Fünfter Auftritt

[119] Gehrmann, August Durch die Mittelthüre rechts.


GEHRMANN zieht August herein. Da ist er, da bring ich ihn! Sieht sich um. Wo ist denn die Braut?

AUGUST. Onkel – hören Sie mich!

GEHRMANN. Kein Wort!

AUGUST. Nie werde ich meine Hand biethen –

GEHRMANN. 300000 Gulden in Empfang zu nehmen?

AUGUST. Um dafür meine Freyheit zu verkaufen?

GEHRMANN. Du bist ein Narr! jeder Ehemann dünkt sich heut zu Tage frank und frey.[119]

AUGUST. Ich denke nicht, wie jeder.

GEHRMANN. Du denkst wie gar keiner; denn keiner schlüge, um das einsylbige Wörtchen ja auszusprechen, eine solche Summe aus.

AUGUST. Ich finde mein Glück nicht in klingender Münze.

GEHRMANN. Ohne Münze findet man es auch nicht.


NB. Diese Scene muß sehr lebhaft gesprochen werden.


AUGUST. Wie können Sie mir zumuthen, dieses ungebildete, unwissende Geschöpf –

GEHRMANN. Sie hat für alles, was sie nicht weiß, kontante Entschuldigung.

AUGUST. Noch vor wenigen Tagen wäre es mir vielleicht möglich gewesen, Ihrem Spekulations - Geiste dieses Opfer zu bringen, heute – nicht mehr.

GEHRMANN aufmerksam. Und warum nicht mehr?

AUGUST. Gestatten Sie mir, in einem ruhigen Augenblick über meinen künftigen Lebensplan mit Ihnen zu sprechen.

GEHRMANN. Ueber einen Plan?

AUGUST. Wenn Sie ruhig sind.[120]

GEHRMANN schreit. Ich bin ruhig! Heraus mit dem Plan.

AUGUST. Noch ist mir selbst Vieles dunkel.

GEHRMANN. Weil das Licht der Vernunft fehlt.

AUGUST. Meine Lage ist wirklich sonderbar.

GEHRMANN ungeduldig. Blättere nicht so lange in dem Buche deiner Thorheit; schlage das Kapitel auf, wo geschrieben steht, daß du toll bist.

AUGUST. Onkel! nur bis morgen –

GEHRMANN. Keine Sicht! heute ist der Wechsel zahlbar.

AUGUST. Nun denn – auch heute. Nach einer Pause. Onkel! ist es Ihnen nie vorgekommen, daß auch der weiseste Lebensplan an einem zufälligen Ereignisse scheitern kann? Wie ich mir auch meine Zukunft denken mochte, heute hat sie sich anders gestaltet.

GEHRMANN. Wie hat sie sich gestaltet? Sprich doch nicht mit Umschweifen, wie die Autoren schreiben, um dem Buchhändler nur den Bogen voll zu machen. Sinn in wenig Worten, das verkaufe mir.

AUGUST. Nun denn – ich liebe!

GEHRMANN erstaunt. Du? jetzt?[121]

AUGUST mit Feuer. Jetzt ist der Augenblick gekommen, wo ich fühle, daß nicht kalte Berechnung, daß nur willenlose Hingebung unser Glück machen kann.

GEHRMANN heftig. Willenlos? Hirnlos!

AUGUST. Ich weiß, daß ich Ihnen mißfallen muß.

GEHRMANN heftig. Muß! muß! muß! – In dem Augenblicke sich zu verlieben, wo ich dein Herz für meine Mündel brauche! Hattest du nicht durch dein ganzes Leben Zeit genug?

AUGUST. Mein Los ist heute erst gefallen.

GEHRMANN. Verliebt! Wendet sich schnell zu ihm. In wen verliebt? – Wer ist sie? was treibt sie? was hat sie?

AUGUST voll Feuer. O sie hat Schätze, die –

GEHRMANN. Schätze? Jetzt nimmt es doch eine bessere Wendung. Also – nichts Hergelaufenes? reich und –

AUGUST will reden.

GEHRMANN. Laß mich rathen! Wer könnte das seyn? Vermögliche Mädchen kenne ich viele; aber die hat Schätze!

AUGUST schnell. Sie dürfen nicht denken –[122]

GEHRMANN. Daß es Goldbarren, Demantblöcke sind? nun freylich nicht, aber doch geprägte Münze?

AUGUST. Das Gepräge ihrer Seele.

GEHRMANN. Was Seele!

AUGUST. Der innere Werth –

GEHRMANN. Was innerer Werth! Ob der Einband Löschpapier oder Maroquin ist, darauf sieht die Welt, darauf kommt es an.

AUGUST. Die Natur hat alles für sie gethan.

GEHRMANN. Und das Glück? was hat das Glück für sie gethan?

AUGUST nach einer Pause. Nichts!

GEHRMANN erstaunt. Nichts? rein nichts?

AUGUST. Sie ist sehr arm.

GEHRMANN. Arm? sehr arm? Wo sind denn ihre Schätze?

AUGUST mit Feuer. Die hat sie! die kann ihr Niemand rauben. Schnell. Anmuth! Duldung! Würde! kindliche Hingebung! geläuterten Verstand! anspruchlose Bescheidenheit![123] Frohsinn! Frömmigkeit! jede weibliche Tugend! und ein Herz! Onkel! mein Wort ist gelöst, ich habe Ihnen Schätze genug genannt.

GEHRMANN. Nichts für die Kiste! nichts für die Kiste!

AUGUST. Aber alles für das Glück meines Herzens.

GEHRMANN. Wer ist sie? Vermuthlich, wie Aphrodite, aus dem Schaume des Meeres entstiegen? Ohne Aeltern? ohne Nahmen?

AUGUST. Ihr Vater war ein Kaufmann.

GEHRMANN. Und kein Geld? da muß Papa schön gewirthschaftet haben! Was treibt sie?

AUGUST mit Beziehung. Etwas, das Andere reich macht, indeß es dem, der sich damit beschäftigt, kaum die Brotrinde gibt.

GEHRMANN. Da bin ich doch neugierig.

AUGUST. Sie ist – Schriftstellerin –

GEHRMANN in höchstem Erstaunen. Schrift –

AUGUST. Nun ist Ihnen ihre Armuth wohl begreiflich?

GEHRMANN losbrechend. Aber deine Tollheit ist es mir nicht. Du, der[124] sich über die weibliche Schreibewuth lustig machte; du wolltest jetzt eine Frau nehmen, die ihrem Manne keinen Strumpf stricken, ihm die Suppe versalzen und das Essen verbrennen wird.

AUGUST. Onkel! hören Sie mich!

GEHRMANN heftig. Du sollst mich hören.

AUGUST. Es gibt Ausnahmen, die –

GEHRMANN. Und es gibt Narren, die heute gut finden, was sie gestern verworfen haben. Du kannst für deine Thorheit Entschuldigung finden, aber in meinem Alter ändert man nicht über Nacht Meinungen und Grundsätze. Ich gebe dem Manne die Feder, und dem Weibe die Nadel in die Hand. Ich will keine Nichte, die mir beym Frühstück die Träume der letzten Nacht in wohlgereimten Versen vorliest. Arm! – Ich liebe das Geld – aber arm hätte sie noch seyn mögen, nur nicht gelehrt. Eine Frau, die mehr Tinte braucht, als ihr Mann Wein trinkt, kommt nicht in mein Haus. Geht lebhaft herum.

AUGUST. Ich habe nie behauptet, daß die Gabe, aus seinem Innern zu schöpfen, Gefühle und Gedanken mitzutheilen, nur ein Vorrecht des Mannes sey. Nur, daß sich Viele diesem lockenden Spiele ohne wahren Beruf hingeben, ihre Pflichten versäumen, ohne der Welt einen Gewinn dafür zu hinterlassen, das habe[125] ich getadelt; und ich glaube, daß ich bey meiner Wahl diesem Grundsatze treu geblieben bin.

GEHRMANN. Gut – wandle deinen Narrenpfad, wir Beyde haben nichts mehr mit einander zu schaffen.

AUGUST ihm nachgehend. Onkel!

GEHRMANN heftig. Ich enterbe dich!

AUGUST kalt. Ich besitze Fähigkeiten, meinen Unterhalt zu erwerben.

GEHRMANN weich. Du willst – du kannst mich verlassen?

AUGUST. Wenn Sie mein Lebensglück dem Geldgewinn opfern –

GEHRMANN. So hat sie dich umstrickt?

AUGUST. Durch Unschuld und Güte.

GEHRMANN. Durch verführerische Worte, durch verbuhlte Blicke.

AUGUST lebhaft. Nein – hören Sie, und erstaunen Sie immer mehr. Noch fiel kein Blick von ihr auf mich, und noch hat sie kein Wort mit mir gesprochen.

GEHRMANN erstaunt. Und dennoch –

AUGUST mit Wärme. Und dennoch fühle ich mein Schicksal auf ewig[126] mit dem ihrigen vereint. Ueber das Herz entscheidet der Augenblick, er hat über mich entschieden; denn was ich in jenem Augenblicke sah und hörte, ergriff die Seele und befriedigte den Verstand. Schnell. Sie kränkten diesen Morgen die Mutter, die Ihnen das erste, aber doch so gelungene Werk einer armen erblindeten Tochter brachte.

GEHRMANN etwas betroffen. Was? erblindet?

AUGUST lebhaft fortfahrend. Das Benehmen dieser Frau rührte Sie, wie mußte erst mich die beyspiellose Lage dieser Unglücklichen ergreifen, der ich in die geheimsten Falten ihres Herzens sah! Die Mutter verweigerte es, mich zu ihrer Tochter zu führen, ich schlich ihr nach, trat unbemerkt in das Zimmer, und – o hätte ich Raphaels Pinsel, um diesen Moment vor Ihre Seele zu führen! ich sah, ich hörte wie die Arme eine Welt in ihrem Busen weckte, wie sie der Mutter mit begeisterter Heiterkeit ihre Gedanken dictirte – der Mutter, die sie auf anderm Weg nicht mehr ernähren kann. Onkel! folgt diese Schriftstellerin nicht ihrem Berufe?

GEHRMANN gerührt, aber ärgerlich aufschreiend. Aber – wenn sie blind ist!

AUGUST. Aber sie wird es nicht bleiben. Ich habe mit ihrem Arzte gesprochen, Hilfe ist möglich. Schmerz, Angst und Kummer haben das Flämmchen in ihrem[127] Auge gelöscht, die Freude soll es wieder anzünden. Die Mutter hat sie auf meinen Besuch vorbereitet, ich eile hin. Herzlich. Onkel! Sie sind nicht hart, nur Ihr Geschäft hat eine Rinde um Ihr Herz gezogen; kommen Sie, sehen Sie, prüfen Sie! Nicht Ihr Vermögen, nur Ihren Segen will ich für mein Glück. Schnell ab.

GEHRMANN sieht ihm nach. Da läuft er hin! Mitleid kann man mit der Armuth und der Blindheit wohl haben, aber heirathen muß man sie nicht. Sonst richten die Augen das meiste Unheil an, die hat ihn ohne Augen gefangen. Aber ich, der ich ohne Brille sehe, daß da nichts Kluges herauskommen kann, soll ich ihn in's Verderben rennen lassen? – Der Bürgermeister wird Rath schaffen. – Der Bettelfamilie ein Stück Geld – zwey Postpferde; über Nacht ist sie weg – und er heirathet meine Dreymahlhunderttausend-Gulden-Braut! Denn das kann man doch nur in Fieberhitze, daß man ein reiches, sehendes Mädchen um ein armes, blindes ausschlagen kann. Will ab.


Quelle:
Johanna Franul von Weißenthurn: Neue Schauspiele. Band 13, Wien 1834, S. 119-128.
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