12.

[66] Auf meiner Lippe brennend Rot

Blüht nun die fürchterlichste Not,

Da blüht wie auf verdorrter Flur

Das bittre Kraut des Durstes nur.
[66]

Zwar hab ich frühe schon und spät

Versucht, was mich kurieren tät:

Liebfrauenmilch genoß ich schon

Als neugeborner junger Sohn.


Und frischte drauf den trocknen Schlund

Mit Wein aus Spanien und Burgund.

Ja mehr des goldnen Weins ich trank,

Als Regen auf die Felder sank,


Als Wasser einst im Meere floß,

Drin Pharao mit Mann und Roß

Zugrunde ging! Ja Wein soviel,

Als Wasser übern Rheinfall fiel! –


Doch immer, wie zu alter Zeit,

Plagt mich dasselbe Kreuz und Leid;

Es stachelt mich des Durstes Dolch,

Als bissen Schlangen mich und Molch.


Und preßtet ihr am ganzen Rhein

All Trauben in ein Faß hinein:

Ich tränk es aus auf einen Zug –

Und hätt noch immer nicht genug.


Und nähmt ihr aus dem ew'gen Rom

Die Kuppel von Sankt Petri Dom

Und fülltet sie mit rotem Wein –

Der Becher wär mir noch zu klein!
[67]

Drum hab ich lange schon gesagt:

O schrecklich, wen das Dürsten plagt!

Er ist wie ein verlaßnes Kind,

Das nirgends Ruh und Freude find't.


Quelle:
Georg Weerth: Sämtliche Werke in fünf Bänden. Band 1, Berlin 1956/57, S. 66-68.
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