[103] Albertine tritt hastig unter die Thüre. Die Vorigen.
ALBERTINE ruft unter der Thüre. Mutter! Mutter!
MADAME WÖLBING geht ihr entgegen und führt sie vor. So allein, mein Kind?
AUGUST bleibt auf der Seite, wo die Mutter steht.
ALBERTINE. Annchen ward abgerufen, und es litt mich dort nicht allein, leicht läßt der Schmerz sich in dem Busen bergen, indeß die Freude jede Schranke bricht.[103]
MADAME WÖLBING. Was ist dir denn so Freudiges begegnet?
ALBERTINE. Ich saß in der Laube, das Geisblatt steht in voller Blüthe, ich labte mich an seinem Dufte; da durchzückte ein Lichtstrahl – es war nicht Wirklichkeit – nein – dieser Nacht wird kein Tag mehr folgen – nur die Freude, die heute meine Brust durchglüht, ließ mich glauben, es durchzucke mein Auge ein Strahl des Lichtes.
MADAME WÖLBING freudig. Hoffe, mein Kind!
ALBERTINE. O was könnte ich heute nicht hoffen, da mir der kühne Wunsch, noch zu wirken, heute in Erfüllung geht. Ja viel, viel hoffe ich; Etwas wehmüthig. nur eines nicht.
MADAME WÖLBING. Und dieses eine, Kind?
ALBERTINE. Fast sollt' ichs auch der Mutter nicht vertrauen.
MADAME WÖLBING hastig. Dann schweige jetzt.
ALBERTINE. Nein, nein – Sie kennen dieses Herz, wie Gott es kennt; Sie werden diese Regung nicht mißkennen.
MADAME WÖLBING ist wegen August verlegen. Mein gutes Kind![104]
ALBERTINE. Man rief Annchen von mir; sie soll die Tochter unsers Nachbars heute noch zur Kirche führen.
MADAME WÖLBING. Ich weiß davon.
ALBERTINE. Da sagte sie, es sey unrecht, daß man ein sehendes Mädchen führen müsse; mich, meinte sie, würde sie gerne führen, wenn ich – Mutter – es war ein Kindergeschwätz; aber es hat mich tief erschüttert – weil das unmöglich ist.
MADAME WÖLBING. Unmöglich?
ALBERTINE. Wer soll die Blinde lieben?
AUGUST drückt schnell Madame Wölbing mit sichtbarer Rührung die Hand, und geht schnell ab.
ALBERTINE heftig erschrocken. Wer ging hier?
MADAME WÖLBING verlegen. Es ist – es war –
ALBERTINE. Wir waren nicht allein?
MADAME WÖLBING. Nein, mein Kind.
ALBERTINE. Und ich schüttete mein Herz vor Ihnen aus!
MADAME WÖLBING. Sey ruhig.[105]
ALBERTINE. Nein, nein – in meiner Rede lag –
MADAME WÖLBING. Der gegenwärtig war, wird diese Ergießung deines Herzens nicht mißbrauchen.
ALBERTINE mit Angst. Es war ein Mann?
MADAME WÖLBING. Ja, mein Kind.
ALBERTINE. Und Sie warnten mich nicht?
MADAME WÖLBING. Du kamst so plötzlich. –
ALBERTINE. Und ich sprach den Wunsch nach einem Glück aus, das für mich nicht zu erreichen ist.
MADAME WÖLBING. Er hörte es tief bewegt.
ALBERTINE. Er wird mich verspotten.
MADAME WÖLBING. Nein – der spottet nicht.
ALBERTINE. Wer ist es, wer war es?
MADAME WÖLBING. Herrn Gehrmanns Neffe, der sich für die werdende Schriftstellerin sehr interessirt.
ALBERTINE. O Mutter!
MADAME WÖLBING. Er hat mir auch für deine Arbeit Geld gebracht.[106]
ALBERTINE zitternd. Geld?
MADAME WÖLBING. Du zitterst.
ALBERTINE. Vor Freude, Mutter! vor Freude, daß ich für Sie arbeiten kann.
MADAME WÖLBING. O mein Kind! Umarmt sie. Du fliehst die Menschen, und ich möchte gern aller Welt zeigen, wie ich in meinem Kinde glücklich bin. Jetzt fasse dich; diese Begebenheit hat dich erschüttert; wenn du ruhiger bist, dann will ich dir von diesen Neffen mehr erzählen. Will es mir doch fast ahnen, daß er wie der Jüngling, dessen Schicksale du zu entwickeln beginnst, zu Glück und Segen für uns eingetreten ist. – Nun, Albertine, ich ergreife die Feder! wo sind wir geblieben? – »er trat ein, die Mutter erblickt ihn zuerst – und rufet: O sey uns willkommen!«
ALBERTINE. O Mutter! was in mir vorgeht, ist so fremd, so unerwartet! mit diesem Aufruhr in der Brust kann ich nur fühlen, denken kann ich jetzt nicht. Sich in ihre Arme werfend, mit einem kindlichen Ton. Nein, Mutter! denken kann ich jetzt nicht. Sie gehen Arm in Arm zurück, der Vorhang fällt.
Ende des britten Aufzuges.
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