Dritter Auftritt


[215] Katharina. Der Fürst.

Katharina, in stahlgrauem Reitkleid, tritt rechts vorn ein, bleibt in der Tür stehen.


FÜRST hat sich rasch umgewandt. Und wenn du ein ganzes Ballettkorps wärst!

KATHARINA. Ich komme, Iwan Michailowitsch, um Abschied zu nehmen ...

FÜRST tonlos. Und wenn du ein ganzes Ballettkorps wärst ...

KATHARINA. Ich gedachte ursprünglich ohne Ihre gütige Einwilligung zu reisen, aber ich habe schließlich achtzehn Monate lang Ihr Brot gegessen.

FÜRST. Was haben Sie gegessen?

KATHARINA. Ich reise zu meiner Freundin Anna Sergejewna nach Schottland. Anna Sergejewna hält zwanzig Rassepferde, englisches Vollblut. Sie hat zweimal den großen Preis in Paris gewonnen.

FÜRST. Ich hoffe, Komtesse, daß Sie für die Bedürfnisse Ihres Herzens vollste Befriedigung in Paris finden.

KATHARINA. Die Bedürfnisse meines Herzens sind allerdings anderer Art. Indessen immer noch lieber eine atemlose Steeplechase als die markverzehrende Langeweile in Ihrer Umgebung.

FÜRST für sich. Das ist deutlich; o diese Weiber! Ich bringe sie zur Verzweiflung! – Ihr die Hand reichend. Leben Sie wohl![215]

KATHARINA. Wo wollen Sie denn hin?

FÜRST gleichgültig. Was kümmert Sie das? Ich gehe! Ich gehe, wohin ich gehen will.

KATHARINA. Sie sind verrückt geworden?

FÜRST kokett. Kathinka!

KATHARINA. Was wollen Sie denn?

FÜRST. Geben Sie den Kampf auf! Er tänzelt auf sie zu.

KATHARINA. Ich begreife Sie nicht. Was wollen Sie damit sagen?

FÜRST. Muten Sie Ihrer Natur nicht zuviel zu. Ich weiß ja, daß Sie ein starkes Mädchen sind.

KATHARINA. Ich sage Ihnen, ich begreife Sie nicht. Sie sind zu dumm dazu. Sie sind zu dumm, als daß ein vernünftiger Mensch Sie begreifen könnte.

FÜRST. Ich begreife Sie um so besser. Machen Sie Ihrem Jammer ein Ende.

KATHARINA. Sie hören ja. daß ich meinem Jammer ein Ende mache.

FÜRST. Sie hegen doch seit gestern andere Gefühle für mich.

KATHARINA. Versteht sich, nachdem Sie meinen Lämmergeier haben hinschlachten lassen.

FÜRST. Dazu habe ich ihn ja auch hinschlachten lassen!


Katharina geht mit geballten Fäusten auf ihn zu.


FÜRST in freudiger Erwartung. Sie explodiert! Sie explodiert!

KATHARINA sich besinnend. In Schottland bin ich vor Ihren Brutalitäten in Sicherheit.

FÜRST. Katharina, ich kann Sie nicht länger so jammervoll leiden sehen.

KATHARINA. Mir scheint, Sie haben die letzte Unze Verstand verloren.

FÜRST. Sparen Sie doch Ihre Kräfte!

KATHARINA. Wenn Sie den Abschied durchaus kurz machen wollen. –

FÜRST flehentlich. Sparen Sie Ihre Kräfte, Kathinka!

KATHARINA. Nun gut. Will gehen.

FÜRST. Sparen Sie Ihre Kräfte für schönere Zwecke!

KATHARINA sehr ernst. Mit meiner Kraft ist es nicht so weit her, Iwan Michailowitsch. Sie täuschen sich über meine Kräfte. Jetzt, wo ich in die Welt hinausgehe, fühle ich es erst recht, wie schwach ich bin.[216]

FÜRST. Was fühlen Sie?

KATHARINA. Ich fühle, wie schwach ich bin, Iwan Michailowitsch.

FÜRST in einen Sessel sinkend. Ich auch.

KATHARINA. Denken Sie deswegen nicht schlecht von mir. Sie reicht ihm die Hand.

FÜRST dumpf vor sich hin. Dieser Werwolf! – Dieser Höllenhund! – Dieser Judas!

KATHARINA teilnahmsvoll. Sie sind krank?

FÜRST. Dieser Mamelucke!

KATHARINA. Lassen Sie sich einen kalten Wickel machen.

FÜRST. Einen kalten Wickel!

KATHARINA. Sie bedürfen der Ruhe.

FÜRST aufspringend. Einen kalten Wickel! Um den Hals einen kalten Wickel! Bis er grün und blau im Gesicht wird! Pfeifen soll mir der Hund! Ab nach links.

KATHARINA sieht ihm nach. Es ist nichts mit ihm anzufangen. – Wo nur Cölestin bleibt. Ab nach rechts hinten.


Quelle:
Frank Wedekind: Werke in drei Bänden. Berlin und Weimar 1969, S. 215-217.
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