5.

[276] Da klang durch die Berge ein Posthorn hell;

Es klang immer lust'ger und froher.

»Das ist, ich wette, der Postillon

Von Lonjumeau, lieber Herr Soherr!«
[276]

Doch Soherr spitzte sein Ohr und sprach:

»Sie irren sich! An den hellen

Tönen, da hör ich, es ist die Post,

Die kommt von der heil'gen Stadt Köllen!


Die bringt uns die Kölnische Zeitung.« – Und

Mein Jubel, der wollte nicht enden.

Und wahrlich, nach zehn Minuten hielt

Ich das teure Blatt in den Händen.


Und freute mich, daß die ehrliche Stadt

Noch steh auf demselben Flecke

Und daß man noch Piesporter trinke daheim

Zu köstlichem Schnepfendrecke.


Und daß die Bevölkrung sich keineswegs

Über all ihr Mißgeschick härme,

Ja, daß man für die Soldaten jetzt

Wie für kleine Mädchen schwärme.


Und daß die Heuler am Leben noch

Und die Wühler gekrochen zu Kreuze,

Daß der Herr Joseph gesund noch – und obenauf

Seine vier literarischen Käuze.


Daß Herr Levy noch schreibe die Feuilletons,

Daß der Witz des Herrn Wolffers nicht holpre

Und daß der Herr Brüggemann wieder herum

Auf dem alten Rechtsboden stolpre.
[277]

Ja, die Kölnische las ich! Drin annonciert

Zitrone und Pumpernickel –

In ihren Annoncen ist's, wo sie gibt

Ihre besten polit'schen Artikel.


Bescheidenheit ist's, daß stets sie versteckt

Ihr Bestes nur produzieret –

Die Rheinische trug es frech auf der Stirn,

Drum ward sie suspendieret.


Die arme Rheinische – ach! schon tot!

Doch wartet: Empor einst rütteln

Wird die zur Hölle Gefahrene sich

Und keck ihre Locken schütteln.


Ja, schüttelnd ihr ambrosisch Gelock,

Wird hoch zu Gerichte sie sitzen:

Zu spielen mit ihrem Donnerkeil

Und mit ihren schlechten Witzen.

Quelle:
Georg Weerth: Sämtliche Werke in fünf Bänden. Band 1, Berlin 1956/57, S. 276-278.
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