Erster Auftritt


[212] Schwigerling. Die Fürstin. Später Cölestin.

Fürstin links vorn im Lehnsessel.


SCHWIGERLING auf und nieder gehend. Ein Drama werde ich darüber schreiben! Ein Drama in drei Aufzügen! Ich werde das Drama in sämtliche Sprachen der Welt übersetzen! Ich werde selber die Titelrolle spielen! Ich werde die Titelrolle in sämtlichen Sprachen der Welt spielen! Die Welt soll sich darüber auf den Kopf stellen, was es in Rußland für Fürsten gibt!

FÜRSTIN. Iwan Michailowitsch ist an alledem so unschuldig wie ein neugeborenes Kind.

SCHWIGERLING. Du hattest ihn natürlich selber mit deiner unseligen Engelsschönheit umgarnt?!

FÜRSTIN. Ein anderer, mein Freund. Ganz ein andrer. Ein Amerikaner. Er war Lebensversicherungsagent!

SCHWIGERLING. Ha, der Yankee hat sich wohl sein kostbares Leben durch dich versichert!

FÜRSTIN. Er erwirkte mir ein Engagement bei Barnum. Oh, er hat Millionen mit mir verdient.

SCHWIGERLING. Und ich ringe derweil auf Jahrmarkt und Kirchweih mit dem krassen Tod um mein elendes bißchen Unterhalt!

FÜRSTIN. Er hat mich behandelt wie nie ein Sklavenhalter seine armseligen Opfer behandelt hat. Abend für Abend ließ er mich den paphlagonischen Tauchersprung ausführen.

SCHWIGERLING sarkastisch. Dafür war er ja Lebensversicherungsagent!

FÜRSTIN. Als ich mir dann in Barnums Trapezen alle Rippen gebrochen, bildete er mich zur Bauchtänzerin aus.

SCHWIGERLING für sich. Kanaille!

FÜRSTIN. Und so wurde ich denn wieder ein Star ersten Ranges auf allen Schaubühnen der Union. Aber er merkte wohl,[212] daß es mit meiner Herrlichkeit zu Ende ging. Der Fürchterliche trug sich eben mit dem Plan, mich von oben bis unten mit Hieroglyphen zu tätowieren, um mich auf der Ausstellung von Philadelphia als eine Kriegsbeute der Indianer sehen zu lassen, da lief ihm zu meiner und seiner Erlösung Fürst Rogoschin in den Weg. Mein Amerikaner durchschaute den Fürsten auf den ersten Blick; offenbar schien es ihm die höchste Zeit mit mir. Und so verschacherte er mich denn für die Unsumme von hundertfünfzigtausend Dollar als die »Jungfrau vom Colorado-River« an den Fürsten Rogoschin. Er hatte das Geld dringend nötig. Ich ging ohne Widerstreben darauf ein, nur um den Ärmsten vor dem äußersten Elend zu retten.

SCHWIGERLING rechts vorn, in tiefstem Ingrimm. Hättest du ihn doch im Rinnstein krepieren lassen!

CÖLESTIN links hinten, vorsichtig den Kopf hereinsteckend. Gräfin Katharina nicht hier?

SCHWIGERLING. Scher dich zum Henker!


Cölestin verschwindet.


FÜRSTIN sich erhebend. Sieh zu, lieber Junge, wie du wieder in dein freies fröhliches Element hinausgelangst.

SCHWIGERLING sie umarmend. Meine erste Frau!

FÜRSTIN. Ich hatte dich gleich erkannt.

SCHWIGERLING. Laß uns fliehen, Cordelia! Laß uns den Frühling in unsere Herzen zurückrufen!

FÜRSTIN. Wo denkst du hin. Ich harre ruhig aus, wo Gott mich vor Anker gelegt hat.

SCHWIGERLING. Mein armes Kind!

FÜRSTIN. Spar dein Mitleid! Iwan Michailowitsch verrät mich so leicht nicht.

SCHWIGERLING. Der Schurke!

FÜRSTIN. Er ist ein besserer Mensch, als er zu sein glaubt.

SCHWIGERLING. Du knospender Kelch meiner kindlichen Trunkenheit!

FÜRSTIN. Du würdest es ja doch bereuen, mich zum zweitenmal gepflückt zu haben.

SCHWIGERLING. Eher den Tod, Cordelia!

FÜRSTIN. Gewiß, ich kenne dich. Sie küßt ihn.[213]

SCHWIGERLING unter Tränen. Meine erste Frau! Sie drücken sich innig die Hände.


Die Fürstin rechts, Schwigerling links vorn ab.


Quelle:
Frank Wedekind: Werke in drei Bänden. Berlin und Weimar 1969, S. 212-214.
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