[262] Atreus, Königin.
ATREUS.
Was fällt dem Knaben ein? Ah! hörtest du? –
Präg ihm für meinen Zorn mehr Ehrfurcht ein,
Sonst ...
KÖNIGIN.
Welch ein Sturm! verzeih ihm dieses Mal!
Die Jugend hat ein wächsernes Gefühl,
Borgt von der zarten Brust, nicht vom Verstande
Den Rat, und dreht sich um das Herz umher,
Bis durch der Jahre Lauf die Klugheit ihm
Die Sphär' erweitert hat. – Ein alter Mann
Von Jahren abgezehrt, noch mehr vom Grame,
Des mattem Aug' die dürft'ge Trän' entsteigt,
Die bleiche Wang' ihm sengt, in weißem Bart
Sich zitternd hängt; indem sein schwacher Mund
Erbarmung fleht, preßt leicht der Menschlichkeit
Das Mitleid aus! ...
ATREUS.
Ah! du entschuldigst ihn?
KÖNIGIN.
Auch ist er noch von der Beleidigung,
Wodurch Thyest dich einst verwundet hat,
Nicht g'nug belehrt. – Er kennt noch nicht das Glück,
Das du im Thron ihm einstens zugedacht,
Und einem Kinde gilt ein buntes Glas
Gleich einem Edelstein. – Du weißt, daß stets
Aegisth in deinem Wink den Wink des Zeus,
Durch den er diese Welt bewegt, verehrte.
Ein Wort! und er wird dein Gebot vollziehn!
ATREUS.
Es sei! ich werd' es sehn. Allein ... Thyest,
Thyest! – Die Rache treibt mein ganz Gehirn
In einem Kreis umher! – Wo fängt sie an?
Wo hört sie auf? – Ihr, Höllengötter, sagt!
Oh! lispelt mir's vertraulich in das Ohr ...
Sprich, Königin! – Auf welche Marter mich
Die Wut auch führt, so dünkt sie mir zu klein.
Die ärgste hab' ich schon an ihm verübt![263]
Itzt hat er nichts als sein unwürdig Sich. –
Sich? – Weniger als nichts – ein schlecht Gerippe,
Das ich zerreißen kann; zehn Tropfen Blut,
Die ihm noch übrig sind, und ein verwelkt,
Empfindungsloses Herz. – Ja, er hat recht,
Daß er der Marter trotzt ... Verderben, Pein!
Mir trotzt Thyest, sprich, Königin! was denkst,
Was rätst du mir?
KÖNIGIN.
Ich fürchte deinen Zorn!
Ich weiß, daß er wie Feuerflammen frißt,
Wenn man ihm raten will, wo ihn sein Grimm
Nicht Taten lehren kann! –
ATREUS.
Nein, rede frei!
Die Liebe hat viel Recht! sie spricht für dich!
KÖNIGIN.
So laß ihn los!
ATREUS.
Wie? gibt die Hölle dir
Den Anschlag ein? – ah! was hast du gesagt!
Bist du der Widerhall von deinem Sohne?
KÖNIGIN.
Nein; quäl ihn, wie du willst: so rufst du schnell
Das Ende seiner Qual, den Tod, herbei!
Der Tod – gewiß, er scheint dem Glücklichen
Nur fürchterlich: dem Leidenden ist er
Willkommne Ruh'! Du sahst, er foderte
Dich dazu auf? – Laß ihn in Wüsteneien,
So fürchterlich, wie seine Qual in ihm,
Mit Wölfen laut sein Unglück heulen; da
Die Wut des Syrius, von keinem Bach
Erquickt, den Sturm des Boreas, durch nichts
Als eine Haut bedeckt, um die er erst
Mit Panthern kämpfen muß, empfinden! Du,
Sei glücklich auf dem Thron! hoch glänzend sei
Dein Ruhm! und jedes Meer erzittre weit
Und breit umher vor deiner Macht: – Er seh's
Und fühl' die Qual, die mehr als Phlegeton
Das Herz verbrennt, der Feinde bittersten
Beglückt zu sehn, wenn man es selbst nicht ist.[264]
ATREUS nachdenkend.
Dies ist etwas! ...
KÖNIGIN.
Denk ihn nur auf dem Throne,
Den du beherrschst, und denke: du seist er!
Was wähltest du: Tod oder Leben?
ATREUS.
Tod,
Trüg' er nur nicht den Anblick des Thyest! –
Allein das Glück ist falsch. Was hätten sonst
Die Götter für ein Spiel? wär' nicht der Mensch.
Schon einmal hab' ich sie belustiget. –
Sein Odemhauch, und wär' er noch so schwach,
Den Staub zu heben, ist für mich ein Sturm,
Der meinen Thron erschüttern kann. Nein, nein,
Er schmacht' indes in Fesseln, bis ich mir
Die Art erst ausgedacht, die ihm den Tod
Empfindbar machen soll!
KÖNIGIN.
Doch, Herr! mein Sohn
Wird Erbe deines Throns?
ATREUS.
Er hat mein Wort!
Lehr ihn, gehorsam sein.
KÖNIGIN.
Dies werd' ich tun!
Atreus geht ab.
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