Phaethon an Theodor

[58] Alles, alles, Theodor, alles ist anders! Meine ganze Seele ist voll von Einem.

Gestern wollt' ich Dir schreiben. Ich konnte nicht.

Was war all mein Wesen bisher? Ein elend unbedeutend Stümperwerk! Wem zulieb hab ich gearbeitet? Hab ich eine Empfindung gehabt, eine, so lang ich lebe, gegen die, die jetzt wie der Äther, der ewige unveränderliche, mich umweht? Alles, alles war nichts!

War mir das Leben bisher mehr als der Diamant, der leuchtet, aber nicht erwärmt? Ach ganz, ganz hat meine Ahnung sich enthüllt! So mußt' es kommen.

Ich träumte wohl schon von solcher Seligkeit, aber das Erwachen war mein größter Schmerz. Und das ist wirklich, wahrhaft!

Sahst Du die Natur, wenn vom heiligen Himmel die düstern Regenwolken wie finstre Träume flohn, und durch das hellzerrissene Gewölke die Sonne wieder brach, die alte ewigschöne, und von den Blättern die Tropfen träufelten wie milde Tränen, und alles, alles[59] übergössen war vom Leben einer Schöne? So denke Dir mein Wesen!

O Gott, Gott! Noch sind meine Augen wie geblendet von all dem, was ich gesehn, was mich umgeben.

Und kann ich's Dir sagen? Ach, kann ich denn dem Augenlosen beschreiben das Bild der Morgensonne, wenn sie sich erhebt über die umschleierten Berge wie eine Braut? Soll ich nicht schweigen wie sie?

Ich will sprechen, Theodor. Ich will sprechen!

Gestern Mittag saß ich vor meinem Bild und sah es an wie die Mutter ihr Kind. Ich hatt' es umkränzt mit frischen Rosen, die mir Johannes gebracht. Ein stiller Geist umwehte mich. Ich schaukelte meine Seele in süßen Träumen auf und ab und dachte mich zurück in die schönen Zeiten der Griechen. Da hört' ich einen Wagen in der Nähe. Ich sprang ans Fenster. Er kam und hielt vor meinem Hüttchen. Ich wußt' es, wer es war. Ich sprang hinaus zur Türe. Meine Seele war umnebelt von einer niegefühlten Ahnung wie die grauen Berge, wann die letzten Schatten der Nacht um ihre Stirne schweben.

Ich stand am Wagen. Ach Theodor, soll ich da nicht eine Lücke lassen? Nur mein Auge könnt' es Dir sagen, wenn Du bei mir wärest.

Eine Frau schwang sich heraus von schlankem hohem Wuchs wie eine Juno. Ein langer weißer Schleier floß wie zarte Luft von ihrem Haupt herunter. Ihr erster Anblick forderte Verehrung. Ihr folgte eine weiße Gestalt. Die Zarte zitterte, und Katon hob sie schüchtern herab.[60]

Gott! Mich überlief's!

Theodor, ich kann's nicht schildern. Erlaß mir alle Worte! Ich kann's nicht schildern. Die höchste Schönheit läßt sich nicht beschreiben; die höchste Schönheit fühlt man nur.

Wer nie noch die Natur gesehen im Morgenglanz ihrer himmlischen Schöne und nun zumal in ihrer höchsten Fülle sie vor sich sieht, die seelenvolle, die alliebende, und trunken in den Äther schaut, den unergründbar tiefen: so, so war mir's, wie ich sie sah vor mir stehn.

Wie der selige Geist aus dem dunkeln Grabe zum Himmel sich hebt, so quoll ihr schwarzes Auge schauernd aus den Wimpern.

Vergleich' ich sie mit der zarten aufschwellenden Rose, die keine Berührung leidet, die ihre glühenden Blätter öffnet wie weiche Mädchenwangen? Ihr ganzes Wesen war wie ein einziger Kuß der Liebe.

Ich stand da, besinnungslos, wie der finsterliebliche Mann die Bebende herabließ; und wie ferne verklingende Akkorde tönten endlich seine Worte: Gräfin Cäcilie und Atalanta, ihre Tochter!

Theodor, diese Schönheit! Dieses holde keusche Lächeln einer unschuldsvollen Wange! Dieses große schwarze Ätherauge in dem reinen blendendweißen Angesicht! Diese weiche Zartheit in der schlanken Gestalt! Es ist alles, alles umsonst. Ich kann's nicht schildern.

Ich weiß nicht, was ich sprach. Mein Blick war starr zur Erde geheftet. Katon schüttelte meine Hand. Ach, und warum mußt' er das tun? Meine Verwirrung[61] ward nur größer. Die Frauen traten in das Hüttchen. Katon folgte mit mir.

Noch hatte sie nichts gesprochen; aber ihre ganze Seele schwamm im Auge wie das Bild des reinen Himmels im klaren Wasser. Sie standen vor dem Bilde. Mein Blick hing feuertrunken an ihr, wie sie da stand vor dem schönen aufquellenden Jüngling, der seine Augen niedersenkte wie überrascht von solcher Schönheit.

Katon saß am Fenster und schien sich zu freuen. Die schöne Cäcilie schwieg lange. Dann sprach sie. Ach, in einem einzigen seelenvollen Blick war all meine Mühe belohnt.

Atalanta schwieg immer noch. Sie hatte ihren Arm gelehnt auf die Schultern Cäciliens, und ihre Locken, dunkel wie ihr Auge, flossen über den weißen Hals. Ihr Köpfchen lag am Busen der höheren Mutter, und ihr Auge ruhte fest auf dem jungen Gotte.

Und einmal blickt' ich sie an, und Fieberhitze brannte durch mein glühendes Auge. Da trifft sie mich. Ich fühlte die ganze unendliche Schönheit ihrer Seele, und eine flammende Röte goß sich über ihre schüchternen Wangen. Lieber, mir wankten die Knie!

Mein Blick fiel auf Katon. Sein Auge irrte unruhig umher und ruhte zuletzt auf dem Mädchen, und ich sah, wie er mich anblickte. Was sollte das bedeuten?

Ich übergeh' alles Folgende. Und wie sollt' ich das Entzücken schildern, das mich überwallte, wie ihre Lippen sich bewegten und sie sprach, und jedes Wort wie ein Lichtstrahl durch die Nacht in meine Seele fiel?[62]

Nur das noch! Wie sie aufstand und vor meinen Homer hintrat, und ich das junge blühende Gesicht neben den saftgrünen Traubenblättern am offenen Fenster sah und neben dem ernsten heiligen Alten, und ihre vollen weichen Mädchenwangen wie zwei Küsse glühten an den bärtigen Wangen des Sängers, und ich fühlte, wie's ihr war in diesem Augenblick, ach, da hätt' ich ihr mögen zu Füßen sinken und meine Seele strömen in die ihre.

Und wie sie endlich mich fragte: Warum krönen Sie ihn nicht auch, den lieben Guten? und ich die Rosen nahm vom Haupte des Eros und sie flocht um die weißen Locken des ruhigen Homeros, wie ich sie dann anblickte und fragte: Ist's recht so? und sie lächelte und dem Alten den Kranz noch tiefer in die Stirne drückt' und wieder schwieg, da, da verstand ich sie ganz, und ihr Blick war wie warme glühende Maiensonne.

Und höre nur! Griechische Worte klangen von ihren Lippen! Die Sprache Homers, herausgewogt aus lächelnden Mädchenwangen!

Katon war in sich gekehrt und ergriff endlich meine Hand und fragte: Wollen wir nicht ins Freie? Mir fiel der Hügel ein an meiner Hütte. Wir stiegen hinauf. Auf dem grünen Rasen droben setzten wir uns unter meiner Eiche. Ich erzählte, wie ich diesen Baum lieb habe, wie er so alt ist und doch noch jeden Frühling wie ein Jüngling blüht, und was ich da genieße und empfinde, wie ich so oft daliege, wenn die Sonne untertaucht, und mein strebender Geist ihr[63] dann folgt und wie in einem Bad im Abendrot sich kühlt.

Cäcilie stand auf und mit ihr Atalanta. Das Mädchen schlang die Arme um die schöne Mutter wie junge Blumenranken um eine schlanke Säule, und liebend sahn sie einander ins Auge und dann wieder hinüber in die Ferne, unendlich wie ihre Liebe.

Sie setzten sich nieder. Katon ward immer stiller. Ein schwärmerisches Feuer glüht' in seinem Auge. O Theodor, wie wir da saßen im Schatten der ehrwürdigen Eiche, die Tochter wie ein liebend Kind an ihre Mutter geschmiegt, und der finstere bärtige Katon, das umlockte Haupt auf seine Arme stützend, und ich zu seiner Seite, vergehend im Anschaun dieser wunderbaren Wesen!

Da sagte Katon: Schön ist's hier auf diesem Hügel, liebe Kinder. Doch ach, es ist noch nicht das Schönste. Er schwieg. Dann seufzt' er: Griechenland!

Ich sah ihm starr ins Auge. Er fuhr fort:

Ja, Griechenland, wo Myrte, Lorbeer und Zypresse wie Schwestern nebeneinander grünen, wo der schönen Flora Kinder um warme volle Hügel sich wie um den Busen eines Mädchens schlingen, wo an den Blumenufern, die die Lilie sanft umblüht, der heitere Fischer ins Gewässer blickt, wo zwischen grauen Säulenkapitälen und altem moosbewachsnem Gestein wie ein trauernder Geist die Wehmut wohnt und die stille Betrachtung, wo um hohe Felsenadern sich der Efeu rankt und die kahlen Gipfel wie ein Eichenblatt der bunte Schmetterling umflattert, wo tausend lodernde[64] Kaskaden wie blaue Bänder über Felsen sprudeln. O Kinder, noch ist mir's, als ob ich stünde auf Akrokorinth, und das ganze schöne Land läge vor meinem Auge wie ein entschleiertes Geheimnis, des hohen Argos Gebirge, Achaia, Sikyon, die Häupter des Riesen Taygetos, im milchweißen Schimmer der Sonne glänzend, der Titane Parthenios, die dunkeln Küsten des waldigen Lakoniens, das kampfberühmte Salamis, Megara und das priesterliche Eleusis, die gewaltigen Scheitel des wilden Kithäron, in dessen Schluchten einst der Labdakide weinte, Athens berühmter Peiräeus, der Epidauros und Kalaurea!

O Theodor, alle meine Nerven waren angespannt, und ich sank weinend in den Schoß des Glücklichen, und alles schwand vor meinen Sinnen, was um mich war. Da legt' er seine Hände auf mein Haupt und sagte: Junger lebhafter Schwärmer, auch Du mußt einst nach Griechenland wandeln! Ich fühlte ganz, ganz diese Sehnsucht in seinem Busen, und wie von Berg zu Berg erklang's von seiner Seele zu der meinen.

Da blickt' ich wieder auf. Das schöne Mädchen hatte die zarten Arme auf der Mutter Schoß gestützt, und das Haupt ruhte auf den kleinen Händen, und ich sah sie glühen vom Purpur der Abendsonne wie eine Aurora und mich anlächeln. Theodor, da war mir's, als wäre sie's, was ich geahnt, gewünscht; als hätt' ich nach ihr so oft geweint und mich vergeblich nächtelang gesehnt. Da war aller Mißklang weg aus meiner Seele, und in meinem tiefsten Innern klang's: Nur sie, nur sie![65]

O, auch sie mußt' es fühlen, wie mir's war in dieser Stunde. Denn sie blickte holderrötend nieder, so oft mein fieberschauernd Auge sie traf.

Die Sonne war hinunter, und Atalanta fragte: Gehn wir nicht nach Hause? Cäcilie lächelte und stand auf. Sie schwebten den Hügel hinunter. Wir Männer folgten.

Nun sprach man erst vom Amor. Cäcilie will ihn haben sobald als möglich, und auch Atalanta blickte mich lieblich bittend an. Morgen läßt sie ihn abholen, und ich gehe mit hinüber.

Erst wie die Gräfin Abschied nahm, faßt' ich sie fester ins Gesicht und sah ihr glühend schwärmerisches Auge. Wie liebt sie ihr zartes Kind, diese lebhaft ahnungsvolle Seele! Sie gingen auf den Wagen zu. Mein Busen klopfte. Ich glaubte, Atalanta kehre sich nimmer um; aber ich durfte sie noch einmal sehen, und mein Auge flog wie ein Pfeil zu ihr hinüber. Ach, wie mir war, als Katon ihr die Hand gab und die Liebliche in den Wagen schwang! Die andern folgten, und der Wagen rollte fort. Ich kehrte schwindelnd zu meiner Hütte.

Quelle:
Wilhelm Waiblinger: Phaeton. Teil 1 und 2. Dresden 1920, S. 58-66.
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