Phaethon an Theodor

[97] Ich lebe wie unter den alten Griechen. Denke Dir, schildre Dir mein Entzücken! Atalanta ist mir zum ersten Male gestanden.

Ich wartete lang auf sie. Der Busen schlug mir heftig, und meine Hand zitterte. Vor dem Bilde war ein roter Teppich ausgebreitet. Jetzt ging die Tür auf, Cäcilie trat mit Atalanta herein. Da ist sie! sagte die Mutter und ließ die Hand der Tochter fallen. Die Holde ward rot.

Durch ihre braunen Locken flochten sich ein paar glühende Rosen; ein blendendweiß Gewand umhüllte die schlanke Gestalt und umschwebte mit dünnem Flor den jugendlichen Busen wie Wölkchen den rundlich vollen Mond.

O Lieber, wie sie da stand und auf den Boden blickt' und dann wieder auf zum Himmel, die Schöne, Göttliche! Wie sie endlich niederkniete auf den Teppich, und das Gewand in langen reichen Falten über das gebogene Knie hinunterwallte! Wie sie die schöne zitternde Hand auf den Busen legte und mich anschaute[98] so lieblich schmerzlich, als wollte sie sagen: Warum forderst Du das von mir? O wandle von Stern zu Stern, und Du findest doch nichts, das erhabener wäre!

Ich verlor mich besinnungslos in die Schöne des knieenden Mädchens, und wie sie dann die Augen aufhob und sah meine Verwirrung und daß ich sie nur anblickte, ohne zu arbeiten, da flog ein glühend Rosenlicht über ihre Wangen, und ihr Auge sah so wunderbar trunken empor, als fühlte sie selbst, wie schön sie sei.

Eine unendlich süße Begeisterung schwebte zuletzt wie befruchtender Tau in meine Seele, und ich arbeitete trunken, wie in einem Schwindel, fort und fort.

Und hundertmal fragt' ich: Ist Atalanta müde? Dann antwortete sie lächelnd: Nein!

Großer Peleione, wenn deine Phrygerin so schön wie Atalanta war, begreif' ich, wie Du wieder aus dem Grabe steigen mochtest.

Und wie ich sie endlich wieder fragte, lispelten ihre Lippen: Ein wenig! Und ich flog auf sie zu und hob sie zitternd vom Teppich auf.

Quelle:
Wilhelm Waiblinger: Phaeton. Teil 1 und 2. Dresden 1920, S. 97-99.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Phaeton
Phaeton: Roman