Erster Auftritt

[266] PRIESTER allein.

Es sei darum! Er wüte, schäume, rase!

Erbarmen, Mitleid, Pflicht, Religion,

Gewissen, Amt, Gewogenheit und Treu'

Für meinen alten Freund und König, ach! –

Für den unglücklichen Thyest: dies ruft[266]

Mich auf, ihm beizustehn! es koste mir

Das Leben. – Ah! was nützt es mir, wenn ich

Der Götter Fluch ertragen soll? – und nie

Hat ein Tyrann die Sonne seines Glücks

Bis zu dem Untergange scheinen sehn. –

Wer weiß, was itzt der Götter Rat beschließt! –

Apollo hält sein Angesicht versteckt:

Sein Bogen ist gespannt, schon liegt der Pfeil

Darauf: – Wer weiß, nach wessen Brust er zielt! –

Unglücklicher Thyest! oh! wärst du es!

Oh! hätte der Tyrann schon itzt ... Weh ihm!

Ich habe nicht umsonst den Götterspruch

Dem Volke kundgetan ... Doch das Verbot

Des Atreus ... Hier ist alles still umher. –

Es hüllet sich der Blitz in schwarz Gewölke,

Der Riese lauscht tief hinter dem Gebürge.

Ich seh' ihn wohl: doch tritt er dann hervor! –

Ihr Götter! dann ... zum Glück! da kömmt Aegisth!

Noch hat des Jünglings Herz der Bosheit Schlamm

Nicht überschwemmt: bis auf den Boden noch

Sieht man es hell ...


Quelle:
Das Drama des Gegeneinander in den sechziger Jahren, Trauerspiele von Christian Felix Weiße. Leipzig 1938, S. 266-267.
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