19.

[76] Gott grüß dich, alte Schenke,

Mit deinem runden Schild!

O gib ein gut Getränke,

Das meinen Kummer stillt.

O gib vom selben Weine,

den ich in Lust und Not

Wohl trank beim Abendscheine

Mit Freunden, die nun tot.


Da draußen stand die Erle

Und schlug ans Fenster leis;

Hier innen stieg die Perle

Im Glase silberweiß.

Und ringsumher Gesichter,

So lieb und wohlbekannt:

Der alte Friedensrichter

Saß oben an der Wand
[76]

In rotgeblümter Weste –

Ich mein, ich säh ihn noch,

Wenn er die andren Gäste

So fürchterlich belog,

Wenn er vom letzten Kriege

Erzählte wie ein Buch

Und fluchend nach 'ner Fliege

Mit beiden Fäusten schlug.


Ganz nah an seiner Seite,

Die Brille auf der Nas,

Der wunderbar gescheite

Magister loci saß.

In Heidelberg studiert' er

Philosophie und Jus,

Und sonderlich zitiert' er

Den Jobs und Tacitus.


Es lärmt' und schrie so heiser

Der dünne Advokat,

Die Kön'ge und die Kaiser

In Acht und Bann er tat.

Mit seinem Ziegenhainer

Hätt er sie gern entthront,

Auch hat den Nierensteiner

Er nimmermehr geschont.
[77]

Er trank – nur einer fand sich,

Der schärfer trank als er:

Trank er der Schoppen zwanzig –

Der Küster trank noch mehr!

Mit würdevollen Mienen

Sah er ins Glas hinein,

Wie Schimmer von Rubinen

War seiner Wangen Schein,


Und seine Stimme tönte

So schauerlichen Baß,

Als ob im Keller dröhnte

Ein altes Mutterfaß,

Als ob die Orgeln brummten

In aller Christenheit –

Wir staunten und verstummten

Für eine lange Zeit.


Und jedem Herzen bangte,

Bis daß der Musikant

Die braune Geige langte

Hernieder von der Wand.

Er strich die glatten Saiten,

Er strich sie hell und rein;

Wir täten ihn begleiten

Mit einem Chorus fein.
[78]

So war es einst! – Gekommen

Ist nun der Winter kalt,

Hat Blum' und Blut genommen

Aus Wiesen, Berg und Wald.

Verschwunden und vergessen

Sind, ach, für immerdar,

Die fröhlich hier gesessen

Manch langes liebes Jahr;


Die einst in Lust geschwommen

Und großer Freudigkeit,

Wenn da ins Land gekommen

Die Krammetsvögelzeit;

Die im gewölbten Saale

Erhuben Klang und Sang,

Wenn man zum ersten Male

Den neuen Weißen trank;


Die sich zusammenfanden

An Sankt Martini Tag,

Wenn man in allen Landen

Die Gans zu essen pflag;

Die nie nach Hause kamen,

Als wenn sie still entzückt

Und auch in Gottes Namen

Einen Rausch darauf gedrückt.
[79]

Was mag es doch bedeuten,

Mein Herz ist so voll Gram?

Die Abendglocken läuten

Da draußen wundersam.

Ich sah den Mond erscheinen,

Der durch die Wolken bricht,

Und weiß nicht, soll ich weinen,

Oder wein ich lieber nicht?


Drum hurtig zugegossen!

Ein überschäumend Glas:

Den seligen Genossen,

Euch Toten bring ich das!

Bis in die Gräber rauschet

Wohl dieser volle Klang:

Ihr fahrt empor und lauschet

Und winket: »Habe Dank!«
[80]

Quelle:
Georg Weerth: Sämtliche Werke in fünf Bänden. Band 1, Berlin 1956/57, S. 76-81.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Hoffmann, E. T. A.

Nachtstücke

Nachtstücke

E.T.A. Hoffmanns zweiter Erzählzyklus versucht 1817 durch den Hinweis auf den »Verfasser der Fantasiestücke in Callots Manier« an den großen Erfolg des ersten anzuknüpfen. Die Nachtstücke thematisieren vor allem die dunkle Seite der Seele, das Unheimliche und das Grauenvolle. Diese acht Erzählungen sind enthalten: Der Sandmann, Ignaz Denner, Die Jesuiterkirche in G., Das Sanctus, Das öde Haus, Das Majorat, Das Gelübde, Das steinerne Herz

244 Seiten, 8.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier III. Neun weitere Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier III. Neun weitere Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Für den dritten Band hat Michael Holzinger neun weitere Meistererzählungen aus dem Biedermeier zusammengefasst.

444 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon