[274] Die Vorigen.
PRIESTER.
Thyest! Wie? kennst du mich nicht mehr?
Den Freund, den alten Freund ...
THYEST.
Hier einen Freund,
Wo Atreus wohnt? hier kenn' ich keinen Freund,
Ich habe keinen Freund: der Götter Haß,
Der Menschen Fluch bin ich! – Nicht wahr, du dienst
Dem Atreus? – Sklave! geh, dich kenn' ich nicht!
PRIESTER.
Ich diene nur den Göttern und nicht ihm. –
Kennst du nicht deinen Freund von Nauplien?
THYEST richtet sich etwas auf.
Von Nauplien?
PRIESTER.
Dem, als das Elend dich
Verfolgte, du die Tochter anvertraut,
Ein kaum halbjährig Kind ...
THYEST.
Was hör' ich! – wie?
Du solltest ... nein, unmöglich! ... einen Freund
Von mir? und Atreus ließ ihn übrig? hier? –
Du solltest Calchas sein? –
Sieht ihn starr an.
O ja, du bist's,
Dies redliche Gesicht – du bist's! ja ja, du bist's ...
Ihr Götter! – ist mein Herz zu so viel Glück
Noch aufbewahrt! – Seit dreißig Jahren itzt
Das erstemal noch einen Augenblick
Der Süßigkeit? –
Er fällt ihm um den Hals.
Ihr Götter! tötet mich
In der Umarmung! – noch dies letzte Glück!
Vor Freuden! ach! noch einmal! – noch einmal! –
Wo kömmst du her? was willst du hier? – bist du
Der Todesbote? – Ach! sei mir gegrüßt!
Ich segne diesen Dolch, der mich durchbohrt:
So sterb' ich doch in eines Freundes Arm!
So ist die Hand doch sanft, die sterbend mir
Mein Auge zugedrückt! ... O Calchas! lebt,
Lebt meine Tochter noch? wo ist sie? ... still!
Daß Atreus es nicht hört, wenn sie noch lebt! –
PRIESTER.
O mein Thyest! Warum itzt nicht mein König![275]
THYEST.
Weg! dieser Nam' ist mir verhaßt, seit ihn
Mein Bruder trägt, mein Mörder, mein Tyrann.
Ich bin ein Wurm ... noch weniger: denn der
Scharrt sich in Staub vor unsrer Grausamkeit,
Ist sicher: ich! – ach! mir bleibt nicht der Staub,
Wo ich mich gern, um lebend tot zu sein,
Vergrüb'! – O Freund! weißt du mein Elend ganz? –
Unmöglich! –
PRIESTER.
Ah! wer weiß es nicht! die Welt
Ist voll von deinem Weh und Atreus' Wut.
Jedoch die Götter, Freund ...
THYEST.
Wie glaubst du noch,
Daß Götter sind?
PRIESTER.
Unheiliger Gedanke! –
THYEST.
Nein, nein! so weißt du nicht, was ich erlitt!
Plisthen und Tantalus ...
PRIESTER.
Ich weiß es! doch
Erzürne nicht die schon ergrimmten Götter
Durch einen Fluch, den die Verzweiflung dir,
Die Höll' in Sinn gehaucht! Die Götter sind
In Weh und Wohl, das ihre Hand uns schickt,
Gleich gut und weise: denk, daß du auch sie
Durch manche böse Tat zum Zorn gereizt! –
Durch Bruderhaß, durch Ehebruch, durch Mord ...
THYEST.
Ich tat's, wirf mir nur meine Taten vor,
Ich hab's verdient! – –
PRIESTER.
Du bist dafür bestraft!
Leid in Geduld! fleh sie in Demut an!
Erwarte still das Ende deiner Not! ...
THYEST.
Ein Ende meiner Not?
PRIESTER.
Warum dies nicht?
Weil dein begrenzter Blick es nicht erreicht?
Sieh doch umher, wie weit Mykene geht,
Und Argos, Griechenland, das Meer, die Welt?
Die Zeit? die Ewigkeit? – Vielleicht wiegt Zeus[276]
Schon seinen Blitz auf deine Peiniger!
Vielleicht ... doch still! ... vielleicht vergönnt man uns
Nicht lange Zeit! Allein ich denk', ich bin
Ein Friedensbote dir ...
THYEST.
Hier Friede! hier?
Beim Atreus? – Ach! verschworst du dich mit ihm?
Und du bist Calchas? nein, du bist's nicht mehr!
Hab' ich es nicht gehört, was seine Wut
Mir angekündigt hat? – Ah! bist du noch,
Bist du mein alter Freund, so halte nur
Den Donner nicht zurück, der auf mich zielt!
So ist es aus!
PRIESTER.
Ich weiß, was Atreus dir gedroht!
Welch ein Geschick dein warten würde! Nicht
Von seiner Huld und Bruderliebe hoff'
Ich Heil für dich: Nein, einzig von der Furcht,
Die kein Tyrann im Busen töten kann,
Wenn gleich sein Schwert sonst alles töten kann.
Gefürchtet wünschen sie zu sein und fürchten sich,
Wenn sie es sind! Es fürchtet Atreus dich!
Es gärt das Volk im Aufruhr schon; es weiß
Dein Leid, beweint sein eigenes in dir,
Flucht, droht und fleht: der Thron erbebt! er sieht's.
Die Götter bieten Erd' und Himmel auf
Zu Zeichen! Raben schrein in schwarzer Luft,
Der Donner wirft Altär' und Höhen um:
Gespenster schweben bleich auf Gräbern her.
Er sieht's und bebt, so sehr er es verbirgt:
Er sieht's und trotzt dem Himmel durch Geschrei
Und übertäubt durch Wut die innre Stimme
Und glaubt, er hör' sie nicht, und zittert doch! –
Meinst du, daß er mich nicht zerschmetterte,
Als meine Stimm' ich itzt für dich erhob? –
Und dien' ich gleich im Tempel des Apollo:
Du weißt, was er nach Priestern sonst gefragt ...
Doch höre, was ich itzt für dich erhielt![277]
THYEST.
Verstellung! List! ein übertünchtes Grab!
Tret' ich darauf: Oh! so verschlingt es mich!
PRIESTER.
Nein, sag' ich dir! er kann nicht, wollt' er auch.
Er übergibt dich mir: bist du einmal
Im Heiligtum: wohl! so versuch' er es:
So steck' er uns mit Göttern und Altar
In Brand und sehe, was ein Volk beginnt,
Das wundenvoll mit der Verzweiflung ringt
Und kühn der Rute trotzt, mit der er schlägt ...
Doch hast du Mut genug, das Königreich,
Des Hälfte dir gehört, nicht zu begehren?
THYEST.
Und dies fragt Calchas mich? zehn Königreiche!
Hab' ich nicht schon die Bitterkeit geschmeckt? –
Ein güldner Apfel, ach! er ist voll Gift,
Und drinnen steckt der Tod, berührst du ihn.
Des Raubtiers Höhl' ist mir weit sicherer
Als Atreus' Thron ...
PRIESTER.
Doch wenn du ihn allein
Besitzen kannst? die höchste Macht ...
THYEST.
Ist nichts.
Sie ekelt mir.
PRIESTER.
So, wie ich es gewünscht!
Auf die Bedingung nur erhalt' ich dich! –
Du sagst dich feierlich vom Throne los?
THYEST.
Von allem! bringe mich nur weg von ihm!
Mein Innerstes empört sich voller Graun,
Wenn ich ihn seh'! Mich dünkt, er spritzt aufs neue
Mir meiner Kinder Blut ins Angesicht,
Wenn ich ihn sehen muß! –
PRIESTER.
Dies mußt du: doch
Nur noch einmal!
THYEST.
So wird sein Blick mich töten!
PRIESTER.
Er räumt dir Epidaurus ein!
THYEST.
Er mir?
So wachet dort gewiß ein Todesdiener,
Der mich erwürgen soll![278]
PRIESTER.
Es steht bei dir
Zu nehmen. Willst du nicht, so bleib bei mir
Im Tempel! weihe dich der Götter Dienst
Und bete sie mit mir im stillen an!
THYEST.
Dies könnt' ich tun! ... doch ist der Tempel nicht
Hier in Mykene, hier, wo Atreus herrscht?
PRIESTER.
Im Tempel herrscht er nicht; und wenigstens
Bleibt dir zur Flucht da stets ein Weg noch offen.
THYEST.
Wohlan! ich bleib'. Es steht mir überall
Zu sterben frei. Vom Atreus will ich nichts,
Nichts, nichts, kein Stäubchen nicht, nicht gern ein Grab
In Argos!
PRIESTER.
Gut! Um desto weniger
Brauchst du dem Glück und ihm dich zu vertraun ...
Doch einmal mußt du ihn noch sehn! einmal!
THYEST.
Warum?
PRIESTER.
Warum? weil du ihm am Altare
Vor allem Volk Versöhnung schwören sollst.
THYEST.
Was sagst du? Haß, Haß bis ins Höllenreich!
PRIESTER.
Gebiet, o Freund, itzt deiner Leidenschaft! –
Wie reiß' ich dich sonst aus des Adlers Klaue,
Die dich schnell faßt, sobald du mir versagst,
In Tempel uns zu folgen? – Siehst du nicht,
Daß dies der Vorwand ist? – Dein Vorteil heischt
Es selbst, damit das Volk dein Elend sehe!
Die Träne schleicht sich leichter in das Herz,
Wenn unser Auge sie erhascht, als wenn
Man abgewandt von ihm ein Meer verweint.
Die Großmut, dich versöhnlich da zu sehn,
Wo eine Furie dir Frieden beut,
Und alles dich zu Blut und Rache ruft:
Der Pomp des Opfers ...
THYEST.
Ah! was sagst du mir?
Auch Opfer? Weh! weh dem unglücklichen
Thyest! Oh! denkst du nicht des letzten Opfers?
Weh mir! weh mir! schon seh' ich Blut! mein Blut[279]
An seiner Hand! ... wo ist Pelopia? –
Schon einmal fragt' ich dich, und schweigend gabst
Du mir Bericht. Ach! ist sie tot? ist sie
In Atreus Hand? – unfehlbar! ja sie ist's!
Dies wird das Opfer sein, das er aufs neue
Zu schlachten denkt! –
PRIESTER.
Du irrest dich, Thyest!
Zwar hab' ich nichts seit jenem Augenblicke
Von ihr gehört, gesehn: allein sie ist
Gewiß in Sicherheit. Ich brachte sie
Nach Sizyon, wo Theosprotus herrscht,
In Tempel, übergab sie da der Zucht
Der Oberpriesterin, zugleich vertraut
Ich ihr den Ring, den du mir gabst, samt Stand
Und Namen: doch verbot ich ihr, niemals
Der Tochter kundzutun, woher sie sei,
Bis dein Geschick zu deinem Vorteil sich
Erklärt. Sie hat, wie ich nachdem erfahren,
Der Pallas sich geweiht, und dienet da
Vermutlich noch, als Priesterin.
THYEST.
Du sagst,
Nach Sizyon? – Ich weiß nicht, welch ein Schauer
Mich überläuft! – Das Schrecken treibt mein Haar
Empor ... Unsterbliche! wacht über sie! ...
Doch still ... ich will mich nicht mehr ängstigen!
Genug ...
PRIESTER.
Genug! ich geh'. Die Zeit ...
THYEST.
Du gehst?
Geh' ich mit dir? –
PRIESTER.
Nein, Atreus geht mit mir. –
Dich bringt Aegisth zu mir an den Altar.
Ich will das Volk erst am Palast verstreun,
Damit dem Atreus nicht selbst dies ein Vorwand
Zur Rache sei.
THYEST.
Weh mir! wie wird mir's gehn!
Grausamer Freund! Du gehest nicht mit mir?[280]
Nimmst sie zurück, die Hoffnung, die du gabst?
Und gehst allein? –
PRIESTER.
Befürchte nichts, Thyest!
Ließ ich den Atreus hier, so fürchtet' ich,
Soviel als du von ihm. Vertrau dich mir!
Ein Raubtier streichelt man, wenn es uns nicht
Verletzen soll! den Anschein vom Vertraun
Mußt' ich ihm zugestehn. Wofern er säumt,
So komm' ich flügelschnell zurück! und dann
Weh ihm! ... Du folge nur in allem, was
Die Freundschaft dir im Tempel raten wird!
Verbeiß einmal die innre Rachbegier
Und stelle dich, als ob dich Lethens Trank
Vergessenheit gelehrt.
THYEST.
Ich muß! – Genug!
Dir überlass' ich mich .... Umarme mich –
Er umarmet ihn.
PRIESTER.
Freund! sei getrost! –
Indem er abgeht, tritt Aegisth herein.
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Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Dass das gelungen ist, zeigt Michael Holzingers Auswahl von neun Meistererzählungen aus der sogenannten Biedermeierzeit.
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