Phaethon an Theodor

[16] Mit meinem Amor bin ich bald zu Ende. Er lächelt mich an wie eine bessere Zeit. Ich gehe nicht bälder zur Gräfin hinüber, bis ich ihn fertig habe.

Es wird mir schwer werden zu scheiden von ihm. Meine Arbeit ist mir über den Kopf gewachsen. Mit jedem Meißelschlag ist sie weniger mein. Sie ist mein Schöpfer, nicht ich der ihre.

Mir wird's oft wunderbar. Ich weiß nicht, woher ich sie habe, diese quellenden trunkenen Augen, diese sanftgeblasenen Formen an der weichlich üppigen Gestalt. Als hätt' es mir ein Gott eingegeben.

Des Abends wandl' ich den Hügel hinan. Wie ein Riese steht droben eine alte lange Eiche und streckt wie starke Arme die breiten Äste auseinander. Mir ist's als ob mich zarte liebe Geister umwehten, wann der Abendwind durch die Blätter säuselt. Da hab ich meine schönsten Stunden. Ich lese meinen Homer oder auch einen Chor aus den alten Tragikern. Ach, und wenns dann still wird umher und immer stiller, und durch die dunkle Eiche der letzte Strahl der warmen[17] heiligen Sonne meine glühenden Wangen küßt wie der Mund eines Mädchens, wenn die grauen Wölkchen im goldnen Meer der Abendröte schwimmen wie zarte verfließende Bilder der Vergangenheit, und das linde Wehn der kühlen Lüfte so zärtlich liebend in meinen Locken spielt, und wenn dann allmählich im blassen Duft auch die fernen Berge zusammenschwimmen mit dem Himmel wie eine Seele mit der andern, und der Nebelflor auch über dem Tale wallet, und die Abendglocken so voll wie mein schwellend Herz aus der Ferne klingen, ach, da wein' ich wie ein Kind und drücke den lieben Homer an meine Brust und benetz' ihn mit meinen Tränen, und die Natur, die ewige, die liebende, lächelt mich an wie eine Mutter. Dann füllt sich mein Inneres an mit einer unendlichen Wonne, und ich fühle jeden Pulsschlag der lebendigen Natur und wandle dann wieder so hinunter.

Quelle:
Wilhelm Waiblinger: Phaeton. Teil 1 und 2. Dresden 1920, S. 16-18.
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