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[14] Eine sonderbare Begebenheit war die mit der Gräfin Ortenburg und der Achatschale.

Die Gräfin Ortenburg, eine siebzigjährige Matrone, lebte zurückgezogen auf ihrem Schloß bei Bregenz. Crammon, der eine große Zuneigung für alte Damen von Würde und Welt hegte, besuchte sie fast jedes Jahr einmal, um sie zu erheitern und mit ihr von der Vergangenheit zu plaudern.

Die Gräfin war ihm für diese Anhänglichkeit dankbar und hatte beschlossen, ihn zu belohnen. Eines Tages zeigte sie ihm eine goldmontierte Achatschale, ein altes Erbstück der Familie, und sagte, die Schale sei ihm nach ihrem Tode zugedacht, die testamentarische Verfügung sei bereits getroffen.

Crammon wurde vor Freude rot und küßte der Gräfin zärtlich die Hand. Bei jedem Besuch verlangte er die Schale zu sehen, weidete sich an dem Anblick und genoß den Besitz im voraus.

Die Gräfin starb; Crammon wurde alsbald, wie zu erwarten[14] war, von dem Vermächtnis benachrichtigt. Die Schale wurde ihm zugesendet, sie war höchst behutsam in einer Kiste verpackt. Als er sie aber aus den Hüllen befreit hatte, sah er zu seiner Bestürzung, daß er betrogen worden war. Was er in Händen hielt, war eine Imitation, geschickt und genau angefertigt, jedoch aus falschem Material; nur die Fassung war aus Gold nachgeahmt.

Erbittert ging er mit sich zu Rate. Wen durfte er beschuldigen? Wodurch konnte er beweisen, daß die echte Schale überhaupt vorhanden war?

Die Erben der Gräfin waren drei Neffen gleichen Namens. Der älteste von ihnen, Graf Leopold, war verrufen als ein geldgieriger Mensch, der sich und andern nicht das Brot gönnte. War der es, der ihm den Streich gespielt, so war die Schale längst vertan.

Leicht bot sich ein Vorwand, den Grafen Leopold in Salzburg zu besuchen. Er zeichnete sich durch Frömmigkeit aus und war Gnadenperson am bischöflichen Hof. Crammon glaubte in seinen Augen einen Schimmer von Verlegenheit zu entdecken. Er hielt Umschau wie ein Luchs; vergeblich.

Nun aber kannte er alle bedeutenden Antiquare auf dem Kontinent und begab sich auf die Suche. Zweieinhalb Monate lang reiste er von Stadt zu Stadt, ging von Händler zu Händler, fragte, forschte, spähte. Die gefälschte Schale hatte er stets bei sich und wies sie vor; den Händlern waren solche von einem Gegenstand besessene Liebhaber vertraute Erscheinungen; sie antworteten bereitwillig und schickten ihn dahin und dorthin.

Er verzweifelte schon, da wurde ihm in Aachen ein Brüsseler Händler genannt, der die Schale erworben haben sollte. Es hatte seine Richtigkeit, in Brüssel fand er die Schale. Crammon erfuhr den Namen des Verkäufers; es war ein Mann, von dem er wußte, daß er in geschäftlicher Verbindung mit dem Grafen Leopold stand. Der Händler forderte zwanzigtausend[15] Franken für die Schale. Crammon erlegte sofort tausend Franken und sagte, den Rest werde er in acht Tagen bezahlen und die Schale dann mitnehmen. Zu feilschen unterließ er, und er bemerkte wohl die Verwunderung des Händlers darüber; aber er dachte in seiner Bosheit: der Dieb ist in der Schlinge, weshalb ihm die Schurkerei verbilligen?

Zwei Tage später trat er in das Zimmer des Grafen, begleitet von einem Hoteldiener, der das Kistchen mit der falschen Schale auf den Tisch stellte und verschwand. Der Graf saß allein beim Frühstück; er erhob sich und runzelte die Brauen.

Crammon öffnete schweigend das Kistchen, nahm die falsche Schale heraus, putzte sie eine Weile sorgfältig mit dem Taschentuch, behielt sie dann in der Hand und machte ein bekümmertes Gesicht.

»Was solls?« fragte der Graf erbleichend.

Crammon erzählte, wie er zufällig bei einem Händler in Brüssel die Schale aufgefunden habe, die seines Wissens jahrhundertelang im Besitz der gräflichen Familie gewesen sei. Es habe nicht erst der wehmütigen Erinnerung an seine verehrte hingegangene Freundin bedurft, um ihn zu bewegen, das kostbare Stück wieder für den Ortenburgschen Tresor zu retten und in Sicherheit zu bringen. Er erachte es für ein wahres Glück, daß er es sei, der von dieser pietätlosen Verschacherung zuerst Kenntnis gewonnen; was für ein Skandal hätte gedroht, wenn ein derartiges Verfahren von müßigen Mäulern aufgeschnappt worden wäre. Er habe dem Antiquar zwanzigtausend Franken gezahlt, die Quittung vorzulegen sei er bereit, hier sei die Schale, er erstatte sie dem Haus Ortenburg treulich zurück, der Graf habe seinerseits nichts weiter zu tun, als eine Anweisung auf die Bank zu schreiben.

Nichts von dem Testament, keine Silbe von dem Vermächtnis, kein Sterbenswort darüber, daß man ihm eine Schale, wennschon die falsche, gegeben hatte. Der Graf verstand. Er sah[16] die falsche Schale an, die auf dem Tisch lag, und erkannte sie als die falsche. Er hatte nicht den Mut zu Einwänden. Er schluckte seinen Grimm hinunter. Er setzte sich hin und füllte einen Scheck aus. Seine Kinnbacken schlotterten in stiller Wut. Crammon strahlte. Die falsche Schale ließ er, wo sie war, fuhr am selbigen Tag nach Brüssel und holte sich die echte.

Quelle:
Jakob Wassermann: Christian Wahnschaffe. Berlin 56-591928, S. 14-17.
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