Sechster Auftritt

[16] Die Vorigen ohne Jöran.


BOTWID nach einer Pause. Was war das?

THEIT. Wir sind verrathen, das ist klar.

STRUEN. Ich glaube, er hat nur Verdacht.

THEIT. Er hat Gewißheit, wir sind entdeckt.

RICHERS. Brav, alter Knabe, das ist dir gelungen, verlegen wolltest du uns sehen? und bey Gott, kein Gesicht behielt die alte Larve. Der alte Mann, mit Fischblut in den Adern, hat uns meisterlich umgangen. Tritt unter sie. Was denkt ihr zu thun?

THEIT. Ich folge seiner Warnung, ich reise.

RICHERS höhnisch. Warnung?

STRUEN. Er hat nur Argwohn.

RICHERS zu Botwid. Nun, und du?

BOTWID. Wenn es der alte Knabe redlich mit uns meinte –

RICHERS lacht. Redlich?

THEIT. So sollten wir den guten Rath befolgen.

RICHERS. Und der Herzog? und euer Schwur?

THEIT. Wir wagen gerne unser Leben, wenn es dem Herzog nützen kann; doch bleiben wir, so würden wir es verlieren, ohne ihm zu nützen.

RICHERS lacht im Grimm. Ha, ha, ha! Gut gewürfelt,[16] Oheim, der Gewinn ist dein; das Ungeheuer schlich nicht umsonst aus seiner Höhle, reiche Beute schleppt es heim. Gott! was macht der Mensch aus deiner schönen Schöpfung! Nicht Redlichkeit und Stärke, nicht Treu' und Glauben, nicht Verdienst und Tugend – List, List besiegt die Welt. Ein alter Hofmann lähmt durch seine abgenützte Zunge den rüstigen Arm drey wackerer Männer, den sie für die gerechte Sache, zum Schutz der unterdrückten Unschuld aufgehoben. Was hätten sie, ehe dieser Schatten eines Menschen uns in den Weg trat, nicht unternommen? auf welcher Höhe stand ihr Muth, in welche Tiefe ist er jetzt gesunken?

BOTWID. Richers!

RICHERS. Soll ich euch die Geschichte dieser Nacht erzählen? – Ihr eilt nach Hause, das Gesinde wird geweckt, es wird gepackt, ihr sorget ängstlich, daß zu der weiten Reise nichts vergessen werde; ihr nehmt von allem, was ihr liebt, auf ewig Abschied, werft euch mir wehmuthsvollem Herzen in den Wagen, vier rasche Pferde bringen euch – bis an das Thor; dort ruft die Wache: Halt! Ihr seyd verhaftet – Warum? weßhalb? wer gab euch den Befehl? – Wer anders als der gütige Mann, der euch so zärtlich warnte, und den nun eure Flucht erst überzeugt, daß ihr die seyd, die er so mühsam suchte.

THEIT. Verdammt –

BOTWID. Gott strafe mich, so wird es seyn!

STRUEN. So ist's.

THEIT. Wir bleiben hier.

ALLE. Ja, wir bleiben hier.

RICHERS. So seyd ihr nun. – Wankelmüthig, wie[17] das Weib den Buhlen wechselt, wechselt ihr in dieser ernsten Sache eure Meinung. Den steilen Berg, dessen Gipfel ihr euch zum Ziel ersehen, könnt ihr so nicht erreichen, bald bleibt ihr tändelnd stehen; ihr schaudert, wenn ihr abwärts blickt, und euer Auge mißt ängstlich die noch unerreichte Höhe. Der Mann mit festem Sinn klimmt muthig fort, mit neuem Muthe bekämpft er jedes neue Hinderniß, er steht am Ziele, und blickt dann spottend auf die Zögernden herab.

STRUEN. Leite uns, Christian, dein Geist nimmt höhern Flug, ziehe uns arme Erdenwürmer mit dir aufwärts.

THEIT. Thue das.

BOTWID. Auf Herz und Arme kannst du dich bey uns verlassen – sey du der Kopf, bewege uns wie deinen Körper.

RICHERS. Wohl – doch sey es das letzte Mahl, daß Furcht und Zweifel uns den Weg vertreten; laßt diese nächtlichen Gespenster das Gewissen meines Oheims foltern, denn wißt: er, und kein Anderer ist Illens Mörder.

BOTWID. Was sagst du?

STRUEN. Wäre es möglich?

RICHERS. Es ist gewiß – seinem Argwohn fiel das Opfer; dem bloßen Argwohn kann er Menschen schlachten. Glaubt ihr nun noch an seinen guten Rath? Wie die gefallenen Engel Gottes arme Sterbliche beschleichen, gierig auf ihre Seelen lauern, so stand er unter uns, so sah ich ihn, und euch entging der Hölle Zeichen? der hämische Zug am Munde, der ihn zu der Teufel Erstem macht? Er glaubte bey dem Todten, nebst den Brieen,[18] auch ein Verzeichniß der Verbündeten zu finden, er betrog sich, und fluchte dem gedungenen Mörder, daß er zu gut getroffen, daß ihm Ille todt, nicht röchelnd in die Hände fiel. Dem Sterbenden hätte er noch Worte, wenn auch nur Sylben abgefoltert. Was kann ein Mensch, wie er, aus einer Sylbe machen. Erschöpft ein ganzes Wörterbuch, um eure Unschuld darzuthun, ihr könnt dieser Sylbe doch nicht Meister werden. Er will es, ihr seyd überführt, ihr seyd gerichtet.

THEIT. Schrecklich –

RICHERS. Noch weiß er nichts von uns, und fürchtet alles, darum sucht er uns zu überlisten. Doch fasset Muth, wir setzen seiner Heucheley die gerade, offne Stirne entgegen. Wir haben uns zu keiner Meuterey verbunden; Pflicht ist es, unsern Herzog zu befreyen, dem wir Treue schworen. Der Brüder Zwist lös't nicht unsern Eid, er ruht in Gottes Hand. Schwüre, die treue Unterthanen an ihre rechtmäßigen Fürsten ketten, lös't keine Macht auf Erden. Freund nenne ich nur den, der ohne Hoffnung auf dieß Erdenglück, auf schnöden Lohn hiernieden, seine Pflicht als treuer Unterthan erfüllt. Vier Jahre schmachtet Johann im Gefängniß, er hat kein Land und keinen Bruder mehr, aber er soll Freunde finden, die ihn befreyen, oder sterben.

ALLE reichen ihm die Hand. Die ihn befreyen, oder sterben.

RICHERS schüttelt ihre Hand, dann nach einer Pause. Botwid, morgen Nacht bey dir!


Ende des ersten Aufzugs.
[19]

Quelle:
Johanna Franul von Weißenthurn: Neue Schauspiele. Band 1, Wien 1817, S. 16-20.
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