|
[13] Dein Bruder ist jetzt abgereist. Mir ward der Abschied schwer von dem Guten, der wie mein Schatten mir durchs sonnige Italien folgte. Ewigunvergeßlich wie meiner Kindheit Tage ist mir der Abend, wo wir zum erstenmal die Alpenfirnen wie Trümmer einer Urwelt glänzen sahn, und gleich gebändigten Titanen die Nebelwolken unten lagen im Tale, und oben die milchweißen Stirnen vom Purpur der Abendsonne glühten wie bescheidene Mädchenwangen, und die Riesenlawinen donnernd von jähen fürchterlichen Höhn herab sich wälzten, wir uns im Arme lagen und bei Tells und Arnolds Vaterland uns ewige Freundschaft schwuren!
Und als wir gingen auf den sieben Hügeln und wandelten zwischen den schaurigen Gestalten der hohen Vorwelt und sahn, wie um die alten düstern Mauern sich der jugendliche Efeu rankte; als wir saßen an den Ufern der blonden Tiber und ihrem Wellenschlage lauschten, und es aus den Wassern erklang zu uns, den Spätgebornen, wie eine ernste mahnende Stimme, als wir wandelten durch die langen Hallen, wo schweigend[13] unsre alten Götter standen, und wir uns anblickten und uns in die Arme sanken, ach, da wo jeder graue moosbewachsne Trümmer, wo jedes Säulenstück, wo jeder Grashalm an den finstern Mauerrissen, wo alles, alles zu uns sprach: da fühlten wir schwellen unsern Busen. Die Ahnung floh, und es ward klar vor uns. Unser Auge schwamm in Licht und Fülle, und wie eine göttliche Erscheinung sahn wir niederquellen den Geist der Schönheit. Wir fühlten unsern Beruf und den Drang in unserem Innern und knieten nieder und riefen: Dir, heilige Kunst, dir weihn wir unser Leben!
Ach, und nun bin ich längst wieder ferne von dem Lande und bin so ganz allein! Niemanden hab ich, den ich an meinen Busen schließen könnte, warm und innig, wie ich's möchte, keine Seele! Theodor, das ist viel!
Und weißt Du, was es ist, das mich allein noch tröstet? Es ist der Geist der Natur, die in ihrer ruhigen Fülle vor mir liegt wie meine alte glücklichere Welt!
Ich sollte sehen, wie sich alles draußen regt und tausend lebensvolle Keime schwellen, und Eins sich liebend an das Andre drängt, und sollte dennoch klagen?
Ach, die Kinder! Die schweben durch ihr Leben wie goldne Wölkchen durch das Morgenrot. So heiter ist noch ihr Blick und so unbewölkt wie der blaue Himmel, und ihre Seele rein wie die Luft. Ein Kind zu sein, das ist ein Glück! Wissen die Kinder etwas vom Himmel? Und doch ist der Himmel nur in ihnen.
Ein Kind ist sich selbst genug in seiner Fülle. Warum bin ich denn das nicht?
Ausgewählte Ausgaben von
Phaeton
|