Atalanta an Phaethon

[242] Empfange die letzten Worte Deiner Atalanta und weine mit ihr, aber heilige selige Tränen, wie sie einst in Deinem Auge schwammen, als wir noch, blühend und gesund, wie befreundete Quellen ineinanderflossen.

Deine Geliebte gehört der Erde nicht mehr an. Ihr einziges, ihr überschwänglich brünstiges Sehnen ging nach dem Himmel. Er lächelt mich an, o Phaethon, so unschuldig, so süß wie die Mutter ihr wiedergefundenes Kind.

Meine Hülle wird erstarren; aber meinen Geist erfüllt die Wärme der Gottheit, meine Seele die Fülle des Himmels. Ein tiefes seliges Wogen durchbebt mein Tiefinnerstes. Wie sonst nur mein Auge in den Äther verschwimme ich nun ganz in sein ewiges Blau wie eine Träne!

Meine Hülle wird sinken; aber mein unsterblicher Geist steigt aus dem welkenden Körper wie ewiger Duft aus dem Kelche der sterblichen Blume.

Ich werde sterben![243]

Zittere nicht! Bebe nicht! Nur weinen darfst Du, weinen mit einem Auge voll Glauben und Himmel.

O Phaethon, Gott stärke Deinen Mut! Die Du liebst, wirst Du verlieren!

Ach freilich bin ich noch jung. Ich hätte noch lange, lange leben können in Deinen Armen! Aber das wollte mein liebender Vater nicht.

Ich stand noch da wie die aufgehende Rose. Das Morgenrot sandte seine Lichtwogen auf mich und spielte mit seinem unsterblichen Strahl um meine kindlichen Wangen. Alles glühte, webte, regte sich am Busen der warmen Sonne! Alles war eins! Ein unendlicher Schauer der Wonne!

Schöner Jüngling, Du warst mein Glück! Du fandest mich in meinem innersten geheimsten Heiligtum, in meiner tiefsten Seele, wohin nur Gott dringt. Du drangst hinein, umfaßtest mein Ich in einem Kusse! Alles Ewigkeit! Unermeßliches Leben!

Selig, selig war die Ahnung der geoffenbarten Gottheit, die in unserm endlosen entzückten Geiste quoll wie die Träne der Feuerwonne in einem frommen Auge.

Auch auf dieser Erde schon sollte uns ein ewiges Glück werden.

Es ward nicht.

Dein Mädchen weint. Es sollte Dein Weib, sollte Mutter werden. Jüngling, wenn Du keusch bist wie Dein Mädchen, so fühle mein weinend Herz. Ein lächelndes Kind an meinem reinen Busen, Dich, mich, eine ewige alldurchglühende Liebe darin zu fühlen! Unser schönstes heiterstes Dasein in dem jungen blumigen[244] Wesen zu finden! Die Liebe des Vaters und der Mutter wie gestaltet! O Jüngling, was die Gottheit ihr selbst, ist die reine keusche Mutter dem Kinde. Wie sie das zarte weiche Geschöpf, das verloren wäre ohne ihre Liebe, mit der Milch des Busens nährt, so nährt die Gottheit sie selbst mit ihrer ewigen lauteren Fülle. Ich durfte nicht Mutter werden! Ich sterbe noch so jung.

Mein Gott wollte es. Ich habe mich ihm ganz ergeben. Kennst Du diese entzückendste der Wonnen, dieses grenzenlos selige Gefühl noch? Zu leben, zu sein in ihm, dem Geiste der Liebe? Zu glühn in ihm wie in einem warmen allesdurchquillenden Lichte? Zu schauen in die endlose Tiefe seines Wesens wie ein Auge in den klaren und doch unergründbaren Äther!

Und ist der Tod denn schrecklich? Ist das Morgenrot nicht schön nach der kurzen Nacht? Ist der Tod nicht die erhabenste Wiedergeburt des unsterblichen Geistes? Nicht der Triumph der Seele über den Körper? O, aus dem Grabe blüht wie eine ewigjunge Blume neues glühenderes Leben, volleres schöneres Dasein Rosen und Myrten, die Blumen der Liebe, sind die Sinnbilder des Todes.

Es ist das seligste Hochzeitsfest, das Fest der ewigen und innigen Verbindung mit Gott! Jüngling, die Deine Braut auf Erden war, feiert es nun mit Gott für die Ewigkeit!

Siehe, Du Lieber, wenn Du in stillen Nächten hinaufblickst in den Äther, dann irrt Dein Auge voll gestillter Sehnsucht durch die Sterne, aber voll Licht,[245] voll Liebe. Denn auf einem der Sterne wandelt Dein Mädchen, wandeln die Geister all Deiner Geliebten! Auch sie blickt dann mit einem höheren Auge nieder auf die kleine unendlich ferne Erde, wo Du wandelst, und denket Dein.

Die letzte Scheidewand fällt! O laß uns noch einmal miteinander beten, beten wie unsterbliche Geister, wie Kinder des alliebenden Gottes:


Heilig, Gott, ist Deine Welt, das Werk Deiner Allmacht! Licht der Lichter, Kraft der Kräfte, Du Geist der Reinheit, Dein Wesen ist wie eine lautere Flamme! Nur die Reinen kommen zu Dir! Nimm uns auf, Deine Kinder! Nimm uns auf an Deinen Busen!


Phaethon, Phaethon, wir sehen uns drüben! Meine Seele füllen unendliche Gesichte.

Wir werden schweben in Deinem Morgenrot, o Gott, und uns baden in seinen wallenden Wogen wie milchweiße Schwäne, auf- und untertauchen in den glühenden Wellen voll Licht und Wärme, dahinfliegen durchs All, Arm in Arm, zwei selige Geister! Unsere Häupter umwallt die ewige Schöne Gottes. Auf unserer Stirne schwebt der große Gedanke der unsterblichen Schöpfung. Unser Auge ist die göttliche Kraft des hellen befreiten Geistes, der das Wesen durchdringt seines liebenden Gottes! Auf unsern Wangen bebt die Liebe des Allerhalters, die er kundtut dem Menschen in allen Sonnen und Monden, Erden und Milchstraßen, in jedem saftigen Kraut, jedem flüsternden Blatte, jedem freundlichen Sonnenblick. Unsere Brust schwellt die[246] Wonne der Unsterblichkeit, unsers freien göttlichen Wirkens und Webens in Gott. In ihr drängt sich zusammen die ganze überschwängliche Fülle des Guten und Schönen, das im Weltall keimt und reift!

Schon fühl' ich mich freier; schaue die Bahn, auf der ich wandle zum Schöpfer, wandle so schnell wie der Gedanke entgegen der ewigen Wonne, dem ewigen reineren Sein, entgegen der heranwallenden Schöne Gottes.

Phaethon, willst Du Deine Braut auf Erden noch an Deine Brust drücken, so eile, so eile![247]


Ein Bote war gekommen und hatte den Brief gebracht. Zugleich erzählte er auch das Nähere von Atalantas Krankheit.

Theodor wußte sich kaum zu fassen. Er war entschlossen, Phaethon dahin zu begleiten.

Er weckte ihn aus seiner Betäubung, wollte sprechen und konnte es nicht vor Weinen. Phaethon bekam von neuem Zuckungen. Theodor mußte ihm mit Gewalt die Arme halten. Der Unglückliche sprach nichts. Nur einmal stieß er mit einem fürchterlichen Seufzer die Worte aus: Nur die Reinen kommen zu Gott!

Theodor bestellte den Augenblick ein paar Reitpferde und hielt selbst beim Fürsten an. Er bekam die Erlaubnis.

Sie ritten ab. Tag und Nacht brausten sie fort.

In dritthalb Tagen ritten sie zum Schloßtor hinein.[248]

Quelle:
Wilhelm Waiblinger: Phaeton. Teil 1 und 2. Dresden 1920, S. 242-249.
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