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[362] In den Stuben war ihnen öde zumut. Der Inspektor schloß sich in seine Kammer ein. Nur noch selten trat er seine abendlichen Gänge an, und seine Rockärmel und seine Hosenenden[362] bekamen immer längere Fransen. Er verfiel; sein Haar wurde schlohweiß, sein Schritt unsicher, und sein Auge erlosch. Aber er war niemals krank, er beklagte sein Schicksal nie. Er war ein stiller Kostgänger, ein stiller Mann.

Lenore zog wieder zum Vater hinauf, und Daniel bewohnte wieder sein Zimmer neben der Eßstube. Auf einmal war so viel Raum geworden; er wunderte sich, daß das Fortgehen eines einzigen Menschen so viel Raum schaffen könne.

Den Tag über blieb Lenore bei der kleinen Agnes, bis Philippine kam und sie ablöste. Dort arbeitete sie auch.

Wenn sie mit dem Schreiben fertig war, mußte sie sich um die Wirtschaft kümmern. Sie konnte nicht kochen und hatte auch eine Abneigung dagegen, es zu lernen. Deshalb hatte sie es eingerichtet, daß dreimal in der Woche eine Frau kam, die jedesmal für zwei, am Montag für drei Mittage das Essen bereitete. Die Frau war bescheiden und verlangte nicht viel. Die aufgehobenen Speisen brauchten dann nur gewärmt zu werden, und am Abend gab es Wurst und Butterbrot.

Es war eine praktische Anordnung, aber niemand lobte sie dafür.

Zuerst hatte sie auch die Nächte bei dem Kind verbracht, in Gertruds Kammer. Sie ertrug es bloß drei Wochen lang. Entweder konnte sie kein Auge schließen, oder sie hatte die schrecklichsten Träume.

Da nahm sie das Kind am Abend mit in ihre eigene Stube und machte ihm ein Bettchen auf dem Sofa. Das Kind war oben viel unruhiger als dort, wo es früher gewesen, und Lenore merkte wohl, daß sie bei einem so aufreibenden Leben von Kräften kam.

Oft in der Nacht, wenn sie bang und matt das weinende Kind in den Armen hielt, faßte sie den Vorsatz, mit Daniel zu reden, aber sobald es Tag geworden, konnte sie es nicht über sich gewinnen. Ihr dünkte, als ermahne sie Gertruds Stimme aus dem Land der Toten zur Geduld.[363]

Indes fühlte sie mit Angst die Zeit nahen, wo sie der harten Pflicht erliegen mußte, und da erschien wieder Philippine als Helferin.

Quelle:
Jakob Wassermann: Das Gänsemännchen, Berlin 88-911929, S. 362-364.
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