja, hier, schaut! Meister, herrlicher Kuchen!

Möchtet Ihr nicht auch die Wurst versuchen? –

SACHS immer ruhig, ohne seine Stellung zu verändern.

Schön Dank, mein Jung! Behalt's für dich!

Doch heut auf die Wiese begleitest du mich;

mit Blumen und Bändern putz dich fein:

sollst mein stattlicher Herold sein!

DAVID.

Sollt ich nicht lieber Brautführer sein?

Meister, ach! Meister, Ihr müßt wieder frei'n.

SACHS.

Hätt'st wohl gern eine Meist'rin im Haus?[460]

DAVID.

Ich mein, es säh doch viel stattlicher aus.

SACHS.

Wer weiß? Kommt Zeit, kommt Rat.

DAVID.

's ist Zeit.

SACHS.

Dann wär der Rat wohl auch nicht weit?

DAVID.

Gewiß! Gehn schon Reden hin und wieder;

den Beckmesser, denk ich, säng't Ihr doch nieder?

Ich mein, daß der heut sich nicht wichtig macht!

SACHS.

Wohl möglich; hab mir's auch schon bedacht. –

Jetzt geh und stör mir den Junker nicht.

Komm wieder, wenn du schön gericht't!

DAVID küßt Sachs gerührt die Hand.

So war er noch nie, wenn sonst auch gut! –

(Kann mir gar nicht mehr denken, wie der Knieriemen tut!) –


Er packt seine Sachen zusammen und geht in die Kammer ab.


SACHS immer noch den Folianten auf dem Schoße, lehnt sich, mit untergestütztem Arm, sinnend darauf: es scheint, daß ihn das Gespräch mit David gar nicht aus seinem Nachdenken gestört hat.

Wahn! Wahn!

Überall Wahn!

Wohin ich forschend blick

in Stadt- und Weltchronik,

den Grund mir aufzufinden,

warum gar bis aufs Blut

die Leut sich quälen und schinden

in unnütz toller Wut?

Hat keiner Lohn

noch Dank davon:

in Flucht geschlagen

wähnt er zu jagen;

hört nicht sein eigen

Schmerzgekreisch,

wenn er sich wühlt ins eigne Fleisch,

wähnt Lust sich zu erzeigen! –

Wer gibt den Namen an? –


Kräftig.


's ist halt der alte Wahn,

ohn den nichts mag geschehen,

's mag gehen oder stehen!

Steht's wo im Lauf,

er schläft nur neue Kraft sich an:

gleich wacht er auf; –

dann schaut, wer ihn bemeistern kann! ...[461]

Wie friedsam treuer Sitten,

getrost in Tat und Werk,

liegt nicht in Deutschlands Mitten

mein liebes Nürenberg! –


Er blickt mit freudiger Begeisterung ruhig vor sich hin.


Doch eines Abends spat,

ein Unglück zu verhüten

bei jugendheißen Gemüten,

ein Mann weiß sich nicht Rat;

ein Schuster in seinem Laden

zieht an des Wahnes Faden;

wie bald auf Gassen und Straßen

fängt der da an zu rasen!

Mann, Weib, Gesell und Kind

fällt sich da an wie toll und blind;

und will's der Wahn gesegnen,

nun muß es Prügel regnen,

mit Hieben, Stoß und Dreschen

den Wutesbrand zu löschen. –

Gott weiß, wie das geschah? –

Ein Kobold half wohl da: –

ein Glühwurm fand sein Weibchen nicht;

der hat den Schaden angericht't. –

Der Flieder war's: – Johannisnacht! –

Nun aber kam Johannistag! –

Jetzt schaun wir, wie Hans Sachs es macht,

daß er den Wahn fein lenken kann,

ein edler Werk zu tun:

denn läßt er uns nicht ruhn,

selbst hier in Nürenberg,

so sei's um solche Werk,

die selten vor gemeinen Dingen

und nie ohn ein'gen Wahn gelingen.


Quelle:
Richard Wagner: Die Musikdramen. Hamburg 1971, S. 458-462.
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