Zweiter Auftritt

[294] Thyest, schlafend, Aegisth mit dem Schwerte.


AEGISTH zittert und bebt.

Er schläft? – wie sanft! – Ah! itzung weiß er nicht,

Daß ihm so nah sein Mörder ist? wenn ihm

Es nicht ein Gott im Traume sagt, daß der

Sein Mörder ist, den er geliebt, der ihm

Die Sicherheit verhieß ... Der Lügner! ah!

Verschläng' ihn doch der Abgrund! ... Still! er lächelt,

Der gute Greis! – in Fesseln lächelt er

Dem Tode zu, da ich ... Entsetzen! ich! ...


Die Mutter zeiget sich halb, droht ihm, und stampfet mit dem Fuße.


Oh! sieh nur her! sieh! den ehrwürd'gen Greis! –


Sie gebärdet sich sehr ängstlich über sein Zaudern.


Allein vielleicht wiegt ihn ein güt'ger Gott

In diesen süßen Schlaf, damit er nicht

Die Bitterkeit des Todes fühlen soll,

Den Mörder kennen soll! – Ja ja, er selbst

Erbarmt sich meiner Angst, um mir die Scham,

Die keine Nacht verhüllt, zu schenken –


Er nähert sich ihm, sieht ihn lange aufmerksam an, erhebt die zitternde Hand; indem erwacht jähling Thyest; Aegisth läßt den Dolch voll Entsetzen fallen, die Mutter ringt, doch ungesehn vom Thyest, die Hände.


THYEST.

Ah!

Mein Sohn! – Aegisth? und mit entblößtem Schwerte –


Er greift danach und hebt es auf. Aegisth steht starr und zittert.


Mir träumte von Plisthen ... Du zitterst? ah!

Warum? – Sei mir gegrüßt – ich merk' es schon,

Dich sendet Atreus! – nein, nein, zittre nicht!

Dein bleiches Angesicht verrät mir noch,

Daß du so schlimm nicht bist, als ich vermeint. –

Du willst mir nur mein Elend endigen!

Des Priesters Hoffnung hat mich nicht getäuscht:

Ich wartete des Friedensboten – komm![295]

Hier ist mein offnes Herz –


Er zeigt ihm de Busen.


hier nimm das Schwert! ...

Ist es auch scharf genug? ...


Indem er es genauer besieht, fährt er vor Schrecken

zusammen. Pelopia springt hervor und will ihm das Schwert entreißen; er zieht es aber wieder zurück und ruft.


Was seh' ich? halt! ...


Ängstlich zum Aegisth.


Wer gab dir dieses Schwert?

PELOPIA unruhig.

Ich! gib es her!

THYEST.

Sobald du mich gelehrt, wer dir es gab?

PELOPIA.

Greif zu, Aegisth! ... Kleinmütiger! – Du bebst? ...

THYEST.

Ich sage dir!

Nicht eher geb' ich es. – Dies Schwert war mein!

PELOPIA.

Dein? – Götter!

AEGISTH.

O welch ein Gedank! ... hat sie

Mir nicht gesagt ...

THYEST.

In einem finstern Hain

Bei Sicyon – (o tilgten jene Nacht

Die Götter auch aus meinem Leben aus!) ...

PELOPIA.

Ha! solltest du's, Verräter, sein, dem ich

Damals das Schwert entriß? der mich entehrte?

Der mir auch unerkannt ein süßes Gift

In meinen Adern ließ, daß dich noch itzt

Mein Herz nicht hassen kann! –

THYEST reicht ihr das Schwert; sie reißt es ihm aus der Hand.

Da! strafe mich dafür! –

AEGISTH fällt ihm um den Hals und weint.

Mein Vater! ach! ich sterbe! Scham

Und Reu ... ich wollte dich – ermorden! –

THYEST.

Wie?

Du bist mein Sohn?

AEGISTH.

Ich bin's! ich bin's, und hätt'

Es meine Mutter mir auch nicht gesagt.

Im ersten Augenblick, als ich dich sah,

Hat mir's mein Herz gesagt! –[296]

THYEST.

O Süßigkeit!

Mir gibt das Glück noch einen Sohn zurück? –

Umarme, drücke mich fest an dein Herz! –

Zieh meinen Geist mit deinem Odem ein! –

Aegisth, mein Sohn! – Du bist nicht Atreus' Sohn?

AEGISTH.

Nein, nein, ich bin es nicht! und hätt' er mehr

Als eine Welt, und wollte diese Welt

Mir geben! – Nein, ich bin es nicht! ich bin

Dein Sohn! ich sterbe hier mit dir! ich hab'

Es tausendmal verdient! War ich es nicht

(O Schändlichkeit), der dich hieher gebracht?

THYEST.

Nein: Deine Tugend ist des Lebens wert!

Oh! wär' itzt Argos mein! (das erstemal!

Daß mir der Wunsch, den ich verflucht, aufs neu

Ins Herze schleicht!) ... doch komm! vollzieh die Tat,

Zu der mein Bruder dich hieher geschickt!

Vielleicht war dies der Preis ...

AEGISTH.

Mein Vater, wie?

Verkennst du so dein Blut? Nein, töte mich

Und eile schnell in Tempel, eh er kömmt! –

THYEST.

O zu getreues Kind! ... Unsterbliche!

Gebt ihm den Lohn –


Er weint.


den ich nicht geben kann!


Er geht zur Pelopia, die mit eingeschlagenen Armen diese Zeit über voll Tiefsinn an der Seite des Theaters gestanden.


Ha! Königin! Du bist des Atreus Weib!

Noch ist das Schwert entblößt in deiner Hand:

Komm! es ist dein Beruf! tu für den Sohn,

Was er für sich nicht wagt! –

AEGISTH.

Gib, meine Mutter!


Er will nach dem Schwerte greifen, sie zieht es hastig zurück und sieht den Thyest starr an.


THYEST.

Dein rollend Auge sagt mir, was du denkst! –

Was zauderst du? stoß her! –

PELOPIA.

Thyest! Thyest!


Sie hebt die Hände empor, die sie mit einer ängstlichen Wildheit ringt.
[297]

THYEST.

Oh! rufe nur des Atreus Götter an!

Sie werden dir schon Mut verleihn! ihr Durst

Lechzt nur nach Blut! mach ihre Zähne ganz

Von meinem Fleische stumpf, von dem noch itzt

Ihr Rachen überläuft! –

AEGISTH fällt ihr zu Füßen.

O töte mich! ...


Schmeichelnd.


Gib mir das Schwert! –

PELOPIA.

Weg! weg!

THYEST.

Steh auf, mein Sohn!

Damit nicht ihre Wut ...

PELOPIA mit aufgehobenen Händen.

Thyest! Thyest!

THYEST wird eines Ringes an ihrer Hand gewahr.

O weh!

Zeig mir die Hand! ... nicht die bewaffnete! –

Die linke! – Ja, er ist's! er ist's! ... woher? –

Wer gab dir diesen Ring? wer?

PELOPIA.

Wer? – warum?

THYEST.

Ich bin des Todes! sprich ... nein: töte mich! –

Verschweig die schrecklichste Entdeckung –

AEGISTH.

Ah!

Mein Vater!

THYEST.

Still! oh! nenne mich Thyest! ...

Ihr Götter! schüttet euern Zornkelch nur

Bis auf den Boden aus! ... Ich muß es wissen!

AEGISTH.

Ha! was ist das? mein Blut in Adern starrt! –

THYEST.

Gab dir es nicht die Oberpriesterin

Zu Sicyon?

PELOPIA.

Wer hat es dir gesagt? –

Das einzige Geschenk, das sie mir noch

Von meiner Mutter ließ! ... weißt du vielleicht,

Wer diese war? und wer mein Vater war?

Sag es geschwind! – Sag es, sonst töt' ich dich! –

THYEST.

O töte mich! aus Mitleid töte mich!

Aus Mitleid – selbst für dich, daß du es nicht

Erfährst! ... doch nein – ein Mord! ein Vatermord! –

Ah! was hab' ich gesagt! o meine Tochter!

Nein, meine ... Weh! Weh über uns! o holt[298]

Den Atreus her, damit er unsre Schande

Mit unserm Blut bedeck'! O Erde, tu

Dich auf! verbirg uns vor des Tages Licht!

Roll über uns, du ewig Feuermeer,

Das durch die Hölle sich mit Brausen wälzt,

Verzehr uns ganz, daß wir uns alle nie,

Auch dort nie wiedersehn! – Grausamer Tag!

Weit grausamer als der, da mir mein Blut

Durch meine Lippen floß! Du leuchtest mir,

Da du vor Atreus' Grimm dein Licht verbargst?

Lösch aus! lösch ewig aus! Aegisth! Aegisth!

Mein Sohn ... mein Enkel! ah! warum? warum

Grausamer! tötetest du mich nicht erst? –

Warum bewahrst du mich zur scheußlichsten

Entdeckung auf!

AEGISTH.

Ich bin des Todes! – Zwar

Seh' ich nur halb durch diese Finsternis: ...

Doch dein Verbrechen kam unfehlbar ...

THYEST.

Weg

Von mir! es kam von mir ... Pelopia! ...

PELOPIA die wieder aus ihrem Tiefsinne erwacht.

Der Name, den sie sterbend stammelte! –

Ich bin's ... mein Traumgesicht ...

THYEST.

Bin ich es nicht,

Die dich zur Schande macht? wie wag' ich es,

Dies Angesicht, wo deiner Mutter Reiz

Noch eingeprägt, mir meine Missetat

Mit Schrecken zeigt, zu sehn? ... Oh! dürft' ich dich

Nicht einmal noch umarmen ...

PELOPIA.

Weg von mir!

Daß dir die Flamme nicht ins Auge schlägt! –

Die Furie – sie kömmt zurück! – ich sehe

Nur Flammen um mich her! – Das Eis zerschmilzt,

Das mir in Adern starrt! – die Spitze wankt

Am Dolch! der Arm ist reg' –


Sie bewegt das Schwert.


die Eumenide

Wirft ihre Schlangen mir ins Herz! ich fühl'[299]

Es schon durchbohrt! das Blut, das strömeweis'

Heraus sich drängt, löscht nicht den weiten Brand! ...

Aegisth! geh her! – Bist du das Denkmal nicht

Von unsrer Schande? – komm! ...

THYEST.

Nein, bleib zurück! ...


Die Königin läuft wütend auf den Aegisth los; Thyest tritt dazwischen.


Ihr Götter! ah! was willst du tun?

PELOPIA.

Was? was? –

Die Schuld, die du verbrachst, in meinem Blute ...


Sie stößt sich das Schwert in die Brust und fällt dem Thyest in die Arme.


THYEST.

Ihr Götter!

AEGISTH.

Weh! weh mir! o meine Mutter!


Aegisth zieht ihr das Schwert aus der Brust.


PELOPIA.

O Höllenangst! ...


Sie will Thyests Arm zurückstoßen.


Weg! mit dem Arm! er brennt,

Wie Nessus' Kleid! ... unglücklicher Aegisth! –

Du weißt den Namen nicht, den du nun trägst!

Der Schwester Sohn – der Enkel deines Vaters! ...

Der Fluch hängt über dir! – umsonst glaubt' ich

Sie durch mein Blut gebüßt! – ich seh', der Tod

Nimmt nicht die Rechnung an! – Du erbst von uns

Die Missetat – und Ehebruch und Mord

Wird deines Lebens Ruhm, sein Inhalt sein. –

Zweimal fünf Sonnen fliehn vorbei ... was ist

Des Helden Ruhm? – Umsonst frohlocket er,

Der Sieger Ilions! – Dein blutig Schwert

Hängt über seinem Mahl – und fällt – und fällt –

Und trifft ... O Weh! die Rache hinkt dir nach,

Sie hält dich schon beim blonden Haar, sie hebt

Den Dolch ... Weh mir!

THYEST.

Sie stirbt! – Unglückliche!

Oh! reiße mich schnell in den Abgrund nach.


Er führet sie in das noch offne Gefängnis hinein.


Quelle:
Das Drama des Gegeneinander in den sechziger Jahren, Trauerspiele von Christian Felix Weiße. Leipzig 1938, S. 294-300.
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