Zweiter Auftritt

[393] Gerardo, der Hoteldiener, später der Liftjunge.


GERARDO. Sie haben noch nicht fertig gepackt? – Wie lange brauchen Sie denn zum Packen?

DER BEDIENTE. Gleich bin ich fertig, Herr Kammersänger.

GERARDO. Aber rasch. Ich habe noch zu tun. Lassen Sie sehen. In einen der Koffer langend. Du barmherziger Himmel! Wissen Sie nicht, wie man eine Hose zusammenlegt? [393] Das Kleidungsstück herausnehmend. Nennen Sie das Packen? – Sehen Sie, da können Sie noch was lernen von mir. Sie müßten das doch besser wissen als ich. So nimmt man eine Hose. Dann hakt man hier oben zu. Dann nimmt man diese beiden Knöpfe. Sehen Sie diese Knöpfe hier, auf die kommt es an; dann – – zieht man die Hose straff. So! So! – Und dann legt man sie in – zwei – – Teile – zusammen. Sehen Sie, so! So behält die Hose ihre Fasson, und wenn sie hundert Jahr alt wird!

DER BEDIENTE sehr ehrfurchtsvoll, mit niedergeschlagenen Augen. Herr Kammersänger sind ja vielleicht einmal Schneider gewesen.

GERARDO. Was?! – Das gerade nicht – Dummkopf!! Ihm die Hose gebend. Da, packen Sie ein, aber etwas rasch.

DER BEDIENTE über den Koffer gebeugt. Es sind auch noch Briefe angekommen für Herrn Kammersänger.

GERARDO nach rechts gehend. Ja, ich habe sie schon gesehen.

DER BEDIENTE. Und Blumen!

GERARDO. Ja, ja. – – Er nimmt die Briefe aus der Schale und wirft sich vor dem Flügel in einen Faulteuil. – Machen Sie jetzt nur um Gottes willen, daß Sie fertig werden!


Der Bediente ins Nebenzimmer ab.


GERARDO öffnet die Briefe, durchfliegt sie mit strahlendem Lächeln, zerknittert sie und wirft sie unter den Sessel. In einem der Briefe liest er laut. »... Ihnen, meinem Gotte gehören! Für mein ganzes Leben mich unendlich glücklich machen, wie wenig Sie das kostet! Bedenken Sie ...« Dann für sich. Allmächtiger Himmel! Ich soll morgen abend in Brüssel den Tristan singen und weiß nicht eine Note mehr! – Nicht eine Note! – Nach der Uhr sehend. Halb vier. – Noch dreiviertel Stunden. – Da es klopft. Herrrrrein!

DER LIFTJUNGE einen Korb Champagner hereinschleppend. Ich soll das dem Herrn Kammersänger ...

GERARDO. Was? – Wer ist unten?

DER LIFTJUNGE. Ich solle das dem Herrn Kammersänger aufs Zimmer stellen.[394]

GERARDO sich erhebend. Was hast du denn? Ihm den Korb abnehmend. Danke.

DER LIFTJUNGE ab.

GERARDO den Korb nach vorn schleppend. Du barmherziger Gott, was soll ich damit anfangen! Liest die beigelegte Karte und ruft. Georg!

DER BEDIENTE den Arm voll Kleider, aus dem Nebenzimmer. Es ist das letzte, Herr Kammersänger. Verteilt es in die verschiedenen Koffer und schließt sie.

GERARDO. Gut. – Ich bin für niemanden hier!

DER BEDIENTE. Weiß ich, Herr Kammersänger.

GERARDO. Für niemanden!

DER BEDIENTE. Herr Kammersänger können ruhig sein. Ihm die Kofferschlüssel gebend. Die Schlüssel, Herr Kammersänger.

GERARDO die Schlüssel einsteckend. Für niemanden!

DER BEDIENTE. Die Koffer werden sofort heruntergetragen.


Will gehen.


GERARDO. Warten Sie ...

DER BEDIENTE kommt zurück. Herr Kammersänger ...

GERARDO gibt ihm ein Trinkgeld. Für niemanden!!

DER BEDIENTE. Danke gehorsamst. Ab.


Quelle:
Frank Wedekind: Werke in drei Bänden. Berlin und Weimar 1969, S. 393-395.
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Werke, 8 Bde. in 11 Tl.-Bdn., Bd.4, Der Kammersänger; Ein Genußmensch