Die vierundfunfzigste Fabel.

Vom Vögler und der Tauben.

[87] Es gieng ein vögler in ein wald,

Vögel zu fahen jung und alt.

Da sahe er in eins baumes äst

Hoch dort oben ein taubennest.

Dem stellt er nach, ob er die möcht

Mit stricken fahen, es versucht.

Wie er lief underm baum daher,

Trat eine schlang on als gefer;

Da biß herumb die schlang von stunden

In seinen fuß ein tötlich wunden.

Der vögler rief: »Ich armer man!

Eim andern wil ich schaden tan:

In dem sticht mich die schlange herb,

Daß ich mit meiner list verderb.«[87]

Es komt, wenn einer denkt zu laden

Auf seinen nehsten schand und schaden.

Daß in dieselbe stricke fellt,

Die er eim andern het gestellt.


Quelle:
Burkard Waldis: Esopus. Erster und zweiter Theil, Band 1, Leipzig 1882, S. 87-88.
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