Siebenter Auftritt


[219] Fürstin. Enjuscha. Alioscha. Schwigerling.


FÜRSTIN Enjuscha und Alioscha an der Hand hereinführend von rechts hinten. Ach, Gott sei Dank, da bist du!

SCHWIGERLING schließt sie in die Arme und führt sie nach vorn. Meine erste Frau!

FÜRSTIN. Wie konnte ich Ärmste denn ahnen, daß du mich so grenzenlos liebbehalten hast!

SCHWIGERLING. Wie konntest du je daran zweifeln!

FÜRSTIN. So sei es denn! Ich folge dir, wohin du willst, wohin du gehst. Ich habe die Kinder hergebracht, um mich auf ewig von ihnen zu verabschieden.

SCHWIGERLING für sich. Barmherzige Allmacht.[219]

FÜRSTIN. Wohin es sei, nach Asien, nach Afrika, nach Australien! Ich folge dir, um dich für die endlos langen Jahre der Entbehrung zu entschädigen.

SCHWIGERLING. Dank, Dank, Cordelia. Aber ich bin eines so beschämenden Opfers nicht würdig.

FÜRSTIN. Oh, es ist kein Opfer, mein Freund! Ich gehe so gerne mit dir wie damals, als du mich aus der Seiltänzerbude meines Vaters raubtest.

SCHWIGERLING. Ich war ein unbesonnener Knabe!

FÜRSTIN. Und heute bist du mehr als ein Knabe. Du bist ein Mann! Ich kann dich unmöglich zum zweitenmal der Verzweiflung überantworten!

SCHWIGERLING. Ich trage mein Los mit Fassung.

FÜRSTIN. Aber du mußt nachholen, was du während all der Jahre versäumt hast. Von jetzt an sollst du doppelt und dreifach und vierfach genießen, solang noch ein warmes Herz in dieser Brust schlägt.

SCHWIGERLING. Das wäre alles schon und gut, liebe Cordelia, wenn ich noch als derselbe vor dir stände, den du damals verlassen hast. Aber auch ich – ich habe mich nicht völlig schuldlos bewahrt.

FÜRSTIN. Solche Kleinigkeiten kümmern mich nicht, das ist doch selbstverständlich!

SCHWIGERLING. Nein, nein, Kleinigkeiten waren das nicht. Laß mich lieber darüber schweigen.

FÜRSTIN. Sei's denn! Es ist dein eigener Nachteil. Du warst immer zu großmütig. – Kommt denn, Kinder, und dankt ihm, der um euretwillen auf eure Mutter verzichtet.

SCHWIGERLING die Kinder in die Arme schließend, gerührt. Ich kann euch leider nicht Vater sein ...

ALIOSCHA. Nehmen Sie uns denn nicht mit in den Zirkus?

SCHWIGERLING. Das nächste Mal, wenn ich wiederkomme. – Ich muß euch hilflos zurücklassen ...

FÜRSTIN. Mach dir das Herz nicht schwer.

SCHWIGERLING eine Träne trocknend. O Gott ...

FÜRSTIN die Kinder bei der Hand nehmend. Kommt, kommt! Führt sie nach rechts hinten. Er wäre imstande und schleppte statt meiner die Kinder mit! Nachdem sie die Kinder hinausgeschoben. Und nun laß mich dir wenigstens Mutter sein.[220]

SCHWIGERLING. Von ganzem Herzen. Ich sehe mich hier nämlich in der fatalsten Lage der Welt.

FÜRSTIN. Das sieht sich hier jeder.

SCHWIGERLING. So? – Ich werde aufgeknüpft, wenn ich deinem Gebieter nicht bis heute abend die Gräfin in die Arme liefere.

FÜRSTIN nach kurzem Besinnen. Das wird sich nicht machen lassen.

SCHWIGERLING. Nicht?

FÜRSTIN. Er ist ihr zu dumm.

SCHWIGERLING. Das hat sie mir auch gesagt.

FÜRSTIN. Ich kann es ihr nicht verdenken.

SCHWIGERLING. Das habe ich ihr auch gesagt. – Und wenn es sich machen ließe ...

FÜRSTIN. Du tätest es nicht!

SCHWIGERLING. Nein!

FÜRSTIN. Aus Liebe zu mir!

SCHWIGERLING. In erster Linie. Und dann ...

FÜRSTIN ihn freudig umarmend. Ha, mein Prachtjunge!

SCHWIGERLING. Was ist dir?

FÜRSTIN. Mein Herzblatt! Mein inniggeliebter Prachtjunge!

SCHWIGERLING. Was hast du denn?

FÜRSTIN. Also doch! Also doch! Na, Gott sei Dank!

SCHWIGERLING gefühlvoll. Cordelia! – Er hat recht, er hat recht ...

FÜRSTIN. Mir ahnte es ja längst, du ... Küßt ihn. herrlicher Mensch!

SCHWIGERLING. Eine Sphinx!

FÜRSTIN. Nun komm. Wir beide werden schon einen Ausweg ausfindig machen. Man hört den Fürsten. Denken wir in aller Ruhe darüber nach. Sie geleitet ihn rechts hinten hinaus.


Quelle:
Frank Wedekind: Werke in drei Bänden. Berlin und Weimar 1969, S. 219-221.
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