Zweite Szene

[270] Elsa tritt auf in einem weißen, sehr einfachen Gewande; sie verweilt eine Zeitlang im Hintergrunde; dann schreitet sie sehr langsam und mit großer Verschämtheit der Mitte des Vordergrundes zu: Frauen, sehr einfach weiß gekleidet, folgen ihr –, diese bleiben aber zunächst im Hintergrunde an der äußersten Grenze des Gerichtskreises.


ALLE MÄNNER.

Seht hin! Sie naht, die hart Beklagte.


Elsa gelangt weiter in den Vordergrund.


Ha! wie erscheint sie so licht und rein!

Der sie so schwer zu zeihen wagte, –

wie sicher muß der Schuld er sein!

KÖNIG.

Bist du es, Elsa von Brabant?


Elsa neigt das Haupt bejahend.


Erkennst

du mich als deinen Richter an?


Elsa wendet ihr Haupt nach dem König, blickt ihm ins Auge und bejaht dann mit vertrauensvoller

Gebärde.


So frage

ich weiter, ist die Klage dir bekannt,

die schwer hier wider dich erhoben?


Elsa erblickt Friedrich und Ortrud, neigt traurig das Haupt und bejaht.


Was

entgegnest du der Klage?


Elsa durch eine Gebärde: »Nichts!«


KÖNIG lebhaft.

So bekennst

du deine Schuld?


Elsa blickt eine Zeitlang traurig vor sich hin.


ELSA.

Mein armer Bruder! ...

DIE MÄNNER flüsternd.

Wie wunderbar! Welch seltsames Gebaren!

KÖNIG ergriffen.

Sag, Elsa! Was hast du mir zu vertraun?


Erwartungsvolles Schweigen.


ELSA ruhig vor sich hinblickend.

Einsam in trüben Tagen

hab ich zu Gott gefleht,

des Herzens tiefstes Klagen

ergoß ich im Gebet: –

da drang aus meinem Stöhnen

ein Laut so klagevoll,[270]

der zu gewalt'gem Tönen

weit in die Lüfte schwoll: –

ich hört ihn fernhin hallen,

bis kaum mein Ohr er traf;

mein Aug' ist zugefallen,

ich sank in süßen Schlaf!

DIE MÄNNER.

Wie sonderbar! Träumt sie? Ist sie entrückt?

KÖNIG als wolle er Elsa aus dem Traume wecken.

Elsa, verteid'ge dich vor dem Gericht!


Elsas Mienen gehen von dem Ausdruck träumerischen Entrücktseins zu dem schärmerischer Verklärung über.


ELSA.

In lichter Waffen Scheine

ein Ritter nahte da,

so tugendlicher Reine

ich keinen noch ersah:

ein golden Horn zur Hüften,

gelehnet auf sein Schwert, –

so trat er aus den Lüften

zu mir, der Recke wert;

mit züchtigem Gebaren

gab Tröstung er mir ein; –


Mit erhobener Stimme.


des Ritters will ich wahren,

er soll mein Streiter sein!


Schwärmerisch.


Er soll mein Streiter sein!

ALLE MÄNNER sehr gerührt.

Bewahre uns des Himmels Huld,

daß klar wir sehen, wer hier schuld!

KÖNIG.

Friedrich, du ehrenwerter Mann,

bedenke wohl, wen klagst du an?

FRIEDRICH.

Mich irret nicht ihr träumerischer Mut;


Immer leidenschaftlicher.


ihr hört, sie schwärmt von einem Buhlen!

Wes ich sie zeih, des hab ich sich'ren Grund.

Glaubwürdig ward ihr Frevel mir bezeugt;

doch eurem Zweifel durch ein Zeugnis wehren,

das stünde wahrlich übel meinem Stolz!

Hier steh ich, hier mein Schwert: – wer wagt von euch

zu streiten wider meiner Ehre Preis?

DIE BRABANTER sehr lebhaft.

Keiner von uns! Wir streiten nur für dich!

FRIEDRICH.

Und König, du? Gedenkst du meiner Dienste,

wie ich im Kampf den wilden Dänen schlug?[271]

KÖNIG lebhaft.

Wie schlimm, ließ ich von dir daran mich mahnen!

Gern geb ich dir der höchsten Tugend Preis;

in keiner andren Hut als in der deinen,

möcht ich die Lande wissen ...


Mit feierlichem Entschluß.


Gott allein

soll jetzt in dieser Sache noch entscheiden!

ALLE MÄNNER.

Zum Gottesgericht! Zum Gottesgericht! Wohlan!


Der König zieht sein Schwert und stößt es vor sich in die Erde.


KÖNIG.

Dich frag ich, Friedrich Graf von Telramund!

Willst du durch Kampf auf Leben und auf Tod

im Gottesgericht vertreten deine Klage?

FRIEDRICH.

Ja!

KÖNIG.

Und dich nun frag ich, Elsa von Brabant!

Willst du, daß hier auf Leben und auf Tod

im Gottesgericht ein Kämpe für dich streite?

ELSA ohne die Augen aufzuschlagen.

Ja!

KÖNIG.

Wen wählest du zum Streiter?

FRIEDRICH hastig.

Vernehmet jetzt

den Namen ihres Buhlen!

DIE BRABANTER.

Merket auf!


Elsa hat ihre Stellung und schwärmerische Miene nicht verlassen; alles blickt mit Gespanntheit auf sie.


ELSA fest.

... Des Ritters will ich wahren,

er soll mein Streiter sein!


Ohne sich umzublicken.


Hört, was dem Gottgesandten

ich biete zu Gewähr: –

in meines Vaters Landen

die Krone trage er;

mich glücklich soll ich preisen,

nimmt er mein Gut dahin, –

will er Gemahl mich heißen,

geb ich ihm, was ich bin!

ALLE MÄNNER für sich.

Ein schöner Preis, stünd er in Gottes Hand!


Unter sich.


Wer um ihn stritt', wohl setzt' er schweres Pfand!

KÖNIG.

Im Mittag hoch steht schon die Sonne:

so ist es Zeit, daß nun der Ruf ergeh!


[272] Der Heerrufer tritt mit den vier Trompetern vor, die er den vier Himmelsgegenden zugewendet an die äußersten Grenzen des Gerichtskreises vorschreiten und so den Ruf blasen läßt.


DER HEERRUFER. Wer hier im Gotteskampf zu streiten kam für Elsa von Brabant, der trete vor! Der trete vor!


Gespanntes Stillschweigen. – Elsa, welche bisher in ununterbrochen ruhiger Haltung verweilt, zeigt entstehende Unruhe der Erwartung.


ALLE MÄNNER.

Ohn Antwort ist der Ruf verhallt.

Um ihre Sache steht es schlecht!

FRIEDRICH auf Elsa deutend.

Gewahrt, ob ich sie fälschlich schalt?

Auf meiner Seite bleibt das Recht!

ELSA etwas näher zum König tretend.

Mein lieber König, laß dich bitten, –

noch einen Ruf an meinen Ritter!


Sehr unschuldig.


Wohl weilt er fern und hört ihn nicht.

KÖNIG zum Heerrufer.

Noch einmal rufe zum Gericht!


Auf das Zeichen des Heerrufers richten die Trompeter sich wieder nach den vier Himmelsgegenden.


DER HEERRUFER. Wer hier im Gotteskampf zu streiten kam für Elsa von Brabant, der trete vor! Der trete vor!

ALLE MÄNNER.

In düstrem Schweigen richtet Gott!


Elsa sinkt zu inbrünstigem Gebet auf die Knie. Die Frauen, in Besorgnis um ihre Herrin, treten etwas näher in den Vordergrund.


ELSA.

Du trugest zu ihm meine Klage,

zu mir trat er auf dein Gebot: –

O Herr! Nun meinem Ritter sage,

daß er mir helf in meiner Not!


In wachsender Begeisterung.


Laß mich ihn sehn, wie ich ihn sah,

wie ich ihn sah,


Mit freudig verklärter Miene.


sei er mir nah!


Die Männer, die dem Ufer des Flusses zunächst stehen, gewahren zuerst die Ankunft Lohengrins, welcher in einem Nachen, von einem Schwan gezogen, auf dem Flusse in der Ferne sichtbar wird. Die dem Ufer entfernter stehenden Männer im Vordergrunde wenden sich, ohne zunächst ihren Platz zu verlassen, mit immer regerer Neugier fragend an die dem Ufer[273] näher Stehenden; sodann verlassen sie in einzelnen Haufen den Vordergrund, um selbst am Ufer nachzusehen.


DIE MÄNNER erst einige, dann immer mehrere, je nachdem sie dem Ufer näher sind oder sich allmählich ihm nähern.

Seht! Seht! Welch ein seltsam Wunder! Wie? Ein Schwan!

Ein Schwan zieht einen Nachen dort heran!

Ein Ritter drin hoch aufgerichtet steht.

Wie glänzt sein Waffenschmuck! Das Aug' vergeht

vor solchem Glanz! –


Lohengrin ist in der Biegung des Flusses rechts hinter den Bäumen dem Auge des Publikums entschwunden; die Darstellenden jedoch sehen ihn rechts in der Szene immer näher kommen. – Auch die Letzten eilen noch nach dem Hintergrund; im Vordergrunde bleiben nur der König, Elsa, Friedrich, Ortrud und die Frauen.


Seht, näher kommt er an!

An einer goldnen Kette zieht der Schwan!

Seht hin! Er naht! Seht, er naht!


In höchster Ergriffenheit stürzen alle nach vorn.


Ein Wunder! Ein Wunder! Ein Wunder ist gekommen,

ein unerhörtes, nie geseh'nes Wunder!


Von seinem erhöhten Platz aus übersieht der König alles: Friedrich und Ortrud sind durch Schreck und Staunen gefesselt; Elsa, die mit steigender Entzückung den Ausrufen der Männer gelauscht hat, verbleibt in ihrer Stellung in der Mitte der Bühne; sie wagt gleichsam nicht, sich umzublicken.


DIE FRAUEN auf die Knie sinkend.

Dank, du Herr und Gott, der die Schwache beschirmt!


Der Blick aller wendet sich wieder erwartungsvoll

nach dem Hintergrunde.


Quelle:
Richard Wagner: Die Musikdramen. Hamburg 1971, S. 270-274.
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Ausgewählte Ausgaben von
Lohengrin
Lohengrin: Einsam in trüben Tagen (Elsas Traum). WWV 75. Sopran und Klavier. (Edition Schott Einzelausgabe)
Lohengrin: Treulich geführt (Brautlied). WWV 75. hohe Singstimme und Klavier. (Edition Schott Einzelausgabe)

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