Dritter Auftritt

[265] Lulu. Schön.


SCHÖN. Was tut denn Ihr Vater hier?

LULU. Was haben Sie?

SCHÖN. Wenn ich Ihr Mann wäre, käme mir dieser Mensch nicht über die Schwelle.

LULU. Sie können getrost »du« sagen; er ist nicht hier.

SCHÖN. Ich danke für die Ehre.

LULU. Ich verstehe nicht.

SCHÖN. Das weiß ich. Ihr einen Sessel bietend. Darüber möchte ich nämlich gerne mit Ihnen sprechen.

LULU sich unsicher setzend. Warum haben Sie mir denn das nicht gestern gesagt?

SCHÖN. Bitte, jetzt nichts von gestern. Ich habe es Ihnen vor zwei Jahren schon gesagt.

LULU nervös. Ach so. Hm.

SCHÖN. Ich bitte dich, deine Besuche bei mir einzustellen.

LULU. Darf ich Ihnen ein Elixier ...

SCHÖN. Danke. Kein Elixier. Haben Sie mich verstanden?

LULU schüttelt den Kopf.

SCHÖN. Gut. Sie haben die Wahl. – Sie zwingen mich zu den äußersten Mitteln – entweder sich Ihrer Stellung angemessen zu benehmen ...

LULU. Oder?

SCHÖN. Oder – Sie zwingen mich – ich müßte mich an diejenige Persönlichkeit wenden, die für Ihre Aufführung verantwortlich ist.

LULU. Wie stellen Sie sich das vor?

SCHÖN. Ich ersuche Ihren Mann, Ihre Wege selber zu überwachen.

LULU erhebt sich, geht links die Stufen hinan.

SCHÖN. Wo wollen Sie denn hin?

LULU ruft unter der Portiere. Walter!

SCHÖN aufspringend. Bist du verrückt?!

LULU sich zurückwendend. Aha!

SCHÖN. Ich mache die übermenschlichsten Anstrengungen, um dich in der Gesellschaft zu erhöhen. Auf deinen Namen[265] kannst du zehnmal stolzer sein als auf meine Vertraulichkeit ...

LULU kommt die Stufen herunter, legt Schön den Arm um den Hals. Was fürchten Sie denn jetzt noch, wo Sie am Ziel Ihrer Wünsche sind?

SCHÖN. Keine Komödie! Am Ziel meiner Wünsche? Ich habe mich verlobt, endlich! Ich habe jetzt den Wunsch, meine Braut unter ein reines Dach zu führen.

LULU sich setzend. Sie ist zum Entzücken aufgeblüht in den zwei Jahren.

SCHÖN. Sie sieht einem nicht mehr so ernsthaft durch den Kopf.

LULU. Sie ist jetzt erst ganz Weib. Wir können einander treffen, wo es Ihnen angemessen scheint.

SCHÖN. Wir werden einander nirgends treffen, es sei denn in Gesellschaft Ihres Mannes!

LULU. Sie glauben selber nicht an das, was Sie sagen.

SCHÖN. Dann muß doch er daran glauben. Ruf ihn nur! Durch seine Verheiratung mit dir, durch das, was ich für ihn getan, ist er mein Freund geworden.

LULU sich erhebend. Meiner auch.

SCHÖN. Dann werde ich mir das Schwert über dem Kopf herunterschneiden.

LULU. Sie haben mich ja an die Kette gelegt. Ihnen verdanke ich doch mein Glück. Sie bekommen Freunde die Menge, wenn Sie erst wieder eine hübsche junge Frau haben.

SCHÖN. Du beurteilst die Frauen nach dir! – Er ist ein Kindergemüt. Er wäre deinen Seitensprüngen sonst längst auf die Spur gekommen.

LULU. Ich wünsche nicht mehr! Er würde seine Kinderschuhe dann endlich ausziehen. Er pocht darauf, daß er den Heiratskontrakt in der Tasche hat. Die Mühe ist überstanden. Jetzt kann man sich geben und sicher gehenlassen, wie zu Hause. Er ist kein Kindergemüt! Er ist banal. Er hat keine Erziehung. Er sieht nichts. Er sieht mich nicht und sich nicht. Er ist blind, blind, blind ...

SCHÖN halb für sich. Wenn dem die Augen aufgehen!!

LULU. Öffnen Sie ihm die Augen! Ich verkomme. Ich vernachlässige mich. Er kennt mich gar nicht. Was bin ich ihm. Er nennt mich Schätzchen und kleines Teufelchen. Er würde jeder Klavierlehrerin das gleiche sagen. Er erhebt[266] keine Prätensionen. Alles ist ihm recht. Das kommt, weil er nie in seinem Leben das Bedürfnis gefühlt hat, mit Frauen zu verkehren.

SCHÖN. Ob das wahr ist!

LULU. Er gesteht es ja ganz offen ein.

SCHÖN. Jemand, der seit seinem vierzehnten Jahr Krethi und Plethi porträtiert.

LULU. Er hat Angst vor Frauen. Er bebt für sein Wohlbefinden. – Mich fürchtet er nicht!

SCHÖN. Wie manches Mädchen würde sich in deinem Fall Gott weiß wie selig preisen.

LULU zärtlich bittend. Verführen Sie ihn. Sie verstehen sich darauf. Bringen Sie ihn in schlechte Gesellschaft. Sie haben die Bekanntschaften. Ich bin ihm nichts als Weib und wieder Weib. Ich fühle mich so blamiert. Er wird stolzer auf mich sein. Er kennt keine Unterschiede. Ich denke mir das Hirn aus, Tag und Nacht, um ihn aufzurütteln. In meiner Verzweiflung tanze ich Cancan. Er gähnt und faselt etwas von Obszönität.

SCHÖN. Unsinn. Er ist doch Künstler.

LULU. Er glaubt es wenigstens zu sein.

SCHÖN. Das ist schon die Hauptsache!

LULU. Wenn ich mich als Modell hinstelle. Er glaubt auch, er sei ein berühmter Mann.

SCHÖN. Dazu haben wir ihn auch gemacht!

LULU. Er glaubt alles! Er ist mißtrauisch wie ein Dieb und läßt sich anlügen, daß man jeden Respekt verliert. Als wir uns kennenlernten, machte ich ihm weis, ich hätte noch nie geliebt ...

SCHÖN fällt in einen Lehnsessel.

LULU. Er hätte mich ja sonst für ein verworfenes Geschöpf gehalten!

SCHÖN. – Du stellst weiß Gott was für exorbitante Anforderungen an legitime Verhältnisse!

LULU. Ich stelle keine exorbitanten Anforderungen. Oft träumt mir sogar noch von Goll.

SCHÖN. Der war allerdings nicht banal.

LULU. Er ist da, als wär er nie fortgewesen. Nur geht er wie auf Socken. Er ist mir nicht böse. Er ist furchtbar traurig.[267] Und dann ist er furchtsam, als wäre er ohne polizeiliche Erlaubnis da. Sonst fühlt er sich behaglich mit uns. Nur kommt er nicht darüber hinweg, daß ich seither so viel Geld zum Fenster hinausgeworfen habe ...

SCHÖN. Du sehnst dich nach der Peitsche zurück!

LULU. Mag sein. Ich tanze nicht mehr.

SCHÖN. Erzieh ihn dir dazu.

LULU. Das wäre verlorene Müh!

SCHÖN. Unter hundert Frauen sind neunzig, die sich ihre Männer erziehen.

LULU. Er liebt mich.

SCHÖN. Das ist freilich fatal.

LULU. Er liebt mich ...

SCHÖN. Das ist eine unüberbrückbare Kluft.

LULU. Er kennt mich nicht, aber er liebt mich! Hätte er nur eine annähernd richtige Vorstellung von mir, er würde mir einen Stein an den Hals binden und mich im Meer versenken, wo es am tiefsten ist!

SCHÖN sich erhebend. Kommen wir zu Ende!

LULU. Wie Ihnen beliebt.

SCHÖN. Ich habe dich verheiratet. Ich habe dich zweimal verheiratet. Du lebst im Luxus. Ich habe deinem Mann eine Position geschaffen. Wenn dir das nicht genügt und er sich dazu ins Fäustchen lacht, ich trage mich nicht mit idealen Forderungen, aber – laß mich dabei aus dem Spiel!

LULU mit entschlossenem Ton. Wenn ich einem Menschen auf dieser Welt angehöre, gehöre ich Ihnen. Ohne Sie wäre ich – ich will nicht sagen wo. Sie haben mich bei der Hand genommen, mir zu essen gegeben, mich kleiden lassen, als ich Ihnen die Uhr stehlen wollte. Glauben Sie, das vergißt sich? Jeder andere hätte den Schutzmann gerufen. Sie haben mich zur Schule geschickt und mich Lebensart lernen lassen. Wer außer Ihnen auf der ganzen Welt hat je etwas für mich übrig gehabt? Ich habe getanzt und Modell gestanden und war froh, meinen Lebensunterhalt damit verdienen zu können. Aber auf Kommando lieben, das kann ich nicht!

SCHÖN die Stimme hebend. Laß mich aus dem Spiel! Tu was du willst. Ich komme nicht, um Skandal zu machen. Ich[268] komme, um mir den Skandal vom Halse zu schaffen. Meine Verbindung kostet mich Opfer genug! Ich hatte vorausgesetzt, mit einem gesunden jungen Mann, wie ihn sich eine Frau in deinem Alter nicht besser wünschen kann, würdest du dich endlich zufrieden geben. Wenn du mir verpflichtet bist, dann wirf dich mir nicht zum drittenmal in den Weg! Soll ich denn noch länger warten, bis ich mein Teil in Sicherheit bringe? Soll ich riskieren, daß mir der ganze Erfolg meiner Konzessionen nach zwei Jahren wieder ins Wasser fällt? Was hilft mir dein Verheiratetsein, wenn man dich zu jeder Stunde des Tages bei mir ein und aus gehen sieht? Warum zum Teufel ist Dr. Goll nicht auch wenigstens ein Jahr noch am Leben geblieben! Bei dem warst du in Verwahrung. Dann hätte ich meine Frau längst unter Dach!

LULU. Was hätten Sie dann! Das Kind fällt Ihnen auf die Nerven. Das Kind ist zu unverdorben für Sie. Das Kind ist viel zu sorgfältig erzogen. Was sollte ich gegen Ihre Verheiratung haben! Aber Sie täuschen sich über sich selber, wenn Sie glauben, mir Ihrer bevorstehenden Verheiratung wegen Ihre Verachtung zum Ausdruck geben zu dürfen!

SCHÖN. Verachtung?! – Ich werde dem Kind schon die richtige Fasson geben! Wenn etwas verachtenswert ist, so sind es deine Intrigen!

LULU lachend. Bin ich auf das Kind eifersüchtig? – Das kann mir doch gar nicht einfallen ...

SCHÖN. Wieso denn das Kind! Das Kind ist nicht einmal ein ganzes Jahr jünger als du. Laß mir meine Freiheit, zu leben, was ich noch zu leben habe! Sei das Kind erzogen, wie es will, das Kind hat geradeso wie du seine fünf Sinne ...[269]


Quelle:
Frank Wedekind: Werke in drei Bänden. Berlin und Weimar 1969, S. 265-270.
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