Neunter Auftritt


[178] Schwigerling. Fürst.


FÜRST von links hinten eintretend, reicht Schwigerling die Hand. Haben Sie Ihre Eleven schon gesehen, mein lieber Feodor ...

SCHWIGERLING. Ich komme, wie Sie mich sehen, aus dem Dorfwirtshaus, in dem ich übernachtete.

FÜRST. Wie hieß Ihr Vater?

SCHWIGERLING. Peter Schwigerling.

FÜRST. Sie können Ihre Lektionen gleich beginnen, mein lieber Feodor Petrowitsch. Ihre Mutter war Zigeunerin?

SCHWIGERLING. Vollblut-Zigeunerin.

FÜRST. Seien Sie mir willkommen. Sehen Sie, ich lege keinen Wert darauf, daß Sie Ihre Zöglinge zu Stubengelehrten machen. Ob sie nun wissen, wo Mailand oder Finnland liegt, das kann ihnen nichts helfen. Mir ist die Hauptsache, daß sie in der Gesellschaft mitsprechen können. Meine Kinder, wissen Sie, sollen eine Rolle in ihren Kreisen spielen, wie sie ihr Vater als junger Leutnant in Moskau gespielt hat. Ich sage Ihnen ...

SCHWIGERLING. Sie haben Ihren Ofen mit welken Kamelien geheizt. Es soll kein Gebiet geben, sei es Pferdekenntnis, Sozialpolitik, Bakkarat, Spiritismus, oder die Emanzipation der Weiblichkeit, auf dem meine Zöglinge nicht absolut sattelfest sind.[178]

FÜRST. Gut, Feodor Petrowitsch. Aber zuerst müssen Sie ihnen Savoir-vivre beibringen.

SCHWIGERLING. Versteht sich, Durchlaucht. Es existiert keine Verlegenheit, nicht die fatalste Situation, aus der meine Zöglinge nicht den richtigen Ausweg zu finden wissen, sei es nun mit dem Degen in der Hand oder über die Hintertreppe.

FÜRST. Vortrefflich! Die Hintertreppe dürfen Sie nicht vergessen. – Und dann sollen Sie sie in fremden Sprachen unterrichten.

SCHWIGERLING. Wieviel wünschen Durchlaucht?

FÜRST. Wieviel sprechen Sie?

SCHWIGERLING. Alle.

FÜRST. Dann bringen Sie ihnen soviel wie möglich bei. Bei unseren Eisenbahnen weiß man nie, wo man hinfährt. Sie können immer gleich zwei zusammennehmen.

SCHWIGERLING. Versteht sich. Ich expliziere das Französisch auf Englisch, das Englische auf Italienisch, das Italienisch auf Spanisch, das Spanisch auf Türkisch und das Türkisch wieder auf Französisch. Etwas bleibt immer haften.

FÜRST. Etwas bleibt immer haften, Feodor Petrowitsch. Und was Ihre Methode betrifft, so verfahren Sie nur ganz wie im Zirkus.

SCHWIGERLING. Natürlich. Für jedes Wort, das sitzenbleibt, bekommen sie ein Stück Zucker.

FÜRST. Das brauchen sie nicht. Aber für jedes Wort, das nicht sitzenbleibt, bekommen sie ... Er zieht eine Knute aus der Tasche und knallt.

SCHWIGERLING. Danke, das brauche ich nicht.

FÜRST. Das brauchen Sie nicht?

SCHWIGERLING. Ich habe letzten Winter bei Renz ein junges Schwein ohne einen Peitschenhieb abgerichtet.

FÜRST. Das müssen Sie brauchen, lieber Freund.

SCHWIGERLING. Ich verzichte darauf.

FÜRST. Kommen Sie mir nicht mit Nihilismus! Wozu engagiere ich Sie denn. Ich bin mit der Knute erzogen worden, mein Vater ist mit der Knute erzogen worden. Ich habe Sie als Hauslehrer für meine Kinder gewählt, weil Sie damit umzugehen wissen.[179]

SCHWIGERLING. In diesem Falle ersuche ich Durchlaucht ...

FÜRST auffahrend. Was wollen Sie?

SCHWIGERLING. Ich gebe Ihnen mein Wort, ich habe dem Schwein alles beigebracht, was Sie einem halbwegs talentierten Schwein beibringen können. Es tanzt auf dem Seil, es berechnet Ihnen den Gang der Planeten im Kopf ...

FÜRST. Ein Schwein, mein Herr, mag sich das ohne Knute gefallen lassen. Hier haben Sie es nicht mit Schweinen zu tun!

SCHWIGERLING erregt. Hier habe ich es hoffentlich ...

FÜRST. Schweigen Sie, oder ... Schwingt die Knute.

SCHWIGERLING ruhig. Oder?

FÜRST sich besinnend. Ich lasse Sie vor die Türe werfen. Meine Kinder sind von der Wiege auf an die Knute gewöhnt. Wenn die drei Stunden aufhören, Striemen zu spüren, dann tanzen sie Ihnen auf der Nase herum. Das kann ich von einer Schweizer Gouvernante billiger haben. Wenn Sie ihnen Savoir-vivre beibringen wollen, dann müssen Sie etwas in der Hand haben. Ich will Ihnen zeigen, wie man Kinder erzieht, Öffnet die Tür links und ruft. Enjuscha, Alioscha! Holla!

SCHWIGERLING. Den hätte Renz nicht den Stall putzen lassen!


Quelle:
Frank Wedekind: Werke in drei Bänden. Berlin und Weimar 1969, S. 178-180.
Lizenz:
Kategorien: